Ich hustete, als ich mich an meinem eigenen Speichel verschluckte. Verflucht! Der nasse Steinboden ließ die Welt unter meinen Füßen hin und her schwanken, als würde jemand, oder etwas, nicht wollen, dass ich voran kam. Die gemütlichen Schrittgeräusche, die um die Ecke kamen, waren viel zu langsam und selbstsicher, als das es ein Mensch sein konnte.
Sebastian war schon lange aus meinem Blickfeld verschwunden. Der Korb unter meinen Armen schien mit jedem Sprung schwerer, als würden das Brot von weichem Innenleben zu Steinen mutieren. Dunkle Stadtmauern verschwammen im Augenwinkel meines Blicks, doch alles schien immer gleich zu bleiben, zwischen zwei Steinmauern gefangen, kein Ausgang, keine Gasse, die hinausführte. Einzig der Weg, die Gasse, aus der dieses Geschöpf kam.
Unruhig blickte ich nach hinten und tatsächlich, eine schwarze Gestalt glitt über den Boden, der Umhang bewegte sich nicht, trotz des starken Windes, der mir die Haare um den Kopf peitschen ließ.
Doch das war sein Fehler. Ich wurde langsamer und drehte mich einmal halb im Kreis und sah mich nach dem Himmel um. Ein halbvoller Mond stand am Himmel, umgeben von vielen leuchtenden, goldenen Punkten. Die Wolken standen, bewegungslos. "Sebastian!", rief ich so laut ich konnte und ließ den Korb fallen. Er fiel zu Boden, löste sich auf und anstatt des Korbes wanden sich Schlangen in der dunklen Asche, die das dürre Holz übrig gelassen hatte.
Es wäre zu schön gewesen.
Doch wenigstens etwas Glück schien mir hold, als ich ein zischendes Geräusch hörte und ein Knurren, kurz darauf flackerte die Realität um mich herum und die Mauern verschwammen, wie Nebel der sich rasant auflöste.
Suchend glitt mein Blick über die Dächer und die Silhouette meines Bruders tauchte auf. "Weg!", brüllte er, rutschte die Ziegel hinunter, hielt sich am Dach fest, sprang zum Balkon des Nebengebäudes und sprang von dort auf den Boden, knapp hinter mir.
Nun, da sich die Illusion aufgelöst hatte, starrte mir ein Mann, groß, jung, doch mit weißen Haaren entgegen. Seine Augen waren leer, von einem dunklen schwarz. Er hielt sein Schwert am Griff und lachte mit unerträglich schallender Stimme. "Lass mich mit ihr spielen", befahl diese Stimme. Sebastian knurrte zurück und griff nach meiner Hand, doch ich zog sie weg. "Ich bin kein kleines Mädchen!", rief ich, voller Adrenalin. Meine Hand huschte zu meiner Schulter und ich zog den Bogen hervor, mit der anderen zog ich einen Pfeil aus dem Köcher. Die silberne Spitze des Holzpfeiles schimmerte im silbenen Licht des zunehmenden Mondes.
Sebastian zuckte seine Armbrust und zielte auf den Dämon. "Sei nicht dumm", zischte er mir zu und ließ die Gestalt im Wams nicht aus den Augen. Dieser Stand da, strich sich durchs Haar und tat so, als wäre es das größte Vergnügen, uns zuzusehen. "Ihr erbärmlichen Menschen", nuschelte er nur und blinzelte einmal kurz, als wäre er eben augewacht. Er hob die Hand und noch ehe es geschehen konnte, spannte ich die Sehne meines Bogens und zielte auf das Wesen. Er lächelte, seine Augen und die Zähne schimmerten in der Dunkelheit grausig heraus. Die Haut war aschfahl, er sah aus, wie ein Wesen aus Asche und Schnee.
Gerade, als mein Finger von dem Lederband rutschte und das Zischen der durchtrennten Luft ertönte, streckte er die Hand aus, in der er sein gezogenes Schwert hielt und im nächsten Moment wurden wir geblendet, vom Licht der Flammen. Sie schlängelten sich um das dunkle Metal, in einem ungewöhnlichen Blau. Der Pfeil tat sein Bestes, seine Aufgabe zu erfüllen.
Er streifte die Hand des Dämons und hinterließ eine dunkle Brandwunde, die Haut begann an seiner Hand zu reißen und dunkle, schwarze Lederhaut trat hervor.
Sebastian packte mich am Handgelenk und zog mich zurück. Überrascht ließ ich den Bogen sinken. "Kanst du nicht einmal auf mich hören?", fauchte er und riss mich mit. Ehe ich verstand, was denn los war, blickte ich zurück und entdeckte den Diener der Hölle, sie er sich nicht nur die Kleidung, sondern auch die Haut vom Leib riss, sich Dunkle Haut und Fell zeigte. "Sebastian! Du hast gesagt sie wären tot!"
Im Dunkeln war es schwer nicht zu stolpern, immer noch beeinträchtigt von dem plötlichen Licht der Flammen. Ein gallendes Jaulen ertönte und ein Klappern. Das Schwert war zu Boden gefallen und ohne hin zu sehen, wusste ich, was passiert war. Die Masse des Wesens hatte sich verändert, die Flammen waren von dem nutzlosen Metal gewichen und beschmückten nun die Klauen des Tierähnlichen Wesens.
Die Silberspitze war mit etwas Weihwasser getränkt gewesen. Normalerweise waren nur Brandblasen zu sehen, doch hier hatte sich die Haut aufgelöst, riss, blätterte ab. Sie wich Lederhaut, diese wich Fell.
Mein Herz hämmerte in meiner Brust, ich spürte, die Sebastians Hand meine langsam verlor, er schwitzte. Meine Haut hingegen war kühl. Wir waren wie Tag und Nacht, so verschieden, doch ohne das andere konnten wir nicht existieren. Mein ganzes Blut staute sich in meinen Beinen, sie fühlten sich schwer an, doch ich konnte nicht langsamer werden. Sebastian würde langsamer machen, um mich nicht zurück zu lassen. Mir war auch klar, dass er vielleicht halb so schnell lief, wie er eigentlich konnte, nur um mich nicht zurück zu lassen.
Wir bogen in eine Ecke ein, ich lachte erleichtert auf, als ich das Tor erkannte und beschleunigte meinen Schritt, rutschte mit einem Bein über die algigen Steine und schlitterte kurz. Sebastian ließ meine Hand los, um nach meinem Handgelenk zu greifen, doch genau in dem Moment rutschte ich weg und lehnte mich kurz an die Wand. Ich wollte einen Blick nach hinten werfen.
Meine Augen suchten in der Dunkelheit nach Anzeichen des Wesens, doch nichts war zu erkennen. Nur das schwere Atmen, als wäre jemand gerannt, als würde jemand ersticken, war zu hören. Von allen Seiten hallte es.
"Kira, wir haben keine Zeit dafür!", rief er, mit hoch rotem Kopf. Das Rot war ein schrecklicher Kontrast zu seinen braunen Haaren. Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. In der Dunkelheit konnte ich keine Bewegung ausmachen. "Er kann kein Gestaltenwandler sein. Das war bestimmt nur eine Illusion! Kein Dämon kann seine Gestalt ändern. Nicht so. Nicht mit Feuer."
Ein Huschen im Dunkeln ließ mich einen Schritt zurück machen. Eine Hand an der kühlen Stadtmauer, die andere an meinem Bogen. Mein Bruder hägte sich die Armbrust über die Schulter und zog sein Schwert. Gespannt, alle Muskeln im Körper angespannt, starrten wir erwartungsvoll.
Die Stille, die uns umgab, war falsch. Sie war nicht echt. Das Hächeln war verstummt, so wie alles. Es war kein Rauschen zu hören, obwohl wir schon nah genug an der Strömung sein mussten.
Sebastian wollte wieder nach mir geifen, doch ich fauchte ihn an und zuckte zurück. "Wann rennst du vor einem Dämon davon?", fragte ich vorwurfsvoll.
"Es ist nicht die Zeit, zum Diskutieren!", knurrte er zurück und kam auf mich zu, stocksteif und mit finsterer Miene. Seufzend sah ich zurück und sah, wie etwas im Schatten aufblitzte. Reflektierende Augen. "Sebastian... es folgt uns", sagte ich leise. "Vielleicht ist es ein zweiter Dämon?"
Er nickte, obwohl ich ihm ansah, dass er mir nicht glaubte und mich nur beruhigen wollte. Sein Ziel war es, mich hier weg zu bringen. Es schien ihm ernst. Sonst war er auch sehr führsorglich, doch nicht so. "Also gut", gab ich mich widerwillig darauf ein. "Wir müssen ihn jetzt nur davon abhalten uns zu folgen."
Mein Bruder lächelte mich an, als wollte er sagen; Ja. Das habe ich dir beigebracht, falls du dich erinnerst. Daran erinnere ich dich und nicht andersherum.
Sein sanftes Lächeln spiegelte sich in meinem Gesicht. Wie ein Spiegel und ich wusste, er sah in mir sich selbst, wie er früher war. Ich schloss einen Moment die Augen und wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht. "Warum greift er uns nicht an?", fragte ich dann leise und blickte in die Dunkelheit. Die langen Schatten reichten bis zu dem Fleck, an dem wir beide standen, doch sie waren zu weit weg, als das man die dunkle Energie hätte spüren können. Dennoch war es so sicher, dass da etwas lauerte, wie dass wir beide ein schlagendes Herz besaßen.
"Es will uns folgen", meinte er tonlos. Und mir war nicht entgagen, wie er von 'Er' zu 'Es' gewechselt war. Konnte dieser Dämon wirklich ein Gestaltenwandler sein? Eigentlich waren sie vor vielen Jahren ausgerottet worden. Die letzte große Schlacht, in der die letzten Kämpfer der Menschen ihr Leben verloren, um gegen die Verdammten zu kämpfen. Ihre Körper mögen auf dieser Erde verwest sein, doch ihre Seelen haben sie gerettet.
"Das werden wir verhindern", murmelte ich, noch immer die geistige Vorstellung eines Schlachtfeldes im Kopf. Ich zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte meinen Finger an die Spitze. Gerade, als die Kante die Haut anritzte, hielt er meinen Arm fest. "Sie werden es riechen können", sagte er leise. "Gestaltenwandler sind anders als normale Dämonen."
Eigensinnig schüttelte ich ihn ab und ließ sie Spitze an meinem Zeigefinger leicht hinabgleiten, bis ein Tropfen Blut hervorquoll. Mit schnellen Bewegungen zeichnete ich ein Pentagram an die Mauer, mit dem Stück Kohle, dass ich immer bei mir trug und blickte zu dem Wesen und lächelte es an, glaubte es anzulächeln. Dann stieß ich den Pfeil in die Mitte der Zeichnung und rannte los, gemeinsam mit Sebastian. "Er wird uns gehört haben. Er weiß, dass wir ihn austricksen wollen. Wenn er so gerissen ist, findet er einen Weg."
Mit finsterer Miene nahm er meine Hand und wir liefen aus dem Tor, Richtung Wald.
"Renne, wenn du schnell genug bist", fing er an.
Meine Aufmerksamkeit richtete sich noch einmal nach hinten. Das Pentagramm hatte sich in die Mauer gebrannt und glühte noch. Die reflektierenden Augen, folgten uns jedoch weiterhin. Ich atmete überrascht auf und wollte Sebatian darauf aufmerksam machen, doch da Sprang es schon aus der Dunkelheit.
Es war doch tatsächlich nichts weiter als eine Katze !
"Versteck dich, wenn nicht."
Das Holztor wurde hinter uns geschlossen. Das Geräusch ließ meine Schultern herabsacken. Ausgelassen streckte ich die Arme empor und gähnte. Daikin zeichnete das Pentagramm auf die Pforten und winkte meinem Bruder und mir mit grimmiger Miene zu. "Habt ihr was entdeckt?", fragte er, obwohl er es mit Sicherheit in unseren Gesichtern lesen konnte.
"Wir haben Nahrung gefunden", fing ich an, sah bedrückt weg, als Sebastian mich am Arm berürte. "Es war eine Falle", beendete Sebastian meinen Satz. Er klang, als wolle er mich verteidigen, doch der schlecht gelaunte Ausdruck von Daikin wurde besser, als schlechter. "Ihr habt es versucht."
Es klang, als würde er es verstehen.
Dankbar lächelte ich sanft und blickte mich um. In den Häusern ging das Licht an, gerade als die ersten Sonnenstrahlen über den Hügel kam. Die Sonnenstrahlen glitten durch die Luft, ließen die Insekten und Staubpartikel glühen und glitzern.
"Vor Sonnenaufgang", bemerkte ich leise und sah die beiden Jungen an, als wolle ich sagen, dass es wenigstens etwas gab, was wir nicht vermasselt hatten. Mit sorgevoller Miene betrachtete ich die Klamotten meines Bruders. "Du siehst aus, als hättest du eine Schlägerei hinter dir. Hattest du etwa einen Kampf, ohne mich?"
Als hätte er es total vergessen, sah er zu Boden, peinlich berührt. Er scharrte mit den Füßen über den Boden. "Du erinnerst dich an das Mädchen, welches ich in der Stadt gesehen habe?", wollte er wissen. Seine Stimme war viel zu hoch, als dass ich mir keine Sorgen hätte machen können.
Etwas misstrauisch nickte ich. "Als wir uns getrennt haben, um nach Essen zu suchen, habe ich sie wieder gesehen. Ich wollte mich anschleichen, sie erschrecken. Doch sie lief fort und ich folgte ihr. Und wo sie hinlief, dahin konnte ich ihr nicht folgen."
"Succubus", fiel ich ihm ins Wort und sah ihn mit einem mitleidenem Lächeln und hochgezogenen Augenbrauen an. Er sah mich entschuldigend an und ich begann zu lachen. Daikin klopfte ihm auf die Schulter und grinste nur. Daikin war circa einen ganzen Kopf größer als Sebastian, doch seine Gesichtszüge waren so weich, so lieb. Das genaue Gegenteil von meinem Bruder. Außer er sah mich an. Dann waren ihre Mimiken ähnlich lieblich.
Auch das Haar wirkte verschieden. In der langsam aufgehenden Sonne glitzerten ihre Haarschöpfe in dunklem Braun und hellem Rot. "Du wirst aber nicht versuchen, sie zu retten, oder?", wollte ich noch wissen, bevor ich mir einen Moment in meinen Träumen gönnen würde.
"Das würde ich aber gerne", antwortete er leise. Er klang schuldbewusst.
"Ich verstehe das", gab ich auch nicht all zu selbstsicher zurück.
"Das tust du nicht. Sie sieht aus wie du."
Ich sah auf und suchte seinen Blick, doch er sah noch immer zu Boden. "Das ist kein Mädchen", sagte ich tonlos. "Sie ist kein Mensch. Und sie ist nich Ich."
Erschöpft lehnte ich mich an den Baum. Sebastian hatte sich hingelegt, um zu schlafen, doch ich konnte nicht. Von dem Gestaltenwandler hatten wir beide noch nichts gesagt. Das würden wir wohl heute Abend ansprechen, sobald die Ratsmitglieder wieder da waren.
"Ihr wart lange weg."
Mit einem dumpfen Geräusch ließ sich Falkner neben mich fallen. "Warum weißt du immer, wo ich hingehe?", fragte ich und wich seiner Anspielung aus.
Er lächelte mich an und streckte eine Hand nach mir aus. Etwas unbeholfen wich ich aus. "Ich kenne dich, seit du ein kleines Kind warst", antwortete er, doch seine Stimme war bereits verstellt. Er versuchte, das Missfallen meines Verhaltens nicht zu zeigen, doch ich kannnte ihn eben auch schon mein Leben lang.
In unserer Zeit wurde erwartet, dass wir unsere Rasse nicht aussterben lassen. Sobald mein achtzehnter Geburtstag kam, würden wir heiraten. Jetzt waren wir nur verlobt. Das einzige, was an dieser Sache wirklich gut war, waren die Regeln, dass vor der Ehe kein Sex statt zu finden hat.
"Wir haben etwas gesehen", murmelte ich, um von diesen Gedanken weg zu kommen. Das dunkle Glitzern in seinen grünen Augen ließ nach. Er setzte sich auf die dunkle Erde und klopfte neben sich. Ich folgte seiner Einladung und setzte mich.
Die Sonne war inzwischen weiter empor geklättert, doch sie war noch so jung an diesem Tag, dass es noch immer den goldenen Schimmer hatte. Er berührte meine Schulter und ich sah zu ihm. "Ich glaube, es war ein Gestaltenwandler. Aber kein normaler. Er beherrschte die Elementmagie, selbst als er sich in ein Tier verwandelte."
Mit jedem Wort wurde meine Stimme leiser, ich fand selbst, dass ich mich verrückt anhörte. Doch was sollte ich tun? Irgendjemandem musste ich es doch erzählen!
Er blinzelte. Streckte eine Hand nach meinem Kopf aus und berührte ihn leicht. "Bist du verletzt?", fragte er, als hätte ich eben nichts gesagt. Wütend schüttelte ich den Kopf und schob seine Hand weg. "Nein."
"Hast du den Nachmittag geschlafen, bevor ihr gestern Abend los gegangen seid?"
"Nein", sagte ich wieder, dieses mal lauter.
Er seufzte und sah mich an, als wäre ich ein armes, krankes Mädchen. "Ich werde später mit Sebastian reden", meinte er und erklärte damit das Thema für abgeschlossen. Ein brennendes Gefühl stieg in meinem Brustkorb an. Unschlüssig, was ich tun sollte, stand ich auf und blickte auf ihn runter. "Wenn du weiter so mit mir umgehst, als wäre ich ein kleines dummes Mädchen, werde ich mir jemand anderen suchen."
Mit völlig ernster Miene zog ich den silbernen Ring mit dem Smaragdstein von meinem Finger und ließ ihn vor Falkner zu Boden fallen. Dann drehte ich mich um und ging. Er blieb sitzen, das Gesicht rot vor Wut. Das war typisch für ihn. Und genau das machte mich verrückt.
Als ich den Vorhang hinter mir zuzog und so unser kleines Zimmer von den anderen abtrennte, zuckte Sebastian zusammen und blickte zu mir herüber. "Du schläfst nicht", stellte ich fest und ließ mich auf mein Feldbett sinken.
Er verdrehte die Augen und setzte sich auf. "Du ja auch nicht."
Seine grauen Augen wirkten trüb und seine braunen Haare standen in alle Richtungen ab. "Du denkst nach." Sein Gesichtsausdruck verlor alles, was unecht war und er verzog es sorgenvoll. "Kira, was wir gesehen haben, kann nicht real sein."
Mürrisch schloss ich die Augen und ließ alles noch einmal in meinem Kopf geschehen. "Ich weiß. Aber wenn es eine Illusion gewesen wäre, hätte spätestens das Pentagram allen Zauber nehmen müssen. Wir wüssten, wenn es ein Trugbild wäre."
Mein Bruder brachte ein Geräusch hervor, welches Zustimmung ausdrücken sollte, doch es klang wehmütig.
"Du denkst auch an das Mädchen, oder?"
"Du sagtest doch, es ist kein Mädchen?"
"Ist sie dir so wichtig?", verlangte ich zu wissen, mit einem leicht unterdrückten Unterton. Sebastian sorgte sich um niemanden. Nur um mich.
"Du bist es", platzte er heraus. "Und, ich habe das Gefühl, wenn ich sie rette, kann ich auch dich retten."
Schuldbewusst sah ich zum Vorhang. Gestalten wanderten durch den großen Raum, redeten laut. Sie waren die Menschen, wie am Tag lebten. Wir waren die Nacht Patrouille. Wir lebten abseits all dieser Leute. Das war von Anfang an so.
Müde, ohne eine Antwort zu geben, legte ich mich auf das Feldbett. Meine Augen fielen zu und ich träumte, noch ehe ich eingeschlafen war.
Alles, woran ich mich erinneren kann ist, dass Sebastian damals mit mir auf dem Arm an diese Pforten geklopft hatte. Und dort, wo heute Daikin steht, stand damals sein Vater.
Sebastian war gerade alt genug, um mich zu tragen. Er war damals verdreckt gewesen, so klein und verweint. Er hatte geschrien, an meiner Stelle. Daikin hatte eines Abends erzählt, wie sein Vater Morgends nach seiner Schicht nachhause gekommen war, kreidebleich. Er hatte erzählt, sein Vater hätte gezittert und zu Gott gebetet. Es wäre zwei kleine Kinder zum Tor gekommen. Das eine nicht alt genug, um alleine zu laufen. Dreckig und nur mit Lumpen bedeckt. Der größere ausgehungert und schmächtig, als würde er jeden Moment in sich zusammen fallen.
Und seit diesem Tag, seit Siebzehn Jahren, lebten mein Bruder und ich in dieser Kolonie. Viele in der Stadt nannten sie eine Sekte. Und zugegeben, die Menschen in unserer Unterkunft waren sehr Gottesfürchtig. Sie lehrten uns, an Gott zu glauben und wie wir mit Gottes Hilfe Dämonen bändigen konnten. Mit Pentagrammen, einem Tropfen Blut, welches wir Gott opferten. Es fiel uns beiden schwer, daran zu glauben, dass Gott uns schützte. Doch die Formeln funktionierten.
Was jedoch die ältere Generation nicht wusste und niemals erfahren sollte war, dass mein Bruder sich an etwas erinnerte, an was er sich nicht erinnern sollte. Und diese Erinnerung prägte ihn jeden Tag. Mit sieben Jahren nahm er mich und andere Kinder mit zum Spielen. Die Menschen in der Kolonie missachteten uns nicht direkt, doch man merkte ihnen ihren Missmut an. Dennoch ließen sie ihre Kinder mit uns spielen. Und so lockte mein Bruder uns hinaus und brachte uns das Kämpfen bei. Er lernte selbst, während er es un beibrachte.
Er brach Äste von Bäumen ab, hielt sie uns hin und sagte, wir sollen uns verteidigen. Und das taten wir. Niemand hinterfragte seine Anweisungen. Unter den Blicken anderer, war mein Bruder ein zurückhaltender, für sich selbst und mich sorgender junger Mann, doch für uns, diese Generation, war er der Anführer. Und das hatte sich bis heute nicht geändert.
Und aus diesem Grund, waren wir die Nachtwache. Daikin hatte immer mit uns Dienst, sodass er und alle anderen über die dämonischen Aktivitäten aufgeklärt wurden. Falkner, Mira und Sai, die Zwillinge, Daikin und wir. Die Elite, die lernte, wie man gegen Dämonen kämpfte und nicht, wie man sie mit Hilfe von magischen Formeln bannte. Daikin hatte uns einige Zauberformeln beigebracht, die er in den Büchern seines Vaters gelesen hatte.
Daikin hatte ein fotografisches Gedächtnis. Und so, wie er uns erzählte, saß er jeden Abend im Wohnzimmer und lernte Zauberformeln. Er lernte die Zeichungen, studierte die Sprache, in der die Anforderungen erfüllt werden mussten und brachte es uns bei.
Eine Hand, sanft, an meiner Wange, riss mich aus meiner Welt. Es geschah nicht selten, dass wenn ich einen Gedanken hatte, er mich immer weiter führte und ich mich im Irrgaten meiner Erinnerungen verlief.
Die Hand war warm, leicht gebräunt. Sai lächelte auf mich herab. Er hielt seine Zwillingsschwester an der Hand, wie er es so oft tat und blickte mich besorgt an. "Du warst wieder weg."
"Ich weiß", sagte ich leise. "Ich dachte gerade... an den Anfang. Von allem."
Ohne weitere Fragen zu stellen, nickte der blonde Junge und sah dabei so besorgt aus, dass er noch jünger wirkte, als er eh schon war. Mit den vielen Sommersprossen im Gesicht wirkte er, wie ein dreizehnjähriger Junge. Doch mit seiner Zwillingsschwester war es noch schlimmer. Sie wirkte, als wäre sie so alt wie ich. Und wenn Zwillinge äußerlich einen Unterschied von vier Jahren aufwiesen, machte es einem doch zu schaffen, diese anscheinende Gleichheit zu akzeptieren.
"Wo ist Sebastian?"; fragte ich, als ich entdeckte, dass sein Feldbett leer war.
"Komm mit", forderte Mira mich auf. Sie nahm meine Hand und zog mich hoch. Wir liefen durch den großen Saal und sahen all die Menschen. Viele nickten den Zwillingen zu, während sie mir ein etwas misstrauisches Lächeln zuwarfen. Nachtwächter und normale Gläubige, wie sie hier vertreten waren, verstanden sich nicht so gut.
Als wir endlich hinaus waren, führten sie mich direkt in die Richtung des Ausgangs. Das Pentagram auf dem Eingangstor war wiedereinmal gebrochen worden. Wer war denn mitten am Tag hinaus gegangen? Oder hinein?
Daikin öffnete das Tor, dieses Mal musste nicht einmal ein Siegel gebrochen werden. Wir gingen hinaus, selbst Daikin folgte uns und schloss hinter uns die Pforten. "Sie hohlen die Dämonen", stieß Falkner heraus.
Ich zog die Augenbrauen zusammen. Falkner fuchtelte mit blutender Hand vor Sebastians Gesicht herum. "Du hast dich her teleportiert?", stieß ich hervor. Die Schnittwunde an seiner Handfläche blutete noch, tropfte so langsam, dass die Haut schon wieder zu heilen schien. Und in dem Moment, als sich Sebastian zu mir drehte, entdeckte ich, dass auch seine Hand so seltsam blutete.
"Was habt ihr angestellt?", knurrte ich aufgebracht.
"Der Gestaltenwandler", antwortete Sebastian mit gebrochener Stimme. "Er hat die Ältesten getötet."
Ich ließ mich leicht nach hinten fallen, meine Knie sackten ein. "Nein. Das geht nicht", hauchte ich und starrte sie an. "Sie kommen her?", fragte ich und meine Augen verdunkelten sich vor Wut. "Und ihr Idioten teleportiert euch hier her?", wollte ich wissen.
"Sie werden euch folgen!"
Falkner ging einen Schritt auf mich zu, seine Hänge zu Fäusten geballt. Das Blut quoll hervor, als er einen Schirtt auf mich zu machte. Sebastian schlug ihm eine Hand auf die Schulter um ihn festzuhalten, doch ich ging den übrig geblieben Schritt zwischen uns und packte den großen Jungen am Kragen. "Tu nicht so großkotzig!", fauchte ich ihn an und es gelang mir nicht, die Stimme ruhig zu halten.
"Natürlich wissen sie, wo sich unser Lager befindet. Aber durch eurer Pentagramm werden sie in vielleicht diesem Augenblick schon mit schwarzer Magie versuchen, euch zu folgen. Und dann, haben wir überhaupt keine Zeit mehr!"
Sebatian fing meinen Blick auf, ich spürte seine schlechte Laune, fast wie eine dunkle Aura. Seine Augen wirkten, wie eine stürmische Nacht. Negative Energie schien in dem dunklen Grau aufzublitzen. "Sie haben uns gesehen. Wenn wir uns hier mit dem Pentagramm hierher befördert hätten, wären wir da nicht heraus gekommen."
Meine Hände lockerten sich und ich stieß Falkner von mir. Wütend drehte ich mich um. "Wir müssen alle raus hohlen", meinte ich mit belegter Stimme.
Mira versperrte mir den Weg. "Wir haben keine Zeit", antwortete Sai und stellte sich neben seine Schwester. "Einer geht rein und sagt Bescheid. Die anderen packen ihre Sachen und wir treffen uns hier, in spätestens zehn Minuten. Wer nicht da ist, wird zurück gelassen."
In meinem Hals bildete sich ein Kloß. "Sebastian, bitte pack unsere Sachen", sagte ich tonlos. "Ich sage allen, was los ist."
Falkner schüttelte energisch den Kopf. "Sie werden dir nicht zuhören!", knurrte er aufgebracht, packte mich am Handgelenk und riss mich mit. Er öffnete das Tör und ich blickte zurück, die vier zurück geblieben stritten sich bereits und liefen schon rein.
"Leute", rief ich und beschleunigte meinen Schritt. Niemand drehte sich auch nur nach mir um. Sie liefen wirr umher, circa 50 Menschen. "Die Dämonen kommen!", versuchte ich es, so laut ich konnte, doch niemand reagierte. Nur ein junger Mann kam zu uns, sah Falkner an und schüttelte den Kopf. "Lass sie nicht so rumschreien."
Das Blut kochte unter meiner Haut. Falkner packte ihn. "Tairu. Ruf alle, die dir was bedeuten zusammen. Wir werden demnächst angegriffen. Die Ältesten sind tot."
Auf einmal trat ein ungläubiger Ausdruck in das Gesicht des Mannes. Falkner setzte zu einer Erklärung an, doch Tairu, wie er offenbar hieß, lief schon davon. Ich lebte mein Leben hier, kannte aber nur wenige Leute. Das erklärte doch, wie mein Standpunkt in dieser Kolonie war.
Aufeinmal erklang eine Sirene. Ich hatte sie zuvor noch nie gehört, nicht bewusst. Dennoch, irgendetwas an diesem Geräusch ließ mich in die Knie gehen. Falkner rief irgendwas, doch in meinen Ohren herschte nur ein Kreischen. Unbewusst riss mich dieses Geräusch mit und mein Mund öffnete sich.
Um mich herum brach die Hölle aus. Die Menschen liefen auf einmal panisch umher. Wie betäubt schlug ich mir die Hände auf die Ohren und riss den Blick suchend herum, doch es waren noch keien Dämonen da. Weder spürte, noch sah ich sie.
Mira kam in mein Blickfeld und sie rannte auf mich zu, versuchte mit wilden Bewegungen etwas zu sagen, doch ich war viel zu verwirrt. Noch dazu kam, dass diese Sirene mein Gehirn anzugreifen schien. Eine Hand packte mich von hinten, ich riss den Kopf herum, versuchte Sebastian anzulächeln, doch da stand nicht Sebastian. Daikin hatte mich unter den Achseln gepackt und hielt mit den Mund zu.
Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass ich geschrien hatte. Mira rannte weiter auf uns zu, doch die wild umherlaufenden Menschen versperrten ihr den Weg. Und da explodierte die erste Flamme. Das Lagerhaus, indem Waffen und Nahrung gelagert wurde, ging in blauen, dunklen, verschlingenden Flammen auf.
Mir wurde schwindelig und ich kämpfte mich aus Daikins Armen. Ich packte ihn stattdessen und riss ihn hinter mir her, zum Tör. Das Pentagramm brannte. Etwas wartete da darußen. Doch es gab keinen anderen Ausweg. Die Sirene wurde immer lauter und mein Kopf schwoll immer mehr an, ich fühlte mich, als würde ich unter schrecklichem Druck stehen und würde gleich explodieren.
Mein Blick glitt zurück und Daikin starrte nach hinten. Ich konnte seine Augen nicht sehen, nur seine Wangen. Sie waren feucht. Entrüstet, darüber, Daikin weinen zu sehen, versuchte ich stehen zu bleiben, doch es ging nicht. Meine Beine bewegten mich weiter.
Hinter uns brannte das Lagerhaus nieder, in einer unheimlichen Geschwindigkeit. Die dunkelblauen Flammen schlugen um sich, die Menschen rannten in das große Gebäude, um ihre Freunde, ihr Leben zu retten, doch etwas in meinem Bauch sagte mir, dass es nichts bringen würde. Sie sollten sich selbst retten. Sonst würden sie alle sterben.
Meine Hand lag auf dem Holz, es fühlte sich heiß an und das Pentagramm brannte in roter Flamme, es nährte sich an dem geweihten Holz. "Kira!", schrie jemand und es war das einzige, was ich hörte. Das einzige, was klar in meinen Gedanken aufblitzte. Voller Adrenalien riss ich den Kopf herum und sah Sebastian. Er stand auf der Stadtmauer, hielt ein Seil in der Hand. Er warf es mir zu, versuchte es jedenfalls. Es landete kurz vor mir. Daikin war noch immer wie paralysiert und starrte auf das Lager. Die Menschen drängten sich alle in das Haus, was ich absolut nicht verstand. Ja, ihre Jesus Statue stand darin und dort waren all ihre persöhnlichen Sachen, doch sollten sie nicht eigentlich eine Mauer einreißen und flüchten?
Am liebsten hätte ich Daikin losgelassen, doch er hielt mich ebensofest, wie ich ihn. "Wir müssen los", sagte ich leise, hörte mich selbst nicht sprechen, spürte nur, wie mein Mund sich bewegte und meine Stimmbänder sich an und wieder entspannten.
Ein abgehacktes Nicken kam als Antwort und er ließ sich ohne Widerstand mitziehen. Ich schlang die Arme um ihn und hielt mich fest an dem Seil. Daikin war nicht umfangreich, doch mit breiten Schultern und stark gebaut. Meine Arme Passten gerade so um ihn herum. "Jetzt", rief ich und Sebastian hielt sich fest, ließ sich nach hinten gleiten und zog uns so hoch, das erste Stück mit einem schrecklichen Ruck und da merkte Daikin zum ersten Mal, was geschah und hielt sich fest.
Als wir an dem Zwischenteil der Bauer angekommen waren, blieben wir einen Moment oben stehen. Die Fläche, die ein kleines Dorf umfasste, war nicht mehr grün und voller Bäume, Fälder außenherum waren verdorrt, die verbrannten Blätter waren zu Boden gefallen, Asche verdeckte den Boden und das Leben, welches dort mit so viel Blut und Schmerz aufgebaut worden war. Das Feuer verschlang inzwischen alles Leben. Die Bäume brannten nieder, waren nur noch Fackeln. Die Sonnenstrahlen, die letzten, wurden verschlungen vom Ascheregen.
"Kommt doch raus", sagte ich leise, doch die Menschen drängten sich nicht von dem Haus weg, sondern alle hinein. Mein Blick huschte gerade noch zu den geweihten Toren der Stadt. Sie gingen ebenso in Flammen auf, wie das Lagerhaus zuvor. Es brannte, in dunklen, schwarzen Flammen und zerfiel in weiße Asche. Eine große Pranke überschritt die Grenze und das schreckliche Geräusch ließ nach. Einen Moment herrschte erschreckende Stille und nichts war zu hören. Dann begann es von neuem, nur mit einem neuen, schrecklichen Tosen.
Sie schrien und weinten. Ein Brüllen ertönte und das Wesen, welches Sebastian und ich in der Stadt gesehen hatten, stand da, mit dem Pranken in der Asche. Das Fell hatte dieselbe Farbe, wie die Asche, in der das Teufelswesen stand.
Und dann brachen sie herein. Dunkle Wesen, die Gestalten von Tieren, von Menschen, alle hatten sie ihre Schwerter, ihre Magie. Die dunlke Magie, die das Feuer brennen und die Menschen schreien ließ. "Mira", sagte Sai leise, als ich ich hinter mich, auf den Boden blickte. "Wir müssen Mira finden."
Falkner war auch nicht da, doch das war im Moment Nebensache. Er würde sich am ehesten selbst den Arsch retten. Sebastian gab mir ein Zeichen und ich sprang mit Daikin von der Zwischenstelle auf den Boden. In dem Moment, als unsere Füße den Boden berührten, verschlangen die Flammen die Mauer und brannten sie an, das dunkle Feuer, als wäre es das Nichts und verzehrt alles, was es berührt.
Sai packte Sebastian an der Schulter. "Sebastian!"; schrie er und seine Stimme brach. Sebastian legte ihm ebenfalls eine Hand an die Schultern und sah ihn an. "Es ist zu spät", ein gehauchter Satz. Sebastian blickte dunkel, wütend und angespannt drein. Sai verlor sich und verdrehte die Augen. Sebastian fing ihn auf, hielt ihn.
Ich zog Daikin auf meine Schultern. In seinen Augen blitzen schon die Worte des Widerwillens auf, doch ich schüttelte den Kopf. Dafür hatten wir keine Zeit. Mit seinem Seufzen nickte er. "Wir müssen gehen."
Es dauerte nicht lang, bis die Mauern der Stadt in Sichtweite kamen. Sebastian und ich hatten Sai und Daikin getragen. Die Kälte, die von diesem Ort ausging, ließ meinen Atem gefrieren. Es war anders, in dieses verdammte Labyrinth zu gehen, wenn man wusste, dass es kein Zurück gab.
Die Menschen in dieser Stadt lebten entweder wie Tiere, oder ließen sonst was mit sich machen, um zu überleben. Diener. Nahrung. Und sonstige Triebe. Ich bekam Gänsehaut und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Wir würden keine Dämonen mehr töten können. Sie würden uns ausfindig machen und schneller töten, als das ihnen einfallen könnte, uns doch lieber zu Foltern. Und nein, dass war nicht gut.
Die Sonne verabschiedete sich gerade, mit einem Licht, was nicht alles in Gold tauchte, sondern mit einem Licht, dass alle Farben aus der Welt zog und eine graublaue Dunkelheit zurück ließ.
Als wir das Tor passierten, roch es nach Verbranntem. Allgemein Verbranntem. Sebastian und ich tauschten Blicke. Sein Gesicht war von Ruß bedeckt, dunkel. Seine Augen glimmten, erloschen, als wir die Schwelle übertraten. Sein Blick musste nicht an der Steinernden Mauer vorbeigleiten, um zu sehen, dass das Pentagramm nicht mehr da war. Ich spürte es, wie er es spürte. Die dunkle Magie, mit der wir die Dämonen gebändigt haben, wurde durch noch dunklere, verachtenswertere Magie ersetzt.
In den letzten hellen Momenten studierte ich die Häuser. Ich war so selten bei Tageslicht in dieser Stadt gewesen. Immer Nachts, immer mit Sebastian. Immer auf der Suche nach Nahrung, da wir uns selbst welche beschaffen mussten. Die Nachtwächter, wie wir uns eines Tages selbst getauft hatten, lebten Abseits aller anderer. Und ich hielt es nicht für unmöglich, dass wir inzwischen die letzten Überlebenden waren. Die Kolonie war immer ein sicherer Ort gewesen. Die Ältesten waren zwar alte Fanatiker gewesen, die es mit ihrem Beten mehr als übertrieben, doch sie hatten es geschafft, mit Weihwasser, geheiligtem Boden und der schwachen, wirklich schwachen weißen Magie, die Dämonen fern zu halten.
Nun würden wir erstmal ein Haus finden müssen. Die alte Ruine der Burg war besetzt mit allerlei Dämonen. Genauso, wie nun die ehemalige Fläche der Kolonie. Sie drangen ein, töteten alles, was lebte, außer ein paar ausgewählten, armen Wesen und verteidigten den errungenen Platz dann mit Mord und Totschlag.
Die Menschen, die in dieser Stadt lebten, waren ebenso Mordlutig und verdorben, wie die Wesen, mit denen sie den Ort hier teilten. Auf Hilfe würden wir nicht hoffen können.
Wir liefen, schleppten uns voran, in dem schmalen Weg, an dem wir die letztere Nacht gekämpft, oder besser gesagt, geflohen waren. Die Gasse führten am Rand der Stadt entlang, führte uns zu dem verlassenen Teil hinter der Burg. Sie war unangenehm nah, doch dafür umso verlassener.
Wir schafften es noch in der Dunkleheit. Die einzigen Gestalten, die uns begegneten, waren Jungs und Mädchen, die im Schatten umherhuschten und Ratten, Katzen jagten.
Mir bildete sich ein Kloß im hals, als ich an ihnen vorbeilief. Sie bewegten sich wie Raubtiere, dreckig im Gesicht, dünn, doch start. Sebastian nahm meine Hand, ohne hinzusehen und zog mich schneller. Nun waren die letzten Sonnenstrahlen hinter den Bergen verschwunden und die kühle Luft begann zu wehen.
Fröstelnd liefen wir weiter. Fanden ein Haus. Eine Ruine von Haus. Und dort gingen wir hinein. Es war ziemlich zerfallen, doch die Spuren, der einst hier lebenden Zivilisation waren noch da. Das Haus war eingerichtet, alles verstaubt, zerfressen und verfallen. Das Dach war eingestürzt, doch nur zum Teil. Die Betten waren unter Dach. Wir legten Sai und Daikin auf die Bette, suchten Brennbares, welches wir von kaputten Stühlen und alten Büchern her nutzten. Schweigend. Alles taten wir schweigend. Obwohl wir unseren Blicken gegenseitig auswichen, wussten wir, dass wir beide dasselbe fühlten und dachten.
Es war ein Gefühl, das wir bereits kannten. Wenn das eigene Lager zerstört wird und wir fliehen müssen. Wir kannten es. Doch die anderen nicht. Falkner, Mira. All die Menschen, die usner Leben begleitet hatten, wenn auch nicht immer liebevoll.
Das Gefühl, als wäre alles am Zusammenbrechen machte sich in meinem Körpf und meinem Körper breit. Sebastian schlug die Steine aneinander, in Gedanken. Dennoch schlug es beim ersten Versuch Funken. Ein verträumt-trauriges Lächeln zeichnete mein Gesicht und ich fühlte mich, als wäre ich hunderte von Jahren alt.
"Denkst du, wir sind wirklich Geschwister?", fragte er leise und brach damit die unheimliche Stille, die so vertraut geworden war, in den Momenten, in dennen wir veruschten, die Situation zu klären.
"Ich glaube schon", antwortete ich leise und sah weg.
"Wieso fragst du?"
Die Seiten, beschrieben mit Buchstaben, Worten, die Sätze bildeten, ließen das Feuer wachsen. Es ernährte sich von dem vergangenem Leben der Bäume und der einsitgen Gedanken von Menschen. Sie wuchs ungemein schnell, verfrass Seite um Seite, den Einband, bis endlich das Holzbein anfing, zu brennen.
Das Feuer breitete sich in dem Kamin aus und erhellte das Zimmer. Die Betten standen an den hinteren Ecken, doch es war nich so kalt, dass wir die beiden hätten wecken und wärmen müssen.
"Deine Haare", sagte Sebastian leise. "Sie haben die Farbe von frischer Glut. Deine Augen leuchten in einem hellen Grün. Wir sind so unterschiedlich, unterschiedlicher ginge es kaum."
Ich sah wieder zu ihm und sah den nachdenklichen Ausdruck in seinem Gesicht. Auch ich hatte schon oft darüber nachgedacht, doch egal, ob wir nun dasselbe Blut hatten, er war mein Bruder. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Ohne ihn würd ich nicht hier sein wollen.
"Es geht nicht ums Aussehen!", sagte ich leise, aber mit Nachdruck. Seine Augen wurden saft und er lehnte sich an die Mauer. Die Natur war noch nicht ins Innere des Hauses vorgedrungen, sie hielt sich Außen, aber dort nicht zu dezent.
Er nickte langsam und sah wieder ins Feuer. "Du solltest schlafen", meinte er mit rauer Stimme. "Du auch", entgegnete ich und ließ den Kopf in den Nacken fallen, gähnte.
"Einer sollte wach bleiben", entgegnete mein Bruder und sah mich mit einem Blick an, der keine Widerrede duldetete. Ich verdrehte müde die Augen und legte mich hin, spürte, wie sich mein angespannter Körper entspannte, wie sich die Wirbel auseinanderzocken und so ziemlich jeder Knoche knackte, der knacken konnte. Ein angespanntes Seufzen wurde zu einem entlastetem. "Schlaf gut", hauchte er und ich spürte seinen Arm, klammerte mich an ihn und gähnte ein letztes mal. Das war das letzte, was ich wahrnahm.
Erschöpft öffnete ich die Augen. Der harte Boden ließ mich den Mund verziehen, als ich versuchte, mich aufzurichten. War ich etwa im Schlaf vom Feldbett gefallen?
Etwas entgeistert seufzte ich, setzte mich hin und rieb mir die Augen. Der Raum war dunkel, nur leichte, sich bewegende Schatten ließen darauf schließen, dass irgendwo eine schwache Lichtquelle war. Das brennende Holz im Kamin war fast erloschen, glimmte nur noch schwach. Dafür waren Kerzen angezündet worden, überall in dem Zimmer.
"Oh", entkam es meinem Mund, höchst unschlüssig. Sofort stand ich auf, schwankte leicht, da ich zu schnell aufgestanden war und sah mich nach Sai und Daikin um. Beide waren weg. Sebastian auch. "Diese Idioten haben mich wirklich allein gelassen, während ich schlafe?", fragte ich leise und grummelig. Etwas unbeholfen strich ich mir die Schulterlangen Locken hinter die Ohren.
"Ich bin kein Idiot", erklang plötzlich eine Stimme. Ein sanftes Lächeln erschien sofort auf meinem Gesicht, als ich mich zum Eingang umdrehte. "Daikin. Wo sind die anderen beiden?"
Er lächelte ebenfalls. Mein Blick glitt über seine Kleidung. Diese war neu. Das weiße Hemd war neu. Es war nicht voller Asche, wie das von Gestern. Es war recht sauber. Die schwarze Hose ebenfalls. "Wo hast du die her?", wollte ich wissen und zog die Augenbrauen zusammen.
"Komm", antwortete er nur und streckte eine Hand nach mir aus. Sie war stark, leicht gebräunt. Nickend ließ ich ihn meine nehmen und wir gingen hinaus.
Als seine Hand meine berührte, entspannte ich mich und das Misstrauen ließ nach. Ich atmete tief durch und ließ mich nach führen. Er öffnete die Tür. Hatten sie die Tür repariert? Das Zimmer war so warm und ordentlich. Irgendwas war komisch an der Sache.
Nachdem Daikin die Tür hinter uns geschlossen hatte, standen wir im Sonnenlicht. Die Burg reflektierte das Licht, als wären die Steine, aus denen sie erbaut war, aus Glas. Rein und unbeleckt.
"Daikin", sagte ich leise. Mit strengem Blick sah ich ihn an, auf unsere Hände. "Das ist nicht richtig."
Er schüttelte nur den Kopf. "Lass es dir einen einzigen Tag gut gehen", bat er. Seine Stimme klang verzeifelt. "Du hast das wirklich getan, oder?", fragte ich und mir saß plötlich ein Kloß im Hals. Er sag weg, die Wangen rot. Vor Scham, Wut oder Trauer vermochte ich nicht zu sagen.
"Wo ist es?", wollte ich wissen, mit starrem Gesicht nun. Die Sonne strahlte auf uns herab, durch klare Luft, brannte leicht auf der Haut. Der Wind wehte, Vögel sangen. Es waren zu viele Details.
Er schluckte schwer, drehte sich halb um und zog das T-Shirt nach oben. Als ich das Mal erblickte, stolperte ich zurück und hustete. Ein Dunkelrotes, beinahe schwarzes Pentagram war auf seinem Rücken. Von Schulterblatt zu Schulterblatt bis zur Hüfte. "Wie lange haben wir?", fragte ich widerwillig.
"Einen ganzen Tag", gab er zurück, mit leiser Stimme. Ich kannte diese Tonlage, doch ich vermied es, mich daran zu erinnern. Die Erinnerung klopfte an mein Bewusstsein, doch ich wollte nicht. "Ich weiß, dass du es so oder so nicht zurück nehmen kannst", fauchte ich leise, verdrehte die Augen und nahm wieder seine Hand, zog sein T-Shirt zurecht.
"Warum hast du das gemacht?", fragte ich und überlegte, was mein Körper gerade in der Realität tat. "Ich wollte eine Auszeit", gab er zurück.
"Aber warum hast du mich mitgenommen?", wollte ich wissen. "Das macht den Zauber viel schwerliegender."
Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde ebenso traurig, wie fröhlich. Es wirkte wie eine schreckliche Grimasse. "Es sollte keine Auszeit für mich sein. Sondern für dich."
Nun waren es meine Wangen, die den Farbton von Mohnblumen annahmen. "Das war nicht nötig!", erwiderte ich, versuchte meine stimme streng klingen zu lassen. Er lachte und verdrehte die Augen, äffte mir nach. Empört kicherte ich los und schlug ihm mit der Faust auf den Arm. "Lass das gefälligst!"
Lächelnd rieb er sich den Arm. "Das hat wehgetan."
"Das sollte es auch."
Nachdem wir noch einen Moment gelacht hatten, liefen wir los. Die Stadt war tatsächlich gläsern, die Steine spiegelten das Licht, brachen es, ließ die Farben der Sonne auf dem Boden und in der Luft spiegeln. Es war wie in einem Märchenwald. Alles grün, bunt und friedlich. In der Stadt liefen so viele Menschen herum, sie hatten saubere Sachen an, lachten, liefen durch die Gegend. Und doch, jeder war immer von uns entfernt. Wenn wir in ihre Richtung liefen, schien es, als würden sie zufällig vor uns wegzulaufen.
Daikin war so etwas wie mein bester Freund. Er hatte als erstes von Sebastian und mir erfahren, von seinem Vater. Er war damals nicht viel älter als Sebastian und war sofort zu uns gekommen, neugierig, hatte sich zu uns geschlichen. Sebastian hatte mir erzählt, wie er sich damals um mich gesorgt hatte. Wie Daikin mich immer bewachen und beschützen wollte.
Seine schwarzen Haare, gepaart mit den grünen Augen waren eine Besonderheit. Ich hatte das bei keinem anderen Menschen gesehen. Gut, ich kannte nicht wirklich viele, dennoch wirkte es außergewöhnlich. "In einer Illusion hat man für so viel Zeit", meinte ich leise, blickte zur Seite und ließ meine Fingerspitzen über die rauen Glassteine gleiten.
"Ich weiß, was du meinst", entgegnete er leise, mit einem interessanten Unterton. Mein Blick glitt auf den Boden, zum Himmel und schließlich in sein Gesicht. "Das ist nicht das erste Mal, dass du das tust, oder?", wollte ich leise wissen.
Er hielt meinem Blick stand, was mich wunderte und biss die Zähne zusammen und schüttelte nur den Kopf. Daikin hatte am meisten drauf, von uns allen. Mit seinem Gedächnit wird er so ziemlich jeden Spruch kennen.
Auf einmal blieb ich stehen. "Das ist ja schrecklich", rautne ich und blickte ihn an, mit einem schrecklich besorgten Blick. "Du erinnerst dich an alles."
"Lass das", meinte er gelassen. Seine Körperhaltung spannte sich jededoch an. "Kannst du es nicht abschlaten?"
Mit einer verneinenden Kopfbewegung stockte mir der Atem. Etwas bedrückt ließ ich das Thema bleiben. "Kennst du diesen Ort?", fragte ich, um auf ein anderes Thema anzusprechen. Wir begannen wieder zu schlendern und das Kinderlachen, welches in diesem Moment eben asugesetzt hatte, begann wieder.
"Natürlich", erwiderte der Junge und lächelte. Es wirkte etwas künstlich, doch ich hielt den Mund. "Es ist immerhin meiner Fantasie entsprungen. Die Illusion hält sich in Maßen an die Realität, nur ist es mir hier erlaubt auch einige Sachen zu erfinden."
Auf einmal sanken die Gläsernen Mauern um uns herum, sanken in den Boden, verwirrten nicht länger den Blick. Der seinernde Boden unter meinen Füßen wurde weicher, grün. Meine alten Schuhe verschwanden, lösten sich in Rauch auf. Mein Hemd und das Korsett lösten sich auf, verschwammen ineinander und wurden zu einem dunklen Kleid.
"Das ist gruselig", antwortete ich, hingerissen zwischen schockiert und amüsiert. Er veränderte alles in dieser Realität. Ob er das auch mit meinem Kopf anstellen konnte? Der Gedanke bescherrte mir Unbehangen, doch es verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war. Wenn er meine Gedanken manipulieren könnte, würde ich das gar nicht denken.
Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen, als Daikin schweigend meine sich verändernde Gesichtszüge beobachtete.
Meine Wangen verfärbten sich und ich verdrehte die Augen, konnte meine Mundwinkel aber nicht unten halten. Mit einer einfachen Bewegung strich er mir über die Wange und bedeutete mir dann, mich zu stetzen. Nickend, etwas peinlich berührt, ließ ich mich auf den Boden nieder und wagte den Blick einmal rund herum. Die Stadt war viele Meter Weg, spiegelte sich in der Sonne. Wir saßen auf einer Wiese, die umgeben, aber nicht bedeckt von Bäumen war. Die Sonne kiltzelte meine Haut, der Wind spielte mit meinen Haaren.
Die Luft roch frisch, kühlte meine warme Haut.
"Daikin?"
"Ja Kira?"
"Es ist viel zu schön", meinte ich leise, schloss die Augen und seufzte. "Das ist nicht das, was wirklich ist."
Ich spürte den leichten Luftzug und blinzelte. Daikins Gesicht war vor meinem, verdeckte mein Gesicht vor den Sonnenstrahlen. Er sah ernst, gar etwas traurig aus.
"Das ist das gute daran", antwortete er mit rauer Stimme. Seine Hand umfing mein Kinn, er zog mein Gesicht zu seinem und drückte mir einen Kuss auf den Mund. Einen Moment erstarrte ich, reagierte jedoch dann und stieß ihn von mir.
"Daikin!", stieß ich hervor, rappelte mich auf und sah ihn mit glühend roten Wangen an, verzog das Gesicht zu einer entgeisterten Grimasse.
Er setzte sich etwas benommen auf, sah mich an. Ihm wich alles Blut aus dem Gesicht, während sich mein Gesicht dunkelrot verfärbte. Sein Mund öffnete sich zu einem kleinen "o" und er zeigte mit dem Zeigefinger hinter mich. "Das ist nicht witzig!", knurrte ich, blickte jedoch leicht über die Schulter.
Gerade noch konnte ich meinen Kopf herunterreißen. Der Pfeil zischte an meinem Kopf vorüber, traf knapp neben Daikins Bein, auf den Boden. Es dampfte, das Gras wurde schwarz und verdorrte in einem Augenblick. Erschrocken riss ich ihn am Arm hoch, der desorientiert in der Luft herumgeschlagen hatte. Ich riss ihn hoch, drehte mich um und blickte zur Burg. Die ehemals gläserne Stadt war zur Hälfte schwarz, schmolz zu einem Stein. Die Träume, die einst die gläserne Stadt erhalten hatten verfielen und die Dunkelheit breitete sich aus.
"Was passiert hier?", rief ich und sah Daikin an.
Ich wusste nicht, ob ich sauer auf ihn sein sollte oder nicht. "Sobald ein schrecklicher Gedanke in der Illusion erscheint, zerstört sie sich selbst", meinte er tonlos und sah mich an. "Die Illusion löst sich auf."
"Was heißt das?", verlangte ich zu wissen, doch er starrte nur in die Richtung, in der all das schon in sich zusammenfiel und sich auflöste.
Meine Hände fingen an zu zittern, als ich an seinem Arm riss, aber er sich nicht bewegte. "Alles wird zusammenbrechen!", rief ich, riss und schüttelte, doch er blieb wie angewurzelt stehen.
Verloren ließ ich los und rannte, rannte, doch die Welt unter meinen Füßen bewegte sich nicht. Das Gras huschte zwar unter meinen Füßen hinfort, doch die Ruine, das schwarze Loch verfolgte mich. Der Himmel war von rissen bedeckt, der blaue Himmel bekamm grau schwarze Risse, die Brug war nun nichts mehr. Ein leeres Nichts, was alles zu sich zog und schneller war als meine Füße mich tragen konnten.
"Sebastian!", schrie ich, die Dunkelheit folgte mir, nahm langsam alles um mich herum ein. Die Baume färbten sich grau, farblos, verloren die Blätter, die zu Boden fielen, zu Asche wurden. "Sebastian, hilf mir!"
Die Dunkelheit umschloss alles, bis ich stolperte, in der Luft war und auf den Schmerz des Aufpralls wartete, doch es kam nichts. Ich spürte keinen Schmerz.
Meine Augen öffneten sich, doch ich fand kein Licht, keien Lichtquelle zeigte meine Umgebung. Kein Boden, kein Wind. Nichts war zu fühlen. "Sebastian", sagte ich leise, kniff die Augen zusammen und tastete im Nichts.
Plötzlich wurde es hell. Viel zu hell. Erschrocken riss ich den Mund auf und schrie. Eine Hand presste sich auf meinen Mund und berühigte mich. Die kühle Hand auf meinem Mund beruhigte mich, ließ mich stumm in seine Hand seufzen. Sebastian sah mich mit dunklen Augen an und nahm vorsichtig die Hand weg.
"Du hast geschrien", erklärte er leise. Ich nickte nur langsam. "Sebastian", meinte ich, unbeholfen. Hilflos blickte ich ihn an. Er hielt mit einer Hand mein Handgelenk. Den Schmerz spürte ich erst jetzt, meine Haut war schon ganz weiß um seinen festen Griff. "Lass los", befahl ich leise.
Sein Kehlkopf bewegte sich langsam und ich zog die Augenbrauen zusammen. Er schluckte schwer. "Lass los", wiederhohlte ich und entriss ihm die Hand, was auch nur geland, weil er den Griff gelockert hatte. Ein dunkles Pentagram zeichnete mein Handgelenk.
"Daikin ist verschwunden", knurrte Sebastian leise und ich konnte die schreckliche Wut in seiner Stimme hören. Er versuchte nicht einmal, dieses negative Gefühl zu verstecken. Er schien, als würde er genau wissen, was passiert war.
"Es ist seine Schuld", erklärte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. "Wegen ihm hast du eine Schuld bei einem Dämonen zu begleichen."
Sai warf immer wieder einen Blick neben sich, doch seine Hände griffen ins Leere. Seine Schwester fehlte ihm schrecklich, das war kaum zu übersehen. Mit einem wehmütigen Lächeln berührte ich leicht seinen Handrücken. Mit verlorenem Blick sah er mich an, oder doch eher durch mich hindurch?
Es waren inzwischen zwei Wochen vergangen, nachdem wir die Kolonie zerstört zurück lassen mussten. Das alte Haus war soweit wieder in Ordnung, dass alles dicht war und überall Kerzen waren. Sebastian hatte eine Frau in der Stadt gefunden, die Kerzen gegen andere Dinge tauschte.
Meine Wege hatten mich nie weiter als die kalten Mauern dieses Hauses geführt. Niemals würde ich diesen Ort verlassen. Nicht mit diesem Symbol auf dem Handgelenk. Wieder strich ich mit meinen Fingernägeln über die bereits gereizte Haut. Daikin war immer noch weg. Seit dem die Illusion zerstört wurde, war er weg. Sebastian war wohl in der Zeit Essen beschaffen und Sai war draußen umher geirrt, völlig aufgelöst.
Ein alter, verrosteter Topf über dem Feuer versprach uns eine warme Suppe. Es hatte schon so lange nichts Warmes mehr gegeben. Sebastian rührte die warme Flüssigkeit gedankenverloren, starrte ins Feuer.
Die anstrengenden Gespräche hatten wir hinter uns. Wo Daikin wohl sein mochte, wie es Falkner, Mira und allen anderen, die vielleicht überlebten ging. Was wir taten, wenn Daikin wieder da war. Was wir überhaupt taten.
"Denkst du, sie lebt noch?", hörte ich Sai plötlich leise sagen. ich sah ihn an und wollte antwochten, doch im selben Moment hatte sich ein Klos in meinem Hals gebildet.
Ich biss mir auf die Lippen und in meinen Augen bildeten sich Tränen. Sebastian hatte sich auch versteift, doch er tat so, als höre er uns nicht. Er wusste, dass Sai mich gefragt hatte. Nicht ihn.
"Ich weiß es nicht", antwortete ich mit rauer Stimme. Mein Blick suchte seinen, doch noch immer schweifte Sais Blick im leeren Raum umher. Vorsichtig hob ich die Hand und berührte seine Schulter. Er zuckte zusammen, als hätte ich ihm weh getan. Sein Blick klärte sich und er schien zum ersten Mal, seit zwei Wochen, mein Gesicht erkennen. Eine Träne rollte über seine Wange und er verzog das Gesicht, vergrub das Gesicht in den Händen. Er versuchte stumm zu weinen, sein Körper zuckte bei jedem stummen Schluchzen.
Die blonden Strähnen fielen ihm ins Gesicht, als ich die Hände auf seine Schultern legte und bemerkte, wie mir selbst die Tränen über die Wangen liefen. Sai wirkte nun nicht wie ein zwölfjähriger Junge, sondern wie ein kleines Kind. Und dieses kleine Kind hatte seine Schwester verloren. Sein Gegenstück.
Sai war nie von Mira getrennt gewesen. Sie hatten sich nicht immer gut verstanden, doch sie hatten ihr Leben zusammen verbracht. Sie waren kaum länger als einen Tag von einander getrennt gewesen.
Falkner und Mira, Daikin war auch weg. Bei dem Gedanken schluchzte ich auf, war die erste, die seit mehreren Minuten ein lautes Geräusch von sich gab.
Auf einmal drehte sich Sebastian zu uns um. Er war bleich und sein Gesicht war zu einer wütenden Grimasse verzogen. "Reißt euch gefälligst zusammen!"
Er stampfte auf und lief zur Tür. Hin und her gerissen, zwischen dem Trösten von Sai und dem Aufhalten von Sebastian, stand ich auf, blieb mitten im Raum stehen.
"Sebastian, bleib hier!", stieß ich hervor und hasste mich dafür, wie verzweifelt meine Stimme klang.
Er sah zu mir, das Gesicht wies Schatten auf, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Dunkle Augenringe, die Wangenknochen stachen hervor und die Lippen waren aufgerissen.
Etwas zögerlich streckte ich eine Hand nach ihm aus, eine einladende Geste. Er sah auf meine Hand hinab, gab ein leises Geräusch von sich, drehte sich um und ging zur Tür hinaus.
Der Klos in meinem Hals wurde größer und ich schluckte ein paar mal, doch das Gefühl wollte nich weggehen. Mit leicht zitternden Händen drehte ich mich zu Sai, der zusammengerollt, schluchzend auf dem Bett lag und ging zum Feuer. Nachdem ich eine Schale mit der warmen Flüssigkeit gefüllt hatte, setzte ich mich vor Sai auf die Knie und hielt ihm die Schüssel hin.
"Sai, iss etwas", sagte ich leise, mit monotoner Stimme. Er gab kein Geräusch von sich, nachdem das Schluchzen verstummt war, lag er tatsächlich reglos da. Nur seine Brust hob und senkte sich kaum merklich. Seufzend stellte ich die Schüssel neben ihn, füllte mir selbst eine und trank sie so schnell aus, wie es ging, ohne sich zu verbrennen. Die Steine des Hauses funkelten im Licht des Feuers. Sie wirkten kalt und bedrohlich, doch das, was kalt und bedrohlich war, wartete dort draußen.
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2014
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