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Prolog

Es war Samstag, 13:47 Uhr. Die Sonne schien zwischen verwischten Wolken hindurch und erwärmte den Frühsommernachmittag auf angenehme 24°C. Die Menschen waren leicht bekleidet; meist mit einer kurzen Hose, ein luftiges Shirt, oder – im Falle der Damen- auch kurze Röcke und bauchfreie Oberteile.

Für jedermann gab es also einen schönen Anblick und das Gefühl von frischem warmen Sommer.

Der Wind wehte lauwarm durch die Straßen, brachte die lockeren Frisuren der Passanten durcheinander und ließ einige der Tauben ihre Flügel aufplustern, die auf den Marktplätzen die Krümel zwischen den Pflastersteinen aufpickten.

Und ich? Ich saß in einem schicken Café, das etwas teurer war als der Durchschnitt.

Wieso? Weil ich, feiner Herr, auf ein Date mit einer bezaubernden Frau war. Sie saß mir gegenüber etwa in der Mitte des Lokals. Auf dem Tisch stand ein kleines Glas mit einem Teelicht, das noch nicht angemacht wurde. Darunter befand sich ein dekoratives Platzdeckchen, passend zu den beige-farbenem Lack des Tisches.

 

Ich hielt mir den Seitenscheitel mit einer Hand zur Seite, der Ellenbogen war auf der Holzplatte gestützt, während ich den Blick in der Speisekarte versunken hielt. Meine Begleitung nutzte die Gelegenheit um sich noch einmal die hellblauen Haare zu richten, ich bekam es zumindest aus den Augenwinkel mit.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass heute ein schlechter Tag werden würde. Allein schon heute Morgen hatte es angefangen. Statt dass ich normal aus dem Bett aussteigen konnte, hatte sich mein Fuß in der Decke verfangen und ich war durch das halbe Zimmer gehopst, bis ich mich - zu allem Überfluss - langgelegt hatte.

Meine Zahnbürste war beim Putzen gebrochen, die Kaffeemaschine hatte kein Kaffee gemacht und mein Shirt hatte ich auch noch auf Links angezogen und war so rausgegangen.

Das jedoch war wenigsten noch rechtzeitig zu richten gewesen, bevor Kalina ins Café ankam.

 

Ich konnte mich einfach nicht richtig konzentrieren. Es war jedes Mal dasselbe, wenn ich versuchte jemanden kennen zu lernen und dabei war es wirklich egal ob es sich nun um Mann, Frau oder irgendetwas dazwischen handelte.

Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, immer in einer Richtung, die mir kein bisschen gefiel. Oh nein!

Es gab nämlich mal jemanden, damals in meiner Schulzeit, an dem ich mein dummes Herz verloren hatte. Ich hatte es ihm nie gesagt … und das bereute ich bis heute.

Seitdem … seitdem konnte ich mich ums Verrecken nicht mehr verlieben! Innerlich seufzte ich wieder auf. Das konnte ja nicht wahr sein! Ich hatte den Mann seit fünf Jahren nicht mehr gesehen und alles daran gesetzt nicht mehr an ihm denken zu müssen.

Gut, nicht besonders erfolgreich, aber immerhin hatte ich es geschafft an einer guten Ausbildung und einer gut bezahlten Arbeit zu kommen.

 

„Ist denn aller in Ordnung bei dir? Du starrst die ganze Zeit auf die Karte, ohne einmal umzublättern …“, hörte ich die sanfte Stimme Kalinas, die eher belustigt fragte und dennoch etwas besorgt dreinblickte. Ich hatte gelernt die Menschen weitestgehend zu lesen dank meiner Arbeit.

Also lächelte ich nur und strich mir die Haare nach hinten, die sanft wieder nach vorne fielen. „Klar doch. Ich konnte mich nur zwischen zwei Sachen nicht entscheiden.“, antwortete ich kichernd und ließ mich nun wieder von diesen dummen Gedanken ablenken.

Das konnte nun wirklich nicht sein, dass ich eine schöne Frau einfach stehen ließ, nur weil ich noch der Vergangenheit hinterher hing. Sicherlich würde es einfacher werden, wenn ich nur jemanden davon überzeugen konnte, dass ich einfach etwas Zeit brauchte, bis die Beziehung sich wirklich vertiefen konnte und ich mich doch irgendwie neu verliebte.

 

Etwas frustriert ließ ich meinen Blick etwas umherschweifen und ließ die Geräusche an meine Ohren drängen, vernahm zusammenhangslose Gesprächsfetzen und freute mich einfach über diese gelassene Stimmung und Atmosphäre. Ich lächelte doch, als ich sah wie sich ein Kind völlig mit Eis einsudelte und dabei glücklich mit sich und der Welt grinste.

Etwas entspannter guckte ich in die hellen bernsteinfarbenen, fast orangenen Augen meiner Begleiterin, und lächelte, spürte mein Herz doch etwas klopfen und entscheid mich wirklich mit dem Vergangenen abzuschließen. Es kam nichts dabei heraus, wenn ich die Gegenwart ständig verpasste.

 

„Halte dich bitte nicht mit dem Preis zurück. Ich möchte, dass es dir gut geht.“ Es klang so verdammt schmalzig, aber ich war einfach etwas aus der Übung gekommen. Die letzten Avancen waren nun einmal mit Männern gewesen; es war etwas simpler am Anfang.

 

Ich hoffte doch sehr, dass ein Kellner endlich kommen würde, sie hatten nicht einmal die Getränke.

„Guten Tag, was möchten Sie zu trinken haben?“, hörte ich endlich eine höfliche Stimme, die nur einem Kellner gehören konnte, dennoch setzte mein Herz kurz aus, was ich jedoch ignorierte, da ich es noch nicht einordnen konnte.

 

Lächelnd wandte ich mich von Kalina ab und wollte anfangen die Drinks zu bestellen, doch mir blieben jegliche Worte schmerzhaft im Halse stecken. Meine Augen weiteten sich mehr und mehr als ich realisierte, wer eigentlich neben mir stand. Mein Mund war sperrangelweit offen und ich brachte nicht einen einzigen Laut aus mir heraus.

Wieso jetzt … wieso hier?! Wieso ausgerechnet er?!!? Gerade als ich mich fest dazu entschlossen hatte, es loszulassen? Erlaubte sich da jemand einen schlechten Scherz?

 

Nach all den Jahren hätte ich ihn nicht verkennen können … er war natürlich noch groß wie damals, verdammt gut trainiert mittlerweile und die Kellnertracht passte wie angegossen. Sie betonte durch den engen Sitz seine Muskulatur, ließ ihn stattlich und verdammt heiß aussehen. Seine Haare waren immer noch recht kurz, dunkelblau und wild nach oben frisiert.

So wie er mir immer schon gefallen hatte …

Er sah sogar noch viel besser aus als in meinen verblassten Erinnerungen! Mein dummes Herz klopfte wie wild, dass ich beinahe schon befürchtete, dass es explodieren würde. Und zu allem Überfluss spürte ich, wie meine Wangen brannten. Wieso nur?! Wurde ich da etwa rot?

„Lange nicht gesehen … Ayden~“, hörte er nur die tiefe, angenehme und für mich durch und durch lasziv anmutende Stimme, die ich so lange vermisst hatte.

Ich merkte das nun so schmerzlich, da er leibhaftig vor mir stand und so nah wie er war, konnte ich seinen herben Geruch vernehmen. Ich erwischte mich dabei wie ich einen unauffälligen tiefen Zug nahm und beinahe die Augen genießend schloss.

Und das Beste war, dass er sich an meinen Namen erinnerte. Ich hätte quietschen können vor Freude, alles in mir frohlockte nur noch wie bei einem Groupie, der dem lang ersehnten Star endlich gegenüberstand.

 

Schließlich brachte ich nur ein Wort heraus: „Ken …“ Ich musste mich richtig dazu zwingen nicht überglücklich und dümmlich zu grinsen, denn ich wollte mir absolut keine Hoffnungen machen! Auch wenn ich merkte, wie mein Körper anfing zu kribbeln und sich ein leichtes aufgeregtes Zittern einstellte.

Nein, ich hatte es damals schon gewusst, dass ich keine Chance bei so jemanden haben würde und heute würde es nicht anders aussehen. Es war nur eine zufällige Begegnung, die absolut gar nichts zu bedeuten hatte!

 

Ja, richtig! Es hatte nichts zu bedeuten, immerhin würde er mittlerweile schon längst eine Freundin, wenn nicht sogar eine Frau, haben. So jemand wie er konnte schließlich jede abkriegen. Es war damals auch nicht anders gewesen, alle Weiber waren ihm erlegen. Was ich nur -zu- gut verstehen konnte.

 

Wie oft ich mich schon an Ecken versteckt hatte, um ihn unauffällig zu beobachten, während er sich mit einer ganzen Gruppe an Mädchen unterhielt, die ihn offensichtlich anhimmelten oder gar in ihm verliebt waren.

Es war damals schwer zu ertragen, aber ich redete mir ein, dass es mir ausreichte mit ihm befreundet zu sein. So hatte ich wenigstens etwas Zeit mit ihm verbringen können und hatte die Gelegenheiten genutzt, um ein bisschen zu spannen.

 

Aber mehr hatte ich mir verboten zu erlauben … damals.

 

„Zwei große Cola, bitte.“ Es war Kalina, die nun bestellte und ich war ihr zutiefst dankbar, denn so konnte ich mich endlich fangen. Ich schüttelte den Kopf unmerklich und blickte endlich weg. Was machte ich nur?!, dachte ich beinahe panisch.

Ich war auf ein Date, ich hatte mittlerweile ein anderes Leben, völlig unterschiedliche Wege … mit der kleinen Gemeinsamkeit, dass auch ich als Kellner arbeitete … es war tatsächlich eine Übereinstimmung … und ich konnte es nicht verhindern, dass es mich doch glücklich machte.

 

Moment mal! Nein, nein! So sollte das doch gar nicht sein!

Es war doch zum Haare raufen! Mein Herz hörte einfach nicht auf zu klopfen!

Was war nur los mit diesem dummen Ding, war es nun endgültig kaputt?!

 

Endlich sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich Ken wieder von uns entfernte und ich atmete erleichtert aus, donnerte dabei aber meinen Kopf fast auf die Tischplatte.

Ich hatte es doch geahnt, dass es ein schlechter Tag werden würde, dennoch fühlte ich mich gleichzeitig so glücklich wie schon lange nicht mehr. So voller Leben und Aufregung, als ob eine Leere, die ich nicht richtig bemerkt hatte, plötzlich mit einem Schlag wieder gefüllt worden war. Dieses dumme Ding!

„Danke … es tut mir leid, ich habe mich wohl nicht wirklich männlich verhalten-“ Ich hielt inne, als ich den Blick in ihren Augen sah, von einem völlig zufriedenen Lächeln begleitet, ihr Kinn war dabei auf dem Handrücken gestützt.

„Bist du schwul~?“

Deal!

 

„Waaaa-? Jain, eigentlich nur zur Hälfte. Aber was soll die Frage auf einmal?“ Ich konnte meine Überraschung nicht im Zaum halten, denn jetzt war ich völlig verwirrt und durch den Wind. Wo kam denn jetzt die Frage plötzlich her? Fast kam es mir so vor, als ob Kalina absolut alles beobachtet hatte. Wie lange hatte dieser Moment gedauert?

„Selbst ein Blinder mit Krückstock würde die Chemie zwischen euch beide bemerken. Wer ist der schöne Mann?“ Sie wurde ja richtig neugierig! Ihre Augen blitzten regelrecht auf und sie lehnte sich etwas nach vorne, ihre Arme faltete sie sorgfältig auf den Tisch. Sie sah mir genau in die Augen, dass ich das Gefühl kriegte, sie könne mich lesen wie ein offenes Buch.

 

Es war schon echt gruselig, denn ich glaubte, dass ich gar nicht mehr umhinkam, diese Frage zu beantworten. Sie durchbohrte mich schon beinahe mit ihrem Blick! Dennoch entschied ich mich nur die halbe Wahrheit zu erzählen. Da das unser erstes Date war, wollte ich das nicht jetzt unbedingt erzählen. Es gehörte sich schließlich nicht.

Also kratzte ich mich kurz am Hinterkopf, während ich überlegte, wie ich das wohl am geschicktesten lösen konnte.

„Eh? Also … er war auf der selben Schule wie ich. Im Grunde kenne ich ihn seit über acht Jahre, vor fünf Jahren, nach dem Abschluss, ist der Kontakt eingefroren.“ Sehr gut! So war das doch gut gelöst! Ich war stolz auf mich, denn ich hatte nicht gelogen und gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass es erst einmal nichts mehr zu erzählen gäbe.

 

Kalina jedoch schien erst recht Feuer und Flamme zu sein, denn sie grinste von einem Ohr zum anderen.

„Also hast du dich in ihm verliebt und nicht getraut etwas zu sagen. Und jetzt triffst du ihn gaaaanz zufällig hier an. Hach, was bin ich nur für eine Glücksfee!“ Ihre Stimme überschlug sich schon beinahe vor Entzückung darüber und ich zuckte einfach nur zusammen und sah sie entgeistert an.

 

Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

 

Wie hatte sie das so schnell herausgefunden?! War das etwa so offensichtlich?! Nach all den Jahren? Oh man … und ich hatte gedacht, dass ich mich geändert hätte.

So viel dazu. Es war wohl immer noch sodeutlich bemerkbar wie der Sonnenaufgang. Da versteifte ich mich plötzlich. Oh nein …

Hoffentlich hatte Ken nichts davon bemerkt.

 

Da nun die Katze doch so schnell aus dem Sack war … konnte ich nichts daran ändern, was passiert war und dass Kalina wohl einen verdammt guten Sensor für solche Dinge hatte.

Ich ließ den Kopf auf den Tisch sinken und schaute mir den Boden an, als ob es das Interessanteste auf der Welt wäre.

Was sollte ich nur tun? Mein Herz klopfte so aufgeregt und freudig, dass es schmerzte und ich es bis in den Hals hoch spürte. Die Herzschläge hallten regelrecht im gesamten Körper nach. Selbst meine Hände schienen zu pulsieren.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Kalina hatte schon recht … nach all den Jahren liebte ich ihn immer noch so sehr, dass es mein Herz zerriss. Und gleichzeitig hasste ich mich dafür.

 

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich absolut keine Chance haben würde, denn so ein Kerl wie Ken konnte unmöglich an Männer interessiert sein. Es lag nicht einmal daran, dass ich zu wenig Selbstbewusstsein hatte, keineswegs! Es war einfach ein grausiges Gefühl, das mich schon seit damals gepackt hatte. Die ganzen Momente der Einsamkeit, die ich erlebt hatte, hatten mir immer so weh getan.

Ich hatte gar nicht verhindern können, dass es mir das Herz schier zerriss und einfach annahm, dass irgendeine der Mädchen irgendwann die Glückliche an seiner Seite sein würde.

 

Ich wusste nicht recht, wie ich es nennen sollte, aber es war nahe einer gewissen Hoffnungslosigkeit gewesen.

„Schätzchen~ heb deinen Kopf.“, hörte ich Kalina plötzlich sagen und erschrak mich dabei auch noch, da ich meine Umgebung völlig vergessen hatte. Ich war froh, dass ich mich nicht mehr wie früher scheute. Ich war nämlich so vertieft in meinen Träumereien, dass ich oft wie ein Mädchen dabei aufgequiekt hatte. Zum Glück gab es da jemanden, der sich immer über mich lustig gemacht hatte. So konnte ich es mir letztendlich abgewöhnen.

 

„Pass mal auf. Ich mag dich~ und ich habe etwas beschlossen. Ich werde dir helfen, sein Herz zu gewinnen, einverstanden?“ Sie schien da absolut ihren Spaß daran gefunden zu haben … oder war das etwa ihre Art?

Ihre Augen strahlten regelrecht vor Freude und Enthusiasmus, als ob sie völlig in ihrem Element wäre. Und ich konnte nicht umhin, dass mein Herz sich wohl genauso freute. Ich und sein Herz gewinnen? Hach, wie lange hatte ich schon davon geträumt~

 

Wie er mich fest in seinen trainierten Armen halten würde, seine Lippen dominant auf meine spürte, in einem heißen und leidenschaftlichen Kuss … und-

Moment mal! Ich war hier in einem Café! ‚Reiß dich verdammt nochmal zusammen!‘, sagte ich mir streng selbst, da ich diese verräterische Hitze in mir aufkommen spürte.

 

Was hatte ich mir da wieder eingebrockt? Nein, nein. Es sollte dabei belassen werden, dass ich keine Chance hatte und basta!

„Hör mal … ich habe mich eigentlich dazu entschieden, die Vergangenheit zu begraben, weißt du?“ Es klang trauriger, als ich es beabsichtigt hatte. Beinahe kamen mir die Tränen, da diese Worte einfach nur weh taten. Absolut alles in mir wehrte sich gegen diese Aussage. Wen wunderte es eigentlich …

„Halte mich nicht für blind. Ich sehe doch, dass du dich nur abquälst.“ Ich seufzte nur auf. Was sollte ich auch tun? Damals hatte es so weh getan und so waren wir auch auseinandergegangen. Es waren nur bloße Erinnerungen und tiefe Trauer zurückgeblieben.

 

Überrascht blickte ich auf, als plötzlich ein Glas Cola vor mir auftauchte. Ich sah zur Seite und blickte direkt in Kens Augen. Er lächelte sogar. Lächelte er mich etwa an?!

Oh, das wäre so schön! Mein Herz klopfte so laut, dass ich befürchtete es würde ihm gleich aus meiner Brust entgegenspringen.

Ken war so … so umwerfend gutaussehend und anziehend, ich konnte absolut nichts dagegen tun, dass mir die Luft bei diesem Anblick wegblieb. Genauso wenig konnte ich etwas dagegen tun, dass ich nun doch über beide Ohren lächelte.

„Danke ...“ Hoffentlich fiel es ihm nicht auf, dass ich nicht nur aus Dankbarkeit lächelte, sondern weil ich Hals über Kopf verschossen war. Meine Wangen brannten wieder und ich drehte den Kopf schnell weg, damit es auch bloß nicht auffiel.

 

Ja … man konnte es einfach nicht anders sagen, ich war hoffnungslos in diesem Mann verliebt! Ich war ihm absolut verfallen wie ein junges Mädchen bei ihrer ersten großen Liebe. Es war zum verrückt werden, aber machte die Liebe nicht sogar etwas verrückt? Man tat so viele unmögliche Dinge aus diesem Gefühl heraus.

Und so beobachtete ich auch nur gespannt, als ich spürte, dass sein Blick nicht mehr an mir haftete.

Ken stellte das zweite Glas vor Kalina hin, die ihn auch heimlich anglühte, was ich wiederum nicht wirklich beachtete. Ich hatte nur Augen für diesen perfekten Kellner, den ich so schamlos anglotzte.

 

Etwas erwischt blinzelte ich, als ich bemerkte wie er mich wieder direkt anschaute.

„Ich bin überaus froh, dich hier anzutreffen, Ayden. Ich fand es so schade, dass wir keinen Kontakt mehr hatten.“ Meinte er das etwa ernst? Ich glaubte ich träumte! Das konnte doch nicht wahr sein, es war doch viel zu schön. Ich war so glücklich, dass es mir beinahe schwindelte!

Er hatte noch an mir gedacht? Hatte er mich etwa vermisst? ‚Klar, du Idiot, sonst hätte er das doch gar nicht gesagt!‘, antwortete ich mir selbst. Hach, ich war so durcheinander und gleichzeitig fühlte ich mich leicht wie eine Feder in seiner großen Hand. Er hatte an mich gedacht. Ich lächelte verträumt und ich spürte wie mein Kopf sich leicht zur Seite neigte.

„Ja … ich auch …“, seufzte ich nur auf. Als er jedoch so skeptisch dreinblickte, richtete ich mich ruckartig auf und räusperte mich. „Ich meine … ja, war echt blöd nach dem Abschluss … die ganze Jobsucherei und so …“

‚Ja, gut gerettet, Junge!‘

 

„Was darf ich euch denn zu Essen bringen?“, fragte er nun lächelnd und ich seufzte nur erleichtert auf innerlich. Kalina bestellte sich ein belegtes Baguette und ich holte mir ein großes Stück Schokoladenkuchen mit Sahne und Vanillesoße. Plötzlich hatte mich der Appetit auf etwas Süßem übermannt.

Gespannt beobachtete ich, wie Ken sich wohl die Bestellung kurz notierte und ich riss die Augen überrascht auf, als der Zettel abgerissen wurde. Kellner machten doch so etwas nicht? Zumindest nicht bevor sie hinten in der Küche waren, um das weiter zu geben.

 

Dieser Zettel jedoch wurde sogleich vor mir auf dem Tisch gelegt. Völlig verdattert starrte ich auf eine Handynummer und genauso blickte ich auch wieder hoch in die hellen Augen des Großen.

„Schreib mich mal wieder an. Ich würde mich sehr darüber freuen.“ Er lächelte dabei und ich glaubte, dass mir das Herz jede Sekunde stehen bleiben würde.

Der Blauhaarige ging leider wieder seiner Arbeit nach und gab die Bestellung an die Küche weiter, während ich nochmal auf den Zettel starrte.

Mit leicht zitternden Händen nahm ich das Stück Papier zwischen meine Finger und konnte mein Glück eigentlich gar nicht fassen. Er würde sich freuen, wieder Zeit mit mir zu verbringen … nach all den Jahren?

 

War heute doch mein Glückstag?!

 

Sollte ich es riskieren? Sollte ich wirklich eine Chance haben? Hatte ich mich die ganze Zeit geirrt? So lange war ich voller Kummer über diese Liebe gewesen, weil ich sie als unerwidert geglaubt hatte. All die Jahre hatte ich mit Schmerz und Trauer an ihm gedacht, hatte ihn einfach nicht vergessen können …

Und jetzt traf ich ihn hier an, erhielt sogar seine Telefonnummer. Alles in mir kribbelte, ich konnte nicht aufhören zu lächeln und mein Bauch war voller Schmetterlinge, als ob ich mich frisch verliebt hätte.

Nein, es war eher so, dass die alte Liebe nun wieder brannte wie eh und je. Und wenn ich doch eine Chance haben sollte … dann …

 

Ja, dann wollte ich alles daransetzen, um es herauszufinden!

 

Entschlossen schaute ich auf und bemerkte dabei, dass Kalina mich die ganze Zeit beobachtet hatte. Nun lächelte sie zufrieden, als ob sie bereits wüsste, was ich sagen wollte. Voller Tatendrang sah ich sie an und lächelte, zu allem bereit.

„Gut, ich nehme dein Angebot an.“

Zwei Wochen?!

 

Ich lag gemütlich Zuhause auf meiner Couch. Es war eine kleine Wohnung mit den nötigen Dingen: Küche, Bad, Schlaf- und Wohnzimmer. Ich verdiente als Kellner eben nicht viel und es variierte mit der Menge des Trinkgeldes, aber es bereitete mir so viel Spaß, dass mir die Höhe meines Gehaltes dabei insoweit gleichgültig war. Es sollte einfach für ein gemütliches Leben reichen.

Und das hatte ich.

Flöckchen lag schnurrend auf meinem Bauch, während ich ihr zwischen den Ohren kraulte. Ein kleines Kitten, das gerade drei Monate alt war und aussah wie eine Miniaturkuh. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie so viel wie eine fressen konnte.

Sie war unheimlich verspielt und hatte so viel Energie, dass sie mich gut von den dunklen Gedanken ablenken konnte, die ich nach den Jahren nicht mehr ausgehalten hatte.

 

Der Fernseher dudelte im Hintergrund leise vor sich hin. Ich hatte irgendeinen Sender angemacht, damit es in der Wohnung nicht allzu still war, achtete dementsprechend nicht auf den Inhalt, der gezeigt wurde. Auf einen Film hatte ich keine Lust gehabt, ich hätte mich darauf nicht wirklich konzentrieren können.

Ich hob die freie Hand an, in der ich den Zettel mit Kens Handynummer hielt. Meine Augen betrachteten die eilig geschrieben Zahlen immer und immer wieder. Es war nun schon zwei Wochen her seitdem ich ihn im Café getroffen hatte und seitdem schrieb ich auch mit Kalina, die jeden Tag danach fragte, ob ich mich schon getraut hätte, Ken anzuschreiben.

 

Hatte ich nicht…

 

Jedes Mal, wenn der Gedanke auftauchte ihn zu kontaktieren, wurde ich nervös und das alte Gefühl von Schmerz kam wieder hoch, dass ich keine Chance haben würde, dass es sich vielleicht nur auf eine Freundschaft beschränken würde. Und das ertrug ich nicht, dafür liebte ich ihn zu sehr, das war mir wieder deutlich gemacht worden, als er vor mir gestanden hatte.

Das Problem dabei war, dass ich nur noch an ihm denken konnte, was es sehr schwierig machte, mich von ihm abzulenken. Es war so schlimm geworden, dass ich sogar von Sex mit ihm träumte.

Ich war kein verliebter Teenager mehr … es ging viel tiefer als eine einfache Schul-Schwärmerei. Es war eine erwachsene Art der Liebe, die viel tiefgreifender war und sich über all die Jahre gehalten hatte …

 

… und durch und durch mit purer Sehnsucht getränkt war.

 

„Was mach ich jetzt nur …?“, fragte ich das Kätzchen, das mich nun mit großen Augen völlig verwirrt anschaute. Sie konnte schließlich nicht wissen, wovon ich sprach … Was machte ich nur? Ich konnte ihn doch nicht einfach anschreiben? Wiederum hatte er das aber gewollt … Er wollte den Kontakt mit mir wiederaufnehmen.

Wäre es also nicht angebracht, ihn einfach anzuschreiben?

Ich erschrak kurz, als mein Handy in der Hosentasche vibrierte. Völlig aus den Gedanken gerissen, fuchtelte ich das Teil aus der Hose raus und machte den Bildschirm an.

Kalina … natürlich, wer sonst. Heute hatte sie mich – im Gegensatz zu den letzten zwei Wochen - in Ruhe gelassen.

 

Kalina:

Na~ hast du deinem Herzchen schon geschrieben?

Ich:

Nein … ich bin mir immer noch nicht sicher.

Kalina:

Wie, nicht sicher?! Nun mach schon! Du hast doch nichts zu verlieren, Süßer.

 

Nichts zu verlieren, mmh? Das stimmte wohl. Noch schlechter drauf sein deswegen konnte ich eigentlich nicht sein. Ich hatte mich acht Jahre lang gequält und fünf Jahre lang hatte ich ihn vermisst. Eine Freundschaft wäre eine Verbesserung meiner Lage.

Außerdem … hatte ich dem ‚Herzchen‘ nicht widersprochen! Das konnte nicht wahr sein! Beinahe schon wütend auf mich selbst nahm ich den Zettel an mich, der durch den Schreck vorhin auf dem Boden geflogen war, und speicherte die Nummer ein.

Hoffentlich war sie noch aktuell, immerhin waren zwei Wochen vergangen … Ich schüttelte den Kopf, als mir selbst auffiel wie dumm dieser Gedanke war. Ich verhielt mich wirklich wie ein verliebtes Mädchen.

Es fiel mir sonst nicht so schwer neue Avancen zu finden, wieso stellte ich mich als so an?

 

Ich schrieb Kalina noch kurz, dass ich Ken nun anschreiben würde und machte danach den neuen Chat auf.

Nervös wie ein kleiner Schuljunge an seinem ersten Schultag, hielt ich das Handy mit zitternden Finger und tippte, löschte und tippte wieder. Ich war schrecklich!

Ich war schon 24 Jahre alt, wie konnte ich mich nur wie ein pubertierender Junge verhalten?!

Bevor ich irgendetwas absendete, machte ich den Bildschirm wieder aus, stand vorsichtig auf, sodass Flöckchen in aller Ruhe runtergehen konnte, und schnappte mir die Schachtel Luckies, die auf dem Tisch vor mir lag.

Noch immer nervös zog ich eine Zigarette heraus und machte sie mir an, atmete den ersten befreienden Zug genüsslich ein, ließ den Rauch durch meine Lungen zirkulieren, bis ich ihn aus Mund und Nase rausatmete.

Der Rauch entfaltete sich in faszinierenden Schnörkel im Raum, bis er immer dünner wurde und schließlich nicht mehr sichtbar war.

 

Ok, jetzt ging es um das Eingemachte! Ich musste ihn einfach anschreiben, ich hatte mich einfach von Kalinas Begeisterung mitreißen lassen und mir wieder Hoffnungen gemacht.

Ich konnte meinem Herzen auch nichts vormachen, es gehörte nach wie vor noch ihm.

Das Handy wieder in die Hand nehmend, machte ich den Bildschirm an und schickte die Nachricht ab.

 

Ich:

Hallo. Hier ist Ayden.

 

Genauso sah es aus. Ich war so dermaßen nervös, dass ich nur diese knappe und abgenutzte Nachricht geschickt hatte. Keine Minute später änderte sich sein Status auf online und der Messenger zeigte mir an, dass er meine Nachricht gelesen hatte.

Hatte er darauf gewartet? Ich freute mich auf jeden Fall, dass es noch seine Nummer war. Gut, der erste Schritt war getan.

 

Ken:

Hallo. Bin ich froh, deine Nachricht erhalten zu haben. Ich hatte befürchtet, dass du mich vergessen hast. Hattest du einen schönen Tag?

 

Mein Herz machte einen Satz und klopfte mindestens doppelt so schnell wie vorher. Er hatte wirklich darauf gewartet! Ich fasste es nicht! Er fragte sogar nach meinem Tag! Ich verlor die Zigarette beinahe aus den Fingern, als ich mich beeilte zu antworten.

Ich erzählte ihm, dass heute nicht viel los im Café war und kam so auch dazu ihm zu sagen, dass ich ebenfalls als Kellner arbeitete, was ihn scheinbar sehr freute.

Ich wurde immer lockerer dabei und dachte gar nicht mehr darüber nach, was ich schreiben sollte. Es lief einfach gut, als ob wir uns die fünf Jahre über nicht aus den Augen verloren hätten.

 

Mein Herz klopfte dabei immer noch wie verrückt, als ob es Liebe auf den ersten Blick gewesen wäre. Ich fasste es einfach nicht, ich konnte es einfach nicht glauben! Es war zu schön um wahr zu sein.

Mein Kopf war wie leergefegt, nichts wagte es sich auch nur ein bisschen dagegen zu wehren, dass es gerade einfach nur perfekt war. Ich hatte endlich wieder Kontakt zu ihm!

Und mein Herz schlug freudig und aufgeregt, erfüllte mich mit Glück und einem schwindelerregenden Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit. Das Beste kam auch noch letztendlich.

Er fragte, ob ich Zeit am Wochenende hätte und natürlich antwortete ich vorschnell mit ‚Ja!‘.

 

Am nächsten Samstag … in zwei Tage …

 

Ich verabschiedete mich von ihm und legte das Handy – das nun wieder einen schwarzen Bildschirm hatte – vor mir auf den Tisch und faltete die Hände zusammen, während ich auf das Gerät starte.

Eine unheimliche Stille breitete sich in der Wohnung aus, nur noch das sanfte Brummen des Kühlschrankes war zu hören.

Ich war verabredet … in zwei Tagen … ich hatte ein Date …

 

Plötzlich explodierte die unermessliche Freude ganz unerwartet in mir und ich sprang auf.

„Ich fasse es nicht! Ich habe ein Date, Flöckchen! Ich habe ein Date!“, schrie ich beinahe vor Glück und hievte das Kitten hoch, drehte mich mit der Kurzen durch das Wohnzimmer und lachte dabei unkontrolliert und zitternd.

Es war nicht so, dass ein Date was völlig Neues für mich war. Aber es war ein Date mit Ken!

„Ich hab‘ ein Date mit Ken~“, fing ich an zu trällern, bis ich vor Schreck abrupt stehen blieb und schockiert die Wand anstarrte.

„Scheiße! Ich habe ein Date mit Ken und nichts Anständiges anzuziehen!“

Ich ließ das Kätzchen fast fallen, als ich realisierte wie schlimm das eigentlich war. Flöckchen entwand sich jedoch schon von selbst aus meinem Griff und ich raufte mir verzweifelt die Haare, während ich durch die Wohnung lief.

Was machte ich jetzt nur? Wie sollte ich schnell an einer Shoppingtour kommen!?

 

Da kam mir plötzlich die beste Idee seit langem. Ich schmiss mich fast zu meinem Handy hin, fuchtelte damit herum, als es mir beinahe aus den Fingern schlüpfte, bis ich es fest in der Hand hatte, und rief Kalina an.

Wenn sie mir nicht half, dann sonst keiner! Ich hatte mittlerweile gelernt, dass wenn sie etwas wollte, dann setzte sie alles in Bewegung, um es zu kriegen.

Sie hatte mich immerhin auch zwei Wochen lang angeschrieben, damit ich mich endlich traute, die Nummer einzuspeichern.

Ein sehr angenehmer Freund, gerade für solche dringenden Notfälle.

„Kalina! Ich brauche dich! Morgen nach Feierabend! Bitte bitte!!“, rief ich verzweifelt.

„Moment, Moment! Was ist denn passiert?“

„Ich hab‘ ein Date und ich habe nichts zum Anziehen!“ War das denn nicht offensichtlich?!

„Oooh das ist ja schön!“, quietschte sie mir so laut ins Ohr, dass ich das Handy auf Armlänge von meinem Kopf entfernt hielt. Wollte sie etwa, dass ich taub wurde?! „Ich werde morgen im Café auf deinen Feierabend warten, damit wir sofort loslegen können!“

 

Und schon hörte ich den Piepton, der mir sagte, dass sie aufgelegt hatte. Wie sollte ich das jetzt verstehen?!

Lange befasste ich mich jedoch damit nicht, denn die Freude über das Date übermannte mich regelrecht und ich schmiss das olle Ding auf die Couch, so dass sich Flöckchen - die es sich darauf gemütlich gemacht hatte - miauend erschrak und sich beleidigt davonmachte.

Aber das sollte mir gerade egal sein! Ich tänzelte fröhlich durch das Zimmer, schmiss ein paar Unterlagen vom Tisch dabei herunter, und lachte als ob ich nun völlig durchgeknallt wäre.

Vielleicht hatte ich wirklich eine Chance!

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.08.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich möchte diese Geschichte an meinem liebevollen Lebensgefährten widmen, der mich immer unterstützt, egal was ich für Unsinnigkeiten vorhabe. Mir vor allem aber mit Rat und Tat steht, wenn es um meine Geschichten geht. Ich liebe dich.

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