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Eine einsame Träne rollte ihr aus dem Augenwinkel über die stark geschminkte Wange. Sie bahnte sich den Weg, hinterließ eine nasse Spur im Make-up, zeichnete die Rundung des Gesichtes nach bevor sie schließlich vom Kinn tropfte. Von dort fiel sie auf das seidene Kleid. Hinterließ einen nassen Fleck als sich das salzige Wasser in den zarten Stoff zog. Es war eine einsame Träne gewesen, aber dieser einen, einsamen, verlassen Träne folgten schon bald viele mehr. Und irgendwann konnte sie einfach nicht mehr aufhören zu weinen. Ihre Wangen waren durchnässt, das Make-up verschmiert und auf ihrem Kleid sah man die hässlichen, feuchten Tränenflecken leider nur zu gut. Sie sollte aufhören zu weinen, sollte sich nicht unterkriegen lassen, sollte nicht schwach sondern stark sein, lachen, überspielen, sich einfach nichts anmerken lassen. Von ihrem Schmerz und ihrer Enttäuschung. Aber wenn man in einem solchen Moment nicht schwach sein durfte, wann denn dann?
Sie hörte Schritte. Er kam zurück – wie immer. Einen Eisbeutel in der Hand und einen schuldbewussten Ausdruck im Gesicht. Wie immer. Er setzte sich neben sie, will ihr einen Arm um die Schulter und den Eisbeutel auf die linke Gesichtshälfte legen. Auf ihre geschollene, malträtierte, rote Gesichtshälfte. Wo er sie mit seiner Faust getroffen hatte. Sie nahm den Beutel um ihn sich selbst an die Wange zu halten. Er seufzte, sah sie mit seinen Augen die wie flüssige, heiße Schokolade waren bittend an. Bittend um Verzeihung. Als sie den Blick nicht erwiderte sondern nur mit gebeugten Schultern, von Schluchzern geschüttelt dasaß, stand er auf um wieder in die Küche zu gehen. Sie hörte ihn in den Schränken wühlen, die Türen knallen, bevor er wieder kam und sich vorsichtig neben sie setzte. In seinen Händen war ein mit buntem Geschenkpapier beklebter Schuhkarton. Ihre Medizin-Kiste. Er stellte sie neben sich und hob ihren Fuß vorsichtig auf sein Knie wo er sich dann den Knöchel besah. Ihr Knöchel. Erst jetzt bemerkte sie das auch dieser rot und geschwollen war. Dunkel erinnerte sich wie sie, von der Wucht seines Schlages getroffen, zurück gestolpert war. Sie erinnerte sie an einen kurzen Schmerz. Sie musste umgeknickt sein. Doch sie konnte sich nicht klar daran erinnern. Konnte keinen vernünftigen Gedanken fassen. Konnte nur eines denken. Er hatte es wieder getan – schon wieder. Er hatte sich inzwischen den Knöchel angesehen. Beruhigend sah er sie an, richtete den Fuß, sodass ihr Bein über seinen lag, Behandelte sie wie kostbares, zerbrechliches Porzellan. Jetzt. „Er ist bloß geprellt.“ Sagte er mit seiner zärtlichen Stimme. Seiner Stimme die so warm süß und zärtlich war und manchmal ein ganz klein wenig rau und heißer, als würde man ganz sacht mit Schmirgelpapier darüber fahren. Mit dieser zärtlichen Stimme weckte er sie morgens auf. Flüsterte ihr ins Ohr „Aufwachen mein kleiner Faulpelz, du verpasst noch deinen Kurs.“ – Streichelte ihr dabei über das dichte, dunkelbraune Haar und hielt ihr einen großen, köstlich duftenden Becher Kaffee in ihrer bunt bemalten großen Blütentasse unter die Nase. Stark, ohne Milch dafür aber mit drei Löffeln Zucker, genau richtig, genauso wie sie ihn am liebsten mochte.
Eine angenehme Kühle auf ihrem Knöchel riss sie wieder aus dem Tagtraum. Geistesabwesend sah sie im zu. Seinen langen, gepflegten Fingern die mit geschickten Bewegungen Salbe auftrugen. Medizinerhände. Er war im dritten Jahr. Studierte an der gleichen Uni wie sie. War im selben Jahr wie sie. Er studierte Medizin sie, Philosophie und Geschichte. Zwei Jahre waren sie zusammen, das Traumpaar im Freundeskreis. Sie dachte zurück an jenen Tag als sie sich kennengelernt hatten. Sie war am Campus-Park herumgelaufen. Kam gerade von ihrer letzten Vorlesung und hatte alle Bücher und Notizen zu einem wackeligen Stapel in ihren Händen aufgeschichtet. Was nicht die beste Idee gewesen war. Es kam wie es kommen musste, sie stolperte auf dem Schotterweg und alle Bücher und Blätter fielen vor ihr auf den Boden. Ein paar der anderen Studenten und Spaziergänger lachten und prompt lief sie rot an. Sie ging in die Hocke um seufzend ihre Papiere zusammenzusuchen als sie ein paar feingliedrige Hände sah die ihr ihre Bücher reichten. Sie sah mit einem Dank auf der Zunge auf und da hatte sie ihn zum ersten Mal gesehen als er sie mit seinen warmen, dunklen Schokoaugen angesehen hatte, ein Lächeln auf dem weichen Mund. Ihr „Danke“ war ihr im Hals steckengeblieben, sie hatte plötzlich keine Stimme mehr. Seine unglaublichen Augen und sein Lächeln hatten sie komplett verstummen lassen. Seine Grübchen hatten sich noch vertieft und er hatte sie auf einen Kaffee eingeladen. Sie hatten stundenlang geredet und an diesem Nachmittag hatte sie sich in ihn verliebt. In seine unglaublichen Augen, sein warmes Lächeln und in seien leicht gebräunten, feingliedrigen, wunderschönen Hände die so sanft waren. Jetzt spürte sie diese Hände wieder auf dem Knöchel und sie waren dieselben. Und doch waren sie es nicht. Dieses Mal schien von den geliebten Händen eine stille, heimliche Gefahr auszugehen. Sie wusste wie diese Hände aussahen wenn sie zu Fäusten geballt waren wusste wie diese Fäuste sich anfühlten wenn sie auf ihre Haut trafen. Wusste wie weh diese Hände tun konnten. Jetzt berührten diese zarten, harten Hände ihre Wange. Nahmen den Eisbeutel und trugen Salbe auf. Sie saß auf der Bank in dem winzigen Flur und ihr Blick fiel auf die riesige Fotocollage sie sie beim Einzug aufgehängt und seitdem immer wieder aktualisiert hatte. Erinnerungen wirbelten vor ihren Augen als sie die Bilder betrachtete. Die Kinotickets ihres ersten wirklichen Dates. Er hatte ihr damals eine einzelne Rose mitgebracht die jetzt getrocknet im Rahmen steckte. Sie selbst war furchtbar nervös und glücklich gewesen. Den ganzen Abend hatte sie sich unglaublich ungeschickt angestellt und alles fallen gelassen.
Ein Bild von ihnen in der Disko beim Tanzen. Sein bester Freund hatte es gemacht. Es war der Abend gewesen an dem sie seinen Freundeskreis kennengelernt hatte.
Ein Foto von ihnen beiden auf der Terrasse ihres Elternhauses. Der Nachmittag an dem sie ihm ihrer Familie vorgestellt hatte. Ihre Eltern waren sofort von ihm begeistert gewesen. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester hatte ihn mit den Augen verschlungen während ihre kleinen Brüder ihn zum Spielen in den Garten gezehrt hatten. Und er… Er war einfach perfekt gewesen. Freundlich, witzig, charmant… einfach perfekt.
Ein weiteres Bild, nur sie zwei. Sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn während er über das ganze Gesicht lachte und sie hochhob und durch die ganze Wohnung wirbelte. Eine Freundin hatte das Foto gemacht. Es war der Tag ihres Umzuges gewesen. Der Tag an dem sie zusammengezogen waren. Sie waren so glücklich gewesen. Endlich eine gemeinsame Wohnung. Endlich zusammen.
Die Collage erzählte ihre Geschichte. Und doch war sie eine einzige Lüge. Ein Märchen, nur die Oberfläche über dunklen Abgründen. Die Wahrheit war der Eisbeutel auf der Wange. Die Wahrheit war der kleine, dunkle Fleck auf der hellgelben Mauer auf den ihr Blick jetzt fiel. Auch daran erinnerte sie sich. Lebhaft. Als wäre es gestern gewesen.
Sie hatten sich gestritten. Um einen Banalität, es war ums aufräumen gegangen. Eine Winzigkeit, unwichtig. Sie hatte in angeschrien und er hatte ihr gesagt dass sie ruhig sein sollte. Sie hatte weiter geschrien. Dann war auf einmal alles nur mehr in Zeitlupe passiert. Der wütende Ausdruck auf seinem Gesicht. So fremd so unbekannt. Seine Hand die sich zur Faust verkrampfte. Die Faust die auf sie zukam. Und dann der Schmerz als ihre Lippe aufplatzte. Die Wucht hatte ihren Kopf herumgeschleudert und sie war gegen die Wand geknallt. Darauf war dann auch das Blut getropft. Schlimmer als das war nur der innere Schmerz gewesen. Er hatte sie verletzt, geschlagen. Dabei liebten sie sich doch. Er hatte eben so erschrocken geschaut wie sie. War neben ihr auf die Knie gegangen, hatte ihre Wunden versorgt. Und hatte ihr versprochen dass es nie wieder passieren würde. Was für eine Lüge. Er hatte es wieder getan. Wieder und wieder. Und jedes Mal hatte er geschworen dass es das letzte Mal war, das es ihm leid tue, das er sie liebte und das es nie wieder passieren würde. Und sie hatte im geglaubt, ihm verziehen. Wieder und wieder. Jedes Mal. Aber nicht heute, nicht diesmal. Die Bilder waren ein Märchen die Wahrheit waren der Schmerz, das Blut, das alte an der Wand und das neue auf dem Boden.
Sie hatten sich gestritten. Wieder einmal. Sie hatte auf den Ball gehen wollen. Er hatte gesagt er würde mit ihr kommen. Stundenlang hatte sie sich fertig gemacht. Bis er gesagt hatte er könnte nicht, er habe etwas anderes zu tun. Sie hatte ihn angeschrien. Wusste sie sollte es nicht tun aber die Worte waren einfach so aus hier herausgeflossen. Sie hatte nicht bemerkt dass er zornig geworden war, dass sein Gesicht den wohlbekannten, gefürchteten Ausdruck bekam. Hatte es nicht bemerkt bis sie seine Faust auf sich zukommen sah. Den Schmerz spürte und die Enttäuschung.
Seine Stimme riss sie aus der Erinnerung „Mareike“. Zärtlich, voller Schuld und Entschuldigung, mit der Bitte um Verzeigung. So war seine Stimme. Traurig, enttäuscht von sich selbst, schmerzerfüllt sah er sie an „Mareike… es tut mir so… so unendlich leid“ Sie sah ihn an. Den Mann den sie liebte und der ihr so weh tat. Innerlich und äußerlich. Sie sah ihn an. Sein dunkles Haar, seine weichen Lippen, seine dunklen, warmen Augen in denen die Tränen standen. „nein“ dachte sie dieses Mal nicht. Sie konnte ihm nicht verzeihen nicht dieses Mal. Er nahm ihre Hand und die tröstliche Wärme schoss durch den ganzen Körper. Er zog sie an sich und murmelte Entschuldigungen in ihr Haar. Sie sollte ihn wegstoßen, sollte ihm sagen dass sie ihm nicht Verzeihen konnte, dass es aus war, dass er gehen sollte. Doch sie brachte es nicht über sich. Sie drehte den Kopf und sah ihm noch einmal in die Augen. Seine warmen Augen. Er liebte sie, sie liebte ihn. Sie sah in seine Augen und sah ihre Geschichte, sah all die schönen Momente. Ihre Zeit, ihr Glück, ihre Liebe. Sie sah noch einmal auf die Collage. „Märchen“ versuchte sie sich zu erinnern. Doch dieses Mal brachte sie es nicht über sich es mit Enttäuschung zu denken. Stattdessen klang die Stimme in ihrem Kopf hoffnungsvoll. Gingen Märchen nicht immer gut aus. Er sah sie wieder an und sie erwiderte seinen Blick „Nie wieder“ Versprach er ihr. Sie schloss die Augen. Wollte ihm glauben, so sehr. Sie versuchte die Entschlusskraft aufzubringen die sie hatte als sie das Blut gesehen hatte. Versuchte die Entschlusskraft aufzubringen ihn wegzustoßen doch sie konnte es nicht. Stattdessen lehnte sie sich an ihn. Noch eine dachte sie noch eine letzte Chance. Noch eine weitere letzte Chance.

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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2012

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