Der knapp drei Meter lange, stählerne Sarkophag wirkte völlig deplatziert inmitten des Zeltes. Er hatte die Schreibtische, welche normalerweise einen Großteil des Platzes einnahmen, in die Ecke verdrängt und mit Schleifspuren auf dem schneebedeckten Boden sein Revier markiert. Die drei Personen, welche hier normalerweise arbeiteten standen nun um den Sarkophag herum, einer von ihnen hielt einen Schneidbrenner in der Hand und wippte ungeduldig hin und her. Wade hatte darauf gewartet, die Kiste zu öffnen seit sie gestern eine Nachricht über den Fund erhalten hatten. Er hatte daraufhin prompt Sina, seine Assistentin und einen Archäologen von der Adamastor mitgenommen, der ihre Unterhaltung überhört hatte, auch wenn er ihm nicht traute. Sein Blick glitt hinüber zu dem Mann im dunkelgrauen, gefütterten Overall, der ihm gegenüber stand. Ein schwarzes V lief über seine Brust und wurde vom Reißverschluss in der Mitte durchtrennt. Er stand, für Wade entschieden zu nah, an Sina und zeigte ihr etwas auf ihrer Seite des Stahlklotzes, während seine andere Hand unschlüssig über Sinas Rücken verharrte und sich mit jedem seiner Worte weiter herabsenkte. Wades Assistentin nickte und strich sich ab und an braune Haarsträhnen aus dem Gesicht. Als Chads Hand sich um ihren Rücken legte, drehte sie sich elegant weg, womit sie ein schwaches Grinsen auf Wades Lippen zauberte. Dann lief sie zum Werkzeugkasten und zog einen weiteren Schneidbrenner hervor, bevor sie den Stahlkasten umrundete und sich zu Wade gesellte. „Chad meint, an dieser Stelle ist der Behälter am Dünnsten, somit kommen unsere Schneidbrenner hier am Leichtesten durch“, sagte sie und deutete auf eine Rille knapp zehn Zentimeter unter der Oberfläche. Es erinnerte Wade an einen Sarg aus Stahl, an dem man eine ebenfalls stählerne Decke festgeschweißt hatte. Derweil hatte sich Sina am anderen Ende des Kastens positioniert und setzte den Schneidbrenner an. „Bereit?“, wollte sie wissen. Wade nickte. Die beiden Flammen erwachten gleichzeitig zum Leben und frästen sich mit einem Zischen durch das Metall, während sich die beiden Wissenschaftler entlang des Sarkophags bewegten. Dann stellten sich alle drei auf eine Seite und schoben den abgetrennten Deckel beiseite. Wade stellte sich auf die Zehenspitzen und erlaubte sich einen Blick über das brusthohe Metall. Und er erstarrte. Seine Kinnlade klappte herunter und seine weit aufgerissenen Augen fixierten den Inhalt. Dieses Gebilde sah nicht nur so aus wie ein Sarg. Es war einer. In einem anderen Zelt saßen zur gleichen Zeit zwei Männer vor einem Bildschirm und beobachteten gespannt, wie ein digitaler Balken langsam immer voller wurde. Die obligatorische Sicherheitsüberprüfung war Bestandteil jeder Mission. Es war eigentlich ein Routineverfahren, ein Abgleich von Fingerabdrücken um festzustellen, ob jeder, der an der Expedition teilnahm auch derjenige war, der er vorgab zu sein als er sich eintrug. Es war besonders bei archäologischen Expeditionen immer wieder vorgekommen, dass sich Diebe als wissenschaftliche Mitarbeiter ausgegeben hatten um Fundsachen zu stehlen. Oder Räubergruppen schleusten Maulwürfe ein, welche dann den Rest ihrer Gruppierung über die geplante Route informierten. Während der Computer die Abdrücke abglich nahm einer der beiden einen Schluck von seinem dampfenden Kaffee. Dann deutete er auf die Kanne, die unweit des Laptops stand. „Auch einen, Beck?“, fragte er dann. Sein Partner schüttelte den Kopf. „Nee, ich überlasse die Kanne dir. Fehlt ja nicht mehr viel, bis sie leer ist“ Der Mann griff nach der durchsichtigen Kanne, betrachtete sie traurig und stellte sie dann wieder an ihren Platz zurück. „Ja. Ich werde gleich neuen aufsetzen“, sagte er und fing sich einen überraschten Blick von Beck ein. „Schon wieder? Du hast doch erst eben gerade welchen aufgesetzt“ „Irgendetwas muss man doch gegen die Kälte und die Müdigkeit tun“, erwiderte der Mann. Beck schüttelte den Kopf. „Cassim, du trinkst zu viel davon“ Cassim erwiderte mit einem schiefen Lächeln. Er konnte eine Hälfte des Mundes nicht mehr richtig bewegen seit ein Schrapnell sich in seine Wange gebohrt und dort eine hässliche rote Narbe hinterlassen hatte. „Quatsch. Bis ich die zweite Tasse getrunken habe ist die erste schon längst wieder raus“, sagte er dann. In dem Moment gab der Computer ein schrilles Piepen von sich. Der grüne Balken hatte sich rot gefärbt und auf dem Bildschirm erschien ein Steckbrief samt Foto. „Chad Neales, gebürtig auf der Adamastor“, las Beck vor. „Was ist mit dem?“ Cassims Stimme klang desinteressiert. „Laut zentraler Datenbank er hat nur eine Besuchsgenehmigung. Das heißt er darf die Nimrod eigentlich nicht verlassen“ Beck machte eine kurze Pause. „...und das wiederum heißt er hat die Genehmigung für diese Expedition gefälscht“, beendete er seinen Satz, dann nahm er die Maschinenpistole vom Tisch und stand auf. „Er müsste im Hauptzelt sein. Schnappen wir ihn uns“ Cassim erhob sich schwerfällig, dann schob er langsam seine Brust vor bis er seinen Rücken knacken hörte, nahm seine Waffe und folgte Beck aus dem Zelt. Draußen wurden sie von Schneeflocken begrüßt, die im Licht der Neonlampen tanzten und sogleich mit der Dunkelheit verschmolzen, kaum dass der Wind sie aus dem Lichtkegel trug. Beck klopfte sich auf die linke Schulter und aktivierte die Taschenlampe, welche an der Panzerplatte befestigt war. Dann schritt er durch das kleine Lager zum Hauptzelt. Als er die Stoffplane zur Seite schob blieb er regungslos stehen. „Was ist denn?“, hörte er Cassim hinter sich. Statt einer Antwort trat er zur Seite und ließ seinen Partner einen Blick ins Innere werfen. „Ach du scheiße“, flüsterte er. Beck reagierte nicht darauf. Sein Blick klebte an den beiden Leichen, die wie rote Inseln in dem See aus Blut lagen, der den Großteil des Zeltbodens bedeckte. Der Brustkorb der beiden Wissenschaftler war geöffnet worden und Gedärme quollen aus den blutigen Wunden. Dann sah er zum geöffneten Sarkophag. „Chad“, murmelte Cassim. Beck schüttelte den Kopf. „Das ergibt keinen Sinn. Warum soll er sie getötet haben?“, wollte er wissen. Cassim deutete auf den offenen Sarkophag. „Deswegen“ Beck drehte sich zu ihm um. „Aber warum sollte er sich die Mühe machen, die Körper aufzuschneiden?“ „Keine Ahnung. Wenn wir ihn finden können wir ihn fragen“, erwiderte Cassim. Beck schien diese Antwort zufrieden zu stellen. Er lud seine Waffe demonstrativ durch und trat aus dem Zelt. „Na dann gute Jagd“ Chad rannte so schnell er konnte auf die Umrisse der Fahrzeuge zu, die im Licht erstrahlten. Bald würde er von hier verschwinden und diese Ausgrabungsstätte hinter sich lassen. Innerlich verfluchte er bereits den schicksalhaften Abend in dem „Waldschrat“, der großen Kneipe der Nimrod, an dem er sich eingelassen hatte, diese Expedition zu begleiten. Er hatte in seinen schlimmsten Träumen nicht erwartet, dass es so eine Wendung nehmen würde. Vor sich sah er die Taschenlampen zweier Wachleute wie Sterne in der Dunkelheit aufleuchten. Er hörte ihre entfernten Stimmen, die regelmäßig von seinem eigenen Atem übertönt wurden. Dann sah er, wie sie sich rasch auf ihn zu bewegten, in einiger Entfernung vor ihm stehen blieben und wie einer die Gewehre hoben. Er begriff sofort, dass sie nicht auf ihn zielten, warf sich auf den Boden und bedeckte mit seinen Armen seinen Kopf. Sofort spürte er einen Luftzug, als eine dunkle Silhouette über ihn sprang und mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit auf die beiden Wachleute zustürmte. Er hörte einen dumpfen Aufprall und ein leises Plätschern. Als er hoch sah weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Einer der Wachleute lag tot am Boden, der andere wurde von der Kreatur aus dem Sarg gegen das Fahrzeug gedrückt. Während zwei dünne, dunkle Arme den Leichnam festhielten, vergrub die Bestie ihren Kopf in der Brust des Mannes und schmatzte widerwärtig. Chad versuchte, sich so wenig zu regen wie möglich. Seine ganzen Hoffnungen auf eine eilige Flucht hatten sich eben in Luft aufgelöst. Der einzige Weg, um von hier zu fliehen waren die Fahrzeuge, mit denen sie hergekommen waren, aber dafür musste Chad an der Bestie vorbei. Plötzlich vernahm er etwas Anderes, außer dem Schmatzen des Wesens. Das leise Knacken des Schnees unter Stiefeln. Er lächelte erleichtert. Vielleicht waren sie doch noch nicht verloren. „Da ist er“, sagte Cassim und deutete auf den Forscher, der regungslos im Schnee lag. Dann sah er das Massaker unten, beim Fuhrpark. Als erstes bemerkte er die gewaltige Delle an der Seite eines der Fahrzeuge. Das war ein gepanzerter Lastwagen vom Typ „Boar“, ein Export der Ymir und bekannt für seine Robustheit. Er konnte sich nicht erklären, was eine solche Delle verursacht haben könnte. Dann fiel sein Blick auf das Skelett, welches, eingehüllt in Kleidungsfetzen, inmitten eines Sees aus Blut an den Wagen lehnte und die große, schwarze Kreatur, die sich gerade am Leichnam des zweiten Wachmanns zu schaffen machte. In diesem Augenblick richtete sich das Wesen zu voller Größe auf. Es war lang und dünn, Cassim schätzte es auf drei Meter. Die einzige Ähnlichkeit mit Menschen bestand darin, dass auch dieses Wesen zwei Arme und zwei Beine hatte. Da es mit dem Rücken zum Licht stand, konnte er das Gesicht nicht erkennen, aber das war nicht nötig, die flache, nach hinten spitz zulaufende Kopfform nahm ihm jeglichen Zweifel. Dies war kein Mensch. Er spürte, wie sich sein Herzschlag merklich beschleunigte und drehte sich zu den vier Soldaten um, die sie als Verstärkung mitgenommen hatten. Schließlich verharrte sein Blick auf Beck, der neben ihm stand. „Was machen wir jetzt?“, wollte er wissen. Beck fixierte die Bestie, dann entsicherte er seine Waffe. „Jagen“ Das Echo von seinem Schuss hallte durch die Dunkelheit und im nächsten Moment stimmten die anderen Gewehre mit ein. Dünne Rauchspuren zeugten davon, dass die Kugeln ihre Ziele trafen, während die Soldaten in einer losen Formation vorrückten. Das Wesen, das bis eben nur regungslos unter dem Scheinwerfer gestanden hatte, sprintete zum erstbesten Wagen, schlug die Scheibe ein und riss ein Gerät heraus. Der Beschuss schien es nicht im Geringsten zu stören. Es nahm sich sogar die Zeit, das Gerät zu betrachten, bevor es das kleine Objekt zwischen eine Panzerplatte klemmte, die sich auf der Höhe menschlicher Rippen befand. Anschließend huschte es hinter das Fahrzeug. Die Soldaten nutzten die Gelegenheit, um nachzuladen, doch im nächsten Moment wurde der Boar emporgehoben und die Kreatur kam wieder zum Vorschein. Das Wesen stemmte das gewaltige Fahrzeug mit beiden Händen in die Höhe und beugte sich ein kleines Stück nach vorne. Cassim begriff sofort, was das Wesen vor hatte und sprintete der Kreatur entgegen. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Moment flog der Boar in einem flachen Bogen auf die Soldaten zu. Beck sah, wie Cassim sich nach hinten fallen ließ, um nicht von dem Lastwagen erwischt zu werden und den Pfad hinabglitt, bevor er sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit brachte. Der Geländewagen prallte einige Meter vor ihm gegen einen Baum und brach den Stamm in zwei Teile, bevor er den Hügel herunterschlitterte, an dessen Spitze das Zeltlager errichtet worden war. Ein Tösen und das Knacken von brechenden Baumstämmen begleitete das Fahrzeug auf seinem Weg nach unten. Cassim hatte, während er selbst den Hang herunter glitt, seine Laserpistole gezogen. Eigentlich war diese Waffe als letztes Mittel konzipiert worden. Sie hatte nur einen Schuss, doch dafür eine immense Durchschlagskraft. Aber Cassim hatte gesehen, dass gewöhnliche Kugeln keine Wirkung gegen dieses Wesen gehabt hatten. Er atmete tief durch und sah durch das Zielfernrohr einen blauen Punkt direkt auf der Brust der Kreatur tanzen. Er zögerte nicht lange und drückte ab. Der Schuss machte keine Geräusche, aber ein Kreischen, zu schrill um menschlichen Ursprungs zu sein, verriet ihm, dass er getroffen hatte. Er rappelte sich gerade rechtzeitig auf um etwas in die Finsternis huschen zu sehen. Die übrigen Mitglieder des Trupps traten an ihn heran und zogen ebenfalls ihre Laserpistolen. „Es ist noch nicht tot“, murmelte Beck. Ein Soldat trat an ihn heran. „Dann erlegen wir es. Der Carrier freut sich über jede Beute“ „Nein. Wir werden dieses Vieh nicht auf den Carrier schaffen“, entgegnete Beck. Der Soldat knurrte. „Wir können darüber bereden, was wir mit dem Vieh anstellen wenn es tot ist“, entgegnete er und stampfte mit schnellen Schritten auf den zweiten Boar zu, der in einiger Entfernung stand. Die anderen folgten ihm. Die Tatsache, dass die Kreatur durch Cassim verletzt wurde, hatte ihnen Mut gemacht. Nun wollten sie es zuende bringen und ihre Kameraden rächen. Beck seufzte und folgte ihnen ins Fahrzeug. Bevor er einstieg, deutete er auf den Wissenschaftler, der noch immer regungslos im Schnee lag. „Was ist mit ihm?“, fragte er. Cassim zuckte mit den Schultern. „Er wollte doch unbedingt hierher, oder?“, entgegnete er mit einen listigen Grinsen. Beck nickte. Die Verstärkung würde sich um ihn kümmern. Jetzt hatte die Neutralisierung dieser Kreatur oberste Priorität. Das Innere des Fahrzeugs war geräumiger, als es von außen den Anschein hatte. Zwei Bänke bildeten die einzigen Sitzgelegenheiten, jede war an einer Wand des Fahrzeugs befestigt und ließ sich bei Bedarf hochklappen, um noch mehr Platz für eventuelle Fracht zu schaffen. Aber Boars konnten nicht nur zum Transport von Menschen oder Material verwendet werden. Hinter den metallischen Schranktüren, welche die Wände zierten, verbargen sich unzählige Geräte und Werkzeuge, von Feuerlöschern über Kochplatten und Notstromaggregaten bis hin zu medizinischem Equipment. Im Boden verborgen war sogar ein Tisch, der bei Bedarf hochgefahren werden konnte. Die Fahrerkabine war durch eine Trennwand abgedeckt, in die Sprossen eingelassen waren. Während sich die übrigen Mitglieder von Becks Team auf den Bänken niederließen, trat ein Soldat an die Leiter. Bevor Beck etwas sagen konnte, war er nach oben geklettert und betätigte einen Knopf an der Decke, wodurch sich ein Polster neben ihm aus der Wand schob. Beck erhob sich und trat zu ihm. „Bist du wahnsinnig? Was ist wenn es durch die Luke ins Innere klettert?“, wollte er wissen. Der Mann sah verwundert zu ihm herab. „Wie sollen wir es sonst erlegen?“ „Ravid hat recht. Das Geschütz ist unsere einzige Möglichkeit“, pflichtete ihm Cassim bei, der sich inzwischen auf der Bank gegenüber von Beck niedergelassen hatte. Beck seufzte und sah zu wie Ravid noch einige Stufen emporkletterte, das Polster unter seinen Hintern schob und es mit einem Klicken einrasten ließ bevor er sich darauf setzte und mit beiden Armen das schwere Maschinengewehr umklammerte. Eine kurze Erschütterung ging durch das Fahrzeug als die beiden Motoren mit einem Gröhlen zum Leben erwachten und geduldig vor sich her knurrten. „Bereit?“, hörten sie die Stimme des Fahrers über Funk. Beck sah zu wie die Soldaten ihre Helmmikrofone vor die Lippen schoben und bestätigten. „Beck, du auch?“, fragte der Fahrer. „Nein“, entgegnete der Mann. „Aber fahr los“, fügte er hastig hinzu. Sie fuhren bereits so lange, dass die ersten schon die Hoffnung aufgegeben hatten. „Das Vieh hat sich bestimmt in den Wald verkrochen“, sagte Ravid verbittert. „Was erwartest du auch? Selbst Tiere verstecken sich vor übermächtigen Feinden“, entgegnete einer der Soldaten. „Ich glaube nicht, dass wir so übermächtig sind“, warf Beck ein. „Wir haben Laserwaffen“, hörte er Ravids Stimme. „Trotzdem sitzen wir hier wie auf dem Präsentierteller. Erinnert euch daran, was mit dem letzten Boar passiert ist“, konterte Beck. Ravid öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch die Stimme des Fahrers unterbrach ihn. „Ich sehe es“ Darauf hatte Ravid gewartet. Er klemmte sich hinter das Geschütz und ein rhythmisches Surren erfüllte die Luft, während die sechs Läufe anfingen zu rotieren. Doch die Waffe kam nie zum Einsatz, denn im nächsten Moment ging ein sanfter, kaum spürbarer Ruck durch das Fahrzeug. „Ich habe es erwischt“, konstatierte der Fahrer. Ravid schlug mit der Faust gegen das Dach. „Verdammt. Ich wollte es töten“, knurrte er. „Hauptsache wir haben es erlegt“, sagte ein Soldat sichtlich erleichtert. Doch Beck war nicht zufrieden. „Seid ihr sicher, dass es tot ist?“, wollte er wissen. „Positiv. Der bioelektrische Scanner zeigt an, dass sich alle Lebensformen im Inneren des Transporters befinden“, erwiderte der Fahrer. „Natürlich“, sagte Cassim, „Nichts überlebt die Ramme“ Beck nickte kaum merklich. Die Ramme war am Boar befestigt worden, um Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Dank ihr konnte das Fahrzeug selbst durch umgestürzte Bäume pflügen, ohne beschädigt zu werden. Aber irgendetwas beunruhigte ihn trotzdem, doch Beck vertrieb den Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln. Die Kreatur war tot. Der Scanner konnte sich nicht täuschen. Derweil war Ravid an die Tür getreten. Er wollte sie gerade aufreißen, aber Beck hielt ihn davon ab. „Was machst du da?“, fragte er. „Den Kadaver bergen. Ich will eine Trophäe mit nach Hause nehmen“, antwortete Ravid mit einer Selbstverständlichkeit, die Becks Blick nur verfinsterte. „Nein. Ich will kein Risiko eingehen“, erwiderte Beck. Ravid lächelte. „Das Vieh ist tot. Reg dich ab“ Beck schüttelte den Kopf und schob sich weiter zwischen Ravid und die Schiebetür an der Seite des Wagens. „Wir können einen Peilsender da lassen, dann kannst du die Leiche morgen bergen. Aber solange es dunkel ist lasse ich dich nicht nach draußen“ Ravid baute sich vor Beck auf doch dieser wich nicht zurück. Die beiden Männer standen einige Momente regungslos da, bevor Ravid sich langsam auf die Bank gegenüber von der Tür niederließ. „Platziert einen Peilsender an dieser Position“, befahl er über Funk, dann blickte er zu Beck. „Aber morgen kehren wir hierher zurück“ Beck zuckte mit den Schultern. „Bei Tageslicht und mit Verstärkung“, sagte er und reichte dem Soldaten die Hand. „Deal“, bestätigte Ravid und schlug ein. „Was machen wir jetzt?“, fragte Cassim. Beck strich sich mit seinen Fingern über das Kinn, bevor er antwortete. „Wir kehren zum Carrier zurück und fordern Verstärkung an, dann kehren wir zur Ausgrabungsstätte zurück. Wer weiß, was die im Eis noch alles finden. Wenn da unten noch mehr von diesen Bestien begraben liegen will ich nicht unvorbereitet sein“
Amir blickte auf die Flüssigkeit in seinem Glas. Eigentlich war sie kristallklar und durchsichtig, die grünliche Raumbeleuchtung ließ sie jedoch wirken wie ein verflüssigter Smaragd. Er saß an einem kleinen, hölzernen Tisch, dessen Beine wie Wurzeln aussahen die in den Boden eingelassen waren. Um ihn herum waren ähnliche Tische, manche größer, manche kleiner, alle wie hölzerne Inseln um einen zentralen Ring angeordnet, der die Mitte des Raumes einnahm. Dies war die Bar. Das Herz des Waldschrats, der großen Kneipe des Carriers. Er blickte auf den leeren Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Hanael ließ sich Zeit. In Anbetracht der Tatsache, dass sie ihn um das Treffen gebeten hatte war dies mehr als respektlos. Er ertappte sich dabei, wie seine Augen erneut zum Haupteingang glitten, dann wanderte sein Blick zu der Uhr an seinem Handgelenk. Er würde noch zehn Minuten warten. Länger nicht. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich vier Männer an den Tisch neben ihm setzten, ihre grauen Mäntel wiesen sie als Soldaten der Bruderschaft aus. Es waren Söldner, das stehende Kontingent der Nimrod. Sie war durch ihre Mitgliedschaft in der Bruderschaft so wie jeder andere Carrier verpflichtet, Truppen zu stellen wenn ein Mitglied in den Krieg zog. Falls der Carrier keine eigenen Streitkräfte hatte, griff die Wehrpflicht. Diese Söldner hatten sich bereit erklärt, freiwillig dem Schlachtruf zu folgen, im Gegenzug verlangten sie eine Unterkunft und die Erlaubnis, die Nimrod als Operationsbasis benutzen zu dürfen, wenn sie selbstständig Einsätze durchführten. Diese Missionen, welche fast immer der Geheimhaltung unterlagen waren ein ständiger Grund für Spannungen zwischen der obersten Hierarchieebene des Carriers und dem Kommandanten der Söldner. Außerdem schürten sie nur das Misstrauen der Bevölkerung. „Hey“, hörte er auf einmal eine Stimme hinter sich und im nächsten Moment setzte sich eine junge Frau auf den freien Stuhl. Hanael. Sie musste durch den Hintereingang gekommen sein. Amir erwiderte ihre Begrüßung mit einem Nicken und wartete. Sie wollte etwas von ihm also sollte sie mit dem Gespräch anfangen. „Danke, dass du dich bereit erklärt hast, dich noch einmal mit mir zu treffen“, sagte sie. Amir nickte und beugte sich etwas vor. „Worum geht es?“, wollte er wissen. Sie seufzte. „Mein Ehemann, Fergus von der Ymir...“, begann sie, doch Amir schnalzte mit der Zunge und unterbrach sie. Er konnte diesen Namen nicht mehr hören. Er war ihr sein halbes Leben hinterhergelaufen, hatte alles getan worum sie ihn gebeten hatte und zum Dank entschied sie sich für diesen Idioten. Und nun wollte sie sich auch noch bei ihm darüber ausheulen? Er hatte gehofft, immer noch mehr für sie zu sein als bloß ein Freund. Aber das war er anscheinend nicht. „Über ihn kannst du mit deinen Mädels tuscheln“, knurrte er. Sie wandte ihren Blick für einen kurzen Moment ab. „Er...er behandelt mich wie Dreck“, stieß sie dann hervor, offenbar war es ihr unangenehm, darüber zu sprechen. „Er verbringt zum Teil Tage mit anderen Frauen und kommt dann sturzbetrunken nach Hause. Wenn ihm dann etwas nicht passt...“, sie hielt inne und drehte ihren Kopf, so dass das Licht nun auf das Veilchen unter dem rechten Auge schien. Amir spürte Wut in sich aufsteigen. Niemand hatte das Recht, eine Frau so zu behandeln. Doch er ließ sich nichts anmerken und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Es ist deine Ehe. Du hast ihn ausgewählt, jetzt musst du damit leben“ In Hanaels Augen sammelten sich Tränen. Sie schniefte. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertrage“, sagte sie. Ihre Stimme klang sichtlich verzweifelt. „Und was soll ich dagegen ausrichten? Mit ihm reden?“, wollte Amir wissen. „Zum Beispiel“, entgegnete sie. Er beugte sich etwas vor und setzte den grimmigsten Gesichtsausdruck auf, zu dem seine Muskeln fähig waren. „Wie viele Gefallen muss ich noch für dich erledigen, bis du dich wenigstens ein kleines Bisschen dankbar zeigst? Hast du je daran gedacht, dass andere Menschen auch Gefühle und eine gewisse Würde haben, die sie sich nicht nehmen lassen und dass sie, wenn sie ihren Stolz über Bord werfen um für dich bis ans Ende der Welt zu gehen, vielleicht auf eine Belohnung hoffen?“ Er nahm sein Glas und lehnte sich etwas zurück, bevor er es in einem Zug leerte und sich gemächlich erhob. „Weißt du, ich glaube daran dass jeder Mensch im Leben das erhält, was er verdient“, erklärte er, und sah Hanael direkt in die Augen. „Du hast Fergus mehr als verdient“, fügte er dann hinzu und ging an ihr vorbei, ohne sich umzudrehen. Er wusste genau, was für einen Effekt seine Worte hatten und tief in seinem Herzen bereute er es, sie so verletzt zu haben. Eigentlich hatte er dem Treffen zugestimmt in der Hoffnung, sich zu vertragen. Es galt als schlechtes Omen, auf die Jagd zu gehen während man mit jemandem im Streit lag. Aber das war ihm jetzt egal. Hanael bedeutete ihm nichts mehr. „Hey, Waffenbruder“, sagte plötzlich jemand hinter ihm. Er drehte sich um und sah drei Personen im Gang stehen. Er kannte sie nicht aber er hatte ihre Gesichter auf den Steckbriefen bei der Jagdanmeldung sehen. In einigen Stunden würde er diese drei und weitere 17 Jäger als Leiter von Jagdmission 1843 koordinieren. Jetzt, wo er die drei Männer auf sich zugehen sah, spürte er für kurze Zeit das Gewicht der Verantwortung auf seinen Schultern. Es waren schließlich zwanzig Menschen unter seinem Kommando, und keine Pixelfiguren wie in den Simulationsrunden. Doch er hatte Vertrauen in seine Fähigkeiten. Außerdem war dies keine militärische Operation, er würde da draußen nur Anweisungen geben und keine Befehle. Somit trug er auch nicht die Verantwortung für die Handlungen seiner Untergebenen. „Na, bist du nervös?“, wollte einer der Männer wissen. Amir schüttelte den Kopf. Der Mann klopfte ihm auf die Schulter. „Gut so. Ein guter Jagdplaner darf sich nicht von Gefühlen leiten lassen“, sagte er, seine beiden Begleiter nickten. Die drei versorgten Amir auf dem Weg zur Ausrüstungsausgabestelle mit weiteren Tipps. Vor dem vergitterten Fenster, welches die Ausgabestelle bildete, hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Amir musterte die Männer, die dort anstanden. Einige waren ebenfalls Teil seiner Jagdexpedition. Jeder erhielt einen dünnen Overall in einem grünlich-grauen Muster welches das Laub der Bäume imitierte. Er schien aus einem gummiartigen Stoff zu bestehen, ähnlich wie ein Taucheranzug, und lag drückend eng an. „Das ist ein extrem stabiles und reißfestes Material. Es sorgt dafür dass dir deine Körperteile nicht abgerissen werden wenn du einen Enterhaken benutzt“, erklärte der Mann neben Amir und schlüpfte in seinen Anzug. Der junge Jäger betrachtete die metallischen Klötze, die an seinen Hand- und Fußgelenken befestigt waren. Dies waren die Enterhaken. Mit ihrer Hilfe konnte man schnell die Kronen von Bäumen erklimmen und sich zwischen ihnen hin-und her hangeln. Seine ganze Jagdstrategie zielte auf die Verwendung dieser Geräte ab. Zusätzlich zum Overall erhielt jeder ein Paar Kampfstiefel und ein Standart-Sturmgewehr, allerdings tauschten einige ihre Gewehre auf Amirs Anweisung hin gegen spezielle Waffen. Manche kehrten daraufhin mit Maschinenpistolen zurück, während andere schwere Geschütze in den Händen trugen. Einer trug sogar einen Raketenwerfer. Amirs Jagdplan war ein raffiniertes Zusammenspiel all dieser Waffen. Einer der Jäger, ein kleinwüchsiger Mann mit kurz geschorenen braunen Haaren und einem Bart, der ihm bis zum Kehlkopf herunter reichte, lief geradewegs auf die Wand zu. Zu Amirs Überraschung setzte er seinen Weg senkrecht auf der Wand fort bis er schließlich kopfüber von der Decke hing. Der Jäger neben Amir schüttelte den Kopf. „Es gibt immer wieder ein paar Scherzkekse, die von der Magnetisierungsfunktion der Stiefel nicht genug bekommen können“ „Braucht man so etwas überhaupt?“, fragte Amir. Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, aber die Bruderschaft stellt nur solche Stiefel her und wir müssen das Equipment der Bruderschaft benutzen“ Amir bemerkte, dass inzwischen weitere Jäger den Raum betreten hatten. Die Männer, die bereits fertig angezogen waren, saßen geduldig auf ihren Bänken oder standen in kleinen Grüppchen und unterhielten sich. „Sie warten auf dich“, erklärte der Mann. Amir sah sich um und bemerkte, wie einige der Jäger zu ihm herübersahen. Er stand auf und die restlichen Mitglieder seines Jagdtrupps taten es ihm gleich. „Warte mal“, sagte der Jäger neben Amir plötzlich und stampfte zur Ausgabestelle. Als er zurückkam, hielt er einen langen, dünnen Gegenstand in beiden Händen. Man konnte nicht erkennen, was es damit auf sich hatte aber Amir vermutete dass unter der grauen Schutzkappe eine Klinge verborgen war. „Da du unser Anführer bist solltest du etwas bei dir haben was dich als solchen kennzeichnet. Hier, dieser Vibrosäbel wird dein Messer ersetzen“, erklärte er und streckte beide Hände, auf denen die Klinge ruhte, vor. Amir zog den Säbel aus der Scheide. Er war ungewöhnlich leicht, viel leichter als die Macheten, die sie sonst immer bei sich trugen. Außerdem war die Klinge hauchdünn, aber dennoch scharf. Er legte seinen Daumen auf den schwarzen Knopf am oberen Ende des Griffs und die Waffe erwachte mit einem Summen zum Leben. Die Kanten der Klinge verschwommen mit der Umgebung als der im Griff verborgene Mikroprozessor sie in einem atemberaubend schnellen Takt hin und her schwingen ließ. „Das Ding durchtrennt alles, was seinen Weg kreuzt“, erklärte der Jäger. Amir nickte und deaktivierte die Waffe wieder, bevor er sie an einem freien Steckplatz an seinem Rücken, direkt neben dem Feldrucksack befestigte. Dann trat er an den Aufzug, der in die Wand gegenüber von der Ausgabestelle eingelassen war. Es war ein großer Aufzug der speziell dafür ausgelegt war, komplette Trupps zum Fahrzeughangar zu transportieren. Im Prinzip war es allerdings nicht viel mehr als eine fahrende Plattform, und während die Jäger in die Tiefe gebracht wurden, glitten die Wände des Aufzugsschachts an ihnen vorbei. Manchmal erhaschten sie einen Blick auf Zwischenebenen, die von einem Gitter abgegrenzt wurden und auf die Reihen von Containern, die dahinter aufgetürmt waren oder auf Einzelteile von Robotern, welche auf ihren Einsatz warteten. Schließlich erreichten sie ihre Zielebene. Als sich die Tür zur Seite schob tat sich vor Amir und den Jägern eine gewaltige Fläche auf. Der Boden war mit verschiedenfarbigen Markierungen überzogen, welche den unterschiedlichen Fahrzeugen signalisierten, wo sie zu halten hatten. Jeder Pilot schien sich daran zu halten, denn die Fahrzeuge standen säuberlich in Reihen, zwischen denen Piloten und Mechaniker umher eilten. Der Geruch von Treibstoff lag in der Luft. Im nächsten Moment zog ein sechsbeiniger Kampfroboter gemächlich an ihnen vorbei. Im Vorbeigehen schwenkte die Kamera des Roboters zum Aufzug und übermittelte dem Piloten, der, verborgen von Panzerplatten, im Inneren der Maschine saß, Videomaterial über die Neuankömmlinge. Die Kamera schwenkte sogleich wieder nach vorne und der Roboter setzte seine Patrouille fort. Amir sah nach oben zu den Aushängeschildern, welche den Hangar in Sektionen unterteilten. Die beiden Fahrzeuge, die dem Trupp zugewiesen waren, erwarteten sie in Sektion C. Dann schritt er auf das große Aushängeschild mit dem schwarzen „C“ zu, wobei er penibel darauf achtete innerhalb der engen, rot markierten Korridore zu bleiben, welche die Fußgängerwege darstellten, die sich wie Adern über den grauen Hangarboden zogen. In der Ferne sah er, wie sich das gewaltige Tor aufschob. Dahinter kam ein Paar greller Scheinwerfer zum Vorschein. Langsam gab die Dunkelheit die Umrisse eines Transporters vom Typ „Boar“ preis. Während sich das Fahrzeug langsam die Rampe empor schob, wurde es vom synchronen Rattern seiner beiden Achtzylindermotoren begleitet. Zwei Spinnenroboter beobachteten den Boar aus sicherer, angesichts der Größenunterschiede fast schon ehrfürchtiger Entfernung und trotteten in einigem Abstand neben dem Transporter her, während er zu seinem Halteplatz fuhr und unweit von Amir im Ankunftsbereich anhielt. Kaum war das Fahrzeug zum Stehen gekommen, wurde es von allen Seiten von Hangarpersonal umringt. Feuerlöschgeschütze fuhren aus dem Boden und wurden sogleich bemannt, vier Personen in weißen Kitteln trugen eine Trage heran und stellten sie neben dem Fahrzeug ab. Es war das Standartverfahren, wenn ein Fahrzeug ein Notfallsignal absetzte. Die Tür öffnete sich und ein Mann sprang heraus. Er schien nicht älter als 40 zu sein, hatte kurze, dunkelbraune Haare und tiefe, in den Höhlen liegende Augen, was seine ohnehin schon dunklen Pupillen schwarz wirken ließ. Ihm folgte ein weiterer Mann, der älter zu sein schien als der erste, mit einem breiten Gesicht, kurz geschorenen Haaren und einem schwarzen Bärtchen, das seine Lippen vollständig umrandete. Eine rosa Narbe zierte seine linke Wange. Während eine dritte Person an die Luke trat, schritt einer der Mechaniker zur Heckluke des Fahrzeugs. Im nächsten Moment war er verschwunden. Amir runzelte die Stirn und drehte sich zu seinen Jagdgefährten um. Ihren Blicken nach hatten sie es auch gesehen. Sofort griff er zu seiner Waffe und spürte, wie sich sein Körper verspannte. Im nächsten Moment wurde das Heck des Boars hochgehoben und das Fahrzeug stellte sich auf die Motorhaube. Dort wo sich eben noch das Heck des Wagens befand stand nun eine menschlich wirkende Kreatur. Doch die Körperproportionen waren anders. Das Wesen war viel zu groß für einen Menschen, hatte viel zu lange Arme und viel zu lange Beine. Außerdem erinnerte die Kopfpartie Amir eher an einen Vogel. Der blutige Leichnam des Mechanikers lag der Kreatur zu Füßen. Sofort hörte Amir, wie um ihn herum Waffen entsichert wurden, doch in diesem Moment hatte weiter vorne bereits jemand das Feuer auf die Kreatur eröffnet. Sie reagierte, indem sie auf alle Vieren ging und dann auf den Menschen zuschoss. Die Wucht des Aufpralls riss ihn zu Boden und im Nu thronte die Kreatur über ihm und riss ein großes Stück Fleisch aus seiner Brust. Einer der Spinnenroboter hatte sich derweil in Position gebracht. Seine beiden sechsläufigen Geschütze begannen zu surren, während sie so schnell Kugeln auf das Wesen schossen, dass es aussah als würde die Waffe einen Strahl abfeuern. Die Kreatur huschte hinter dem Boar in Deckung und hob ihn hoch, wobei sie sich mehrere Sekunden lang dem Beschuss der mechanischen Spinne aussetzte, bevor sie den Transporter auf den Roboter warf und beide Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Einige Männer aus Amirs Team wollten eingreifen, doch Amir hielt sie zurück. „Wir müssen auf die Laufstege. Dann können wir das Vieh von oben unter Beschuss nehmen“ Die Männer nickten und aktivierten wie einer ihre Enterhaken. Kaum hatten diese sich in das Metall gebohrt aktivierte sich der Zugmechanismus und die Jäger schossen hinauf. Derweil hatte das Wesen alle diejenigen getötet, die am Boar gestanden hatten und zu langsam waren, um zu fliehen. Allerdings waren inzwischen bereits die Geschütztürme der anderen Transporter bemannt worden, und im Nu prasselten von allen Seiten Kugeln auf die Kreatur ein. Das Wesen ließ sich das einige Sekunden lang regungslos gefallen, während es anscheinend überlegte, was als Nächstes zu tun war. Dann stürmte es auf den nächstbesten Transporter zu. Im Nu war es auf dem Dach und beugte sich zum Schützen herab. Seine Waffe verstummte augenblicklich und als das Wesen sich aufrichtete, hielt es den Kopf des Mannes in einer Hand. Fleischfetzen und Nervenstränge baumelten von der abgetrennten Halspartie herab. Das Wesen betrachtete den Kopf kurz und warf ihn dann mit erschreckender Zielgenauigkeit auf einen anderen Schützen in einem anderen Wagen. Amir beobachtete das Szenario von einem der Laufstege aus. Er hatte sich hingelegt und blickte durch das Zielfernrohr seiner Waffe. Seine Jäger hatte er angewiesen, nicht zu schießen bis das Wesen still stand. Jeder verfehlte Schuss konnte bloß die Aufmerksamkeit der Kreatur auf sie lenken. Derweil hatte sich ein verborgenes Tor in der Wand geöffnet und zwei weitere Spinnenroboter kamen zum Vorschein. Sie aktivierten ihre Waffen sofort. Das Wesen stieß mit einem einzigen Hieb einen Transporter um und schob ihn dann mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf den verborgenen Hangar zu. Das Fahrzeug glitt so schnell über den Boden, dass es Funken sprühte und wurde von dem gequälten Kreischen von Metall begleitet. Die Spinnen waren zu langsam, um auszuweichen. Sie wurden vom Boar in die Tiefe des Hangars geschoben, wo sie aus Amirs Blickfeld verschwanden. Im selben Moment wurde der verborgene Hangar umstellt, als mehrere Spinnenroboter und Boars heranfuhren. Bewaffnete Männer stiegen aus und nahmen Stellung ein. Amir grinste. Das Vieh saß in der Falle. Doch das Wesen dachte nicht daran, aufzugeben. In dem Augenblick, als die ersten Schüsse fielen, schoss es wie ein dunkler Blitz aus dem Hangar und pflügte durch die versammelten Kämpfer, bevor es aus Amirs Blickfeld verschwand. Einige Momente später drang die Stimme von Francis, dem Regierungsoberhaupt des Carriers, durch die Lautsprecher im Hangar. „Eine unbekannte Lebensform ist auf die Nimrod gelangt. Ich verhänge hiermit eine carrierweite Quarantäne. Jagdmission 1843, sie sind zur Zeit das einzige kampfbereite Team. Ich ändere hiermit ihre Missionsparameter. Bringen sie das Wesen zur Strecke, koste es was es wolle“ Amir schluckte. Der Mann neben ihm klopfte ihm auf die Schulter. „Na, bist du der Herausforderung gewachsen?“, fragte er mit einem neckischen Grinsen. Amir nickte instinktiv, obwohl sein Herz raste, wie verrückt. Die Last der Verantwortung auf seinen Schultern war eben gewaltig angestiegen. Nun ging es nicht nur um das Wohlergehen der Männer unter seinem Kommando sondern um die Sicherheit des gesamten Carriers.
Beck öffnete die Augen und sah über sich die Hangarbeleuchtung. Er brauchte einige Momente, um wieder zu sich zu kommen und zu begreifen, wo er sich befand. Als er versuchte sich aufzurappeln bemerkte er wie jemand sich über ihn beugte und ihm hastig mit einer kleinen Taschenlampe in beide Augen leuchtete, bevor der Mann ihm die Hand reichte. Beck ließ sich von ihm hoch ziehen. Kaum war er auf den Beinen, betrachtete er das Chaos um ihn herum. Der Fahrzeughangar hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Um ihn herum befanden sich die Wracks brennender Fahrzeuge, zwischen ihnen grässlich entstellte Leichen. Er ließ seinen Blick über die Szenerie schweifen, seine Augen suchten nach Überlebenden. Als er sah, wie eine Gestalt in einiger Entfernung sich aufrichtete, lächelte er. Cassim war nicht so einfach totzukriegen. Dann lief er zu seinem Kameraden. Die beiden Männer umarmten sich und betrachteten dann das Chaos um sie herum. „Was ist hier passiert?“, murmelte Beck. „Das Vieh hat hier gewütet, bis man es in einem Nebenhangar in die Ecke gedrängt hat. Daraufhin ist es geflohen. Ein voll ausgerüstetes Jagdteam hat sich an die Fersen der Kreatur geheftet“, erklärte Cassim. Beck nickte. „Du kannst dich an nichts erinnern?“, erkundigte sich Cassim. Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. „Ich erinnere mich nur daran, dass das Wesen unseren Boar hochgehoben hat und ihn gegen ein anderes Fahrzeug warf. Die Druckwelle von der Explosion muss mich ausgeknockt haben“, entgegnete Beck. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sich ihnen jemand näherte. Es war Ravid. Er spreizte seine Arme und deutete abwechselnd auf die Wracks. „Es wäre eine schöne Trophäe geworden, nicht wahr?“, sagte er mit einem Grinsen, doch Beck sah ihn nicht an. Etwas Anderes hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Ein kleines Gerät, was unweit von einem der Wracks lag. Beck schritt vorsichtig darauf zu und hob es hoch. Cassim und Ravid stellten sich neben ihn. „Das ist ein Navigationsgerät, na und?“, kommentierte Ravid. Statt zu antworten, strich Beck mit seiner behandschuhten Hand über die ausgefransten Kanten. „Säure“, konstatierte er dann, bevor er es behutsam umdrehte. Eine Gravur war auf der Rückseite erkennbar, sie enthielt die Fahrzeugnummer, zu der das Navigationsgerät gehörte, für den Fall dass es gestohlen wurde. „Cassim, was waren die Nummern unserer beiden Transporter?“, wollte er dann wissen. Sein Begleiter überlegte kurz. „TB-05 und TB-06, warum fragst du?“, sagte er dann. Statt einer Antwort hielt Beck ihm das Gerät hin, so dass er die Rückseite erkennen konnte. Die Buchstaben „Nimrod. TB-06“ waren in die metallische Abdeckung gebrannt worden. „Dieses Wesen hat das Navigationsgerät aus einem der Fahrzeuge gestohlen“, erklärte Beck. In seinem Kopf spielte sich erneut die Szene von vor einigen Stunden ab, als sie der Kreatur auf dem provisorischen Parkplatz der Ausgrabungsstätte begegnet waren. Es hatte trotz dem Beschuss eine Scheibe eingeschlagen und das Navigationsgerät aus einem der Fahrzeuge entwendet. Aber warum? Doch dann fiel es ihm ein. „Diese Navigationsgeräte sind standartmäßig darauf ausgelegt, immer die aktuelle Position des Carriers zu bestimmen“, sagte Beck. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich glaube es hat vergeblich versucht, aus dem Gerät schlau zu werden“ Cassim runzelte die Stirn. „Worauf willst du hinaus?“, wollte er wissen doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass er bereits eine Vorahnung hatte. Beck nickte. „Ich glaube, es wollte von Anfang an hierher. Deshalb hat es sich überfahren lassen. Es wusste, dass wir den Carrier ansteuern“, sagte er und blickte auf die inzwischen versiegelte Tür, durch die die Kreatur verschwunden war. „Wenn es wirklich so intelligent ist, haben die Anderen keine Chance“ Die zylinderförmige Granate kullerte über den Boden, während sie zischte, wobei sie eine Rauchspur hinterließ. Im Nu hatte eine schwarze Wolke den Raum eingehüllt. Zwei Jäger in Gasmasken hockten hinter der Tür und spähten durch die Infrarotvisiere ihrer Gewehre. Für sie war der Rauch nicht vorhanden, und der gesamte Raum war in ein rotes Licht getaucht. Je wärmer, desto greller war die Farbe. Somit würden sie das Wesen erkennen können, während es sie durch den dichten Rauch nicht sehen konnte. So hofften sie zumindest. Doch im Moment war die einzige grelle Wärmequelle die Granate selbst. „Nichts“, flüsterte einer der Männer in das Funkgerät. „Okay. Weiter“, entgegnete Amir. Der Mann bestätigte und gab seinem Partner ein Handzeichen, woraufhin dieser seine Waffe senkte und eine krude Pistole mit einem außergewöhnlich dicken Lauf vom Gürtel löste und einen Zylinder hineinstopfte. Amir sah ihm dabei über die Schulter. In diesen Momenten war er dankbar dafür, dass sich der Carrier nicht ausschließlich auf Ausrüstung der Bruderschaft verließ. Jagdtruppen hatten gewisse Privilegien diesbezüglich und durften sich bestimmte Gegenstände anderswo beschaffen. Nun erwies sich die Granatenpistole aus der Fertigung der Allianz als Vorteil. Sie war wesentlich kompakter als der sechsläufige Granatwerfer der Bruderschaft und dazu wesentlich präziser. Der Soldat klappte das Zielfernrohr der Pistole auf und schoss den Zylinder dann durch den engen Schlitz, der die Tür zum nächsten Raum darstellte. Sofort hörte er das Zischen, als die Rauchgranate den Raum einnebelte. Eigentlich waren alle Räume durch die Quarantäne versiegelt, aber das Wesen hatte es dennoch geschafft, sich einen Weg durch die Feuerschutztüren zu bahnen. Für Amir sahen die glatten aber dennoch unebenen Kanten aus, als hätte das Wesen Säure verwendet. Derweil waren zwei weitere Jäger durch den Raum gelaufen und hatten sich hinter der gegenüberliegenden Tür in Position gebracht. „Nichts“, hörte Amir eine Stimme über Funk. „Bestätigt“, entgegnete er und wechselte die Frequenz. „Zentrale, hier Jagdplaner 1843. Ebene 0, Durchgang zu Hangarsektion C gesichert“ „Gut“, erwiderte Francis leicht heisere Stimme. „Arbeiten sie sich auf die nächste Ebene vor. Wir rüsten zur Zeit Jagdteam 1844 aus. Die werden sich von oben nach unten arbeiten. Ihre Aufgabe ist es, die Kreatur auf das Jagdteam zu zu treiben“ Amir nickte instinktiv, obwohl er genau wusste, dass Francis es nicht sehen konnte. „Bestätigt. Erbitte Informationen über die Beschaffenheit von Ebene 1“ „Über ihnen befinden sich nur Lagerräume. Einzelteile, Proviant...“ „...Munition und Treibstoff. Es ist gefährlich, dort Schusswaffen zu benutzen“, führte Amir den Satz fort und sein Blick glitt herunter zu dem Säbel. Francis machte eine kurze Pause, man hörte ihn über Funk atmen. „Vielleicht müsst ihr eure Waffen auch gar nicht benutzen. So wie es für mich aussieht läuft das Wesen vor euch davon“, sagte er dann, bevor er Amir eine gute Jagd wünschte und auflegte. Amir seufzte und drehte sich zu dem Mann um, der ihm den Säbel geschenkt hatte. „Wir sollen vorrücken“, erklärte er. Der Mann zuckte mit den Schultern. „Dann tun wir das“, sagte er, bevor er aufstand, durch den Raum ging und vorsichtig durch den Spalt lugte. Dann kehrte er zu Amir zurück. „Vor uns befindet sich eine Treppe. Mein Vorschlag: Zwei Jäger mit Sturmgewehren und ein Jäger mit einer schweren Waffe zum Sichern. Sie sollen sich so positionieren, dass man von ihrer Position aus gut nach oben zielen kann“ Amir nickte und gab über Funk die entsprechenden Befehle. Sofort lösten sich drei Männer von der Gruppe, zwei waren genauso bewaffnet wie er, ein dritter trug eine weit größere Version eines Sturmgewehrs in beiden Händen. Die Waffe war über mehrere Schienen mit einem metallischen Harnisch verbunden. Er hatte sichtlich Mühe, durch den Spalt zu kommen, die beiden anderen Jäger schlüpften hinter ihm hindurch. Zu dritt schritten sie langsam die Treppenstufen empor und blieben dann stehen. „Sicher“, hörte Amir über Funk. Er schluckte. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Dann trat er selbst auf die Treppenstufen, wobei er sich bei jedem Schritt aufs Neue überwinden musste. Jede Zelle seines Körpers schien dagegen zu protestieren und am liebsten hätte er sich bereits in eine Ecke gekauert und gewartet, bis jemand die Gefahr für ihn beseitigte. Doch es half nichts. Francis hatte ihm befohlen, das Wesen zur Strecke zu bringen, und das würde er tun. Als Amir hoch sah, musste er lächeln. Die Treppe endete auf der Ebene über ihm. „Woher wusstest du das?“, fragte er den Mann neben sich. „Ich war jahrelang bei den Wacheinheiten. Ich kenne den Carrier wie meine Westentasche“, entgegnete dieser. Amir lächelte. Das würde sich definitiv als nützlich erweisen. „Vorschlag: Ein Jäger mit Maschinenpistolen zieht sich mit dem Enterhaken auf das Geländer dort oben, und eröffnet bei Sichtkontakt das Feuer. Das sollte das Wesen ablenken, während wir über die Treppe vorrücken“, sagte der Mann. Amir nickte wieder und nach nicht einmal einer Minute hing ein Jäger über dem Boden und spähte durch die stählernen Sprossen des Geländers. Er nickte. Es war sicher. Der Rest des Teams schritt vorsichtig die Treppen hoch und blieb dann vor einer großen Schiebetür stehen, in der ebenfalls ein Schlitz klaffte, hinter dem sich Dunkelheit verbarg. Amir seufzte. „Na dann los“, sagte er dann und näherte sich dem Spalt mit gehobener Waffe. Hinter sich hörte er die schweren Schritte seines kompletten Jagdtrupps. „Was sollen wir nun tun?“, wollte Cassim wissen. Inzwischen waren andere Überlebende, Mechaniker, Sanitäter und Wachen an Beck herangetreten. Sie alle waren sichtlich schockiert über Becks Vermutung. Er spürte ihre Blicke auf sich ruhen. „Wir haben es hergebracht“, sagte er dann und ballte seine Faust. „Also werden wir es beenden“, fügte er dann hinzu. Sein Blick glitt zu dem Schneidbrenner, der am Gürtel eines der Mechaniker baumelte. „Mit unserer aktuellen Ausrüstung können wir nicht viel ausrichten. Aber in jedem Boar befinden sich Notfall-Kampfausrüstungen, für den Fall dass ein Konvoi angegriffen wird“ Er ließ seinen Blick über die Überlebenden schweifen, er schätzte die Gruppe auf knapp 40 Mann, davon konnte vielleicht die Hälfte vernünftig mit einer Waffe umgehen. Bevor er weitere Befehle geben konnte, meldete sich einer der Wachleute. „Ich habe einen anderen Vorschlag“, sagte er und deutete nach oben auf eine Tür, die nur über einen Laufsteg erreichbar war. „Das ist die Waffenkammer. Wir können Ausrüstung von dort nehmen“ Beck nickte und sofort liefen vier Mann zur nächsten Wendeltreppe, welche auf das metallische Geländer führte, das mit Streben an der Decke befestigt war und den ganzen Hangar wie ein metallischer Kranz umgab. Er beobachtete die Männer einige Augenblicke gedankenverloren, dann wanderte sein Blick über die Hangarwände, bis er fand was er suchte und zufrieden lächelte. Dann schritt er auf das Telefon zu, welches in die Wand eingelassen war. Es war für carrierinterne Verbindungen gedacht und sollte den Hangar schnell mit anderen Bereichen der Nimrod verbinden. Er fand schnell die gesuchte Taste und ließ sich zur Brücke durchstellen. „Mit wem spreche ich?“, hörte er Francis Stimme am anderen Ende der Leitung. „Beck Beltriss. Kommandant der Eskortmission 1538. Wir haben die Begegnung mit dem Wesen überlebt“, erklärte Beck. „Wie ist ihr Status?“, erkundigte sich Francis. „Wir sind etwa 20 kampffähige Einheiten und würden sie gerne bei der Neutralisierung der Kreatur unterstützen“ Francis machte eine kurze Pause. „Durch die Quarantäne sind alle Bereiche isoliert und abgeriegelt. Vor allem die Wohngebiete. Ich werde einen weiteren Nebenhangar für sie öffnen. Verwenden sie das dortige Equipment um die Eingänge zu den Wohnbereichen zu sichern“ Beck wollte etwas entgegnen doch Francis beendete die Verbindung. „Was hat er gesagt?“, fragte Cassim, der inzwischen neben ihm stand. „Er will uns vom Kampfgeschehen fernhalten. Vermutlich hat er Angst, dass wir mit irgendwelchen Viren infiziert sind und die anderen Jagdtrupps anstecken könnten“, entgegnete Beck. „Und was ist dein Plan?“, wollte Cassim wissen. Beck lächelte und blickte zu der Gruppe Überlebender, genauer gesagt zu den Ausrüstungskisten, die geöffnet in ihrer Mitte standen. „Wir beschützen die Zivilisten des Carriers. So wie es uns befohlen wurde“, entgegnete er. Kaum hatte Amir einen Schritt in die Dunkelheit gewagt schaltete sich die automatische Nachtsichtfunktion seiner Gasmaske ein und der Raum wurde in ein grünes Licht getaucht. Gleichzeitig wurden einige der Kisten in grellem Orange umrandet. Die optischen Sensoren der Maske kennzeichneten alle Behälter mit gefährlichen Inhalten. Von einigen der metallischen Kästen führten Rohre mit Kühlflüssigkeit an die Decke. Er sah, wie sein Trupp ausschwärmte. Die Männer mit schweren Waffen schritten vorsichtig auf die engen Gassen zwischen den Containern zu, wobei sie von Jägern mit Gewehren flankiert wurden. Gleichzeitig hörte Amir das Surren, mit dem die Zugmechanismen der Enterhaken arbeiteten und sah, wie sich drei Jäger auf die obersten Container zogen und von dort oben die Gegend überblickten. Amir erspähte einen weiteren Container und wollte ihn mit seinem eigenen Haken anvisieren, doch er wurde aufgehalten. Es war der ehemalige Wachmann. Amir lächelte kurz, als ihm auffiel, dass er seinen Namen immer noch nicht kannte, und er traute sich nicht recht, zu fragen. „Die Kommandanten sollten bei solchen Missionen ganz hinten bleiben. Wenn der Befehlshaber fällt, ist die Moral des Trupps gebrochen“, sagte der Mann. Kaum hatte er das gesagt, sprang das Wesen über einen der Container und riss den Jäger mit sich, der darauf Stellung bezogen hatte. Die beiden schlugen zugleich auf den Boden auf und das Wesen verschwendete keine Zeit, sondern vergrub seinen Kopf sogleich in der Brust des Mannes. Amir hörte die Schreie des Jägers, die sogleich vom Knallen der Waffen um ihn herum übertönt wurden. Er wollte sein Gewehr ebenfalls heben, doch er war unfähig, sich zu rühren. Sein Körper schien versteinert und er konnte nichts Anderes tun, als dem Wesen zuzuschauen, während es sich die Zeit nahm, seinen Kameraden zu verspeisen. „Schieß doch!“ Die Worte seines Waffenbruders holten ihn aus seiner Trance. Auf einmal war seine Angst verschwunden. Alles um ihn herum war plötzlich verschwunden, er fühlte sich, als sei er in einem Tunnel. Es gab nur noch ihn und das Wesen, welches nun langsam, fast schon in Zeitlupe den Kopf hob. Wie mechanisch ließ er das Gewehr fallen und griff mit einer Hand zur Granatenpistole, mit der anderen zog er einen Zylinder aus seiner Brusttasche und stopfte ihn in die Waffe. Dann drückte er ab, ohne zu zielen. Für einen kurzen Moment meinte er, Blickkontakt mit dem Wesen zu haben, bevor das Gesicht der Kreatur von einem Feuerball eingehüllt wurde. Seine Tunnelsicht verschwand sofort, er sah seine Jagdgefährten, wie sie am Boden lagen. Von dem Wesen fehlte jede Spur, aber er hörte vereinzelt Gewehrschüsse und Schreie, welche aus den Tiefen des Lagerraums zu kommen schienen. Einer der Jäger rappelte sich auf, schüttelte den Kopf und schritt dann hastig auf Amir zu. Offenbar war er etwas zu nah an der Kreatur gewesen, als die Granate hochgegangen war. „Bist du wahnsinnig?“, rief er wobei seine Gasmaske seine Stimme sichtlich verzerrte. Weiter kam er nicht, im nächsten Moment stürzte sich Amirs Helfer auf ihn und packte ihn mit beiden Händen am Kragen. „Er hat dir gerade das Leben gerettet du undankbares Rattenhirn!“, brüllte er und schmiss den Mann zu Boden. Dann ging Amir dazwischen. „Wir können uns später streiten“, sagte er und deutete in die Dunkelheit des Lagers. „Jetzt müssen wir die Bestie erlegen“. Der Mann rappelte sich vom Boden auf und ging demonstrativ einige Schritte vor. Amir streckte seinem Waffenbruder die Hand hin. „Danke...“, flüsterte er. „Ich bin übrigens Amir“, fügte er dann hinzu. Der Mann nickte. „Nathan“, knurrte er und lud seine Waffe nach. „Gute Jagd“ Amir nickte. „Dir auch“ Im selben Moment ertönte ein weiterer Schrei in der Ferne, der allerdings sofort von einer Gewehrsalve übertönt wurde. Weitere Waffen stimmten in den Chor ein. Amir und Nathan huschten derweil durch die Gassen. Sie waren so schnell, wie sie sein konnten ohne unaufmerksam zu sein. Das Gewehrfeuer kam näher und ab und sahen sie die Reflektion von Mündungsfeuer an einer Containerwand. Schließlich erreichten sie einen Lastenaufzug, der das Ende des Lagerraums darstellte. Die Überlebenden von Amirs Jagdtrupp hatten sich darum versammelt und richteten ihre Waffen in die Höhe. Im Schacht schien es eine Lichtquelle zu geben, durch die Restlichtverstärkung des Nachtsichtgeräts wirkte es so als würde der gesamte Schacht glühen. Amir schaltete die Nachtsicht aus und trat zu den Anderen. „Scheiße...“, sagte Nathan plötzlich. Amir drehte sich zu ihm um. „Das ist der Aufzug, der zum Waldschrat führt“, erklärte er dann. Sofort wurde Amir klar, was dies bedeutete. Das Wesen wollte so viele Menschen töten, wie möglich. „Hinterher!“, befahl er und beobachtete, wie vier Jäger ihre Enterhaken bereitmachten, bevor sie sie in die Dunkelheit schossen. Er konnte nur hoffen, dass man die Kneipe rechtzeitig evakuiert hatte. Dann schoss er seinen Haken in die Dunkelheit, hörte irgendwo da oben ein metallisches Klicken und im Nu schwebte er meterhoch über dem Boden. Seine vier Jagdgefährten liefen bereits mithilfe ihrer Stiefel an der Wand entlang. Über sich hörten sie, wie die Kreatur keuchte, während sie an der Wand emporkletterte. Dann verschwand sie aus ihrem Blickfeld. Die Männer blieben kurz vor der obersten Ebene stehen und beugten ihre Oberkörper nach oben, um über den Rand spähen zu können. Das Wesen stand ungewöhnlich nah an der Tür und schien zu warten, das Zischen und die dünnen Rauchschwaden, die es umgaben verrieten jedoch, dass es nicht untätig war. Die Jäger eröffneten nahezu synchron das Feuer. Die Kreatur ließ sich davon nicht beeindrucken und wartete einige Sekunden, bevor sie einfach durch das Metall schritt und ein klaffendes Loch hinterließ. Amir verschoss seine letzte Salve. Jetzt konnte er nur noch hoffen. Und nachladen. Doch kaum hatte die Kreatur die Kneipe betreten, wurde sie von Gewehrschüssen begrüßt. Amir lächelte unwillkürlich, als er sah wie von allen Richtungen Kugeln auf das Vieh einprasselten. Er hörte, wie das Wesen einen ohrenbetäubenden Schrei ausstieß, bevor es etwas fallen ließ und davonhuschte. Der Beschuss verstummte augenblicklich. Amir nutzte die Gelegenheit, um sich wieder senkrecht hinzustellen. Dann schritt er durch den dunklen Gang. In diesem Moment sah er, wie vor ihm, im Zentrum der Kneipe jemand landete und sich zu voller Größe aufrichtete. Amir betrachtete die hünenhafte Silhouette, die nun auf ihn zuschritt, mit einer kruden Axt in jeder Hand, einem schiefen Grinsen auf den Lippen und dem Gesichtsausdruck eines blutdurstigen Raubtiers. Fergus.
Mit einem Donnern, das durch den ganzen Hangar hallte öffnete sich die versteckte Schiebetür. Beck stieß einen Pfiff aus, als er sah, was sich dahinter befand. Im Inneren des verborgenen Raumes standen zwei Reihen kleiner, wendiger Geländefahrzeuge, ein Maschinengewehr thronte über jedem Cockpit. Beck erkannte sie sofort. Es waren gepanzerte Buggys der Wolf-Klasse, ein weiterer Exportschlager der Ymir. „Sie gehören den Söldnern des Carriers“, erklärte Francis über Funk, während Beck beobachtete, wie die überlebenden Mechaniker die Fahrzeuge inspizierten. „Wie viele Ebenen sollen wir sichern?“, wollte er wissen. „Es gibt zehn Ebenen mit Wohnquartieren. Zwei Fahrzeuge auf jeder Ebene, eins an jedem Zugang sollten genügen“, erklärte Francis. Beck überflog die Fahrzeuge kurz. „Wir haben aber nur 18 Wölfe, die zur Verfügung stehen“ Er hörte Francis über Funk seufzen. Dann herrschte Schweigen, offenbar überlegte das Regierungsoberhaupt des Carriers, was als Nächstes zu tun sei. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Wesen bereits auf die oberste Ebene gelangt ist. Wir werden die oberste Ebene daher nicht sichern“, schlug Beck vor. „Meinetwegen“, kam die gedankenverlorene Antwort von Francis, bevor er die Verbindung beendete. Derweil hatten sich einige Mechaniker bereits in die Cockpits der Fahrzeuge gesetzt und warteten auf weitere Befehle. Hierin lag ein weiterer Vorteil der Wölfe: Die Steuerung war vollkommen intuitiv. Beck deutete auf den Lastenaufzug am Ende des Raumes. „Wir halten auf jeder Ebene und lassen zwei Wölfe heraus. Jeder Wolf wird mit einem Pilot und einem Jäger bemannt, der das Geschütz bedient. Wir werden die oberste Ebene auslassen, weil wir nicht genug Leute dafür haben“, erklärte er und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. „Fragen?“, wollte er wissen. Es gab keine. Die Angehörigen seines improvisierten Teams machten sich sofort an die Arbeit und navigierten die Buggys in den Aufzugsschacht. Dann befuhr der Aufzug jede Ebene und entließ zwei Fahrzeuge in die drückend engen Gänge. Zum Schluss waren nur noch Beck, Cassim und Ravid übrig. „Und nun?“, wollte Cassim wissen als sie zu dritt im Aufzug standen. Beck lächelte und zog seinen Säbel. „Nun gehen wir jagen“, sagte er. Die Jäger schritten langsam durch die dunklen Gänge, wobei die Ziellaser ihrer Gewehre tanzende Leuchtpunkte an den Wänden vor ihnen hinterließen. Es war die einzige Lichtquelle, die von den Jägern ausging, sie verzichteten zugunsten von Nachtsichtgeräten auf Taschenlampen, um dem Wesen so wenig von ihrer Position zu verraten, wie möglich. Sie hatten die Brücke sogar extra darum gebeten, die Beleuchtung bis auf ein Minimum zu reduzieren, sodass das Wesen sie nicht sehen konnte. Auch wenn für Amir die Laser an den Gewehren mehr als genug waren, um sie preis zu geben. Doch Fergus hatte nicht auf ihn gehört. Er war sofort losgestürmt, um die Kreatur weiter zu jagen. Er hatte ihr das schützende Exoskelett vom Körper geschossen, nun wollte er sie zur Strecke bringen. Amir sah ihn einige Meter vor sich, umgeben von dunklen Silhouetten hünenhafter Krieger in Rüstungen und mit einer schweren Axt bewaffnet, welche sie in einer Hand trugen. In der anderen hielten sie Maschinenpistolen. Die Überreste des Exoskeletts hatte er in einen Beutel gesteckt und hatte sie am Rücken befestigt. Amirs Team wurde die Aufgabe zuteil, die Nachhut zu bilden und Fergus Jagdteam Rückendeckung zu geben. Dessen hastig aufgestellter Jagdplan sah noch nicht einmal vor, dass Amirs Team in den Kampf eingriff. Doch das konnte ihm nur recht sein. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Nathan etwas aus einer Tasche an seinem Oberschenkel zog und etwas darauf eintippte. Das Licht des Bildschirms, der daraufhin zum Leben erwachte wirkte durch die grüne Restlichtverstärkung blendend hell. Amir deaktivierte die Funktion daraufhin und sah das gespenstisch weiße Licht auf Nathans Gasmaske leuchten, was sie noch furchteinflößender wirken ließ als sonst. Nathan streckte seine Hand aus und hielt Amir das Gerät hin. Er betrachtete das Labyrinth grauer Linien, die sich kaum merklich vom schwarzen Hintergrund abhoben. „Was ist das?“, wollte er wissen. „Ein Detektor für Lebenszeichen“, erklärte Beck, während er langsam durch einen engen Korridor schritt. „In den Lüftungsschächten sind Sensoren platziert. Ursprünglich waren sie dazu gedacht, die Bewegungen von Ratten zu überwachen, um den Schädlingsbekämpfern zu zeigen, wo sie Gift sprühen mussten“ „Du meinst dass das Wesen im Lüftungsschacht ist?“, erkundigte sich Cassim. Beck nickte. „Ich weiß es“, sagte er und deutete auf den roten Punkt, der sich entlang einer der grauen Linien bewegte. Ravid warf ebenfalls einen Blick auf den Bildschirm. „Bist du der weiße Punkt?“, fragte er. Beck nickte, woraufhin Ravids Mundwinkel sich zu einem siegessicheren Grinsen formten. „Wir sind direkt unter der Kreatur“, sagte er und seine Augen begannen, vor Freude zu glänzen. „Und es kann nur dort vorne herauskommen“, erklärte Beck und deutete in den Gang, der sich vor ihnen auftat. „Wofür steht denn der zweite weiße Punkt?“, wollte Cassim wissen. Beck warf einen kurzen Blick auf das Display, offenbar war ihm der Punkt nicht aufgefallen. „Jemand anderes scheint ebenfalls gerade auf das System zuzugreifen. So wie ich das sehe sind sie einige Ebenen über uns. Auf der Ebene wo sich auch der Waldschrat befindet, wenn ich mich recht entsinne. Ich vermute es ist der Jagdtrupp“ „Was suchen sie dort oben?“, fragte Cassim. Beck zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hatten sie auf der Ebene den letzten Sichtkontakt“, entgegnete er und deutete auf eine Linie, die senkrecht nahe am Rand des Bildschirms verlief. Der andere weiße Punkt hielt geradewegs darauf zu. Beck begriff sofort was sie vorhatten. „Sie werden sich durch den Aufzugsschacht abseilen“, sagte er. Im nächsten Moment ertönte vor ihnen ein lautes Geräusch, wie wenn etwas Schweres zu Boden fiel. Cassim und Beck zogen sofort ihre Laserpistolen. „Es ist hier“, murmelte Beck. Ravid zog ebenfalls seine Laserpistole, gleichzeitig löste er die Machete vom Gürtel. „Das ist meine Beute!“, zischte er und stürmte davon. Beck seufzte und lief ihm nach, Cassim folgte in einiger Entfernung. Das Wesen schien sie zu erwarten, zumindest machte es keine Anstalten, davonzulaufen. Es stand einfach regungslos da und ließ Ravid nicht aus den Augen. „Das ist mein Kampf. Mischt euch nicht ein“, brüllte er euphorisch und stürmte auf die Kreatur zu. Er entließ eine Reihe wütender Hiebe auf das Wesen, doch seine Klinge zischte jedes Mal durch die Luft und verfehlte es knapp. „Das gefällt mir nicht“, murmelte Beck. Cassim zuckte mit den Schultern. „Er hält das Wesen meiner Meinung nach echt gut in Schach“, erwiderte er. Beck schüttelte den Kopf. „Es ist eigentlich viel zu schnell für ihn. Es könnte ihn mühelos ausschalten“, sagte er, doch dann bemerkte er den rot leuchtenden Pfeil im Halbdunkel, der nach oben zeigte. „Dieses Vieh spielt auf Zeit! Es hat den Aufzug gerufen“, rief er und zog seine Waffe. Ravid schien dies mitbekommen zu haben. „Mischt euch nicht ein!“, knurrte er und drehte seinen Kopf zu Beck. Das Wesen nutzte diesen kurzen Moment der Aufmerksamkeit und entwaffnete Ravid mit zwei präzisen Schlägen, bevor es ihn gegen eine Wand drückte. In dem Moment, als das Wesen seinen Schnabel in Ravids Brust rammen wollte, wurde dieser durch einen gezielten Schuss von Cassim abgetrennt. Becks Schuss, der unmittelbar darauf folgte, hinterließ ein klaffendes Loch im Schädel des Wesens. Doch zu ihrer Überraschung blieb es regungslos stehen. „Jetzt haben wir ein Problem“, flüsterte Beck, und zum ersten Mal erkannte Cassim Furcht und Ratlosigkeit in seinen Augen. Allerdings hatten die Schüsse trotzdem Wirkung gezeigt, denn der schraubstockartige Griff um Ravids Arme hatte sich gelockert. Er nutzte dies, um eine Hand mit einem Ruck frei zu bekommen. Dann schaute er hinter sich und lächelte. Die Wand, gegen die ihn das Wesen drückte, bestand aus einer Reihe Stahlplatten, die man zur Seite schieben konnte, damit die Reparaturteams freien Zugang zu den Rohren und Stromleitungen hatten, die sich dahinter verbargen. Ravid lächelte, als er das dicke Kabel sah, das neben ihm zum Vorschein gekommen war. Er verpasste der Kreatur einen Tritt, dann rollte er sich zur Seite und griff gleichzeitig nach seiner Machete. Er stand blitzschnell auf, wirbelte herum und bevor sich die Kreatur versah, steckte die Klinge tief in ihrer Flanke. Doch Ravid war noch nicht fertig. Er drehte das Wesen und drückte es gegen die Wand, an der er sich nur Sekunden vorher befunden hatte. Dann zog er die Machete aus dem Körper der Kreatur, die nun langsam erschlaffte, und durchtrennte ein Stromkabel. Die Isolierung am Griff der Waffe schütze ihn dabei vor tödlichen Stromschlägen. Die beiden Hälften des Kabels sprühten blaue Funken. Ravid nahm eine Seite und führte sie an das Vieh. Sofort spürte er, wie die Kreatur wieder seine Arme ergriff. Doch plötzlich kam ein kleiner, fleischiger Fortsatz zum Vorschein, der sich auf das Kabel zu bewegte. Ravid konnte nichts anderes tun außer zusehen, wie sich dieses Stück Fleisch, das Ähnlichkeiten mit einer Zunge hatte, über das offene Ende des Kabels stülpte. Er runzelte die Stirn. Wollte es Selbstmord begehen? Kaum hatte der Tentakel das Kabel berührt, kreischte das Wesen. Ravid beobachtete entsetzt, wie sich in Sekundenbruchteilen dunkler Schaum um die Wunde am Kopf des Wesens bildete und sich verhärtete, woraufhin ein neuer Schnabel entstand. Weitere Schaumklumpen formten sich über die ganze Haut des Wesens, verschlossen Wunden und verhärteten sich fast augenblicklich. „Das ist unmöglich“, keuchte Amir. Er stand, zusammen mit Nathan und Fergus über den Bildschirm gebeugt, den Nathan zuvor benutzt hatte, um die Lüftungsschächte zu überwachen. Sie hatten von Francis Zugriff auf die Überwachungskameras des Carriers bekommen. Die Ebene, in der sich das Wesen und, wie sie vermutet hatten, ein zweiter Trupp aufhielt war nicht schwer zu finden gewesen. Sie hatten alle gesehen, wie ein einziger Kämpfer die Kreatur im Zweikampf fast besiegt hatte und hatten mit Entsetzen ihre Regeneration beobachtet. Amir sah kurz hoch und bemerkte, dass mehrere von Fergus Leuten die Aufzugtür offen hielten. Einige andere bereiteten sich darauf vor, sich abzuseilen. Dann blickte er wieder herunter auf den Bildschirm, gerade rechtzeitig um zu sehen wie der Mann, der die Kreatur bis eben an die Wand gedrückt hatte, sie hochhob und in Richtung des Aufzugs trug, wobei das Wesen sich verzweifelt wehrte und mit Schlägen auf den Rücken des Jägers trommelte. Ein anderer Mann trat ins Bild, in seiner Hand hielt er eine Granate. Sofort stand Fergus auf und schoss auf den geöffneten Aufzugsschacht zu. Im Laufen kalibrierte er die Abschussvorrichtung für den Enterhaken, bevor stehen blieb und zwei Jägern seine Äxte reichte. Dann ging er einige Schritte zurück und schoss einen Pfeil in die Dunkelheit des Aufzugsschachts. Ein Klicken verriet ihm, dass das Geschoss sein Ziel gefunden hatte und der Einholmechanismus nun bereit war. Er aktivierte ihn mit einer kurzen Berührung seines Handgelenks, dann streckte er die rechte Hand aus und riss einem seiner Untergebenen im Flug die Axt aus der Hand, bevor er in der Dunkelheit verschwand. Sofort ertönte von irgendwo weiter unten ein quälendes Stöhnen von etwas Schwerem das verzweifelt versuchte, das Gleichgewicht zu halten, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Kreischen. Amirs Augen weiteten sich vor Entsetzen. Fergus hatte die Drahtseile durchtrennt, an denen der Aufzug befestigt war, was dafür gesorgt hatte, dass der Fahrstuhl in die Tiefe gefallen war. Alles, was sich im Inneren befunden hatte, wurde zerquetscht. Die Kreatur konnte dies unmöglich überlebt haben. Trotzdem fühlte Amir Wut in sich aufsteigen. Fergus war, wie Hanael es ihm geschildert hatte: Kalt, berechnend und ohne Respekt für jegliches Leben. „Ein Jäger befand sich noch im Fahrstuhl!“, rief Amir. „Die Kreatur auch“, entgegnete eine bedrohlich tiefe Stimme aus der Dunkelheit. Amir machte einen Schritt auf den Schacht zu. „Außerdem hast du gerade den einzigen zivil nutzbaren Aufzug zerstört!“, sagte er. „Vor Welpen wie dir muss ich mich nicht rechtfertigen!“, knurrte Fergus zurück. Amir machte einen weiteren Schritt auf den Aufzugsschacht zu und ballte die Faust. Vor seinem geistigen Auge sah er Hanael, wie sie ihn flehend angeschaut hatte. Noch ein Grund, ihm eine Lektion zu erteilen. Aus der Dunkelheit hörte er ein höhnisches Lachen. „Du willst dich mit mir anlegen? Schön. Dann lösen wir unsere Differenzen auf die ymiritische Art und Weise. Gleich hier. In diesem Schacht“, sagte Fergus. Darauf hatte Amir gewartet. Er spürte, wie die Wut von ihm Besitz ergriff. „Nicht“, sagte Nathan und legte ihm eine Hand auf die Schulter, doch Amir schüttelte sie ab. Dann schoss er selbst einen Pfeil ab und ließ sich in die Dunkelheit ziehen. Sekundenbruchteile später hing er bereits an einer Wand und programmierte seine Magnetstiefel, bevor er sein Nachtsichtgerät aktivierte und sich aufrichtete. Er stand nun, wenn man dies als Stehen bezeichnen konnte, parallel zum Boden. Als er den Kopf hob, sah er über sich das blendend helle, verstärkte Licht aus dem Gang strömen, in dem er zuvor gestanden hatte. Er wandte sich sofort ab. Gerade rechtzeitig um zu bemerken, wie Fergus auf ihn zu schoss. Amir reagierte augenblicklich und lief an der Wand empor, bevor er sich abstieß und im Flug eine Rolle vollführte, während er seinen Vibrosäbel zog. Kaum hatten seine Füße die gegenüberliegende Wand erreicht, magnetisierten sie sich. Nun wirkte der Gang wie ein Loch im Boden, das sich vor ihm auftat. Fergus schien kopfüber von der Decke zu hängen. Plötzlich flog etwas aus der Öffnung auf ihn zu. Als Amir nach oben sah, hielt sein Gegner eine zweite Axt in seiner Hand. Im nächsten Moment sprang auch Fergus und vollführte ebenfalls eine Rolle in der Luft wodurch er auf der selben Wand aufkam wie Amir. Doch er magnetisierte nur einen Fuß, mit dem anderen wirbelte er herum, während er seine Arme ausstreckte. Als er mit seinem rechten Fuß aufkam, löste er den linken und holte mit ihm Schwung, um seinen Körper rotieren zu lassen. Er vollführte eine Pirouette nach der anderen, während er sich auf Amir zu bewegte, wobei sich seine Äxte so schnell bewegten dass die Wucht des Aufpralls Amirs Klinge entzwei brechen lassen würde, wenn er versuchte, die Äxte zu blocken. Stattdessen sprang er wieder ab und landete erneut auf der gegenüberliegenden Wand. Das tödliche Kreisel unter ihm stoppte augenblicklich, Fergus blieb stehen und hob eine Axt in die Höhe. Er holte aus. Amir begriff sofort was der Mann vorhatte und begann, die Wand empor zu laufen. Im nächsten Moment hörte er wie sich die Axt dicht neben ihm ins Metall bohrte. Gefolgt von etwas weit Schwererem, das an der Wand aufkam. Amir konnte sich nur denken dass Fergus an der Wand gelandet war, um seine Axt wieder an sich zu nehmen. „Du läufst weg? Na schön!“, sagte Fergus und Amir sah, wie er einen kleinen Schalter an seinen beiden Äxten umlegte, woraufhin eine Reihe Zahlen an ihnen zu leuchten begann. Dann sprang Fergus auf die gegenüberliegende Wand und schoss zu Amir auf. Kaum hatte er ihn eingeholt, streckte er die Axt von sich und Amir blickte in ein gähnendes dunkles Loch, das ihn an die Mündung eines Gewehrs erinnerte. Seine Vibroklinge berührte die gegnerische Waffe gerade rechtzeitig, um sie von ihm weg zu schieben. Das gequälte Kreischen von Metall, das auf Metall trifft hallte durch den Aufzugsschacht und wurde im nächsten Augenblick von einem ohrenbetäubenden Knall übertönt. Eine Reihe kleiner Einschusslöcher zierte nun die Wand unmittelbar neben ihm. Amirs Augen weiteten sich vor Entsetzen. Fergus hatte eine Shotgun in seine Axt eingebaut. Doch als er auf Fergus Axt blickte, bemerkte er dass nur noch der Schaft übrig geblieben war. Er erinnerte sich an Nathans Worte bezüglich des Vibrosäbels. Er konnte jegliches Material durchtrennen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Fergus auf seiner Wand landete und seine zweite Axt nach ihm schwang. Er duckte sich darunter hinweg. Sofort verlangsamte sich alles. Amir sah Fergus Hand wie in Zeitlupe über seinen Kopf hinweg schweben. Jetzt hatte er keine Waffe, mit der er Amirs Säbel blocken konnte. Fergus Körper tat sich schutzlos vor ihm auf, die stählerne Panzerplatte war das Einzige, was zwischen Amirs Waffe und den Innereien seines Gegners befand. Nicht genug, um Amirs Waffe aufzuhalten. Jetzt war seine Chance, um den Kampf zu beenden. Gerade, als er in Fergus Herz stechen wollte, bemerkte er wie sich dessen Körper immer weiter von ihm entfernte. Er hatte sich fallen gelassen. Anscheinend waren seine Magnetstiefel von vornherein so eingestellt, dass sie sich entmagnetisierten wenn er sich zu weit nach hinten lehnte. Amir sah ihn einige Meter fallen, während Fergus an seinem Handgelenk herumtippte und kurz darauf einen Pfeil auf die gegenüberliegende Wand abschoss. Amir reagierte sofort und schoss einen eigenen Pfeil direkt neben den von Fergus. Die Abspulvorrichtungen beider Geschosse sprangen gleichzeitig an und beide Männer rasten mit ungeheuerer Geschwindigkeit aufeinander zu. Doch Fergus hatte einen etwas längeren Weg und kam eine Millisekunde später an. Dies nutzte Amir, um ihm einen Tritt zu verpassen. Gleichzeitig durchtrennte er Fergus Drahtseil, so dass er nun hilflos der Schwerkraft ausgeliefert war, doch dieser hatte es derweil geschafft, seine Stiefel in Kontakt mit der metallischen Wand zu bringen und zu magnetisieren. Nun lief er hoch zu Amir und schlug mit seiner Axt nach ihm. Amir wollte den Schlag wieder parieren doch in diesem Augenblick änderte Fergus den Angriffswinkel geringfügig und sorgte dafür, dass die Axt die flache Seite des Säbels berührte, wo die Klinge nicht mehr war als dünnes Metall. Amir bemerkte mit Entsetzen, wie seine Waffe in zwei Teile brach und ein Großteil der Klinge in den Aufzugsschacht herabfiel. Dann sah er, wie Fergus seine Axt zurückzog und blickte wieder in die Mündung einer Waffe. Ein einziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Er musste nach oben. Die Kugeln unterlagen, wie alles Andere auch, der Schwerkraft. Sie würden nicht allzu hoch fliegen. Sofort drehte er sich um und sprintete hoch, und hörte wie hinter ihm Kugeln in das Metall schlugen. Fergus hatte in der zweiten Axt also eine Maschinenpistole verbaut. Amir lächelte, als er bemerkte dass Fergus absichtlich so zielte, dass die Kugeln die Wand trafen. Anderenfalls würden sie durch die Schwerkraft nach unten gezogen werden und sich in seinen Körper bohren. Während er dem Kugelhagel davon lief, zog Amir seine eigene Schusswaffe hervor. Er erreichte schnell die oberste Etage. Von unten hörte er Fergus spöttisches Lachen und das Stampfen seiner schweren Schritte an der Wand. Er kam auf ihn zu. Sollte er doch. Amir bückte sich und nahm sich alle Zeit der Welt, um seine Stiefel zu entmagnetisieren. Dann lehnte er sich zurück, wodurch er nun kopfüber den Schacht herunterschoss. Kaum hatte er Fergus erspäht, bestrich er ihn mit einem Hagel grell leuchtender Kugeln. Sein Gegner erwiderte das Feuer sofort. Es war ein seltsamer Anblick. Fergus, der waagerecht auf der Wand stand und Amir, der im Sturzflug auf ihn zuraste, wobei sich beide mit Kugeln bestrichen. Aber niemand von ihnen traf den Anderen. Plötzlich verstummte Fergus Waffe, auch Amir hörte auf zu schießen. Inzwischen hatten beide einander passiert und Amir befand sich unter Fergus. Er schoss blitzschnell einen Pfeil zu dessen Wand ab, ließ sich hinauf ziehen und stürmte dann seinem Widersacher entgegen. Amir wusste, dass er erledigt war sobald Fergus seine Waffe nachgeladen hatte. Doch er kam gerade rechtzeitig und ließ es so aussehen, als wolle er mit dem Stümmel seiner Vibroklinge zustechen, bevor er die Waffe an Fergus vorbei in die Höhe warf und stattdessen die Hand, welche dessen Axt hielt, am Gelenk packte und gegen die Wand drückte. Fergus klemmte gleichzeitig die Hand mit Amirs Maschinenpistole zwischen seinem eigenen Arm und seiner Hüfte ein, doch Amir hatte nur darauf gewartet und verschoss sofort den Rest seines Magazins. Dann kam die Klinge zurück. Sie hatte sich, angezogen von der Schwerkraft, in ein gefährliches Geschoss verwandelt und bohrte sich nun in Fergus Rücken. Er schrie auf. „Du kleine Ratte…“, knurrte er. Weiter kam er nicht denn im nächsten Moment prasselten fast ein dutzend Kugeln auf Fergus Rücken ein und der Rest seines Fluchs verlor sich in einem Schmerzensschrei. Amir nahm sich alle Zeit der Welt um Fergus Axt aus dessen Griff zu lösen und gemütlich um ihn herum zu schreiten. Fergus Magnetstiefel waren das Einzige, was noch dafür sorgte dass er an der Wand hing, auch wenn er anderenfalls körperlich nicht dazu in der Lage wäre, zu stehen. Amir grinste, als er sich über Fergus stellte und die Axt hob. „Für Hanael“, flüsterte er und schlug seinem Gegner beide Beine ab, woraufhin der Torso hilflos zappelnd zu Boden fiel. Ein unmenschlicher Schrei begleitete ihn in die Tiefe. Die immer noch magnetisierten Stiefel und die Beinstummel, aus denen Blut in die Tiefe tropfte, blieben an der Wand hängen. Amir lud seine Waffe nach, dann warf er die Überreste seiner Klinge ebenfalls in die Tiefe und stampfte nach oben, wo das Licht des Ganges ihn erwartete.
Amir wurde von einem Knurren begrüßt. Die sechs Ymiriten, welche auf die Nimrod eingeheiratet worden waren aber nichts von ihren Sitten und Gewohnheiten abgelegt hatten, standen in einem Halbkreis um den Aufzugsschacht und fletschten die Zähne. Sie hatten sich sogar spezielle Mundstücke eingesetzt, sodass ihre Gebisse wie Wolfsfänge wirkten. Hinter ihnen war der Rest der beiden Trupps versammelt, eine zusammen gewürfelte Masse aus Jägern. Die Ymiriten machten zögerlich eine Gasse für Amir frei, dann schauten sie weiter in Richtung des Aufzugsschachts in der vergeblichen Hoffnung, ihr Befehlshaber würde jeden Moment aus der Dunkelheit treten. Schließlich fasste einer der Krieger seine Ungeduld in Worte. „Wo ist Fergus?“, wollte er wissen. Statt zu antworten streckte Amir seine Faust von sich und drehte sie so dass der Daumen nach unten zeigte. Der Ymirit drehte seinen Köroer sofort zu Amir, seine Hand glitt an seinen Waffengürtel, doch dann trat Nathan aus der Menge und stellte sich schützend vor den Jagdplaner. „Fergus wollte es so regeln. Das hat er nun davon. Wenn du damit nicht einverstanden bist können wir gleich den nächsten Kampf austragen“, sagte Nathan und baute sich drohend vor dem Krieger auf. Im Hintergrund hörte man ein aufgebrachtes Murmeln. Als Amir sich umdrehte, sah er wie einige Jäger aus seinem Trupp ihre Waffen wegsteckten und die Macheten zogen. Sie waren bereit, zu kämpfen. Ihn zu verteidigen. Er war erst seit wenigen Stunden ihr Kommandant und hatte sich anscheinend bereits deren Respekt verdient. Wie viel davon wohl Nathan zuzuschreiben war? In diesem Moment kamen zwei Gestalten aus dem Aufzugsschacht. Sie wurden vom Klicken, mit dem Gewehre entsichert wurden, empfangen, aber die Jäger senkten ihre Waffen als sie bemerkten dass es zwei Menschen waren. Amir hatte sie bereits gesehen, vor einigen Stunden, im Hangar. Sie waren die ersten beiden, die aus dem schicksalhaften Transporter gestiegen waren, bevor dort unten die Hölle losgebrochen war. Er spürte wieder Wut in sich aufsteigen. Sie hatten das Wesen hierher gebracht. Doch er kam nicht dazu, seiner Wut Ausdruck zu verleihen, denn im nächsten Moment teilte sich die Menge und mehrere Gestalten traten vor. Sie alle trugen die Standart-Seuchenschutzanzüge der Bruderschaft, ihre Gesichter wurden von Gasmasken verdeckt und in den Händen hielten sie stark modifizierte Gewehre. Amir blickte auf Söldner. Offenbar hatte Francis sie mobilisiert, um bei der Jagd nach der Bestie zu helfen. „Waffen runter“, kommandierte einer von ihnen. Seine Begleiter umklammerten die Griffe ihrer Gewehre fester, offenbar war der Befehl an die Jäger gerichtet. Amir sah, wie die Mitglieder seines Trupps zögernd dem Befehl Folge leisteten. Der Kommandant der Söldner machte eine kurze Bewegung mit seiner Hand und die Kämpfer hinter ihm reihten sich entlang der Wände auf. Einer schritt auf den Anführer zu und reichte ihm einen Granatwerfer, welcher nur aus einem Rohr, einer zylindrischen Trommel mit sechs Öffnungen und einem Griff zu bestehen schien. Der Söldner nahm die Waffe entgegen, dann schritt er langsam, fast schon gemächlich zum Aufzugschacht, wobei vier identisch gekleidete Söldner ihn begleiteten, dann richtete er seine Waffe nach unten und schoss mit einem leisen Zischen eine Granate in die Tiefe, bevor er sich umdrehte und davon schritt. Nach einigen Sekunden schoss eine Flammenzunge durch die Dunkelheit und einen Augenblick lang wirkte der Aufzugsschacht wie der Feuerraum eines Kamins. „Sicher ist sicher“, murmelte der Söldner, dann hob er die Stimme. „Mitkommen“, befahl er und schritt durch den Gang. Die Jäger folgten ihm zögerlich, wobei sie stets von Söldnern flankiert wurden. Als man sie durch die Gänge führte, bemerkte Amir dass an den Abzweigungen ebenfalls Söldner postiert waren, die ihnen den Weg versperrten, so dass nur noch eine Route übrig blieb. Man führte sie einige Ebenen hinauf zur Krankenstation, die wiederum von Söldnern bewacht worden war. Der Anführer schritt zur kalkfarbenen Tür, welche im Kontrast zu den beigen Gängen stand und wollte gerade anklopfen, als die beiden Männer vortraten, die zuvor aus dem Aufzugsschacht gestiegen waren. Sie zogen augenblicklich die Aufmerksamkeit einiger Söldner auf sich, doch der Kommandant hob die Hand. Es ging keine Bedrohung von den beiden aus. Sie wechselten einige Worte, dann führte der Anführer der Söldner seine Hand an die Stelle der Gasmaske, welche sein rechtes Ohr verdeckte. Amir konnte nur vermuten, dass er über Funk mit jemandem sprach, er konnte allerdings nichts hören. Die Söldner benutzten Kehlkopfmikrofone, welche jeglichen Laut ihrer Stimmbänder verstärkten. Selbst das leiseste Flüstern hörte sich dadurch laut und verständlich an. Der Kommandant drehte sich zu den beiden Jägern um und wies sie an, sich zu zwei wartenden Söldnern zu stellen. Dann klopfte er an die Tür. Eine Person öffnete, sie war fast identisch gekleidet wie die Söldner, nur trug sie keine Waffen und ihr Overall und die Maske waren weiß statt grau. „Beck Beltriss“, sagte der Söldner an der Tür und einer der beiden Männer von vorhin trat vor. Er wurde in die Krankenstation geführt und die Tür schloss sich. Amir wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, er konnte nicht auf die Uhr an seinem Handgelenk schauen denn jede verdächtige Bewegung wurde mit einem unsanften Stoß mit dem Gewehrkolben der sie bewachenden Söldner geahndet. Sie wurden behandelt wie gefangene, feindliche Kämpfer. Schließlich kam der Kommandant wieder zum Vorschein. „Cassim Reza“, sagte er. Der Mann, der neben Beck stand, trat nun vor und folgte dem Anführer der Söldner durch die Tür zur Krankenstation. Es dauerte erneut eine quälend lange Weile, bis der Kommandant wieder zum Vorschein kam. „Amir Nassit“, sagte er. Amir schluckte und trat zögerlich vor. Der Söldner machte ihm mit einer Geste deutlich, ihm zu folgen, und schritt durch die Tür. Dahinter war eine durchsichtige Röhre aufgebaut worden, die zum Eingang eines steril weißen Zeltes führte. Außerhalb des notdürftigen Tunnels schien der Betrieb reibungslos weiter zu laufen, Amir sah Krankenschwestern in beigen Overalls und Ärzte in weißen Kitteln zwischen mehreren Reihen Krankenbetten umherhuschen. Sie schienen sich nicht an der Röhre in ihrer Mitte zu stören noch beachteten sie sie groß. Während Amir auf das Zelt zuschritt kam er sich vor wie in einem Bestiarium, wie ein Besucher, der fremde Wesen in ihrer natürlichen Umgebung beobachtete. Im Inneren des Zelts stand eine Liege, an der sich ein Stuhl befand. Den Rest des Platzes nahmen verschiedene medizinische Geräte ein, die miteinander und mit einer Kontrollkonsole unmittelbar neben dem Stuhl verkabelt waren. Zwei Gestalten in weißen Kitteln standen neben der Liege, eine wies ihn an, sich zu entkleiden und hinzulegen. „Amir Nassit. Wir werden nun ihren Gesundheitszustand untersuchen, um festzustellen, ob sie eine Gefahr für den Carrier darstellen“, erklärte einer der Ärzte. Kaum hatte er das gesagt, spürte Amir das Pieksen, als die Nadel einer Spritze ihm unter die Haut fuhr. Der Schmerz war ebenso rasch wieder abgeklungen, wie er gekommen war und Amir bemerkte, wie der Arzt mit der Spritze, in der rötliche Flüssigkeit erkennbar war, zu den Geräten hinüber schritt. Ihm entglitt auch nicht, wie die Hand des Söldners zum Holster seiner Pistole glitt. Sofort überkam ihn ein Gefühl des Unwohlseins. Eine einzige Frage schoss ihm durch den Kopf: Was war mit den anderen beiden Personen passiert? Als er den Raum betreten hatte, gab es keine Blutspuren oder sonstige Hinweise darauf, dass den Männern etwas zugestoßen sein konnte. „Sind sie an irgendeinem Zeitpunkt mit der unbekannten Lebensform in Kontakt gekommen?“, wollte einer der Ärzte wissen. Amir schüttelte den Kopf. Der Arzt nickte und trug etwas in ein Pad ein, welches er in einer Hand hielt. „Sind sie mit irgendwelchen Flüssigkeiten, die von dem Wesen ausgeschieden wurden, in Kontakt gekommen?“, fragte er dann weiter. Wieder schüttelte Amir den Kopf. Der Arzt machte eine weitere Notiz. „Und sie hatten die ganze Zeit über ihre Gasmaske aufgesetzt, richtig?“ „Ja“, erwiderte Amir. Der Arzt drehte sich zu seinem Partner um, welcher an der Konsole stand und die Augen nicht vom Bildschirm abwandte. Nach einigen Sekunden hob er die Faust. Sein Daumen zeigte nach oben. Augenblicklich verschränkte der Söldner die Arme und machte einen Schritt zurück. „In ihrem Blut wurden keine unbekannten Erreger gefunden. Sie sind frei zu gehen“, erklärte der Arzt neben Amir und deutete auf einen Vorhang, der aus dem Zelt zu führen schien. Der Jagdplaner richtete sich auf und schritt hindurch. Ein einsamer Söldner stand dort, statt der Seuchenschutzanzüge trug er einen grauen Mantel, sein Gewehr hatte er mit einem Riemen über die Schulter gehängt. „Folgen sie mir bitte“, sagte er in einem neutralen Tonfall und schritt dann in den Gang. Sie stiegen einige Ebenen nach oben und Amir wurde durch ein schier unergründliches Labyrinth aus Gängen geführt, jeder war gesäumt mit Türen, hinter denen sich Wohnbereiche befanden. Schließlich blieben sie vor einer gewaltigen Tür stehen. Zwei Männer standen vor ihr, einer trug die Ausrüstung eines Söldners, der andere war gekleidet wie ein Jäger. Amir betrachtete den Schriftzug an der Tür. „Kontrollraum“. Er schluckte. Hinter dieser Tür befand sich die Brücke des Carriers. Der Söldner, der ihn hierher geführt hatte, murmelte etwas in sein Kehlkopfmikrofon. Im nächsten Moment fuhren Stützbalken an der Tür mit einem Zischen zurück und die schweren stählernen Tore schoben sich auseinander. Amir blickte auf eine weitere Wand, die jedoch statt kaltem Stahl dunkelgrün, fast schwarz, angemalt war. Zwei gelbe Pfeile zeigten zu den Seiten und wiesen die Besucher auf die beiden Treppen hin, welche auf die oberen Ebenen der Brücke führten. Auf einmal schob sich ein Teil der Wand nach oben und enthüllte eine weitere Treppe. Sie war spärlich beleuchtet, gerade genug um die Stufen zu erkennen. Vorsichtig schritt Amir die Treppe empor, wobei er einige vergitterte Öffnungen in den Wänden bemerkte. Er wollte nicht wissen, welchem Zweck sie dienten. Am oberen Ende der Treppe befand sich eine weitere Tür, die sich erst öffnete als Amir vor ihr stand. Vor ihm tat sich ein halbkreisförmiger Raum auf. Die ganze vordere, gewölbte Front bestand aus Glas, auf dem eine Vielzahl projizierter Diagramme und Graphen abgebildet war. Reihen von Zahlencodes schlängelten sich entlang der Glasfassade. Dahinter sah man den Rest der Brücke. Zwei weitere, halbkreisförmige Ebenen waren erkennbar, eine etwas tiefer gelegen als die andere und von mehreren Reihen an Arbeitsstationen durchzogen. Wenn man auf der untersten Ebene stand, blickte man auf eine gewaltige, dreistufige Treppe. Eine gläserne Halbkuppel umgab die gesamte Brücke und enthüllte die atemberaubende, schneeweiße Landschaft, die sich in einiger Entfernung vom Carrier auftat. Amir bemerkte, dass der Carrier sich nicht bewegte. Während er seinen Blick über die Brücke schweifen lassen hatte, hatte er den langen Konferenztisch in der Mitte des Raumes fast übersehen. Es war noch genau ein Platz frei, auf den anderen Stühlen saßen mehrere zivil gekleidete Personen und ein großer, kahl rasierter Mann in der Militäruniform der Söldner. Auch die zwei Jäger, die vor ihm untersucht worden waren, saßen dort. „Setzen sie sich, Amir Nassit“, wies ihn die Stimme an, in der er Francis erkannte. „Beck und Cassim haben uns gerade die Umstände geschildert, unter denen sie das Wesen…“, er machte eine kurze Pause, offenbar suchte er nach dem richtigen Wort, „…gefunden haben“, erklärte der Mann, dann beugte er sich etwas vor. „Nun möchte ich wissen, wie man es bekämpfen kann“, sagte er. „Dafür müssen wir erst einmal wissen, zu was es in der Lage ist. Beck und Cassim haben berichtet, dass Schusswaffen keine Wirkung zeigen. Trotzdem scheint es dem Team um Fergus gelungen zu sein, es zu verwunden“ Als Francis den Namen „Fergus“ erwähnte, musste Amir unweigerlich schlucken. Sein Verschwinden würde früher oder später auffallen und wenn er Francis die Wahrheit sagen würde, wäre er des Mordes schuldig. Aber im Moment gab es etwas Wichtigeres zu besprechen. „Der Körper der Kreatur scheint von einer Art Säureschicht überzogen zu sein“, erklärte Amir. „So kommt sie nahezu ungehindert durch die Türen“, fügte er hinzu und sah aus dem Augenwinkel wie Beck nickte. „Möglicherweise benutzen sie diese Säure als Schutz gegen Kugeln. Die Geschosse werden von der Säure weggeätzt, bevor sie auf das weiche Gewebe treffen“ Francis runzelte die Stirn. „Das würde bedeuten, dass die Säure auch das Gewebe selbst angreift“, entgegnete er. „Nicht, wenn das Wesen eine zusätzliche Panzerung hat, die das Gewebe vor der Säure schützt“, erwiderte Amir. Francis nickte. „Diese Panzerung würde jedoch schwinden…“ „…je länger das Wesen Beschuss ausgesetzt wird. Und genau dies ist im Waldschrat passiert. Die Panzerung des Wesens war vermutlich bereits angeschlagen von dem Zwischenfall im Hangar und der Jagd durch den Lagerraum. Das andere Jagdteam hat ihm bloß den Rest gegeben“, erklärte Amir. Nun meldete sich Beck zu Wort. „Außerdem möchte ich auf die immensen regenerativen Fähigkeiten des Wesens hinweisen. Es hat sogar einen direkten Kopfschuss mit einer Laserwaffe überlebt“ „Möglicherweise hat es kein Gehirn. Zumindest nicht in der Form wie wir es gewohnt sind“, schlug ein Mitglied des Krisenstabs vor. Beck zuckte mit den Schultern. „Möglich. Es ist aber definitiv intelligenter als jede andere nicht-menschliche Lebensform, der wir bisher begegnet sind. Ich bin immer noch davon überzeugt dass alle Aktionen dieser Kreatur geplant waren“ „Das sagten sie bereits“, sagte der Söldner. „Aber nun ist es tot.“ „Das wissen wir nicht mit Sicherheit“, konterte Beck. „Wie dem auch sei, wir müssen so viel über das Wesen in Erfahrung bringen, wie möglich, damit wir in Zukunft für ähnliche Bedrohungen gewappnet sind“, warf Francis ein, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Beck zu. „Über welche Fähigkeiten verfügt der Feind noch?“, wollte er wissen. „Es kann sich nicht nur von Verletzungen erholen, sondern auch seinen Säureschutzpanzer regenerieren. Außerdem kann es anscheinend Elektrizität anzapfen“ „Möglicherweise hat es biologische Akkumulatoren im Körper, die ähnlich wie herkömmliche Batterien Strom speichern“, mutmaßte ein weiteres Mitglied des Krisenstabs, eine junge Frau in einem weißen Kittel, offenbar die Chefärztin des Carriers. „Das würde erklären, weshalb es eine ganze Chemiefabrik in seinem Inneren betreiben kann“, sagte der Söldner. Beck schüttelte den Kopf. „Es braucht neben der Energie allerdings noch andere chemische Bausteine, um die Reaktionen im Körper der Kreatur überhaupt zu ermöglichen“, erwiderte er. „Und wo soll er diese Bausteine her bekommen?“, wollte der Söldner wissen. „Durch Nahrungsaufnahme. Das Wesen labt sich an den Leichen der getöteten Kämpfer“, entgegnete Beck. Plötzlich schob sich vor dem Söldner eine Konsole aus dem Tisch und ein Bild flackerte darauf auf. Amir bemerkte, wie sich die Augen des Mannes weiteten. Francis und den anderen war es ebenfalls aufgefallen und sie sahen den Söldner alle gespannt an. Der Söldner seufzte und tippte etwas in die Konsole ein. Augenblicklich veränderte sich die Glaswand, die Vielzahl von Abbildungen wurde durch eine einzige ersetzt. Ein Schacht war darin zu erkennen, er leuchtete im grünen Licht der Nachtsicht. „Ich habe einem Trupp Scharfschützen befohlen, am oberen Ende des Aufzugsschachts Stellung zu beziehen“, erklärte der Mann, während das Bild heranzoomte. Amirs Kinnlade fiel herab. Von der Aufzugskabine war nur noch ein versengter und entstellter Haufen Schrott übrig. Doch das war es nicht, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er blickte entsetzt auf die mit Schaum überzogene, grob menschliche Hand, die aus dem Metallhaufen ragte. Ein einziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Was auch immer sie getan hatten, um es zu töten, es war vergebens gewesen.
Amir beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie das Wesen sich langsam aus den metallischen Trümmern hervorkämpfte. „Feuer“, hörte er Francis brüllen und im nächsten Moment schossen drei glühende Geschosse simultan auf die Kreatur zu, und erzeugten kleine Rauchsäulen, als sie auf dem Säureschutz des Wesens aufkamen. Es ignorierte den Beschuss und bewegte sich langsam auf eine Wand des Aufzugsschachts zu, bevor es begann, an ihnen empor zu klettern. Die Kugeln, welche in regelmäßigen Abständen auf die Kreatur einprasselten, störten sie nicht im Geringsten. Francis tippte etwas auf der Tastatur herum. „Wenn dieses Wesen das obere Ende des Aufzugsschachts erreicht, befindet es sich bei der Lichtung. Cassim, du übernimmst in Fergus Abwesenheit die Kontrolle über sein Team. Ihr werdet bei der Lichtung einen Hinterhalt für das Wesen legen. Einige Söldner werden euch dabei unterstützen. Wenn ihr es nicht schafft, versucht zumindest, es in Richtung der Landeplätze zu treiben. Dort wird ein gerade neu zusammengestelltes Team unter dem Kommando von Beck ihm den Rest geben“, sagte Francis und machte den zwei Kommandanten mit einer knappen Handbewegung deutlich, dass sie nicht länger auf der Brücke bleiben mussten. Die beiden Männer erhoben sich fast gleichzeitig, nickten und schritten dann auf den Ausgang zu. Nun wandte sich Francis an Amir. „Dein Team wird dafür sorgen dass das Wesen in keine andere Richtung fliehen kann. Ihr seid dann sozusagen die Springer, die dort eingesetzt werden, wo es die Situation erfordert“, erklärte Francis, bevor sich sein Gesicht verfinsterte. „Und denk ja nicht, dass wir den Tod von Fergus nicht aufklären. Du hast Glück, dass du einer der wenigen Soldaten bist, die gegen dieses Wesen gekämpft und überlebt haben und wir somit auf deine Hilfe angewiesen sind. Wegtreten!“ Während Amir sich von der Brücke zur Waffenkammer bewegte, um mit seinem Team zusammenzutreffen und sich mit neuer Ausrüstung versorgen zu lassen, hatte Cassims Team seinen Bestimmungsort erreicht. Der Mann überblickte von einem Laufsteg aus den kleinen Park, der den Großteil des kreisförmigen Platzes unter ihm einnahm. Darüber befand sich eine riesige gläserne Kuppel. Normalerweise war die Lichtung, wie der Park von den Bewohnern der Nimrod genannt wurde, immer voller Leute. Es war der beliebteste Erholungsort für alle diejenigen, die ihre Freizeit lieber in der Natur verbrachten, als im Waldschrat. Doch nun war die Lichtung leer und leise, selbst die wenigen Vögel, die in den Baumkronen lebten, waren verstummt. Cassim umklammerte seine Waffe etwas fester und sah sich um. Schwere Geschützstellungen waren entlang des gesamten Laufstegs angeordnet und wurden von seinen Jägern bemannt, diejenigen, die nicht an einem Geschütz saßen, trugen ausnahmslos schwere Maschinengewehre. Cassim wusste, dass der einzige Weg, um dieses Wesen zu bekämpfen darin bestand, es so lange zu beschießen, bis es sein Exoskelett abwerfen musste. Danach war es schutzlos. „Wo sind die Söldner hin?“, wollte einer seiner Untergebenen wissen. Cassim zuckte mit den Schultern. „Brauchst du sie? Ich denke wir kriegen es auch ziemlich gut allein hin“, entgegnete er. „Kontakt!“, hörte er plötzlich von irgendwo auf der anderen Seite des Laufstegs. Im Nu eröffneten die Jäger, welche gegenüber des Haupteingangs zur Lichtung positioniert waren, das Feuer. Der Rest von Cassims Trupp stimmte sofort in den Chor aus Gewehrfeuer mit ein, kaum hatten sie das Wesen erspäht. Cassim selbst ließ sich Zeit und sendete eine kurze Nachricht über das PDA, bevor er eine grell leuchtende Salve auf den Feind niedergehen ließ. Im nächsten Moment brach über ihnen die Decke der Kuppel und etwas Riesiges senkte sich zu ihnen herab. Es hatte die grobe Form eines Sichels, an dessen hinterem Ende ein Stummelflügel befestigt war. Es war ein Jagdflieger des Scarab-Typs, der beliebteste militärische Flugzeugtyp der Bruderschaft. Der Söldnerpilot im Inneren lächelte, als er das fremdartige Wesen zwischen den beiden Flügelspitzen vor sich sah, wie einen Nagel zwischen den Seiten einer Zange und im nächsten Moment erwachten die vier panzerbrechenden Schnellfeuergeschütze unter den Tragflächen zum Leben und schossen dosierten Tod auf die Kreatur. Jedes Projektil verursachte ein fußballgroßes Loch als es in der Wand der Lichtung einschlug oder fällte einen Baum auf der Stelle, wobei das Knacken des gequälten Holzes vom Donnern der Kanonen übertönt wurde. Doch das Wesen blieb unverletzt. Es floh, dicht an der Wand, vor dem fliegenden Ungetüm, dessen Waffen Kräfte entfesselten, die selbst die Säurepanzerung und das Exoskelett nicht vollständig neutralisieren konnten. Während es davonlief, wurde es von vereinzelten Salven der Jäger getroffen. Der Großteil von Cassims Trupp hielt sich allerdings mit dem Feuern zurück und beobachtete stattdessen, wie der Flieger den Park in eine apokalyptische Landschaft verwandelte. Auch der frisch zugeteilte Jagdplaner reduzierte seine Schüsse auf kurze, perfekt platzierte Salven, während er das Wesen mit seinem Zielfernrohr verfolgte, so gut es ging. Die Kreatur drehte eine Runde nach der anderen, die Geschosse des Fliegers zischten dicht hinter ihr durch die Luft, während sie dem Fluggerät immer näher kam. Cassim lächelte. Das Wesen hatte dies die ganze Zeit gewollt. Es war dem Beschuss nicht davon gelaufen, wie er gedacht hatte, sondern hatte die Schwachstelle des Fliegers ausgenutzt: Die Geschütze waren auf kurze Entfernung nutzlos. Nun befand sich das Wesen direkt zwischen den Flügeln des Fliegers. Im nächsten Moment schnellte es nach vorne und brach durch die Scheibe des Cockpits. Der Scarab verlor sofort die Kontrolle und neigte sich bedrohlich auf eine Seite, wobei sein Flügel durch den Boden pflügte. Das Wesen nutzte die Gelegenheit und kletterte aus dem Cockpit, bevor es das Wrack des Scarab entlang lief und mit einem unmenschlichen Sprung durch die zerstörte Glaskuppel verschwand. Die Ebene, auf der das Wesen aufkam, war eine runde Plattform, welche die Kuppel wie einen Ring umgab. Auf einer Seite schien der Ring völlig leer zu sein, bis auf einige knospenförmige Gebilde, die ihn in regelmäßigen Abständen zierten. Auf der anderen Seite, im Schatten des Turms, auf dem die Landeplätze sich befanden, befanden sich einige kreisförmige Plattformen, auf denen Scarabs thronten. Zwischen den Plattformen hasteten Mechaniker zu ihren Bestimmungsorten oder transportieren Munition auf Transportern, die Ähnlichkeit mit motorisierten Schlitten hatten. Man vernahm das Zischen, mit dem einer der Flieger seine Triebwerke aktivierte, dann hob ein Scarab ab und flog hinaus, wobei er eine Salve auf das Wesen abfeuerte. Ein zweiter Scarab folgte, doch beim dritten Flieger war das Wesen vorbereitet. Es stürmte auf den Hangar zu, was dafür sorgte, dass der Beschuss über seinen Kopf hinweg zischte und die Kugeln an der Stelle in den Boden einschlugen, an der sich die Kreatur nur wenige Sekunden vorher befunden hatte. Derweil waren fast zwei Dutzend Jäger unter dem Kommando von Amir in den Raum gestürmt. Der junge Jagdplaner beobachtete zufrieden, wie die Männer ausschwärmten. Einige liefen zu den Flugabwehrgeschützen, andere stellten sich in einer Reihe vor den Hangartoren auf, während weitere Scarabs über ihren Köpfen hinweg in den Himmel flogen. Amir hatte derweil Stellung auf einem Laufsteg bezogen und beobachtete seinen Trupp durch sein Fernglas. Als er kurz zu der feindlichen Kreatur sah, bemerkte er, wie diese in die Hocke ging und kurz darauf hochsprang, wodurch sie aus seinem Blickfeld verschwand. Sofort stürmten einige Jäger hinaus aus dem Hangar und bestrichen die Außenwand mit Feuer. Der gesamte Landeplatz war evakuiert worden. Als das Wesen mühsam die Wand hinaufgeklettert war, befand es sich auf einer leeren Fläche. Nur die Markierungen auf dem Boden zeugten davon dass hier einst Lufttransporter gelandet waren. Es sah sich kurz um, als würde es etwas Spezielles suchen, dann setzte es sich in Bewegung. Beck beobachtete die Bewegungen der Kreatur durch das Zielfernrohr seines Scharfschützengewehrs. Er wartete. Solange der Säureschutzmantel des Wesens noch aktiv war und das Exoskelett dessen weichen Körper schützte, waren Kugeln aus gewöhnlichen Gewehren wirkungslos. Von irgendwo über ihm ertönte ein einziger Knall und ein gleißend helles Projektil schlug in die Brustpanzerung der Kreatur ein. Sie blieb für einen kuren Moment stehen, woraufhin ein weiteres Geschoss in sie einschlug, diesmal von hinten. Beck lächelte. Die Söldner in den Scarabs machten hervorragende Arbeit. Sie gaben einzelne, präzise Schüsse auf das Wesen ab und schossen nur, wenn sie sich sicher waren, dass sie die Kreatur trafen und nicht den Hangarboden. Aber noch war es zu früh, sich zu freuen. Ohne das Wesen aus den Augen zu verlieren aktivierte Beck sein Funkgerät. „Amir, wie weit seid ihr?“, erkundigte er sich. „Gleich fertig“, entgegnete der junge Jagdplaner. Beck nickte kaum merklich. „Gut. Haltet euch bereit“, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem Wesen zu, welches durch den Beschuss nur langsam vorwärts kam. Lange würde das Exoskelett es nicht aushalten. Ein weiteres Projektil schlug in den Rücken der Kreatur ein und warf sie nach vorn, auf den Boden. Instinktiv legte sich der Finger von Beck an den Abzug, doch er hielt sich zurück. Es war zu früh. Noch ein Schuss traf das Wesen gerade als es versuchte, sich aufzurichten, und es wurde zurückgeschleudert. Beck beobachtete mit einem Grinsen, wie sich zwei dicke Panzerplatten vom Körper der Kreatur lösten, während sie eine Rolle in der Luft vollführte und einige Meter weiter hinten auf allen Vieren aufkam. Beck gab ein kurzes Handzeichen und somit die Erlaubnis zum Feuern. Gerade, als das Wesen wieder loslaufen wollte, lösten sich kurz hintereinander drei Schüsse. Im nächsten Moment wurde das Wesen von mehreren Feuerbällen eingehüllt. Gleichzeitig kamen vier Ymiriten zum Vorschein, die sich zuvor bei Amir im Hangar aufgehalten hatten und nun die Außenwand empor geklettert waren. Die Kreatur lag wehrlos am Boden. Becks Scharfschützen hatten Explosivmunition verwendet, welche beim Aufprall eine kleine Detonation erzeugte. Das Ziel war es, die Kreatur zu schwächen, denn der Regenerationsmechanismus war, wie Beck vermutete, neben der Produktion des Exoskeletts der energieaufwändigste Prozess im Körper des Wesens war. Während Scharfschützen die Kreatur in Schach hielten und zwei Scarabs bedrohlich in einem gewissen Abstand in der Luft verharrten, machten sich die Ymiriten an die Arbeit und hackten mit ihren Äxten den Körper des Wesens in kleine Stücke. Weitere Männer aus Becks Team schoben eine stählerne Gefriertruhe zu der Kreatur. Jeder einzelne Klumpen Fleisch wurde in einem Plastikbehälter isoliert und dann in die Gefriertruhe verpackt. Als der Stahldeckel sich langsam schloss, entglitt Beck ein Lächeln. Die Gefahr war vorüber. Endlich. Etwa vier Stunden später hatten drei schwer bewaffnete Trupps Söldner jeden Winkel des Carriers durchkämmt und festgestellt, dass es weder weitere Feinde noch Eier oder sonstige Hinterlassenschaften von der Kreatur gab. Die Quarantäne wurde daraufhin aufgehoben. Francis persönlich beendete den Ausnahmezustand und bot allen Schaulustigen an, sich auf der Landeplattform einzufinden, um der endgültigen Vernichtung der fremden Lebensform beizuwohnen. Nicht einmal eine halbe Stunde später war die Plattform so voll mit Menschen, dass die Sicherheitskräfte am Eingang den Befehl bekamen, niemanden mehr hinein zu lassen. Amir stand neben Hanael und beobachtete, wie sich hinter der Landeplattform, am Heck des Carriers, ein Zylinder aus dem Boden schob. Das Objekt war geformt wie eine überdimensionierte Patrone und schien mindestens zehn Meter lang zu sein. Der Jagdplaner wusste genau, was er vor sich sah: Eine von acht Aerosolraketen, über die die Nimrod verfügte. Es waren mächtige Waffen, die zu unglaublicher Zerstörung fähig waren. In dieser Rakete befanden sich die Überreste der Kreatur, verpackt in einen stählernen Sarkophag. Er hatte, zusammen mit Beck, Cassim und Nathan beobachtet, wie die Kühltruhe an der Rakete angebracht wurde. Francis, der auf einem Podest am anderen Ende der Plattform stand, begann den Countdown. Amir sah aus dem Augenwinkel, wie Hanael etwas näher an ihn heranrückte. Sie hatten bisher wenig gesprochen, genau genommen gar nicht, und sie war es, die ihn in der Menge aufgespürt und sich neben ihn gestellt hatte. Die zehn Sekunden des Countdowns waren schnell vorüber und Amir beobachtete, wie die Triebwerke der Rakete aufblitzten und sie mit einem ohrenbetäubenden Knall in die Höhe schoss, wobei sie eine Rauchfahne hinterließ. Kurz darauf blitzte etwas zwischen den Berggipfeln auf, es sah aus wie ein zweiter Sonnenaufgang. Im nächsten Moment spürte er, wie Hanael ihre Arme um seinen Hals schlang und ihren Kopf zu seinen Lippen hinaufstreckte, doch bevor sie ihn küssen konnte, ergriff jemand ihn von hinten und zog ihn von ihr weg. Ein Söldner erschien in seinem Blickfeld. „Amir Nassit, sie sind festgenommen wegen Mordes an Fergus Jarlsson“, sagte der Mann, während die Person, die ihn festhielt, seinen Kopf nach unten drückte. Während der Söldner Amir entlang einer Gasse von Menschen in Richtung des Ausgangs führte, sah Amir nicht den schockierten Blick von Hanael, der ihn still begleitete, noch die Angst in Fergus Augen, während er in die tiefe stürzte. Amir sah nur den stahlgrauen Boden und die nassen, dunklen Flecken, die seine Tränen auf ihm hinterließen.
Tag der Veröffentlichung: 24.07.2014
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