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Kapitel 1. Nur ein Traum...


Wie jeden Tag lief ich den Weg zur Hütte entlang. Der Wassereimer unter meinem Arm war aus rauem Holz und das klare, kühle Wasser darin schwappte immer wieder, bei jedem Schritt. Als ich einen kurzen Blick in das klare Wasser machte, blieb ich stockend stehen. Ich sah seltsam aus. Die goldblonden Haare waren zu einem Zopf gebunden, sie waren gewaschen und gepflegt. Meine Haut war weiß, rein und strahlte etwas. Meine blauen Augen allerdings waren verheult.
„Es ist dir besseres bestimmt, Tochter.“, hörte ich eine seltsam weiche Stimme.
Vorsichtig drehte ich mich um. Eine wunderschöne, junge Frau sah mir entgegen. Ihr Haar, war weiß. Es sah natürlich aus, wie sie so da stand, in einem Kleid, welches aus den schönsten Träumen gewebt worden war.
„Warum nennen Sie mich Tochter? Ich habe eine Mutter und sie sorgt für mich.“, gab ich kleinlaut zurück. Meine tiefe Stimme halte leise wieder. Die feinen Linien in dem Gesicht, der Frau, verzogen sich. Sie sah immer noch so edel aus, doch nun war auch ein Hauch Zorn in ihrer Mimik zu erkennen.
„Das wollten sie dir glauben machen. Doch das stimmt nicht. Dein Vater lebt. Er sucht nach dir. Geh von diesen Kinderdieben und suche den richtigen Weg auf. Und dieser Weg führt weg von hier. In ein angenehmeres Leben.“
Nach dem Wort, Kinderdieb, hatte ich aufgehört zuzuhören. Nun war ich an der Reihe wütend zu sein.
Mag sein, dass meine Eltern sich keinem Öffentlichen Ort nähern durften, da wir gesucht wurden. Doch wir hatten nur einen Unschuldigen aus dem Gefängnis geholfen. Meinem Bruder. Alex hatte einen Soldat angegriffen, der mich vorher geschlagen hatte, da ich mit meiner Freundin gesprochen hatte und so stark wie mein Bruder war, hatte er den Soldat niedergeschlagen. War doch nicht seine Schuld, dass er so kräftig war!
Also haben wir ihm raus geholfen. Alex war schon immer ein starker, junger Mann gewesen. Er hatte immer auf mich aufgepasst, wie große Brüder das nun mal tun. Na ja, mit meinen 15 Jahren und meinem Aussehen, war es nicht all zu schwer, bei Alex Befreiung zu helfen.
Ein bisschen vor den Aufpassern umher stolzieren und sie weg locken.
Auch wenn Alex nur 3 Jahre älter war als ich, hatte ich das Gefühl, dass er mich immer beschützen würde.
Die Frau im weißen Kleid kam mir näher. Sie streckte eine Hand nach mir aus, doch ich sprang zurück.
Auf einmal hatte ich den Boden unter meinen Füßen verloren und fiel.
Ich schrie. Dann riss ich die Augen auf, sah, dass draußen dunkle Nacht herrschte und alles nur ein Traum gewesen war.
Nachdem ich die Kerze neben mir angezündet hatte, sah ich mich um. Mein Zimmer, in der kleinen Hütte im Wald, sah immer noch so aus, wie vorher. Die hölzernen Wände, die rosa Vorhänge und die zerknüllten Zettel. Der Versuch, einen Brief zu schreiben, war mir schon immer schwer gefallen, doch ich musste die Informationen überbringen. Ohne dass es jemand merkte. Meine Adresse, mein Name, einfach alles. Aber wenn die Aufpasser oder die Jagenden es heraus fanden, würden sie meine Familie und mich finden.
Das konnte ich nicht riskieren. Ein kleiner Zettel, der neben meinem Bett lag, zog meine Aufmerksamkeit auf sich.


Liebe Marie,
ich schreibe Dir, dass ich nicht länger unter diesen Menschen leben kann. Das Verbot, zu reden, ohne dass man gefragt wird, das ist doch nicht mehr normal! Man sollte denken, mit der Zeit werden die Menschen zivilisierter, doch sie scheinen wieder ihrer animalischen Art zu verfallen. Frauen und Männer dürfen nicht in einer Wohnung zusammen wohnen, dürfen nicht heiraten.
Wenn jemand spricht, wird er eingesperrt. Dass darf nicht wahr sein. Wir leben, als seien wir Tiere. Die Wächter beherrschen unser Leben, halten uns wie Tiere.
Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Nie wieder! Und die Soldaten, die sind auch nichts weiter als Menschen. Sie sind nicht stärker oder mächtiger, als wir. Dennoch wehren wir uns nicht. Aber ich bin mir sicher, dass die Menschen sich befreien könnten, wenn sie alle zusammen arbeiten würden. Doch es fehlt ihnen der Mut. Und der Richtige, um sie zu führen. Ich möchte das sein, ich trainiere, lerne, damit ich besser werde. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der ein Treffen mit Wächter überlebt hat. Alle wurden getötet. Doch ich möchte das ändern. Es sind nun vier Jahre vergangen, bald werde ich Neunzehn. Ich bin bereit, zu kämpfen. Nur möchte ich wissen, ob Du es auch bist. Und ob ich auf Unterstützung von euch zählen kann. Euch allen.
Meine Schwester! Egal, von wem oder was wir abstammen, Du warst immer meine Schwester und ich möchte dich in Sicherheit wissen.
Deine Ruby.

Nach mehrfachen durchlesen musste ich lächeln. Den Brief würde ich gerne nehmen, doch nun war er von vielen, dunklen Streifen gezeichnet. Der Dreck auf den Fußboden war weich unter mir, als ich leise aufstand. Nach diesem Traum konnte ich nicht mehr schlafen.
Vorsichtig sah ich in das kleine Schlafzimmer, in dem meine Mutter Melissa und mein Vater Josef schliefen. Mit sanften Schritten ging ich zu ihnen und beobachtete sie schweigend. Die langen, goldenen Haare von Melissa lagen um ihren Kopf herum, wie Sonnenstrahlen. Ihre Wangen waren rosa, die Haut leicht gebräunt. Die kurz geschorenen Haare meines Vaters waren schwarz, die Haut braun gebrannt und die Lippen zu einem Lächeln geformt. Ich lächelte ebenfalls. Dass konnten doch keine Kinderdiebe sein. Und auch wenn es so wäre, war es sicher das Beste, was sie hätten tun können. Nirgendwo könnte ich glücklicher sein als hier, bei ihnen.
Nachdem ich die Tür, des Schlafzimmers leise geschlossen hatte, drehte ich mich um. Plötzlich lief ich gegen einen harten Oberkörper. Im ersten Moment verlangte mein Verstand, ich solle schreien, doch dann sah ich die leuchtend blauen Augen, die mich mitfühlend ansahen.
„Du kannst also auch nicht schlafen?“, wollte Alex wissen, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte. Wenn Alex das tun würde, würden seine mittellangen Haare wild um seinen Kopf stehen. Mein Traummann würde genauso aussehen. Na ja, jedenfalls die Grundlagen. Blaue Augen, schwarze, wilde Haare und immer einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, wenn es um mich ging.
Ohne es zu merken, hatte mich Alex an der Hand genommen und war mit mir in die Küche gegangen.
„Ruby, ich muss dich etwas fragen. Es ist wirklich wichtig und ich möchte, dass du erst nachdenkst, bevor du antwortest, ja?“, meinte Alex nachdenklich.
„Ja. Du kannst mich alles fragen und mir alles sagen.“, meinte ich mit dem Hauch, eines Lächelns.
„War ich es wert, mich aus dem Gefängnis zu holen, gejagt, verurteilt zu werden? Wegen mir, kann keiner aus unserer Familie mehr in eine Stadt. Wir werden gesucht. Wenn man uns findet, wird man euch einsperren und mich wird man umbringen.“
Diese Frage, diese Ansage, schockte mich zutiefst. Ich sah die Trauer und den Selbsthass in den Augen meines Bruders.
„Alex.“, meinte ich, ein kleines bisschen wütend, „Natürlich war es das wert, du bist mein Bruder! Und noch dazu, war es meine Schuld, dass du überhaupt in Schwierigkeiten gekommen bist.“, beinahe schreiend, beinahe weinend, zog ich mich auf dem kleinem Raum zurück und öffnete die Tür nach draußen.
„Ruby, bleib stehen!“, meinte Alex missmutig. Er kam leise, aber schnell zu mir und packte mich am Arm. „Du darfst nachts nicht alleine raus! Es ist gefährlich!“
Kopfschüttelnd riss ich mich los. Mein Weg führte in den winzigen Stall, der neben dem Haus stand. Der halbe Mond gab nur wenig Licht, welches mir den Weg weißte.
Als ich die morsche Stalltür öffnete, wurde es von fahlen Strahlen des Mondes erhellt. Die drei Pferde wieherten mürrisch, als ich mich ihnen näherte. Das schwarze, edle Pferd war Pegasus. Pegasus war immer mein Liebling gewesen, schon von klein auf. Vorsichtig streckte ich eine Hand nach ihm aus.
„Alles gut, mein Süßer. Hab keine Angst.“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Er stampfte unbehaglich mit den Hufen auf und schritt etwas von mir weg.
Xenus, welcher in weißem Fell sich ruhte, hatte schwarze und braune Muster auf dem Rücken. Flyer war ein Fuchsbraunes Pferd. Er was für seine Treue unter uns bekannt. Als auch die beiden Pferde vor mir zurück wichen, ließ ich die Hand sinken und drehte den Kopf um. Eine Gestallt hatte sie in die Tür gestellt. Das schwache Licht, strahlte um die Gestalt, nur eine Silhouette bot sich mir. Ein klägliches Knurren entwich mir.
Wenn es auf einen Kampf hinaus laufen würde, wusste ich nicht, wie er enden würde, schließlich sah ich meinen Gegner nicht.
Xenus, Pegasus und Flyer wieherten aufgebracht.
„Ruby, schnell, wir müssen weg hier! Soldaten haben unsere Hütte angezündet! Schnell, schnapp dir die Pferde und wir verschwinden!“
Alex! Da stand Alex. Ich schnupperte in der Luft. Tatsächlich es roch nach Rauch.
Stotternd wollte ich protestieren, Mutter und Vater würden noch kommen, doch Alex packte mich auf ein Pferd und nahm die andern beiden. Pegasus galoppierte, schnell und dennoch vorsichtig unter mir. Die Zeit und die Gegenwart um mich herum verschwammen. Ich hatte meine Eltern eben verloren, wurde mir schmerzlich klar.
Jedes Zeitgefühl verloren, schaukelte ich auf dem Rücken des Pferdes, Alex auf Xenus dicht hinter mir. Auch Flyer galoppierte neben den beiden, doch ich sah, dass es ihn sträubte, unsere Eltern zurück zu lassen. Wer konnte es ihm verübeln?
Im Laufe, der Flucht, musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, lag ich auf einem Stein mit einer dicken Decke als Kissen.
Alex saß an einem Lagerfeuer. Seine Klamotten waren schwarz. Mit einem Stechen im Herzen wurde mir bewusst, dass es Ruß war.
„Sind sie tot?“, fragte ich heiser. Erschrocken drehte Alex den Kopf zu mir. Leicht nickend sah er mich an. In seinem Blick lag unglaublich großes Mitleid.
„Wenn du nicht raus gegangen wärst, wären wir beide nun auch tot. Ich danke dir.“, Alex hielt kurz inne, dann sprach er mit belegter Stimme weiter „Ich werde dich alleine lassen müssen. Ab hier trennen sich unsere Wege. Ich liebe dich Schwesterherz, doch ich muss sie rächen und kann nicht riskieren, dass du wegen meiner Rachsucht verletzt wirst.“
„Was? Nein! Das tust du nicht! Verdammt Alex, ich schaff das nicht alleine und du bestimmt auch nicht! Wenn du jetzt gehst, brauchst du auch gar nicht wieder zurück kommen!“, schrie ich verzweifelt und wütend.
„Dann sage ich leb wohl Ruby.“
Mit diesen Worten brachte er den Sattel zu Xenus und sieg auf. Die schwarzen Muster wurden von dem Sattel, auf dem Alex saß, bedeckt. Nur ein weiteres, braunes Muster war noch zu sehen. Das Pferd wieherte leise und scharte mit den Hufen.
Langsam trottete es voran, an mir vorbei, bis es ein paar Meter entfernt war. Dann ging es erst los. Meine Füße gaben unter mir nach, ich sank zu Boden, mit Tränen der Wut in den Augen sah ich, wie Alex lautlos in den Sonnenaufgang galoppierte.
„Ich bin allein.“, stellte ich nach zwei Stunden, des rum sitzendes klar. Ein Gefühl, der eisernen Kälte umgab mich. Meine Augenlieder wurden schwer, ich ließ sie nieder gleiten und den Tränen freien Lauf.
Pegasus riss an dem Strick, riss immer stärker, bis es schließlich zerbarst. Leise trottete mein Liebling zu mir und stupste mich ein paar Mal mit der Nase an, bis ich merkte, dass er neben mir stand. Vorsichtig legte ich dem pechschwarzen Tier die Hand auf die Wange und tätschelte diese.
„Alles gut, mein kleiner. Es ist alles OK.“, meinte ich mit erstickter Stimme. Die Sonne stand nun weit oben am Himmel, es war keine einzige Wolke an dem strahlend blauen Himmel. Schweren Herzens stand ich auf, meine Knochen gaben ächzende Geräusche von sich als ich mich zögernd erhob. Ein leises Seufzen entwich meiner Kehle.
„Ich liebe dich, mein kleiner Held. Du warst immer für mich da, doch ich weiß, wenn du länger bei mir bleibst, wird es nicht gut für dich sein. Du und Flyer, ihr müsst euch euren eigenen Weg suchen. Hier im Wald gibt es genug Gras, genug Wasser. Lauft und kommt nicht wieder zurück.“, hauchte ich, als ich zu Flyer ging und ihn los band. Kurz schien es, als könnte ich Missmut und Trauer in seinen treuen Augen aufblitzen sehen.
Als beide nebeneinander vor mir standen, gab ich ihnen beiden einen kräftigen Klaps auf die Hintern und sah, wie sie in dieselbe Richtung wie Alex verschwanden.
Wenn ich schon allein sein musste, dann wollte ich auch ganz allein sein. Ich würde noch verrückt. Missmutig sah ich mich um, betrachtete, was ich hatte.
Nichts weiter, als ein Rucksack mit Papier, einem Stift, ein Kampfmesser, ein Seil, ein paar Pfeile und ein Bogen waren mir geblieben. Der Rucksack war immer an Pegasus Sattel befestigt, falls wir mal angegriffen werden sollten. Das Nötigste war darin.
Beiläufig nahm ich den Köcher, mit den vielen Pfeilen darin und den Bogen und spannte ihn mir um. Den Rucksack warf ich auf den Rücken. Dann machte ich mich auf den Weg, eine geeignete Stelle für mein neues Leben zu suchen…

Kapitel 2. Hoch oben


Unter ein paar großen Pflanzen, hatte ich große Blätter gesammelt, sie so hingelegt, dass ich einen Ausgang hatte. Es war wie eine kleine Höhle, sogar dicht. Und den Eingang konnte ich ebenfalls mit einem großen Blatt, welches sich im Inneren der Kuppel befand, schließen. Ich war gerade dabei Feuerholz zu sammeln, als ich ein verächtliches Knacken hinter mir vernahm.
Blitzschnell ließ ich die Äste fallen und drehte mich um, den Bogen in der Hand und einen Pfeil gezückt. Als ich das Wesen vor mir sah, musste ich verträumt lächeln. Ein kleines, braunes Bärenjunges saß ein paar Schritte vor mir auf einem Baumstumpf. Wie in einem Märchen, dachte ich abwesend. Die dichten Bäume schützten, vor der hochstehenden Sonne. Es war mitten am Tag, wo blieb also die Mutter? Sie würde ihr Kind doch nicht einfach zurück lassen.
Das rascheln der dichten grünen Blätter in den Baumkronen bildete mit dem Gebrüll des Junges eine leisen Einheit. Der harte Boden unter mir schien zu vibrieren als das hilflose Brüllen des Tieres verstummte. Die Schnauze des kleinen Braunbären war leicht geöffnet, was bedeutete, dass ich seine kleinen, aber scharfen Zähne betrachten konnte.
„Na du, wo steckt den deine Momy?“, fragte ich mit einer weichen Stimme.
Der Kleine drehte den Kopf zu mir, so dass ich ihm in die Augen sehen konnte. Mir entwich der Atem und ich vergaß, wieder einzuatmen. Die Augen des Bären waren von so einem vollen, schönen Schwarz, dass ich alles um mich herum verlor. Ich sank in die tiefe, mitreißende Schönheit, seiner Augen.
Nach ein paar Minuten, schüttelte ich leicht den Kopf, um wieder klar denken zu können. Wie auf das Kommando, brach ein Ast weg, so das ein weicher Lichtstrahl das Junge erfasste.
Kurz hüstelnd betrachtete ich den Kleinen. Er sah wunderschön aus, wie er da so brav dasaß, mit seinem reinen Fell, den spitzen Zähnen und den Pechschwarzen Augen.
Vorsichtig kam ich dem Kleinem näher und streckte ihm eine Hand hin. Er schnupperte interessiert daran und streckte die Nase noch weiter vor, bis er plötzlich nach vorne kippte. Aus Reflex fing ich ihn auf. Das weiche Fell auf meiner Haut fühlte sich an, wie das eines Teddys.
Plötzlich hörte ich ein Brüllen. Doch es war nicht süß, von keinem Jungen. Es war Mama-Bär. Oh nein, dachte ich panisch. In ein paar Metern Entfernung konnte ich die Umrisse der Mutter ausmachen. Sie war sicher auf der Suche nach ihrem Jungen. Und sie sah mich als Bedrohung an. Sofort setzte ich den Kleinen wieder auf den Baumstumpf.
Ohne weitere Zeit mit nachdenken zu verschwenden, steckte ich den Pfeil wieder in den Köcher, den Bogen wieder auf den Rücken und rannte zu dem nächst gelegenen Baum und sprang. Ich umfing den dicken Stamm und robbte mich an der Rinde hoch. Es war erstaunlich, wie leicht mir das fiel, obwohl der Stamm wirklich außergewöhnlich dick war.
Nachdem ich auf einen Ast angekommen war, der mich hielt, hatte ich mich rüber geschwungen und mich darauf gesetzt.
Das Bild, das sich mir jetzt bot, entlockte mir ein verträumtes; aaaaw. Das Junge saß nun auf den Schultern der Mutter und die Mutter hatte ihre riesigen und kräftigen Pranken an den Baum gestemmt und brüllte mich an.
„Bring dein Kleines lieber nachhause, Süße, denn hier wirst du nicht hoch kommen.“, hörte ich mich selbst lachen. Ich lachte die Bärin nicht aus, ich war nur froh, dass sie mir hier oben nichts anhaben konnte.
Nach zehn Minuten hatte die Bärin anscheinend beschlossen, sich zu verziehen, um ihr Junges nachhause zu bringen. Innerlich wünschte ich den beiden viel Glück.
Die Aussicht hier oben war wunderschön. Die Sonne stand nun genau über mir, in einem klaren Himmel. Dreist grinsend, fiel mir auf, dass ich immer noch mein Schlafhemd anhatte, da ich keine Zeit gefunden hatte, mich umzuziehen, da wir hatten fliehen müssen. Das weiße Nachthemd hatte inzwischen grüne, braune und rote Flecken. Oh, ich hatte mich verletzt.
„Autsch.“, meinte ich mit hochgezogenen Brauen. Es tut immer erst weh, wenn man es sieht, hallten die Worte meiner Mutter, in meinem Kopf, wieder.
„Ich brauch Kleidung!“, stellte ich mürrisch fest. So konnte ich nicht weiter rum laufen, wenn ich fliehen musste, würde mich dieses Hemd nur hindern, schnell und geschickt auszuweichen. Irgendwas, was sie meiner Haut anpasst, wie eine zweite.
Wenn ich auf die Jagd ginge, würde ich nicht leise genug sein können, um die Tiere nicht zu verscheuchen und nicht schnell genug um sie dann einzuholen, wenn sie verletzt vor mir flohen.
Es gab keine andere Möglichkeit. Ich musste irgendwann demnächst in die Stadt. Kleidung war unausweichlich nötig. Dann fielen mir plötzlich das Papier und der Stift ein. Denn Brief würde ich in die Stadt schmuggeln und verschwinden, bevor jemand mich sehen und verraten konnte. So einfach war das!
Nur wen sollte ich fragen können? Und was war mit Alex? Auf einmal war die Freude, über die Begegnung mit dem Bärenjunges schlagartig weg. Alex. Ob es ihm wohl gut ging? Es konnte immerhin auch sein, dass er schon tot war. Er verfolgte Aufpasser. Gefährliche Aufpasser. Wenn sie ihn in die Finger bekamen, hatte er so gut wie keine Chance. Und das alles nur, weil ich mein großes Mundwerk nicht hatte halten können.
Der Gedanke verursachte einen Krampf in meiner Magengegend. Alles wegen mir, dachte ich und versuchte den dicken Kloß in meiner Kehle herunter zu schlucken. Immer wieder versuchte ich es, doch es änderte nichts an dem unbehaglichen Gefühl, als würde ich ersticken.
Nachdem ich mich wieder einiger Maßen eingekriegt hatte, kletterte ich den Baum wieder runter und sah mich um. Heute benötigte ich was zu essen und zu trinken. Ich musste nach einem Bach Ausschau halten.
Nachdenklich nahm ich einen Pfeil aus dem Köcher und nahm den Bogen in die Hand.
Erst einmal musste ich jagen. Mit schnellen Schritten huschte ich durch den Wald, an den verschiedensten Bäumen vorbei. Die Luft war warm, beinahe heiß. Kleine Schweißperlen sammelten sich auf meiner Haut, als ich immer weiter rannte. Falls man es so nennen konnte. Ich bewegte mich leise fort, schnell, wie ein pirschendes Tier, welches auf seine Beute lauerte. Beinahe die Boden nicht mehr berührend lief ich in Richtung Licht. Offenbar hatte ich den Rand des Waldes erreicht.
Als ich ankam, die Baumreihe hinter mir endete, blickte ich auf eine große Wiese, vollkommen grün. Übersetzt, einfach wunderschön. Die Sonne war inzwischen etwas in westliche Richtung geneigt, was bedeutete, der größte Teil des Tages war bereits vergangen. Ich muss mich etwas beeilen, denn mein Lager werde ich in der Dunkelheit nicht finden können, überlegte ich. Kopf schüttelnd sah ich wieder auf. Das Licht der langsam untergehenden Sonne hatte sich mittlerweile in ein sanftes Orange verwandelt, welches sich weich um das hohe Gras schlang und aus dem ganzen einen Traumhaften Moment machte.
„Wie kann dieser Ort so schön sein, doch die Welt in der wir leben, so schrecklich?“, fragte ich leise und der kühle Wind trug meine Worte fort, fort in die Ferne, wo ich hoffte, dort könnte mir jemand eine Antwort geben.
Mehrere Meter von mir entfernt, konnte ich eine kleine Herde von Hirschen ausmachen. Obwohl ich es nicht gerne tat, war es dennoch für mich lebensnotwendig. Es war nur zu gut für mich, dass ich mit Pfeil und Bogen umgehen konnte, da das Tier nicht leiden musste. Leise schlich ich näher, bis ich nah genug war, um genau das Herz des Tieres zu treffen. Ich spannte den Bogen, setzte den Pfeil an und ließ ihn blitzschnell durch die Luft gleiten.
Ein kleines, qualvolles Geräusch war zu hören, was mir im Herzen schmerzte, dann hörte ich die Hufe der anderen Hirsche, die um ihr Leben rannten.
Als auch die letzten weg waren, stand ich auf und sah in die Richtung, in der mein Opfer vorher gestanden hatte. Der Hirsch lag da, offensichtlich tot.
Ich kniete mich nieder, legte dem Tier eine Hand auf die Brust und flüsterte; „Es tut mir leid.“ Nachdem ich den Hirsch auf ziemlich verklemmte weise zu meinem Lager gebracht hatte, war ich erschöpft und beschloss mich eine Weile hinzu legen. Ein Schmerz, des Durstes riss an meiner Kehle, doch ich war zu erschöpft, um heute noch nach einem Bach zu suchen. Das musste ich morgen machen. Morgen musste ich unbedingt eine Quelle finden, sonst würde ich zu schwach, um weiter ohne Wasser im Wald zu leben.
Ich nahm das Seil, welches ich mit den ganzen anderen Sachen in meiner Kupper versteckt hatte, heraus, band es an die Beine des Tieres und zog es hoch, damit kein andres Tier auf die Idee kam, es mir wegzufressen, und band es fest.
Als ich fertig war, seufzte ich. Wieder einmal wurde mir schmerzlich bewusst, wie ausgetrocknet mein Hals war.
Die Sonne war verschwunden, nur leichte rose streifen an Himmel verrieten, dass sie überhaupt existierte. Lange Zeit lag ich einfach unter den Blättern, fröstelte jedes Mal ein bisschen, wenn der kühle Wind über meine Haut strich. Die Blätter schützen mich zwar vor dem Nieselregen, doch die Luft fand immer einen Weg. Müde drehte ich mich auf den Rücken. Meine Augenlieder waren schwer, doch ich konnte sie nicht einfach fallen lassen. Meine Augen waren ausgetrocknet, schmerzten. Wage erinnerte ich mich an den jungen Bären. Er war auf eine seltsame Weise unruhig. Wahrscheinlich hatte er sich einfach Sorgen um seine Mutter gemacht. Langsam, aber sicher versank ich in einen Halbschlaf.
Feuer! Überall um mich herum war Feuer. Ohne zu wissen, was ich tat, oder wie, lief ich durch das Feuer. Kein Schmerz, keine Verbrennungen, nur eine wohltuende wärme. Nur dieses kurze Zögern, nur diese eine Sekunde reichte, um zu sehen, was hier geschah. Es täuschte mich, es war nicht mein Haus. Nur die Situation, die war genau dieselbe.
„Mutter, Vater! Ihr müsst hier raus!“, entging es mir, ohne nach zu denken. Eine tiefe Stimme, die mir Gänsehaut bescherte, erhob sich.
„Zeig dich, Feind. Es kommt ihnen eh jede Hilfe zu spät.“
Langsam drehte ich mich um. Ein großer Mann, dessen Ganzer Körper in einem Mantel gehüllt war, bewegte den Kopf hin und her. Offenbar auf der Suche nach jemandem. Nach mir. Ich stolperte zurück, fiel. Im Fallen noch sah ich mich, meinen Körper. Nur ein ganz winziger Schimmer zeigte meine Umrisse. In diesem Moment hatte ich keine Zeit, mir groß Sorgen zu machen.
„Ein Tod bindet zwei Leben.“, hörte ich nun wieder diese Stimme. Mit zitterndem Körper sah ich auf. Das Ding hatte seinen Kopf zu mir gedreht.
„Ich weiß, wer du bist. Es war ein Fehler, hierher zu kommen. Du hast dich getäuscht, es ist nicht das Leben deiner Eltern, welches hier gerade zu ende geht. Doch es kam dir so bekannt vor, das selbst so ein starker Geist, wie deiner, sich irrte.“
Der Schock lähmte meinen ganzen Körper, die Angst zeriss meine Stimme. Bitte, bitte, lass es nur ein Traum sein, dachte ich verzweifelt. Die seltsame Gestalt kam mir einen Schritt näher, die Flammen um mich herum, im ganzen Zimmer fraßen sich immer tiefer in das Holz, die dicken Rauchschwaben verdunkelten die Luft, als er die Kapuze herunter klappte. Mir entwich die Luft, als ich in das Gesicht meines Gegenübers sah.
Eine lange, roserote Narbe zog sich über das gesamte Gesicht, des Mannes. Von der linken Schläfe, über die Stirn, Nase und rechte Wange bis zum Kinn. Seine Zähne hatten einen leichten Gelbton und waren ungewöhnlich spitz, er hatte schwarze Augen, etwas längere Haare.
„Bis demnächst, kleine Dame. Wir werden uns schon bald wieder sehen.“, damit sprang der Mann, von dem ich wusste, dass er ein Wächter war, aus dem Fenster. Ein Wächter. Er würde mich finden. Und umbringen.
Schweißgebadet riss ich die Augen auf, setzte mich auf und atmete hektisch. Wenn ich nur wüsste, wo er war, würde ich wissen, wie lange ich noch Zeit hatte. Mein Blich schweifte durch den Blätterhaufen, der einmal meine kleine Kuppel gewesen war. Bin ich etwa schlafgewandelt, fragte ich leicht abwesend. Eine Idee schoss mir durch den Kopf. Sofort sprang ich aus dem Blätterhaufen und sah mich um. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Im Osten wurde der Himmel schon Orange.
Ich atmete einmal tief durch, schluckte den letzten Schmerz, von Muskelkater und Durst herunter und sprintete zu einem Baum. Mühsam zog ich mich an den Ästen hoch, bis ich in der Baumkrone saß. Den Blick ließ ich konzentriert über die Wälder schweifen. Städte waren keine in Sicht, was mich wunderte. Der Baum war groß, noch größer als ein Mammutbaum, und so lange waren Alex und ich gar nicht geritten. Bleib bei der Sache, ermahnte mich meine Verantwortungsbewusste Seite.
Ohne genau zu wissen, was ich suchte, verschluckte ich mich dennoch, als ich es erblickte. In einer großen Entfernung sah ich Rauch. Ich richtete mich auf, strecke und regte mich, bis ich ein bisschen mehr sah. Kleine Gelbe Flammen tanzen in dem Haus. Es war ungefähr fünf Stunden entfernt.
„Es war kein Traum“, hauchte ich erschrocken.

Kapitel 3. Auf der Flucht


Ich wusste, ohne würde ich nicht weit kommen, also bereitete ich den Hirsch so weit, dass man es essen konnte. Ein paar Mal musste ich würgen. Entweder aus Ekel, oder weil ich zu schnell aß.
In Rekordzeit hatte ich meine Sachen zusammen gesucht und meine Spuren genug verwischt, um es so aussehen zulassen, als seien die Spuren schon alt. Noch bevor ich mich auf den Weg machte nahm ich noch einmal meinen Bogen und den Köcher.
Ein, zwei, drei Pfeile trafen alle ins Schwarze. Als Zielscheibe hatte ich einen morschen Baum gewählt, der einige Meter von mir entfernt war. Innerlich wünschte ich mir noch, ein Schwert oder wenigstens einen Dolch zu besitzen. Pfeil und Bogen waren Distanzwaffen. Noch dazu war es schwer, ein sich bewegendes Objekt zu treffen.
Es war circa eine dreiviertel Stunde vergangen, bis ich mich auf den Weg machte. Den Durst hatte ich so weit herunter geschraubt, dass ich laufen konnte. Eine schnelle Flucht würde das nicht werden. Nicht einmal drei Tage hatte ich hier bleiben können, schon wieder wurde ich gejagt. Mürrisch schnaufte ich, lief immer hektischer. Die Last auf meinem Rücken lenkte mich keines Wegs ab. Ich hatte lange und hart genug trainiert, dass Schwere Lasten zu tragen, inzwischen so normal für mich war, wie essen und trinken.
Nach einigen Kilometern, brach ich zusammen. Alles fühlte sich ausgetrocknet und schwer an. Die Hitze machte mir ebenfalls schon zu schaffen. Anders konnte ich nicht, deswegen ließ ich die Sachen in einem kleinen Graben nieder und machte mich auf die Suche nach einem Bach. Glücklicherweise fand ich schon ganz in der Nähe einen Bach. Die letzten Schritte kroch ich schon fast. Endlich am Wasser angekommen, trank ich gierig, Schluck für Schluck genüsslicher.
Als mein bauch nun randvoll war, machte sich eine immer weiter Wachsende Müdigkeit in mir breit, die ich allerdings einfach zur Seite schob. Nachdem ich wieder zu dem Rucksack lief, der unauffällig da lag, überlegte ich mir, wieder Richtung Bach zu laufen, weg von dem Waldweg. Sicher war es riskant, wenn meiner Verfolger auch auf das Wasser stießen, doch ich hatte keine andere Möglichkeit. Ich konnte nicht wieder riskieren, so lange ohne Wasser aus zu kommen. Es war wichtig, dass ich bei Kräften blieb. Kurzerhand war ich wieder zu dem Bah gelaufen. Die dunklen Tannen am andern Ufer, sahen irgendwie einschüchternd aus. Kopfschüttelnd lachte ich über mich, wie ich nur so naiv sein konnte. Das Wasser im Bach war sehr sauber, offenbar war die Quelle nicht in einer Stadt. Sie war noch ganz natürlich.
Die Laubbäume links und die Nadelbäume rechts von mir, engten mich irgendwie ein. Eine unnatürliche Spannung war in der Luft. Ein brechender Ast hinter mir, mein schnellerer Herzschlag, alles machte mir zu schaffen. Auch wenn ich wusste, ich war nur paranoid, konnte ich nichts dagegen tun. Meine Schritte passten sich meinem Herzschlag an, was bedeutete, dass ich bei jedem zweiten Schritt beinahe stolperte.
Die Sonne schien schneller über den Himmel zu gleiten, als mir lieb war. Die Angst, zu langsam zu sein, machte sich in mir breit. Als würde die Zeit gegen mich spielen.
Wenn Alex nur bei mir wäre, dann würde es nicht so schlimm sein, doch ich war allein. Wurde gejagt von einem übernatürlichen Wesen. Auf einmal musste ich lachen. Wie verrückt das alles klang, auch wenn es wahr war. Die rauschenden Wasserströme neben mir wurden immer breiter und lauter. Ist das doch keine Quelle, überlegte ich, eine Stadt! Nicht wissend, ob ich mich freuen sollte, oder ob ich lieber umkehren sollte, lief ich immer geduckter, bis ich an eine Stadtmauer ankam.
So lange war es her, dass ich eine Stadt gesehen hatte.
Im Inneren liefen Menschen quer über die Straßen, alles mucks Mäuschen still. Männer mit hoffnungsloser Miene, Frauen mir leerem und traurigen Blick. Ein junges Mädchen, an der Hand einer Frau. Offenbar ihre Mutter. Ein Aufpasser lief an den beiden vorbei, war ihnen einen kurzen Blick zu und kehrte um, um ihnen zu folgen. Er trennte die Hände, das Mädchen erschreckte sich und murmelte etwas, was sich anhörte wie; Mama. Der Soldat holte aus, um der Kleinen eine Ohrfeige zu geben. Wie konnte er nur? Das Mädchen war vielleicht gerade mal Acht Jahre aus. Aus Reflex, Sprang ich auf die Mauer und brüllte: „Wage es nicht!“
Alle Augenpaare richteten sich auf mich. Eine Frau, im verschmutzen Nachthemd, wirr stehenden Haaren und einer verzogenen Grimasse. Der Mann drehte sich zu mir um, ließ die Hand sinken und kam mir einen Schritt näher.
Die Sonne stand mir im Rücken, so dass er die Hand über die Augen halten musste, um mich zu erkennen. Seine Augen weiteten sich und er rief, mit einer seltsam klingenden Stimme: „Wir haben sie gefunden! Ausreißer!“ Augenblicklich kamen fünf neue Soldaten dazu. Drei waren Frauen. Blauäugig und schwarze Haare. Die Männer hatten alle kurz geschorene Haare, braun und blond.
„Wie nett, ein Willkommen-Komitee. Und ich wette, ihr wollt mich zu meinem Heim begleiten.“, fauchte ich. Der jüngste kam mir näher. Es sah aus, als wolle er mir die Hand reichen. Dann sah ich, dass er eine Waffe in der Hand hielt. Sofort griff ich nach meinem Bogen, zückte einen Pfeil und schoss den Jungen nieder.
Das war der grauenhafte Moment, in dem das Chaos ausbrach.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.03.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch einer ganz bestimmten Person. Meiner Freundin Annika. Kikki, ich liebe dich, du bist die beste Freundin der Welt!

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