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Schmetterling des Glücks

Jeden Tag arbeitete sie im Garten. Sie hegte und pflegte ihre Blumen so gut Sie konnte und sie würden es ihr nie verdenken. Stiefmütterchen, Primeln und Lavendel, Sonnenblumen und Erdbeerpflanzen sonnten sich an ihren Plätzen. Nelken und Waldheidelbeeren versteckten sich unter Apfelbäumen vor den Sonnenstrahlen, während die Rosen einen speziellen Platz, dicht hinter dem Küchenfenster erhielten, wo die Dame sie beim Kochen im Blick hatte. Denn wenn sie beim Kochen warten musste, bis der Reis durch war, tat sie nichts lieber, als ihre Rosen zu betrachten. In Pink und Rot leuchteten sie ihr entgegen und erfüllten sie mit Stolz über die sorgfältige Handaufzucht. Noch ewig wollte sie ihre Schützlinge bei sich haben. Wenn sie Abends im Sessel döste und Socken strickte, die sowieso Niemand abholen würde, wollte sie wenigstens an die Farben der Rosen denken können, die ihren Schmerz linderten. Nach ihrem täglichen Besuch auf dem Friedhof tröstete sie nichts mehr, als ein knisterndes Kaminfeuer und ihre Rosen. Ja, sie waren wirklich schön. Vielleicht sogar noch schöner als die Briefe, die er ihr einst in jeder Woche sandte. Denn mit der Zeit verblassten sie und die Erinnerung an ihn. Als sie nach einem anstrengenden Tag in ihr Bett wankte, schlief sie schnell ein und träumte von ihrer Pfingstrose. Sie stand vor der Pflanze und beobachtete, wie sie wuchs und wuchs. Bald kitzelte sie die Wolken. Als sie es schließlich schaffte, zerplatzten die weißen Knäule und die Sonne winkte der Dame zu. „Danke, dass du mir geholfen hast. Jetzt werde ich noch mehr für dich und deine Rosen strahlen und du wirst noch viel seltenere und größere pflanzen können.“ Die Dame winkte der Sonne zurück und schließlich fand sie sich im Schlafzimmer wieder. Sie genoss noch eine Weile die Wärme im Schutz der Decke, bevor sie ihr tägliches Gelee-Brot frühstückte. Diesmal schmeckte das Gelee nach Erdbeere. Sie hatte es selbst eingekocht, mit ihren eigenen Erdbeeren, und vielleicht schmeckte es auch deshalb so gut. Aber vielleicht tat es das auch, weil sie währenddessen nicht an den Friedhof dachte und nicht an ihre Einsamkeit. Doch jetzt dachte sie ja bereits wieder daran und so spürte sie das Verlangen, ihre Rosen zu sehen. Da sie sowieso die Gartenarbeit erledigen musste, wollte sie die Pflanzen gleich von draußen betrachten. Sie lief, so gut sie ihre alten Beine tragen konnten, in den Garten, aber was sie dort sah, zerstach ihr das Herz. Die Pfingstrose aus ihrem Traum war mit Löchern übersät und ließ traurig den Kopf hängen. Eine Träne wollte der Dame aus dem Auge kullern, doch sie hielt sie zurück. Sie hob jedes Stück Laub einzeln hoch, um den Übeltäter zu finden und bald entdeckte sie ihn an der Unterseite eines Blattes. Ein grüne Schnur krümmte sich dort und arbeitete sich durch die Fasern des Blattes. Immer diese Viecher, grummelte die Frau in Gedanken und bückte sich nach einem Ast, der auf dem Boden lag. Sie wollte das Herz der Raupe damit durchbohren, so wie ihr eigenes Herz durchbohrt wurde, doch sie hielt inne. War dieses arme Biest doch ein Lebewesen wie sie auch und folgte nur seinen Instinkten. Es suchte Nahrung zum Überleben. Das konnte man ihr doch nicht verdenken. Dennoch spürte die Dame, wie ihr innerer Zorn gegen diese Gedanken ankämpfte und so machte sie mit sich einen Kompromiss aus. Ich werde sie zu einen der Bäume bringen, da kann sie fressen, wie sie will, dachte sie sich. Aber wenn sie noch einmal zu meinen Rosen kriecht wird sie den nächsten Tag nicht mehr erleben. Sie nahm sich vor, auf jeden Fall an dieser Entscheidung festzuhalten. Den Rest ihrer Gartenarbeit verrichtete sie wie üblich. Den Reis für das Mittagessen kochte sie wie immer, während sie die Rosen vor dem Fenster anblickte. Sie spazierte auf den Friedhof und am Ende des Tages schlief sie friedlich ein. Es vergingen mehrere Wochen. An jedem Tag suchte die Dame nach der Raupe, um zu sehen, ob sie immer noch auf dem Baum saß. So war es auch. Sie beobachtete, wie das Würmchen immer dicker wurde und merkwürdigerweise freute sie sich, dass das kleine Vieh auf den Blättern herumkroch. Sie opferte jeden Tag ein paar Minuten, um das Tierchen zu beobachten. Eines Morgens, als sie weder einmal in den Garten lief, schlug ihr ein dumpfes Gefühl auf den Magen. Die Raupe saß vergnügt auf den Blättern der Pfingstrose, wo sie sich den Bauch vollfraß. Die Dame erinnerte sich an den Kompromiss, den sie mit sich ausmachte. Sie sammelte den Ast auf, der noch immer an der selben Stelle lag, wie einige Wochen zuvor. Jetzt würde sie es tun, dachte sie. Sie dachte es noch einige Minuten länger. Sie fand, es sei noch nicht an der Zeit und erledigte erst die restliche Gartenarbeit. Wieder stand sie vor dem kleinen Ding, den Ast in der Hand, um es zu Boden zu werfen. Noch viele weitere Minuten stand sie da, aber sie tat es nicht. Sie konnte einfach nicht. In der kurzen Zeit war ihr das Tier ans Herz gewachsen. Es war bereits viel größer als früher und es hatte sich wochenlang an die Regeln gehalten. Warum sollte sie es bei einem einzigen Fehltritt bestrafen. Wenn ein Baby schreit, obwohl es still sein soll, schlägt man es schließlich auch nicht. Es hätte ihr zu sehr wehgetan. Sie beschloss schließlich, die Raupe wieder an ihren Baum zu setzen. Monate vergingen und eines Tages verpuppte sich die Raupe und entstieg ihrem Kokon als farbenprächtiger Schmetterling. Seine Flügel waren braunrot und einige weiße Linien glänzten auf ihnen. Jetzt saß er wieder einmal auf der Pfingstrose, doch er fraß sie nicht an, er verlieh ihr einen nie dagewesenen Glanz, als er auf ihr thronte. Die Dame lächelte. Nach so langer Zeit. Und als er davonflog, winkte sie ihm. So, wie der Sonne aus ihrem Traum.

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Tag der Veröffentlichung: 10.09.2014

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