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Er ist tot

Guten Tag, ich bin Hildegard Jemmers. Ich bin 78 Jahre alt. Dies ist mein erster Roman.

Mein letzter wahrscheinlich auch. 60 Jahre möchte ich ihnen nun nahe legen. 60 Jahre meines Lebens. Bitte gehen Sie damit behutsam um. Ich würde es auch tun.

60 Jahre sind eine sehr lange Zeit, ich hätte sie ja auch gerne anders verbracht, als ich es getan habe.

Willibald hab ihn selig, ist nun tot. Er war die große Liebe meines Lebens. Nie werde ich ihn wieder sehen, niemals. Sie werden der Traktik, die hier von statten geht, nicht bewusst.

 

Er ist weg

Willibald liegt neben mir. Tot. Er liegt neben mir im Bett und ich weiß nicht, was genau ich tun soll. Meine Fähigkeit zu entscheiden, ist entschieden eingeschränkt. Am Laib habe ich nur mein Nachthemd und Willibald hat ebenso nur sein Nachtgewand an.

Er ist steif und kalt. Leben tut er nicht mehr, das habe ich schon probiert. Ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben. Die hat ihm nichts genützt. Er blieb stumm.

 

Was mache ich nur

Dann dachte ich mir, er steht schon wieder auf. Irgendwann. Willibald, müssen Sie wissen, ist 95 Kilo schwer. So ohne Hilfe kann ich ihn nicht bewegen. Willibald sieht freidlich aus. So in seiner letzten Stund. Der Tod kann nicht schrecklich sein, wenn ich das hier so sehe. Willibald sieht fast so aus, wie wenn wir, nun Sie wissen schon. So befriedigt eben. Wir haben aber nicht. Das müssen Sie auch wissen. Lange nicht mehr.

In unserem Alter tut man das nicht mehr so oft. Zu mühsam und zu gefährlich.

Osteoporose lauert ständig. Herz und Kreislauf machen auch nicht so gut mit. Und dann war das noch nie so meine Sache.




Wer soll kommen

Ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll. Jemand anrufen? Unsere Kinder?

Nein, das will ich nicht! Und dann die ganzen Leute hier. Jeder kommt und fragt. Die Kinder, ein Arzt. Die Polizei. Der Bestatter. Der Pfarrer. Ich bin nicht gerade Leutselig.

Viel zu viel. Ich behalte Willibald noch etwas bei mir.


Er muss bleiben

Ich brauche auch seine Rente, wovon soll ich leben. Willibald ist unser Verdiener. Der Ernährer. Ich kann meinen Ernährer nicht hergeben. Sie verstehen!

Deshalb muss es erst einmal so aussehen, als ob mit Willibald alles bestens ist. Für die Öffentlichkeit. Für die Familie. Für die Ämter.

Ich habe keine Angst davor. Wissen Sie, ich habe einen Krieg, die Zeit im der ehemaligen DDR erlebt und auch mit einer bösartigen Schwiegermutter kam ich zurecht. Dies hier wird mich nicht schocken.


Frisch bleiben

Ich muss nur einen Weg finden, wie Willibald frisch bleibt. So neben mir liegen lassen, das wird schwer. Das wird ganz schön kniffelig. Doch ich bin da guter Dinge. Zunächst einmal lege ich seine Füsse in eine Schüssel mit Wasser. Und ich ziehe ihm ein frisches Hemd an. Zähne putzen sollte ich auch noch. Das ist ganz leicht. Ich nehme einfach seine Zähne raus. In unserem Alter befinden sich die Zähne nachts außerhalb unseres Körpers.


Seine Ruhe

Duftbäume werden eine Lösung sein. Die mit Moschus Duft, ich klemme sie ihm unter die Arme. Willibald wird ein Guter sein. Er wird mir keine Probleme machen. Da bin ich mir sicher. Alles wird gut. Ich weiß es einfach. Dann mache ich mal einen Platz in der Gefriertruhe frei. Dort wird seine neue Heimat. In ein paar Tagen erst, wenn ich Abschied von ihm genommen hab. Solange kann er noch hier bleiben. Bevor er dann in seine eisige Kühlung geht, mache ich noch ein schönes Bild von ihm und nehme ein paar Fingerabdrücke. Für alle Fälle. Willibald wäre mir nicht böse, ich weiß das, er ist ein Lieber.

Ich war es nicht

Er ist übrigens eines natürlichen Todes gestorben. Mei, er war halt schon alt, der Gute.

Und auch krank. Diabetes. Herzleiden. Krampfadern. Hin und wieder war er vergesslich. Alt werden ist nicht schön, alt sein noch weniger.


So geht es weiter

Und wie ging es weiter? Mit Willibald? Moment. Ich sehe mal nach. Ich öffne die Truhe….ah! Da ist er. Er lächelt mich an, ist glücklich und zufrieden da. Und ich….

Mir geht es gut.

Liebe Grüße Ihre Hildegard Jemmers


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.08.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich Willibald. Er war ein Held und guter Mann.

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