‘Is there so much hate for the ones we love?
Tell me, we both matter, don't we?
You, it's you and me
It's you and me won't be unhappy
And if I only could
I'd make a deal with God
And I'd get him to swap our places
Be running up that road ‘~ Placebo, „Running Up That Hill“ 2003
Würgend verkrampfte ich über dem Waschbecken, Halt suchend stützte ich mich links und rechts ab. Zitternd und hustend sah ich auf in den Badezimmerspiegel.
Mit glasigen Augen sah ich zurück, meine Wangen waren fiebrig rot, der Rest kreidebleich. Das Veilchen von Theo Rechts schimmerte noch leicht gelb. Meine Unterlippe war noch immer stark geschwollen und schorfig, ich schmeckte Blut und würgte erneut.
Ich… schaudernd atmete ich aus. Ich tat das Richtige! Ich tat das Richtige… Ich… Ich tat das Einzige, was ich verdammt nochmal tun konnte! Scheiße…
Ich presste eine Hand vor den Mund um nicht laut zu schluchzen und kniff die Augen fest zusammen. Ich würde nicht heulen! Ich hatte mich entschieden! Ich hatte kein Recht, schwach zu sein!
Typisch klirrte die Kühlschranktür im Erdgeschoss. Zehn Sekunden später klappte die Haustür. Entschieden drehte ich den Wasserhahn auf, wusch mir das Gesicht zu grob, trocknete mich hastig ab und spuckte unbeteiligt blutig ins Waschbecken.
Ich hatte keine Zeit zum trödeln, zaudern, verzagen…
Vom Bad eilte ich erneut in mein Zimmer. Ich schnappte mir meinen blauen Rucksack für die Schule und kippte den Inhalt ohne viel Federlesen aufs Bett. Schnell angelte ich mein Portmonee und meine Kopfhörer aus dem Haufen und stopfte beides in die linke Seitentasche. Dann lief ich ins Büro.
Mein Vater musste es vorhin verflucht eilig gehabt haben. Sein Radio war noch an. Den bestimmten Sender, den er immer hörte, empfing man nur recht schlecht bei uns im Haus. Deshalb rauschte das Lied, das gerade lief, leicht. Irgendwie passte es zu der melancholischen Stimme, die gerade sang:
„…It doesn't hurt me. Do you want to feel how it feels? Do you want to know that it doesn't hurt me?“
Die alten Dielen unter meinen Füßen knarzten, ich war selten hier. Eigentlich hatte ich auch nichts in Dads Büro verloren. Zielstrebig ging ich zum Safe, der hinter einer schlichten Schranktür verborgen war. Sein Rechner hinter mir surrte auch noch. Was hatte ihn nur so aufgescheucht?
Ich atmete ruhig und konzentriert aus, ich musste mich zusammenreißen. Ich hatte nur einen Versuch, danach wurde ein stummer Alarm ausgelöst, der Dad auf dem Handy informierte, dass sich jemand an unseren Wertsachen unerlaubt zu schaffen machte. Mom hatte das übertrieben gefunden, weil sie sich den dummen Code nie merken konnte, doch Dad als Cop ging immer lieber Nummer sicher.
Ich weiß noch, wie ich die Augen verdreht hatte, als Dad mir mit frisch 16 - für den absoluten Notfall, natürlich! - den Pin verraten hatte. Jetzt schickte ich stumme Dankeshymnen zu meinen Eltern und ihrem Bestreben mir Verantwortungsbewusstsein zu vermitteln, auch wenn ich ihr Vertrauen gerade aufs Äußerste verriet…
Wieder schüttelte ich mich. Schuldgefühle machten das alles hier weder einfacher, noch besser.
Das Radio rauschte weiter.
„…And if I only could, I'd make a deal with God. And I'd get him to swap our places. Be running up that road…“
Vorsichtig tippte ich Zahl für Zahl, so wie ich sie eine halbe Stunde rauf und runter rattern musste, bis mein Vater zufrieden gewesen war, ein. „… und die Neun.“
Ich schluckte nervös, doch ein erlösendes und bestätigendes Klicken sagte mir, das ich die 6 Zahlen richtig gehabt hatte.
Als ich die massive Tür öffnete, zögerte ich hinein zu greifen, doch welche andere Wahl hatte ich denn?
Als erstes nahm ich einen kleinen, braunen Briefumschlag, in dem Tausend Doller in Bar waren. Der Notgroschen oder auch das Kautionsgeld, wie meine Eltern gescherzt hatten, als meine Schwester mal auf einer Demo für Frauenrechte verhaftet worden war.
Ich stecke das Geld ein. Als nächstes nahm ich eine Ledermappe heraus und suchte das Schreiben, mit dem ich mein Sparbuch auf einmal auflösen konnte.
Unsicher sah ich in den Safe, doch schließlich nahm ich die Neunmillimeter und die Packung Munition dazu heraus, gefolgt von dem Elektroschocker. Die Munition und den Schocker steckte ich den Rucksack. Die Waffe in die weite Tasche meines zu großen Pullovers. Sie war bereits geladen.
Meine ersten Schießstunden hatte ich schon mit Neun und meine Schwester damals sogar mit Sieben. Kinder von Cops in Amerika halt…
Die Waffe wog schwer, doch…
Entschlossen verriegelte ich den Safe erneut und stolperte auf meinem Weg nach draußen über die Teppichkante. Kurz hielt ich inne. Ich wollte in alter Gewohnheit das Radio ausmachen.
„…You. It's you and me. It's you and me won't be unhappy…“
Neben dem Radio stand das Familienfoto, das wir an Nathalies Abschlusstag in der Schule gemacht hatten. Meine Eltern so stolz wie sie nur sein konnten, Nathalie vielleicht sogar noch stolzer und ich so unbeschwert wie ich nur sein konnte… Damals.
Die Tränen wieder runterschluckend, stürmte ich hinaus. Ein letztes Rauschen als Abschied im Ohr.
Ich hastete die Treppe hinunter, machte überall das Licht aus, schloss die Vordertür zu und rannte zum Hintereingang. Ich schloss hinter mir ab und packte meine Schlüssel in mein übliches Versteck unter dem schielenden Gartenzwerg. Ich schulterte den Rucksack und zog mir vorsichtshalber meine Kapuze über. Es war viel zu kalt für Mitte Juni.
Die Hände tief in den Taschen meines Pullovers vergraben, lief ich unsere Auffahrt und dann die Straße lang hoch hinaus in die Nacht. Mein Griff legte sich ängstlich um die Pistole
Ich lief zwei Blocks weiter und bog dann links ab, wo ein schwarzes Auto bereits auf mich wartete. Kurz schrak ich zurück, doch dann erkannte ich Vins unter der dunklen Kapuze.
Seine stechenden grünen Augen brannten sich in meine, die Zigarette in seinen Fingern zitterte leicht.
Er warf sie noch glühend auf die feuchte Straße und kam einen Schritt auf mich zu. Ohne zu zögern zog ich die Waffe.
‚I'll stop time for you
The second you say you'd like me to
I just wanna give you the loving that you're missing
Baby, just to wake up with you
Would be everything I need and this could be so different
Tell me what you want to do
'Cause I know I can treat you better’ ~ Shawn Mendes, „Treat You Better“ 2016
Kim holte tief Luft, biss sich auf die volle Unterlippe und sah starr geradeaus.
Ihre blauen Augen füllten sich wahrscheinlich zum zehnten Mal diese Woche mit Tränen, doch sie war richtig gut darin geworden, nicht mehr gleich los zu weinen.
Vins, ihr Freund, stand vor ihr, die Hände tief in den Taschen seiner schwarzen, zerrissenen Jeans vergraben und sah an ihr vorbei. Er schüttelte augenverdrehend den Kopf. Sie flüsterte etwas und er kochte sofort hoch - mal wieder. Unwirsch schoss sie zurück. Zum zehnten Mal diese Woche…
Und auch zum zehnten Mal sah ich das Ganze, sowie der Rest der Schule es sah.
Ich stand am Ende des Flurs, ungefähr 15 Meter von ihnen entfernt, bei meinem Schließfach und sah zu, wie die beiden sich die Köpfe einschlugen. Energisch warf Kim ihre langen, dunkelblonden Haare über die Schulter und funkelte den Größeren wütend an. Vins grüne Augen brannten nicht minder finster zurück. Seine Haare waren von einem dunklen Braun, das meist schwarz wirkte und immer so abstand, als wäre er frisch aus dem Bett gefallen.
Seufzend drehte ich mich zu meinem Spind, richtete meine Beats Kopfhörer und kramte das Mathebuch hervor. Ich hörte die Stimmen der beiden nur gedämpft durch das laute Treiben von hunderten Schülern und meiner Musik.
„Könntest du wenigstens einmal so tun, als wäre ich dir nicht scheißegal…“ „Das Ganze hat doch überhaupt nichts mit dir zu tun! Du machst schon wieder übel den Affentanz, fahr dich zum Fick runter nochmal…“
„…I just wanna give you the loving that you're missing…“, sang mir eine hohe Männerstimme ins Ohr. Am liebsten hätte ich mir die Alutür meines Schließfaches gegen den Kopf gehauen, sehr fest und nachhaltig. Ich wollte ihre Unterhaltung nicht hören. Ich wollte nicht sehen, wie sie sich stritten und … sowieso wieder versöhnten. Energisch nahm ich die Kopfhörer ab und schaltete meine Musik App auf dem Handy aus.
Tag ein, Tag aus - die Beziehung der beiden schienen nur aus Streit und Versöhnung und Versöhnung und Streit zu bestehen. Wenn man Vins und seinen sehr männlichen Freunden in der Umkleide Glauben schenken konnte, dann auch aus wütendem und versöhnendem Sex, sobald sie die Schule verließen…
Kurz fragte ich mich, mit welcher Geschwindigkeit und im welchem Winkel die schlecht lackierte Alutür meines Schließfachs mein Genick treffen müsste um das,- mein!-, Elend zu beenden.
Theatralisch und nerdig. Meine Persönlichkeit in a nutshell, traurig aber - naja, einfach nur traurig…
Leise seufzend zog ich den Reißverschluss meines Rucksacks zu und schielte wieder zu Kim und Vins, während ich mir die blonden Haare aus der Stirn wischte. Genervt stellte ich fest, dass sich mal wieder kleine Teile der hellblauen Farbe von meinem Schließfach gelöst hatten.
Kims blasses Gesicht hatte rote Flecken bekommen. Ihre Wutflecken, wie ihre Mutter sie immer genannt hatte, als wir noch Kinder gewesen waren und ich sie beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht rausgeworfen hatte.
Kims und meine Mutter arbeiteten gemeinsam im städtischen Krankenhaus. Sie waren beide OP-Schwestern. Unweigerlich hatten die beiden Frauen, die fast zeitgleich schwanger gewesen waren, eine Freundschaft gestartet. Gegenseitiges Kinderhütten, wenn die Schichten mal wieder mordsmäßig mies gelegt waren, mit inbegriffen.
Ich kannte sie also genauso lange, wie ich schon laufen konnte. Wir hatten viele Abende, Wochenenden und Sommer gemeinsam verbracht und ich kannte sie wahrscheinlich besser, als sie sich selbst - auf jeden Fall besser als Vins sie kannte. Was, den Gerüchten nach, nicht schwer war, denn Vins interessierte sich ja nur für sich selbst. Ich verzog unwillkürlich den Mund.
Kims Stimme wurde immer lauter: „Ich bin immer noch deine Freundin, also…“ Sie verhaspelte sich leicht beim Sprechen, als wir eingeschult wurden, hatte sie leicht gestottert. In Momenten wie diesen, wenn sie aufgeregt war, kam das manchmal noch durch.
Diese kleinen Sachen und die großen Macken: Ihr manchmal grunzendes Lachen, ihr Tick nicht auf Ritzen zu treten, ihr schreckliches Klarinettenspiel, das noch fürchterlichere Gesinge und jeder peinliche Popstar-Chrush, den sie mal hatte und manche, deren Bild noch immer unter ihrem Kopfkissen lagen. All das wusste ich, kannte ich. Es war das, was unsere Freundschaft ausmachte.
Eine Freundschaft die ich brauchte…
Umgedreht war es nicht anders. Kim wusste Dinge über mich, die sonst niemand wusste... Wenn auch nicht alles, zumindest seit kurzem. Leider, oder vielleicht doch besser momentan!
Obwohl es genug Peinlichkeiten waren, so dass ich sie, wenn wir uns jemals zerstreiten sollten, wohl mit ‘nem Kissen ersticken müsste. Wenn ich mich an das Badehosendebakel von vor fünf Jahren erinnerte, wurde mir heiß und kalt zu gleich…
Sie vertraute mir, ich vertraute ihr und doch…
Vins packte Kim hart am Arm, als sie davon rauschen wollte. „Lass mich los, du egoistisches, selbstgefälliges Arschloch!“
Ich seufzte, ballte unbewusst meine Hände zu Fäusten und lächelte gequält. Das alles brachte mich allerdings nicht weiter… Weil, naja…
Vins redete jetzt leise und bestimmte auf sie ein, senkte die Augenlieder. Der ernste Blick ließ seine Brauen und sein Kinn noch stolzer wirken. Sie drehte sich jetzt zu ihm. Ihre Gesichter trennten kaum ein Zentimeter mehr.
Krieg und Frieden, Meisterwerk von Tolstoi und neuinterpretiert von zwei Seniors an der South-Western High-School.
Kim hatte mal wieder von irgendwem gehört, dass Vins angeblich irgendwas mal wieder gemacht hat oder machen wollte. Anstatt ihn einfach danach zu fragen, warf sie es ihm vor und er kochte mal wieder hoch, weil… naja, meistens hatte er es tatsächlich verzapft. Aber sie gab ihm auch nie die Chance, es zu erklären.
Sie strich über den Kragen seiner Lederjacke, er strich ihr ein paar der langen Haarsträhnen nach hinten. Jetzt flüsterte sie, er lächelte ein schmales Lächeln.
Plötzlich hob er den Blick, sah zu mir. Vins grünen Augen brannten sich in meine Braunen. Besitzergreifend lag seine Hand auf Kims Schulter.
Schnell sah ich nach unten, das Blut schoss mir unvorteilhaft in die Wangen. Hektisch setzte ich mir meinen Rucksack auf und richtete die Träger.
So viel ich über Kim auch wusste, so wenig wusste ich über Vins und ihre nun wirklich nicht nachvollziehbare Beziehung.
Ohne Mist, es konnte nur der Sex sein, weshalb die beiden Beziehung spielten. Ein Spiel mehr war dieses ständige Hin und Her mit diesen übertrieben Streitereien nichts. Mir würden spontan acht Typen einfallen, die was von Kim wollten und sie nicht alle fünf Minuten vor der versammelten Schule dumm machen würden… und bei Vins. Ich spürte wie meine Wangen noch heißer wurde. Vins… Ich wüsste jemanden, der ihn verstehen würde, der… der ihm zuhören würde, seine Meinung hören wollte!
Ich seufzte und sah wieder zu den beiden, sie küssten sich. Vins Hände in ihren langen Haaren vergraben, eng an einander gepresst.
Etwas zu heftig schlug ich meine Schließfachtür zu, blendete das Getuschel der anderen Schüler um mich herum aus und ihre halbgaren Vermutungen.
Ich kannte den ganzen Tratsch und Scheiß, den sie sich erzählten. Alle wussten, dass das hier seine dritte Schule war, er soff, rauchte kiffte und was sonst noch nehmen sollte. Das er sie noch nie oder schon 10 Mal betrogen hatte. Ganz neu war, dass sie ihn betrogen hatte, mit… tja, mit mir… was natürlich totaler Bullshit war.
Da waren sogar die kriminellen Gerüchte über Vins glaubwürdiger - von Autodiebstahl bis Dealen war alles dabei und, angeblich, hatte er auch was mit Miguel zu tun, bevor… bevor es Miguel nicht mehr gab.
Ein unangenehmes Gefühl machte sich breit in meiner Brust. Es war jetzt schon vier Wochen her, dass Miguel an einer Überdosis von was auch immer gestorben war.
Ich schüttelte den Gedanken ab, das war nicht das, was wichtig war… für mich. Davon abgesehen, dass ich das für völligen Schwachsinn hielt.
Vins stellte einfach nur ‘nen super Sündenbock da. Und weil er nun mal aussah wie… naja wie James Dean auf Crack… heiß und ziemlich durch… Und, jaaa… - unbeholfen kratzte ich mir die Nase. Meine Gedanken schweiften ab, was prinzipiell das Problem war…
Alle schienen ja so gut über ihn bescheid zu wissen, nur… es gab Sachen, von denen ich ziemlich sicher war, dass nur ich sie wusste… auch keine Kim…
Ich wusste, dass Vins immer auf der Seite der Schwächeren war, auch wenn er es nicht zugab. Ich wusste auch, dass er sich manchmal dümmer stellte als er war, besonders in Mathe. Ich wusste, dass er einen Leberfleck im Nacken hatte und dass er immer zu spät zum Sportunterricht kam und wenn man dann nach der Stunde in die Umkleide kam roch es nach ihm… im Allgemeinen roch er viel zu gut. Eine gefährliche und gefällige Mischung aus Tabak, Deo und sich selbst.
Ich wusste wie hell seine Haut war. In welchem Raum seine dunkelbraunen Haare schwarz und wo sie braun wirkten. Ich wusste wie lang und dicht seine Wimpern waren und ich wusste, dass er den Gerüchten über mich, sehr wahrscheinlich glaubte… und ich konnte es ihm nicht mal verübeln. Die Gerüchte, dass ich mit Kim geschlafen hatte, kamen ja auch nicht von irgendwo her.
„Erde an Oscar!“, tauchte plötzlich eine Hand vor meinem Gesicht auf und erschrocken drehte ich mich zur Seite. Bob, mein bester Freund, sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und so etwas ähnlichem wie Mitleid an. „Oh… hey…“, brachte ich kläglich heraus und räusperte mich verhalten.
„Mal wieder Mord und Totschlag, Dicker?“, fragte er muffelig und sehr betont Junge, wie eh und je, band seine schweren, langen Dreadlocks in einem Zopf zusammen und ruckte ungeniert mit dem Kopf in Richtung Kim und Vins. „So ähnlich…“, nuschelte ich, „Keine Ahnung…“ „Als ob…“, schnaubte er ungalant, „Als hättest du nicht mitgeschrieben, was die beiden da belabert haben um gleich eine starke Schulter für die liebe Kimmy zu sein…“
„Ich…“, natürlich musste ich rot werden und boxte gegen Bobs Schulter, mehr kläglich als verärgert, er wusste es ja nicht besser, „Also…Kannst du nicht wenn anders nerven?“ „Nee, gerade nicht Bro…“, er grinste und ich verdrehte die Augen und schielte dann nochmal zu Kim und Vins. Sie küssten sich noch immer, innig…
Mir war selbst klar, wie mein Verhalten, meine Blicke aussahen. Es stimmte, Kim würde sich hundertprozentig hier nach bei mir ausheulen und ich würde ihr zu hören. Ihr Trost spenden und Rat geben. Wir waren schließlich Freunde, beste Freunde.
Und alle, wahrscheinlich irgendwie sogar Kim, dachten ich stand auf sie.
Vielleicht wäre es auch so gekommen nach den vielen Jahren, aber… Ich war schwul. Was, wenn man meine Gedanken bedachte, nicht unerwartet schien. Definitiv. Und meine besagten Gedanken, liefen Amok, taten was sie wollten und setzten mich an die Stelle von Kim…
Es ist ‘ne räudige Nummer, das wusste ich selbst.
Ich schmachtete nicht Kim, sondern Vins an. Was sehr eindeutig und hormongebeutelt aus jeder meiner Poren tropfte…
Ich stellte mir vor, wie er mir durch die Haare fuhr. Ich würde mich an dem Kragen seiner Lederjacke festhalten, seinen Geruch einziehen und den Tabak schmecken.
Ich stellte mir vor, wie mir Gerüchte erzählt würden, wie ich sie theatralisch umdichten würde, weil ich längst wusste, was eigentlich passiert war. Wie ich ein schmales Lächeln von ihm dafür bekommen würde plus belustigtem Augenverdrehen.
Ich würde seine Lederjacke tragen und er meine High School Jacke vom Leichtathletik- Team, die ihm an den Ärmeln ein bisschen zu kurz wäre.
Ich würde seine Zigaretten verstecken und er müsste mich küssen, bevor er eine bekam, vielleicht… Wir würde uns nicht streiten. Naja, selten und wenn, würde es keiner lange aushalten wütend auf den Anderen sein. Ich würde ihn, jedes Mal wenn ihn irgendwer zu lange in Beschlag nahm, ein bisschen eifersüchtig küssen in einem dunklen Flur und er würde das alles mit Absicht machen und…
Ich liebte Kim, wie ich meine Schwester liebte… und es war Kacke auf ihren Freund zu stehen, aber sie war toll… und Vins verdammt noch mal auch. Außerdem taten sie sich nicht gut: Ich könnte, ich würde mich besser verhalten. Ich wäre, besser für ihn, ich…
Ich stand 15 Meter, einen Flur, eine Welt entfernt von ihm.
Noch immer hatte ich zu den beiden gestarrt und plötzlich sah mich Vins wieder an. Er küsste noch immer Kim. Wenn ich ihn küssen könnte, würde ich ihm keinen Grund geben, jemand anderes wütend anzusehen…
Ich drehte mich erwischt um. Bob zog die Brauen hoch. „Lass uns in die Mensa… Das da wird wohl noch dauern…“, ich ruckte betont abfällig in die Richtung des Pärchens und ging los ohne die Antwort meines besten Freundes abzuwarten. Der folgte mir schlicht mit einem Geräusch, was wohl Mitgefühl und Zustimmung auf einmal ausdrücken sollte.
‚Here comes that old apology
For everything I can’t stop feeling
‘Cause you know just what you do to me
I’m just another heart you’re stealing
And you’re just like that old line
I’ve always heard about love’ ~ Common Shiner, „Social Mediasochist“ 2013
Die Mittagspause war wie viele davor. Bob und ich saßen an unseren üblichen Tisch, weiter hinten links. Er hatte einen kleinen Brandfleck, von dem niemand wusste, woher er kam. Neben uns am Tisch beschalten ein paar Juniors die halbe Kantine mit irgendwelchen Indie-Hits von vor 5 Jahren oder so.
Milde beeindruckt, wie jeden Tag, sah ich dabei zu, wie mein bester Freund sich geschätzt ‘ne Tonne Gemüselasagne reinstopfte. Es war für mich unerklärlich, wie man zum einen Gemüselasagne essen konnte, ganz zu schweigen von den Massen die Bob vernichtete.
„Ökologischer Fußabdruck, Dicker!“, war so einer von Bobs Lieblingssprüchen, der seit, ich glaube, fünf Jahren Vegetarier war und sich stark in der Umwelt- und Tierschutzgruppe unserer Schule engagierte. Eigentlich hieß Bob Steven, doch ich glaube selbst seine Eltern hatten das vergessen und irgendwann, ich weiß noch nicht mal wann, war er Bob gewesen und es geblieben. Wir kannten uns seit der Junior High. Damals hatten wir in einem Physikprojekt Strom mit einer Zitrone hergestellt, was meinen Technik- und seinen Natur-Spleen befriedigt hatte. Wir waren zu besten Freunden geworden, während um uns herum alles fürchterlich schief lief. Warum auch immer schlussendlich unser Tisch brannte, wusste ist bis heute nicht. Die Magie von langsam verkohlenden Zitrusfrüchten halt…
Ich fand das Bob irgendwann mal ein richtig guter Umweltaktivist werden würde. Er war ein fürchterlich negativer Mensch, dessen Glas eigentlich noch nicht mal mehr halbleer war. Er besaß die Fähigkeit immer, aber auch wirklich immer das eine Haar in der Suppe zu finden - selbst wenn es sein eigenes war. Wenn er später doch nichts mit Umwelt machte, sollte er Steuerfahnder werden…
„Kannst du nachher mal bei uns in der Bio-AG vorbeischauen, wir bereiten eine Protestaktion vor…“, setzte Bob zwischen zwei Bissen an und zog mich aus meinen Gedanken. Die ach so coolen Freunde von Vins hatten gerade lärmend die Cafeteria betreten, „Wir planen was gegen diesen dummen Parkplatz, der hinterm Einkaufszentrum hin soll. Das ist der Brutplatz von…“, erzählte Bob weiter doch ich beobachtete nur, wie jetzt auch Vins und Kim, die Arme umeinander gelegt hereinkamen, „Und das ist ‘ne Schweinerei, Bro! Deshalb bräuchten wir ein paar Flugblätter und irgendwas Lässiges auf unserer Website. Du kannst doch programmieren und deshalb dacht Mike, dass du…“ „Dir ist schon bewusst, dass er dir nicht zu hört?“, fragte eine hohe Stimme und zerrte mich aus meinen Beobachtungen, als sie eine Pommes nach mir warf.
Bob verzog das Gesicht, „Dicker!“ Leonie, die die Pommes nach mir geworfen hatte, kicherte. Sie nahm einen großzügigen Schluck Orangensaft während ihre Schwester Ruth neben ihr, die Tomaten von ihrem Sandwich pflückte und sie dann auf ihrer Serviette Bob reichte, der natürlich nichts verkommen ließ. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie die beiden sich gesetzt hatten.
Leonie und Ruth waren Kims beste Freundinnen und Zwillinge. Tatsächlich unterschieden sich die Schwestern heute auch nur wieder, weil die eine eine rote und die andere eine blaue Bluse trug. Ansonsten glichen sie sich von der dunklen Haut, den braunen, großen Augen und den vollen Lippen bis hin zu den schweren und kompliziert geflochtenen langen Haaren. Doch wer sie kannte, konnte an Leonies Dauergrinsen und Ruth immer sehr gelangweilten Blick erkennen wer wer war.
„Kommst du jetzt heute vorbei?“, fragte mich Bob nochmal und ich blinzelte irritiert. „Ähm…“, ich folgte Kim mit den Augen, die sich gerade sehr feucht von Vins verabschiedet hatte und jetzt zu uns rüber kam, „Ich bin heute auch nicht in der AG, ich hab ein Sonderlauftraining…“ Bob schmatzte missfallend. „Wir haben eine wichtige Staffel in zwei Wochen gegen die Trinitatis-irgendwas- Schule…“ „Ihr seid die Saison ziemlich gut.“, stellte Ruth fest und biss unelegant in ihr jetzt tomatenfreies Schinkensandwich. „Nicht so gut wie ihr…“, meinte ich zurück und sie deutete fast ein Lächeln an.
Ruth war Kapitänin der Volleyballmannschaft und Cheerleaderin. Wobei ich immer noch nicht ganz verstand, warum Ruth mit der Laune einer Sauren Gurke Cheeleaderin sein wollte.
Ihre Schwester Leonie war da ganz anders. Sie war im Chor und in der Theater-AG, sowie im Buchstabier-Club.
„Aber wenn du willst, komm ich morgen mit rum…“, wand ich mich nun wieder an Bob, „Oder wenn‘s dringend ist, fragt Lisa, ich glaube die ist fertig mit ihrem Projekt…“, Lisa war die Vorsitzende unserer AG. Bob nickte nun und trank einen Schluck Schokomilch.
„Na Leute…“, setzte sich Kim neben mich und griff bei meinen Kartoffelecken zu, während sie bedeutungsschwanger seufzte. „Welche Laus ist ihm diesmal über die Leber gelaufen?“, fragte Ruth sehr direkt, was ihre Schwester kichern ließ. „Ihr habt’s mitgekriegt…“, fragte Kim überflüssig und packte die angebissene Kartoffelecke wieder auf meinen Teller, ungnädig sah ich sie an. „Du solltest eher fragen, wer es nicht mitgekriegt hat.“, tat Leonie scheinheilig und verzweifelt sah Kim mich an. „Ich schätze an der Westküste, gab es Übertragungsschwierigkeiten wegen der Zeitverschiebung.“, ich schob die Kartoffelecke von meinem Teller und öffnete meine Schokomilch.
„Oh Scheiße…“, murrte die Blonde und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich weiß nicht wirklich, was du erwartest, wenn du dich mitten auf dem Schulflur streitest.“, Ruth hatte und kannte kein Mitleid. „Was war denn jetzt genau los?“, neugierig bis aufs Letzte beugte sich Leonie ein Stück über den Tisch an ihrer Schwester vorbei. „Es ging um Miguel… und die Drogen, die er von Vins bekommen hat…“, meinte Kim nuschelnd. Sie vermied es mich anzusehen und ich verschlucke mich prustend an meinem Schluck Milch.
„Hat er dir das gesagt?“, fragte Leonie bis aufs äußerte gespannt, während Bob meine nach Luft japsende Situation bewertete, sich schließlich erbarmte und über den Tisch langte um mir auf den Rücken zu hauen. „Nein… Becky hat es mir erzählt…“, meinte Kim, „Er erzählt mir ja nie was… Und…“, verzweifelt sah meine beste Freundin zu mir, „Er meinte ich soll nicht jeden Scheiß glauben, den ich höre.“ „Was… Becky erzählt… ist ja auch nur Scheiß.“, würgte ich hervor und sah mit Tränen in den Augen zurück. Die Kids am Nebentisch stritten nun über das Lied, das sie hörten. Keiner schien sich sicher, von wem es war.
Seufzend lehnte Kim sich an meine Schulter. Der Blick meiner Freunde war ein sehr eindeutiger, doch ich ignorierte ihn erhaben, wie ich fand, und meinte dann: „Becky Fisher ist das größte Klatschmaul, das es gibt. Auf die musst du doch nun wirklich nicht hören.“ „Sie hat mal rum erzählt, dass Ruth und ich nur Halbschwestern wären.“, gab Leonie nun zu bedenken und Bob prustete in seine Lasagne. Mein Blick flackerte zu Vins und seinen Freunden. Er sah ebenfalls zu uns, sah Kim an mich gelehnt, verdammter Dreck…
Die Musik am Nachbartisch wurde lauter, wahrscheinlich konnte man lauter besser erraten, wer das genau sang.
„Ja, ich weiß… aber er redet nicht mit mir, besonders nicht darüber und ich finde einfach…“, Kim seufzte, „Wir waren Freunde!“, sie sah mich direkt an, „Miguel, du und ich… Wir waren Freunde…“ „Ich weiß…“, räusperte ich mich um den letzten Rest Milch aus der Kehle zukriegen, „Und ich finde, deswegen sollten wir noch weniger rum spekulieren…“
Miguels Tod an einer Überdosis hatte uns alle in Schockstarre zurückgelassen. Und es stimmte, wir drei waren ein ziemlich gutes Gespann in Kindertagen gewesen. Miguels Familie war in dem Sommer, als ich 6 wurde, neben uns eingezogen. Kim und ich hatten sofort mit dem stillen Jungen, der total verrückt nach Dinosauriern war, angefangen zu spielen.
Doch im Gegensatz zu Kim und mir hatte sich die Freundschaft zu ihm irgendwann verloren. Es war nichts Krasses oder so irgendwie vorgefallen oder das er plötzlich so tat, als würden wir nicht mehr existieren. Es war irgendwann einfach weniger und dann so gut wie nichts mehr, das uns verband. Manchmal waren Miguel und ich trotzdem zusammen zur Schule gefahren oder wir hatten in der Pause kurz geredet.
Nicht alles ist für die Ewigkeit, aber trotzdem…
Sein plötzlicher Tod hatte uns alle getroffen, wie auch der Grund. Es wollte absolut nicht in meinen Kopf. Für mich waren das zwei verschiedene Menschen: Der Miguel, der mir eine Triceratops-Figur geschenkt hatte und der Typ, der sich so zugedrogt hatte, dass er an seinem eigenen Erbrochenen elendig erstickt war.
„Aber willst du nicht wissen, was passiert ist?“, Kim verschränkte die Arme vor der Brust. „Klar will ich das…“, sagte ich und nahm vorsichtig einen weiteren Schluck aus dem Trinkpack, „Aber ich will auch keine dummen Gerüchte streuen, die dazu führen, dass seine Eltern und seine kleinen Schwestern noch mehr leiden, als sie sowieso schon tun!“ Kim ließ die Arme sinken, und nickte. „Und vor allem, würde ich nicht die Gerüchte weiter tratschen, die Becky so hört…“ Becky war auch die, die erzählte, dass ich und Kim miteinander geschlafen hätten.
Bob meinte mal, das Becky auf mich stehen würde, vor einem Jahr oder so. Doch ich hatte das nicht wirklich gecheckt, aus naheliegenden schwulen Gründen. Danach hatte sie wilde Spekulationen darüber verbreitet, dass ich bei einem Rennen gedopt hätte. Lächerlicher Scheiß… Ich war damals 15 und nicht im Geringsten so gut, dass man denken könnte ich würde dopen bei meinen Wettkämpfen… Vielleicht hätte ich es nötig, aber… Einfach dumm! Zusätzlich zu der Dopinggeschichte hatte sie aber auch noch verbreitet, dass ich sie auf Händen und Füßen, nachdem wir voll krassen Sex gehabt hätten, angefleht hätte, mit mir zusammen zu sein. Natürlich endete ihre Geschichte damit, dass sie mich abblitzen ließ, sie wolle nichts mit einem Typen haben, der dopen würde… Irre Schlampe!
Dem Sexgerücht verdankte ich meinen lächerlichen aber fast schwerenöterartigen Ruf, obwohl ich mit meinen momentan noch 16 Jahren immer noch Jungfrau war. Weil… naja ich würde über nichts mit Brüsten rüber rutschen, nur um Sex zu haben. Dafür fand ich das alles viel zu gruselig. Das Grauen…Und mit einem Typen… Tja, woher nehmen, wenn nicht mit KO- Tropfen betäuben und an die Heizung bei uns im Keller ketten…
Es gab niemanden, der offen geoutet war an unserer Schule, und selbst dann hieß es ja nicht, dass ich ihn oder er mich, auch heiß fand. Besonders, da ich momentan sowieso nur an eine Person denken konnte…
Klar, ich ging auf keine kirchliche Schule, auch lebte ich- Gott sei Dank!- nicht in Texas, aber nur weil alle immer sagten, dass es voll okay wäre wenn jemand schwul oder lesbisch oder Trans oder, was es halt so gibt ist, hieß das nicht, dass „Schwuchtel“ nicht noch immer das Nummer eins Schimpfwort der ach so coolen Kids war und der Junge, der ein Mädchen werden wollte aus der Elften die Schule gewechselt hatte, nach dem er nackt in die Mädchenumkleide gesperrt worden war. Es ist krass, und nicht fair, aber es war leicht tolerant zu tun, wenn man nicht beweisen musste, dass man es wirklich war.
„Ich weiß, ich weiß…“, Kim hatte nun doch ihren Appetit wiedergefunden und aß meine Kartoffelecken auf. „Ihr scheint euch ja sowieso wieder vertragen zu haben…“, mischte sich nun wieder Leonie ein und ruderte unbestimmt mir ihrer Gabel durch die Luft, „Zumindest euren Händen am jeweils andern nach zuschließen…“ „Ja…“, Kim wurde ein bissen rot und grinste aber trotzdem dreckig, verständlicherweise.
„Können die mal ein anderes Lied Spielen?“, fragte nun Ruth plötzlich und sah mehr als genervt rüber zum Nachbartisch. Noch immer hatten sie nicht erraten, wer da sang. „Mir kommt das Lied, auch irgendwie bekannt vor…“, setzte Bob an und kratzte sich Lasagnereste vom Zahn.
Ich lauschte dem Text, die Stimme sagte mir etwas, aber beim besten Willen hätte ich den Namen der Band nicht gewusst: „Here comes that old apology, for everything I can’t stop feeling…“
„Das ist Common Shiner… Mit Social Mediasochist…“, sagte eine Stimme hinter uns, die mir eine Gänsehaut verpasste. Ich drehte mich um und sah in das immer leicht genervte Gesicht von Vins. Das kalte Neonlicht der Kantine machte seine Haare wieder mattschwarz. Das Grün seiner Augen stach dadurch noch mehr hervor. „Hey Baby…“, schmatzte Kim zwischen Kartoffeln in ihrem Mund hervor. „Schnorrst du dich etwa durch?“, tat er gespielt empört. Sie leckte sich sehr frech und eindeutig zweideutig zur Antwort über die Lippen: „Man kann viel von dir lernen…“ Er grinste jetzt mit schmalen Lippen und ich fingerte nervös an meinem Besteck herum. Kim rutschte ein Stück näher an mich und Vins setzte sich mit dem Rücken zum Tisch neben sie, so dass er nur sie, und mich direkt dahinter, ansehen konnte.
Sein, markanter Geruch schwebte zu mir rüber. Ich konnte nicht zu ihm gucken und entschied meine Milch auszutrinken um irgendwas zu tun.
„Achso Leute, was ich euch noch Fragen wollte…“, Kim nestelte an dem Loch in Vins Jeans über dem Knie herum. „Habt ihr Lust euch am Samstag in der Mall mit mir zutreffen…“, sie blickte kurz zu ihrem Freund, der den Blick gelangweilt erwiderte, „Also mit mir und Vins…“ Ich verschluckte mich erneut an meiner Milch, nur dass sie mir jetzt an statt in die Luftröhre in die Nase schoss. Prustend wischte ich mir über Mund und Nase und bekleckerte meine Schuljacke. Verwirrt angelte Bob nach den Servietten, die Ruth ihm reichte und gab sie an mich weiter: „Das mit dem Milch trinken, solltest du glaube ich lassen, Dicker…“ „Vielleicht ist er ja laktoseintolerant…“, meinte Leonie mal wieder ganz unschuldig lächelnd. Ich warf ihr einen garstigen Blick zu und versuchte mich halbwegs würdevoll sauber zu wischen. Vins grüne Augen waren wie Scheinwerfer auf mich gerichtet. Seine Lippen zuckten spöttisch.
„Ähm…“, schüttelte Kim leicht irritiert neben mir den Kopf und sah dann ihre besten Freundinnen an, „Habt ihr Zeit?“ „Ohhh…“, fing Leonie in ihrer besten Schauspielermanier an, „Oh, Samstag ist ganz schlecht… Nicht Ruth? Ruth!“ Ruth sah ihre Schwester über die Reste ihres Sandwiches an, „Wenn du das sagst…“ „Ja, du weißt doch, dieses Ding von Moms Gemeinde am Wochenende…“, recht eindeutig trat Leonie ihre Zwillingsschwester unter dem Tisch gegen Schienenbein. „Der Kuchenbasar…“, setzte Ruth jetzt plump an und rieb sich unverhohlen ihr Bein. „Genau…“, wandte die andere sich jetzt wieder an Kim, welche sie natürlich durchschaute und verfluchte, „Mom hat uns fest eingeplant…“ „Wenn wir absagen, haben wir wieder Jesus enttäuscht.“ „Jesus…“, wiederholte Leonie betont. „Bob…“, seufzend sah Kim zu meinem besten Freund, der aussah, als hätte man ihn angeschossen. „Oh… Ich…“, er machte eine viel zu lange Pause und sah erst die Zwillinge und dann mich hilfesuchend an, „muss…“ „Arbeiten?“, half Leonie ihm nun doch. „Yoo…“, sagte er viel zu schnell nun und auch eindeutig zu dankbar, „Doppelschicht, du weißt doch, ich versuche die Hälfte meines Gehalts in den Erhalt des Nationalwa…“ Doch ungnädig schnitt Kim ihn ab: „Oscar…“ „Ja…“, sagte ich und wischte meine Jacke sauber. „Hast du am Samstag Zeit?“ „Ja!“, wiederholte ich energischer und sah, immer noch leicht rot auf, „Ja, ich hab‘ Zeit… Wann wollen wir uns treffen…“
Klirrend fiel Leonies Gabel auf ihren Teller. Vins Augenbrauen schossen nach oben. „Echt jetzt?“, Kim war erschüttert und erfreut zu gleich, „Also wirklich?“ „Wenn du nicht willst, dass ich komme…“ „Doch, doch, doch! Auf jeden Fall! Du bist der Beste!“, bei den letzte Worten sah sie die anderen am Tisch biestig an, „Ich finde es echt toll, dass Vins und meine Freunde, - also einer! - mal was zusammen machen, oder?“ Sie sah nun zu dem Größeren, der ein sarkastisches „Super!“ hervorbrachte. „Und wie das super wird!“, nahm Kim das einfach mal positiv. „Ja, es ist bestimmt lustig mit dem einzigen Freund von dir was zu machen, der nicht blickig genug für ‘ne schlechte Ausrede war…“ Kim sah ungnädig zu ihrem Freund, doch ich hatte meine Peinlichkeit mit der Milch von mir weggeschoben, also eher wortwörtlich von mir abgewischt, und meinte dreist: „Ich brauch’ keine Ausrede um dir zusagen, dass ich keinen Bock auf dich hab!“
Leonie sah aus, als hätte sie gern Popcorn. „Oscar ist sehr ehrlich…“, mit einem Blick, der mich anflehte die Klappe zu halten, sah die Blonde mich an. Vins lächelte wieder mit schmalen Lippen, in meinem Magen rumorte es. „Mein Gott, freust du dich etwa auf unser Dreier Date…“, erwiderte er sarkastisch. Ich schnaubte, obwohl es nichts gab, was ich lieber hätte als ein Date mit ihm.
„Ich freu’ mich darauf, dass ich mit meinen Freunden in die Mall kann, weil die nämlich nicht Hausverbot wegen Diebstahl haben…“, Kim sah aus, als würde sie mich gleich erwürgen, doch ich schoss weiter, „Vielleicht schreibst du vorher ‘ne List, in welche Läden wir dürfen und von welchen du 100 Schritte Abstand halten musst…“ Leonie lachte auf und versteckte es unter einem Husten. Sogar Vins grinste jetzt breit und machte den Mund gerade zu einer Erwiderung auf, als Kim schnell aufstand und viel zu gut gelaunt meinte: „Ich muss noch zu meinem Schließfach, komm Vins!“ Tatsächlich erhob sich der Dunkelhaarige und klopfte kurz auf den Tisch, dann sah er zu mir. „Ich wüsste was, von dem du 100 Schritte Abstand halten könntest…“, sagte er leise und fügte dann laut hinzu, „Ich freu mich auf Samstag, Oscar…“ und damit verschwanden sie.
„Oh mein Gott!“, setzte Leonie sofort an, „Das war der Hammer…“
Ich atmete zittrig aus. Er hatte meinen Namen gesagt. Alles in mir kribbelte. Ich war ein Vollidiot. Völlig bekloppt, doch obwohl sich in mir alles sträubte einen ganzen Tag, die beiden als Pärchen zu ertragen, konnte ich mir eine Chance mehr über Vins zu erfahren nicht entgehen lassen.
„Vielleicht sollten wir unseren erfundenen Kuchenbasar absagen und auch mit gehen, das wird besser als jedes Kino mit euch beiden!“, Leonie schüttelte in völligem Überschwang Bobs Arm. „Und Jesus enttäuschen?“, sah ich die Dunkelhaarige an, „Du solltest dich schämen…“ „Haha…“, verdrehte Leonie schmollend die Augen, doch ihre Schwester und Bob lachten.
‚Tonight, the foxes hunt the hounds
And it's all over now
Before it has begun
We've already won
We are wild
We are like young volcanoes‘ ~ Fall Out Boy, „Young Volcanoes“ (2013)
Der Rest der Woche zog sich dahin. Ich ignorierte das aufgeregte und peinliche Flattern in meinem Magen, wegen dem Treffen mit Vins und Kim am Samstag. Wenn Kim nicht gerade, anscheinend noch aufgeregter als ich, darüber quasselte.
Immer wieder erinnerte sie mich daran, dass ich ja nicht mit müsse, aber sie so froh sei, dass wenigstens einer ihrer Freunde Vins eine Chance geben würde. Er wäre ja eigentlich ein ganz lieber Kerl und so weiter und so fort…
Als wüsste ich nicht selber, dass Vins wundervoll war! Deshalb wollte ich ja mit. Obwohl ich Kim verteidigen musste, sie wusste ja schließlich nicht, dass ich in ihren Freund verschossen war, was vielleicht aus besser so war…
Ehrlich gesagt, hielt ich es auch für eine schreckliche Idee und war mir ziemlich sicher, dass das ganze arges Eskalationspotenzial hatte. Aber andererseits musste ich mir die Frage stellen, wann ich wieder eine Chance kriegen würde mit ihm was zu machen. Obwohl das bedeutete, dass ich sie beide als Pärchen ertragen müsste, aber was, wenn sie sich stritten… Vielleicht auch wegen mir. Sehr wahrscheinlich wegen mir. Was wenn er Kim dumm an machte, was wenn sie ihn dumm an machte oder er mich dumm an machte… Scheiße!
Immer wieder überlegte ich abzusagen, doch wenn Kim fragte, sagte ich, dass ich bei meiner Zusage blieb. Ich Vollidiot!
Am Freitag erreichte Kim schließlich neue Höhen ihrer Paranoia oder was auch immer sie für eine Panik schob wegen unserem Treffen. Den ganzen Tag textete sie mich entweder verbal oder per Chat voll. Schließlich als ich gerade zu Hause nach dem Sondertraining rein war, rief sie mich sogar über FaceTime an..
„Was?“, begrüßte ich sie sehr viel schärfer, als beabsichtigt. „Ich weiß, dass du morgen nicht mit willst!“, sagte sie kleinlaut. Sie war in ihrem Zimmer, hinter ihr blinkte eine Flamingolichterkette, die ich ihr vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte.
„Kim…“, ich versuchte nicht mal das Augen verdrehen zu unterdrücken, „Ich hab langsam das Gefühl, dass du nicht willst, dass ich mitkomme…“ „Was?! Nein, nein! Ich will unbedingt, dass du mitkommst, aber…“ „Du bist meine beste Freundin!“, sagte ich nun entschieden, kramte meine Trainingssachen aus der Tasche und warf sie auf einen viel zu großen Haufen Dreckwäsche. Mom würde nicht erfreut sein, „Also wenn du willst das ich deinen Pöbelprinz kennenlerne, dann mach’ ich das...“, sie kicherte bei dem nicht sehr schmeichelhaften Kosenamen, den ich Vins gab, „Außerdem brauche ich sowieso neue Laufschuhe. Bei meinem alten Paar schält sich die Sohle ab…“ Einhändig versuchte ich meine Matheaufgaben zu ordnen und dabei noch entschiedener gleichgültig zu wirken.
Selbst der nahende Tod der gesamten Menschheit durch einen Asteroiden hätte mich nicht davon abhalten können, morgen um Eins in der Mall zu sein. Weil ich dumm,egoistisch und masochistisch war, aber vor allem dumm.
„Wenn ich ehrlich bin…“, seufzte Kim, „Hatte ich ja damit gerechnet, dass er absagt oder du…“ Ich ehrlich gesagt auch. Selbst jetzt noch war ich mir nicht sicher, ob er morgen auftauchen würde.
„Aber er ist sogar noch sturer als du irgendwie…“ Ich runzelte die Stirn. „Er holt mich morgen sogar ab und wir gehen zusammen. Er hat sogar gefragt, ob wir dich mit einsammeln…“
Vins wollte mich treffen? Wahrscheinlich wollte er nur verhindern, dass ich alleine mit Kim war. Unsicher verknoteten sich meine Gedärme. Warum ich auch in der Schule die beiden immer so angaffen musste. Natürlich dachte alle, das ich in Kim verschossen war… Und dann auch noch die bescheuerten Gerüchte von Becky, dem Fischkopf!
„Vielleicht ist es besser, er weiß nicht wo ich wohne…“, nuschelte ich, als Kim irritiert von meinem Schweigen schon ansetzen wollte. Sie lachte und fuhr sich durch die Haare, kurz sah ich nur ihren Ellenbogen.
„Ich meinte, wir sollten deine Nerven nicht überstrapazieren…“, sie seufzte, „Ich weiß, ich nerv’ dich die Woche ziemlich, aber ich hab echt schiss, dass ihr euch nicht mögt…“ Nun seufzte ich. „Ich weiß, ich weiß. Aber du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, wenn nicht der Mensch!“, sie lächelte gequält, „Aber Vins…“, sie sah kurz durch ihr Zimmer und suchte nach Worten. „Er ist toll, und ja, manchmal ist er ein Arsch, aber ich glaube…“, sie sah mich nun noch gequälter als zuvor an, „Du wärst ein guter Einfluss!“ „Ich habe ja jetzt prinzipiell auch nichts gegen ihn!“, sagte ich sofort, und musste fast lachen bei der offensichtlichen Untertreibung, „Weil, du mir ja auch wichtig bist, sehr!“
Und weil ich Vins verflucht heiß fand! Es gefiel mir viel zu sehr, dass Kim mich für einen guten Einfluss hielt. Insgeheim dachte ich das selbst…
Wenn ich und Vins, wir… Ich schalte mich selbst in Gedanken, es gab kein „wir“. Ich und Vins waren momentan noch nicht mal Freunde. Und ehrlich gesagt, wusste ich auch nicht, ob ich ein Freund sein könnte. Wahrscheinlich war ich die ganze Zeit so Panne verliebt, dass er mich für geistig behindert hielt.
„Man kann aber auch nichts erzwingen. Ich werde mich benehmen, wenn er es auch tut! Und dann werden wir sehen…“ „OSCAR“, kam es laut von unten. Mom hatte das Abendessen fertig.
„Ich muss Schluss machen Kim, es gibt Essen!“ „Oh!“, sie kratzte sich die Nase, „Grüß deine Eltern und wir schreiben nochmal, oder ich rufe nochmal durch oder…“ „Kim!“, knurrte ich. „Wir sehen uns morgen. Ich muss eh noch Bio machen!“, hastig winkte sie ab. „Bis morgen…“, damit legte ich auf.
Als ich die Treppe runter in die Küche kam, saß Dad, in seiner dunkelblauen Uniform, schon am gedeckten Tisch und lass Zeitung. Vor ihm stand ein dampfender Becher Kaffee. Er hatte die Woche über Nachtschicht.
Mein Vater war für die meisten Officer Sprout, der Freund und Helfer in der Nachbarschaft. Für mich war er der Typ mit dem schlechtem Musikgeschmack und unnützem Wissen über auch wirklich alles.
Als ich mir ein Glas Eistee nahm, sah er kurz über den Rand der Zeitung zu mir rüber und grinste. Er sah aus wie alle Väter in dem Alter wohl aussehen. Er hatte ein rotes Gesicht und einen Schnurrbart, der genau die gleiche dunkelblonde Farbe hatte wie sein langsam schwindendes Haupthaar.
Doch ich hatte nicht nur die Haarfarbe, sondern auch die braunen Augen von ihm geerbt, sowie die dürren langen Storchenbeine, wie meine Mutter sie immer nannte. An sich denke ich, mein Dad wird früher eine ähnliche Statur wie ich gehabt haben. Nur langsam bekam er einen Bauch, der wie ein kleiner Medizinball aus ihm herausragte.
„Alles klar, Kumpel?“, fragte er mich und nippte an seinem Kaffee, „Wie war das Training?“ „Die Staffel steht…“, sagte ich und schob die Salz- und Pfefferstreuer zur Seite, als Mom eine riesige Lasagne auf den Tisch wuchtete. Sie war eine unglaublich kleine und rundliche Frau, mit dem, wen man meinem Vater Glauben schenken durfte, schönsten Lächeln auf der Welt.
Sie ging Dad nur bis zur Brust und hatte rote, kurze Locken, die auch meine Schwester Nathalie nicht geerbt hatte. Dafür hatte meine Erzeugerin jedoch ihre blauen Augen zumindest an eines ihrer Kinder weitergegeben. Das einzige was ich von meiner Mom mitbekommen hatte, waren ein Paar Sommersprossen, die sie jedoch in rauen Mengen hatte. Unser angeblich irisches Erbe.
Als ich klein war, meinte mein Dad, dass jede einzelne Sommersprosse ein Kuss von Mom wäre. Wenn ich traurig sei, weil sie wieder eine Nacht arbeiten musste, sollte ich sie zählen, damit ich wusste, wie oft sie mich aus der Ferne küsste…
Ich liebte diese Geschichte, aber ich würde lieber nackt zur Schule gehen, als sie jemals irgendwem zu erzählen!
„Henry läuft als Letzter?“, fragte Dad und sog begeistert die Oregano und Basilikum geschwängerte Luft ein. „Ne…“, meinte ich schlicht und reichte Mom meinen Teller. Ich musste mir ein breites Grinsen verkneifen. „Wen will er, denn dann als letzten Sprinter aufstellen?“, mein Vater schien verwundert, dann grinste ich doch breit. „Mich!“ „Wirklich?“, Mom verwuschelter mir die Haare und reichte mir gleichzeitig meinen nun vollbeladenen Teller. „Jup, Henry läuft als Zweiter und ich komm’ dann als Letzter…“ „Kommt Henry, den mit zwei Übergaben klar?“, mein Vater nahm nun ebenfalls seinen vollen Teller entgegen. „Coach will’s ausprobieren, er meinte ich würde unter Druck noch mal ‘ne Schippe drauflegen können.“, ich stopfte gierig Lasagne in mich rein. „Kaum zu glauben, was?“, lachte Dad auf und sah seine Frau an, „Unser Hühnerbeinchen…“ „Das hat er von mir!“, nickte Mom wissend und tat sich nun selbst auf. „Sowieso! Er hat alle guten Sachen von dir!“, nickte mein Vater nun auch entschieden, Und das ist wieder köstlich, meine Schöne!“ „In diesem Haus benutzen wir Messer und Gabel!“, sagte besagt Schöne jedoch nur schlicht. Dad und ich nahmen beide hastig die Gabel in die andere und das Messer in die jetzt freie Hand.
„Apropos Laufen…“, sagte ich zwischen zwei Bissen, „Kann ich Geld für neue Turnschuh kriegen? Bei meinen alten schälen sich langsam die Sohlen ab…“ „Ich hab schon vor drei Woche gemeint, dass du neue bestellen sollst!“, sagte Mom sofort und zeigte anklagend mit ihrer Gabel auf mich. „Ich geh’ morgen in die Mall, dann kann ich sie die nächsten Tage einlaufen…“, zuckte ich entschuldigend mit den Schultern. „Kann der Rasen es ertragen, dass du morgen shoppen gehst?“, fragte Dad erstaunt und ich unterdrückte es die Augen zu verdrehen. „Ich mähe den Rasen am Vormittag, ich treff’ mich erst um Eins mit Kim…“ „Kim Daniels?“, fragte Dad nach, als würde ich seit Jahren acht verschieden Kims kennen. „Welche Kim sonst?“
„Hübsches Mädchen ist das geworden!“, wischte Dad sich Tomatensoße aus dem Schnäuzer. „Ein sehr Hübsches!“, stimmte ihm Mom zu und nun verdrehte ich wirklich die Augen. „Ich könnte schwören, dass ihr das beide schon mal erwähnt habt… ein paar hundert Mal…“ „Und ich schreib‘s dir gerne auch auf, Hühnerbein…“, sagte Dad weise, „Wir wissen beide, dass sie an sich zu hübsch für dich ist, aber vielleicht weiß sie es ja noch nicht!“
„Danke… und wir sind nur Freunde!“, ich kratzte die Tomatenreste auf meinen Teller zusammen, „Außerdem ist morgen auch ihr FREUND mit dabei…“, betonte ich entschieden.
„Dyliah ist von ihm nicht begeistert!“, sagte nun Mom. „Sie hat ihn ihren Eltern vorgestellt?“, fragte ich völlig überrumpelt. Das Letzte was ich mir vorstellen konnte, war Vins bei Dyliah und Kevin auf dem in Schutzfolie eingepackten Sofa. „Eben nicht!“, tat sie etwas zu pikiert, „Er hat sich nicht vorgestellt und bringt sie zu spät nach Hause und ist im Allgemeinen… Nun ja…“ „Hast du nicht immer gesagt, man soll nicht nur nach Gerüchten gehen…“, antwortete ich eine Spur zu verteidigend. „Kennst du den Jungen?“, fragte Dad nun und musterte mich wissend. „Ich weiß nur, dass viel Scheiß über ihn erzählt wird. Und ich bin mir sicher, mehr als die Hälfte ist Humbug!“ „Und die andere Hälfte?“, Dad nahm einen Schluck Kaffee, wahrscheinlich wusste er längst mehr über Vins als ich.
Die Eltern von Miguel hatten das Reihenhaus neben uns. Sein Dad hatte zwei Tage nach der Nachricht das Miguel tot war, meinem Dad einen verflucht ernsten Besuch abgestattet. Danach hatte ich auch ein verflucht langes Gespräch mit meinen Eltern gehabt.
Einerseits wegen Drogen und andererseits, weil ein Junge in meinem Alter gestorben war, mit dem ich mal befreundet war, und sie Angst hatten, dass mich das emotional zu stark tangierte. Mom hatte sogar aus der Klinik einen Zettel mitgebracht von einer Psychologin, falls ich mit jemand anderen reden wollte. Das ganze saß noch immer tief und ich hatte den kleinen Dino, den Miguel mir mal geschenkt hatte, wieder ausgekramt und ins Fenster gestellt. Aber ich wusste nicht, was ich fühlen sollte wegen des ganzen Themas und da würde mir irgendeine Therapeutin auch nicht helfen…
„Ich treffe ihn morgen eigentlich auch das erste Mal richtig…“, nuschelte ich unentschlossen. „Du bist ein guter Kerl und Kim sollte sich auf dich verlassen können!“, sagte Dad schließlich ernst, Mom nickte zustimmend. „Wenn er so mies wäre, hätte ich längst was gesagt!“, seufzend räumte ich meinen Teller in den Geschirrspüler.
„Ruhige Schicht, Dad!“, sagte ich noch und stieg dann die Treppe wieder hoch.
In meinem Zimmer angekommen, schaltete ich meinen Laptop an und suchte nach ‘ner passenden Playlist um die Hausaufgaben erträglicher zu machen. Unschlüssig wechselte ich zwischen den Liedern hin und her, als schließlich Fall Out Boy aus den Boxen dröhnte und mein Handy vibrierte. Immer noch mit meiner Musik beschäftigt, ging ich unüberlegt ran. „Hey, wegen vorhin nochmal…“, ertönte es und ich stöhnte: „Oh verdammt, Kim…“
Es war Zehn vor Eins am Samstag, als ich meinen roten Lieblingspulli glatt zog und mit viel zu flattrigen Herzen die Rolltreppe erklomm. Wahrscheinlich würde es sowieso ein grauenhafter Tag, wenn Vins überhaupt erschien.
Ich hatte die Nacht natürlich vor Aufregung kaum ein Auge zu gekriegt und war dann irgendwann nach um zwei eingepennt, nur um um Fünf von einem sehr feuchten Traum geweckt zu werden. Wenn ich nur dran dachte, was in dem Traum abging, wurde mein Mund trocken und zu viel Blut schoss in Körperteile, die ich gerade nicht benutzten wollte.
Teenagerkörper sind das Letzte!
Nachdem ich den Rasen gemäht und noch einen Teller Lasagne verspeist hatte, würgte ich Leonie am Telefon ab. Sie wollte unbedingt, dass ich ihr einen persönlichen Live-Ticker zu unserem Treffen einrichtete. Schließlich war ich duschen gegangen.
Und ja, ich hatte mir auf Vins unter der Dusche einen runtergeholt… Weil… verflucht ich war 16 und hatte einen Penis! Was macht man wohl sonst unter der Dusche - ganze 20 Minuten!
Am Treffpunkt war von Kim oder Vins noch nichts zu sehen, also checkte ich peinlicher Weise mein Outfit nochmal in der spiegelnden Glasfront hinter mir.
Ich trug nicht oft ein Cappy, aber das rot und schwarz passte zum Pulli. Darunter trug ich ein weißes Longshirt, zu einer engen Jeans und meinen weißen Nikes.
Unentschlossen drehte ich mich kurz hin und her. Ich hatte zu Hause gefühlt alles was ich besaß aus dem Kleiderschrank gezerrt und hätte sehr gerne Kim um Rat gefragt, aber… Aus naheliegenden Gründen war das keine Option. Leonie erst recht nicht und da alles was man Ruth erzählte, Leonie unweigerlich auch erfuhr, schied sie auch aus. Von Bob und seiner Unfähigkeit zwei gleiche Socken anzuziehen, wollte ich erst gar nicht anfangen…
Tatsächlich hätte ich fast meiner Schwester auf dem College eine Nachricht geschickt, aber manche Sachen bezahlte man einfach zu teuer…
Ich guckte auf mein Handy, ob Kim vielleicht geschrieben hatte, als ihre Stimme schon durch die Passage hallte. „Ey, Pflaume!“
Grinsend kam sie mit Vins Händchen haltend auf mich zu. Sie trug ebenfalls ein weißes Shirt und ein Holzfällerhemd in Braun- und Beigetönen lässig darüber, dazu Jeans und weiße Chucks. Sie sah gut aus und Vins… Ich schluckte.
Vins weißes Shirt war schwarz bedruckt und ergab in wirren Mustern eine gruselige Maske,.Er hatte dazu eine zerrissene schwarze Jeans und schwarze Boots an. Anstatt seiner Lederjacke trug er heute eine hellblaue, viel zu große Jeans Jacke. Er sah unverschämt gut aus. Sofort kam ich mir zu gewollt und schuljungenhaft vor. Verdammt…
„Mensch, siehst ja richtig gut aus!“, sagte meine beste Freundin und pfiff lasziv, bevor sie mich umarmte. „Nettes Mützchen…“, war Vins Begrüßung. „Ich dachte mir, es ist so einfacher mein Gesicht vor den Überwachungskameras zu verbergen, wenn wir zusammen im gleichen Geschäft sind…“, eigentlich wollte ich ihn nicht an pöbeln, aber ich wollte vor ihm auch nicht wie ein Weichei wirken und… Kim trat mir auf den Fuß und meinte dann viel zu gutgelaunt. „Also ich will jetzt erstmal ‘nen Frozen Yogurth!“
Gleichzeitig setzten wir uns in Bewegung. „Du willst noch Schuhe kaufen, oder?“, meinte Kim, die zwischen mir und Vins lief. Ich nickte. Es war schwierig lässig zu tun, wenn ich am liebsten sofort mein Cappy in den nächsten Mülleimer geworfen hätte.
„Turnschuhe fürs Training!“, konkretisierte ich. „Ich wusste gar nicht, dass man hier Ballettschuhe kaufen kann?“ „Oh doch…“, schoss ich zurück, „Aber nur in den Geschäften, in die du nicht mehr reindarfst!“ „Jungs…“, knirschte meine beste Freundin mit den Zähnen. „Alles gut, Babe…“, lächelte Vins viel zu aufgesetzt, „Ich und Oscarlein machen nur Spaß!“ „Genau!“, sagte ich nicht minder gespielt lächelnd und Kim bestellte sich seufzend ihr Eis.
Wir liefen weiter zu dem einzigen Laden, der die Sneakermarke verkaufte, die ich beim Training gebrauchen konnte. Während Kim ihre Meinung äußerte, welche Farbe am besten zu meinen Augen passte, schlenderte Vins schweigend durch die Regale. Ich versuchte ihn nicht zu sehr zu beobachten. Was natürlich nicht funktionierte! Während diesem schier unmöglichem Unterfangen probierte ich ein Paar nach dem anderen an. Doch ich konnte mich einfach nicht entscheiden…
Für gewöhnlich war ich ziemlich schnell beim Schuhe kaufen. Ich hatte meinen Fuß einmal ordentlich vermessen lassen und wusste, auf was ich achten musste um genug Halt zu haben. Aber heute … Vins ständiger Blick im Nacken, machte mich ganz Banane.
„Ich finde die toll!“, hielt mir Kim nun ein rotes Paar vor die Nase. „Hm…“, sagte ich unbestimmt dazu. Plötzlich landete ein hellblauer Schuh vor mir. Verdattert sahen Kim und ich Vins an.
„Wenn das hilft, das Ganze zu Beschleunigen…“, zuckte er mit den Schultern und wirkte wie üblich genervt und gelangweilt zu gleich. Ich nahm den Schuh und tat abwertend, doch er gefiel mir natürlich gleich viel zu sehr.
„Hast du Angst, dass die Kameras dich erfassen?“, nuschelte ich dem Größeren zu, während ich betont gleichgültig den Schuh probierte. „Die Farbe steht dir, fast die Farbe von deinem einem Hemd…“, meinte Kim nachdenklich.
„Er sitzt gut…“, ich machte ein paar Schritte und war tatsächlich sehr zufrieden. Kim wuselte los um den zweiten zu besorgen. „Nimmst du den jetzt wirklich?“, fragte Vins etwas irritiert. „Ja, er sitzt gut! Danke!“, ich lächelte zu ihm hoch und hoffte nicht völlig idiotisch auszusehen.
Kim kam mit dem anderen Schuh wieder. Vins runzelte die Stirn. Anscheinend hatte ich mich doch völlig idiotisch angestellt. Noch nicht mal einen Schuh bekam ich vernünftig ausgesucht…
Ich zog den anderen an und lief die Regale ab. „Ja, ich nehme die…“ Kim tätschelte Vins Schulter, „Fein gemacht!“
Ich ging zur Kasse und bezahlte viel zu viel Geld für das bisschen Gummi und Stoff.
Schließlich gingen wir drei weiter. „Ich glaub, ich will bei Olympus rein…“, sagte sie, „Wartet ihr hier?“ Der Laden war klein, aber stets gut besucht. Als wir Kim von außen dabei zusahen wie sie versuchte vorbei an zwei braunhaarigen Mädels an ein schwarzes Shirt ranzukommen, überlegt ich fieberhaft, was ich sagen könnte.
Ich würde so gern mit Vins mal ein normales Gespräch führen, irgendwas Unverfängliches… Irgendwas, was mich nicht wie einen Stalker aussehen ließ oder ein Vollidiot, oder beides im schlimmsten Fall…
Warum machte mich dieser Typ so fertig und warum war ich so peinlich? Eigentlich war ich gut im Small Talk. Egal mit wem ich ein Projekt machen musste, ich kam klar mit ihm oder ihr.
„Warum eigentlich nur die Marke?“, kam es plötzlich von der Seite. „Was?“, verdutzt sah ich den anderen an. Vins sah starr geradeaus, aber stupste leicht gegen die Tüte in meiner Hand, „Warum nur die Marke?“ „Oh…“, sagte ich, „Ähm… Sie passt am besten…“ Er nickte. „Also…“, setzte ich wieder an, „Als ich in den Kader gekommen bin, meinte der Coach ich müsste meinen Fuß mal vermessen lassen, einfach das ich mehr Halt im Schuh hab… Und da jede Firma eine andere Form hat, passte der Schuh für meinen Fuß am besten. Ich hab recht kleine, schmale Füße… Ja…“ Super ich redete über meine Füße. Bravo, Oscar…
„Kim meinte, du bist ziemlich gut…“, redete Vins jetzt weiter und sah kurz zur Seite, „Sie meinte, du bist der Schnellste…“ „Bei Staffel ist nicht nur Geschwindigkeit wichtig…“, sagte ich und seufzte, „Der entscheidende Punkt ist die Übergabe, dass du dich auf das Tempo des anderen anpassen kannst und den Stab unter Kontrolle hast…“ „Hast du die, also Kontrolle?“, fragte er und sah mich direkt an. „In der Staffel? Ja… Sonst… Naja…“ Er grinste, ein schmales Lächeln, was sonst Kim immer bekam. Mein Herz schlug schneller.
Besagte Blondine kam mit genervter Miene und leeren Händen aus dem Laden , als sie plötzlich eine Brünette von der Seite ansprang. „Kimmi!“, kam es viel zu hoch und gekünstelt. Becky Fisher persönlich. „Becky…“, panisch sah Kim zu uns beiden und ich tat so, als würde ich mich übergeben. Vins lachte neben mir.
„Ist das nicht deine Ex, oder so…“, setzte er an und ich schauderte gespielt. Becky indes nahm Kim völlig in Beschlag. Besonders neugierig quetschte sie sie aus, als sie sah, dass sie mit mir und Vins, die angeblichen Erzfeinde, unterwegs war.
„Sam meinte, du hättest sie flachgelegt…“, tat Vins mir nun den Klatsch kund, den ich bereits kannte. „Sam denkt auch, ein Dreieck hat vier Seiten…“, antwortete ich gereizt. „Ich schätze das heißt nein…“, Vins lachte. „Ich würde lieber Glas essen, als die zu vögeln…“, meinte ich entschieden. „Mensch , du kennst erwachsenen Wörter.“, tat er erstaunt. „Das Weib ist einfach widerlich…“, tat ich seine Beleidigung ab, „Außerdem kann ich es nicht leiden, wenn Leute Scheiße hinter dem Rücken von anderen labern… Entweder man sagt es der Person ins Gesicht, oder hält die Fresse!“ Vins grünen Augen sahen in meine Natürlich musste ich rot werden. Stur verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Vins tat es mir nun gleich und verschränkte die Arme, „Ich würde ja auch für kein Geld der Welt über die rüber rutschen…“ „Ich würde lieber Säure trinken…“, tätigte ich das nächste Beispiel. „Ich würde mich eher überfahren lassen…“, warf nun Vins ein. „‘Ne öffentliche Toilette ablecken…“, sagte ich nun wieder. „Wo ist der Unterschied…“, fragte Vins nachdenklich und ich lachte, „Aber ich würde lieber nackte durch Stacheldraht kriechen…“ „Ich würde eher Cher bumsen!“ „Trump!“, setzte Vins noch einen drauf.
45 Minuten später hatte Kim sich von Becky längst losgeeist und wir saßen im Burgerladen der Mall. Und noch immer überlegten Vins und ich, was wir lieber tun würden, als mit Becky zu schlafen.
„In einer Wanne voller Blutegel liegen!“ „Das ist wie mit Becky zu schlafen…“, meinte nun ich, und Vins zuckt nachdenklich mit den Schultern, als er in seinen Burger biss. „Hm, ich würde eher einem Tiger versuchen die Zähne zu putzen…“ „In einen aktiven Vulkan springen…“ „Spuckeimer des Footballteams austrinken!“ „Ich würde lieber…“ „Ich würde lieber über was anderes reden, bitte!“, genervt ließ Kim den Kopf auf die Tischplatte knallen. Sie sah aus, als würde sie entweder uns beide oder sich selbst gerne im Milchshake vor ihr ertränken.
Vins und ich grinsten scheinheilig. „Ich glaube, ich will doch nicht, dass ihr befreundet seid…“, murrte die Blonde und ich fragte, „Was wäre dir denn lieber, als dass wir Freunde sind…“ Vins prustete in seine Pommes. „Arschgeige!“
Ich wusste selbst nicht genau, wie das passiert war, aber das Eis zwischen Vins und mir war gebrochen.
Wir blödelten noch eine Weile im Burgerladen rum und waren viel zu laut, so dass sich die anderen Gäste über uns beschwerten, weswegen wir noch lauter wurden.
Wir liefen durch die Geschäfte, suchten die hässlichsten Klamotten, die wir fanden und zwangen die anderen sie anzuziehen. Kim glänzte in einem pinken Paillettenkleid und Vins und ich trugen passende Hawaihemden dazu.
„Ich glaube, ich hab noch nie beschissener ausgesehen…“, Kim drehte sich vor dem großen Spiegel. Das Pink stand ihr überhaupt nicht und die Pailletten ließen sie 10 Kilo dicker wirken, als sie war. „Ich kenne dich schon ‘ne Weile, ich enthalte mich dementsprechend…“ Vins gluckste, er trug ein orangenes Hemd mit grünen Kakteen drauf. Es war schwere Überzeugungsarbeit nötig gewesen, ihn überhaupt in das Hemd zu kriegen. Meins war kotzgrün, wie Vins es genannt hatte, mit verschiedenen Tieren in Neon drauf. „Badehose!“, sagte Kim nur und zeigte anklagend mit dem Finger auf mich, „Bobs 14. Geburtstag!“, drohte ich zurück.
Sie lachte und boxte mir gespielt in den Bauch und nahm mich dann in den Schwitzkasten. „Beweg deinen hübschen Arsch her!“, meinte sie nun zu Vins, der uns in einer Mischung aus Belustigung und Unverständnis beobachtet hatte, „Ich will ein Bild von uns dreien machen!“ „Oh bitte nicht…“, sagte Vins, kam jedoch zu seiner Freundin. „Dabei hab ich das Hemd extra für dich ausgesucht!“, tat ich verwundert.
Tatsächlich fand Vins es ganz witzig uns dabei zuzusehen, wie wir uns in fürchterliche Klamotten zwängten, wollte aber erst selbst nicht mit machen. Schließlich jedoch hatte er sich unserem Willen gebeugt und fühlte sich eindeutig sehr unwohl! Was ich fürchterlich niedlich fand und nicht sollte…
All das hier gerade war wundervoll und schrecklich.
Der Tag war nicht im Geringsten so verlaufen, wie ich dachte, dass er werden würde. Dafür aber genauso wie ich immer gehofft hatte, dass es mal sein könnte. Doch Vins war Kims Freund und nicht meiner und die beiden schienen… glücklich. Sie hatten sich den ganzen Tag über nicht einmal in den Haaren gehabt…
Und jetzt standen wir zu dritt vor dem großen Spiegel in diesem übertrieben hippen Laden. In den hässlichsten Klamotten, die ich je anhatte und Kim kramte ihr Handy vor um ein Bild von uns zu machen. Sie legte die Arme um uns und Vins küsste tatsächlich ihre Schläfe. Ich verzog das Gesicht, als würde ich finden das beide eklig rochen. Kim lachte schallend.
Ich würde lieber sterben, als nicht mehr mit Kim befreundet zu sein.
Vins Hand legte sich auf meinen Hinterkopf. Er drückte mich spielerisch nach vorne, während er mir die Haare verwuschelte, als Kim das nächste Foto schoss.
Würde ich Vins jemals lieber als Kim sein?
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Huhu und Sorry... Eigentlich sollte das Kapitel schon gestern on kommen, aber ich schaffe das ganze einfach am Samstag nicht, deshlab denke ich werde ich das Upload Datum einfach insgesamt auf Sonntag legen... ^^"
ich hoffe das kapitel gefällt euch und ihr konntet ein bisschen Schmunzeln, im nächsten nimmt dann eine interessante Männerfreundschaft form an! :D
Die beiden haben es mir momentan sehr angetan und macht einfach ganz viel Spaß sie zu schreiben. Was macht ihr in den heißen Tagen und was sagt ihr bis jetzt zu den Jungs?
lg und knutsch, Usagi :3
‚All of these words whispered in my ear
Tell a story that I cannot bear to hear
Just 'cause I said it, it don't mean that I meant it
People say crazy things
Just 'cause I said it, don't mean that I meant it
Just 'cause you heard it
Rumor has it, ooh
Rumor has it, ooh
But rumor has it he's the one I'm leaving you for‘ ~ Adele, „Rumor Has It“ (2011)
Eigentlich wunderte es mich nicht, dass Leonie mich und Kim mit Nachrichten bombardierte. Aber selbst Bob schrieb mir und wollte wissen, ob ich noch lebte. Er war pessimistisch, wie er war, davon ausgegangen, dass entweder ich Vins eine verpasste. Ihm zu Folge hätte das dazu geführt, dass dieser mich ganz böse verprügeln würde oder aber Vins mich ohne meinen kläglichen Versuch zuzuschlagen einfach so, böse verprügeln würde.
Gott sei dank, glaubte mein bester Freund an mich…
Nachdem ich Leonie also ignorierte, so gut ich konnte und Bob sich vergewissert hatte, dass ich noch alle meine Zähne hatte, scrollte ich mit einem Gefühl lebende Fische verschluckt zu haben durch die Bilder, die Kim mir von gestern geschickt hatte.
Vins und ich beim Essen im Burgerladen. Vins, der sich mein Cappy schnappte. Kim, die danach mein Cappy hatte und mir die Zunge rausstreckte. Vins, der die Augen verdrehte. Kim, die mich knutschte. Kim, die Vins küsste. Wir drei in schrecklichen Klamotten, fürchterlich am rumalbern. Vins und ich sehr ernst in sehr hässlichen Pullovern. Vins, der mir durch die Haare fuhr, nachdem Kim schon wieder mein Cappy geklaut hatte…
Ich wischte ein Bild zurück um mir nochmal das Foto von mir und Vins an zu sehen. Er lächelte. Seine grünen Augen waren einmal nicht spöttisch. Ich war knall rot im Gesicht, was auch sonst?! Seine Hand war warm gewesen und ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut gehabt. Peinlicherweise.
Kim rief mich an. „Hey…“, grinste sie mich auf dem kleinen Display breit an. Ich grinste zurück. „Brauchst du Hilfe bei Bio?“ „Nee…“, sie tat verschlagen, „Jerome macht gerade meine Hausaufgaben!“ „Dann schick Ian mal für Mathe zu mir rüber!“
Jerome, Ian, Mike und Will waren Kims große Brüder. Alle waren ein ordentliches Stück älter. Kim war eine Nachzüglerin und ein Unfall, wie sie mir mal im Alter von sieben Jahren erklärt hatte. Ian und Will studierten noch. Ian Wirtschaftsmathematik und Will Architektur. Jerome, der Älteste, war in einem großen Pharmaunternehmen als Chemielaborant und Mike hatte irgendwo in Kalifornien seine eigene Bar aufgemacht.
Er lud mich und Kim jedes Jahr zur Spring Break- Party ein, die dort stieg. Natürlich hatten unsere Eltern das sehr strikt abgelehnt!
„Ich kann ihn auf jeden Fall mal fragen oder…“, sie verzog das Gesicht, „du fragst Nathalie, ob sie ihn für dich fragt…“, Ian war vom ersten Moment an, in dem er meine Schwester gesehen hatte, unsterblich in sie verliebt gewesen. Da meine Schwester aber, wie Kim es gerne formulierte, kalt wie eine Hundeschnauze war, hatte sie seine Gefühle bis jetzt ignoriert oder zu ihrem Vorteil gekonnt ausgenutzt.
Mein Vater war der absoluten Meinung, dass Nathalie, die Politik und Rechtswissenschaften studierte, entweder einem politischen Mord begehen oder irgendwann Opfer eines solchen werden würde. Sie war gutaussehend, (obwohl ich das vor ihr niemals zugeben würde!) unglaublich intelligent, ehrgeizig und durchsetzungsstark. Aber sie war auch stur, besserwisserisch und eine schreckliche Verliererin. Um fair zu bleiben musste man aber sagen, dass sie eine noch schrecklichere Gewinnerin war. Die geborene Politikerin!
Sie hatte ein volles Stipendium für Harvard bekommen und war natürlich, als alte Streberin, die beste ihres Jahrgangs.
„Ian hat was Besseres verdient!“, sagte ich seufzend und Kim lachte. „Du redest über deine Schwester!“ „Deswegen sag ich es ja!“
„Übrigens…“, Kims zog eine fürchterliche Fratze, „Vins mag dich!“ „Was?“, ich spürte sofort, wie das Blut in meine Wangen schoss. „Hat...“, meine Stimme war viel zu hoch, ich räusperte mich verhalten, „Hat er das gesagt?“
„Naja… Nicht direkt, aber… irgendwie, wie er über dich geredet hat…“ Sie wackelte unschlüssig mit dem Kopf, „Du magst ihn, oder?“ „Was… also…ich… Ja… Ähm, war nett!“, versuchte ich die Kurve zu kriegen und nickte unbestimmt männlich mit dem Kopf. „Hast du gerade ‘nen Schlaganfall?“, meinte Kim und runzelte die Stirn angesichts meiner nervösen Zuckungen. „Nein, war cool… war lässig…“ „Dir ist schon bewusst, dass ich dein Gesicht sehe…“, setzte sie an, „Oh nein, du findest ihn eigentlich doof!?“ „Nein! Ich…“, unwirsch fuhr ich mir durch die Haare, „Ich bin irgendwie voll erstaunt, dass…“ „Dass er doch nicht doof ist…“ „Ja…“
Kim grinste breit und zeigte ihre, dank drei Jahren Zahnspange, geraden Zähne.
„Ich wusste, dass ihr beide euch mögen würdet!“ Ich schnaubte ungläubig. „Naja, ich hab‘s gehofft!“, gab Kim zu. „Vielleicht können wir öfter was zusammen machen?“
„Ja… bestimmt…“, tat ich cool. Kim ignorierte das und erzählte genervt, wie Leonie sie stresste. Wir verbrachten noch eine weitere halbe Stunde damit über Leonie und den Rest unserer Freunde zu lästern. Was man halt so macht und schließlich widmete ich mich Mathe.
Ich war nicht schlecht in Mathe. Ich mochte es einfach nur nicht. Es war Mittel zum Zweck. Als Mensch, der Computer liebte, wusste ich, dass ohne Mathe nichts ging. Aber diese lächerlichen Textaufgaben hatten nichts mit seiner wirklichen Größe und Nützlichkeit zu tun. Kein Wunder das es alle hassten.
„Hast du noch schmutziges Geschirr?“, kam es von dumpf unten und hektisch kramte ich zwei Gläser und eine Schüssel zusammen. „Komme!“, brülle ich zurück und balancierte alles in einer Hand. Gleichzeitig versuchte ich meinen Wäscheberg unter den freien Arm zu klemmen, „Ich hätte auch noch Wäsche!“ Ein nicht begeistertes Geräusch kam als Antwort.
Umsichtig parkte ich das Geschirr auf dem Küchentisch und ging zu meiner Mom in den Haushaltsraum.
„Das du überhaupt noch was zum Anziehen hast…“, murrend nahm sie mir das Knäul aus Socken und Jeans ab. „Manche Sachen sehen linksrum gedreht cooler aus!“, tat ich scheinheilig und bekam als Antwort eine meiner Socken ins Gesicht.
Lachend ging ich in die Küche. Gerade als ich zum Geschirrspüler wollte, kam es von meiner Mutter: „Stell dein dreckiges Geschirr in den…“ „Mach ich schon!“, schnitt ich sie ab und verdrehte sie Augen. Unerwartet klingelte es an der Tür.
„Es hat geklingelt“, kam es wieder aus dem Hauswirtschaftsraum. „Ich bin nicht taub!“
Grummelnd lief ich zur Tür, manchmal war diese Frau…
Neugierig schloss ich auf und sah erschrocken zu Mrs. Vidal die nun vor mir stand, Miguels Mutter.
„Oscar, mein Junge!“, sie drückte mich an sich und küsste mich schließlich auf die rechte Wange bevor sie mein Gesicht in ihre kleinen Hände nahm. Sie roch nach Rosen und etwas, das mich unweigerlich an Wärme denken ließ. Ich lächelte beschämt. Ich wusste nicht warum, doch ich hatte fast ein schlechtes Gewissen sie zu sehen. Ich lebte und ihr Sohn nicht. Es war irrational, doch mein Magen drehte sich um.
„Wie geht es dir?“, fragte sie und richtete mein T-Shirt, schien sicher gehen zu wollen, dass ich ordentlich war. „Gut, also…“, ich war definitiv überfordert, „Es geht mir okay…“ Sie nickte, als wisse sie, was ich eigentlich gerne gesagt hätte. Sie war dünner geworden und sah viel älter aus, als sie eigentlich war. Ihre Augenringe waren tief und dunkel.
„Ist dein Vater da, mein Junge?“, ihr spanischer Akzent war kaum zu hören. Sie sprach sehr leise. „Maria“, meine Mutter kam aus der Küche, in der Hand eine meiner Jeans.
Schnell warf mir meine Mutter die Jeans zu und ging auf unsere Besucherin zu. Die Frauen umarmten sich. „Frances!“, Mrs. Vidal seufzte, „Ist Mason da?“ „Ja, natürlich. Komm rein, komm rein!“, sie komplimentierte unsere Nachbarin in die Küche und meinte zu mir: „Hol deinen Vater!“ Schnell lief ich die Treppe hoch und klopfte an der Bürotür. „Ich wollte gerade die Glühbirne wechseln, mein Liebling. Ich hab’ das natürlich nicht vergessen!“, kam es als Antwort. Grinsend öffnete ich dir Tür, „Ach du bist es!“ Anscheinend hatte mein Vater sich hastig hinter seinem Schreibtisch erhoben, vor ihm ein Bausatz für einen Miniaturflugzeugträger.
„Mrs. Vidal von neben an möchte dich gerne sprechen…“, unsicher biss ich mir auf die Unterlippe.
Zügig kam mein Vater um den Tisch. Im Vorbeigehen nahm er eine Akte vom Schrank und polternd trabte er die Treppe hinab. Ich folgte ihm unauffällig und blieb im Flur kurz vor der Küchentür stehen. Neugierig lehnte ich mich an die Wand.
Mein Vater begrüßte Miguels Mutter und ich hörte das Schleifen eines Küchenstuhls, als er sich setzte.
„Viel Neues gibt es noch nicht.“, ich hörte das leise Rascheln von Papier, als mein Vater die Akte öffnete, die er mitgenommen hatte. „Das sagte der Officer auch, Parker…“, erwiderte wieder Mrs. Vidal. „Er macht ‘nen sehr guten Job Du kannst ihm da vertrauen.“ „Hast du mit der Psychologin gesprochen, deren Nummer ich dir gegeben habe?“, fragte nun meine Mutter. „Ich… momentan passiert so viel…“, Mrs. Vidal schnäuzte sich leicht.Wahrscheinlich weinte sie. „Sie würde auch mit den Mädchen reden, sowie mit Tony…“ „Tony will niemanden sehen, er…“, ein Schluchzen und Seufzen zu gleich kroch hervor, „Er trinkt…“
„Ich rede mit ihm!“, Dad klang einfühlsam aber entschieden zu gleich. „Danke… Ich…“, ein erneutes Seufzen, „Der Beamte meinte, es gibt dieses… dieses Zeug jetzt häufiger, dass sie mehr gefunden haben?“ „Das ist richtig!“, sagte mein Vater, der routinierte Ton eines Polizisten, der über 20 Jahr im Dienst war, schlich sich in seine Worte, „Es wurden mehre Gramm der Droge gefunden, die nachweislich die Überdosis bei Miguel verursachten. Auch zwei Schüler von der South-Weste… Sie haben aber nachweislich nichts mit Miguel zu tun gehabt“. Ein Seufzen von Seiten meines Vaters, „Sie haben das wohl von irgendwem auf einer Party bekommen und so weiter… Es wurde jemand vom FBI angefordert. Er gehört zu einer Sonderheit für Drogenmissbrauch und Verbreitung…“ „Ich begreif es nicht… mi pequeño niño!”
Der Stein in meinem Magen wurde riesig. Noch zwei Schüler bei uns hatten dieses Dreckszeug genommen?! Wie konnten die überhaupt noch daran interessiert sein nach der Sache mit Miguel? Was gab es abschreckenderes, als das jemand gestorben war? Tot, unwiderruflich! Und wenn man den Gerüchten glauben durfte, war es kein seichtes im Delirium einschlafen und nicht wieder aufwachen gewesen. Miguel musste Angst gehabt haben, Schmerzen und schließlich hatte er sich übergeben. Immer wieder und wieder und war schließlich daran erstickt. Sofort wurde mir schlecht.
Ich raffte das nicht…
Aber, wie kamen die daran? Vertickte das jemand bei uns an der Schule? Unweigerlich drängte sich mir das Bild von Vins vor die Augen. Hatte er vielleicht wirklich… Nein! Er mochte vielleicht kiffen, aber dass… Nein…
Nervös begann ich an meinem Daumennagel zu kauen. Miguel und Vins hatten definitiv etwas miteinander zu tun. Auch ich hatte sie zusammen auf dem Schulparkplatz gesehen. Aber was… Nun ich hatte genauso selten mit Miguel gesprochen und dealte offensichtlich nicht mitDrogen also…
Das musste nichts heißen… Konnte es aber.
Mrs. Vidal sprach aus, was mich so ängstigte: „Was ist mit dem Jungen… Vincent?“ Alles in mir erstarrte. Vins.
„Nichts Handfestes…“, antwortet mein Vater und die Papiere raschelten erneut, „Sie waren wohl mit einander befreundet, wenn auch nicht sehr eng. Sie kannten sich wohl von Nortens… Mehr nicht…“, doch der Ton meines Vaters ließ erahnen, dass da mehr war, „Ich denke, der Junge weiß was. Sein Ruf spricht dafür Aber ich denke nicht, dass er selber der Mittelpunkt der Sache ist… Das wirkt für mich viel zu organisiert, zu weit gefächert. Es ist ja nicht nur die South-West, an der das Zeug vertickt wird!“
Was zum Henker war Nortens? Ich hatte das noch nie gehört und warum kannten die beiden sich von dort? Und das Zeug gab es überall in der Stadt?
Ich schauderte. Natürlich machte es jetzt auch Sinn, dass jemand vom FBI die Ermittlungen leitete.
Mein Vater wollte gerade noch etwas sagen, als mein Handy klingelte. Panisch suchte ich den Störenfried. Leonie. Wütend drückte ich sie weg, doch meine Mutter stand längst in der Küchentür und sah mich böse an. „…“, mein Hirn versuchte eine Ausrede hervorzubringen, doch sie zeigte nur stumm nach oben und ich trollte mich.
Wieder zurück in meinem Zimmer ging ich, angestrengt nachdenkend, auf und ab.
Was sollte das alles nur bedeuten? Seufzend ging ich zu meinem Regal über dem Schreibtisch und nahm die kleine grüne Dinofigur, die Miguel mir mal geschenkt hatte, herunter.
Ich betrachtete sie eine Weile und fragte mich, wie viel von dem Miguel, den ich mal kannte, noch übrig gewesen war, als er starb.
Mit der Figur noch in der Hand ließ ich mich auf mein Bett fallen. Miguel war mal mein bester Freund, dann war er ein Freund von vielen und schließlich waren wie Bekannte, eben nur Nachbarn, gewesen. Und er war, auch wenn er es nicht wusste, mein erster Schwarm gewesen.
Der erste Junge, von dem ich wusste, dass ich ihn lieber mochte. Den ich so mochte, wie ich wusste, dass Kim damals Dustin aus der 5. Klasse mochte.
Ich ließ den Dino los und nahm mein Handy. Das Bild von mir uns Vins war noch immer offen. Mochte ich jetzt den Typen, der Miguel mit auf dem Gewissen hatten? Was hatte mein Dad damit gemeint, als er sagte, Vins wisse mehr, als er zugab…
Es klopfte leise und mein Vater kam herein. Ich richtete mich schuldbewusst auf und kratzte mir den Hinterkopf. „Du hast gelauscht…“, stellte er mehr fest, als das er fragte, „Schon okay. Hätte ich an deiner Stelle auch…“ Er setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl und verzog unschlüssig sein Gesicht.
„Ich denke, du wirst mehr Gerüchte zu der ganzen Sache kennen als ich. Aber ich hoffe auch, dass wenn du etwas wirklich verdächtiges hörst, dass du mir das sagen würdest!“ „Gestern mit Vins…“, setzte ich an, „Das war einfach witzig… Er ist ganz cool. Ich glaube nicht, dass er…“ „Vincent, oder Vins wie du ihn nennst, ist von seiner alten Schule wegen Vandalismus geflogen…“ Ich sagte dazu nichts. „Und von der Schule davor, weil er einen Mitschüler betrunken verprügelt hat. Der Junge musste operiert werden. Der Kiefer war völlig hinüber…“
Der Stein, den Miguels Tod in mir platziert hatte, schien aufs Doppelte anzuschwellen. Er zog mich in ein tiefes Loch.
„Der Junge scheint es zu Hause alles andere als leicht zu haben. Mutter hängt wohl an der Flasche und dem Vater soll wohl die Hand ab und an ausrutschen…“, die Stimme meines Vaters war wütend und besorgt zu gleich.
Noch immer sagte ich nichts. „Jeder Mensch hat ‘ne zweite Chance verdient. Und wenn der Junge vielleicht ‘nen stabilen Freundeskreis bekommt, kann aus ihm noch was werden. Aber wenn du das Gefühl hast, da stimmt was nicht musst du mir das sagen! Auch um zu verhindern, dass es Vins so geht wie Miguel…“ „Ich hab’ gestern zum ersten Mal was mit ihm gemacht, also…“, wollte ich die schweren und viel zu wahren Worte meines Vaters abwehren, doch er unterbrach mich. „Er ist Kims Freund, also wird das nicht das erste und letzte Mal gewesen sein, dass ihr was zusammen gemacht habt…“
Er erhob sich und ging zur Tür. „Ich muss jetzt zur Schicht, wenn du reden willst oder noch Fragen hast…“, er richtete seinen Schnurrbart, „Dann reden wir!“ Und damit ging mein Vater hinaus.
Im ersten Moment wollte ich Kim anrufen und ihr alles erzählen, doch ich wusste wie sie schon auf die dummen Gerüchte von Becky Fisher reagiert hatte. Was würde sie also dazu sagen…?
Mit mehr schlecht als recht gemachten Mathehausaufgaben machte ich mich Bett fertig und zappte dann durchs Fernsehprogramm. Kurz verweilte ich bei einer Show, die die besten YouTube Covers von Popsongs zeigten, doch ich konnte mich auf nichts konzentrieren.
Was würde morgen in der Schule abgehen? Würde Vins mich ignorieren oder würde es wie am Samstag sein? Wieder scrollte ich durch die Bilder und dachte an die Stunde in der Mall zurück. Vielleicht könnten wir uns wirklich mehr anfreunden. Kurz stelle ich mir vor, wie ich ihm den hässlichen Pulli zum Geburtstag schenken würde.
Mit einem dummen Grinsen wollte ich mich bequem hinlegen, doch irgendwas stach mir in den Rücken. Die kleine Dinofigur hatte sich unter mir verkeilt. Mit einem schlechten Gewissen stellte ich sie ins Fenster.
‘I love the way that this began.
Started off right, so innocent.
I'm letting you know, I'm letting you go,
I want your best friend.
I'm giving it up and asking why you seem so shocked and so surprised.
I'm sorry it hurts, I'm surely a jerk, I understand why you're mad.
Don't talk that crap when you call me back as a matter of fact don't act like that.
Everybody knows you're right, everybody knows I'm wrong (wrong).‘ ~ Falling in Reverse, „Fashionable Late“ (2013)
Als ich am Morgen das Haus verließ, war es schwül und drückend. Seufzend setzte ich mich in Moms braunen Honda Civic, wie immer, wenn sie Mittelschicht hatte, fuhr sie mich zur Schule.
„Wenn du so langsam fährst, kannst du das Auto auch tragen…“, meinte ich müde und schlecht gelaunt, als sie im Schneckentempo auf den Parkplatz kroch. „Du kannst auch laufen!“, giftete sie zurück, „Wenn du dein Erspartes nicht für einen Schrotthaufen ausgegeben hättest, müsste ich dich nicht überall hinfahren!“ „Er ist kein Schrotthaufen, sondern ein Klassiker… Und er wird fahren!“, dass dies erst in einem halben Jahr der Fall sein würde, musste ich ihr ja nicht unter die Nase reiben.
Ich hatte mir letztes Jahr zu meinem Geburtstag ein Auto gekauft. Meine Eltern schenkten mir 1000 Dollar und die andere Hälfte sponserte ich.
Nach langem Suchen und der einstimmigen Meinung meiner Freunde und Verwandten, dass ich einen Knall hatte, hatte ich mir als Autonarr einen alten Impala 67 gekauft.
Ja, das Auto von Dean aus Supernatural. Nein, ich hatte ihn nicht deswegen gekauft, auch wenn ich Jensen Ackles heiß fand.
Es war einfach ein wundervolles Auto und ich war in der alten Werkstatt meines Dads auf einen guten Deal gekommen. Jeff, der Chefmechaniker, und mein Dad waren zusammen auf die High-School gegangen. Und wenn ich an den Wochenenden mitarbeitete, müsste ich nur die Teile bezahlen, die bei der Restauration anfielen.
Das war vor 10 Monaten her. Ich hatte bist jetzt noch nicht einen Meter mit dem Wagen zurückgelegt, aber ich gab die Hoffnung nicht auf.
Mein Dad war schon immer ein Bastler gewesen und hatte mich als ich kaum laufen konnte schon mit in die Werkstatt geschleppt. Ich liebte den schweren Geruch, das Gefühl von Schmieröl und die Befriedigung, wenn etwas, das kaputt schien, wieder funktionierte. Also sah ich das Ganze als Herausforderung und nur ein bisschen als Geldverschwendung.
Wahrscheinlich wollte ich deswegen Ingenieur werden…
„Einen schönen Tag…“, sagte meine Mutter als ich ging. „Dir auch…“, zog ich eine Grimasse und sie lachte.
Gähnend ging ich ins Schulgebäude, wo Leonie mich schon erwartete. „Oh Bitte nicht…“ „Oh bitte doch!“, sagte diese zuckersüß und hackte sich bei mir unter, ihr Schwester Ruth neben sich. „Mein liebster Oscar…“, ich wusste das Leonie nie gefährlicher war, als in ihren netten Momenten, „Würdest mir verraten, was am Samstag vorgefallen ist? Bitte…“ „Wir leben alle drei noch und wie Bob bereits weiß, hab ich auch noch alle meine Zähne!“ Besagter bester Freund steuerte lässig, wie immer, auf uns zu. „Morgen, Bro…“
„Weißt du mehr?“, begrüßte ihn Leonie. „Über Oscars Zähne?“, fragte Bob verblüfft zurück,.Ruth kicherte, als Leonie theatralisch die Arme hochwarf. „Ihr seid alle zu nichts zu gebrauchen!“
„Wenigstens hat Oscar nicht Jesus vorgeschoben um am Wochenende nicht mitkommen zu müssen!“, kam es nun hinter uns. Kim begrüßte mich mit einer gewohnt stürmischen Umarmung. „Oscar weiß selbst nicht, warum er sich dass angetan hat…“, meinte Leonie entschieden, „Wahrscheinlich habt ihr euch die ganze Zeit an gegiftet und zum Schluss hat Oscar versucht sich in einer Rolltreppe das Leben zunehmen!“ Immer noch lächelnd zückte Kim ihr Handy. Keine 10 Sekunden später vibrierte Leonies. Irritiert zog die Schwarzhaarige ihr Handy, Ruth lugte über ihre Schulter. „Nein!“, entsetzt sahen die Zwillinge auf das kleine Display, „Wie? Warum…“
„Was hast du ihnen geschickt?“, fragte ich nichts Gutes ahnend, „Die beiden sehen aus, als hätten sie wirklich Jesus enttäuscht!“ „Das hast wohl eher du!“, meinte Leonie und zeigt mir nun das Bild, das ich ebenfalls gestern angehimmelt hatte. Vins und ich eng beieinander, seine Hand zerwühlte mir die Haare.
Überrumpelt gluckste ich auf. Versuchte meine Freude und meine Scham über das Bild zu verbergen.
„Er ist Satan!“, sagte Leonie entschieden. „Ich bevorzuge Herr der Finsternis. So gut kennen wir uns nun schließlich auch wieder nicht!“, kam es hinter ihnen. Vins war gerade hereingekommen. Kim und ich lachten. Leonie starrte noch immer verwirrt auf ihr Handy.
„Morgen… Heute ohne Mützchen?“, begrüßte mich Vins und nickte mir zu. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. War die Schule, wie die Mall? Waren wir hier die Gleichen? Unweigerlich kam mir das Gespräch mit meinem Vater ins Gedächtnis.
„Offensichtlich…“, zuckte ich mit den Schultern und fuhr mir durch die Haare, „Hier sind, soviel ich weiß, noch keine Sicherheitskameras…“, griff ich den Witz vom Samstag wieder auf. Ein schmales Lächeln schob sich auf sein Gesicht.
Wir gingen nun zu sechst weiter den Flur entlang. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Kim und er hielten Händchen. „Ich glaube, dass das Foto gestellt ist.“, hörte ich Leonie hinter mir flüstern. „Vielleicht tun sie nur so, damit der jeweils andere sich in Sicherheit gewogen fühlt.“, überlegte Ruth. „Das wird’s sein.“
Ich sah die beiden an und schüttelte nur den Kopf. Synchron zuckten sie mit den Schultern. Wir hielten bei meinem Schließfach und Bob fing wieder über den ökologischen Fußabdruck an zu sprechen, als jemand seinen Müll vor uns auf den Boden fallen ließ und wie wichtig Eigenverantwortung war. „Hast du Mathe noch gemacht?“, fragte mich Kim und lehnte sich gegen das Schließfach neben meinem.
„Ja…“ „Das klingt nicht überzeugt…“, sagte nun die Blonde. „Ich hab mehr gemacht, als Mathe verdient!“ Vins schnaufte lachend. „Vielleicht hast du ja Mathe nicht verdient…“, sagte er und Kim gluckste. „Vielleicht hast du deine Freundin nicht verdient!“, sagte ich vor Aufregung das Erste, das mir in den Kopf schoss, ohne darüber nachzudenken.
Kim lachte unerwartet auf. Ich wusste das Leonie und Ruth genau das bekamen, was sie erwartet hatten. Doch Vins zog die Brauen hoch. „Und wer meinst du, hat sie verdient?“, ein eigentümlicher Blick lag in seinen grünen Augen. „Was fragst du da mich?! Ich würde sie noch nicht mal geschenkt nehmen!“ „Du Arsch!“, Kim versuchte nach mir zu treten und Vins lachte. Er verzog gespielt nachdenklich das Gesicht. Sie boxte ihn auf die Brust und er keuchte leise auf. „Au“ „Verteidige mich gefälligst, du Penner!“
Spielerisch boxte er mir nun auf die Schulter und zerwühlte mir dann, wie auf dem Foto, die Haare. „Ey!“
Wer hätte gedacht, dass er nicht nur bei Kim so körperlich war. Ich hatte ihn irgendwie nicht, wie den Umarme-Typ eingeschätzt…
„Also seid ihr jetzt wirklich Freunde…?“, Leonie schien zu tiefst erschüttert und ein bisschen enttäuscht. „Niemals!“, sagte Vins grinste aber. „Er riecht komisch!“, meinte ich nun, purer Hohn. Es gab keinen Menschen, der für mich besser roch.
„Das ist der Schwefel!“, nickte Vins wissend, „Einer der Nachteile meines Jobs als Herrscher der Hölle.“ Ich schnaubte. „Wenn du der Teufel bist, bin ich Jesus!“ „Was passt! Leonie und Ruth enttäuschen dich bestimmt ab und an.“, zuckte Bob überlegend mit den Schultern. Vins und ich brachen in schallendes Gelächter aus. Kim verkniff sich sehr angestrengt ihr Lachen.
„Ich hoffe dir ist bewusst, was du da angerichtet hast.“, sagte Leonie und stakste davon,.Ruth sah ihr kurz nach und lachte dann bevor sie ihr hinterher ging. „Unmöglich…“, tat Kim enttäuscht. Sie küsste Vins, schnipste mir gegen die Stirn und folgte ihren Freundinnen zum Englisch Leistungskurs. „Ich muss auch zu Englisch.“, seufzte Bob, „Bis Später, Digger!“
Plötzlich allein mit Vins wurde mein Lächeln nervöser. Wir hatten tatsächlich jetzt zusammen Mathe Leistungskurs. Ich machte mein Schließfach zu und ging mit Vins schweigend durch den Flur. Ein paar Leute grüßten mich und sahen ziemlich verwirrt aus, dass Vins neben mir herging.
„Du bist also an den Hausaufgaben verzweifelt?“, fragte er schließlich in meinen inneren panischen Monolog hinein. „Hm?“, verwirrt sah ich ihn mit großen Augen an. „Mathe?“, fragte er langsam, als wäre ich doof. „Oh…“, ich räusperte mich, „Ja… Nee, ich hab das Nötigste gemacht. Bei Aufgabe 13 hatte ich einfach keinen Bock. Ich weiß, dass meine Antwort falsch ist.“ Er schmunzelte tatsächlich.
Als wir in den Matheraum kamen steuerte ich etwas unentschlossen auf meinen Platz rechts in der Mitte zu. Wir hatten keinen festen Sitzplan, aber wenn man zu beginn des Jahres wo saß, saß man da meistens auch den Rest des Jahres. Vins war immer noch hinter mir. Da er später zu uns gekommen war, hatte er den einzigen freien Platz weiter vorne eingenommen. Ich setzte meinen Rucksack ab und Vins ließ sich neben mir fallen. Justin, der sonst neben mir saß, sah Vins verwirrt an.
„Ja?“, fragte Vins angriffslustig, als Justin vor seinem eigentlichen Platz stand. Justin entschied, wie ich fand sehr klug, nicht zu antworten und sich schlicht auf Vins alten Platz zu setzten.
Justin war okay, wenn wir auch keine besten Freunde waren, trotzdem gluckste ich. „Du bist auch so ein Typ, der das mit Charme macht.“, spottete ich leise und kramte meine Hausaufgaben hervor. „Bei dir scheint er doch zu wirken!“, scheinheilig lehnte sich der Größere zu mir vor. „In deinen Träumen…“, natürlich wurde ich rot. Ich hoffte inständig das er das nicht bemerkte. „Das sind also deine Hausaufgaben?“, fragend zog er meine Aufzeichnungen zu sich ran. Er nahm einen Stift aus meiner Federtasche und blätterte durch die Seiten. „Malst du mir jetzt Penisse an den Rand?“, fragte ich leise, Mr. Keller begann vorne die Luft zu bewegen. Viele meinten er wäre genauso wie Mathe. Wenn Mathe wirklich er war, war Mathe tatsächlich ein Arschloch.
„Willst du schnell abschreiben?“, nuschelte ich und konnte nicht genau sehen, was er da in meinen Aufgaben herum kritzelte. Mr. Keller sammelte gerne mal die Hausaufgaben ein oder ließ sie Vorrechnen. „Nee.“, grinste Vins mich an und verschränkte die Arme über meinen Aufgaben, so dass ich nicht sah, was er gemacht hatte. „Hast du wirklich Penisse rein gemalt?“ „Ich bin berüchtigt für meine Penisse, große Kunst.“ „Ich weiß nicht, ob das ‘ne gute Sache ist.“, sagte ich leise und sah nach vorn. „Kommt drauf an, wen man fragt.“ „Den Kinderschutzbeauftragten…“, war meine Antwort. „Deine Mutter…“, war seine Antwort. „Fick dich!“, lachte ich etwas zu laut. „Mr. Sprout!“, bellte Keller von vorne und ich zog eine Grimasse. „Wenn Sie meinen Ausführungen nicht lauschen müssen, können sie doch nach vorn kommen und…“, seine schmalen Schildkrötenlippen verzogen sich gehässig, „… lösen Aufgabe 13 der Hausaufgaben!“ „Gerne…“, innerlich ihn, Vins und mich verfluchend stand ich auf. Natürlich musste es Aufgabe 13 sein, die mit Abstand schwerste von den 15. Sichtlich gegen das Lachen ankämpfend, reichte mir Vins meine Notizen und ich ging nach vorne.
Keller reichte mir die Kreide und ich blätterte in meinen Notizen nach der Aufgabe. Ich ahnte was dieser Penner zu meinem Lösungsweg sagen würde. Doch als ich zu der Aufgabe kam, sah ich das Vins sie korrigiert hatte. Tatsächlich fand ich nicht einen Penis.
Verdutz sah ich nach hinten. Der Dunklehaarige reckte frech den Daumen nach oben und lehnte sich zurück in seinem Stuhl.
Ich war nun wirklich nicht schlecht in Mathe, wenn ich wollte, aber so schnell hätte ich es auch mit großem Enthusiasmus nicht hingekriegt. „Nun fangen Sie an!“, meinte Mr. Arschloch neben mir und verhalten lächelnd schrieb ich den von Vins korrigierten Lösungsweg plus Antwort auf.
Schon bei der Hälfte bemerkte ich die unverhohlene Missgunst meines Lehrers, da ich es offensichtlich richtig hatte.
„Schön!“, sagte er, als ich ihm die Kreide wieder reichte, „Da wir das jetzt hätten, können Sie sich setzten und bitte seien Sie jetzt aufmerksamer!“
Seinen Lieblingsschülern hätte er jetzt ein A gegeben Ich setzte mich hin und verpasst Vins unauffällig eine auf den Hinterkopf, als ich an ihm vorbei ging. „Danke!“, nuschelte ich. „Wenn ich gewusst hätte, dass du nach vorne musst, hätte ich wirklich nur Penisse rein gemalt!“ „Pisser!“
Der Rest der Stunde verging damit, dass wir uns gegenseitig Penisse auf unsere Blöcke malten. Vins kassierte eine arge Rüge, weil er mich lachend einen „Spast“ nannte, als ich ihm einen Penis auf den Arm malen wollte.
Ich wusste das uns alle ansahen. Das keiner verstand, was da abging, aber mir ging es ja nicht anders. Am Freitag hatte ich noch das Gefühl gehabt, er würde mich am liebsten erschießen und irgendwo flach in der Wüste vergraben. Jetzt blödelten wir wie die besten Freunde durch die Gegend und nervten unser Umfeld.
Es war wundervoll, es war genau das, was ich wollte und es war gelogen. Denn ich wollte nicht sein neuer bester Freund sein. Ich wollte mehr sein, alles sein… Ich…
Ich hatte danach Physik und Bio, in beiden, war Vins nicht. Bob begrüßte mich mit seinem üblichen „Bro…“
Die Stunden verstrichen und ich wackelte nervös mit den Beinen. Würde Vins die Mittagspause mit uns verbringen? Würde er lieber bei seinen coolen Freunden sitzen? Wie würde es morgen sein oder den Rest der Woche? Könnten wir vielleicht am Wochenende etwas unternehmen? Vielleicht könnte ich Kim irgendwie dazu bringen. Meine Gedanken kreisten um alles, nur nicht um den Unterricht. Mehr als einmal ermahnte mich unser Biolehrer Mr. Lopez, eigentlich einer meiner Lieblingslehrer, mit den Gedanken in der Klasse zu bleiben.
Tatsächlich bat er mich unnötigerweise nach der Stunde noch kurz zu bleiben. „Ist alles in Ordnung, Oscar?“, fragte er mich und schien sittlich besorgt. Ich war sonst sehr aktiv in Bio, nicht so wie Bob, aber das Fach faszinierte mich. „Ja, ich…“, schnell überlegte ich mir eine Ausrede, „Ich bin im nächsten Lauf der Staffel der letzte Läufer, wenn das klappt bleibe ich auf der Position und…“, ich zuckte mit den Schultern. „Du hoffst auf ein Stipendium…“, Mr. Lopez schien beruhigt, „Ich kann das gut nachvollziehen, aber setzt dich nicht zu sehr unter Druck. !“. Er putzte kurz, aber gründlich seine Brille, „Wir Lehrer sind momentan nur zu mehr Wachsamkeit aufgerufen worden, wegen der Sache mit Miguel…“
Die Erinnerung an das Gespräch mit meinem Vater am Abend zuvor traf mich wie ein Fausthieb. „Ich bin mit meinen Freunden in der Kantine verabredet!“, beendete ich die Unterhaltung. Mr. Lopez nickte und ich flüchtete regelrecht aus dem Raum.
Ich ging schnell zu meinem Schließfach und Kim stand plötzlich neben mir - ohne Vins leider. „Ich hasse Keller!“, war ihre Begrüßung und ich grunzte zustimmend. Irgendwo hinter uns krachte es ziemlich laut. Kim lehnte sich an mir vorbei, sah aber nichts. „Mich hat er heute auch schon auf dem Kieker gehabt!“, ich stopfte Mathe zurück ins Schließfach und zog alles für Geschichte hervor. Wieder rumste es und jemand lachte hysterisch. Mehrere Schüler um uns herum liefen in die Richtung aus der der Krach kam.
„Was geht denn da ab?“, Kim lief nun ebenfalls auf den Tumult zu. Ich schlug schnell mein Schließfach zu und folgte ihr.
Ich stieß gegen Kim, als sie zurückschreckte. Ein Stuhl war in unsere Richtung geflogen.
Lukas, ein schmaler Typ mit roten Haaren, denn ich nur vom Sehen her kannte, stand bleich und nass vor Schweiß in der Tür zum Kunstraum. Seine Augen waren riesig und glasig. Er lachte, laut und hysterisch. Alles was er fand, packte er und warf es um sich. „Sie kriegen mich nicht!“, schrie er jetzt lachend und verschwand im Raum. Glas zerbrach. Ein Keramikbecher flog aus der Tür. Ein paar Leute lachten verhalten. „Lukas!“, Miss Bladin, die Kunstlehrerin kam nun angerannt, „Beruhige dich!“
Doch es klirrte und er rief wieder: „Sie kriegen mich nicht! Ich fliege nämlich weg!“
In meinem Kopf rasteten zwei Sachen ein.
„Er will aus dem Fenster springen!“, japste ich auf und schoss an Kim vorbei. Hinter mir kamen entsetzte Laute. Ich schilderte in den Kunstraum. Lukas stand mit panischem Blick auf dem Fenstersims. Wir befanden uns im zweiten Stock, wenn er falsch landete, könnte er sich umbringen. „Ich fliege!“, schrie er mir lachend entgegen. Doch liefen ihm Tränen übers Gesicht . Pure Panik lag in seinem Blick, „Sie kriegen mich nicht!“ „Niemand kriegt dich…“, sagte ich ruhig und versuchte nicht auf den Scherben am Boden auszurutschen, als ich mit beruhigend erhobenen Händen auf ihn zu ging.
Im Fensterrahmen hinter Lukas hingen nur noch vereinzelte scharfkantige Glassplitter. Er krallte sich mit den Händen an den Überresten fest. Ich sah wie ihm das Blut die Arme entlang lief und unterdrückte ein Würgen.
„Ich fliege… ich fliege weg!“, lachte er jetzt wieder und ich wusste nicht, was ich tun sollte.Ich betete einfach stumm, dass jemand die Polizei gerufen hatte - samt Feuerwehr. „Niemand kriegt dich. Ich helfe dir.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „Wenn du vom Fenster wegkommst, helfe ich dir…“ Einen Fuß vor den anderen setzend näherte ich mich ihm. Er zuckte nicht vor mir weg, stieg aber auch nicht vom Fenstersims. Sein Blick war völlig entrückt und er begann zu zittern. „Sie dürfen mich nicht kriegen!“, flüsterte er jetzt wieder und brach dann erneut in schallendes Gelächter aus.
Jedes Haar auf meinem Körper stellte sich auf. Das war einfach verdammt gruselig.
„Ich lass’ nicht zu, dass sie dich kriegen!“, sagte ich bestimmt, dabei imitierte ich meinen Vater so gut wie möglich, „Aber du musst zu mir kommen! Ganz langsam…“ „Nein, nein, nein, nein…“. Er keuchte, ruckte von mir weg. „Okay, okay!“, ich ging wieder ein Stück zurück, halb in die Hocke. Ich war noch nicht nah genug, wenn er sich jetzt fallen ließ, würde ich ihn nicht erwischen. Lukas drehte sich und schwankte gefährlich, ich nutze den Augenblick und verringerte den Abstand zwischen uns weiter. Hinter mir was es toten still.
„Ich fliege einfach weg!“, wieder ein Lachen, ein Schluchzen, alles war eins, „Es hört dann auf! Es muss aufhören!“
Lukas holte hektisch Luft. Sein Lachen war nur noch ein Krächzen, doch ich war nah genug dran. Bevor er noch ein Stück weiter nach vorne rutschen konnte, schlang ich die Arme um seinen Oberkörper und zerrte ihn zurück. Schmerzhaft schrammten meine Arme an den Glasresten vorbei.
Er schrie, lachte und schlug um sich, doch ich ließ nicht los und zerrte ihn weg vom Fenster. Plötzlich hielt jemand die Arme von Lukas und zerrten ihn mit mir zurück. Coach Tuker und Mr. Lopez waren unbemerkt hinter mir in den Raum gekommen und halfen mir den verwirrten Schüler zu bändigen. Schließich konnten die beiden Männer ihn auf den Boden drücken und ich ließ keuchend los. Ich wich zurück und sah wieder in das vor Panik verzerrte Gesicht von Lukas. Sein Zittern wurde immer schlimmer. Sine Kopf ruckte umher.
„Sie haben mich!“, kreischte er in eindeutiger Todesangst, noch immer lachend. Schließlich verdrehten sich seine Augen nach hinten, sodass nur noch das weiße sichtbar war und sein Körper schüttelte sich. „Er krampft!“, ich kniete mich neben den Jungen. Ich versuchte mich zu erinnern, was man jetzt am besten tat. Was würde meine Mutter jetzt machen?
Ich nahm einen süßlichen Geruch war. „Ich glaube er erbricht sich. Wir müssen ihn so drehen, dass er nicht daran erstickt!“ Die Lehrer konnten ihn durch das Krampfen nicht in stabile Seitenlage bringen, also drehten sie ihn seitlich und versuchten seinen Mund zu öffnen. Weißer Schaum, wie Geifer, und eine gelbe Flüssigkeit tropfte heraus.
„Hier entlang Officer!“, hörte ich Miss Bladin sagen. Zwei Polizisten und ein Sanitäter stürmten in den Raum. Die Lehrer wichen dem geschulten Personal und ich stand ebenfalls auf, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Jungen am Boden nehmen. War das Miguels Ende gewesen? War es schon zu spät? Warum war niemand Miguel zur Hilfe gekommen?
Lukas zuckte jetzt so heftig, dass man ihn kaum fixieren konnte. Die Schüler vor der Tür nuschelten und kreischten erschrocken. „Er stirbt!“ Irgendwer brüllte: „Machen Sie die Tür zu!“
„Oscar komm raus, komm…“, Mr. Lopez, wollte mich am Arm hinaus bugsieren, doch ich entzog mich. Sah starr auf den Todeskampf vor mir, „Oscar!“ Ich schüttelte nur den Kopf und entzog mich wieder dem Lehrer. „Nein!“
„Raus mit dir, mein Junge!“, plötzlich war da mein Vater. Mit schreckensweiten Augen sah ich ihn an. Keinen Widerstand duldend schob er mich in den Flur. „Was passiert da jetzt?“. Ich wollte irrationaler Weise wieder in den Raum, „Schafft er es?“ Dad hielt mich zurück. „Warte hier!“ „Aber…“ „Du hast alles richtig gemacht. Ich bin sehr stolz auf dich… Und jetzt warte hier!“ Ich sah wie an meinem Vater zwei weiter Nothelfer mit einer Trage in den Raum hasteten. Mein Vater ließ mich los, sah mich ein letztes Mal mahnend an und schloss dann hinter sich die Tür.
Schweratmend sah ich auf das orangelackierte Holz.
„Oscar“, irgendwer sagte meinen Namen, doch es war mir egal. Schweratmend ging ich einen Schritt zur Tür drehte dann um und ging zur schließfachgesäumten Wand.
Mit so viel Kraft, wie ich auf bringen konnte, schlug ich gegen ein Schließfach. Irgendwer kreischte auf. Wieder drehte ich mich um und sah zu der geschlossenen Tür. Ich fuhr mir völlig überfordert mit mir und meinen Gefühlen übers Gesicht. Erneut wollte ich gegen das Schließfach hauen, solange bis dieses verdammte Loch in mir endlich aufhörte zu schreien und zu bluten.
Doch bevor ich nochmal zu schlagen konnte, schloss sich eine Hand fest um mein Handgelenk. Ich wollte mich umdrehen. Wem auch immer mich festhielt welche verpassen, doch sofort schloss sich die andere Hand viel zu gekonnt um mein noch freies Handgelenk. Ich starrte in Vins grüne Augen. „Ganz ruhig!“, sagte er leise, „Atme!“ Ich ließ die Hände sinken, sah in das Grün, dass ich so liebte und hätte am liebsten geschrien. Keuchend holte ich Luft.
Mit einer Hand hielt er mein Handgelenk weiter umschlossen, mit der anderen packte er mich nun im Nackten und zog mich an sich ran. Stirn an Stirn standen wir nun da. „Fahr runter! Es ist alles gut!“ „Oscar!“, Kim trat neben mich, legte eine Hand auf meinen freien Arm und kämpfte anscheinend mit den Tränen. „Du hast ihm das Leben gerettet, der schafft das!“, sagte Vins Ich sagte nichts, die ganze Anspannung, all die Wut schien durch Vins Berührungen davon zu schmelzen, ich taumelte zurück. „Du bist ein Scheiß Held!“, lachte Kim halb unter einem Schluchzer. Vins Griff wurde fester. Er legte einen Arm um mich, gab mir den Halt, den ich alleine nicht mehr hatte.
Irritiert sah Vins auf seine freie Hand und zog meinen Arm, den Kim noch immer umklammerte nach vorne. Verwirrt folgte ich seinen Bewegungen. „Du blutest.“, sagte er ruhig. Tatsächlich strömte es rot aus meinem Arm in zwei tiefen, langen Schnitten. „Oh Shit!“, sagte Kim und kramte sofort nach Taschentüchern.
Starr sah ich weiter auf die Tür, als könnte ich hindurchsehen, wenn ich mich nur genug anstrengte.
„Bitte geht alle in eure Klassen!“, kam nun unser Direktor und die übrigen Lehrer. Sie verscheuchten die Schaulustigen. Bevor Direktor Finnick etwas zu mir sagen konnte, sprach Mr. Lopez in ruhiger Stimme mit ihm. Kim drückte jetzt ein Taschentuch auf die Schnitte. „Du blutest dich voll…“, sagte ich entschuldigen, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich hab’ mehr mit Blut zu tun, als ihr beide zusammen“, scherzte sie, doch ich konnte nicht lachen. Die Schülerscharen wurden verscheucht und wir blieben zu Dritt zurück. Vins und Kim sahen Finnick an, als würden sie ihn beißen, wenn er sie von mir trennen wollte.
Die Minuten krochen dahin. Nichts passierte. Niemand kam heraus oder ging in den Kunstraum. Ich wusste nicht, was ich machen würde, wenn er gestorben war.
Endlich, fünf quälende Minuten später, ging die Tür auf. Erst kam mein Vater heraus, dann sah ich wie die Sanitäter, gefolgt von einem Arzt, Lukas auf einer Trage herausbrachten.
Bevor einer etwas sagen konnte, zog Dad mich in eine ruppige Umarmung. „Das war sehr dumm und sehr mutig!“, sagte er entschieden, was Kim seufzend bestätigte. Ich nahm ihr das durchgeblutete Taschentuch ab und drückte die Schnitte nun selbst ab. „Ich denke, er wird es schaffen!“
Erleichternd atmete ich aus. „Du hast wirklich schnell geschalten. Auch dass sie ihn drehen, damit er nicht an seinem Erbrochenen erstickt.“ „Ich hab’ einfach nur gedacht was würde…“ „Deine Mutter tun…?“, lächelte er milde und ich nickte. Ich konnte ein dumpfes Lachen nicht unterdrücken. Schließlich sah meinen Vater die Schnitte.
„Wir bringen ihn am besten ins Schwesternzimmer!“, sagte Vins. Mein Vater musterte ihn kurz, sah den Arm, denn er um meine Schultern wieder gelegt hatte und sah dann zu Kim. „Macht das…“ „Das ist eine gute Idee!“, mischte sich auch Direktor Finnick ein.
Dad zerwühlte mir nochmal die Haare und ich ging mit Vins und Kim davon.
Wir waren kaum um die nächste Ecke, als ich stehen blieb. „Ist alles…“, sah Kim mich besorgt an, doch ich sah zu Vins. „Was ist das für ein Scheißzeug?!“, ich klang aggressiver als beabsichtigt. „Os…“, setzte wieder Kim an. „Ich hab nicht gesagt, dass er es vertickt oder selber nimmt, aber ich will wissen, was das ist!“ Kim sah nun ebenfalls ihren Freund. „Cold Clown“, seufzte Vins nun. Ich blinzelte verwirrt. „Was?“
„Das Zeug nennt sich Cold Clown…“, er fuhr sich wütend durch die Haare, „Ist mega auf Partys angesagt. Man wird total entspannt und alles ist witzig Man lacht über alles…“ „Das ist widerlich!“, war Kims Kommentar. Sie erinnerte sich, wie ich mich, an das Gelächter von Lukas. „Ist es das Zeugs, das Miguel umgebracht hat?“ Er nickte. „Wie kann man das freiwillig nehmen? Wie…?“ „Es wirkt wohl schneller als andere Sachen und in der richtigen Dose entspannen alle Muskeln und man ist einfach wie nach ‘nem Joint voll gut drauf. Doch das ist irgendwas auf Pilzbasis und was Chemisches. Abhängig machend as fuck!“ „Woher weißt du das?“, fragte Kim, was ich dachte. „Ich hab’s noch nie genommen und würde es auch nicht nehmen!“, Vins wirkte hart, ich nickte jedoch. „Leute in meinem Bekanntenkreis schon…“, er biss sich nachdenklich auf die Unterlippe, „Wenn man zu viel nimmt, wird man so paranoid und kriegt Halluzinationen… Und wenn man noch mehr nimmt…“, er schwieg. „Stirbt man!“, beendete ich seine Gedanken.
Stumm sahen wir drei uns an. „Du…“, Vins kämpfte eindeutig mit sich, „Du solltest echt ins Schwesternzimmer, Kumpel. Du blutest den Boden voll!“
Tatsächlich waren überall um mich herum kleine, rote Punkte. Ich nickte. „Ja, lass uns weiter.“
‘One way or another, I'm gonna find ya'
I'm gonna get ya', get ya', get ya', get ya'
One way or another, I'm gonna win ya'
I'm gonna get ya', get ya' ,get ya', get ya'
One way or another, I'm gonna see ya'
I'm gonna meet ya', meet ya', meet ya', meet ya'
One day maybe next week, I'm gonna meet ya'
I'm gonna meet ya', I'll meet ya'
I will drive past your house and if the lights are all down
I'll see who's around‘~ Until the Ribbon Breaks, „One Way or Another“ (2015)
Meine Mutter schimpfte seit einer guten halben Stunde durchgängig. Über Drogen, über die Schule, über Drogen, über das unfähige Lehrpersonal, über meinen Vater, über die Gesellschaft, über die Schule, über mich, über die Jugend von Heute, also eigentlich auch über mich und schließlich wieder über Drogen.
„Wie kannst du auch noch sagen, dass du stolz bist!“, raunzte sie gerade mal wieder meinen Vater an, als sie meinen Arm zum gefühlt achten Mal säuberte. Die Krankenschwester der Schule hatte meinen Arm zwar schon in der Schule desinfiziert und verbunden, aber Mom traute ihr nicht. ‚Stümperin‘ hatte sie sie genannt. Mom und Schwester Agnes, wie die Gute hieß, hatten wohl zusammen die Ausbildung gemacht. „Sie war damals schon dumm und wird jetzt nicht schlauer geworden sein!“
„Weil ich stolz bin!“, erwiderte Dad ruhig, vor ihm ein Bier, „Du etwa nicht?“ „Natürlich bin ich stolz - wie könnte ich nicht stolz sein - aber jetzt macht er sowas dummes und gefährliches vielleicht wieder!“, sie holte kleine Streifen einer Art Tesafilm hervor. Genäht musste es tatsächlich nicht werden, aber sicherheitshalb wollte sie es kleben.
„Er ist der Sohn einer Krankenschwester und eines Polizisten! Wenn er keinen Helferkomplex hätte, müssten wir uns fragen, ob sie ihn nicht vertauscht haben nach der Geburt!“, Dad nahm einen ordentlichen Schluck Bier. Kurz überlegte ich, ob das vielleicht die Erklärung sein könnte, warum Nathalie der Anti-Christ war. Wer wusste schon von welchem Planeten ihre leiblichen Eltern kamen.
„Hmpf“, Mom verklebte nun meine Schnitte. Es brannte ganz schön, aber sie schienen tatsächlich nicht sonderlich tief, dafür aber sehr fein zu sein, weswegen es so geblutet hatte.
„Du machst das nie wieder!“, sagte sie nun schließlich ebenfalls zum achten Mal zu mir, „Er hätte dich in seinem Wahn verletzten können oder aus dem Fenster werfen können!“ „Ich weiß.“, antwortete ich schließlich genervt, „Deshalb würde ich es beim nächsten Mal nicht anders machen.“ Sie brummte noch wütender, verband schließlich locker meinen Arm und gab mir eine tadelnde Kopfnuss, bevor sie mich auf die Stirn küsste.
Als sie ihr Zeug zusammensuchte, sah sie kurz zu meinem Dad.
„Dein Vater meinte, dass dieser Vins dich ins Krankenzimmer gebracht hat?“ „Ja“, leicht runzelte ich die Stirn, strich über den noch schneeweißen Verband, „Kim und er.“ „Dein Biolehrer meinte, dass du sehr aufgebracht warst und er dich beruhigt hat…“, sie sah wieder zu Dad. „Könntest du nicht Fragen stellen, deren Antwort du nicht schon weißt?“, ich sah weiter auf meinen Verband.
„Man hat jeden Spind an der Schule durchsucht, in dreien wurden Drogen sichergestellt…“, sagte nun Dad. „War Vins’ Spind dabei?“, unwillkürlich bekam ich Bauchschmerzen. „Nein!“, Dad trank sein Bier aus, „Nein und es ist noch nicht 100 Prozent sicher, aber auch nur ein Fund war…“ „Cold Clown!“, wiederholte ich den Namen, den Vins heute Mittag benutzt hatte. „Will ich wissen, woher du weißt, wie das Zeug heißt?“ „Vins meinte das Zeug ist irgendwas Krasses zwischen Pilzen und Psychedelischem. Es lässt einen lachen, bis man durch knallt und dann stirbt…“ Dad nickte. „Er selbst hat es noch nie genommen!“, irgendwie hatte ich das Gefühl, das sagen zu müssen. „Ihr wirktet sehr vertrau, du und Vins…“, sagte schließlich Dad und kam zu dem Punkt, der ihm wichtig schien, „Viel zu vertraut dafür, dass ihr Samstag das erste Mal Kontakt hattet?“
Ertappt kochte ich hoch. „Oh du hast mich erwischt, ich verkaufe seit Wochen mit ihm zusammen Pillen unten am Highway! Manchmal verprügeln wir auch Prostituierte!“ „Warum wirst du so wütend?“, mein Dad fixierte mich lauernd. „Warum stellst du solche Fragen?“, ich atmete schwer vor Wut, und… Was für ein Gefühl nagte da an mir?
„Du verteidigst ihn, genau wie gestern Abend schon…“, stellte Dad jetzt fest. „Irgendwer muss es ja tun!“, ich warf die Hände über den Kopf, „Immer ist er sofort Schuld, immer! An allem!“ „Oscar!“, setzte Mom an, doch Dad hob sachte die Hand. „Selbst Kim gibt erst ihm die Schuld, anstatt mit ihm zu reden! Ich mag ihn…“, ich wollte nicht rot werden, doch es half alles nichts, „Er ist in Ordnung! Und im Gegensatz zu allen anderen stand er nicht nur da! Er wusste was abgeht! Und …“, stockend holte ich Luft, „Und…“, doch ich sank in mich zusammen. Wo kam diese Wut, wo diese Angst her?
Vins warme Hände auf meinen Schultern fielen mir wieder ein. Seine Stirn gegen meine gepresst, sein heißer Atem auf meinem Gesicht.
„Du hast selbst gesagt, dass jeder ‘ne zweite Chance verdient. Also nur weil er mal Scheiße gebaut hat, heißt das nicht, dass er nicht in Ordnung sein kann, dass ich…“ „Schatz!“, Mom griff nach meiner Hand, am liebsten hätte ich mich ihr entzogen. „Er ist nicht Miguel!“ „Was? Nein!“, verwirrt schüttelte ich den Kopf, „Das ist es nicht, ich…“ „Auch Lukas ist nicht Miguel…“, sagte Mom sanft und der Druck ihrer Hand wurde stärker, mitfühlender. „Ich denke die ganze Zeit daran, dass wenn ich da gewesen wäre, als Miguel…“, ich ließ mich wieder auf den Küchenstuhl sinken, „Wenn ich da gewesen wäre, ich hätte ihm helfen können! Ich…“, unwirsch wischte ich mir eine Träne vom Gesicht und holte kontrolliert Luft.
„Das was deine Mom und ich vor allem in unseren Jobs gelernt haben ist, dass man, so sehr es man sich auch wünscht, nicht jedem helfen kann!“, Dad seufzte, als wäre er tausend Jahre alt. „Du hast heute Lukas geholfen! Das ist es, was zählt! Du konntest helfen, weil du da warst, du klug und schnell reagiert hast und das ist das wichtige!“, sagte er bestimmt. Ich nickte und wischte eine zweite Träne davon.
„Ich bin ganz schön kaputt…“, erstickt räusperte ich mich, „Ich glaub’, ich geh’ ins Bett!“ „Gute Nacht, mein Schatz!“, Mom drückte ein letztes Mal meine Hand. „Gute Nacht, Hühnerbein!“, lächelte Dad und ich floh aus der Küche in mein Zimmer.
Die Tränen entschieden wegblinzelnd, zog ich meine Hose aus und ließ mein Shirt auf den Boden nachfolgen, bevor ich mich im Bett verkroch. Am liebsten hätte ich die Decke über meinen Kopf gezogen und einfach geschlafen. Einfach vergessen, doch die Bilder von Lukas auf dem Boden hatten sich eingebrannt.
Ich zog mein Handy unter dem Kissen hervor. 38 ungelesene Nachrichten und 5 verpasste Anrufe. Am liebsten hätte ich es wieder zurück gestopft.
Die Hälfte aller Nachrichten waren neugierige Fragen zu dem, was passiert war. Und die andere Hälfte von meinen Freunden, ob es mir gut ginge und ich morgen zur Schule käme. Einige zeigten auch einfach, dass sie sich um mich sorgten und mich dumm und mutig fanden. Ich tippte mich durch die Nachrichten, als mir eine auffiel zu der ich die Nummer nicht abgespeichert hatte. Verwundert tippte ich auf das kleine Bild. Es waren ein paar schwarze Lederboots zu erkennen, die mir Bekannt vorkamen. Zittrig tippte ich die Nachricht an.
„Hey. Ich hoffe es geht dir gut und die Schnitte mussten nicht doch noch genäht werden. Vins“
Eine Minute später hatte er eine zweite Nachrichte geschickt. „Ich hab deine Nummer übrigens von Kim. Ich hoffe das ist okay?“
In Gedanken Kim niederknutschend, tippte ich nachdenklich eine Antwort. „Hey, ja klar. Voll okay. Mir geht’s gut. Meine Mom hat sich den Arm nochmal angesehen. Sie hat es jetzt geklebt, oder so…“ Unsicher tippte ich auf Senden und speicherte schnell seine Nummer ab.
Dann, um nicht unseren Chatverlauf anzustarren, schrieb ich eine Rundnachricht. Es ginge mir okay, ich sei müde und wir würden uns morgen in der Schule sehen.
Sofort vibrierte es vier Mal. Bob, Ruth, Leonie und Kim waren beruhigt. Sie wünschten mir eine erholsame Nacht. Ich packte das Handy neben meinen Kopf und seufzte die Decke an, da vibrierte es kurz neben mir. Vins.
„Ich wurde auch schon getapt. Besser als die blöden Fäden. Sehen wir uns morgen?“
Kurz überlegte ich nicht sofort zu antworten, aber anderseits, wollte ich unbedingt sofort antworten.
„Ja klar sehen wir uns morgen. Warum sollten wir nicht? Ich wurde schon ein paar Mal genäht, so schlimm fand ich es nicht.“
Ich hatte mein Handy noch nicht mal wieder gesperrt, als seine Antwort kam.
„Vielleicht weil du ein Trauma haben könntest? Dass war keine schöne Sache heute…“
Mein Herz stolperte vor Freude, als ich die Sorge aus seiner Nachricht heraus lass. Aber ich wollte auch nicht, dass er mich für schwach hielt - zumindest nicht für schwächer als so wie so schon nach meinem halben Nervenzusammenbruch.
„Traumatisch würde ich es nicht nennen, obwohl ich wirklich etwas schockiert war, dass du so gut in Mathe bist. Du wirkst immer sehr… limitiert in Mathe…“
3 Sekunden später hatte ich ein „Fick dich!“ zurück, was mich zum lachen brachte. „Es war krass wie du heute reagiert hast!“
„Ich wollte einfach helfen!“, versuchte ich das Thema vom Tisch zu kriegen. Ich würde mich lieber noch eine Runde mit ihm beleidigen. „Du hast ziemlich Eier bewiesen. Respekt!“
Unschlüssig sah ich die Nachricht an. Schließlich folgte ich, wie so oft bei ihm, meinen ersten Impuls: „Ich hatte mega Angst und Panik. Ich wusste überhaupt nicht was abgeht, aber ich wollte ihm helfen.“
„Manchmal muss man einfach handeln.“ Kam es zurück und dann noch kurz danach, „Ich hatte auch ziemlich Bammel“
„Lukas ist wohl so weit stabil“, schrieb ich. Ich war erstaunt, waren Vins und Lukas befreundet oder warum hatte er Angst gehabt?
„Ich meinte um dich!“ Völlig perplex sah ich auf die Nachricht. Ich kannte das Alphabet, seit dem ich vier Jahre alt war und hatte kurz irgendwann danach angefangen zu lesen, doch diese kleinen Wörter vor mir rieselten nur Pixelweise in mein Hirn. Vins hatte Angst um mich gehabt? Sofort schoss die eine Hälfte meines Blutes ins Gesicht und die andere in meinen Schritt.
„Ich hab solche Ausraster schon gesehen. Der Typ hätte sich auch ne Scherbe schnappen können und auf dich losgehen. Die Vorstellung creept mich aus!“
„Mir geht’s gut“, ich wusste nicht, was ich sonst antworten sollte ohne völlig Panne und peinlicherweise verliebt zu klingen.
„Das ist das, was zählt!“, kam es zurück und ich konnte nicht anders als zu lächeln.
Vins und ich schrieben danach noch eine Weile über ein paar andere Sachen. Ein Dauergrinsen zementierte sich in meinem Gesicht und irgendwann holte mich der Tag doch ein und ich fiel in einen unruhigen Schlaf.
Ich stand in der Schule. In der Ferne lachte jemand. Mein ganzer Körper erschauderte unwillkürlich. Langsam lief ich durch die ausgestorbenen Flure.
Ein Stuhl lag plötzlich vor mir und die Tür des Kunstraums stand weit offen, doch das Innere war abgeschirmt durch einen schweren grell orangen Vorhang. Unsicher trat ich hindurch und stand plötzlich in einer Manege im Zirkus. Verwirrt drehte ich mich unter dem hohen Zelt um die eigene Achse und sah hinauf zum pechschwarzen Baldachin. Die Seiten des Zelts, wenn es den eins war, waren bestückt mit tausend Fenstern. Ein jedes war eingeschmissen. Die Scherben glänzten kalt und scharf.
Ich begann zu zittern. Einem alten Radio gleich rauschte es entfernt. Ein Lied lief, dass ich kannte, aber anders in Erinnerung hatte.
„One way or another, I'm gonna find ya'! I'm gonna get ya', get ya', get ya', get ya'!
One way or another, I'm gonna win ya'!“
Auf einem bunten Podest in einem Meer aus Scherben stand, mein Herz stolperte, Miguel. Er trug die schwarze Jacke, die er an hatte, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Außerdem steckten seine Beine in der Jeans, in der ich seinen Hintern immer noch gut gefunden hatte. Seine Haare waren kurz und so ordentlich gegellt, als hätte er morgens das Haus verlassen. Er hatte die Arme eigenwillig verdreht gehoben. Sie waren an feinen Seilen befestigt, die in die unbekannten Höhen der Decke strebten. Sein Kopf ruhte leblos auf seiner Brust. Er sah aus wie eine riesige Marionette.
„One day maybe next week, I'm gonna meet ya'. I'm gonna meet ya', I'll meet ya'“
„Miguel!“, hastig lief ich auf ihn zu. Die Scherben um ihn herum zerbrachen unter meinen Füßen. Schmerzerfüllt sprang ich zurück. Sie hatten sich tief in meine Fußsohlen gegraben. „Miguel“, rief ich erneut, er reagierte nicht. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, versucht mich durch die Scherben zu kämpfen. Mit jedem Schritt schnitt ich mich tiefer. „Miguel, ich bin gleich da!“
Unnütz schossen mir die Tränen in die Augen, als plötzlich ein Scheinwerfer anging. Ein hysterisches Lachen, dass ich kannte, das ich heute zum erstem mal gehört hatte, kroch mir ins Ohr. Panisch sah ich mich um.
Der Lichtkegel des Scheinwerfers kroch wie ein Raubtier, dass Blut gewittert hatte, über den Boden, einen hohen Pfeiler hinauf und blieb auf eine kleine Plattform gerichtet stehen. Lukas strahlte in dem kalten Licht, als wäre er aus Glas, wie die Scherben unter mir.
Er lachte. Sah auf mich hinab und streckte begeistert die Hände aus. „Er hat ihn längst gekriegt!“ Lachte er und warf die Arme hoch, als wäre er ein großer Seiltänzer in einer seiner Shows. „Lukas!“, ich hielt schützend eine Hand vors Gesicht, so sehr blendete mich das Licht. „Komm da runter!“ „Er hat ihn! Er hat ihn! Und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst!“
„Lukas! Bleib wo du bist, ich hol dich!“ Verzweifelt sah ich zu Miguel. Er rührte sich noch immer nicht. „Ich hol’ da nur schnell Lukas runter, dann mach ich dich los!“, flüsterte ich ihm zu und rannte durch die Scherben. Ich stürzte. Keuchend vor Schmerzen sah ich auf meine Hände, sie bluteten wie meine Füße, meine Knie.
„Es ist längst zu spät…“, lachte Lukas auf mich hinab. Er balancierte auf der Kante des kleinen Platos, nur einen Schritt vom tödlichen Abgrund entfernt, „Er hat mich!“ Lukas starrte plötzlich in die Ferne, „Er hat mich längst!“ Wieder lachte er, es schüttelte ihn regelrecht. „Bleib einfach da stehen!“, schrie ich nun hoch und sprintete zum Pfeiler, wie zuvor bei Miguel, konnte ich ihn jedoch einfach nicht erreichen. Ich kam einfach nicht vom Fleck. Lukas breitete nun die Arme aus, verbeugte sich vor Menschen, einem Publikum, dass ich nicht sah. „Er kriegt dich auch, ganz bestimmt!“, und mit diesen Worten ließ er sich nach vorne Fallen. „Nein“, schrie ich, doch es war zu spät.
Plötzlich packte mich jemand und ich sah in Vins grüne Augen. „Es ist alles gut!“, seine Stirn presste sich gegen meine, seine Hände waren ganz warm, „Alles ist gut! Atme einfach!“ Sein Atem kitzelte erneut mein Gesicht. Er roch nach Zigaretten und sich selbst. Tief sog ich seinen Duft ein. Ich schloss kurz die Augen. „Alles ist gut…“, sagte er die gleichen Worte wie zuvor, „Ich hab dich!“ Erschrocken riss ich die Augen auf, doch seine Arme hatten sich schraubstockartig um mich gelegt. „Ich hab dich!“, wiederholte er und grinste. Es war nicht das schöne schmale Lächeln, dass ich so liebte. Er zeigte spitze Zähne. Sein Gesicht war weiß geschminkt. Um die Augen und den Mund befanden sich schwarze Schlieren und ein schwarzer Punkt prangte auf seiner Nase. Ein Clown.
„Ich hab dich! Endlich!“, wiederholte er lachend, flüsternd, raunend. „Nein…“, stammelte ich. Seine grünen Augen brannten sich in meine und er lehnte sich vor. Er presste seine Lippen auf meine - sie waren eiskalt!
„NEIN!“, keuchend und zitternd wachte ich auf.
Verwirrt tastete ich nach meinem Handy. Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Stöhnend und um Atem, sowie Fassung, ringend, ließ ich mich zurück in die Kissen sinken. Sie waren schweißnass.
Es war einfach alles ein bisschen viel in letzter Zeit, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Vins hat dir von diesem komischen Cold Clown erzählt, deshalb hatte mein Kopf ihn zu diesem abklatscht von Steven Kings „Es“ gemacht.
Als mein Atem und Puls endlich wieder normal waren, rieb ich mir murrend den Schlaf aus den Augen. Auf meinem Handy blinkte eine Nachricht von Vins. Entschieden schob ich den Traum von mir und lass die Antwort auf meine letzte Nachricht. Ich tippte einen Text. „Sorry bin eingeschlafen, und: Guten Morgen!“
Kurz überlegte ich so lange noch zu pennen, bis mein Wecker klingelte. Aber die Kissen und meine Decke waren unangenehm klamm, also klaubte ich frische Shorts aus meinem Schrank und ging duschen.
Das warme Wasser tat gut und ich spürte wie mein Körper sich entspannte. Kurz dachte ich wieder an meinen Traum. Ich hatte schon oft geträumt, dass Vins mich küsste, aber ich war noch nie schreiend aufgewacht danach…
„Ein Alptraum…“, flüsterte ich dem Wasser zu, „Es war nur ein beschissener Alptraum…“. Meine Worte wurden mit meiner Angst davon gespült. Ich dachte daran wie gut sich Vins Berührungen angefühlt hatten, wie stark der Halt gewesen war, den er mir gespendet hatte. Vins war nicht der Böse, kein kalter, gruseliger Clown.
‘I want to hide the truth
I want to shelter you
(…)
When you feel my heat
Look into my eyes
It’s where my demons hide
It’s where my demons hide
Don’t get too close
It’s dark inside
It’s where my demons hide
It’s where my demons hide‘ ~ Sam Tsui & Max Schneider, „Demons“ (2013)
Als ich aus der Dusche kam, trocknete ich mich müde ab und tupfte vorsichtig über meine geklebten Schnitte. Locker band ich den Verband wieder rum.
Als ich in den Flur schlich, kam mir meine Mutter mit müden Augen entgegen. „Du bist schon wach?“, nuschelte sie. „Mein Arm hat wehgetan…“, gähnte ich, als wäre nichts. „Nach dem Frühstück kriegst du eine Schmerztablette und dann kannst du dich nochmal hinlegen!“,.Sie wollte ins Bad, als ich verdutzt fragte: „Nach dem Frühstück muss ich in die Schule?“ „Dein Vater und ich meinen, dass du dir den Tag auch zum…“, sie überlegte kurz, „durchatmen nehmen kannst!“ „Ich will in die Schule!“, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal so sagen würde. Sie kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Einen kurzen Augenblick wurde die Ähnlichkeit mit meiner Schwester sehr deutlich. „Na gut…“
In meinem Zimmer zupfte ich irgendwas Langärmliges aus meinem Schrank. Ich hatte keinen Bock, dass mich alle auf die Schnitte ansprachen. Dann schaltete ich die Zufallswiedergabe meiner Playlist auf dem Handy an. Automatisch verband es sich mit meinen Boxen. Die nassen Haare trocken rubbelnd, ging ich zu meinem Bett und kontrollierte meine Nachrichten. Vins hatte geantwortet.
„Morgen. Dachte ich mir. Wie geht’s dem Arm?“
„I want to hide the truth. I want to shelter you.“, dröhnte eins mein Lieblingscover aus den Lautsprechern.
Vor mich hin summend schickte ich ihm eine Antwort: „Alles schick. Hast du die Sozialkundeaufgaben gemacht?“
Ich packte meine Tasche für die Schule und sah kurz in den Hefter für Sozialkunde, -richtig gemacht waren die Aufgaben noch nicht.
Mein Handy summte. „Nope. Du kannst mir ja deine geben, als ob du dieses noch Schuljahr Hausaufgaben machen müsstest.“
Ich grinste. „Ich hoffe, dass wenigsten eine befreite Klausur rausspringt!“
„Gibs doch zu, das war von Anfang an dein Plan!“ Ich lachte. Und tippte zurück: „Ich würde das vor jedem Gericht bestreiten!“
Unschlüssig sah ich auf die Uhr. Es war kurz nach halb sieben. Vins hatte auf meine erste Nachricht kaum fünf Minuten später geantwortet. Warum war er schon wach? Gestern schien er ja noch länger als ich wach gewesen zu sein. Schlief er überhaupt nicht?
„Warum bist du eigentlich schon wach?“
Die Antwort kam langsamer als die vorherige. „Vielleicht hast du ja Glück beim Keller.“
Meine zweite Nachricht ignorierte er. Kurz überlegte ich erneut zu fragen, doch was Vins nicht sagen wollte, sagte er nicht. Er hatte die Nachricht bewusst nicht beantwortet. Wir schrieben den Morgen über weiter und ich versuchte eher wenig erfolgreich die Fragen für Mrs. Schu zu beantworten. Vins dumme Kommentare und noch schlechtere Lösungsvorschläge halfen mir zwar nicht weiter, waren aber schön.
Als Mom mich zum Frühstück rief, schrieb ich ihm, dass ich was zu essen bekäme, und die Küche Handy freie Zone war. Ich erklärte, dass meinem Handy andernfalls der Mixer blühte. Als Antwort gab es nur ein „Bis nachher.“
Ich war kaum die Treppe runter, da roch ich schon meine liebsten Blaubeerpancakes. Ich grinste, als sie mir einen vollbeladenen Teller vor die Nase stellte, daneben einen Orangensaft und die angekündigte Schmerztablette.
Mein Grinsen bekam nur einen bösen Blick zurück und so frühstückten wir stumm. Schließlich fuhr Mom mich wie tags zuvor zur Schule. Ich wusste, dass sie mit Absicht nicht über gestern und Lukas sprach. Ehrlich gesagt, hatte ich auch keine Lust das nochmal hoch zu würgen. Meine Schule, wie sich rückblickend rausstellte, sah das anders. Was mir an sich hätte klar sein müssen!
Als ich den ersten Schritt durch die Tür trat, spürte ich wie mein Magen sich leicht drehte.Vielleicht hatte ich doch zu viele Pancakes? Das war lächerlich naiv, aber es half mir nicht die nächste Krise zu kriegen. Irgendwie war ich nicht sonderlich stabil in letzter Zeit.
Ich wusste, dass ich es mir nicht nur einbildete. Alle starrten mich an. Seufzend machte ich mich, die Blicke ignorierend, auf den Weg zu meinem Schließfach. Gerade als ich mir meine Kopfhörer aufsetzten wollte, um das halblaute Getuschel und Theorien auszublenden, sprang mich jemand von der Seite an.
„Oscar!“, Leonie begrüßte mich unerwartet stürmisch. Sie drückte mich fest an sich. Ruth lächelte mich über den Kopf ihrer Schwester an. Das war für ihre Verhältnisse sogar eine noch stürmischere Begrüßung.
„Hey…“, sagte ich etwas stumpf und entriegelte mein Schließfach. „Ich hätte nicht gedacht, dass du heute hier bist!“, sagte Leonie jetzt. „Bro!“, kam es nun auch von Bob den Flur entlang. Wir schlugen ein und umarmten uns, nachdem er unsere kleine Gruppe erreicht hatte. „Alles gut?“, wollte er wissen. Ich zuckte mit den Schultern und stopfte die Bücher, die ich erst später bräuchte ins Fach.
„Oscar!“, erklang mein Name erneut. Die Stimme hörte sich stark nach unserem Direktor an, „Oscar, mein Junge, wir hatten nicht damit gerechnet, dass Sie heute hier sind!“ „Direktor Finnick…“, meinte ich lahm und der langsam ergraute Leiter der Schule kam in dem für ihn typischen Entengang auf mich zu. „Ähm, klar es ist Dienstag, also…“, zuckte ich mit den Schultern. „Vielleicht kommen Sie jetzt mal gleich in mein Büro mit. Ich wollte mit Ihnen auch nochmal in Ruhe über alles reden.“ Kumpelhaft knuffte er mir gegen die Schulter. „Also…“, ich überlegte mir hastig eine Ausrede, „Ich will das gerade nicht nochmal hochholen…“. Natürlich fiel mir keine ein, „Wenn das okay ist?“ „Aber sicher, sicher, mein Junge!“, gönnerhaft und das Verständnis in Person nickte er wissend. „Wenn Sie reden möchten oder merken, Sie brauchen heute eine Pause, kommen Sie einfach zu mir. Miss Millerist natürlich auch für sie da!“ Miss Miller war die Vertrauenslehrerin in unserer Schule und ungefähr so vertrauensvoll wie Becky Fisher!
Ich nickte und lächelte schwach. Als Mr. Finnick ein Stück davon gewatschelt war, bemerkte Leonie: „Der ist bestimmt wegen dem Artikel so nett…“ „Jaaa… Was?“, verwirrt sah ich sie an, „Was für ein Artikel?“
„Es ist die Schlagzeile!“, sagte nun Ruth, „Lokaler Teenager-Held rettet Mitschüler!“ „Das ist nicht dein Ernst!?“ Alle drei nickten. „Fuck!“ „Ich finde es eigentlich ganz coo…“, wollte Leonie ansetzten, doch mein Blick brachte sie zum Schweigen. „Um so größer die Sache aufgebauscht wird, umso mehr rum getratscht wird, umso schlimmer wird das für die Eltern von Lukas und für ihn selbst!“, wütend knallte ich die Schließfachtür zu. Ich konnte dieses tragödiengeile Aufgebausche in den Medien nicht leiden.
„Gut geschlafen?“, Kim lehnte sich plötzlich neben mich und ich grummelte. „Hast du den Zeitungsartikel gelesen!?“, knurrte ich nur zur Begrüßung und umarmte sie eher halbherzig. Vins stand hinter ihr. Er musste gerade erst eine geraucht haben, der Tabakgeruch überlagerte sein Parfüm. „Ich wusste, du flippst aus…“. Kim verzog das Gesicht. „Willst du ihn lesen?“, fragte Vins und trat nun neben Kim. Sie schlang einen Arm um ihn. Wieder einmal wusste ich nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Ich hätte ihn gerne umarmt zur Begrüßung, doch… Kurz flackerte mein Blick zu Kim. Ich wollte ihn berühren, aber ich hatte keinen Anspruch… Ich… Mein Traum wollte sich vorkämpfen, doch ich schüttelte das Gefühl ab. Kim sah zufrieden aus, wenn auch leicht besorgt wegen mir.
Wusste sie, dass wir schrieben? Natürlich schalt ich mich. Sie hatte ihm ja erst meine Nummer gegeben.
„Du hast ihn auch gelesen?“, fragte ich nur und er reichte mir die Tageszeitung von heute. „Es gibt wohl noch mehr. Mom meinte, sie sammelt alle Artikel zusammen und gibt sie deiner Mom dann…“, Kim linste über die Zeitung, als ich mein eigenes Gesicht von der Titelseite lächeln sah.
„Die loben dich da ganz schön in den Himmel!“, sagte Ruth, „Sportler, beliebt, gute Noten, Familie aus der Mittelschicht, Sohn eines echten amerikanischen Polizisten und einer Krankenschwester…“ Unwirsch knüllte ich die Zeitung zusammen und warf sie Vins zurück in die Hände. Er wirkte überrascht. „Lukas wird da drin, als ‚Junkie‘ und ‚Problemschüler’ bezeichnet! Haben die überhaupt keinen Anstand mehr!“ Ich hatte meinen Dad gefragt, genau wie bei Miguel, hatte niemand gewusst, dass Lukas gerne mal Entspannungsmittel konsumierte. Er war in der Schulband und mit ein paar Freunden hatte er eine eigene kleine Rockband gegründet. Sie nannten sich „MilkshakeMassacre“.
„Das verkauft sich besser!“, sagte der andere und wollte die Zeitung einfach wegwerfen, doch Bob nahm sie Vins ab. „Recycling, Bro!“ „Außerdem, was soll das heißen…“, ich zerrte Bob nun doch die Zeitung nochmal aus den Händen und lass laut vor: „Stand noch nicht zu einem Interview zur Verfügung? Denken die ernsthaft, dass ich mit denen darüber sprechen würde?“ „Als du im Schwesternzimmer warst, kam die Presse…“, erzählte Ruth nun, „Dein Dad hat ihnen erklärt, dass er nicht will, dass du interviewt wirst oder dir wer zu nahe kommt!“ Ich schnaufte, Gott, war ich froh, dass Dad ein Cop war. „Dein Dad kennt dich einfach…“, lächelte Kim milde.
„Hey Oscar…“, unerwartet kamen zwei Mädels aus der Unterstufe an. Sie lächelten sehr eindeutig, „Geht’s dir gut?“
Kim drehte sich entschieden zu ihnen um. „Verpisst euch!“
Völlig verdattert gingen die beiden weiter, dann drehte sich Kim zu Vins. „Du wirst so eklig wie möglich zu allen sein, die Oscar heute zu nah kommen! Die Leute können sich ihr geheucheltes Interesse in den Arsch schieben! Verstanden!?“ Vins sah aus, als würde er am liebsten salutieren zu dieser Anweisung. Sie küssten sich kurz. Teufelspackte, hatte ich zumindest mal gelesen oder bei Supernatural gesehen, wurden seit Jahrhunderten mit einem Kuss besiegelt. Fragt sich nur, wer hier wer ist? Ich sah entschieden den Gang entlang. Alle starrten zurück.
„Widerstrebt natürlich meiner charmanten Art, nicht wahr?“, grinste Vins mich nun über den Kopf seiner Freundin an. Ich konnte nun doch nicht anders, als auch zu lachen. „So charmant bist du nun auch nicht…“
Den Rest des Tages, sowie eigentlich den Rest der Woche, ließen Kim und Vins mich nicht alleine. Sie pöbelten beide mit fast leidenschaftlicher Art alles und jeden an, der sich wegen der Sache mit Lukas bei mir ein schleimen wollte.
Es war merkwürdig und angenehm zu gleich. Ich verbrachte Zeit mit Vins, die Kim sogar angeordnet hatte. Anstatt bei den ach so coolen Jungs, bei denen er sonst saß, verbrachte er jede Pause bei uns.
Kim und Vins verstanden sich in dieser Woche so gut, wie wahrscheinlich noch nie in ihrer Beziehung. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass Vins seine oft überschüssigen negativen Energien jetzt dosiert ablassen konnte. oder ob es das gemeinsame Pöbeln mit Kim oder, wie die meinte, mein guter Einfluss war. Das war einerseits toll, weil die beiden ein echt tolles Paar waren und beide tolle Menschen waren, aber andererseits …
Andererseits war es schrecklich. Es war Scheiße. Das machte es nur noch schlimmer, schwieriger, fragwürdiger, dass mein Herz jedes Mal Aussetzer hatte, wenn Vins nach einer Unterrichtsstunde im Flur wie selbstverständlich auf mich wartete.
Leider, auch wenn sie es versuchten, konnten sie mich nicht vor allem abschirmen. Ich hatte ein schreckliches Gespräch mit dem Direktor. Der tat als wäre seine grandiose Pädagogik der Grund, dass ich so heldenhaft gewesen wäre. Immer wieder erklärte er, welcher Reporter angerufen hatte und welche Zeitung über mich schreiben wollte. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass es die gleiche Pädagogik war, die Miguel in den Tod und Lukas ins Krankenhaus gebracht hat.
Noch viel unangenehmer war das Gespräch mit Lukas Eltern und seinen Freunden, die sich bei mir bedankten, dass ich so schnell reagiert hatte. Als ich, zugegebener Weise ziemlich fertig, nach dem Gespräch aus dem Raum der Vertrauenslehrerin kam, wartete wieder Vins auf mich.
Gemeinsam gingen wir in die Kantine. „Du musst übrigens nicht wirklich permanent bei mir sein…“, sagte ich nuschelnd, „Kim übertreibt gern!“ Es war Freitag und ich war in den letzten vier Tagen noch nicht mal alleine aufs Klo gegangen. Vins lächelte wundervoll schmal und legte den Arm um meine Schultern, bevor er meine Haare, in jetzt fast typischer Manier, zerwühlte.
„Vorsicht ist besser als Nachsicht!“, sagte er und sah zwei Leute böse an, die uns beäugten, „Außerdem finde ich es witzig…“ „Ja, du bist ein richtiger Bad Boy!“, tat ich gespielt unbeeindruckt. Ich versuchte mal wieder vergeblich nicht rot zu werden. Daraufhin rempelte er mich ruppig an, lachte aber gleichzeitig auf.
Als wir in die Kantine kamen, saßen die anderen schon an unserem Tisch. Glücklich streckte Kim die Hände nach Vins aus, der sich neben sie setzte. Kurz wollte ich mich noch dazu quetschten, setzte mich dann jedoch ein Stück weg neben Bob, der mir gleich etwas über irgendeine Protestaktion erzählte. Ich hörte wie meistens nur mit halben Ohr zu, wenn Bob einen seiner Monologe führte, ab und an nickte ich oder machte „Oh“, dabei starrte ich in mein Essen. Kim fütterte Vins gerade Pommes.
„Hey!“, kam es plötzlich und eine Pommes flog mir ins Gesicht. „Was?“ „Alles gut, Digger?“, Bob schien besorgt. „Sorry, ich hab geträumt…“ „Wie ich gerade schon meinte…“, setzte Kim nun wieder an, „Wollen wir am Samstag was zusammen machen? Alle?“ „Und was?“, fragte nun Leonie, diesmal doch keine Ausrede suchend. „Weiß nicht…“ „Nicht schon wieder in die Mall…“, seufzte Vins leidgeprüft und sah mich plötzlich sehr auffordernd an. Verwirrt sah ich zurück. Vins tippte auf sein Handy. „Wir könnten was essen gehen?“, sagte Kim, „Oder wir gucken uns den neuen Marvel an?“ „Ich wäre für Beides!“, klinkte sich nun Bob ein. Kim strahlte. „Und wo wollen wir essen? Uhh wie wäre es mit Sushi!“ „Oh bitte nicht… Pizza wäre mal wieder geil…“
Unauffällig zog ich mein Handy vor. Vins hatte mir geschrieben. „Du siehst müde aus.“ Ich sah kurz zu dem Dunkelhaarigen, der sich ebenfalls für Pizza aussprach.
„Alles gut, schlaf einfach schlecht ein.“ Schrieb ich nur die halbe Wahrheit. Es stimmte schon, dass ich schlecht einschlief aus Angst vor dem Alptraum von Montagnacht, doch ich wachte, auch wenn ich den Traum nicht hatte, immer wieder auf und war schließlich kurz vor 6 hellwach. Vins mit Clowns Maske und das hysterische Gelächter verfolgten mich egal was ich träumte.
„Alpträume?“, kam es von Vins. Ich hatte das ‚Nein‘ schon getippt, doch unschlüssig sah ich auf mein halbgegessenes Sandwich. Vins grüne Augen starrten unergründlich zu mir und ich nickte. „Siehst du, Oscar ist auch für die Tapas Bar!“, deutete Ruth mein Nicken falsch. Ich korrigierte sie nicht. „Also wann wollen wir uns morgen treffen?“
„Ich kann nicht!“, sagte ich nun und drehte mein Handy in den Händen. „Was?“ „Warum nicht?“ Alle fünf sahen mich an. „Wir haben morgen Sondertraining. Es ist die Woche komplett ausgefallen. Lukas war mit Brandon befreundet und ist wohl der Cousin von Steven…“, nuschelte ich. Als ich die Info vom Coach gekriegt hatte, wusste ich, woher ich Lukas kannte. Er hatte ab und an bei unseren Läufen zu gesehen. „Kannst du denn überhaupt mit trainieren?“, fragte Leonie erstaunt. „Warum sollte ich nicht?“ „Naja… Du bist verletzt, oder nicht?“ „Ich hab’ mir nicht das Bein abgeschnitten, sondern hab’ zwei Kratzer am Arm!“, entschieden zog ich an meinen langen Ärmeln, mit denen ich den Verband versteckte.
„Geht das den ganzen Tag?“, fragte Kim und sah enttäuscht aus. Ich zuckte mit den Schultern. „Wann fangt ihr denn an?“, fragte Vins nun. „Um 11…“ „Länger als bis um drei macht ihr doch eh nicht!“, sagte er nun entschieden. „Ich bin momentan ohne Auto… Also Mom müsste mich drei Mal durch die ganze Stadt kutschieren…“ „Kim bekommt das Auto von ihrem Bruder. Wir holen dich ab!“, es war unfassbar wie bestimmend er war. Ich wollte etwas sagen, nickte jedoch nur. „Er ist so autoritär!“, schnurrte Kim zufrieden das ich mitkam und küsste ihren Freund.
Mein Handy vibrierte. In Vins Nachricht stand: „Du wirst dich nicht isolieren!“
Perplex, dass er das dachte, sah ich zu ihm. Kim und Leonie überlegten was sie anziehen sollten, sein Arm lag lässig um Kims Schultern, doch er sah mich entschieden an.
„Könnt ihr mich gleich mit einsammeln…“, sagte Bob mit dem Mund voller Tomaten, die ihm mal wieder Ruth gereicht hatte. „Klar!“ „Das ist cool und ökologisch…“
Der Rest des Tages verging schnell und Mom holte mich von der Schule ab. Ich erzählte ihr von meinen Plänen am Wochenende und sie nickte.
Den erste Teil des abends verbrachte ich mit meinen Hausaufgaben, als mein Hady klingelte. Kim fragte ob sie rüber kommen könnte.Vins mache irgendwas anderes und sie hätte die zweite Staffel von „Stranger Things“ noch nicht geguckt.
20 Minuten später hörte ich meine Mom Kim freudig begrüßen. Dann kam sie mit einer großen Cola und einer Packung Chips in mein Zimmer.
Wir pflanzten uns auf die Couch und redeten zuerst nicht viel. Schließich seufzte sie und ließ sich sehr entschieden auf mich fallen. Ich pikte ihr in die Wange und sie lachte. „Ich liebe ihn!“, sagte sie dann jedoch so ehrlich und zufrieden, dass ich kurz vergaß zu atmen. „Wa…Was?“ „Ich liebe ihn, ich liebe Vins!“, sagte sie und richtete sich auf. Ihre blauen, ehrlich Augen sahen mich voller Vertrauen an. Am liebsten hätte ich mich vor einen Bus geworfen. „Okay…“, ich versuchte meine Panik und das schlechte Gewissen in einem Lachen zu tarnen. „Ich weiß, dass kommt komisch… Aber…“, sie sah kurz zum Fernseher, schnappte meinen Controller und pausierte die Folge. „Aber am Montag…“, sie räusperte sich, „Ich hatte fürchterliche Angst um dich und was da mit Lukas war. Ich konnte mich kaum rühren.“, sie nahm meine Hand und strich mir den Arm hoch bis zu den Schnitte , die unter meinem Sweatshirt verborgen lagen. „Ich meine du kamst aus diesem Raum und du sahst so verloren und wütend aus. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, doch plötzlich war er da, drückte mich kurz und ging sofort zu dir! Als wüsste er instinktiv was du brauchst…“ „Ich war ganz schön durch!“ „Zurecht! Du warst so krass und ich stand einfach nur da. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, aber er…“, sie suchte die richtigen Worte, fand sie aber nicht, „Ich meine… Ich wollte schon mit ihm Schluss machen, echt jetzt!“ Ich wollte das alles nicht hören, doch was sollte ich machen? Ich versuchte zu lächeln, die Alternative wäre weinen gewesen. „Aber dann wie er sich am Montag verhalten hat und den Rest der Woche, auch am Samstag… Auf einmal ist er nicht mehr nur der heiße, mysteriöse Rowdy, von dem ich selber nicht genau weiß, warum ich mir den Stress gebe, auf einmal…“, sie ließ sich jetzt nach hinten fallen, streckte die Arme zur Decke, „Auf einmal ist er mehr! Ich dachte einfach, dass hält sowieso nicht über die High-School hinaus. Aber jetzt…“ „Jetzt was?“, meine Stimme war ganz leise. „Man kann ihm vertrauen. Er ist verantwortungsbewusst. Er war richtig beschützerisch bei dir diese Woche!“, sie gluckste. Ich versuchte es auch. „Man kann sich plötzlich so viel mehr vorstellen, in der Zukunft…“
„Wow!“, versuchte ich die Intensität aus dem allen zu ziehen Es machte mich völlig fertig,.„Machst du mich zum Onkel?“ „Oh Gott, labere keinen Scheiß!“, sie sah entsetzt aus, „Ich erzähl dir das nur, weil… ich bin dir so dankbar!“ „Was?“ „Naja, wenn du ihm am Wochenende keine Chance gegeben hättest, dann… Ich weiß, dass du ihn am Anfang nicht leiden konntest und er war auch nicht begeistert von dir. Er war echt eifersüchtig, glaub ich…“ „Natürlich, ich bin ja auch ein bedrohliches Alphamännchen, dass du als besten Freund hast! Ich mag es nicht, wenn sich jemand unerlaubt meinem Harem nähert!“ „Trottel!“, Kim lachte, „Warum duldest du dann Bob, ist er das Betamännchen?“ „Er ist meine Hauptfrau!“, sagte ich entschieden. „Das ist es, was ich meine…“, Kim sah mich voller Zuneigung an. Ich hatte nicht das Gefühl, sie zu verdienen, „Du bist ein Mensch, den man einfach mögen muss! Und du hast ‘nen guten Einfluss auf Vins, er wirkt so viel entspannter. Du hast keine Angst vor ihm, wie die meisten.“ „Als ich gemeint hab’, ich wäre Jesus, hab’ ich nur gescherzt. Fahr runter! Ich und Vins haben ja auch erst ‘ne Woche was miteinander also…“ „Er hat gemeint, er muss dringend die Mathehausaufgaben machen! Weil er dir beweisen will, wer cleverer von euch ist!“, Kim sah aus, als hätte ich eine neue Art Katzenbabys entdeckt und irgendwas gegen Krebs. „Du bringst ihn dazu Hausaufgaben zu machen!“ „Ich mach’ gar nichts. Ich bin einfach… ich…“, ihre Worte schmeichelten mir, was sich fürchterlich falsch anfühlte. Ich fühlte mich hochgradig unwohl. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich alles dafür gegen würde sie zu sein - die Person zu sein, die Vins liebte!
„Das ist es ja!“, sie warf die Arme hoch, „Du bist du! Das reicht! Niemand außer dir hat schnell genug gecheckt, was mit Lukas abging. Du bist halt du und ich weiß, du willst es nicht hören, aber du bist wirklich ein lokaler Teenager Held!“ „Laber nicht, ich bin…“ Doch sie umarmte mich einfach. „… wundervoll!“,beendete sie meinen Satz und vergrub das Gesicht an meinem Hals. Ich versteckte mich in ihrem Haar, versteckte die Tränen. Ich war ihr bester Freund. Sie hielt mich für einen dummen Helden und das einzige an was ich dachte, war, dass der Typ, den sie liebte, sie abschießen sollte.
Am nächsten Tag versuchte ich nicht an gestern Nacht, Vins oder Kims Geständnis zu denken. Ich hatte gestern auf Vins letzte Nachricht nicht geantwortet und er hatte mir nicht nochmal geschrieben. Das Einzige, auf das ich mich konzentrieren wollte, war das Training und der Wettkampf in einer Woche. Coach Tuker schien das ähnlich zu sehen. Immer wieder übte ich den Start. Er hielt motivierende Reden und ließ mich mit Henry die Übergabe üben. Ich würde behaupten es war das beste Training, was wir je hatten. Wahrscheinlich weil jeder versuchte nicht an Lukas zu denken, tat das körperliche an seine Grenzen stoßen einfach sehr gut. Das Laufen hatte mir die Woche über ziemlich gefehlt!
Irgendwann merkte ich, dass jemand auf der Tribüne saß. Kim und Vins waren vor der Zeit da und spielten Cheerleader. Naja Kim spielte Cheerleader. Vins saß, die Arme verschränkt, da. Seine grünen Augen verursachten mir mal wieder Schüttelfrost. Er trug seine Lederjacke, in der er einfach anbetungswürdig aussah.
Sobald ich mir seiner Präsenz bewusst war, patzte ich bei der Übergabe, doch ich fing mich schnell. Als der Coach das Training endlich nach unserem letzten Durchgang beendete, lobte er mich mit den Worten „Verdammig warst du schnell!“ Ich wank den beiden zu und lief schnell mit den anderen in die Umkleide zum Duschen.
Schließlich fragte Henry, was wohl alle aus der Mannschaft interessierte. „Was ist das eigentlich mit dir und Kim und…“, er machte eine betont lange Pause, „…ihrem Stecher?“ „Ja, sieht aus als würdet ihr Vater-Mutter-Kind spielen?“, meinte nun Brandon. „Wir sind Teilnehmer an einer Studie für Sozialverhalten der Regierung!“, sagte ich so ernst wie ich konnte. Henry wirkt schockiert. „Mensch!“, Brandon lachte, „Der verarscht uns!“ Henry grummelte, doch ich war schon fertig mit duschen und zog mich etwas zu hastig an. „Bis Montag!“ nickte ich den anderen zu und lief los.
„Na mein Schatz!“, sagte Kim und grinste breit, „Du warst ganz, ganz schnell!“ „Und du warst ganz, ganz peinlich!“, begrüßte ich sie, worauf Vins lachte. „Brandon findet übrigens, dass du wirkst, als wärst du meine Mutter!“, fügte ich hin zu. „Dein Vater und ich sind auch wirklich stolz!“, nickte sie nur und tätschelte Vins die Schulter.
Wir gingen zum Parkplatz und Kim kramte nach ihrem Autoschlüssel. „Wir müssen dann noch gleich tanken fahren, bevor wir Bob abholen…“ „Du wolltest ja vorhin nicht!“, tadelte Vins sie. „Ich wollte Oscar lieber beim Training zu sehen!“, mauzte sie zurück. „Ey…“, sagte ich und fuhr mir durch die noch leicht feuchten Haare, „Macht mich nicht zum Scheidungskind!“ „Mami und Papi streiten nur, sie werden dich immer lieben!“, kicherte Kim und machte das Auto auf.
Völlig unerwartet, packte mich Vins auf einmal und zog mich zu sich ran. „Ich beantrage das Sorgerecht!“ „Vergiss es!“, Kim zog mich am Arm, „Ich hatte den schon vor dir!“ „Mich mag er aber lieber!“, entschieden zog mich Vins von ihr weg und ich drehte mich lachend zur Seite. Wenn Vins wüsste, wie recht er hatte!
‘I have these thoughts, so often I ought
To replace that slot with what I once bought
'Cause somebody stole my car radio
And now I just sit in silence
Sometimes quiet is violent
I find it hard to hide it
My pride is no longer inside
It's on my sleeve
My skin will scream reminding me of
Who I killed inside my dream
I hate this car that I'm driving
There's no hiding for me
I'm forced to deal with what I feel
There is no distraction to mask what is real
I could pull the steering wheel‘~ Twenty One Pilots, „Car Radio“ (2011)
Die nächsten Tage kehrte endlich etwas Ruhe ein, wenn auch meine Eltern ziemlich hastig am Sonntag die Tageszeitung verschwinden ließen, als ich den Raum betrat. Wahrscheinlich war wieder ein Artikel über mich drin.
Am Samstag war es ein noch ziemlich langer Abend geworden. Wir waren nach der Tapas Bar und dem Kino in einem ziemlich ranzigen Dinner versackt. Ich war erst kurz vor 12 zu Hause gewesen.
Ich hatte gedacht, dass es vielleicht Ärger geben würde, doch meine Erziehungsfraktion schien eher froh, dass ich den Kopf mal ein bisschen frei bekommen hatte. Ich wusste nicht, ob es an dem Abend oder dem anstrengenden Training zuvor gelegen hatte, doch ich war sofort eingeschlafen, als ich mich gähnend aufs Bett hatte fallen lassen. Zum Glück war ich dann auch erst spät nach einer traumlosen Nacht aufgewacht. Mit meinem Dad zusammen fuhr ich am Sonntag noch meinen Wagen bei Jeff besuchen. Die neuen Teile würden verflucht teuer werden. Dezent deutete er an, dass ein neues Auto zu kaufen, vielleicht günstiger wäre, doch ich ignorierte ihn.
Vins und ich hatten das Wochenende recht wenig miteinander geschrieben. Aber am Samstag hatten wir im Kino und auch um Dinner neben einander gesessen. Ich wusste ich sollte mich darüber nicht freuen und ich sollte da noch weniger rein interpretieren. Seine Berührungen waren Zufall und auch seine Blicke waren nichts als freundschaftliche Zuneigung.
Er und Kim waren so glücklich, dass es auch ein Blinder sehen konnte!
Nicht desto trotz freute ich mich sehr auf Montag und auf Mathe. Das lag definitiv nicht an dem Keller. Ob Vins wirklich nur wegen mir Hausaufgaben gemacht hatte?
Noch hatte ich keinen meiner Freunde gesehen, als ich zu meinem Schließfach erreichte. Fast hatte ich erwartet Vins am Eingang zu treffen, dass er seine Eskorte von letzter Woche wieder aufnahm. Doch er war nicht zusehen gewesen und wie ein verliebter Volltrottel hatte ich auch nicht rumstehen wollen.
Gerade als ich zum Matheraum gehen wollte, sah ich wie Sam, einer von Vins alten Freunden oder was die auch immer waren, die Chefin meines Informatikclubs schikanierte. Lisa trug ein Plakat für English mit sich rum.
„Du bist so fett, du kannst dich noch nicht mal hinter deinem Schild verstecken!“, lachte Sam und schlug ihr das Projekt aus den Händen. Seine Kumpel stimmten in sein Gelächter mit ein. Die Braunhaarige wollte etwas sagen, doch sie hatte arge Probleme vor anderen zu sprechen und begann oft vor Nervosität zu stottern. „W-W-W!“, ahmte er sie nach, „Kriegst du dein scheiß Maul nicht auf, du W-W-Walross?!“ „Ey!“, ich nahm meine Kopfhörer ab und stellte mich vor Lisa. „Lass sie ihn Ruhe!“, verlangte ich. „Sie mal einer an, das Schulmaskottchen!“, Sam schien unbedingt Stress zu wollen, „Pass auf in was du dich einmischst oder ich verpass dir ein paar, dann siehst du nicht mehr so hübsch für dein nächstes Interview aus!“ Ich versuchte mich nicht einschüchtern zu lassen, obwohl ich wusste, dass er stärker war als ich.
Er war seit der Junior High im Football-Team, aber ich war schneller und nicht so selbstgefällig. „Lass sie doch einfach in Ruhe. Ihr habt gezeigt, was ihr für dicke Eier habt und jetzt ist auch gut!“ „Es ist aber erst gut, wenn das hässliche Walross heult!“, sagte Sam und stieß mich gegen Lisa. Ich hatte nicht damit gerechnet und taumelte zurück.
Bevor Sam jedoch mehr als hämisch Grinsen konnte, wurde er verflucht hart gegen die Schließfächer gepresst. Sein Körper knallte laut gegen das Blech. Er keuchte erschrocken auf. Totenstille herrschte plötzlich im Flur.
Vins packte Sam grob an seiner Schuljacke und knurrte: „Fasst du ihn noch mal an, breche ich dir beide Arme!“ Vins Augen brannten kalt. Sowohl Sam als auch mir war klar, dass das keine leere Drohung gewesen war. Entschieden packte ich Vins bei der Schulter, nur wiederwillig löste er den Griff von Sam. Er und seine Freunde waren eindeutig überfordert damit. „Verteidigst du den Pisser?“, fragte Sam ziemlich überflüssig das Offensichtliche. „Der Pisser!“, trat ich nun vor Vins, mutig da ich ihn nun im Rücken hatte, „Hat gesagt, dass ihr sie ihn Ruhe lassen und verschwinden sollt!“ „Pfft!“, machte Sam nicht sonderlich schlagfertig, doch er und seine Freunde trollten sich tatsächlich.
„Das war ‘ne stürmische Begrüßung deinerseits!“, grinste ich Vins an, der etwas überrumpelt an Gesichts meiner Reaktion war, „Aber Guten Morgen auch für dich!“ Ich wusste das es hirnrissig war, doch Vins überbeschützende Reaktion beflügelte mich regelrecht. „Ist alles okay?“, wand ich mich nun Lisa zu, die etwas verdutzt da stand. Schnell hob ich ihr Plakat auf. „Du musst doch auch zu Mathe, oder?“ Sie nickte, wollte sich bedanken, bekam aber wieder vor Aufregung keinen Ton heraus. „Alles gut!“, meinte ich munter und fing an über ihre neuste Arbeit im Informatikclub zu reden. Vins trabte stumm neben uns her.
Als wir im Klassenraum angekommen waren, grinste sie uns schließlich eindeutig beruhigter zu und setzte sich in die erste Reihe. Vins folgte mir wie beim letzten Mal in die Mitte.
„Haben die dich schon mal angemacht?“, grollte Vins. Er war anscheinend immer noch wütend. „Ach Sam ist nur pissig, weil er mal mit der Football-Mannschaft nicht in der Zeitung stand, alles gut…“, winkte ich ab und packte meine Hefter aus, „Nur Lisa sollen sie in Ruhe lassen!“ „Du kennst sie aus dem Informatikclub?“ „Sie ist brillant!“, sagte ich sehr entschieden, „Sie geht bestimmt mal aufs MIT oder so. Hast du ein Veilchen?!“, erst jetzt hatte ich Vins auch von links gesehen und eindeutig zeichnete sich ein Bluterguss unter seinem Auge ab. „Das ist nichts!“, tat er schnell ab. „Wo hast du das her, was…? Wann ist das passiert?“ „Ich hab gesagt: es ist nichts!“, kanzelte er mich scharf ab. Sein Blick war so kalt wie vor hin bei Sam.
Es brannte mir auf der Zunge mehr zu sagen, zu fragen was passiert war. Doch sein Blick, seine ganze Körperhaltung sagte mir, dass er das nicht wollte.
Am Samstag hatte er den Bluterguss definitiv noch nicht gehabt. War er nachdem wir im Dinner waren noch unterwegs gewesen? War das heute Morgen oder vielleicht letzte Nacht passiert?
Stumm saßen wir neben einander. Mr. Keller begann seinen Unterricht. Diesmal hatte er anscheinend vorher eine Ankündigung zu machen. Zwei Leute mussten etwas austeilen. Verwirrt nahm ich das Infoblatt entgegen. Es war ein Auszug aus einer Rede von Sean Spicer, dem völlig bescheuerten Sprecher von Trump.
„Bevor wie beginnen, kurz etwas zu den jüngsten Ereignissen an unserer Schule!“, Keller wippte fast heroisch auf und ab auf seinen Fußballen, „Ich möchte Sie bitten den Auszug, den ich Ihnen mal kopiert habe, aufmerksam durchzulesen. Verallgegenwärtigen Sie sich, was Ihr Verhalten der Gesellschaft und unserem Land antut!“ Ich überflog das Schreiben fassungslos. „Sie haben eine Pflicht Ihrem Land gegenüber. Mit Ihrem lächerlichen renitenten Gehabe und Protesten gegen Ordnung, Sitte und Moral machen wir es Abschaum leicht, gute amerikanische Kinder zu Junkies zu machen!“ „Wie definieren Sie den Abschaum?“, fragte Vins laut und knüllte das Papier vor ihm zusammen, „Wie Onkel Trump? Wollen Sie uns als nächstes erzählen, dass die Mauer um Mexico eine super Idee ist und alle Schwarzen besser im Ghetto blieben?“ „Genau dieses Verhalten ist es, was ich meine!“, Keller erhob die Stimme und fixierte Vins bösartig, „Menschen ohne Moral und Anstand und dem Bewusstsein, Respekt vor einer Autoritätsperson zu haben bringen Drogen und sexuelle Entartungen an unsere Schule!“ Vins stand auf, die Wut, die schon den ganzen Morgen in ihm brodelte, schien nun überzukochen. „Sie sollten sich mal fragen, Mr. Treasur, warum ihr Spind als erstes durchsucht wurde nach dem Vorfall am Montag!“ Einen kurzen Augenblick dachte ich Vins würde nach vorne gehen und Mr. Keller einfach die Fresse polieren, doch er schnappte sich seinen Rucksack stopft seine Notizen hinein und ging. Mr. Keller sah ihm seiner Meinung nach bestätigt nach. „So… Falls noch jemand, etwas Unangebrachtes sagen will, dann sollte er wissen, dass er Mr. Treasur gleich folgen kann! Ich verbitte mir eine Diskussion über ein Thema, das…“
Doch ich hörte nicht weiter zu, sondern packte meine Sachen zusammen und stand auf. Völlig verdattert sah mich der Lehrer nun an. „Mr. Sprout ist das ihr…“ „Ja! Mein voller Ernst!“, sagte ich nur schlicht, lächelte ihm dreist ins Gesicht und ging Vins hinterher.
Im Flur sah ich mich um. Vins entdeckte ich am Ende des Ganges. „Hey!“, rief ich und sprintete ihm hinterher. „Was machst du hier?“, blaffte er mich entgeistert an. „Mr. Keller meinte, wer nicht seiner Meinung sei, könne gehen, also…“, ich zuckte mit den Schultern. „Spinnst du, geh zurück!“ „Geh du doch zurück!“, entschieden renitent, wie Keller der Arsch es genannt hatte, verschränkte ich die Arme vor der Brust und grinste ihn an.
Vins musste nun doch lachen. „Du willst ernsthaft schwänzen?“, fragte er nun. Ich versuchte nicht auf sein Veilchen zu starren und nickte stur. „Jap… Und vielleicht sollten wir darüber nicht hier im Gang sprechen, bevor uns noch wer sieht…“ „Wo willst du hin?“, fragte er mich auffordernd. „Wir kriegen so oder so Ärger, weil wir Mathe sausen lassen…“, überlegte ich jetzt. „Das ist richtig.“, gespielt weise nickte Vins. „Also können wir auch richtig Ärger kriegen, weil wir den ganzen Tag nicht da sind?“ Belustigt funkelten die Augen meines Gegenübers. „Theoretisch…“ „Ich war schon immer eher der praktische Typ, also lass uns verschwinden. Ich weiß, wo wir hingehen!“
Vins folgte mir und schweigend verließen wir die Schule. Als wir einen Block weiter waren, zog er seine Zigarettenschachtel hervor und steckte sich eine an. Ich versuchte nicht auf die Zigarette zwischen seinen Lippen zu achten. Der Wunsch ihn zu küssen war regelrecht erdrückend.
Zügig liefen wir dahin. Wo genau gehen wir hin?“, fragte er, als ich am Eingang zur U-Bahn vorbeilief und weiter zum Bus marschierte. „Wirst du sehen, wenn wir da sind!“, tat ich so cool und mysteriös, wie er immer gelangweilt neben Kim stand. Er lachte. „Schleppst du mich hier etwa gerade ab?“, tat er schockiert. Ich wurde rot ohne es verhindern zu können. „Sorry, aber dafür bist du mir dann doch zu anstrengend…“
„Schaffe ich es kurz noch beim Koreaner rein?“, ruckte er mit dem Kopf zur anderen Straßenseite, „Meine Kippen sind fast alle…“ Kurz sah ich nach, wann der nächste Bus kam, und nickte. „Ja, ist locker drin.“
Wir überquerten die Hauptstraße und ich wartete draußen, während Vins Zigaretten kaufen ging. Unschlüssig sah ich auf mein Handy. Sollte ich Kim schreiben, was passiert war? Ihr Vortrag, was für ein toller Einfluss ich sei, hing mir noch in den Ohren. Ich entschied mich dagegen. Erstmal. Sie würde sowieso in der nächsten Pause fragen wo ich und ihr Freund abgeblieben war. Sollte Vins ihr vielleicht besser schreiben?
Am liebsten würde ich es niemanden sagen. Es war ein Moment, der nur unserer war. Das war falsch, aber wann würde ich sowas nochmal haben?
„Na sieh mal einer an…“, kam es plötzlich vor mir und ich erstarrte. Langsam sah ich auf. „Müsstest du nicht in der Schule sein, Hühnerbein?“ „Dad…“, sagte ich platt und sah meinem Vater in Uniform entgegen. Seine Arme waren eindeutig nicht erfreut vor dem Körper verschränkt. „Ich hab auch noch Kaugummis geholt, falls…“, kam Vins aus dem Laden, die kleine Türglocke klirrte und er erstarrte als er meinen Vater sah. „So, so…“, Dad sah von mir zu Vins, „Ich bin gespannt, was ihr beide hier macht!“
„Also…“, setzte ich an und versuchte mir was auszudenken, „Wir…“ Doch mir wollte nichts einfallen. Kurz sah ich zu Vins. Der wollte den Mund schon auf machen um die Schuld auf sich zu nehmen, der Idiot. Also sagte ich platt: „Wir boykottieren den Unterricht!“ „Boykottieren!?“, mein Vater nickte beeindruckt, „Jugendsprache ist was Witziges! Bei mir heiß das noch Schwänzen…“ Entschieden holte ich das Blatt, welches Keller ausgeteilt hatte, hervor und reichte es ihm.
„Keller hat im Unterricht erzählt, dass wir selbst dran Schuld sind, dass Lukas Drogen genommen hat und aus dem Fenster springen wollte, weil wir dumme, weltoffene Hippies sind. Er hat Vins als Abschaum bezeichnet und…“, ich holte aufgebracht Luft. Mein Dad nahm den Zettel entgegen und sein Schnurrbart wackelte ungehalten. „Das hat er ausgeteilt?“
Vins und ich nickten. „Vins ist wütend raus. Keller meinte, wer was dagegen sagen will, kann gleich hinterhergehen. Er diskutiert mit keinem dummen Teenager!“ „Und dann bist du hinter?“, Dad schien sehr angestrengt ein Schmunzeln zu unterdrücken, dann seufzte er. „Natürlich bin ich hinter her!“, sagte ich entschieden.
„Also…“, er kratzte sich nachdenklich das Kinn, „Ich habe gerade Pause!“, er zeigte mit dem Daumen nach hinten zu dem leeren Streifenwagen am Straßenrand. Von seinem Kollegen war keine Spur zu sehen. „Deshalb bin ich gerade nur dein Dad, kein Polizist… als Polizist müsste ich euch beide nämlich jetzt in den Wagen setzten und persönlich beim Direx absetzten!“, er schaute ernst, „Aber als dein Vaterkann ich das nachvollziehen. Deshalb verschwindet ihr beiden jetzt, bis meine Pause zu Ende ist… Und ich rede mal mit Mr. Keller über seine Motivationsreden…“
„Ähm, echt jetzt?“, ich war völlig überrumpelt, „Ja echt jetzt! Verzieht euch!“ Schnell packte ich Vins am Ärmel und zog ihn zur Ampel. „Wo wollt ihr eigentlich hin?“, rief mir Dad nach,.„Zu meinen Schätzchen!“, grinste ich und er verdrehte die Augen. „Wenigstens was Sinnvolles…“, dann sah er Vins an, „Wenn du Lust hast, kannst du heute Abend zum Essen kommen, Vincent! Es gibt den berühmten Hackbraten seiner Mutter!“ „Ähm…“, Vins sah erst mich und dann meinen Dad völlig perplex an. „Mal schauen…“, antwortete ich für ihn schließlich und zerrte den immer noch überforderten Vins über die Straße, als die Ampel auf Grün sprang. Gerade noch so schafften wir es in den Bus der Linie 9.
„Hackbraten…“, wiederholte der Dunkelhaarige, ich nickte. „Der ist wirklich gut!“, erläuterte ich zwanglos und musste mir doch ein Lachen verkneifen. Die Vorstellung Vins bei mir zu Hause mit meinen Eltern an einem Tisch Hackbraten essend war lächerlich. Dennoch flatterte irgendwo ganz tief in mir ein kleiner Falter der Hoffnung. „Ich weiß nicht, ob ich der Hackbratentyp bin…“, sagte Vins ehrlich. Ich wusste wie er das meinte und scherzte deshalb: „Mit der Einstellung sowieso nicht!“. Doch dann fügte ich hinzu, „Du musst natürlich nicht mit mir und meinen Eltern Hackbraten essen.“
„Wer ist dein Schätzchen?“, fragte Vins nun plötzlich, als er sich an den Rest der Unterhaltung erinnerte. „Das wirst du schon sehen. Ich hoffe ihr mögt euch. Sie ist momentan ‘ne ziemliche Zicke!“ Er zog die Braune hoch. „Mehr sag ich dazu nicht und meintest du nicht gerade was von wegen Kaugummi?“ Vins griff in seine Tasche und zog ein blaues Päckchen Pfefferminzkaugummis hervor. Nur kurz in seiner Tasche und schon hatten sie eine ganz leichte Tabaknote. Der Bengel rauchte eindeutig zu viel.
Wir fuhren bis zur Endstation und Vins war verwirrt, als ich in einem Gebiet voller Hinterhöfe und Fabrikhallen ausstieg. „Hast du etwa Angst?“. Ich boxte ihm gegen die Schulter und er strich sich belustigt durch die Haare. „Vielleicht führst du mich in irgendeine Lagerhalle und zum Schluss wache ich in einer Badewanne voll Eis samt einer Niere weniger auf!“ „Ersatzteile kann man da tatsächlich gebrauchen, aber ich glaube mit deinen können sie nichts anfangen…“, überlegend richtete ich die Riemen meines Rucksacks. Vins Blick wurde noch verwirrter. Schließlich bog ich ab und wir standen auf einem kleinen Hof, der voll mit ausgeschlachteten Autos stand. Drei große Garagen standen weit offen und geschäftig liefen Mechaniker in Blaumännern durch die Gegend und brüllten sich halblaut irgendwas zu.
„Willkommen in Jeffs Werkstatt!“, sagte ich und lief auf die mittlere und größte Garage zu. Ein paar der Männer nickten mir grüßend zu. Ich winkte allen fröhlich zurück. Vins beäugte sie so kritisch, wie sie ihn. Egal wo er hin kam, er fiel auf.
„Hey Moe!“, rief ich einem sehr alten Typen mit langem, grauen Bart zu, „Wo ist Jeff?“ „Ah, der SJ, wo hast du denn deinen Vater gelassen? Der schuldet mir noch fünf Mäuse wegen dem letzten Spiel!“ „Ich werde ihn dran erinnern, aber du weißt ja, das vergisst er gerne!“ Moe lachte und ruckte dann mit dem Kopf nach hinten. „Jeff ist bei deiner Süßen!“ „SJ?“, fragte mich Vins leise. „Sprout Junior…“, seufzte ich, so nannten sie mich nur hier. Er nickte.
Wir liefen weiter nach hinten und kamen schließlich in einen separaten Raum in dem mein Schätzchen stand. Schwarzmetallisch glänzte der Lack und ich grinste so breit, dass es fast wehtat. „Das ist mein Schätzchen!“, ich breitete die Arme aus um sie in all ihrer Pracht zu umfassen. „Wow“, Vins war sofort gefesselt, „Ist das ein Original Impala?“ „Von 1967!“, zärtlich fuhr ich über den Kotflügel. „Momentan ist er ein originaler Haufen Schrott!“, meinte ein bärtiger Mann, der über dem offenen Motorblock gebeugt stand und nun aufsah. „Pscht Jeff!“, ich tätschelte tröstend einen Seiten Spiegel und flüsterte dann, „Sie kann dich hören!“
„Du hast die gleiche Meise wie dein alter Herr!“, seufzte Jeff. Wir gaben uns die Hand, nachdem er sie sich kurz an einem bereits völlig verschmierten Tuch abgewischt hatte, „Der könnte sich übrigens mal blicken lassen. Er schuldet…“ „Moe ‘nen Fünfer, ich weiß!“, sagte ich und sah mit Jeff gemeinsam in den Motor. „Und mir ’nen Zehner!“, lachte der Mechaniker meines absoluten Vertrauens und sah dann fragend zu Vins. „Das ist Vins, wir gehen zusammen zur Schule!“, nuschelte ich und lehnte mich vor um an einer Dichtung zu ziehen. „Müsstet ihr nicht genau da gerade sein? Also in der Schule…“ „Wir haben heute Wandertag!“, meinte ich schlicht und Jeff lachte rau. „Wollt ihr was trinken?“, Jeff war ein bisschen dicker als mein Vater, aber ein gutes Stück größer. „Cola, wenn du hast…“ Jeff ging in einen Seitenraum. Leise hörte ich eine Kühlschranktür klirren. Vins trat neben mich und sah mit mir in den Motor. „Er funktioniert nicht?“ „Nicht ganz…“, seufzte ich. „Was ist kaputt?“, fragte er interessiert. „Die bessere Frage ist, was ist es nicht!“, Jeff kam mit zwei kleinen Flaschen Cola und einem Bier wieder. Er reichte uns die Cola und nahm dann selbst einen großen Schluck des kühlen Hellen.
„Du hast dich beschupsen lassen, SJ…“, seufzte er. „Du musst dich einfach mehr anstrengen!“, sagte ich empört und Vins gluckste.
„Wenn ihr schon mal hier seid, könnt ihr gleich mal mit anfassen. Die neue Lichtmaschine ist da. Mal sehen ,ob das was bringt!“, Jeff stellte sein Bier zur Seite und ich nickte begeistert. „Ein Problem damit dreckig zu werden?“, fragte ich Vins. Er schüttelte den Kopf und zog bestimmt seine Lederjacke aus, was ich absolut sexy fand! Schnell wand ich mich meinem Auto zu. Mein armes Schätzchen! Sie brauchte mein völlige Konzentration.
Zwei Stunden später war ich von oben bis unten mit Schmiere bekleistert. Ich saß in meinem Wagen, während Jeff am Motor schraubte. Vins stand neben ihm. Seine Hände waren ebenfalls schwarz. Er hatte noch nie an Autos geschraubt, hatte er gesagt, aber war nach Jeffs Meinung recht talentiert. Die Tatsache, dass er an einem falschen Schlauch gezogen hatten und einen gehörigen Schwall Öl ins Gesicht bekommen hatte, mal bei Seite gestellt. Ich hatte fünf Minuten gelacht, so empört hatte er ausgesehen.
Erst hatten wir die Lichtmaschine gewechselt, dann waren wir auf ein Problem an der Zündung gestoßen und schließlich vermutete Jeff ein Problem bei der Einspritzvorrichtung. „Es tut sich nichts!“, brüllte ich aus dem Wagen, als ich den Schlüssel in der Zündung drehte. Jeff nickte wissend. „Er zieht kein Öl!“
Moe erschien in der Tür und rief nach Jeff. „Macht mal kurz Pause Jungs!“, sagte dieser nun und folgte seinem ältesten Mechaniker. Vins setzte sich nun neben mich auf den Beifahrersitz und ich streichelte übers Lenkrad. „Du machst es mir nicht leicht…“ „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du ein Autonarr bist oder ein Mechaniker…“, bemerkte der Dunkelhaarige beeindruckt. „Ich stecke voller Überraschungen und verborgener Talente!“, arrogant warf ich den Kopf in den Nacken, musste aber lachen. Dieser Tag war einfach perfekt. Vins und ich voller Schmieröl in der Werkstatt bei meinem Auto. Vins versuchte sich mit dem Rücken seiner Hand etwas Schmiere aus dem Gesicht zu wischen und stieß an den Bluterguss unter seinem Auge. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht.
Mein Gute-Laune-Blase zerplatzte.
„Sag mal, wegen deinem Veilchen…“, setzte ich wieder an, und ich merke sofort wie er wieder verkrampfte, „Ich…“ „Ich hab gesagt, es ist nichts!“, würgte er mich ab. Dabei klang er jedoch nicht so harsch wie vorhin im Klassenraum. „Ich denke doch!“, ließ ich mich diesmal nicht so leicht abwimmeln. „Du hast mir vorhin bei Sam geholfen und eigentlich die ganze letzte Woche… ich…“, schwer holte ich Luft, „Ich kann vielleicht keinen richtig verprügeln, aber ich bin ziemlich schnell, wie du weißt. Ich könnte wen wirklich fest Schubsen und dann wegrennen!“ Vins Mundwinkel zuckten, doch seine Augen waren plötzlich nicht mehr kalt, sondern traurig. „Ich…“, fing er an, doch dann schüttelte er den Kopf. „Es ist okay, wenn du es nicht sagen willst.“, meinte ich nun, „Ich will nur, dass du weißt, dass du es mir sagen könntest!“ „Es ändert nichts, wenn ich es dir sage.“, er sprach ungewohnt leise, „Selbst wenn du es weißt, kannst du nichts dagegen machen! Ich bin selber daran Schuld…“ Ich runzelte die Stirn und sah in sein plötzlich so nervöses Gesicht. „Wenn ich es dir sage, darfst du dazu nichts sagen. Gar nichts!“ Ich nickte. Er sah nun nach vorne und schlucke schwer. Es kam kein Ton raus, als er den Mund aufmachte.
Er sah mich an und meinte dann fast mechanisch, als würde er nicht über sich sprechen: „Das war mein Vater.“. Er biss sich auf die Unterlippe, bevor er fort fuhr, „Er wollte meine Mutter… Ich hab mich davor gestellt, und welche verpasst gekriegt. Dumm gelaufen und selbst Schuld. Mehr gibt’s da nicht zu zusagen!“ Vins sah nun wieder nach vorne und begann an den Knöpfen meines prähistorischen Autoradios zu drehen.
Tausend Sachen und ein großes Nichts schossen mir gleichzeitig durch den Kopf. Ich wollte etwas sagen, wollte ihn drücken und doch, auch wenn ich mich schämte, war ich fast erleichtert, dass er wollte, dass ich nichts dazu sagte. Wie sollte man wirklich dazu etwas sagen, das hilfreich war?
Er drückte zwei Knöpfe und rauschend begann tatsächlich ein Lied zu plärren, dass ich nicht kannte.
„I'm forced to deal with what I feel. There is no distraction to mask what is real.“
„Da gibst doch nicht!“, Jeff kam herein, „Du kannst keinen scheiß Meter fahren, aber das Radio geht!“
Ich rang mir ein Lachen ab, „Meine Schöne setzt Prioritäten!“ „Vielleicht gibt’s ja doch noch Hoffnung.“, seufzte Jeff und ich sah zu Vins, der meinem Blick begegnete. Hatte er Hoffnungen?
‚So baby pull me closer in the backseat of your Rover
That I know you can't afford
Bite that tattoo on your shoulder
Pull the sheets right off the corner
Of the mattress that you stole
From your roommate back in Boulder
We ain't ever getting older
We ain't ever getting older
We ain't ever getting older‘ ~ FigureItOut „Closer“ (2016)
„Und dann lässt du die beiden tatsächlich schwänzen!“, meinte Mom kochend vor Wut zu Dad, sie hatte sich ziemlich beeindruckend vor mir aufgebaut, sie wirkte zwei Meter groß und nicht wie 1,60 Meter, „Wie glaubst du habe ich mich gefühlt, als der Direktor angerufen hat, dass du nicht in der Schule bist, genau wie dein Freund Vincent!“
„Das war meine Schu…“, wollte Vins ansetzte, der neben mir am Küchentisch saß und genauso durch den Kakao gezogen wurde, wie ich, doch Mom war in Fahrt: „Und dann gehst du nicht an dein verfluchtes Handy ran! Sonst kannst du dieses Scheiß-Ding keine fünf Sekunden aus der Hand legen…“ „Es war auf lautlos wegen der…“
„Und dann Rufe ich deinen Vater an und der meint, ihr beide seid in der Werkstatt! In der Werkstatt!“, nichts schien Mom so zu pikieren wie dieser Fakt, „Anstatt die Bildung zu bekommen, die deine Zukunft entscheidet, schraubst du an irgendeinem Schrotthaufen rum!“ „Hey!“, sagte ich nun doch getroffen, „Sie ist kein Schrotthaufen, sie…“ „KINDER in Afrika würden ihr rechtes Bein opfern umso eine Ausbildung zu bekommen! Und deine Klamotten sind auch wieder voller Schmiere und Öl! Wie glaubst du soll ich das wieder rauskriegen? Aus den verdammten Markenshirts, die du nur trägst gehen kaum normale Flecken raus! Aber der Mister muss ja cool sein!“ „Liebes, die Jungs hatten einen wirklich guten Grund…“, setzte mein Vater an, der die Hände voller rohem Mett hatte und den Hackbraten nach Geheimrezept zubereitete, die Geheimzutat waren übrigens Ketchup und Senf. Aber es schmeckte wirklich verdammt gut!
„Zu dir komme ich gleich!“, sagte Mom und drehte sich nun, wie ein kleiner Tornado aus roten Locken um die eigene Achse, „Wie kannst du mir freudestrahlend am Telefon erklären du wüsstest wo sie sind!“ „Du hast nervös gewirkt, weil du es nicht wusstest! Ich dachte du bist erleichtert, dass ich es weiß!“, ungerührt vom Feuer seiner Frau streute er Zweibelpulver in die Menge unter seinen Fingern. „Wie kannst du denken, dass ich erleichtert wäre!?“ „Oscar und Vincent…“ „Vins ist mir eigentlich lieber!“, sagte dieser nun und mein Dad deutete entschuldigend auf ihn, „Oscar und Vins haben eine mutige Entscheidung getroffen, weil sie an Prinzipien festgehalten haben! Wir haben keinen Ja- Sager erzogen! Willst du das Hühnerbein ein Ja- Sager ist?“ „Hühnerbein“, formte Vins stumm mit den Lippen in meine Richtung und ich formte genauso stumm „Fick Dich!“
„Natürlich will ich keinen Ja- Sager! Aber er hat erst vor einer Woche sich sehr dumm heldenhaft hervorgetan und jetzt boykottiert er den Unterricht!? Wenn wir nicht aufpassen wird er die nächste Nathalie! Wir wissen beide, wie das endet!“ „Nathalie ist in Harvard geendet!“, meinte nun Dad ganz stolzer Vater. „Sie ist eine tickende Zeitbombe! Ich warte jeden Tag darauf das ich den Anruf kriege, dass sie festgenommen wurde, weil sie einen Anschlag auf den Präsidenten geplant hat!“ „Ich vermute ganz stark, dass ist das irische Gen, dass in ihr so wütet!“, er kostete kurz die Mischung vor ihm und zwinkerte dann ganz alte Schule Mom an, „Sie hat dein unverhohlen sexy Feuer geerbt!“ Ich verdrehte die Augen und Vins sah fast beschämt zu Boden.
Mom sah ihn zehn Sekunden an bevor sie sich Kopfschüttelnd wieder zu uns wand.
„Ich will nicht, dass ihr alles hinnehmt, aber es gibt nicht umsonst eine Schulpflicht!“, dann sah sie Vins einen Augenblick näher an, „Hast du ein Veilchen? Habt ihr euch jetzt auch noch geprügelt?“ Bevor ich es verhindern konnte hat sie Vins Kopf gepackt und zur Seite gedreht. „Nein… Also…“, ich hatte Angst, dass es zu viel für ihn wurde, „Das war Sam aus der Schule, aus dem Footballteam, der Idiot hat Lisa schikaniert, wir sind dazwischen und…“ „Das ist das nächste…“, lies Mom, Gott sei Dank, von Vins wieder ab, „An dieser Schule herrscht anscheinend das Faustrecht! Das ist da alles viel zu gewalttätig und diese Footballspieler sind sowieso alle Idioten!“ „Ich war Footballspieler!“, sagte nun Dad. „Wie ich sagte!“, Mom ging an den kleinen Erste- Hilfe- Kasten im Waschraum und kam mit einer Salbe wieder, die sie knurrend Vins reichte. „Dreimal täglich dünn auftragen!“ „Äh… Danke…“, der Dunkelhaarige schien hochgradig überfordert und ich wusste, dass es keine Sekunde mehr dauern konnte bis er die Flucht ergriff.
Nach dem Jeff um halb zwei meint, er müsse heute noch richtig arbeiten waren wir gemeinsam zum Bus gelaufen und hatten weiter über Autos gequatscht. Ohne dass wir wirklich darüber gesprochen hatten, war Vins mit in die Linie gestiegen, die mich nach Hause brachte. Ich war fürchterlich nervös gewesen, ihn in unser kleines Haus zu bringen. Doch hatte ich nicht damit gerechnet, dass Mom bereits wie ein Drachen auf uns warten würde.
Ich wusste selbst nicht, was ich mir von einem Sturmfreien zu Hause erhofft hatte, dass ich und Vins rummachen würden? Dumm, ich war einfach nur dumm!
Fünf Minuten später, als Mom uns längst wütend in die Küche gescheucht hatte, war Dad gutgelaunt mit allen Zutaten fürs Abendessen hereingekommen.
„Ich werde mit Finnick reden, und auch mit Keller!“, sagte Dad nun wieder und formte einen riesigen Klumpen aus der Hackmischung, „Und die beiden werden morgen wieder zur Schule gehen und das Nachsitzen, was sie definitiv kassieren, wie echt Männer ertragen!“ Mom schnaufte so laut das sie mich, Vins und jeden anderen Mann auf diesen Planten bis in die Steinzeit beleidigte.
„Ich versteh einfach nicht, was in dich gefahren ist!“, wand sich meine Erzeugerin wieder ihrem Ehemann zu, welcher mir mit einem eindeutigen Kopfnicken zu verstehen gab, dass wir verschwinden sollten.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich zog Vins an seiner Lederjacke aus der Küche. Er folgte mir sich neugierig umsehend die Treppe hinauf in mein Zimmer. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Es war lächerlich aufgeregt deswegen zu sein, aber Vins in meinem Zimmer, meinem Rückzugsort zu haben war, keine Ahnung… Mein Körper schauderte erwartungsvoll.
Als ich in mein Zimmer glitt, trat Vins schnell nach mir ein und ich schloss die Tür. Gedämpft drang Moms Getobe zu uns hoch. „Es tut mir leid!“, sagte ich schnell und sah beschämt auf die kleine Cremetube, die der Größere immer noch in der Hand hielt.
„Am besten warten wir kurz bis sie sich beruhigt hat und dann kannst du abhauen!“, ich zerwühlte mich die Haare, ich wusste das Moms Zorn gerechtfertigt war, aber dass sie mich vor Vins so zur Sau machte hätte ich nicht gedacht, „Oder wenn du gleich weg willst lenke ich sie schnell ab, dann…“ „Was?“, Vins schien mir nicht folgen zu können. „Du willst doch bestimmt weg, nach dem sich meine Mom so aufgeführt hat…“, meinte ich geknickt, „Ich wusste nicht, dass sie schon hier ist oder sie dich gleich mit in die Mangel neben würde…“ Der andere lachte und haute mir leicht mit der Creme auf den Kopf, verdutzt sah ich auf.
„Alles gut, sie hat ja recht!“, er zuckte mit den Schultern und ging dann weiter in mein Zimmer hinein und sah sich um. Sofort wurde mir der Berg dreckige Wäsche bewusst, der Mülleimer, der überquoll und die peinlichen Bilder aus Kindertagen an der Wand neben meinem Fernseher, die mir Kim immer zum Geburtstag schenkte.
„Du willst nicht weg?“, fragte ich um auf Nummer sicherzugehen, mein Herz klapperte kläglich. „Willst du das ich gehe?“, fragte er zurück. Wir standen zwei Meter voneinander entfernt, irgendwie hatte ich das Gefühl, das wir uns beide sehr dumm anstellten.
„Nein!“, sagte ich etwas zu energisch und schnell, „Also… Ich kann verstehen, wenn du willst, aber der Hackbraten ist echt gut!“, ich stellte mich eindeutig alleine dumm an.
„Sie macht sich halt sorgen um dich.“, sagte er und betrachtete jetzt die Bilder, „Ich denke, du hast echt Chancen auf ein Stipendium.“ „Jetzt fang du nicht auch noch an!“, seufzte ich sehr bestimmt. „Du solltest deine Zukunft nicht so aufs Spiel setzten!“ Theatralisch verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Ich hab einen Tag Blau gemacht, ruft das FBI!“ Er lachte. „So fängts an!“ „Und du, versaust du dir nicht auch was?“, ich trat neben ihn und folgte seinen Blicken. Er musterte ein Bild von mir und Kim als wir vielleicht 13 waren. Sie trug ein hübsches rotes Kleid und ich einen viel zu großen grauen Anzug. Das Bild war auf Jeromes Hochzeit entstanden, Kims ältester Bruder.
„Ich wüsste nicht, was ich mir versauen könnte!“, meinte er so ehrlich, dass es wehtat. „Vielleicht gibt dir ja Marlboro ein Stipendium…“, scherzte ich, er zog die Brauen hoch, „Ja, als Dankeschön dafür, dass du es geschafft hast, dass die amerikanische Jugend wieder cool beim Rauchen aussieht!“
Natürlich boxte er mich. Ich ging zur meiner Couch und Vins wanderte interessiert weiter zu meiner Spiele- und DVD- Sammlung. „Bist du ein Zocker?“, fragte ich und nahm meinen einen Controller in die Hand. „Nein, nicht wirklich.“, sagte er schlicht, „Ich verbring nicht sonderlich viel Zeit zu Hause.“ Sofort ließ ich den Controller wieder aufs Sofa fallen.
Schließlich lief er an meinem Bett vorbei, was meine verdammten Hormone zum Tango tanzen veranlasste. Der Tag in dem Vins warum auch immer in meinem Bett wäre, würde ich wahrscheinlich elendig zu Grunde gehen.
Schließlich kam er bei meinem Bücherregal an, das außer aus ein paar Klassikern, die irgendwie jeder hatte, nur aus Comics bestand. „Du stehst auf Deadpool?“, er zog eins der Hefte raus. Ich nickte und wusste nicht, ob mir das peinlich war oder nicht.
„Wer nicht? Und ich steh auf Spiderman. Und auf Captain America…“, ich trat neben ihn, „Und Batman auf der DC Seite…“ „Der nette Spinnenjunge aus der Nachbarschaft.“, zitierte er aus dem Film vom letzte Samstag, den wir mit den anderen gesehen hatten. „Er ist definitiv mein Lieblings Held!“, ich zog meinen persönlichen Favoriten unter den Heften hervor und reichte es Vins, „Er ist einfach irgendwie am realsten,- Abgesehen von dem Mutanten Scheiß halt!- ein Teenie der Superkräfte kriegt, von denen niemand etwas wissen darf. Er ist kein Millionär oder Ex- Soldat. Er ist nur clever und will Leuten helfen…“ „Vielleicht sollte dein Dad dich lieber Spinnenbein nennen, das klingt nämlich sehr nach dir!“, überlegte Vins und erinnerte mich daran, dass mein Dad meinen fürchterlich peinlichen Spitznamen vor ihm genannt hatte.
Ohne zu zögern zog ich ihm das zweite Heft, das ich rausgezogen hatte, über den Schädel. Er schlug mich mit dem, was er noch hielt zurück und ich nahm es ihm schnell ab. „Nicht, das mag ich wirklich!“, vorsichtig legte ich es zurück und seufzte. Er gluckste. „Autoschrauber und Nerd… Tatsächlich ungeahnte Tiefen…“
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mich schließlich auf meine Couch fallen. Er setzte sich neben mich und betrachtete jetzt die Cremetube. „Soll ich das machen?“, fragte ich und mir wurde erst beim Hören bewusst, dass das vielleicht komisch rüberkommen könnte. Doch er nickte. „Ja, mach mal, du siehst das im Gegensatz zu mir.“ „O…Okay!“
Erstaunt nah ich ihm die Creme ab. Ich hätte nicht gedacht, der er mich seinen Bluterguss berühren lassen würde, ich war schon vorhin mit Mom der Meinung gewesen, dass es zu viel für ihn gewesen war.
Jetzt setzte er sich gerade vor mir hin und ich tat mir zittrig eine kleine Menge der Salbe auf die Finger. Ich hoffte inständige er merkte nicht, wie sie zitterten.
Behutsam strich ich über den lilaroten Fleck, seine Haut war glatt und warm. Leicht verzog er das Gesicht. „Sorry“, nuschelte ich. „Du hast mir keine verpasst!“, lächelte er schwach. Ich presste die Lippen zusammen, er wollte nicht das ich was dazu sagte. „Es ist alles gut, ich hatte schon schlimmeres…“ „Das ist doch kein Grund sich zu freuen!“, ich spürte wie Wut in mir hochkam, „Das ist…“
Doch ich presste wieder meine Lippen zusammen, er wollte ja nicht, dass ich was sagte. Ich strich nochmal über den Bluterguss und wollte meine Hand schon runternehmen, als er mich am Handgelenk packte. „Oscar!“, setzte er an, „Ich…“
Doch meine Mutter hatte schon immer das beste Timing der Welt. Wütend klopfte es und sie riss die Tür auf. „Ihr beide fegt die Terrasse ab! Es ist schönes Wetter und wir essen draußen!“
Hastig ließ Vins mich wieder los, doch meine Mom war schon wieder weg, dafür steckte Dad jetzt den Kopf durch die Tür. „Ihr solltet lieber schnell runterkommen, ich hab sie erstmal beruhigt, aber man weiß bei der Frau nie!“, ein Glucksen, „Ein richtige Vulkan!“
Er schien eher belustigt als wirklich besorgt und meinte dann zu Vins: „Ist du Süßkartoffeln, Vins?“ „Ja, ich denke schon.“ „Sehr gut, ich mache Spezialsüßkartoffelpüree!“, als wäre er der Meistkoch persönlich zwirbelte er seinen Bart. „Du bratest Bacon an, schneidest ihn klein und mischt ihn unter…“, verdrehte ich die Augen. „Ja, das ist ja das Spezielle!“, er schien stolz.
„Du musst nicht mit aufräumen.“, sagte ich zu Vins als ich mich erhob, „Ich mach das schnell alleine.“ Doch er erhob sich ebenfalls. „Ich kriege Spezialpüree und Hackbraten, ich denke dafür kann ich schon was machen!“ „Das die richtige Einstellung, mein Junge!“, Dad klatschte begeistert in die Hände und zu dritt liefen wir die Treppe runter. In der Küche roch es schon ziemlich gut, doch Mom scheuchte uns gleich raus.
Während ich den Tisch abschrubbte fegte Vins um mich herum und machte sogar ein Spinnennetzt an der Seite weg, doch zuvor fragte er mich aber ob das nicht meine geheime Festung als Spinnenbein sein, wofür ich ihm den nassen Lappen um die Ohren warf.
Gerade als er sich trockenwischte und ich den Besen abfuselte schien sein Handy zu vibrieren, erstaunt zog er es sich aus der Tasche und verzog dann tatsächlich leicht schuldbewusst das Gesicht.
„Hey Kim…“, ging er ran und ich wusste sofort, warum sie anrief. Hastig zog ich mein Hady hervor, dass ich den ganzen Tag völlig ignoriert hatte. Vins Gesellschaft war das einzige gewesen, dass für mich wichtig gewesen war.
Tatsächlich die verpassten Anrufe von Mom, und welche von Kim, aber auch Bob hatte mich versucht zu erreichen. Leonie und Ruth hatten mir geschrieben. Alle schienen etwas verstimmt…
„Naja… Weißt du, das war so in Mathe das…“, setzte er an wurde aber genauso unterbrochen wie ich vorhin mit Mom, „Das weißt du schon…“ Kim war sehr laut und anscheinend sehr pissig. „Dann weißt du auch, dass ich aus ‘nem guten Grund gegangen bin, und eigentlich ist Oscar Schuld!“, schob er mir den Schwarzenpeter zu und ich warf wieder den Waschlappen nach ihm, dem er diesmal auswich, „Er meinte, wenn wir Mathe schon schwänzen geht auch der Rest des Tages…“, kurz war er still, „Wir waren den Tag dann bei seinem Schätzchen!“, zitierte er mich, „Sie ist bezaubernd, fast so stur wie du!“
Er lachte als ihre Stimme knurrend durch den Hörer dröhnte. Es war seltsam ihn so zu sehen, fast gelöst, sonst war er jedes Mal explodiert, wenn es zu einem Streit mit Kim gekommen war. „Wenn du nicht weißt, wer das ist, musst du ihn fragen!“, kurz blinzelte mich Vins an, „Du kannst ihn nicht erreichen. Ich hatte mein Handy in der Jacke und die zur Seite gepackt, Sorry…Ob ich weiß, wo er abgeblieben ist?“, Vins grinste und sagte dann, „Warte mal kurz!“, und reichte mir das Telefon, obwohl ich meinen Kopf hektisch zu einem stummen „Nein“ schüttelte.
Ihm die Pest an den Hals wünschend nahm ich sein Handy: „Hey Kim…“ „Warum zum Henker gehst du nicht ans Telefon?!“ „Es war lautlos und ich hab vergessen den…“ „Und dir,- Euch!-, ist nicht in den Sinn gekommen, mir mal zu schreiben?!“ „Also…“, setzte ich an und wusste gar nicht was ich sagen sollt. „Meine Mom stand neben deiner als sie den Anruf gekriegt hat, dass ihr beide schwänzt. Wie glaubst du hat meine Mom darauf reagiert, dass mein Freund den Goldjungen dazu bringt von der Schule zu türmen!?“ „Erstmal bin ich kein Goldjunge! Und zweitens hab ICH Vins überredet den ganzen Tag zu schwänzen…“, sie schnaubte, „Ich wollte nach der letzten Woche einfach nur raus, und dann das mit Keller. Das hat das Fass einfach zum überlaufen gebracht… Außerdem hat der Wichser Vins auf dem Kieker und Vins wollte mich so nicht alleine lassen!“ Vins Mundwinkle zuckten, ich verzog unsicher, ob die Ausrede klappt, das Gesicht.
„Wer ist dein Schätzchen?“, fragte sie mich plötzlich recht leise. „Mein Auto, warum?“ „Ah, ihr wart bei Jeff!“, sie seufzte, „Ich dachte, das ist deine Schöne!“ „Dad nennt so Mom, das war irgendwie gruselig.“ Nun lachte sie sogar leise. „Ich hab mir echt Sorgen gemacht und…“, sie wurde noch leiser, „War ein bisschen eifersüchtig, dass ihr ohne mich unterwegs wart… Wo seid ihr überhaupt jetzt noch zusammen? In der Werkstatt etwa noch?“ „Ähm, wir sind bei mir… Dad macht Hackbraten und Vins ist eingeladen!“ „Ohhh!“, machte sie sehnsüchtig beim Wort Hackbraten. „Willst du auch kommen? Vielleicht ist Ian ja auch da, es ist locker genug für alle da!“, lässig spielte ich am Henkel des Eimers rum, Vins grüne Augen bohrten sich in meiner während ich sprach. Ich wollte nicht das sie kommt, aber Vins war ihr Freund und sie meine beste Freundin, also… Ich musste sie fragen, alles andere wäre… egoistisch und dumm. Ich wollte eigentlich egoistisch und dumm sein!
„Eigentlich schon, aber wir gehen Essen. Wegen irgendeinem Jubiläum meiner Tante…“, sie klang traurig, aber auch besänftigt. „Oh Schade“, versuchte ich nicht erleichtert zu klingen. „Gibst du mir nochmal Vins?“, kommentarlos reichte ich das Telefon weiter. Sie redeten noch kurz und ich kippte in der Zeit das schmutzige Wasser weg und begann den Tisch zu decken.
30 lange Minuten später konnten wir nun endlich essen. Ich hatte tatsächlich ziemlich Knast. Wir hatten in der Werkstatt nichts gegessen und auch danach, Dank Moms Schimpftirade, auch nicht.
Dad machte uns beiden riesige Portionen auf, doch diesmal beschwerte ich mich nicht, sondern schlang pustend und schnaufend mein Essen in mich rein, obwohl es noch viel zu heiß für meine Gier war. Vins lachte, begann aber auch hungrig zu essen. 20 Minuten später hatte ich meine erste große und die Hälfte einer zweiten Portion geschafft und war fürchterlich satt und rund und nicht mehr in der Lage Vernünftig zu sitzen.
Vins hingegen stopfte sich noch immer Süßkartoffelpüree rein, er leerte seinen zweiten Teller und Dad machte ihm mit einer Mischung aus Belustigung und erstaunen noch eine Portion auf.
„Der Braten ist gut, nicht wahr?“, fragte Dad Vins, der mit vollem Mund nickte und meinte dann hastig runterschlucken: „Das der beste Hackbraten, den ich je gegessen habe…“ „Gibt es bei euch selten Hackbraten?“, fragte Mom nun, langsam klang ihre Wut ab, sie hatte schon immer eine Schwäche für gute Esser gehabt.
„Ehrlich gesagt, gibt es nie welchen…“ „Wir könnten deiner Mom das Rezept gerne aufschreiben.“, meinte Mom nun und Dad zischte unter der Hand: „Das ist Geheim, meine Schöne!“ „Ach“, funkelte sie meinen Vater an und wand sich wieder an Vins, „Er gelingt eigentlich jedem.“ „Nein, sie kocht nicht…“ „Oh, dann hat dein Vater das Küchenkommando?“ „Nein. Niemand kocht bei uns, es ist auch selten was Genießbares im Haus, was nicht Scotch ist.“, fügte er hinzu und war ganz in ein Stück Blumenkohl vertieft. „Oh!“, Mom und Dad sahen sich an, wie wohl Kinder sich ansehen würden, wenn sie beschließen ein Kaninchen zu adoptieren.
Grummelnd erhob sich meine Erzeugerin nun und meinte dann: „Verdient habt ihr es zwar nicht, aber ich hol uns Eis und Karamellsoße!“
Eine Stunde und zwei Kilo Eis später brachte ich Vins zur Tür. In der Hand hatte er einen Beutel mit den Resten des Abendessens, also dem Teil, den er übriggelassen hatte.
„Und du bist dir sicher, dass Oscar dich nicht nach Hause fahren soll?“, Mom stand in der Küche und weichte mein mit Motoröl beschmiertes Shirt ein. „Ja, Danke…“, tat er ab und hob den Beutel, „Für alles!“ Sie lächelte und ging zurück zu den Waschmaschinen.
„Mir würde es wirklich nichts ausmachen…“, meinte ich und versuchte nicht sehnsüchtig oder gar traurig zu klingen, weil unser gemeinsamer Tag endete. Ich wusste nicht wirklich, wie wir uns verabschieden sollten und vor allem, wie es morgen weiter gehen sollte.
„Ich weiß noch nicht, ob ich nach Hause gehe, deshalb weiß ich nicht wo du mich hinfahren solltest, also…“, er sah nach draußen, in die dunklen Straßen. Ich dachte an die vielen Dinge, die ich heute über ihn erfahren hatte, was er heute über mich erfahren hatte. Wir waren uns näher gekommen, näher als jemals zuvor.
Wie merkwürdig mein zu Hause, meine Eltern, für ihn sein müssten. Er sah mich wieder an, lächelte sein schmales Lächeln und verwuschelte mir dann die Haare zum Abschied. „Bis morgen, spätestens beim Nachsitzen, Spinnenbein!“
Ich schmunzelte und verzog leicht das Gesicht, auf die Konsequenzen des heutigen Tages hatte ich weniger Bock.
„Penner!“, rief ich ihm hinterher und er hob im Gehen noch mal die Hand. Wir waren uns so nah wie noch nie zuvor und doch trennten uns Dinge Meilen voneinander, von denen ich noch nicht mal ahnte, dass es sie gab…
Nachdenklich schloss ich die Haustür. Kaum hatte ich einen Fuß auf die Treppe gesetzt, stand Mom wieder in der Küchentür, der Blick pure Sorge.
„Oscar!“, sie klang ernster als gewöhnlich und ich erwartete, dass sie mich nochmal wegen dem Schwänzen zusammenfaltete doch es kam anders, „Wo hat der Junge das Veilchen wirklich her?“ „Ich…“, ich schluckte, „Ich kann dir das nicht sagen!“ Sie nickte wissend, meine Aussage reichte ihr. „Ich möchte das du Vins sagst, dass er jederzeit zum Essen kommen kann! Jederzeit!“ Ich nahm den Fuß wieder von der Treppe und umarmte sie.
„Ich vergesse manchmal wie toll ihr seid!“ Sie tätschelte mir den Rücken und kniff mir dann in die Nase. „So lange du nicht vergisst, dass wir immer für dich da sind, vergebe ich dir den Rest!“
‘You make me feel like a lottery winner
Move over Pablo, I'm a big time spender
I've never said this before
But I've never been so sure
I think I wanna buy you a house
I think I wanna share forever right now
And if the bank man comes to steal it away
I hope you, I hope you stay‘ ~ Kyd the Band, „American Dreamer“ (2017)
Der nächste Tag war nicht ganz so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, wenn ich ehrlich war.
Ich hatte damit gerechnet, ordentlich welche auf den Deckel zukriegen von Direktor Finnick, aber dem war nicht so. Es gab zwar ein Gespräch, doch es war eher milde tadelnd und Vins und ich bekamen jeweils eine Woche Nachsitzen, in der wir den verpassten Stoff nachholen sollten. Und der Lehrer versicherte mir/uns nochmal, dass er mit Mr. Keller sprechen würde und wir ohne Angst in den Unterricht könnten.
Etwas verwirrt kam ich aus dem Direx- Büro.
„Das war seltsam…“, meinte ich Vins neben mir, der mit den Schultern zuckte. Er hatte nicht ein Wort im Büro gesagt. „Du bist momentan das Vorzeigekind!“, meinte er nun doch, „Sie haben schätze ich Angst, dass du doch ein Interview gibst und dann sagst, dass die Lehrer ihre Schüler so mobben, dass sie Drogen nehmen, oder so…“ „Hm.“, war mein intelligentes Kommentar dazu. „Und da sie schlecht mich bestrafen können und dich ignorieren gabs für uns beide nur ein Du-Du und Nachsitzen!“ „Dann hatte die Scheiße wenigstens was Gutes!“, meinte ich nun munter und Vins lachte.
Ich schubste ihn leicht und er klemmte meinen Kopf unter den Arm und zerwühlte mir grob die Haare.
„Wie die kleinen Kinder!“, kam es nun vor uns und Leonie betrachtete uns belustigt tadelnd, Ruth hinter ihr am Schließfach nickte uns beiden zu. „Digger!“, begrüßte mich nun Bob und ich umarmte ihn überschwänglich. Vins Gesellschaft machte mir immer viel zu offensichtlich gute Laune.
„Sorry wegen gestern, ich hab mein Handy total vergessen!“, entschuldigte ich mich, fürs erst nicht antworten, doch er wank ab. „Ich steh auf Protest… Und dann für sowas auch noch Papier vergeuden, da tun einem die Bäume leid, Bro!“ „Was ist das Urteil des Gerichts?“, neugierig was Finnick uns für eine Strafe verpasst hatte, setzte Leonie ihren Rucksack wieder auf. „‘Ne Woche jeden Tag ‘ne Stunde Nachsitzen!“, gab ich bereitwillig Auskunft. „Nur?“, Leonie war erstaunt, sie hatte wie ich mit mehr gerechnet, alleine schon wegen den Wiederworten gegenüber Keller.
„Ich hatte auch schon an so ‘ne Sache gedacht, wegen dem ganzen Papierarbeitsblättern, die unrecycelt verbraucht werden!“, überlegte nun Bob laut, ganz in seiner Aktivistenrolle. „Oscar sollte mitmachen, er ist momentan Presseliebling!“, meinte Vins und imitierte Bobs kämpferische Miene. „Jo, Digger!“, meinte Bob jedoch regelrecht beflügelt, „Würdest du mitmachen?“ „Klar! Ich will meine Macht für das Gute einsetzten!“, tat ich pathetisch und Bob schlug entzückt mit mir ein. „So spricht das wahre Spinnenbein!“, flüsterte Vins und ich boxte ihm dezent in die Rippen.
„Würdest du auch mitziehen?“, fragte er nun Vins. „Klar, ich bin prinzipiell immer gegen alles!“ „Er ist auch ein großer Fan der Umwelt, er raucht nur Fairtrade Kippen!“ „Bro!“, meinte nun Bob hellauf begeistert, „Digger, das nicht nur gut für die Arbeiter, sondern auch für die Umwelt und…“, Bob hatte nun Vins völlig vereinnahmt und war in seinem Element. Ich grinste Vins Schadenfroh an. Ich liebte Bob über alles, aber er konnte einen echt Stressen, mit dem Aktivistenzeug.
Vorne im Flur sah ich Kim, die mir entschieden griesgrämig entgegenkam, doch ich breitet die Arme weit aus, setzte einen Dackelblick auf und sie sprang nun doch mit kleinem Anlauf lachend hinein. Ich hob sie hoch, sie schlang Arme und Beine um mich und wir drehten uns auf der Stelle.
Nach drei Umdrehung setzte ich sie wieder ab und sie ging gespielt Makerhaft auf Vins zu, der sie Augenverdrehend an sich zog. Sie küssten sich. Schweratmend lösten sie sich voneinander. Ich versuchte nicht hinzusehen, was nicht gelang.
Schließlich stand Kim vor Bob und beide meinten lässig „Hi!“ Sie lachte dann auf und sie umarmten sich ebenfalls. „Haben wir gestern was verpasst gestern?“, fragte ich sie nun als wir als Gruppe weiterliefen. „Du meinst, nach dem ihr gestern durchgebrannt seid?“, schmiss sie eine Spitze. „Ja, genau…“, fragte ich entschieden und sich schüttelte den Kopf. „Außer das sich Becky überschlägt vor Gerüchten.“ Ich verdrehte theatralisch die Augen: „Wann tut sie das den mal nicht?“
Der Rest des Tages war wie alle Dienstage, wir verbrachten die Mittagspause wie üblich alle zusammen, dann hatten wir Sport und Coach Tuker fiel fast vom Reck, als er eine Sportübung vormachen wollte. Und schließlich wurden Vins und ich beim Nachsitzen auseinandergesetzt, weil wir so laut gelabert hatten oder eher uns gegenseitig belabert hatten, dass der Aufsichtslehrer, der auf dem Klo war und Kaffee holen und was man halt macht, wenn man keinen Bock auf den Mist hatte, uns bis ins Lehrerzimmer gehört hatte.
Danach schrieben wir uns sehr Grundschulhaftzettel, die wir versuchten dem anderen an den Kopf zuwerfen.
Mit einem fürchterlich breiten Grinsen ging ich nach Hause, auch der Mittwoch war nicht sonderlich anders. Nur das wir da den Keller wieder sahen, der mich und Vins jedoch absolut ignorierte. Also wirklich komplett, als wären unsere Stühle nicht besetzt und wir Luft.
Was Vins natürlich dazu veranlasste um zu gucken, wie weit sein ignorieren ging und mit mir eine Wette startete, wer am lautesten Tiernamen sagen könnte ohne rauszufliegen.
Als ich wirklich fast „FLAMINGOS“ schrie zerbrach Keller die Kreide vorne in der Hand. Vins versteckte daraufhin das Gesicht in seinem auf dem Tisch verschränkten Armen vor Lachen, der ganze Tisch bebte.
Tristan vor uns, drehte sich böse guckend um. „Könntet ihr ein bisschen leiser sein?“ „Kannst du dich um deinen eigenen Kramm kümmern?“, schoss Vins sofort zurück, die Schärfe seiner Worte wurde durch das Glucksen in seiner Stimme nicht wirklich gemildert. Sofort drehte sich Tristan wieder um, so schnell das ich förmlich hören konnte, wie er sich den Nacken verrenkte.
Jetzt prustete ich los, was den Keller nun doch dazu brachte zu sagen: „Ich würde mehr Seriosität in meinem Unterricht schätzen!“ Was Vins nur dazu brachte noch lauter als ich zuvor „Warzenschwein“ zu rufen, was nun doch den ganzen Kurs zum Lachen brachte. Gott sei Dank, klingelte es keine zehn Sekunden später.
Das Nachsitzen lief wie das davor und ich dachte, dass die Woche einfach gut sein würde, doch am Abend kam eine Hiobsbotschaft, die ich selbst am nächsten Morgen noch nicht verdaut hatte. Hinzukam, dass ich Vins den ganzen Vormittag nicht gesehen hatte, wie Kim, der ich nun mein Leid klagte.
Völlig verzweifelt stand ich noch immer zur Mittagspause an meinem Schließfach und Kim tätschelte meine Schulter. „Versuch es nicht so schwer zu nehmen…“, seufzte sie, „Du wusstest, dass es von Anfang an nicht gut aussah…“ Bob nickte Weise. „Für jeden kommt mal die Zeit…“
„Was ist den passiert?“, tauchte Vins nun plötzlich unerwartet auf und sah von Kim zu mir und meiner geknickten Gestalt. „Es ist fürchterlich…“, krächzte ich.
„Was?“, besorgt sah er mich an. Kim konnte nur schwer ein Augenverdrehen verkneifen und küsste ihn zur Begrüßung und meinte dann: „Oscar möchte das ich jetzt sage, dass er einen herben Verlust erlitten hat und etwas Unersetzliches nun nicht mehr Teil seines Lebens ist…“, sie boxte mir nicht sehr mitfühlend gegen die Schulter, „Ich würde sagen, er weint wie ein kleines Mädchen, weil sein Kack Schrotthaufen- Auto, was er sich letztes Jahr gekauft hat, endgültig Altmetall wird! Und wo warst du heute Morgen?“ „Rede nicht so respektlos über die Toten!“, pikiert verschränkte ich die Arme vor der Brust und Vins seufzte halb erleichtert, halb belustigt auf. „Dein Schätzchen…“, sagte er nun und versuchte meine ernste Miene zu kopieren, „Und ich hab verschlafen.“, tat er dann noch Kims Frage ab.
Ich merkte sofort das das nicht die Wahrheit war, auch Kim schien nicht überzeugt, aber Vins wollte anscheinend nicht darüber sprechen, also schob ich weiter pathetisch Trauer.
„Du hast ja noch nicht mal das Schlimmste gehört!“, ich nutze das Scheppern beim schließen meines Spintes für meine Überdramatisierung, „Nicht nur, dass man für sie nichts mehr tun kann, man…“, doch konnte ich es nicht sagen, „Kim!“ Leonie und Bob glucksten.
„Er kriegt zum Geburtstag von seinen Großeltern ein neues Auto, besser gesagt ihr altes…“, Kim verdrehte nun doch die Augen, „Du stellst dich wirklich sehr dämlich an!“ „Es ist ein Ford Fiesta!“ Vins lachte auf.
„Ein fucking Ford! Fucking Fiesta!“, warum konnte sie nicht begreifen, wie furchtbar das war, „Ich hatte einen amerikanischen Klassiker, einen Original Impala 1967 und jetzt…“ „Einen Ford!“, meinte nun Leonie beschwingt, „Und Fiesta klingt für mich nach Party!“
„Mit dir rede ich nicht mehr!“, hob ich entschieden die Hand. „Du musst es auch mal so sehen, Bro“, warf nun Bob ein, „So neue Autos sind viel umweltfreundlicher, der Emissionswert geht uns alle was an…“ „Bob, das hilft mir nun wirklich gar nicht!“
„Warum ist den jetzt auf einmal alle Hoffnungen davon?“, fragte nun Vins, endlich jemand mit Verständnis. „Ich bräuchte an sich nen neuen Motor und es sprängt jeden finanziellen Rahmen, das Ding wirklich wieder aufzubauen…“, seufzte ich, es tat weh das einzugestehen, aber Jeff hatte Recht.
„Und warum plötzlich der Ford…“ „Als Jeff meinen Dad angerufen hat, hat Mom an der anderen Leitung meine Großeltern aus Ohio am Hörer gehabt und Grandpa will nicht mehr fahren, also krieg ich es…“ „Du bist undankbar, ich würde auch gerne einfach so ein Auto kriegen!“, Kim verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kriege ihn nicht einfach so, sondern zum Geburtstag. Mein einer Cousin will hier Studienfreunde besuchen und fährt es her und fliegt dann zurück.“ „Ist das der süße Cousin, der dann zu deinem Geburtstag da ist?“, fragte Leonie nun hoffnungsvoll. „Er kommt erst in vier Wochen, also nach meinem Geburtstag. Und ob er mein süßer Cousin ist… Keine Ahnung, ist Nikki süß… Kim?“, wand ich mich an meine beste Freundin, die wissend einsprang.
„Irischer Typ. Blaue Augen und rote Haare, nicht schlecht. Aber schon Ende zwanzig.“ „Wie gut du dich auskennst…“, meinte Vins und ich konnte seinen Ton nicht deuten. „Du bist nicht die erste Praline, die ich vernasche!“, tat Kim überheblich und ich räusperte mich verhalten. „Den du meinst, ist Glen- Der Süße mit den hübschen braunen Augen!“ „Ich hab gedacht, ich bin der Süße mit den hübschen braunen Augen!“, pikiert sah ich die Mädels an. „Nah!“, machten Kim und Leonie gleichzeitig.
„Ich finde deine Augen ganz cool, Digger!“, sprang wenigsten mein bester Freund für mich in die Bresche. „Danke Bob!“, wir schlugen ein und Vins neben mir lächelte sein schmales Lächeln. „Ja, sind ganz passabel.“
Am liebsten hätte ich ihm gesagt, dass ja nicht jeder so verflucht grüne Smaragde haben könnte, aber das wäre irgendwie komisch und doch sehr schwul und ich wurde so schon, von dem kleinen Satz rot.
Wir liefen weiter Richtung Kantine. Leonie hatte sehr plötzlich Bob wegen ihrem neuen Theaterstück nach seiner Meinung gefragt, sie wollte es progressiver machen. Kim fand ihre Idee gut und so diskutierten sie irgendwelche Demos und deren Schlachtrufe, die sie mit ein bauen wollte.
So liefen Vins und ich hinten den dreien. Vins griff nun unsere Unterhaltung wieder auf: „Du hast bald Geburtstag?“, fragte er. Ich nickte. „Nächste Woche Samstag, also die Woche nach dem Wettrennen!“, präzisierte ich meine Angabe und friemelte nervös am Saum meiner Jacke, „Ich grill jedes Jahr, oder eher mein Dad, wenn ich Geburtstag hab. Ich lad da auch alle meine Freunde immer zu ein, also die Idioten da und Leute aus dem Kadar und dem Informatikclub und ja…“, versuchte ich meine Frage, die ich gleich stellen würde einzuleiten, seine Augen waren wiedermal unergründlich, ein tiefes Meer voller Fragen, „Wenn du da nichts vor hast, also… Kim ist auch da, ab um Vier also…“, bekam ich nicht raus, was ich eigentlich sagen wollte und seine Lippen formten sich wieder zu einem schmalen Lächeln. „Du bist auch eingeladen! Und du holst mich gegen halb Vier ab!“, mischte sich nun Kim ein und lief ein kleines Stück rückwärts, bevor sie sich wieder Leonie und Bob zu wand. „Okay!“, sagte er entschieden und ich grinste ein Stück zu breit. „Echt? Ich meine cool!“
„Gibt’s was, dass du dir wünschst? Zum Geburtstag?“, fragte Vins für mich völlig unerwartet. „Ähh“, sah ich ihn überrumpelt an, „Ich wünsche mir Nichts!“ „Das ist gelogen!“, meinte nun wieder Kim, „Als ich mal angeblich ohne Geschenk zu deinem Geburtstag gekommen bin, hast du fast geweint!“ „Da war ich Sieben!“, tat ich beleidigt.
Sie streckte mir die Zunge raus und flüsterte dann jedoch zu ihrem Freund. „Nicht das er was verdient hätte zum Geburtstag, aber es könnte sein, dass wir etwas haben und du dich, du weißt schon…“, sie zwinkerte ihm mit einer Grimasse zu und er schüttelte über sie belustigt den Kopf.
„Aber mal was anderes, wann müssen wir am Samstag da sein um dich anzufeuern bei deinem großen Lauf?“, sie hob die Arme als wäre sie ein Cheerleader. „Gegen elf geht’s los…“, meinte ich, „Ich glaube aber nicht, dass wir gleich als erste dran sind.“, überlegt ich. „Kommen deine Eltern eigentlich auch?“, fragte sie weiter und ich nickte, in dem Kummer über mein Auto hatte ich die andere Hiobsbotschaft fast vergessen, „Ja, und meine Schwester…“
Kim atmete entsetzt ein, und Leonie fragte ängstlich: „Der Anti- Christ?“ „Jap, Nathalie kommt… und fährt erst wieder den Sonntag nach meinem Geburtstag! Ist das nicht toll?“ „Warum?“, fragte Kim und schauderte, „Also… Warum?“ „Ich vermute ganz stark, ganz Harvard hat eine Petition unterschrieben, dass sie sie nicht mehr wollen, aber sicher bin ich mir auch nicht!“ „So schlimm kann sie nun doch auch nicht sein!“, Vins schien kritisch. „Sie ist so gruselig wie das Ding aus dem Sumpf!“, meinte nun Leonie, die an die letzte Begegnung mit meiner Schwester dachte. „Sie ist das Ding aus dem Sumpf!“, korrigierte ich sie.
Gerade als wir die Treppe runter wollten, fiel mir auf, dass mein Schnursenkel offen war. Schnell hockte ich mich hin um ihn zu zumachen. Vins blieb stehen und wartete auf mich. Leise fragte ich: „Hast du heute Morgen wirklich verschlafen?“ Er hatte auf den Text, den ich ihm geschrieben hatte nicht geantwortet, weder gestern Abend noch heute Früh. „Ich hab gedacht, wir reden über deine Monsterschwester und deinen Geburtstag!“, entschieden beendete er das Thema. Ich seufzte.
„Wenn ich dir alleine was schenken wollen würde, was würdest du dir wünschen?“, fragte er mich plötzlich und meine Zunge auf dem Herzen war schneller als mein Verstand. „Dich!“
Das hatte ich gerade nicht wirklich gesagt?
„Zeit mit dir!“, schnell versuchte ich mich zu korrigieren, „Also mit Freunden! So Dinge tun, Kino und so…“, schnell stand ich auf und hoffte nicht wie ein totaler Idiot zu wirken. Vins nickte jedoch nur, seine Augen verengten sich nachdenklich.
Als wir in der Kantine ankamen, waren die anderen schon an unserem Tisch und ich ließ mich auf meinem Stammplatz nieder, und blieb mit nur einem Bein über der Bank sitzen und suchte mein Sandwich von zu Hause raus. Ich hasste das Donnerstagessen in der Kantine.
Schließlich stieß auch Ruth zu uns. „Ich hab die Neuigkeit schlechthin!“
Erstaunt sah ich auf. Leonie tratschte für ihr Leben gerne, doch Ruth ließ sowas eigentlich immer kalt. „Uhhh!“, ihr Schwester klopfte auffordernd neben sich auf die Bank. „Ich hab gerade Becky Fisher getroffen…“, fing sie an und ich ahnte, was kam. Noch nie war etwas Gutes raus gekommen bei einem Satz, der mit Becky anfing!
„Sie hat mich gefragt, ob ich genaueres darüber weiß, dass ihr Drei…“, sie zeigte auf mich und Vins und Kim, „Einen Dreier hattet!“ „Nein!“, Leonie haute belustigt auf den Tisch, Kim lachte, „Was hast du gesagt?“ „Nichts!“, Ruth zuckte mit den Schultern, „Aber das reicht Becky…“ „Unkreativ. Ich hätte jetzt mehr erwartet.“
„Egal was du von Becky erwartest, du wirst enttäuscht!“, war mein Kommentar dazu, aber anscheinend schien meine und Vins Freundschaft für mehr Gesprächsstoff zu sorgen als ich dachte.
„Ich finde, wir gehen alle mit Becky viel zu hart ins Gericht!“, tat Kim gutmütig und stand auf, „Wir sollten sie unterstützen und den Gerüchten Nahrung geben!“ und mit diesen Worten setzte sie sich rittlings auf mich und wackelte verschwörerisch und lasziv zu gleich mit den Brauen und Hüften.
„Das muss jetzt sein, ja?“, war nur mein Kommentar dazu, doch sah ich genau zu Vins und seiner Reaktion, doch er schien tatsächlich amüsiert. „Das heizt doch nichts an.“, spottete er, „Hast du Beckys Nummer?“, fragte er Leonie, die überrascht nickte und er stand ebenfalls auf, „Dann halt mal die Kamera drauf! Ich zeig dir, was anheizt!“ Und ich dachte er würde sich eng hinter Kim setzten, doch er setzte sich stattdessen hinter mich und schmiegte sich eng an. Vor Schreck blieb fast mein Herz stehen, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu bollern.
Seine Arme legten sich fast genießerisch um mich und seine Hände strichen über meinen Bauch. Ich schluckte merklich, kläglich verkrampfte ich unter seiner Berührung.
„Oscar wird richtig rot!“, stellte nun Leonie fest und schoss ein Foto nach dem anderen. „Mensch Oscar, hast du ne Taschenlampe bei, oder freust du dich einfach nur, mich zu sehen?“, Kim wackelte ein bisschen hin und her, Bob räusperte sich belustigt.
„Ehrlichgesagt ist das das Messer, das mir in der Tasche aufgeht!“, versuchte ich mich gelangweilt, doch Vins warmer Körper hinter mir, war mir all zu präsent und seine Hände auf meinem Bauch jagten mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken, genau wie sein Atem an meinem Hals, sein Geruch lullte mich ein.
„So süß!“, meinte Kim und gab mir einen Schmatzer auf die Wange, bevor sie Vins über meiner rechten Schulter einen Kuss gab.
Das war so fürchterlich und komisch und toll, dass mir regelrecht schlecht wurde und durch Vins nähe und seine Hände musste ich wirklich aufpassen, dass Kim nicht meine Taschenlampe in der Hose spüren wurde.
Ich versuchte verzweifelt nicht meinen Impuls nachzugeben und mich an Vins an zu schmiegen. „Es ist unglaublich, wie gequält Oscar aussieht!“, meinte Ruth recht unbeeindruckt von all dem und Leonie meinte glücklich: „Nicht wahr! Es ist großartig!“
„Das überforderte steht dir, Oscar!“, warf nun Bob ein, noch nicht mal auf ihn konnte man sich verlassen. „Sehr witzig!“, sah ich meinen besten Freund wütend an, „Ruth kommst du ran um ihn zu treten?“ „Nicht wirklich, ich könnte auf die Tomaten spucken, aber ich glaube er isst sie trotzdem…“ „Wegen sowas werfe ich doch kein Essen weg!“, Bob schien empört bei der Vorstellung, ich seufzte. „Könntet ihr jetzt wieder auf eure Plätze gehen?“ „Wieso?“, Vins schnurrte mir doch allen Ernstes ins Ohr. Ich erzitterte. „Oh Gott!“, Kim lachte, „Hast du gerade geschaudert?“
Doch bevor ich etwas dazu sagen konnte, klingelte es zum Unterricht. „Die Pause ist doch noch gar nicht um?!“, meinte Ruth mit einem verwirrten Blick auf ihre Uhr und ihr angebissenes Sandwich.
Ein Raunen ging durch den Raum und mehrere kleine Grübchen tuschelten aufgeregt miteinander, Kim stand nun auf von meinem Schoß und richtete sich auf.
„Was ist passiert?“ fragte sie laut und ein Typ vom Nachbartisch, ich glaube er war mit Kim zusammen in English, meinte: „Sam und ein paar andere aus dem Football-Team hatten ‘nen Autounfall…“ „Was?“ Der Schreck stand jedem im Gesicht.
Ich musste an mein letztes Zusammentreffen mit Sam denken. Vins hatte ihm Prügel angedroht und beleidigt war er abgedampft.
„Muss ‘ne ganz üble Sachen sein!“, meinte der Typ weiter, „Sie sind heute Morgen alle nicht zur Schule gekommen. Sie sind wohl frontal in ein anderes Auto gerast!“ „Nein!“, Leonie war völlig schockiert, ich glaube sie und Sam hatten mal kurz was am Laufen.
„Sam ist gefahren. Sie sind alle im Krankenhaus. Den Einen Hinten hats nicht so krass erwischt. Er hat gemeint, Sam hat wohl nur noch gelacht und dann plötzlich das Auto in den Gegenverkehr gesteuert!“ Kim schlug die Hand vor den Mund, auch mir wurde eiskalt.
Das Lachen und das irrationale Verhalten schien eindeutig auf Cold Clown hinzudeuten. Schon wieder dieses Dreckzeug!
Vins hinter mir wurde ganz steif, seine Hände verkrampften und ich spürte an meinem Rücken, wie sein Herz schneller schlug.
Kim und die anderen unterhielten sich hektisch und sammelten ihre Sachen zusammen. Doch das einzige, an das ich denke konnte, war Vins hinter mir und sein Atem, der stockend geworden war.
War es nur ein Zufall, dass auch er den ganzen Morgen nicht in der Schule gewesen war?
‘At the same time, I wanna hug you
I wanna wrap my hands around your neck
You're an asshole but I love you
And you make me so mad I ask myself
Why I'm still here, or where could I go
You're the only love I've ever known
But I hate you, I really hate you,
So much, I think it must be
True love, true love
It must be true love‘ ~ P!nk, „True Love“ (2012)
Es war kurz nach halb Elf. Ich atmete konzentriert und versuchte mich zu fokussieren, den anderen aus dem Kader ging es nicht anders. Ich streckte meine Körper, versuchte jede einzelne Muskelpartie zu aktivieren. Versuchte meine Körper zu spüren, die Kontrolle über jede Faser zu erlangen.
„Süßer Arsch!“, kam es irgendwo sehr platt her als ich mich bückte um mich zu dehnen. Ich versuchte nicht zu lachen. Durch meine Beine hindurch sah ich zur Tribüne, auf der meine Freunde bereits Platz genommen hatten. Kim, bei Vins auf dem Schoss, wank mir zu und Bob hob grüßend die Hand. Vins nickte mir zu.
Seit um halb zehn war die gesamte Staffel zusammen auf der Bahn. Wir hatten uns die Zeit für ein paar Runden warmlaufen genommen, während die anderen Teams ihre Stationen aufgebaut hatten. Es waren verschiedene Leichtathletik-Sachen, die heute im Wettkampf standen.
Wir gingen unsere Strategie durch, sowie wir versuchten die Muskeln warm zu kriegen. Coach Tucker war ziemlich euphorisch, da unser größter Rivale die Kennedy-School letzte Woche verloren hatte, hatten wir Chancen seit langem aufs Treppchen zu kommen diese Season. „Du musst einfach nur konzentriert bleiben. Du hast die perfekte Technik! Also hab jetzt noch den Willen! Den Willen schneller zu sein!“, mal wieder stand der Couch neben mir mit einer mahnenden Rede und ich nickte, stumm und wie ich hoffte heroisch überzeugend.
Schließlich waren die Leute vom Hürdenlauf dran und danach wir.
Mich immer noch dehnend und streckend ging ich kurz zur Tribüne. „Bis jetzt bist du der Gewinner! Also vom Hintern her!“, begrüßte mich Kim, es war heute unglaublich warm und sie trug Short und ein übergroßes Shirt, vom Druck her könnte es von Vins sein.
Kurz hing ich wieder bei der Vorstellung seine viel zu große Lederjacke anzuhaben und er meine High-School- Jacke.
„Wenn man den hübschen Typen von euren Gegnern mal ignoriert!“, kicherte Leonie und warf ihm einen entschiedenen Blick zu. Sie, Kim und Vins waren von ihren Sitzen zu mir runtergekommen.
Der hübsche Typ, wie Leonie ihn nannte, war mein Gegenläufer, der Schlussläufer der Trinitatis. Ich konnte tatsächlich verstehen, was sie meinte. Er war durchtrainiert und groß, mit einem verflucht hübschen Lächeln und… ja, Hintern!
Die langen Beine, könnten ein Vorteil werden, doch ich ließ mich nicht einschüchtern, und als er merkte das wir in seine Richtung sahen hob er grüßend zu mir die Hand. Ich nickte zurück, so wie Vins es immer tat.
„Ich glaube der Typ heißt Alex oder so.“, gab ich Leonie meine wagen Informationen weiter. „Alex…“, wiederholte sich gönnerisch und ich verdrehte die Augen.
„Dem läufst du locker weg!“, meinte Vins und klopfte mir auf die Schulter, ich lächelte und versuchte nicht zu verkrampfen, ich musste meine Muskeln entspannt, aber bereit halten.
Vins trug auch nur ein Shirt, was fast ein Wunder war, obwohl seine Lederjacke oben auf der Bank lag. Mit den Haaren unordentlich zurück und der Sonnenbrille, wäre er glatt als Model durchgegangen. Ich versuchte darüber nicht zu genau nach zu denken und begrüßte jetzt die anderen. Ruth und Bob waren bei den Rucksäcken geblieben und lächelten mir zu.
„Deine Eltern sind ja noch gar nicht da?“, schaute sich Leonie um, wahrscheinlich wollte sie schnell weg, wenn Nathalie aufkreuzte. „Die kommen schon noch…“, meinte ich und hoffte fast, dass sie es nicht taten, doch Kim drehte sich nach rechts und wank ihnen mit einem panischen, sowie prophetischen Lächeln entgegen. Ich konnte die Angst fast riechen, die sie ausströmte als sie neben meinen Eltern offensichtlich Nathalie laufen sah. Sie war erst heute früh hergeflogen. Weswegen ich sie noch nicht gesehen hatte.
„Es ist so niedlich das deine Eltern immer noch Händchen halten!“, kommentierte Kim das Auftreten meiner Eltern, die wie immer mega peinlich in Partnerlook und verliebt turtelnd angelaufen kamen.
„Kommt drauf an, wenn du fragst!“, war mein Kommentar dazu und schließlich begrüßten meine Erzeugerfraktion meine Freunde. „Schön euch alle zu sehen!“ „Wir stehen hinter dem Hühnerbein!“, sagte nun Vins und ich trat nach ihm, mein Vater lachte und klopfte Vins kumpelhaft auf die Schulter. Schließlich liefen die beiden die Tribüne hoch und Nathalie begrüßte mich nun herzlich.
„Kleiner Bruder!“, sagte sie und drückte mich leicht, ich erwiderte die Umarmung nicht, und flüsterte nur, „Bitte sei nett!“ Sie lächelte ihr unverschämt bezauberndes Lächeln, was sie so gekonnt perfektioniert hatte. „Ich bin immer nett!“ Und löste sich dann mit einem Blick von mir, der mir versprach, dass sie alles sein würde, aber nicht nett.
„Der Flug hierher ist jedes Mal wie eine kleine Zeitreise.“, erzählte sie nun weiter, und drehte sich zu den anderen, sie waren alle auf der Hut- Nathalies Angriffe kamen unerwartet, sowie tödlich!
Ich sah leider in Vins Gesicht das Gleiche, wie bei vielen unschuldigen Opfern zu vor. Er konnte nicht verstehen, warum wir alle so über meine Schwester sprachen. „Sie sieht okay aus!“, flüsterte Vins Kim ins Ohr, die leise meinte: „Das ist eine Falle!“
In der Tiefsee gabs einen Fisch den nannte man Anglerfisch, weil er ähnlich wie an einer Angel an einem kleinen Antennending, was aus seinem Kopf ragte, ein hübsches glänzendes und leuchtendes Kügelchen hatte. Das war ein Köder um arglose Fische anzulocken, die dachten das wäre was zu niedliches Kleines, was leicht zu fressen wäre. Sobald sie also auf dieses Kügelchen los schwammen und es beobachteten gingen sie dem riesigen Anglerfisch in die Falle, der die hypnotisierten Fische dann Fraß. Schluck und Weg!
Nathalie war das menschgewordene Pardon, denn meine Schwester sah natürlich mehr als okay aus, ihr Köder war ihre liebliche Perfektion. Kim und Leonie und natürlich auch Ruth, waren hübsche Mädchen. Klar keine Supermodels, aber ziemlich gutaussehend.
Nathalie hingegen war ein Supermodel! Ich hasste es das zu denken, aber ich konnte verstehen das jeder, der Nathalie sah, erstmal gefangen von ihr war.
Sie war fast einen Meter Achtzig groß und sehr schlank, mit unverhohlen langen Beinen. An sich schien ihr Körper in jeder Hinsicht übermäßig vorteilhaft proportioniert, doch auch ihr Gesicht hatte fast perfekt symmetrische Züge. Mit den strahlend blauen Augen, die sie von Mom geerbt hatte, den vielen, zarten Sommersprossen und den kleinen vollen Lippen sah sie regelrecht engelsgleich aus, was nur noch von den langen hellblonden Haaren abgerundet wurde.
„Nathalie!“, kam Coach Tuker zu uns rüber, „Schön dich zu sehen und das du Oscar anfeuerst bei seinem Lauf!“ „Schulsport ist reinster Faschismus!“, lächelte Nathalie weiter, „Und auch schön Sie zu sehen Coach Tuker, wie ich sehe, sind Sie immer noch in einer Karriere gefangen, die Sie nicht über das Tragen von Jogginghosen hinausbringt. Ich habe auch gehört ihre Ex-Frau ist neu verheiratet, ist es nicht frustrieren ein Leben als Mittvierziger Single mit Stirnglatze und eindeutigen Schilddrüsenproblemen zu fristen?“ „Ich hatte ganz vergessen wie Charmant du bist!“, meinte Coach Tuker und ging sehr schnell wieder zum Rest der Mannschaft, das er fast stolperte.
„Also Kim!“, wand sich meine Schwester nach dem sie sich aufgewärmt hatte nun meinen Freunden zu, „Wie ich sehe, sind deine Schneidezähne durch die Zahnspange endlich gerichtete, es muss toll sein endlich einen Überbiss zu haben den man kaum sieht!“, war ihr Eröffnungszug und Kim presste völlig überrumpelt und verunsichert die Lippen auf einander, doch Nathalie war noch nicht fertig, „Außerdem hab ich gehört du hast einen neuen Freund, der die billige Karikatur und ein lächerliches Klischee eines kleinen 50iger Jahre Rowdys darstellen soll und du wahrscheinlich durch deine bis jetzt immer sehr impulsiven und fürchterlichen Lebensentscheidungen wahrscheinlich eine Teenagerschwangerschaft haben wirst! Was mich zu dem bringt, dass du schon weniger füllig in diesen Shorts gewirkt hast. Aber ich bin definitiv jemand der Body Positivity unterstützt! Wir sind alle schön auf unserem ganz eigenen Weg!“ „Was, ich…“, „Wie bitte!“, korrigierte sie Nathalie zuckersüß und meinte dann, „Ich bin neugierig, würdest du das Kind selber großziehen, oder würdest du so tun, als hättest du Pfeiffersches Drüsenfieber und deine Mutter tut dann so als wäre es ihr Kind und du hättest eine geheime Tochter- oder Sohn-Schwestern Beziehung? Oder hast du durch die berechtigte Angst, dass eure Beziehung nichts weiter als eine verzerrte Widerspiegelung deines Wunsches nach Rebellion und seines nach Sicherheit auf Grund einer verkorksten Mutterfigur ist, angefangen Frust zu essen?“
„Was ist dein Problem?“, zischte ich meine Schwester an, die ganz Unschuld spielte, „Du hattest mir versprochen, dass du meine Freunde nicht mehr mit deinen Psychospielchen traktierst!“ Kim zog wie zur Bestätigung sehr untypisch unsicher an den Beinen ihrer Shorts.
„Erst einmal, Hitler hatte auch versprochen nicht in die Tschechoslowakei einzumarschieren, Willkommen in der wirklichen Welt, Oscar!“, lässig warf sie ihr langes Haar elegant zurück, „Und zweitens, ich betreibe nur Smalltalk. Ich habe so ein interessantes Konzept der Kommunikation letztens in einer Verhaltenspsychologischen Vorlesung in Harvard gehört, und war regelrecht fasziniert, wie viel Stellenwert er der Interaktion der einzelnen Schichten zu schrieb!“ „Da siehst du es! Für normale Menschen ist Smalltalk kein interessantes Konzept, es ist…“ „Ach du Gott Oscar, ich finde doch nicht Smalltalk interessant!“, sie lachte, „Ich finde die Idee interessant, dass man weniger gebildete Menschen, in dem Glauben der gleichgestellten Interaktion,- das bedeutet indem Fall, das wir miteinander reden!- , viel leichter beeinflussen kann.“
„Du bist krank!“, war meine Antwort darauf und Leonie wollte sich davonstehlen, doch Nathalie wand sich nun ihr zu. „Leonie, ich habe dich doch gleich erkannt!“ „Hi…“, Leonie sah aus als würde sie gleich weinen. „Durch deine Kleidung und das Kreuz, das du um den Hals trägst, sehe ich das deine Mutter immer noch versucht ihre Jugendsünden und die vorehelichen Kinder durch Übermäßige Religiosität zu kompensieren.“, Nathalie sah kurz an ihr vorbei, Ruth und Bob kamen nun auf uns zu, „Und versucht du immer noch eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, in dem du dich gegensätzlich zu deiner viel talentierteren und intelligenteren Zwillingsschwester benimmst?“ „Ich habe eine eigene Persönlichkeit…“, stotterte Leonie. „Und du musst bestimmt Vincent sein!“ „Vins“, korrigierte ich sie, und sie lächelte ihr Nathalie lächeln. „Und du musst das Ding aus dem Sumpf sein!“, war seine Entgegnung und lächelte sie herausfordernd an.
„Ich persönlich halten den Film für ein triviales Märchen was gelegentlich sogar Anflüge von stiller, aber doch sehr ungelenker Poesie hat. Obwohl ich mich mit der Rolle der Alice als Regierungsbeamtin, die versucht einen korrupten Milliardär davon abzuhalten neueste wissenschaftlichen Fortschritt auszubeuten doch eher identifizieren könnte, als mit Dr. Holland.“, Nathalie legte einen Finger überlegend ans Kinn, „Natürlich kann ich verstehen, dass ihn viele als Klassiker bezeichnen! Ich schätze ich würde mich selbst eher in Die Auslöschung sehen, mit meiner Namensvetterin Nathalie Portman. Die komplette Auslöschung der Welt ist dann eher mein Stil. Und außerdem ein bildgewaltiger Film und mit einer bizarren Eleganz, die Metaebene ist wie ein Puzzle. Wenn du ihn dir ansiehst, erkläre ich ihn dir, euch, auch gerne danach!“
Bevor Vins das Verdauen konnte und vor allem etwas dazu sagen konnte begrüßte meine Schwester schon Bob. „Steven“, lächelte sie nun zum ersten Mal ehrlich, „Wie geht es dir? Immer noch an vorderster Front?“ „Warum nennt sie ihn Steven?“, sah mich Vins verwirrt an. „Bob ist nur ein Spitzname…“, meinte ich zu ihm und laut dann zu meiner Schwester, „Aber eigentlich weiß sie auch, dass ihn niemand Steven nennt!“ „Ich nenne Dinge immer beim Namen, wenn Amerika das tun würde, hätten wir jetzt keinen geisteskranken Chauvinisten als Präsidenten, also…“
„Danke nochmal für die Unterlagen, die du mir zu geschickt hast, wir konnten die Infos über den Haushaltsetat echt gut einbinden!“, Bob band sich gewohnt die Dreads zurück und Kim fragte Ruth leise, ob sie das Gefühl hätte, das sie dicker geworden wäre.
„Ich war so schockiert und wusste, wenn jemand damit umgehen kann, dann du!“, Nathalie stemmte die Hände in die Hüfte und ging Richtung Tribüne, „Wo sitzen wir eigentlich?“ „Da drüben!“, lotste sie Bob zu ihren Plätzen. „Willst du nicht lieber bei Mom und Dad sitzen?“, meinte ich, ich ahnte das Vins sich ihre Art nicht so gefallen ließ wie die anderen, Nun gut, die anderen verunsichert sie einfach nur und gab ihnen den Grund einen Psychologen aufzusuchen.
„Willst du nicht lieber so tun als wärst du besser als der uniformierte Brei, in dem du schwimmst, und eine Staffel gewinnen?“, war ihre Antwort. „Meine Sachen sind da, bestimmt liest sie aus meiner Jacke, irgendwelche Kindheitstraumata…“, jammerte Leonie als sie Bob und der Auslöschung, wie sich meine Schwester selbst treffenderweise betitelt hatte, nachsah. „Ich hab nicht zu genommen, die Shorts könnten eingelaufen sein…“, erklärte Kim immer noch Ruth, die nur seufzte. „Es ist toll, wenn deine Schwester da ist…“ Die drei Mädels gingen zu ihren Plätzchen, jedoch nur sehr, sehr langsam…
Unschlüssig sah ich zu Vins, auch ihn hatte sie etwas mit ihrer Antwort erstaunt. „Kaum zu glauben, dass ihr aus demselben Uterus kommen sollt…“, sagte er schließlich und ich seufzte. „Der Punkt ist, dass ich nicht sicher bin, welche andere Spezies sich da reingelegt hat zuvor!“ Er gluckste und sah nun dabei zu wie Nathalie und Bob sich anscheinend anregend unterhielten, Ruth saß daneben und wirkte irgendwie verstimmt.
„Sie mag Bob?“ „Sie denkt er wäre gut zu rekrutieren, wenn sie die Weltherrschaft ins Auge gefasst hat!“ „Ihr seht euch ja schon ähnlich, aber…“, der Dunkelhaarige schien wirklich verdattert, unschlüssig sahen seine grünen Augen mich an, und ich versuchte wie so oft nicht rot zu werden, Nathalie war bildschön, wenn er fand, dass wir uns ähnlich sahen dann… Naja, vielleicht ist es nicht gut, für einen Kerl wie ein hübsches Mädchen auszusehen.
„Ich denke, das ist eine Mutation des X- Chromosoms in unserer Familie!“, ich dachte kurz an meine Handvoll Cousinen, die alle fürchterliche Klugscheißer waren, angeführt von der Königin der Verdammten: Nathalie! „Ich wäre bestimmt auch voll das zickige Mädchen geworden.“ „Du bist ein zickiges Mädchen!“, meinte Vins sofort entschieden und sehr ernst, ich boxte ihn dafür. „Tu dir nicht weh vor deinem großen Lauf, Hühnerbein- Obwohl ich Spinnenbein immer noch besser finde!“ Bevor ich ihm dafür ebenfalls eine verpassen konnte gestikulierte mich Coach Tuker wild zu sich und Vins rief mir hinterher: „Viel Glück!“ Ich zeigte ihm den Mittelfinger und er lachte bestätigt.
Schließlich ging es los, Coach Tuker hielt seine letzte Motivationsansprache und wir stellten uns alle in Position.
Erst Brandon, der am längsten von uns dabei war, dann ungewohnt Henry auf Position zwei, darauf folgte der Meister der Kurve Leroy und schließlich noch ungewohnter, ich als Letztes!
Ein Stück neben mir stand Alex oder wie er hieß. Er lächelte mich an, ich zog nur eine Grimasse, die ihn noch breiter Grinsen ließ.
Ich atmete tief und bewusste ein und aus. Spürte jede Faser, jede Zelle. Konzentrierte mich nur auf den Lauf, versuchte alles auszublenden! Vor allem das Nathalie wahrscheinlich meine Freunde in einen Gruppensuizid trieb oder sie sie mit Fackeln und Mistgabel auf einen Scheiterhaufen jagten und anzündeten. Aber vor allem versuchte ich auszublenden, dass Vins dort oben saß, die grünen Augen auf mich gerichtet und mich beobachtete.
Der Anpfiff kam und die ersten Läufer starteten. Schließlich bekam Henry den Stab, eine saubere Übergabe, dann Leroy, ich achtete nicht auf das andere Team, achtete nicht auf Alex neben mir, achtete nur auf Leroy, passte mich seinem Schritt an in dem kurzen Stück, in dem die Übergabe war und nahm ihm schließlich den Stab ab und sprintete los.
Ich hörte nur meinem Atem und spürte den Kies unter meinen Füßen und dann, ganz plötzlich ging ein Ruck durch meinen Körper.
Ich strauchelte und sah aus den Augenwinkeln, wie Alex neben mir wohl gestolpert sein musste. Sie hatten anscheinend die Übergabe verhunzt und er mich, als er um Gleichgewicht und Korntolle mit dem Stab gekämpft hatte, versehentlich angerempelt. Er fing sich einen Ruck schneller als ich und ich wusste, dass es mich kostbare Sekunden kosten würde, wieder vernünftig in die Spur zu kommen. Ich entschied instinktiv, mich rennend nach vorne fallen zu lassen. Nur um Haaresbreite trat ich vor ihm über die Ziellinie und stürzte, mich nun nicht mehr abbremsen könnend, hart auf den Schotter.
Ich prallte auf die Schulter und mit noch völlig überspannten Beinmuskeln ging ich zu Boden, mein rechtes Knie überstreckte sich viel zu stark. Vergeblich versuchte ich noch Gewicht vom Gelenk zu nehmen und mich irgendwie zur Seite zu drehen, doch ich spürte schon längt das verdächtiges Ziehen, dass irgendetwas, nicht mehr da war, wo es sein sollte.
Als ich endlich zum Liegen kam drehte ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Rücken. Ich hörte irgendwen meinen Namen rufen. Doch ich streckte die linke Hand mit dem Staffelstab in die Luft und meinte dann. „Erster!“
Das Gesicht von Alex erschien in meinem Blickfeld, schuldbewusst sah er auf mich runter. Seine braunen Augen waren viel tiefer und dunkler als meine. „Alter, geht’s dir gut?“ Ich überlegte kurz und meinte „Ja!“ und dann, als ich mich bewegt hatte, „Aua!“.
Er lachte und schien nicht beruhigt, er reichte mir die Hand und ich zog mich vorsichtig in sitzende Position.
„Sorry“, setzte er nun an, „Ich hab den Stab fast fallengelassen beim Handwechsel und als ich ihn neu greifen wollte bin ich gegen dich gestoßen! Tut mir wirklich leid!“ „Alles gut…“, meinte ich und bewegte vorsichtig meine Schulter, es tat leicht weh, aber da war alles heil, „Ich hab ja trotzdem gewonnen!“
Ich grinste ihn schadenfroh an und er nickte, grinste breit zurück: „Zurecht!“
Mit der Schulter war zwar alles okay, mit meinem Bein sah das schon anders aus, vorsichtig versuchte ich es anzuwinkeln und biss vor Schmerzen die Zähne zusammen. „Fuck!“
„Alles gut, mein Jung?“, Coach Tuker erschien neben mir und der Trainer der anderen Mannschaft. „Beeindruckender Lauf, Junge!“, meinte dieser und tätschelte Alex beruhigend die Schulter. „Kannst du das Bein noch bewegen?“, fragte der Coach und betastete vorsichtig das Gelenk, ich nickte schlicht. Bewegen ging, es tat nur höllisch weh. „Am besten wir setzten ihn erstmal auf eine Bank!“
Alex griff mir sofort unter die Schultern, auf ihn und einen breit grinsenden Leroy stützend hinkte ich auf die Seitenbank. „Wir haben gewonnen!“, kam nun Henry an und schien nicht im Geringsten, genau wie Leroy, besorgt wegen meinem Sturzflugs, „Ich hab keinen Fehler gemacht bei der Übergabe und du hast mit deiner üblichen Portion Drama den Sieg geholt!“ „Fick dich!“, war mein Kommentar dazu, obwohl ich mich auch über den Sieg freute.
Leider hatte Henry recht, irgendwie hatte ich in letzter Zeit auch kein Glück. Während nun über mein Knie beratschlagt wurde kamen natürlich Mom und Dad angetrabt, sowie mein besorgter Haufen Freunde, sie hatten es momentan nicht leicht mit mir. Verwirrt stellte ich fest, dass Vins nicht dabei war.
Mom scheuchte natürlich die beiden Trainer, die sich die Stirnglatzen kratzten, sofort zur Seite und besah sich mein Bein. Leider zuckte ich genau dann zusammen, als sie die Stabilität testete und an ihrem Blick erkannte ich, was folgen würde.
„Damit werden wir ins Krankenhaus müssen!“ „Oh bitte nicht!“, sagte ich gereizt und riss die Hände hoch. „Ich bin nicht sicher, was das ist und wir müssen das checken lassen! Im besten Fall ist es wirklich nur überstreckt, aber wenn da irgendwo Risse sind…“, Mom redete weiter mit dem Coach und Alex meinte nun noch einmal zu mir, dass es ihm leidtat, wieder wank ich ab.
„Du wärst mir echt weggelaufen!“, sagte er, „Du hast mehr als verdient gewonnen!“ „Ja, er ist zu gut für dich!“, kam es plötzlich hinter mir, Vins stand anscheinend schon die ganze Zeit da, sein Blick war wütend auf den anderen Läufer gerichtet, der versuchte meinen bösen Schatten einzuordnen.
Ich wollte ihn nicht ansehen, ich schämte mich irgendwie. Sein beschützender Ton war mir tatsächlich mal unangenehm. Selbst ein dummes Rennen konnte ich nicht hinter mich bringen, ohne mich halb umzubringen.
Ich hatte, was eigentlich schon peinlich genug war, gehofft heute endlich mit Coolness punkten zu können.
„Ey, du machst Sachen!“, meinte nun Kim und kniete sich neben mich. „Irgendwie sah es cool aus!“, wiegelte Leonie ab. „Nur ein bisschen, armselig.“, war Ruth Kommentar.
„Er ist wie Sophokles größter tragischer Held!“, kam es von Nathalie, doch ich sah in ihren blauen Augen, dass sie doch etwas erleichtert war, dass mir nichts Ernstes fehlte. „Ich weiß, dass das König Ödipus war und das du mich damit beleidigst, aber sie ist auch deine Mutter, also sei vorsichtig!“ Sie lächelt jetzt ehrlicher und meinte dann zu Dad, „Gibst du mir bitte den Autoschlüssel?“ Automatisch reichte er ihr den Schlüssel, fragt dann jedoch im Nachgang, „Wofür brauchst du denn?“ „Nathalie fährt das Auto so nah wie möglich ran, das Oscar nicht soweit laufen muss!“, sagte jedoch Mom jetzt und meine Schwester war längst unterwegs zum Auto.
„Vielleicht können dich die beiden auch tragen?“, sah Kim zu Alex und ihrem Freund. „Jetzt werde nicht albern!“, alleine der Gedanke, dass Vins mich trug ließ mich innerlich zerfließen. Noch peinlicher konnte ich nicht werden!
„Ich würde dich auch alleine schaffen!“, meinte nun Alex ganz hilfsbereit. „Du schaffst es kaum ‘nen Stock festzuhalten, vielleicht trägst du ihn besser nicht!“, war Vins Kommentar dazu und ich sah verwirrt zu ihm, bevor ich entschuldigend zu Alex die Hand hob, der empört aussah. „Am besten ihr beide bringt ihn schon mal zum Wagen!“, meinte Mom nun zu Kim und Vins. „Schreib uns was los ist!“, verabschiedeten sich Bob, Leonie und Ruth von mir.
Ich versuchte mich derzeit alleine aufzustellen, taumelte jedoch leicht nur auf einem Bein. Alex streckte die Hand nach mir aus, und ich wollte auch schon haltsuchend nach ihr greifen, als Vins hinter mir mich festhielt und die Arme entschieden um mich legte. Warm presste sich sein Körper an meinen. Kurz musste ich an die Mittagspause vom Donnerstag denken, wo er hinter mir gesetzten hatte, genau so eng an mich gedrängt.
„Geht schon, geht schon!“, sagte ich schnell und versuchte seinem Klammergriff zu entkommen, in meinen Laufshorts konnte man nichts verstecken, wenn in ein sehr mitteilungsbedürftiges Organ zu viel Blut floss. Mit einem letzten Blick zu Vins und einem letzten „Sorry“ zu mir ging Alex schließlich mit seinen Teamkollegen von dannen.
Vins stützte mich und so hinkend liefen wir von der Bahn. Als wir an der Turnhalle ankamen, meinte Kim, dass sie schnell meine Sachen holen würde. „Wir gehen schon mal weiter, ich brauch ‘ne Weile!“, rief ich ihr hinter her, sie zeigte den Daumen nach oben. „Wenn‘s nicht mehr geht, musst du es sagen…“, wand Vins ein. Sein linker Arm war um meine Hüfte geschlungen, mit der rechten Hand hielt er den Arm fest, den ich ihm um die Schulter gelegt hatte. „Geht schon!“, presste ich zwischen den Zähnen hervor.
Es forderte meine ganze Konzentration, nicht wehleidig zu stöhnen wegen den Schmerzen, mir seine Nähe auszublenden und auch noch vernünftig weiter zu laufen. „Du bist ganz schön stur…“, lächelte er milde. „Sagt der Richtige!“, murrte ich und sein schmales Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, wenn es ging wurde ich noch roter im Gesicht.
„Oscar!“, kam es plötzlich hinter mir und noch immer im Sporttrikot kam Alex aus der Turnhalle. Er reichte mir einen kleinen Zettel, seine Handynummer stand darauf. „Vielleicht kannst du ja schreiben, was beim Arzt rauskommt!“, entschieden sah er nur mich an und ging dann wieder rein.
„Du willst ihm doch nicht wirklich schreiben, oder?“, fragte Vins und sah aus, als würde er mir den Zettel am liebsten wegnehmen. „Klar schrieb ich ihm, er hat ein schlechtes Gewissen, aber es wird ja auch nichts sein…“, gerade als ich das gesagt hatte, stolperte ich leicht gegen einen Stein und musst sehr darum kämpfen nicht in Tränen auszubrechen.
„Es ist nichts, hm?“, meinte nun Vins und nahm plötzlich den Arm von meiner Hüfte bevor er mich plötzlich im Brautstil hochhob. „Was machst du denn?“, protestierte ich ein paar Oktaven zu hoch und wusste, dass jegliches Blut, das ich besaß in meinen Kopf gerauscht war.
„Dich zu deinem Auto tragen!“, war seine schlichte Erwiderung. „Das…das nicht nötig!“, versuchte ich ihn tatsächlich eher kläglich zu überzeugen mich runterzulassen, „Das geht schon mit dem laufen!“ „Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also halt die Klappe!“, sagte er entschieden und lächelte auf mich herab. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
„Ich kann laufen!“, nuschelte ich. „Spinnenbein, auch ein Held braucht einmal Hilfe!“ Ich buffte ihn leicht, doch ließ ihn mich schließlich bis zum Auto bringen. Nathalie hatte bereits hinten die Tür geöffnet und Vins setzte mich Vorsichtig ab.
„Sehr innig ich zwei“, meinte sie, wofür ich ihr einen garstigen Blick zu warf. Keine Minute später kam Kim mit meinen Klamotten. „Henry scheint ein Steher zu sein…“, gluckste sie und ich konnte mir vorstellen wie sie meine armen Teamkollegen fürs Leben gezeichnet hatte, als sie ohne anzuklopfen in die Umkleide gegangen war.
Mit etwas Hilfe hievte ich mich nun auf den Rücksitz und verabschiedete mich von Kim und Vins, denen ich versprechen musste zu schreiben, was abging.
Nathalie stieg nun neben mir ein und ich durfte mein Bein ausgestreckt über ihren Schoss legen, an sich war sie schon sowas wie eine große Schwester, wenn auch gruseliger als die meisten. Wahrscheinlich definierte man das auf ihrem Heimatplanten einfach anders.
„Du und Vins seid noch nicht lange befreundet, oder?“, fragte sie mich plötzlich und sah genau wie ich den beiden nach. „Nein, Kim und er sind ja auch noch nicht lange zusammen.“ Unentschlossen sah sie mich an, ein sehr untypisches Verhalten.
„Weißt du, warum ich Politik und Jura studiere?“, fragte sie und ich zuckte mit den Schultern, eigenwilliger Themenwechsel, „Weil es der einfachste erste Schritt zu Weltherrschaft ist?“, fragte ich nun zurück. Weil sie ein riesengroßer Klugscheißer war, wäre bestimmt auch eine adäquate Antwort gewesen.
„Ich erkenne was Menschen wollen, schon immer!“, ihre Stimme hatte eine merkwürdigen klang, und das Blut schoss mir erneut in die Wangen. „Tatsächlich…“, stotterte ich. „Es ist bei den meisten auch recht leicht zu erkennen, wenn man weiß, auf was man achten muss. Nur im Gegenteil zu vielen anderen, kann ich das zu meinem oder ihrem Vorteil benutzen…“ „Ja, das hab ich auch schon bemerkt!“, ich hatte keine Ahnung auf was Nathalie mit dem ganzen hinaus wollte.
„Es ist schon ein bisschen komisch, dass ich Vins seiner wirklich hübschen Freundin Kim Komplexe wegen einem nicht vorhandenem Überbiss und noch weniger vorhandenen Fetteinlagerung einreden kann, und er nicht reagiert. Aber wenn du dein Gesicht zum Stoppen deines Wettkamplaufes benutzt und ist er schneller von der Tribüne runter und neben dir als irgendein anderer von uns reagieren konnte…“ „Wie… Wie meinst du das?“, meine Stimme zitterte. „So wie ich es sage: Ich weiß, was und wann Leute etwas wirklich wollen!“
‘And you and me
We're gonna be
The best they've ever seen
Your sweet disaster
And when all is said and done
(You'll find us singing)
La Da Da Da Da Da Da
And when all is said and done
You'll find us in love‘ ~ World War Me, „Mr. Misery“ (2017)
Nathalies Worte hingen mir nach, doch ich konnte nichts mehr dazu sagen, den Mom und Dad stiegen jetzt ins Auto. Wir fuhren zu dem Krankenhaus, in dem Mom arbeitete und Dad meinte die ganze Fahrt über, dass er stolz auf mich wäre und dass das eine geniale Aktion war und dass das genau das Verhalten ist, mit denen man Scouts für die Unis beeindruckte.
„Irgendwann ist auch mal gut, Schatz!“, meinte Mom nach einer Weile, weil ich den Kopf gegen die Fensterscheibe presste und versuchte alles, meine Familie vor allem, zu ignorieren. Was nicht nur an Dad lag, oder das mein Knie Scheiße weh tat, oder Nathalie die ganze Zeit so einen bestimmten Blick hatte, na gut, es lag an Nathalie und ihrem bestimmten Blick und ihren Mist, den sie davor gesagt hatte. Mein Kopf raste wegen der Sache mit Vins und dem, was Nathalie gesehen haben wollte oder eben nicht gesehen haben wollte zwischen ihm und Kim. Kurz überlegte ich, ob Nathalie mich damit nur ärgern hatte wollen, vielleicht war ich eins ihrer psychologischen Experimente oder so. Zuzutrauen war es ihr…
Tatsächlich war ich mir ziemlich sicher, dass Nathalie wusste, dass ich schwul bin. Ich hatte es ihr nie gesagt, Gott bewahre, und sie hatte es auch nie erwähnt oder gar gefragt, doch sie wusste es. Sie konnte wirklich besser beobachten als jeder andere Mensch, den ich kannte und manchmal war ich einfach zu offensichtlich. In der Phase, in der ich in Miguel verschossen war, hatte sie noch zu Hause gewohnt.
Aber warum sollte Vins so sein, wie sie gesagt hatte? Weil er vielleicht doch, auf mich stand, wäre eine Möglichkeit, wenn auch sehr zweifelhaft. Warum sollte sie sich das aber auch Ausdenken? Weil sie manipulativ ist, war die Antwort auf diese Frage, was sehr viel wahrscheinlicher war.
Ich versuchte selbst, Vins Verhalten objektiv zu betrachten, was nicht wirklich funktionierte. Wenn man mein Verhalten aufmerksam beobachtete, kam man eindeutig zu dem Schluss, dass ich verliebt war und da alle immer die Heteroversion als erstes annahmen, war ich in deren Augen in Kim verschossen. Natürlich wurde meine Freundschaft mit Vins irgendwie verwirrt beäugt, aber keiner käme dadurch zu dem Schluss, dass ich eigentlich in ihn verschossen war. Hoffte ich zumindest!
Aber Vins… Er und Kim stritten sich viel weniger, seitdem wir befreundet waren. Das war ein Fakt! Und wir machten jetzt Sachen in der Gruppe, also nicht nur ich und er und Kim, sondern wir alle zusammen.
Wahrscheinlich lag es daran, dass er jetzt so entspannt war. Er war nicht mehr außen vor bei Kims Freunden und ich stellte keine Bedrohung mehr da. Aber hatte er mich wirklich je als Rivalen gesehen? Wahrscheinlich… Doch der Zug war jetzt mehr als abgefahren, nach meinen ganzen peinlich überemotinalen und verweichlichten Aktionen, würde ich mich auch nicht als Konkurrenz sehen. Er hatte mich wie eine Jungfer in Nöten zum Auto getragen, er sah seine Männlichkeit definitiv nicht durch mich bedroht.
Und was war jetzt mit seinem anderen Verhalten? Er hatte mich wie eine Jungfer in Nöten getragen, was irgendwie nicht so unter der Kumpelkategorie lag. Hätte Bob mich so getragen oder ich Bob, wenn es notwendig gewesen wäre? Nein, definitiv nicht. Naja, vielleicht. Klar hätte ich ihn nicht alleine stehen lassen, aber das war etwas zu viel des Guten gewesen. Irgendwie. Aber irgendwie auch nicht. Es war schön, irgendwie. Gott, ich war gerade sehr schwul! Entschieden rieb ich mir übers Gesicht.
Zurück zum Wesentlichen. Vins war im Allgemeinen schon ziemlich beschützend. Oder war es einfach, weil er sonst keine richtigen Freunde hatte?
Kurz schwangen meine Gedanken zu Sam und den anderen mit denen er erst abgehangen hatte. Waren das seine Freunde? Was war mit Freunden von Schulen davor, gab es jemanden?
Kim hatte nie was gesagt, oder angedeutet, dass sie sich mal mit seinen Freunden treffen würden. Und Vins hatte erst recht nichts gesagt, aber das hieß wiederum nicht viel, weil der Bengel nur sprach, wenn er Blödsinn verzapfen konnte.
Ich seufzte. An dem Tag, als Sam und die anderen den Unfall hatten, war Vins auch den ganzen Vormittag nicht in der Schule gewesen. Mein Innerstes verkrampft unwillkürlich. Hatten sie etwas zusammen gemacht? Hatten sie zusammen rumgehangen? Warum war er dann nicht mit im Auto gewesen? Ein kalter Schauder lief mir den Rücken lang runter, der Gedanke Vins wäre mit bei dem Unfall… Nein! Einfach Nein!
Ich konzentrierte mich lieber wieder auf Vins und dessen rätselhaftes Verhalten, das ich einfach nicht deuten konnte. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, schrieben oft, häufig legte er den Arm um mich oder zerwühlte meine Haare. Kim machte das bei mir jedoch auch ständig, und sie war eindeutig nicht in mich verliebt, also vielleicht dachte er, so ging man mit mir um… Wie einen Hund, denn man streichelte, wenn er da war.
Nathalie legte den Kopf fragend schräg, als ich sie unschlüssig ansah, doch ich sagte nichts und starrte lieber weiter frustriert aus dem Fenster.
Im Krankenhaus angekommen, ging alles ein bisschen schneller als für normale Patienten, weil Mom natürlich alle kannten und liebten. Die müssten ja auch nicht mit ihr zusammenwohnen. Viel Ärzte forderten für große OPs Mom an, sie würde Glück bringen, was Dad sofort unterschrieb, der Trottel.
Ich musste schließlich erst einmal ins MRT und zum Röntgen und lag dann ohne Hose in einem Untersuchungszimmer. Dad spielte sich an den Rollos eins zurecht, während Nathalie irgendwelche Informationsblätter las und mit einem Kugelschreiber schwach formulierte Sätze markierte und Verbesserungsvorschläge vermerkte. Mom stand die ganze Zeit draußen am Empfangsbereich und lästerte mit den diensthabenden Schwestern.
Schließlich wurde mein Bein vom Oberarzt persönlich aus der entsprechenden Abteilung begutachtet und es gab Entwarnung. Das Knie war tatsächlich nur überdehnt und mit viel kühlen, einer Handvoll Schmerztabletten und vor allem Ruhe würde das schon wieder werden. Ich sollte die nächsten beiden Wochen jedoch definitiv aufs Training verzichten, diese Anweisung würde ich, wenn es hochkam eine Woche durchhalten. Das wusste auch Mom, auch wenn es ihr nicht gefiel.
Der Arzt verabschiedete sich von Mom und Dad, zwinkerte Nathalie viel zu auffällig zu und nannte mich dann Tiger, bevor er ging.
Als ich wieder ins Auto gehinkt war, schrieb ich meinen Freunden, dass es mir gut ging und nichts durch- oder angerissen war. Und schließlich zog ich den kleinen Zettel hervor und schrieb auch Alex, oder wie er auch immer heiße mochte, vom gegnerischen Team.
Es vibrierte ein paar Mal und alle schienen erleichtert und, es wurde mir angeraten, dem nächst auf so was zu verzichten, langsam übertrieb ich. Ich stimmte ihnen dazu.
Schließlich antwortete mir auch Alex. „Das freut mich zuhören! Dein Sturz sah echt böse aus!“ Gerade als ich eine Antwort zu tippen begonnen hatte, ob sie noch auf dem Heimweg oder schon wieder bei sich wären, kam noch ein Text von ihm: „Ich hoffe, du hast wegen mir auch keinen Streit mit deinem Freund, ich wollte nur behilflich sein!“ „Freund?“, war das Einzige, das ich zurückschrieb. Meinte er etwa Vins?
„Ja, der Schwarzhaarige mit der Sonnbrille, ihr seid doch zusammen oder?“
Völlig perplex sah ich auf die Nachricht, Panik, Scham und ein kleiner Funken Wunschdenken explodierten in mir und sprang in jede Ecke meines Seins. Das konnte doch jetzt nicht sein ernst sein?!
„Wie gesagt, ich wollte ihn nicht eifersüchtig machen oder so, ich wollte dir nur helfen!“ „Wie kommst du darauf, dass wir ein Paar sind?“ „Seid ihr das etwa nicht? Und ist voll okay, musst dir da jetzt keine Platte machen. Der Bruder meiner Mutter ist auch schwul. Ich habe zwei echt coole Onkel dadurch.“ „Wir sind kein Paar! Echt nicht! Er ist der Freund meiner besten Freundin, die mit den Shorts!“ Eine Weile kam nichts zurück.
Wie konnte er denken, dass ich und Vins, na ja, dass da was war? Hatte ich ihn so offensichtlich angehimmelt, oder… Und was meinte er damit, dass er Vins nicht eifersüchtig machen wollte?
Es vibrierte in meiner Hand, ich erwartete die nächste Nachricht von Alex, doch sie kam von Vins: „Heißt das, ich muss dich durch die Schule tragen oder nicht?“ Ich wusste selber, dass ich dümmlich grinste, als ich eine Antwort tippte, was Nathalie mit einem entschiedenen Blick kommentierte, den ich jedoch versucht erhaben ignorierte.
Gerade als ich die Antwort fertig hatte, dass er gerne zehn Schritte hinter mir herlaufen dürfte und meine Tasche tragen könnte, kam die Antwort von Alex. „Oh, sorry und komisch. Ich und das Team hätten schwören können, dass ihr zusammen seid.“
„Ich kann verstehen, dass dieser Alex das denkt!“, kam es von Nathalie plötzlich, die auf mein Handy schielte. „Liest du meine Nachrichten mit!“ „Wenn du dein Handy so hältst, das ich mitlesen kann, bist du selber schuld!“ „Ich fass es nicht! Bist du den nicht immer die erste, die wegen Datenschutz und Privatsphäre rum heult!?“ „Ich bin nicht die NSA, sondern eine besorgte Schwester! Selbst ich sehe in Gefahrensituation die Notwendigkeit einer kontrollierten Überwachung!“ „Schwachsinn! Welche Gefahrensituation ist den bitte hier im Auto!“ „Du bist ein Teenager, das alleine reicht und du bist recht begrenzt in deinen mentalen Stärken, das kommt noch hinzu!“ „Oh mein Gott! Du bist so ein Scheiß Psycho-Freak und nur zwei Jahre älter, was soll also der Mist!“ „Oscar, kein Gefluche!“, tadelte mich nun Mom, „Und Nathalie, respektiere die Privatsphäre deines Bruders und beleidige ihn nicht mit schlaueren Wörtern, ich krieg das trotzdem mit!“ „Es ist so wunderschön, wenn beide Kinder wieder zu Hause sind!“, meinte Dad glücklich hinter dem Lenkrad, während Nathalie und ich uns weiter stritten.
Die nächste Woche verging wie im Flug. Nur ich konnte einfach nicht Nathalies und Alex Worte vergessen. Erst später wurde mir klar, dass ich gegenüber Alex nur verneint hatte mit Vins zusammen zu sein, aber nicht, dass ich nicht schwul sein könnte.
Doch das schien ihn nicht weiter zu interessieren, oder war es das, was ihn an mir interessierte? Wir schreiben ab und an die Woche, besser gesagt, er schrieb mich an. Er war ein ulkiger Typ, wirklich witzig. Ich verlor sogar etwas scheu und einmal schrieben wir über eine Liste von Promis, die man flachlegen würde, wenn man könnte und er konnte meine Wahl von Orlando Bloom nachvollziehen. Die ganze Zeit fragte ich mich, ob er vielleicht auch schwul wäre…
Ich wusste auch nicht wirklich, was ich mit der Info anfangen sollte, wenn er es wäre. Besonders, da ich eigentlich auf Vins stand.
Alex, ja er heiß wirklich so, war heiß keine Frage und Vins war schließlich mit meiner besten Freundin zusammen und definitiv schwierig, aber Alex, war nun mal nicht Vins.
Nathalies permanent wissender Blick, wenn mein Handy bimmelte und Vins oder Alex mir geschrieben hatte, nervte mich extrem, aber es gefiel mir verflucht, mal das Gefühl zu haben, irgendwie mit Menschen privat zu interagieren, die man heiß fand. Auch wenn ich zu dumm fürs wirklich flirten war und auch zu viel Schiss hatte, das einer von beiden checken würde, dass ich tatsächlich flirten würde.
Eigentlich war diese ganze Überlegung aber auch völlig überflüssig. Vins war definitiv nicht schwul und bei Alex hatte ich nur Vermutungen, schließlich war man nicht gleich selbst schwul, nur weil es der Onkel war.
Wahrscheinlich setzte mein Teenie- Hirn nur irgendwelche Endorphine frei, wegen zu viel Körperkontakt mit dem Menschen, in den ich verliebt war und weil ein eindeutig sehr männlicher und hübscher Typ von einer anderen Schule nicht „Igitt!“, gerufen hatte, als er erfahren hatte, dass ich Penisse mag.
„Mit wem schreibst du eigentlich die ganze Zeit?“, fragte mich am Freitag Kim gerade, als Alex mir ein Bild seiner neuen Laufschuhe geschickt hatte, sie versuchte auf mein Handy zu gucken, doch ich zog es von ihr Weg. „Sei nicht so neugierig… Ey!“ Bevor ich mich wehren konnte, hatte mir Vins grinsend das Telefon abgenommen und sah auf den Bildschirm. Sein Grinsen verfolg so schnell, wie es gekommen war. „Alex?“, er sprach den Namen so aus, wie ich Arschloch sagen würde, wahrscheinlich war das für ihn gerade ein Synonym.
„Alex? Wer ist Alex, kenn ich sie… oder?“, Kim sah verwirrt von mir zu Vins. „Warte!“, Leonie spitze die Ohren, „Hieß so nicht der süße Typ vom Wochenende?“ „Ja, genau der!“, und ich nahm Vins mein Telefon wieder weg, „Und wir schreiben ein bisschen seit Samstag…“ „Warum?“, fragte Vins, bildete ich mir das nur ein oder wirkte er pissig?
„Du hast seine Nummer? Warum sagst du nichts?“ „Er hat nach dem Lauf mir seine Nummer gegeben, damit ich ihm wegen meinem Knie Bescheid geben kann… Und warum sollte ich das erzählen? Es ist ja jetzt nichts Besonderes!“ „Was schreibt ihr so? Hat er wegen mir gefragt? Uh, kommt er zu deinem Geburtstag? Hast du ihn nach mir gefragt? Frag ihn nach mir, aber beschreib mich neutral, dass er dann sagen kann, dass ich süß bin!“, Leonie krabbelte halb über den Tisch und in mein Handy so aufgeregt war sie.
„Nein, ich hab dich nicht erwähnt und er kommt auch nicht zu meinem Geburtstag! Warum sollte er auch? Er hat mir gerade ein Bild zu seinen neuen Laufschuhen geschickt, mehr ist das nicht… Und was, wenn er denkt, ich beschreibe dann Ruth? Oder weiß nicht, wer von euch beiden wer ist, wegen Zwillinge?“ „Du bist ein grausamer, grausamer Mensch! Wie deine Schwester!“, tragisch sackte Leonie wieder auf ihren Platz, ich schnaubte entschieden. Kim gluckste in ihren Salat. Sie hielt seit Samstag unnötigerweise Diät.
„Warum schickt er dir ein Bild von seinen Schuhen?“, fragte Vins, er ließ Kims Hand los und verschränkte die Arme. Er wirkte damit so trotzig, wie ein kleines Kind. „Weil er meine Meinung wissen wollte…“, die Antwort war doch sehr offensichtlich. „Neue Laufschuhe helfen ihm auch nicht mehr!“, knurrte Vins darauf und ich verdrehte die Augen. „Er ist ein ziemlich guter Läufer, nur sein Vorläufer hat den Stab unsauber übergeben!“ „Ich weiß irgendwie gerade gar nicht, wenn ihr meint…“, kam es nun von Ruth und Leonie sah ihre Schwester an, als würde sie Schweine Pupsen.
„Wie kannst du so ‘nen heißen Typen übersehen?“ Ruth zuckte mit den Schultern, doch ich glaubte, dass sie kurz rüber zu Bob sah. Hatte ich was verpasst?
Vins lachte neben mir gehässig. „Also kannst du ihm jetzt wegen mir schreiben?“, wand sie Leonie wieder an mich und ich verdrehte die Augen. „Ja, von mir aus…“ „Danke, danke, danke, danke, danke! Damit hast du dir sein Geburtstagsgeschenk auch verdient morgen!“ „Ja, ja…“, unschlüssig was ich schreiben sollte, tippte ich eine Nachricht an Alex.
„Hey, mal was anderes, erinnerst du dich vielleicht an meine eine Freundin, die bei mir stand am Samstag? Geflochtene Haare und rote Bluse?“ Alex Antwort kam schneller als gedacht. „Du meinst die niedlich Schwarze?“ „Ja genau!“, meinte ich und versuchte, nicht ein enttäuschtes Gefühl in mir aufschwappen zu lassen. Er mochte also doch Frauen.
„Sie findet dich heiß, ums mal direkt zusagen. Wärst du interessiert?“, ich war noch nie sonderlich taktvoll bei solchen Sachen. „Sehr subtil!“, kam es belustigt zurück. „Sie sieht gut aus, ja, aber momentan bin ich aus eindeutigen Gründen nicht an neuen Kontakten interessiert!“ Ich war aber auch ein Trottel, natürlich hatte ein Typ wie Alex eine Freundin!
„Er ist vergeben!“, sagte ich zu Leonie, die enttäuscht die Schultern hängen ließ, „Aber er findet dich auf jeden Fall süß!“, versuchte ich die Enttäuschung, zu dämpfen.
„Hätte ich mir ja denken können, dass du schon vergeben bist!“, schrieb ich nun zurück. „Das hab ich nicht gesagt, nur ich versuche gerade mit wem anders an zu bandeln, und zweigleisig bin ich nicht der Typ für.“ „Achso, löbliche Einstellung!“, meinte ich mit einem zwinkernden Smiley. „Ja, auch wenn ich nicht sonderlich weiß, ob meine Versuche fruchten…“ Ich runzelte die Stirn, ich konnte mir nur schwerlich vorstellen, dass er Probleme dabei haben könnte zu flirten, geschweige den seinen Schwarm zu überzeugen.
Kim und Nathalie hatten sich ja fast nass gemacht, nun gut… Ruth nicht. War er in eine Art Ruth verschossen?
„Du bist ein Hauptgewinn! Heiß und intelligent! Spiel deinen Charme aus, und dann wird das!“, entschieden machte ich ihm Mut. Er antwortete nicht gleich, sodass wir aufaßen und Vins meinte, er würde noch Eine rauchen gehen. Spontan, na ja, ziemlich berechnend, entschied ich, mit zu gehen.
Wir blödelten im Gang rum, Vins schubbte mich leicht, was mich fast zum Hinfallen brachte, weil mein Knie, das etwas unerwartet traf. Schnell hielt er mich fest und wir mussten beide lachen. Mit seinem Arm um meine Schultern liefen wir ein Stück über den Schulhof und in einer geschützten Ecke, zog er jetzt seine Kippen hervor.
Mein Handy vibrierte: „Ich glaube, das zieht einfach nicht, ich hab wirklich alles versucht!“ „Dann sei direkt! Geh auf Angriff, und wenn es dann nicht ist, weißt du wenigstens, woran du bist!“ Eigentlich tragisch was für Ratschläge ich anderen gab, obwohl ich mich selber nie dranhalten würde. Vins lächelte sein schmales Lächeln und ich zog den Rauch seiner Zigarette etwas zu genießerisch ein.
Erneut vibrierte es in meiner Hand. „Ich denke, ich werde es versuchen!“, hieß es jetzt von Alex. Bevor ich meine Nachricht zu Ende tippen konnte, in der ich ihm erneut Mut machen wollte, kam von ihm: „Ich steh auf dich, Oscar!“
„Oh!“, sagte ich laut und sah völlig entsetzt auf mein Handy. „Alles okay?“, Vins grünen Augen brannten sich mal wieder in meine. Leer sah ich zurück, sah wieder auf mein Handy und sah dann wieder auf den Scheiß Bengel vor mir, in den ich eigentlich verliebt war. Warum waren da plötzlich Schmetterlinge in meinem Bauch?
„Oscar?“, Vins kam einen Schritt auf mich zu, einen leicht besorgten Ausdruck auf dem Gesicht, „Alles gut?“ „Ja!“, meine Stimme brach weg also räusperte ich mich schnell, „Ja, nur Nathalie! Sie will ‘nen Protestmarsch starten!“, log ich und Vins gluckste. „Das Weib hat wirklich keine Schraube mehr fest!“, er drehte seine Kippe leicht zwischen den Fingern, das Handy in meiner Hand schien zu glühen, „Gegen was will sie den protestieren?“ „Ähm… Gegen Nichts!“ Verwirrt zog Vins nur eine Augenbraue hoch, Gott war das heiß!
Entschieden schüttelte ich den Kopf. „Also, sie will einfach sich mit ‘nem DAGEGEN- Schild irgendwo hinstellen und gucken, wie viele Menschen dazu kommen und gegen was sie sind!“ „Das…“, setzte Vins an, „Das ist irgendwie absurd und clever zu gleich!“ Er aschte auf den Boden. „Verdammt, ich glaube, ich würde mich da glatt mit hinstellen!“ Ich lachte und sah noch mal auf mein Handy, mehr hatte Alex nichts weiter geschrieben.
Wie zum Henker konnte er mir einfach so was schreiben? Das… Das ging doch nicht… Wenn ich gewusst hätte, das er mich meint, hätte ich nicht… Ich spürte, wie ich rot wurde, ich hatte wirklich nicht gecheckt, dass er mit mir flirtete!
Es klingelte und Vins warf seine Zigarette auf den Boden. Gemeinsam gingen wir wieder ins Gebäude. „Sollen wir morgen noch irgendwas mitbringen?“, fragte mich Vins in meine wirren Gedanken. „Wohin?“, fragte ich verwirrt und überhaupt nicht bei der Sache. „Zu deinem Geburtstag!“, Vins verdrehte die Augen, „Du bist heute ganzschön konfus Spinnenbein!“ Er lachte und richtete dann den Kragen meine Jacke. Gerade so bekam ich ein entzücktes Schaudern unterdrückt. „Nee. Eigentlich nicht, also…“, ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Was sollte ich Alex bloß zurückschreiben?
„Ich könnte vielleicht was Hochprozentiges mitbringen, wenn das in ‘nem Cop Haus funktioniert…“, schlug er nun vor. „Dad wird sowieso irgendwo ein paar Sixer Bier rumstehen lassen, die ruhig alle werden können!“, ich machte in paar Gänsefüße in der Luft und Vins lachte. „Okay, ich schau mal was geht! Irgendwelche Vorlieben?“ „Di… Das mir egal!“, ich hätte in meinem völlig durchgeknackten Zustand fast „dich“ geantwortet. Mein Hirn war zu nichts zu gebrauchen.
„Okay…“, er zerwühlte mir die Haare und hob dann die Hand, „Bis nachher“ Mit diesen Worten ging er zu Französisch und ich ließ mich neben Bob in Bio nieder.
Gott sei Dank, war ich in Bio mit Bob alleine. Eine überneugierige Kim oder gar Vins neben mir, wäre jetzt der absolute Horror. Mein bester Freund wusste, wann ich meine Ruhe wollte, und wollte meist seine.
Die Stunde kroch dahin und ich wusste einfach nicht, was ich Alex antworten sollte. Es war Scheiße, dass ich ihn so langen hängen ließ, aber… Verflucht, was sollte ich nur machen? Irgendein Teil in mir hatte panische Angst, dass er mich nur veraschte und dass das alles nur ein Scherz war, aber so war er nicht gewesen, so… Ich seufzte und schrieb irgendwas über das Sterben des Regenwaldes von der Tafel ab. Bob begann dazu weitere Infos zu streuen und ich nutze die Zeit um unsicher auf meinem Handy rum zu tippen.
„Sorry, ich wollte dich jetzt nicht so in der Luft hängen lassen.“, schrieb ich ehrlich, „Du hast mich nur ganzschön kalt erwischt damit.“ Es dauerte nicht lange und ich hatte eine Antwort. „Dachte ich mir.“ „Meinst du das ernst?“, konnte ich nicht anders als zu fragen. „Jap!“, kam es sehr entschieden und kurz. „Ich dachte, du stehst auf Weiber, du fandst Leonie doch süß?!“ „Ich steh auf beides!“, kam es wieder zügig als Antwort, „Ich leg mich da nicht sonderlich fest, und du bist definitiv süßer als besagte Leonie!“
Ein dümmliches Lächeln schoss mir ins Gesicht, dass ich als Bob zu mir rüber sah in ein kritisches Stirnrunzeln verwandelte, beim Regenwald verstand er keinen Spaß! Im Allgemeinen verstand er Spaß nicht so, wie alle anderen.
Schnell antwortete ich Alex. „Ich kann damit gerade nicht richtig umgehen.“, und fügte dann noch hinzu, „Das ist ehrlich gesagt, dass erste Mal, dass ein Typ was von mir wirklich will!“ „Du hattest noch keinen Freund?“ „Ich hatte ehrlich gesagt auch noch nie ‘ne Freundin!“, gab ich zu, „Alle denken ich wäre in meine beste Freundin verknallt, aber sonst…“ „Dabei stehst du auf ihren Freund!“, hatte Alex mich durchschaut, ich schluckte schwer. „Ja.“, unsicher rieb ich mir die Augen, „Sorry. Also du bist echt toll, aber ich weiß nicht wie das…“, unsicher schwebte mein Daumen über dem Sendebutton, „Ich steh wirklich auf Vins. Leider.“ „Ich dachte am Anfang nicht umsonst, dass ihr was miteinander habt!“, schrieb Alex zurück. „Wir sind nur befreundet, er ist etwas anstrengend und eigenwillig, mehr ist da nicht. Er und Kim sind glücklich zusammen.“, es tat weh, das zu schreiben.
„Also hängst du wem nach, den du nicht kriegen kannst?“, Alex streute gekonnt Salz in die Wunde. „Gut zusammengefasst, Captain Offensichtlich!“ „Sorry!“, kam es mit ziemlich vielen Smileys zurück, „Aber wenn du dir sowieso sicher bist, dass das nichts mir Vins wird, dann könnte ich ja trotzdem mein Glück versuchen?“ „Wie meinst du das?“, unsicher bis ich mir auf die Unterlippe. „Wir schreiben seit ‘ner Woche. Ich finde dich verflucht süß und faszinierend. Du mich, warte ich zitiere: Heiß und intelligent! Also, warum schreiben wir nicht einfach noch ein bisschen und wenn du Lust hast, treffen wir uns mal. Ich lad dich ein!“ „Überredest du mich gerade zu ‘nem Date?“, schriebe ich zurück und hoffte, dass Bob neben mir nicht mein absolut dummes, rotes Gesicht bemerkte. „Gute zusammengefasst, Captain Offensichtlich!“, bekam ich die Retourkutsche.
Mein dummes Gesicht bekam jetzt ein sehr dummes Grinsen. „Okay“, ich zitterte fast beim Zurückschreiben. Unweigerlich dachte ich an Vins, aber er war mit Kim zusammen und ich konnte nicht ewig auf den Freund meiner besten Freundin stehen. Vielleicht könnten wir so wirklich nur Freunde sein.
„Schon klar!“, war meine Antwort, „Werd nicht frech, nur weil ich dich heiß finde, für Orlando Bloom würde ich dich allemal eintauschen!“ „So was hab ich geahnt! Und nächste Woche Freitag? Ich hab da nur ‘nen kurzen Tag in der Schule, wir könnten uns dann nachmittags treffen. Bis ich mit dem Auto bei dir bin, hast du auch Schulschluss.“ „Klingt gut, die Einzelheiten können wir dann ja so noch besprechen!“, ich konnte es kaum glauben, dass ich gerade mein erstes Date klar machte. Und vor allem, dass er extra die zwei Stunden mit dem Auto von sich hierherfuhr, damit wir uns treffen können. „Ich bin für alle Vorschläge offen!“
Wir schrieben noch so ein bisschen hin und her, schließlich war Bio endlich zu Ende. Mit viel zu guter Laune und irgendwie einem komischen Gefühl im Magen gingen Bob und ich zu unseren Schließfächern.
Ich summte unbestimmt vor mir her und plötzlich trat mir irgendwer in den Hintern. „Ey“, drehte ich mich um und sah Vins, wenn auch sonst, der irgendwie genauso gut gelaunt schien, wie ich. „Was machst du nächsten Freitag?“, fragte er und lehnte sich viel zu gutaussehend neben mein Schließfach.
Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein, doch er roch heute noch besser als sonst, mehr nach sich als nach Rauch.
„Ähm…“, kurz herrschte Panik in meinem Kopf, hatte er es rausgekriegt mit meinem Date, „Nichts! Nichts Besonderes!“ „Sehr gut!“, meinte Vins und grinste, als hätte er den Friedensnobelpreis gewonnen, „Dann haben wir beiden ein Date!“ „Was?“, meine Stimme Schoss drei Oktaven höher, „Ich meine, was?“ „Besser gesagt ein Geburtstagsdate, du kriegst von mir da dein Geburtstagsgeschenk! Also nichts anderes vornehmen!“ „Echt?“, mein Magen flatterte und eine prickelnde Hitze schoss in mir hoch, „Warum sagst du mir das heute schon, ich hab doch erst morgen Geburtstag!“ „Ich sag dir ja nur, dass du es da kriegst, nicht was wir da machen!“, er kam ein Stück näher und ich schluckte merklich, „Ich will nicht das jemand meine Pläne durchkreuzt und dir mich wegschnappt!“ Bildete ich mir das ein, oder war das verflucht doppeldeutig?
„Oh!“, mein Handy in der Hosentasche vibrierte fast prophetisch, „Okay, dann bin ich gespannt, was das wird! Verkaufst du mich an Menschenhändler?“ „Fast! Das war die Idee deiner Schwester!“, meinte nun Vins und zusammen mit Bob liefen wir zu Sozi. „Du hast doch nicht wirklich mit Nathalie beratschlagt, was ich geschenkt bekommen soll?“ „Wer weiß!“, tat er geheimnisvoll und Bob lachte angesichts meiner panischen Miene. Wir scherzten noch ein bisschen langhin, in Sozi zog ich mein Handy hervor und lass Alex letzte Nachricht. „Hab jetzt Training. Ich freue mich wirklich auf nächsten Freitag!“
Was zum Henker, sollte ich jetzt nur machen?
‘What was I thinking trying to put words in your mouth?
I should just leave it
And let you figure it out
It's louder in the silence
As I try, I try
To keep it together, but you're bringing the house down
I can feel it burning out
And I won't stop trying to fuel that fire in you
Feel it burning out
And I won't stop trying to keep that fire burning‘ ~ Cloves, „Bringing the House down“ (2018)
Gegen halb zehn am Samstagmorgen wurde ich durch das Klingeln des Geburtstagsweckers wach, das ganze Haus roch bereits fantastischerweise nach Blaubeerpfannkuchen. Der Geburtstagswecker war ein ramponierter alter Mickey Mouse- Wecker von Nathalie und war das Zeichen, dass das man sich ab sofort sein Geburtstagsfrühstück abholen durfte.
Am Anfang war er nur für uns Kids gewesen, dass Mom und Dad genug Zeit zum Vorbereiten hatten, bevor einer von uns runter stürmte. Als Nathalie und ich älter geworden waren, hatten wir ihn heimlich bei unseren Eltern rein geschleust um sie zu ihren Überraschungsfrühstücken an ihren Geburtstagen zu wecken.
Grinsend und gähnend zugleich stand ich auf und zog mir ein Shirt über, bevor ich in die Küche ging. Der Küchentisch war wie jedes Jahr völlig überladen, mit allem, was ich gerne frühstückte. An meinen Stuhl waren bunte Ballons gebunden, die halb über dem Tisch und halb über dem Herd schwebten.
„Alles gut zum Geburtstag, mein Baby!“, kam nun Mom angewuselt und drückte mich so fest an sich, dass es fast wehtat. „Danke Mom!“, presste ich hervor und sie küsste mich quer übers Gesicht. „Mein großer Junge ist schon 17!“, seufzte sie zwischen zwei Küssen und drückte mich noch fester. „Mom!“, versuchte ich mich, etwas hilflos zu befreien. Sie tätschelte noch ein Mal mein Gesicht und machte dann Platz für meinen Dad, der mich in eine ruppige und sehr männliche Umarmung zerrte. „Alles Gute und ich liebe dich, Hühnerbein!“ „Danke, ich dich auch…“, nuschelte ich und er lachte. Ich setzte mich nun endlich auf meinen Stuhl und begann sofort hungrig Sirup über meine geliebten Pancakes zu gießen.
„Oscar!“, kam Nathalie in die Küche, sie trug ihre Jogging Klamotten, und war wahrscheinlich laufen gewesen. „Ja, Satan?“, tat ich, als käme die Stimme aus unergründlichen Tiefen und sah mich ängstlich um. Dad gluckste in seinen Kaffeebecher und Mom zeigte leicht rügend mit ihrer Gabel auf mich, lächelte aber auch.
„Manche Menschen werden ja angeblich Weiser im Alter, es ist schön, zu wissen, dass du dich mal wieder einer Norm widersetzt!“, lächelte nun Satan und ich stand auf, dass wir uns kurz und recht merkwürdig umarmen konnten. „Ich wünsche dir Erfolg und Ehrgeiz zu deinem Ehrentag!“ „Das ist nett!“, war meine Antwort und sie nahm sich einen Kaffee und setzte sich neben Dad, der sich drei Scheiben Bacon gleichzeitig in den Mund stopfte.
„Wir haben noch einiges zu tun, bevor deine Gäste kommen!“, meinte nun Mom zwischen zwei Bissen. „Eingekauft haben wir gestern alles schon, aber du und Dad müssen draußen noch einiges in die Reihe bringen. Außerdem hast du dein Zimmer aufgeräumt?“ Diese Frage ignorierte ich, da ich mein Zimmer natürlich nicht aufgeräumt hatte. „Nathalie und ich machen dann die Salate und Beilagen!“, entschieden wand sie sich an ihre Tochter, „Und bitte keine Sprüche darüber, wie klischeehaft es ist, dass wir als Frauen uns ums Essen kümmern! Wenn du deine blöden vegetarischen und veganen Salate mit Pinienkernen willst, dürfen wir deinen Vater nicht in die Nähe der Küche lassen, sonst ist nämlich überall Bacon drin!“ „Mit Bacon ist alles besser!“, sagte der sogenannte Herr des Hauses. Entschieden hielt ich mich aus der Diskussion raus und nahm einen großen Schluck Orangensaft.
„Und Schatz, diesmal wäre es schön, wenn du nicht der bist, der am meisten Bier getrunken hat! Ich weiß, du hältst dich für einen tollen Tänzer, aber selbst ohne 20 Bier ist das oft kein schöner Anblick!“ „Ich habe dich damals mit meinen sexy Tanzmoves erst rumgekriegt!“, meinte er entschieden. „Ich dachte mir, wenn ich endlich mit ihm tanze, muss ich das Elend nicht mehr sehen!“ „Egal was es war, es hat funktioniert!“, er wackelte entschieden mit den Brauen und die beiden küssten sich. Nathalie und ich verdrehten synchron die Augen.
Schließlich frühstückten wir zu Ende und ein jeder ging seiner zugewiesenen Aufgabe nach. Dad und ich bauten den Grill auf, schmückten die Terrasse und stellten die Getränke kalt und schließlich huschte ich um drei unter die Dusche, nach dem ich alles, was in meinem Zimmer herumlag, in meine eine Kommode gestopft hatte. Die meisten Leute würden zwischen halb vier und um vier kommen, wie jedes Jahr war ich mal wieder viel zu spät dran.
Ich fragte mich, wann Vins erscheinen würde. Kim hatte ihm ja gesagt, er soll sie um halb abholen. Irgendwie glaubte ich fast nicht mehr, dass er wirklich kam, schließlich waren Kims Eltern und drei ihrer Brüder ebenfalls da. Erst gestern Nacht, als mich wieder ein Albtraum geweckt hatte, war mir der Gedanke gekommen, dass Vins so auf Kims Familie treffen würde und, was mir fast noch mehr Bauchschmerzen bereitete: Familie Vidal, also Miguels Eltern und Schwestern waren auch eingeladen. Es war fraglich, ob sie kommen würden, aber wenn doch… Wenn sie auf ihn treffen würden, wenn sie was sagen würden…
Seufzend wusch ich mir die Haare und ließ das Wasser dann eine Weile zu kalt über meinen Körper laufen. Ließ die Unsicherheiten davon spülen. Vins hatte gesagt, er würde kommen, also kam er auch. Außerdem muss ihm im Gegensatz zu mir schon viel früher bewusst gewesen sein, dass er so Kims ganze Familie kennenlernen würde.
Zehn Minuten später hinkte ich schließlich aus der Dusche, föhnte kurz meine Haare und schlüpfte in eine saubere Shorts.
Genervt zog ich verschiedene Shirts und Hemden aus meinem Schrank und warf sie wieder zurück. Für gewöhnlich war ich schnell bei solchen Sachen, aber wie immer, wenn die Chance bestand Vins zu beeindrucken, stellte ich mich dumm an.
„Nichts anzuziehen?“, kam es plötzlich hinter mir, Nathalie war natürlich bereits umgezogen. Sie trug ein enges dunkelblaues Kleid und flache, dennoch elegante Schuhe. Ihre langen Haare waren ein goldener Wasserfall. Ich hasste sie manchmal mehr als sonst.
„Nicht so richtig…“, nuschelte ich und zog erneut ein Hemd heraus und warf es wieder zurück. „Du wirst dich doch bestimmt in einem deiner durch Sklavenarbeit der Drittenwelt entstandene Leibchen wohlfühlen?“ „Kannst du nicht wo anders ekelhaft sein?“, frustriert zog ich ein Shirt raus und überlegte, welche Hose ich da sonst zu anhatte, „Und warum bist du so aufgebitched?“ Ich musterte sie noch einmal eingehend, sie trug sogar Make-up, „Willst du den armen Ian wieder quälen?“
Sie lächelte nur ihr typisches Psychopathenlächeln und kam in mein Zimmer, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Ich würde die dunkle Jeans empfehlen.“, sagte sie schließlich nach einem langen kritischen Blick auf meine Klamotten. „Die?“, ich zog besagte Jeans hervor und warf das Shirt wieder in den Schrank, wenn Mom das Chaos da drinnen sehen würde, würde sie mir den Kopf abreisen.
„Ein Hemd!“, sagte sie nun und zog mit einer Hand das blaue Hemd hervor, von dem Kim damals meinte, es hätte die gleiche Farbe wie meine neuen Laufschuhe. Sie hatte irgendeinen Karton bei sich, bastelte sie jetzt Bomben in der Freizeit?
Ich dachte an Vins, würde es ihm auffallen, dass mein Hemd die Farbe hatte, die er für mich an Schuhen ausgesucht hatte. Sehr unwahrscheinlich und sehr schwul der Gedanke, rügte ich mich selbst.
„Zieh ich dazu meine Nikes an, oder…“, unschlüssig sah ich meine Schwester an, sie war immer noch Satan, aber Satan hatte Geschmack. „Du brauchst dazu was Klassischeres!“, meinte sie nur und holte hinter ihrem Rücken jetzt den kleinen Karton hervor. Ich blinzelte verwirrt und sah dann den typischen Schriftzug plus Logo von Converse.
„Du hast doch nicht…“, ungläubig nahm ich den Karton, ich schüttelte das Päckchen leicht unsicher, „Spiel nicht mit meinem Herzen!“ Mit immer gleicher Miene sah sie zurück. „Du bist pathetisch!“
Ich öffnete den Karton und fand weiße Converse mit hohen Schafft vor. „Die kosten in der Ausführung über 80 Dollar!“, völlig verdattert sah ich sie an. Ich hatte gehofft Mom und Dad würden mir die vielleicht schenken, auch wenn Mom es fürchterlich fand, weiße Schuhe zu haben. „Du machst die sowieso gleich wieder dreckig!“, hatte sie gemeint, als ich meinen Wunsch angedeutet hatte.
„Happy Birthday!“, und damit ging sie wieder in den Flur, kurz überlegte ich ihr nach zu gehen und zu drücken, doch dann grinste ich nur breit und meinte ehrlich „Danke, Satan!“. Sie nickte und ging von dannen.
Schnell befreite ich die Schuhe von allem unnötigen Papier und Verpackungsmaterial und schlüpfte hinein. Sie passten perfekt.
Immer noch breit grinsend stellte ich mir vor meinen Wandschrankspiegel und machte ein Selfie so, dass man meine neuen Schuhe sehen konnte. Entschieden setzte ich es in meinen Status: „Ich bin offiziell bereit für diesen Geburtstag!“
Dieser Geburtstag fing definitiv richtig gut an und bestimmt würde Vins auch kommen, entschieden nickte ich mir im Spiegel zu. Bis jetzt war es jedes Mal, wenn ich dachte, es würde ne Katastrophe mit ihm werden, wundervoll geworden, also…
Glücklich lief ich nach unten in die Küche. Mom verdrehte die Augen, als sie meine Schuhe sah. „Das weiß hält keine Woche!“ Ich ignoriere sie und ging raus zu Dad, der den Grill anfeuerte und sein drittes Bier, informell wahrscheinlich das Fünfte, trank.
„Siehst gut aus!“, musterte er mein Erscheinungsbild und ich grinste, „Ich musste wegen den Tretern deine stinkenden Sportschuhe raussuchen und nachsehen, dass es auch ja die richtige Größe ist!“, gab er seine Mittäterschaft kund. „Danke!“, lachte ich und goss mir eine Cola ein. Mein Handy vibrierte.
„Du siehst gut aus!“, kam es von Alex als Begrüßung, „Für wenn spielst du in dem Outfit Geburtstagsgeschenk!“ Ich gluckste in meine Cola. „Schreib dir meine zukünftige Schwiegertochter, oder warum grinst du so doof?“, kommentierte Dad mein Gesicht und ich verdreht die Augen, wurde aber auch leicht rot, was er lachend zur Kenntnis nahm. Wenn war es ein Schwiegersohn, aber das war vielleicht heute nicht unbedingt der perfekte Anlass, um es ihm zu beichten…
„Für mich selbst.“, schriebe ich Alex nun zurück. „Was? Dein Ernst?!“ „Jup“, war meine freche Antwort. „Mensch! Sag doch mal ‘nen Ton! Happy Birthday! Jetzt muss ich mir für Freitag ein Geschenk auch noch überlegen!“ Schuldbewusst zog sich alles in mir zusammen, ich hatte ihm noch nicht abgesagt wegen Freitag- Oder wollte ich ihm absagen? Wollte ich Vins absagen? Nein, also… Es war dumm! Ich war dumm!
Alex und ich schrieben noch ein bisschen hin und her, aber es dauerte nicht lang und der erste Teil Gäste trudelte ein, bestehend aus dem sehr irischen Familienteil mütterlicherseits. Ich grinste alle breit an und bedankte mich für alle Glückwünsche.
Dad und ich reichten schließlich allen Getränke. Mein Cousin Glen war auch mit dabei, den Leonie als den Niedlichen mit den hübschen Augen betitelt hatte. Ich impfte ihn vorsichtshalber auf Leonie, nach der Pleite mit Alex hatte ich das Gefühl, ihr das zu Schulden. Er konnte sich wage an sie erinnern, und war zufälligerweise, mit seiner langjährigen Freundin auseinander. Ich war ein guter Freund und schrieb das Leonie, von der nur ein Kusssmiley zurückkam.
Es dauerte auch nicht lange, und Leonie mit Ruth und Bob im Schlepptau erschien. Alle drei umarmten mich, bei Ruth war ich recht erstaunt darüber.
Ich ruckte dann mehr als offensichtlich mit dem Kopf zu Leonie für Glen, die ganz unschuldig tat und Glen kam ganz Kavalier mit einem Glas Eistee zu ihr rüber und stellte sich vor. Vorher hatte ich ihm natürlich gesagt, dass sie den gerne trank.
Ich unterhielt mich kurz mit ihnen und ging dann den nächsten Schwall Gäste begrüßen, der aus Arbeitskollegen meiner Eltern und Nachbarn bestand. Familie Vidal war nicht zu sehen. Ich wusste nicht, ob ich das gut oder schlecht fand. Aber wie sollten sie auch meinen Geburtstag feiern, wenn ihr Sohn nie wieder einen haben würde.
Gerade als ich über den schlechten Witz von Dads Partner, Officer Lee, lachte trat mich wer in den Arsch. Irritiert drehte ich mich um, erwartete eigentlich fast Vins, jedoch fiel mir stattdessen Kim gut gelaunt um den Hals. „Happy Birthday, mein Bester!“, sagte sie und presste mir einen etwas zu feuchten Kuss auf die Wange. Ich drückte sie fest zurück.
Hinter Kim sah ich ihren großen Bruder Ian, sowie Jerome samt Frau und seinen beiden kleinen Kindern und Will. Vins sah ich nicht. Kam er doch separat?
„Alles Gute, Großer!“, meinte nun Ian. Er und Kim hatten am meisten Ähnlichkeit, Jerome und Will kamen nach ihrem Dad und waren dunkler vom Typ. Ich drückte ihn und meinte, „Danke! Nathalie ist übrigens auch da!“ Seine Augen leuchteten, der arme Trottel, „Denk immer dran, sie sieht nur schön aus, ihre Spezies benutzt das als Lockmittel!“ Ian grinste nur. „Ich weiß, dass sie einfach perfekt ist!“
Schließlich gratulierten mir auch Jerome plus Familie, Will, und Mr. und Mrs. Daniels.
„Du bist ein richtig Hübscher geworden!“, Mrs. Daniels sah aus wie Kim nur 30 Jahre älter. Sie warf ihrer Tochter jetzt einen sehr eindeutig Blick zu, die die Augen verdrehte. Ich tat ihr Kompliment ab und Mom begrüßte nun ihrer Kollegin.
Ian strafte die Brust und ging zu Nathalie, die sich mit Bob und einer anscheinend verstimmt wirkenden Ruth unterhielt. Das war jedoch schwer zu sagen, denn Ruth sah selten anders als verstimmt aus.
„Was willst du trinken?“, fragte ich meine beste Freundin nun und versuchte nicht darüber nachzudenken, wo ihr Freund gerade war. „Vins kommt später!“, meinte sie jedoch sofort, „Er hat mir vorhin geschrieben, dass er es nicht pünktlich schafft und wir uns bei dir sehen…“
Sie sah irgendwie komisch aus und ich seufzte. „Er kommt nicht, oder?“, meinte ich schließlich, meine schlechtes Gefühl von vorhin schien sich zu Bewahrheiten. Unsicherheit kroch meinen Nacken hinauf und hinterließ ein seltsames Brennen die Wirbelsäule lang runter. Sie zuckte unentschlossen mit den Schultern, sehr untypisch Kim.
Ich nickte steif und machte die Kühlbox auf. „Cola?“, fragte ich sie erneut, was sie trinken wollte und sie nickte ebenfalls nur. „Mir hat er noch gar nicht geschrieben…“, nuschelte ich nun doch und konnte einen fast beleidigten Ton nicht verbergen, unschlüssig biss Kim sich auf die Unterlippe.
Geistesabwesend reichte ich ihr die Cola. Ich wusste selbst nicht, warum ich enttäuscht war. Irgendwie war es klar gewesen, dass er sich nicht mit Kim und ihrer Familie auseinandersetzte würde. Mein Geburtstag hin oder her. Aber er war so euphorisch gewesen, und dann seine Frage, ob er Morgen was mitbringen sollte…
Warum fragte er das, wenn er doch nicht kam? Wut kroch in mir hoch, traf sich in meinem Nacken mit der Unsicherheit und verschmolz zu einem harten Klumpen in meiner Brust. In einem Zug trank ich meine Cola aus. Am liebsten hätte ich mir eins von Dads Bieren geschnappt.
Kurz überlegte ich, Vins zu schreiben, doch… Was hätte ich sagen sollen? Es war mein verdammter Geburtstag und er hatte versprochen zu kommen! Er müsste mir erst mal schreiben! Ich wusste, das war kindisch. Schließlich ploppte eine Nachricht auf. Alex. Leider. Obwohl, er wäre nicht einfach ohne eine Nachricht nicht erschienen!
Kurz schalte ich mich, er hatte schließlich Kim geschrieben. Zählte ich nur gar nicht? Was sollte ich schon zählen? Das war alles Scheiße!
Unsicher sah ich auf meinen und Vins Chat, was wenn ihm, was passiert ist? Was wenn was bei ihm zu Hause war? Wenn seinem Vater wieder die Hand ausgerutscht wäre?
Ich war schon wie alle anderen, als erstes machte ich ihn schlecht, anstatt daran zu denken, dass auch was mit ihm sein könnte. Verdammt! Ich antwortete schlicht Alex und steckte mein Handy zurück in die Hosentasche. Dieser Bengel machte mich fertig!
Er müsste mir ja nicht sagen, was los war, nur dass er es nicht pünktlich schaffte.
Schließlich begrüßte ich meine Freunde aus dem Informatikklub, die Leute aus der Staffel, aß mit meinen Freunden Hotdogs und Burger und sah dabei zu wie Ian sich wie immer völlig zum Hampelmann für meine Schwester machte. Niemand erwähnte Vins, oder merkte an, dass er fehlte. Selbst Kim schien betont gut gelaunt ohne ihren Freund. War ich der Einzige, der ihn vermisste?
Immer wieder wollte ich ihm schreiben, ihn anrufen, ließ es dann aber bleiben und stopft Nudelsalat mit Pinienkernen in mich rein, den Bob am liebsten alleine aufessen würde.
Obwohl alle gute Laune hatten und sehr ausgelassen waren und es anscheinend keinen unnötigen Streit gab, wurde meine Laune immer schlechter. Irgendwann nach um sechs fragte ich Mom, wann denn mein Geburtstagskuchen dran wäre, doch sie kanzelte mich ab. „Gerade reden doch alle so schön, du bist kein Kind mehr, wir machen das schon noch…“
Verwirrt stellte ich mich zu meinen Freunden und fragte Kim leise, ob sie noch mal was von Vins gehört hatte. „Nee, leider nicht.“, sagte sie und verzog schon wieder sehr merkwürdig das Gesicht. „Machst du dir keine Sorgen?“, ich konnte einen ungehaltenen Ton kaum noch unterdrücken. „Ach du kennst ihn doch, wer weiß, welche Laus im Mal wieder über die Leber gelaufen ist…“, und dann wand sie sich Glen und Leonie zu, die sich gegenseitig mit Hotdog Stückchen fütterten. Vor mir her schimpfend lief ich in die Küche, man konnte sich aber auch wirklich auf niemanden verlassen.
Seufzend wählte ich nun doch Vins Nummer. Es klingelte zwei Mal, dann wurde ich anscheinend weggedrückt. Knackend und rauschend ertönte die Mailbox, nach dem Piep könnte ich eine Nachricht hinterlassen.
Kurz überlegte ich, ihm zu sagen, dass er ein Wichser sei, legte dann aber einfach auf.
Wütend riss ich den Kühlschrank auf, fand nichts, was mich glücklich machte und schmiss die Tür klirrend wieder zu. Schließlich drückte ich Wahlwiederholung, diesmal ging sofort die Mailbox ran. Wollte er mich nicht sprechen?
Ich war so sauer und doch kroch ein ungutes Gefühl in mir hoch und am liebsten hätte ich mein Handy an die Wand geworfen.
Warum regte mich das so auf? Warum wunderte ich mich, dass es mich so aufregte?
Mein Handy vibrierte, wieder war es Alex. „Und vollgefressen?“
Warum konnte Vins nicht so sein, wie Alex? Warum musste Alex so aufmerksam sein? Und warum war Alex schwul oder bi und Vins nicht? Warum musste ich mich fühlen, als hätte mich mein Freund versetzt, wenn ich noch nicht mal einen hatte?
Ich sah genervt aus dem Küchenfenster, Kim redete mit meiner Mutter. Sie reichte ihr ihr Handy weiter, anscheinend brauchte irgendwer ihren Rat. Wahrscheinlich wieder eine von Kims Tanten, die ein unerklärliches Furunkel am Hintern hatte. Der Rest meiner Freunde stand zusammen mit Nathalie und Ian um die Feuerschale, sie grillten Marshmallows.
Es hatte keinen gekümmert, das Vins nicht dabei gewesen war und jetzt kümmerte es anscheinend niemanden, dass ich auch nicht da war. Ich drehte meiner Party den Rücken zu und sah auf Alex und meinen Chat. Mir war selbst klar, dass ich gerade überdramatisierte, aber ich hatte doch einfach einen schönen Tag mit Vins und meinen Freunden gewollt. Verdammt!
Am liebsten wäre ich nach oben gegangen, hätte mich in meinem Zimmer vergraben und wäre nie wieder rausgekommen. Schließlich ging polternd die Küchentür auf, schnell steckte ich mein Handy weg. „Mensch!“, Kim schnalzte missbilligend die Zunge, „Hier bist du, ich habe dich schon gesucht!“ „Du solltest lieber deinen Freund suchen!“, meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, ich benahm mich albern, aber ich war so wütend. „Bist du pissig?“, verwirrt blieb sie in der Tür stehen. „Nein!“, sagte ich eindeutig pissig und rauschte an ihr vorbei raus aus der Küche, „Warum sollte ich?“
„Hey!“, sie hielt mich an der Schulter fest und lachte belustigt auf, „Ich bin mir sicher, das wird einer deiner besten Geburtstage ever!“ „Aber natürlich!“, verdrehte ich die Augen, ich kochte regelrecht. „Vins kommt bestimmt noch irgendwann. Und wenn nicht, wir haben auch ohne ihn Spa…“ „Ich will aber ohne ihn keinen Spaß haben!“, ich schrie sie fast an, meine Hände ballten sich zu Fäusten, völlig verdattert sah sie mich an. „Was?“ „Weißt du, wo er ist? Was er macht?“ „Nein, also…“ „Sieben Leute, die alleine an unsere Schule gehen sind entweder schwer verletzt oder tot, und von den meisten wusste davor auch niemand, wo sie genau waren…“, meine Brust hob und senkte sich vor unterdrücktem Zorn, „Also… Verdammt!“ Ich war widerlich, ich ließ meinen Zorn und meine Enttäuschung über Vins an Kim aus und tat so, als wäre ich der besorgte Über- Freund schlechthin. Erbärmlich…
Ohne ein Wort zusagen, umarmte sie mich. Ich erwiderte die Umarmung nicht. „Ich verspreche dir, das wird noch dein bester Geburtstag überhaupt! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist!“ „Wenn du das sagst!“
Sie löste sich von mir und nahm mein Gesicht in ihre Hände. „Ich kann dir nicht sagen, wo Vins ist, aber ich weiß, dass es ihm gut geht!“ „Also weißt du, wo er ist, hat er sich bei dir gemeldet?“ „Hab einfach noch ein bisschen Geduld, und Spaß an deinem Geburtstag!“ Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare.
Er hatte sich also doch noch mal bei ihr gemeldet, wusste sie auch, wie es bei ihm zu Hause abging? Natürlich schrieb er ihr. Kim wäre niemals so entspannt, wenn sie nicht wüsste, wo er war… Sie liebte ihn schließlich.
Mein Herz krampfte schmerzhaft.
„Ich hab doch immer Spaß…“ Sie schnaufte nicht überzeugt. „Lass uns einfach Marshmallows essen gehen!“
Wir gingen schließlich raus zu den anderen. Bob saß ziemlich gechillt zwischen Ruth und Nathalie, er war auch der einzige Typ, der mit den beiden so entspannt sein könnte. Ian stand hinter Nathalie und versuchte irgendwie mit Teil ihrer Unterhaltung zu werden, der Arme.
Henry reichte mir Marshmallows und aus den Augenwinkeln sah ich wie Kim ziemlich hektisch eine Nachricht verfasst, ihre Stirn lag in tiefen Falten. Wahrscheinlich schrieb sie Vins jetzt mein peinliches Verhalten. Oder war es überhaupt erwähnenswert, wer weiß, mit was sich Vins gerade rumschlug.
Kurz vor um Acht gab es endlich meinen Geburtstagskuchen, obwohl ich längst keine Lust mehr hatte. Es war mir egal, dass die Torte meinen Lieblingsgeschmack, Schokolade- Erdbeere, hatte. Fast gelangweilt blies ich die 17 Kerzen aus.
Dann waren die Geschenke dran. Ich bekam von meiner Verwandtschaft wie so oft Socken, Shirts und vieles mehr, dass ich mir nicht wünschen würde, aber trotzdem jedes Jahr bekam. Etwas verwundert stellte ich fest, dass es diesmal keine Umschläge mit dem einen oder anderen Schein gab. Ich sagte jedoch nichts, ich war nun 17 und nicht mehr 12… Obwohl, müsste ich es dann nicht eher bekommen? Schließlich würde ich mein Geld jetzt nicht mehr für Lego auf den Kopfhauen.
Von den Jungs von der Staffel bekam ich ein Gruppenbild geschenkt, auf dem alle unterschrieben hatten, was mich freute, aber auch verwunderte. Sonst legten immer alle für einen Gutschein zusammen. War ich einfach ein verwöhntes, undankbares Kind, oder…? Ich bin kein materialistischer Typ, aber irgendwie… Also… Ich konnte das einfach nicht formulieren, ohne irgendwie verwöhnt zu klingen. Verdammt noch mal!
Der Informatikklub schenkte mir eine ziemlich coole Computeranimation, in der ich wie in einem Cartoon als Staffelläufer drin war, nur das der Staffelstab eine Bombe war und sie versuchte, den Leuten aus dem Klub zu übergeben, bevor ich zum Schluss wie Kojote Carl aus Roadrunner explodierte. Das Ding hatte eindeutig Lisa programmiert.
Meine Freunde hatten natürlich wieder eine riesige Collage mit Fotos von uns allen gemacht. Es zog erneut irgendwo in der Nähe meines Herzens, als ich darauf Vins sah, und von meinem letzten Geburtstag ein Bild auf dem Miguel noch drauf war.
„So…“, meinte Kim und sah auf ihr Handy, „Sie sind endlich da!“, bedeutungsschwanger sah sie meine Eltern an. Ich zog überrascht die Brauen hoch. „Wer ist da?“, ich bekam keine Antwort.
Bob, ausgerechnet er, indes zog nun einen kleinen Karton aus seinem Rucksack und ich überlegte den lahmen Bombenwitz zu bringen, der mir schon bei Nathalie auf der Zunge gelegen hatte.
Ich nahm den kleinen Karton entgegen, er war sehr leicht, und schüttelte ihn. Es klapperte kaum merklich. „Was ist das?“ Plötzlich merkte ich, wie mich alle anlächelten, sehr verdächtig anlächelten.
Mom und Dad traten vor. „Du hast wirklich sehr gute Freunde!“ „Ich bin mir gerade nicht sicher…“, ich schüttelte den Karton noch einmal, und meine Gäste lachten verhalten. „Ehrlich gesagt war es Vins Idee!“, meinte nun Kim. „Was?“, verwirrt sah ich sie an, Vins war überhaupt nicht hier. „Mach den Karton einfach auf! Und wie gesagt, bester Geburtstag überhaupt!“ Irritiert sah ich durch die Menge, alle nickten sehr verschwörerisch.
Vorsichtig und nun doch neugierig öffnete ich den Karton und sah erst nichts und fand dann in einer Ecke einen kleinen Autoschlüssel, er war schwarz und wirkte älter.
„Was…“ Es hupte vor dem Haus. Kurz fragte ich mich, ob der Ford Fiesta schon hier war, und ich stand langsam auf. Vielleicht könnte mich irgendwer mit diesem blöden Auto überfahren, dann hatte mein Elend endlich ein Ende, genau wie dieser dumme Geburtstag. Alle stürmten vors Haus und ich folgte ihnen verhalten, immer noch nicht verstehend was abging.
Als ich schließlich vors Haus kam, traute ich meinen Augen nicht. Der kleine Karton fiel mir aus der Hand und mein Unterkiefer landete irgendwo bei meinen neunen weißen Schuhen.
Grinsend und eindeutig mehr als zufrieden mit sich und der Welt stieg Vins aus meinem Impala, aber- Wie konnte das sein? War das… Mein Hirn hatte eindeutig einen Kurzschluss. Jeff schraubte sich ungelenk vom Beifahrersitz. „Endlich fährt die Zicke!“
Ich sah auf den Schlüssel in meiner Hand, aufs Auto, zu Vins und brachte kein Wort hervor. „Nach dem du anscheinend so über den Fiesta gejammert hast, haben deine Freunde Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit wir dir anstatt vernünftige Geschenke, dir dein dummes Schätzchen irgendwie finanziert bekommen…“, sagte Mom.
Dad legte mir eine Hand auf die Schulter, ich sah zu meinen Freunden und dann zu ihm, und wieder zu Vins, der noch immer neben meinem Auto stand. Irgendwie wollte nicht in meinen Kopf, dass das wirklich mein Schätzchen sein sollte.
„Deine Großeltern haben den Ford verkauft und keiner hat dir was Separates geschenkt, alles Geld ist da für einen neuen originalen Motor drin!“ „Jedes Teil ist Original!“, warf Jeff ein, erschien nun doch stolz auf seine Arbeit, „Heiden Arbeit, aber es hat sich gelohnt!“
„Vins war sehr entschieden!“, kicherte Kim, die mein Gesicht anscheinend sehr toll fand, Leonie filmte mich. „Er meinte, du würdest ausflippen!“ „Dein Kumpel hat gestern mit mir angefangen, den Motor einzubauen, und den Rest haben wir seit heute Morgen fertig zusammen geschraubt.“, Jeff ging rüber zu meinem Vater, sie schlugen sich gegenseitig kumpelhaft auf die Schulter zur Begrüßung.
„Ich glaube, er ist stumm vor Schreck!“, lachten einige hinter mir. Doch das traf es ganz gut. Ich war völlig überfordert, die Freude und das schlechte Gewissen, weil ich so eine fürchterliche Mimose war und gedacht hatte, dass ich Vins wirklich egal wäre, oder meinen Freunden kämpften um die Vorherrschaft.
„Wie viel schluckt der eigentlich auf die Meile?“, fragte Bob nun halblaut und holte mich in die Gegenwart zurück. „Mach es bitte nicht kaputt, Bob!“, krächzte ich eher, als dass ich sprach. Alle lachten.
Vins kam nun ein Stück auf mich, hob leicht die Arme. Entschieden ging ich auf ihn zu. „Happy…“, setze er an, doch ich lies ihn nicht zu Ende reden, ich schlang die Arme um ihn und zog ihn eine feste und viel zu überfällige Umarmung.
Kurz schien er völlig überrumpelt, wieder hörte ich Leute lachen hinter uns, doch dann legte Vins die Arme ebenfalls um mich. Drückte mich noch fester an sich, als ich ihn zuvor an mich. Einen kurzen Augenblick hoffte ich, dass wir verschmelzen könnten.
„Sorry, dass ich zu spät bin!“, nuschelte er leise, sein Atem kitzelte über meine empfindliche Haut am Hals. Seufzend zog ich seinen Duft ein und löste mich von ihm. „Schon okay!“, entschieden und mit etwas zu feuchten Augen und Blut an Körperstellen, wo ich es gerade nicht gebrauchen konnte, boxte ich ihm nun gegen die Schulter. Hier sahen uns gerade viel zu viele Menschen.
Vins zuckt unter meinem leichten Schlag zusammen, eindeutig schmerzerfüllt. Verwirrt runzelte ich die Stirn, doch das schmerzverzogene Gesicht wurde schnell zu seinem schmalen Lächeln und er scheuchte mich regelrecht zu Fahrertür, als wäre nichts gewesen.
Ehrfürchtig strich ich über die elegante und kantige Karosserie. „Wer hat gesagt, dass der beste Geburtstag aller Zeiten wird?“, meinte nun Kim und legte die Arme von hinten um mich und Vins. „Mistass!“, grinste ich sie jedoch breit an. „Oscar war schon ganz panisch, wo du bist…“, sie seufzte theatralisch. „Ha, ha!“, nuschelte ich, mein Ausbruch von vorhin war mir sowieso schon megapeinlich. Sie küsste Vins nun, der immer noch sehr zufrieden aussah, „Ich hab ihm deswegen geschrieben, dass er hinne machen soll!“
Schließlich stieg ich ein und fuhr seufzend über Lenkrad. „Ich fass es einfach nicht…“ „Fahr ruhig um den Block!“, meinte nun Dad, der an der Beifahrerseite erschien und eindeutig angetrunken, sowie stolz war.
„Fahrt ihr mit?“, aufgeregt sah ich Vins und Kim an und auch den Rest meiner Freunde hinter den beiden. „Ich denke, die erste Fahrt gebührt dir uns Vins, dem verdankst du dein Auto ja!“, meine beste Freundin trat einen Schritt zurück, „Du wirst mich aber jeden Morgen abholen dürfen zur Schule!“ „Nichts lieber als das!“, gerade könnte ich sie niederknutschen. „Also Fahrgemeinschaften sind gut für die Umwelt…“, warf nun Bob ein. „Ich hole dich auch ab!“, gluckste ich und mein bester Freund hob die Arme. „Digger!“ „Bro!“, sagte ich und zeigte entschieden auf ihn.
Vins stieg auf der Beifahrerseite an. Als ich den Schlüssel in der Zündung drehte knurrte der Motor auf wie ein Panther. „Oh Gott!“, ich packte den Kopf aufs Lenkrad, spürte das Vibrieren unter mir, das Lachen meiner Geburtstagsgäste drang dumpf an mein Ohr.
Leicht trat ich auf Gas und der Motor heulte auf. „Du hast Gänsehaut!“, strich Vins mir über den bloßen Unterarm. „Sie ist perfekt!“, hauchte ich und sah ihn an, als wäre ich auf Droge. Er lachte und lehnte sich entspannt zurück.
Schließlich fuhr ich los. Mein Schätzchen lag gut auf der Straße und beschleunigte ohne Probleme. Genauso, wie ich es mir erhofft hatte!
„Ich fasse nicht, dass du ernsthaft zu meinen Eltern bist und… Dass du sie mit zusammengebaut hast! Ich meine… Was?!“
„Ich konnte einfach nicht zulassen, dass man dich mit einem Ford Fiesta misshandelte!“, sagte er nun, sein Blick ruhte die ganze Zeit auf mir. Entschieden konzentrierte ich mich auf den Straßenverkehr, auch wenn sein Blick die Gänsehaut auf meinen Armen nicht verschwinden ließ.
„Ich fass es einfach nicht!“, ich hibbelte wie verrückt auf und ab, bog um den nächsten Block und Vins lachte vor sich her.
„Sorry das ich vorhin nicht ans Telefon gegangen bin!“, meinte er plötzlich.
Stumm schickte ich Dankgebete, dass ich ihm doch keine wütende oder wehleidige Mailboxnachricht hinterlassen hatte. „Ach!“, tat ich ab, „Du hattest eindeutig besseres zu tun!“ „Es sollte halt einfach ‘ne Überraschung werden!“
Ich hielte kurz an einer roten Ampel und sah den anderen jetzt an.
„Kim meint, du hast dir ganz schön Sorgen um mich gemacht!“, meinte er weiter. „Naja…“, nuschelte ich, „Ich wollte Kim nicht anpöbeln, ich war einfach nur…“, ich seufzte, seine grünen Augen brannten sich wieder in meine, „Man, ich hab mich einfach dumm angestellt! Ich reagier momentan irgendwie schnell über!“
„Nein! Ich find‘s nicht dumm! Es ist voll… du!“, sagte er, seine Stimme war leiser. Ich schluckte. „Spinnenbein vom Dienst!“, versuchte ich einen Witz zu machen, um diese komische Anspannung zu lockern, doch Vins lächelte nur dieses schmale Lächeln, nur viel melancholischer irgendwie.
„Du enttäuschst einen einfach nie!“, seine Worte schnitten tief und Schuldgefühle quollen aus der offenen Stelle hervor, „Anstatt pissig zu sein, weil ich dich ohne Nachricht auf deinem Geburtstag sitzen lasse, machst du dir sorgen ob ich tot im Graben liege und pöbelst dann auch noch meine Freundin, die deine beste Freundin ist, an, weil sie sich nicht genug sorgt… Das ist…“
„Ich war schon sauer!“, flüsterte ich, ich hatte dieses Kompliment nicht verdient. Ich hatte gedacht, dass er nicht anders kann als mich zu enttäuschen.
„Kannst du das überhaupt wirklich?“, er lächelte, schien die Frage aber ernst zu meinen. „Bei dir nicht!“, antwortete ich viel zu leise und viel zu ehrlich. Alles war gerade zu viel und irgendwie nicht genug. „Vins, ich…“
Es hupte sehr energisch hinter uns, die Ampel war längst auf grün umgesprungen. Räuspernd und mich wieder auf die Straße fokussierend fuhr ich weiter.
Schließlich bog ich wieder in meine Straße ein und sah meine Freunde schon auf uns warten. Kim riss die Hintertür auf und tatsächlich quetschten sie sich zu fünft hinten rein, Leonie schien es ohne Glen nicht auszuhalten. „Wenn mich die Bullen anhalten! Jeder zahlt für sich alleine!“, sagte ich entschieden, musste aber lachen, so zusammengedrückt, wie sie aussahen.
„Ich bitte dich, jeder Bulle, der durch dieses Viertel mal fährt ist gerade bei euch im Garten und diskutiert angesoffen über Football!“, meinte nun mein Cousin, ich nickte überlegend.
„Also, auf geht’s!“, sagte Kim, legte die Arme von hinten um Vins, der sie anlächelte. „Dein Wunsch ist mir Befehl!“, versuchte ich beschwingt und fuhr die nächste Runde um den Block.
‘Step one: drink
Step two: make mistakes
Step three: pretend you don't remember
Step four: drink a little more
Step five: I need to run dry
I need to run dry
I'm gonna take one more shot
Then I'm quitting forever
Cross my heart
Cross my fingers‘ ~ Patrick Stump, „Run Dry“ (2011)
Ich fuhr erst zwei Runden mit meinen Freunden, dann mit den Leuten vom Informatikklub, dann die Jungs von der Staffel und auch Nathalie fuhr eine Runde, zusammen mit Ian und ließ sich darüber aus, was für eine Benzinverschwendung das Ganze wäre. Natürlich würde ich sie nie wieder mitnehmen.
Schließlich parkte ich meinen Wagen, der nun endlich auch mein Wagen sein konnte, vor der Garage und schloss ab. Ich seufzte einmal verliebt und glücklich auf und war endlich bereit für meine Party. Vins hatte mir ernsthaft das schönste Geschenk der Welt gemacht. Unfassbar…
Als ich wieder in den Garten kam, saß Vins neben meinen Dad und Jeff, zusammen mit Kim, und aß, oder besser gesagt, stopfte sich einen Hotdog nach dem anderen rein. Wenn da nicht dieses schreckliche Gefühl wäre, dass er sonst nichts zu essen bekam, könnte man das fast witzig oder gar niedlich finden.
Ich setzte mich dazu und Jeff erzählte mir alle Einzelheiten der Restauration. Kim wurde das schnell zu langweilig und sie verzog sich zu Ruth und Bob. Aus dem Augenwinkel konnte ich meine Schwester und Ian gemeinsam an der Feuerschale sehen, seine Hände lagen auf ihren Hüften. Hatte er sie tatsächlich weich gekocht? Oder hatte sein Hirn endlich die perfekte Konsistenz, dass sie ihre Eier in ihm ablegen konnte?
Der Abend plätscherte in guter Laune dahin und irgendwann saßen die paar Erwachsenen, die noch da waren zusammen und ich und meine Freunde verzogen uns nach oben in mein Zimmer.
Auf dem Weg nach oben ließ Dad kurz den Hinweis fallen, wo Bier wäre, wofür meine Mutter ihm einen Schlag verpasste, doch sie sagte auch nichts dagegen.
Grinsend schickte ich die anderen hoch und holte das Bier aus dem besagten Garagenversteck. Munter trabte ich die Treppe hoch und hörte schon an der Haustür laute Musik. Die Nachbarn taten mir ja fast leid.
Gerade als ich zu den anderen in mein Zimmer wollte hörte ich ein atemloses Lachen aus Nathalies Zimmer am Ende des Ganges.
Meine Schwester würde doch nicht echt mit Ian… Neugierig, aber auch auf ein Trauma gefasst, falls ich das Falsche sah, oder hörte, ging ich zur halb offenen Tür.
Tatsächlich stand dort ein Pärchen eng ineinander verschlungen. Doch es war nicht meine Schwester und Ian, es waren Kim und Vins.
Sie küssten sich, heftig, und Kim schien Vins eindeutig aus seinen Pullover bekommen zu wohlen. „Ich wollte Nathalie schon immer eins reinwürgen!“, keuchte Kim, als Vins ihren Hals entlang küsste. „Und du meinst, in dem du Sex in ihrem Zimmer hast, kannst du das?“, er schien nicht weniger kurzatmig als Kim. Mein Magen drehte sich um.
„Ich denke, es gibt kaum etwas, was sie mehr irre machen würde!“, Kim zog ihn nach hinten, doch Vins hielt sie fest. „Ich werde ganz bestimmt jetzt keinen Sex mit dir haben, wenn deine halbe Familie da unten sitzt!“, er lachte und sie griff wieder unter seinen Pulli, doch er ließ sie ihn nicht hochziehen. „Ach komm schon!“, schnurrte sie. „Außerdem werden Nathalie und dein Bruder, wenn die weiter so aneinander rumgraben, das Bett hier selbst brauchen!“
„Wir sind ganz schnell und leise!“ „Nein!“, entschieden schob er sie von sich, lächelte jedoch immer noch. „Ich werde dich nicht auf Oscars Geburtstag in seinem Haus knallen, wenn er und deine Freunde zwei Zimmer weitersitzen! Echt nicht!“
Kim seufzte verstimmt, plötzlich wirkte sie verletzlich. „Ist das wirklich der Grund?“, sie sprach jetzt leiser. „Was sollte den sonst der…“, Vins klang fast aggressiv, wie im Reflex verschränkten beide die Arme vor der Brust. „Wir hatten schon ‘ne Weile keinen Sex mehr!“, sagte sie nun.
Ich sollte diese Unterhaltung wirklich nicht belauschen, aber ich konnte mich nicht bewegen. War doch nicht alles so toll, wie ich dachte, bei den beiden?
„Weil wir schon eine Weile nicht alleine waren!“, meinte Vins entschieden, „Für fünf Minuten Rein- Raus brauche ich keine Freundin!“ Sie seufzte. „Als wir mehr gestritten haben, haben wir öfter miteinander geschlafen!“ „Wenn‘s dir nur ums Ficken geht, ist die Frage, ob du ‘ne Beziehung brauchst!“, Vins drehte sich zur Tür, ich trat einen Schritt zur Seite, dass er mich nicht sehen konnte.
„Das hab ich überhaupt nicht gemeint damit!“, schoss Kim zurück, „Zu einer Beziehung gehört Beides!“ „Ich werde hier nicht mit dir schlafen, und ich finde es lächerlich, dass du dich deswegen mit mir streitest!“ „Du streitest dich doch mit mir!“, Kim kochte nun eindeutig richtig über, „Und wenn ich dich erinnern darf, warst du es damals, der mich jedes Mal halb besprungen hat, wenn wir uns fast die Köpfe eingeschlagen haben!“ „Weil du sonst nie die Scheiß Klappe gehalten hättest!“
Eindeutig gekränkt lachte Kim auf, ohne es zu sehen wusste ich wie wütend und verletzt sie gucken musste. Die Arme in die Hüften gestemmt, das Kinn vor unterdrückter Wut nach vorn geschoben.
„Fick dich!“, kurz kam Kims blonder Schopf in mein Sichtfeld, sie war zur Tür gestürmt. Ich stolperte hastig zwei Schritte zurück.
„Kim!“, Vins hielt sie anscheinend fest.
„Was? Willst du mir jetzt mit deinem Schwanz das Maul stopfen?“ „Oh ich bitte dich! Als ob dich mein Schwanz bis jetzt gestört hätte! Vor zwei Minuten hast du genau das gewollt!“ „Du bist so ein Arschloch! Kriegst du noch mit, was du sagst?“ „Was ich sage?!“ Es rumst laut, Vins hatte gegen die Tür geschlagen, „Wer hat den angefangen?“ „Angefangen? Ich hab dich gefragt, warum wir keinen Sex mehr haben und du kochst völlig über und kommst mir mit irgendwelchen lächerlichen Ausreden, was soll ich also…“
„Ausreden?! Ausreden!“, jetzt lachte Vins auf, „Deine Mutter hat Oscars Cop Vater gefragt, ob er mich durchleuchten kann und deine Brüder sehen alle drei so aus, als würden sie mich am liebsten verprügeln und du meinst, es ist eine billige Ausrede, dass ich dich nicht ficken will, wenn die kaum 20 Meter von uns entfernt sind!“
„Oh, auf einmal interessiert es dich, was meine Familie denkt… Oder meine Loserfreunde, wie du sie noch vor ‘nem Monat genannt hast!“, sie warf die Arme hoch.
„Hörst du dir überhaupt zu?!“, Vins schien nun wirklich richtig pissig, „Monate liegst du mir in den Ohren, dass ich mich nicht wie ein Arschloch benehmen soll, dass ich doch mal versuchen soll, mit deinen Freunden auszukommen, dass ich mich anders benehmen soll, wegen deinen Scheiß Eltern und das ich doch bitte, bitte, bitte, deinen ach so heiligen Oscar kennenlernen soll! Ich würde gar nicht anders können, als ihn zu mögen und jetzt…“ „Das hat doch hiermit gar nichts zu tun, ich… Du magst doch Oscar!“ „Ja natürlich mag ich Oscar!“
Mein Magen füllte sich mit so was ähnlichem wie Schmetterlingen. Natürlich, hatte er gemeint, natürlich mochte er mich.
„Und auch deine Freunde sind… merkwürdig, aber okay merkwürdig!“, sagte Vins, „Und deshalb verstehe ich nicht, warum du so eine Diskussion mit mir anfängst, wenn wir eigentlich bei deinen Freunden sein müssten! Wie meinst du, fühlt sich Oscar, wenn seine Schwester uns beide hier sieht und uns dann durch die Hölle jagt!“ „Ich… Das… Ich meine…“, Kim druckste untypischerweise rum. „Was meinst du?“
„Ich…“, Kim seufzte, „Vergiss es, lass uns zu den anderen!“ „Jetzt spuck aus, was los ist?“, Vins schien genervt aber auch ruhiger. „Ich… Es ist dumm!“ „Unsere ganze Diskussion ist dumm, also was ist es?“ „Wenn du schon so mir kommst dann…“, doch Vins würgte ihre erneute schlechte Laune ab: „Kim!“ „Ich- Du darfst mich jetzt nicht auslachen! - Irgendwie will ich, dass wir erwischt werden!“ „Hast du sie noch alle?“
„Man! Ich…“, Kim seufzte erneut, „Oscars Eltern loben dich so vor meinen. Oscar redet so gut von dir und wenn sie uns erwischen würden, naja…“ „Was hat den das eine mit dem anderen zu tun?“ „Ich hab manchmal das Gefühl, Oscar mag dich lieber als mich!“
Ich schluckte, die Schmetterlinge in meinem Magen wurden zu Ameisen. Sie fraßen sich brennend durch meinen Körper! Sah man mir so eindeutig an, wie verliebt ich war? Verdammt, das konnte doch nicht wahr sein, das…
„Und jetzt heute mit der Aktion mit dem Auto…“ „Du meintest doch, er würde sich darüber freuen, und du wolltest, dass ich mich mit ihm anfreunde, und jetzt passt es dir nicht, dass wir es sind?“
„Nein! Also- Ich wollte, das ihr Freunde seid, aber ich hätte nicht gedacht, dass ihr so gut miteinander auskommt, ich hab…“, Kim wurde immer leiser beim Reden, „Ich hab das Gefühl, du botest mich aus!“
„Was?“, Vins schien völlig verdattert. „Na da im Flur, als das mit Lucas war, du warst da für ihn da und dann mit dem Auto jetzt und im Allgemeinen- Ich hab das Gefühl, du bist ein besserer bester Freund als ich!“ „Ist das gerade dein ernst?“ „Ich weiß, dass es dumm ist und du kannst ja nichts dafür!“, Kim lief nun unruhig hin und her.
Mein Verhalten war eindeutig etwas, dass nicht normal war. Kein Wunder, dass sich alle und Kim, den Kopf und das Maul über uns zerrissen.
„Oscar ist momentan durcher, als er zu gibt! Das alles mit Miguel und Lucas, auch mit Sam hat ihn krass getroffen! Und er ist im Allgemeinen viel zu nett zu allem und jeden, er hat sogar dir Idiot als erstes eine Chance gegeben. Und ich dachte echt nicht, dass sein Charme auch bei dir so punktet und jetzt seid ihr beide so dicke. Ich dachte eigentlich immer, dass Oscar in mich… Naja, ist ja auch egal- Ich hab einfach manchmal das Gefühl, das euch beide was verbindet, dass ich gar nicht verstehen kann! Und er ist mein bester Freund und… Oh Gott, ich kling so psycho, bitte mach nicht mit mir Schluss, weil ich ‘ne Psychobraut geworden bin!“
„Ich hab nicht sonderlich viele Freunde, und Oscar ist der erste Freund, den ich nicht auf ‘ner Polizeiwache kennengelernt habe…“ „Das klingt nach Qualität!“, scherzte Kim, Vins ignorierte sie, er war ungewöhnlich ernst.
„Ich mag Oscar, er ist jemand, dem man vertrauen kann. Das weißt du besser, als ich! Und das mit dem Auto war unsere Idee, du hast die ganze Familie von ihm gestresst. Du meintest, es ist genau das richtige für ihn, nach dem ganzen Mist, der abging. Und ich glaube nicht, dass er mich jemals mehr mögen würde als dich ...“, bildete ich mir das nur ein, oder klang Vins fast traurig, „Ich glaube, ich wecke einfach nur sein riesiges Helfersyndrom, oder so!“
„Ja, Helferkomplexe hat er wirklich, obwohl er selbst meistens Hilfe brauch…“, kicherte Kim, „Und, du magst ihn auch nicht lieber als mich? Ich meine, also… Er ist halt jemand, den man mag, der Penner!“ „Kim!“, Vins verdrehte eindeutig die Augen, auch wenn ich es nicht sehen konnte, „Ich…“
„Wo bleibt eigentlich Oscar?“, fragte plötzlich jemand laut aus meinem Zimmer. Leise fluchend und zügig ging ich zu meinem Zimmer. „Ich hab das Bier gefunden!“, tönte ich jetzt besonders laut und wurde freudig begrüßt.
„Da bist du ja!“, meinten die anderen und ich verteilte die Biere an meine Freunde, die noch übrig waren. Kaum eine halbe Minute später kamen Vins und Kim in den Raum.
Vins holte seinen Rucksack hervor und brachte zwei Flaschen Rum und zwei Flaschen Tequila hervor.
Natürlich fingen wir an, dumme Trinkspiele zu spielen und ich war ziemlich schnell auf einen guten Pegel und die erste Tequilaflasche, sowie das Bier waren alle.
Ich saß auf dem Boden, zwischen Bob und Lisa, die nur noch am Lachen war, und die Henry eindeutig anflirtete.
Ich versuchte, mit zu lachen und einfach Spaß zu haben, doch immer wieder ging mein Blick zu Kim und Vins, die zwar Händchen haltend auf der Couch saßen, aber man merkte noch immer, dass der Streit noch nicht aus der Welt war. Oder war er es und ich bildete mir nur ein, dass da noch was war. Was war das überhaupt, was sollte das bedeuten? Bedeutete es überhaupt etwas?
Leonie und Glen saßen auf der Couch, neben Vins und Kim. Die beiden hatten nach zwei Bier heftig angefangen rumzumachen und wurden deshalb häufig mit Popcorn oder Chips beworfen.
Schließlich meinte Kim, dass sie Flaschendrehen spielen wolle, alle stöhnten, aber jeder machte mit. Es dauerte auch nicht lange und so gut wie jeder hatte sich blamiert.
Kim musste ausführlich ihr sehr peinliches erstes Mal im Ferienlager beschreiben, Ruth aus Henry Bauchnabel einen Shot nehmen, Vins Chips aus Brandons Schuh essen und ich den Macarena tanzen, sowie Bob Zöpfe aus seinen Dreadlocks flechten und mit Rum gurgelnd „Wannabe“ von den Spice Girls summen.
Gerade als Lisa und Henry sich küssen mussten und das eindeutig länger taten, als nötig, entschied Kim, dass sie pinkeln müsste und auch dringen einen Schluck Wasser bräuchte.
„Bitte fall nicht die Tür… Äh… Treppe runter!“, lallte ich ihr leicht hinter her. Sie wank schwungvoll ab und stand dann etwas zu nachdenklich im dunklen Flur.
„Wo ging hier noch mal Licht an?“, sie sah viel zu fragend ins Zimmer, „Ihr habt doch Licht?“ „Warte!“, ich lief glucksend zu ihr, mein Gleichgewichtssinn war definitiv schon mal besser, „Da!“ Knallte ich die Hand gutgelaunt auf den Lichtschalter. „Sehr nett von dir!“, kicherte sie und ich salutierte. Aus den Boxen dröhnte laut eine meiner Lieblingsplaylists, ich war zu betrunken, um zu wissen, wer da sang, aber ich mochte das Lied.
„Step one: drink. Step two: make mistakes. Cross my heart. Cross my fingers.“
Leicht zur Musik tanzend ging ich wieder zurück zu den anderen. Gerade als ich an Vins vorbeischlängelte, der mein schwankendes Selbst anscheinend sehr amüsant fand, zeigte die leere Flasche auf mich. „Oscar, tu so, als wäre der Boden Lava!“, sagte Brandon und ich ließ mich ohne viel nach zu denken nach hinten auf die Couch fallen, direkt auf Vins Schoß.
Ich zog die Beine hoch und meinte zu ihm sehr lässig: „Hey!“ „Hey!“, prustete er vor Lachen los. „Oh, bleibt so!“, meinte Leonie nun und das Geräusch, dass sie machte, als sie sich von meinem Cousin löste, klang nach einer defekten Saugglocke.
„Ich mach ein Foto für Becky!“, sie suchte hektisch ihr Handy. „Das ist mein Platz!“, meinte Kim nun und kam mit einer Flasche Cola und einem Wasser zurück. „Weggegangen, Platz vergangen!“, streckte ich ihr die Zunge raus. Die anderen lachten und Leonie machte nun endlich Bilder. „Ach von mir aus…“, sagte Kim nun, „Dein knochiger Arsch ist sowieso keine Konkurrenz!“ „Ich bin Sportler!“, verteidigte ich meinen Hintern, und blieb tatsächlich auf Vins Schoss sitzen, nüchtern hätte ich mir das nie getraut.
Kurz kroch ein schlechtes Gewissen an mir hoch, dass sie sowieso schon Angst hatte, ich würde ihn lieber mögen. Sie konnte ja nichts dafür, dass ich dumm und verliebt war, in IHREN Freund.
Die anderen glucksten und Kim setzte sie nun auf den Boden neben Bob. „Gute Freunde teilen sowieso alles!“, meinte Kim jetzt, „Also du fährst mich zur Schule, dafür darfst du so lange auf meinen Freund sitzen, wie du willst!“ „Das glaube ich, ist kein guter Deal, sonderlich bequem ist er nicht!“, sagte ich nun und lehnte mich leicht vor, Vins legte die Arme um mich damit ich nicht nach vorne viel.
„Na danke!“, lachte er und ich drehte mich leicht zur Seite. „Pscht!“, ich hatte definitiv schon mal klarer gesehen, „Ich verhandele hier gerade!“ „Wenns nach Becky geht, habt ihr alle sowieso schon aufeinandergesessen!“, warf nun Brandon ein, was allseits Gelächter brachte. „Muss ich das Ganze verstehen?“, meinte nun Glen und kraulte Leonies Nacken. „Becky Fisher, so ein mega Klatschmaul von unserer Schule, erzählt rum, dass Kim und Oscar und Vins ‘nen Dreier hatten!“ „Deswegen machst du davon gerade ein Bild?“ „Ja, um sie zu verarschen!“, nickte Leonie weise. „Na das kriegen wir!“, sagte mein Cousin, ganz hilfsbereit, griff nach der Flasche und legte sie so hin, dass sie auf mich und Vins zeigte.
„Oh!“, tat er gespielt und ich musste lachen, „Was für ein Zufall!“ „Mensch, wer von uns beiden ist den jetzt dran!“, tat ich ebenfalls ganz überrascht und Kim kam kaum noch aus dem Lachen raus. „Das ist, denke ich an sich egal, weil ihr euch hundertprozentig abknutschen sollt!“, warf Ruth scharfsinnig ein, dafür das sie nicht wenig Rum hatte. Ihr Schwager in spe nickte weise dazu. „Jup! Halt die Kamera drauf, Schatz!“, sagte er nun zu Leonie, die so hoch quietschte, dass das nur noch der Nachbarhund richtig verstehen konnte.
Kim schlug sich auf den Unterschenkel vor Lachen und vergrub das Gesicht an Bobs Schulter. „Ich weiß gar nicht, ob ich da hingucken kann…“
„Ich glaub, ihr habt gemogelt“, lallte ich und sah meinen Cousin böse an, der grinste nur, „Also müssen wir gar…“ „Von mir aus!“, sagte Vins nur und zog mich ein Stück zurück auf seinen Schoß und packte mich am Kinn. „Wa…“, ich stotterte und war so verdutzt, dass ich es noch nicht mal schaffte, rot zu werden, „Was?“
Vins grinste, seine Augen hielten meinen Blick jedoch viel zu ernst fest und er lehnte sich nach vorne. „Du und Kim teilt doch alles!“, schnurrte er, was war das in seinen Augen. Leonie quietschte noch lauter und hüpfte so aufgeregt auf und ab, dass das ganze Sofa wackelte.
Ich konnte nichts mehr sagen, nichts denken, Vins Lippen und meine trennte kaum noch ein Atemzug. Würde er mich wirklich…
Entschieden wurde meine Zimmertür aufgerissen und Nathalie stand gut gelaunt in der Tür. „Leonie, Ruth! Euer Vater ist da!“
Vins und ich erstarrten in der Bewegung. Nathalie und mein Blick trafen sich und ihr Gesicht hatte den Ausdruck purer Erhabenheit.
„…“, ich wollte den Arm heben und etwas zu ihr sagen, doch damit verlor ich den letzten halt und rutschte nach hinten auf die Couch, Vins hielt mich gerade so fest, verzog aber erneut schmerzerfüllt, wie vorhin vorm Impala, das Gesicht. Ich versuchte ihm so weit entgegenzukommen, wie es ging, sodass ich dann etwas verrenkt meinte: „Wir spielen gerade nur Flaschendrehen!“
„Bitte sagt mir nur, dass davon jemand ein Bild gemacht hat!“, war Nathalies schlichte Erwiderung, „Das wäre eine bezaubernde Weihnachtskarte!“ „Ich kann dir ganze viele Bilder von den beiden schicken! Oder Videos!“, ganz zuvorkommend lächelte Leonie meine Schwester an und ich würde sie am liebste hauen, doch ich konnte kaum gerade sitzen. Und hatte Angst Vins noch mehr wehzutun. Was tat ihm nur so weh?
„Das wäre entzückend von dir, und euer Vater ist wie gesagt da!“, erst jetzt bemerkte ich, dass Ian hinter ihr stand, und etwas zerzaust und viel zu glücklich aussah. Oh Gott, was hatte er, sie oder eher die beiden getan?
Ruth erhob sich und als sie leicht zur Seite schwank, hielt Bob sie fest. „Du musst schon los?“, erhob sich Glen, zusammen mit Leonie. Sie nickte und sie küssten sich noch mal, „Ich ruf dich an!“ „Okay!“ „Auf jeden Fall ruf ich an!“ Wieder ertönten die Saugglockengeräusche.
„Bah!“, meinte ich und ließ mich gänzlich aufs nun teilweise leere Sofa fallen, meine Beine über Vins Schoss, der immer noch eindeutig vor Schmerzen schwer ausatmete, „Irgendwann ist auch mal gut!“
„Du bist nur neidisch!“, kicherte Leonie. „Ich kenne euch beide länger als einen Tag, glaubt mir, ihr habt euch verdient!“, war meine Erwiderung und bekam von beiden einen Schlag. Vins lachte hüstelnd. Ruth und Leonie verabschiedeten sich, aber auch Glen wollte, wenn sein Leolein, wie er sie nannte, nicht mehr da war, gehen.
„Steven, ich wollte mich mit Ian gleich zu euch setzten, bleibst du noch ein Weilchen?“, fragte Nathalie, viel zu leicht zu durchschauen, meinen besten Freund und klimperte sehr untypisch mit den langen Wimpern. „Ähm…“, sagte dieser, doch Ruth nahm ihm das Antworten ab. „Du kannst gleich bei uns mitkommen, Dad setzt dich zu Hause ab!“, es klang eindeutig nach einem Befehl und nicht nach einem Angebot.
„Anscheinend fahr ich schon nach Hause!“, sagte Bob nun und Ruth zog ihm beim Handgelenk aus meinem Zimmer, an Nathalie vorbei. „Bis Montag!“, wank mir mein bester Freund zu und ich wank belustigt zurück. Nathalie sah ihnen bestätigt nach.
Umständlich richtete ich mich auf. „Ey Satan“, meinte ich zu meiner Schwester, „Flirtest du eigentlich Bob die ganze Zeit nur an, weil du wissen wolltest, ob Ruth wirklich auf ihn steht?“ „Ja!“, sagte sie sehr schlicht und milde, „Und es hatte den gewünschten Effekt, Menschen sind so leicht, zu durchschauen!“ Ian gluckste hinter ihr.
Gebieterisch legte sie ihm einen Finger auf den Mund, dass er still sein sollte.
„Für dich ist die Welt auch ein Käfig voller Laborratten!“, ich ließ mich schnaufend nach hinten falle. „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!“, in einem gruseligen zuckersüßen Singsang zog meine Schwester die hübsche Nase kraus, „Ich werde der Elternfraktion unten erzählen, dass ihr Spaß habt!“ Und damit gingen sie wieder davon.
„Oh Gott!“, sagte Kim, „Ich glaube, die hatten Sex!“ „Ich glaube, spätere Geschichtsschreiber werden uns verdammen, weil wir Nathalie nicht aufgehalten haben, als wir die Gelegenheit hatten!“, war mein Kommentar dazu. Brandon prustete in sein Glas. „Und ich bin betrunken!“, stellte ich jetzt das offensichtliche fest, und Vins meinte recht nüchtern: „Tatsächlich!“ Ich trat leicht nach ihm und er lachte, seine Hände lagen lässig auf meinen Beinen.
„Ja!“, meinte nun Henry, auf dessen Schoss Lisa saß, „Warum leidest du nicht, wie wir alle!“ „Weil er doof ist!“, war Kims Antwort, die hingenommen und als plausibel galt.
Schließlich stand sie auf und setzte sich wieder neben Vins. „Rutsch, du nutzloser Klotz!“, haute sie mir auf den Oberschenkel und seufzend rutschte ich rüber in die nun leere Ecke des Sofas. Wir quatschten in kleinerer Runde noch etwas und irgendwann machten wir den Fernseher an, um zu sehen, ob was lief, und blieben schließlich bei irgendeinem Stirb Langsam- Teil hängen.
Ich merkte, wie langsam der Alkohol, meinen Körper verließ und der Müdigkeit Platz machte.
Henry und Lisa unterhielten sich leise. Sie stotterte nicht ein bisschen, als sie mit ihm sprach. Irgendwie machte mich das besonders glücklich, gerade als ich Vins angrinsen wollte, um meine Freude zu teilen, spürte ich seinen Kopf auf meiner Schulter.
Verwirrt sah ich auf ihn runter.
„Ist er eingeschlafen?“, flüsterte ich völlig verdutzt Kim zu, noch immer hielten die beiden Händchen, doch sein Kopf und sein Oberkörper waren seitlich auf mich gerutscht, sein Atem ging ruhig und tief. „Ja!“, flüsterte sie zurück und grinste breit. „Er hat gestern ewig in der Werkstatt gearbeitet und heute auch!“, meinte sie nun, ich nickte. „Störst dich, dann…?“, fragte sie vorsichtshalber, doch ich schüttelte den Kopf, ich war noch immer genug alkoholisiert, um nicht so schüchtern wie sonst zu sein.
„Nee, alles gut!“ Kim nickte zufrieden, seine Hand fest in ihrer. Sein Körper war warm und ich spürte, wie seine Brust sich bei jedem Atemzug hob und senkte. Am liebsten hätte ich den Arm um ihn gelegt, mich näher an ihn gepresst.
Ich wusste, dass er schlief und das nicht zählte, aber gerade, war ich ihm genauso nah, wie Kim. Kurz fragte ich mich, ob wir uns wirklich geküsst hätten, wäre Nathalie nicht reingekommen.
Ich räusperte mich verhalten. Gott sei Dank, war das Licht gedämmt und keiner sah, wie rot ich wurde.
Als der Film zu Ende war, erhoben sich Henry, Lisa und Brandon. „Wir werden dann mal los!“
Kim erhob sich vorsichtig ebenfalls. „Ich werde auch los!“, meinte sie leise, und löste ihre Hand von Vins, „Kann er vielleicht hier pennen? Er wirkt einfach durch!“ „Ja!“, ich schob ihn vorsichtig, wenn auch widerwillig von mir, doch er wachte nicht auf. Ich packte ihm ein Kissen unter den Kopf. Kurz atmete er tiefer ein und drehte sich leicht, ohne aufzuwachen, zur Seite.
Ich brachte die vier zur Tür und sah, dass Ian und der Rest von Familie Daniels auch gerade in Aufbruchstimmung waren. Ian und Nathalie verabschiedeten sich recht innig, fragend sah ich sie an. Sie zog nur eine Braue hoch und ich wusste, dass ich mehr nicht wissen wollte.
„Vins pennt oben auf meiner Couch!“, meinte ich schließlich zu Dad und Mom. „Der Junge ist bestimmt ganz schön fertig! Jeff meinte, er hat geschuftet, wie ein Irrer!“, sagte Mom nun und wirkte müde, aber auch sehr zufrieden.
„Danke übrigens auch an euch!“, sagte ich, in der ganzen Aufregung vorhin, hatte ich das ganz vergessen. Sie drückten mich schlicht. „Hauptsache du hast endlich ein Auto und ich muss dich nicht mehr überall hinfahren!“, war Moms Antwort und ich lachte. Schließlich ging ich nach oben, die Stufen waren immer noch eine kleine Herausforderung.
Vins lag noch auf meiner Couch. Irgendwie war das surreal und witzig zu gleich.
Ich hob die Decke auf, die vor der Coach auf dem Boden lag, sie musste im Laufe des Abends runtergerutscht sein, und breitete sie über ihm aus. Er drehte sich seufzend auf den Rücken.
Sein Gesicht wirkte viel weicher im Schlaf. Er wirkte tatsächlich mal so jung, wie er war. Erneut seufzte er im Schlaf, seine Lippen einen Spalt weit offen. Ich schluckte.
Wieder musste ich an unseren beinah Kuss denken. Wie würden sich seine Lippen anfühlen? Unsicher lehnte ich mich über ihn, strich ihm eine dunkle Strähne seiner gerade untypisch wirren Haare zurück. Sein Veilchen war kaum noch Zusehen. „Vins?“, flüsterte ich, doch er reagierte nicht. Ich lehnte mich noch ein Stück tiefer, mein Herz schlug mir bis zum Hals.
„Vins…“, flüsterte ich erneut und schließlich drückte ich meine Lippen auf seine.
Sie waren weich und fest zu gleich, ganz warm.
Zittrig lehnte ich mich zurück und presste eine Hand vor den Mund. Der Wunsch ihn fester, verlangender zu küssen, war fast unerträglich. Ich gierte so sehr, nach mehr- nach ihm!
Entschieden ging ich zu meinem Bett, zog mich aus bis auf die Shorts, in der es mir leider von dem bisschen viel zu eng geworden war. Schlüpfte in ein weites Shirt zum Schlafen und stieg ins Bett, nach dem ich das Licht ausgemacht hatte.
Ich versuchte nicht an Vins zu denken, an seine Lippen und daran, dass er kaum zwei Meter von mir entfernt lag.
‘And all of the nights and all of the days
Yeah we’re watching them fading away
And oh what a life when you’re rolling the dice
When you’re gambling all of the time
And all of the nights and all of the days
Yeah we’re watching them fading away
And oh what a life when you’re rolling the dice
When I’m gambling all of the time
Because I don’t need your love
I just need you now
And I don’t need your love
I just need you now‘~ Dean Lewis, „Need You Now“ (2017)
Unruhig wälzte ich mich hin und her.
Eigentlich müsste ich durch den ganzen Stress des Tages und dem viel zu vielen Alkohol im Körper schlafen wie ein Stein, doch das Gefühl von Vins Lippen auf meinen und das viel zu eindeutige Ziehen in der Mitte meines Körpers machte es mir unmöglich einfach so einzuschlafen.
Ich war aber auch bescheuert! Ich war ein fucking männlicher, schwuler Teenager! Natürlich bekam ich einen Ständer von dem Mist! Wie viel Hirn hatte ich mir in einem Abend weggesoffen?
Was hatte ich auch erwartet, würde passieren, wenn ich ihn heimlich küsste?
Das er wie Dornröschen aus seinem Schlaf erwacht und der Fluch der Heterosexualität wäre gebrochen! Die Village People fangen an zu singen und auf einem glitzernden Regenbogen reiten wie auf einem Einhorn in den Sonnenuntergang?
Willkommen in der wirklichen Welt hatte Nathalie zu mir gemeint, ja, ich sollte endlich in der Realität landen! Vins und ich würden niemals mehr als gute Freunde sein! Niemals! Und dafür sollte ich dankbar sein! Er hatte selbst gesagt, wenig Freunde zu haben, und ich versaute ihm das Ganze auch noch…
An sich konnte ich auch mehr als froh sein, dass er nicht wirklich aufgewacht war. Wahrscheinlich hätte er mir welche gelangt. Oder schlimmer, wäre einfach nur angewidert gewesen und gegangen.
Ich schluckte merklich. Ich glaubte nicht, dass Vins wirklich was gegen Lesben und Schwule hatte. Er war immer für die Minderheit, aber ich war mir auch ziemlich sicher, dass er es nicht witzig fand, dass ihn ein Typ einfach so ableckte im Schlaf.
Seufzend drehte ich mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kissen, so merkte ich jedoch noch mehr das Problem in meiner Shorts, also drehte ich mich wieder auf den Rücken.
Ich angelte so leise wie möglich nach meinem Handy. Gott sei Dank hatte ich immer ein paar Kopfhörer in Griffweite, ich verkabelte mich und mein Telefon und schloss die Augen.
Entschieden konzentrierte ich mich auf nichts anderes als das Lied, versuchte jede Note nachzuvollziehen und jede Silbe, die gesungen wurde.
„Because I don’t need your love. I just need you now.“
Warum zum Henker kam jetzt dieses Lied?
Entschieden skippte ich weiter, irgendein Popsong erklang und erneut, versuchte ich, die nun nicht sonderlich vorhandene Tiefe des Songs zu entschlüsseln.
Irgendwann verloren die Wörter ihren Sinn, die Melodie schien leiser zu werden und ich schlief endlich ein.
Ein lautes Geräusch weckte mich unsanft auf.
Meine Playlist war auf Shuffle gestellt und irgendein sehr lauter Thrasher plärrte mir in die Ohren. Völlig erschlagen und eindeutig nicht bereit die Augen zu öffnen drehte ich mich um, sodass ich nach meinem Handy greifen konnte, um den Mist auszuschalten, und strangulierte mich plötzlich halb mit meinen Kopfhörerkabeln.
Murrend zerrte ich die unnütze Kabelei hervor und warf sie zur Seite, als ich jemand reden, schluchzen, hörte. Verwirrt richtete ich mich auf, und merkte, dass der Restalkohol in meinem Körper das für eine sehr dumme Idee hielt. Alles drehte sich und mein Magen gekonnt in die andere Richtung.
Ich sah in meinem dunklen Zimmer umher, es war noch stockfinstere Nacht. Kurz überlegte ich, ob ich mit dem Fernseher an eingeschlafen war, doch dann sickerte in mein Hirn, dass Vins, der auf meinem Sofa schlief, sich verkrampft hin und her warf. „Nein…“, murmelte er ängstlich, seine Stimme war nur noch ein Wimmern, „Bitte! Nein!“
„Vins?“, meine Stimme klang rau und verschlafen. Ich räusperte mich schnell, rieb mir den Schlaf aus den Augen, „Vins!“ Er reagierte nicht, ich machte die Nachttisch Lampe an und stolperte aus meinem Bett.
Noch immer hatte Vins die Augen festgeschlossen, doch sein Atem ging jetzt hektisch, er wälzte sich herum. „Vins!“, sagte ich nun lauter, griff ihn bei der Schulter, er war eiskalt, nass vor Schweiz und der Pullover, den er noch immer trug, hatte sich verdreht um seinen Körper geschlungen. Er schien in ihm gefangen, wie in einer schwarzen Zwangsjacke, und nicht in der Lage sich zu befreien. „Hey!“, ich rüttelte ihn, wusste sonst nicht, was ich tun sollte, „Vins! Es ist alles gut!“
Panisch riss er seine schönen Augen auf. Das Feuer, das sonst in ihnen brannte, mich verbrannte, schien erstickt, gelöscht von tränennasser Angst.
Ruckartig richtete er sich auf und sah sich völlig verwirrt um, er wusste nicht, wo er war, oder warum ich hier war. Sein Atem war noch immer nur stoßweise, ich könnte die harten Schläge seines Herzens gegen seinen Brustkorb förmlich hören, spüren. Sein Körper erzitterte unter den viel zu groben Schlägen.
Schließlich tat ich das Erste, was mir einfiel, und packte ihn, wie er mich damals nach der Sache mit Lucas, am Arm und schob meine andere Hand in seine Nacken. Ich zog ihn an mich, presste, wie er damals, meine Stirn gegen seine und versuchte so ruhig wie möglich ihn im Hier und Jetzt zu halten. „Es ist alles gut!“, sagte ich, „Ich bin hier!“
Die Panik in seinen Augen wich dem erkennen und ich spürte das stummen Schluchzen über mein Gesicht rollen, als er die Augen schloss. Heiße Tränen mischten sich mit dem kalten Schweiß, der ihm übers Gesicht lief. „Einfach Atmen!“, wiederholte ich seine Worte von damals.
Er hob zittrig die Hände, erst hatte ich Angst, dass er mich wegstoßen würde, doch er hielt sich an mir fest, verkrallte sich im dünnen Stoff meines Shirts. „Ich bin da!“, wiederholte ich.
Ich wusste nicht, wie lange wir so da saßen, doch irgendwann beruhigte sich sein Herz und sein Atem wurde gleichmäßig. Er räusperte sich, noch immer hatte er die Augen geschlossen. Schließlich ließ er mich los und drehte er sich von mir ab. Grob wischte er sich übers Gesicht.
Ich lies ihn ebenfalls los und versuchte seine Körpersprache zu lesen, versuchte zu deuten, was er nicht sagen konnte.
Was brauchte er jetzt? Was brauchte er von mir? Was musste ich ihm geben? Was konnte ich ihm geben?
Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und rutschte ein Stück von ihm weg, wollte ihn nicht einengen.
„Ich wollte dich nicht wecken!“, sagte er schließlich, seine Stimme klang nicht nach ihm selbst, „Entschuldige, dass ich anscheinend hier eingepennt bin ich…“
„Alles gut, wir waren ja alle ziemlich betrunken!“, tat ich viel zu beschwingt ab und versuchte ihn mit der Verallgemeinerung aus der Ecke, in die er sich gerade selber stellte, heraus zu ziehen, „Ich bin mir auch immer noch nicht sicher, ob ich vielleicht nicht noch kotzen muss, und du hattest mehr als ich, also…“, ich sah ihn entschieden an, „Und meine Couch ist ja auch nicht sonderlich bequem!“
Er seufzte leise, seine Lippen verzogen sich leicht zu dem Lächeln, das ich so liebte, wenn es auch seine schamerfüllten Augen nicht erreichte. „Ja, es war zu viel durcheinander…“, nahm er meine Ausrede schließlich an. Er rieb sich über die Arme, schauderte in seinen klammen Sachen.
„Ich Idiot!“, noch immer war ich viel zu bemüht, „Ich hab dich vorhin zugedeckt, aber in Klamotten und mit Decke ist es hier viel zu warm! Du hast dich zu Tode geschwitzt!“, log ich nun einfach weiter und stand auf, „Ich kann dir ein T-Shirt leihen…“
Ich ging zu meinem Kleiderschrank, aus dem die Hälfte rausfiel, als ich ihn öffnete, „Hier ist bestimmt was, in das du reinpasst. Ansonsten bauchfrei ist gerade In.“ Ich hörte ein schwaches Lachen, „Danke!“ Ich erstarrte kurz in meiner Bewegung, ich wusste, dass das nicht meinem Moderatschlag galt.
„Ich schick dir meine Rechnung!“, scherzte ich weiter, obwohl ich noch immer nicht wusste, ob es richtig war, was ich tat. Sollte ich ihn wirklich nicht fragen, was gerade los war? Was hatte er geträumt, dass ihm solche Angst gemacht hatte?
Ich zog nun eins meiner alten Sportshirts hervor und warf es ihm zu. „Guck mal, ob du da reinpasst?“ Er fing das Shirt auf, packte es sich auf die Knie und zog sich den Pullover ungelenk und mit einem schmerzverzerrten Gesicht über den Kopf.
Zischend zog ich die Luft ein. Seine grünen Augen brannten sich in meine, schnell drehte ich mich wieder zu meinem Kleiderschrank. „Wenn… Wenn das nicht passt, finde ich bestimmt ein anderes!“, versuchte ich weiter unbedarft zu klingen, doch der Anblick seines geschundenen Oberkörpers war unwirklich und erschreckend zugleich. Unwillkürlich ballten sich meine Hände zu Fäusten und ich schlug hart die Zähne aufeinander.
Wie viel Wut und Zorn und Hass musste in den Händen gesteckt haben, die ihn so gezeichnet hatten?
Abgesehen von den vielen kleinen Blauenflecken, die ich auf die schnell gar nicht hatte alle zählen können, war seine rechte Schulter gänzlich in einem fast schwarz wirkenden Bluterguss umschlossen, als hätte er sich die Schulter erst vor Kurzem heftig geprellt. Wie hart musste er auf dem Boden aufgeschlagen sein, dass seine Schulter so aussah, wer hatte ihn so zu Boden gestoßen?
Über dem Bauch erstreckte sich ein grüngelber, also nicht mehr frischer, aber dennoch riesiger Bluterguss.
Ich hatte mal unerlaubterweise Polizeiakten von Dad gesehen, wo jemand zusammengeschlagen worden war, der Fleck ähnelte dem des Opfers viel zu sehr, diesem hatte man mehrmals hart in den Bauch getreten. War das Vins auch passiert? Hatte er schon am Boden gelegen, als jemand nachgetreten hatte? Immer wieder?
„Das Shirt passt!“, kam es nun hinter mir und ich versuchte, meine Gesichtszüge wieder zu kontrollieren, bevor ich mich umdrehte.
Vins war auch aus seiner wohl ebenfalls vollgeschwitzten Jeans gestiegen und sah fürchterlich verletzlich aus, wie er so in dem etwas zu kleinem T-Shirt auf meiner Couch saß. Die Decke und auch das Kissen, waren wahrscheinlich genauso klamm, wie seine Kleidung. Er hatte die Arme verschränkt, und schien zu frieren. Die Kälte kam von innen.
„Also… Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo Mom noch extra Bettzeug hat!“ Das war natürlich eine fette Lüge, aber ich wusste sonst nicht, wie ich sagen sollte, was ich sagen wollte.
„Wenn‘s dich nicht total stört…“, ich kratzte mir verlegen den Kopf, mit anbahnenden Kater, war das schwieriger, als es im Suff gewesen wäre, „Mein Bett ist viel bequemer als die Couch und meine Decke ist riesig und ich hab gefühlt hundert Kissen… Also…“
Vins Lippen zuckten das erst mal ehrlich zu einem Lächeln. „Okay“, sagte er und ich seufzte erleichtert.
„Ich entschuldige mich jetzt schon, falls ich panisch über dich drüber krabbele, weil ich doch noch kotzen muss!“, ich ging zu meinem Bett, zog die Kissen vor, und legte mich nach hinten. Vins folgte mir zögerlich. Vorsichtig setzte er sich auf die Matratze, als hätte er Angst, sie würde unter ihm wegbrechen, und machte die Nachttischlampe aus.
Kurz war alles schwarz, Vins verschwand im Dunkeln, bis sich meine Augen an das spärliche Licht von der Straßenlaterne vorm Haus wieder gewöhnt hatten. Ich zog meine Decke so über mich, dass der äußerte Rand mich bedeckt und schob ihm den Rest zu. Er deckte sich zu, spann sich fast wie in einen Kokon ein, und drehte mir seufzend den Rücken zu. „Nacht!“, kam es leise. „Schlaf gut…“, erwiderte ich genauso leise.
Unsicher starte ich ihm Löcher in den Rücken. Einerseits war ich fürchterlich aufgeregt, weil Vins in meinem Bett lag, anderseits war mir nicht nur wegen dem Alkohol schlecht.
Hatte ihn sein Vater so verprügelt?
Wie alt waren diese Blutergüsse? Warum waren sie mir nicht früher aufgefallen? In Sport versuchte ich ihn absichtlich nicht anzustarren, aber wie hatte ich das nicht mitkriegen können? Er musste doch auch Schmerzen haben? Also so Richtige! Bestimmt hatte er deswegen vorhin so angespannt geguckt. Also… Ach verdammt! Und ich lass mich auch nicht wie einen nassen Sack auf ihn fallen!
Meine Gedanken rasten. Ich konnte das einfach nicht verstehen. Wie konnte man ihm, Vins, so wehtun?
„Dir ist schon bewusst, dass ich sehe, dass du mich anstarrst?“, fragte Vins nun plötzlich in meine wirren Gedanken und ich zuckte ertappt und überrumpelt zusammen.
„Sorry… ich… Was?“
Ein leichtes Lachen vor mir und Vins legte den Kopf schräg. Im Dunkeln und mit der Decke bis zum Kinn, hatte ich fälschlicherweise angenommen, er hätte mir den Rücken zu gedreht. Dabei sah er mich genauso an, wie ich ihn.
„Ich…“, setzte ich nun wieder an, „Ich weiß, ich soll nichts zu sagen, aber…“
Seufzend schloss ich kurz die Augen. „Ich weiß, ich soll nichts zu sagen und ich weiß, dass du nicht drüber reden willst, aber du kannst, wenn du willst, du…“ „Ich weiß.“, unterbrach er mich leise, „Aber ich wüsste auch gar nicht, was ich sagen sollte. Es gibt dazu nichts zu sagen.“
Er drehte dich auf den Rücken, immer mehr gewöhnten sich meine Augen an das wenige Licht und ich sah, wie bitter sein Gesichtsausdruck war.
„Das glaub ich nicht!“, sagte ich nun leise. „Was würdest du den sagen wollen, wenn du könntest?“, fragte er nun, sah noch immer starr an meine Zimmerdecke, er klang beinah herausfordernd.
Würde ich diese Herausforderung meistern können?
„Ehrlich?“, auch ich drehte mich auf den Rücken, betrachtete die unbestimmten Tiefen vor mir, „Ich weiß nicht, was man dazu sagt!“, ich entschied mich, ehrlich zu sein, vielleicht würde er es dann auch sein, „Ich war fast ein bisschen erleichtert, als du meintest, ich soll nichts zu sagen. Es gibt, glaube ich nichts, dass das besser macht… Oder erträglich. Niemand sollte so was durchmachen. Niemand… Du solltest das nicht durchmachen müssen…“, ich seufzte, „Wenn ich dich so sehe, wenn ich sehe, wie viel Angst du hast, wenn ich…“, entschieden holte ich Luft. „Es macht mich einfach so unglaublich wütend und… traurig!“
„Du hast Mitleid.“, Vins schien fürchterlich bestätigt, doch ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich… Ich hab Mitgefühl!“, meinte ich entschieden. „Das ist das gleiche!“ „Nein!“, schüttelte ich den Kopf erneut, „Meine Mom meinte mal, dass sie in ihrem Job kein Mitleid haben darf, Mitgefühl ja, aber kein Mitleid!“
Vins drehte sich nun leicht zu mir, die grünen Augen voller Fragen.
„Mitleid, bedeutet, dass man mit erträgt, was der andere ertragen muss und das kann ich nicht!“, ich sah ihn nun ebenfalls an, „Ich kann mitfühlen, kann versuchen zu verstehen, aber… Mitleid lässt dich mit erstarren, Mitgefühl lässt dich handeln!“, wieder ballten sich meine Hände wie von selbst zu Fäusten, „Ich würde gerne handeln! Irgendwas für dich tun! Es ist irgendwie besser machen- Dir helfen! Und wenn ich nur zu deinem Vater gehe und ihm erkläre, dass er seine…“
„NEIN!“, Vins Stimme war scharf wie eine Rasierklinge, „Nein!“ Er richtete sich auf, perplex sah ich ihn an. „Das wirst du niemals tun, du wirst niemals…“, seine Brust hob und senkte sich. Was war das Gerade, welches Gefühlt tobte in ihm? War das Wut, war das Angst?
„Du wirst niemals in seiner Nähe sein! Niemals! Ich will noch nicht einmal, dass er weiß, das du existierst!“
Er sah auf mich hinab. Ich schluckte, versuchte dieses merkwürdige und überflüssige Gefühl der Zurückweisung hinunter zu schlucken und anderseits gegen die klamme, schleichende Angst zu kämpfen.
„Okay“ Meine Stimme war nur ein Flüstern.
„Verdammt!“, Vins rieb sich entnervt übers Gesicht, „Deswegen kann ich nicht darüber reden! Besonders nicht mit dir!“, er lachte auf, der Witz ging auf meine Kosten, „Du bist so ein dummer Held, du würdest wirklich mit ihm reden wollen!“
Ich sagte nichts. Presste die Lippen aufeinander, lag steif neben ihm und versuchte, einfach nicht zu heulen.
„Du hast keine Ahnung, wer er ist, wer… was er tut, was…“, Vins rang mit den Worten, nach Luft, „Du hast keine Ahnung, was passieren würde, wenn ihr aufeinandertrefft, das ist…“, wütend atmete er aus, „Nein!“
„Okay“, wiederholte ich nur, und meine Scheiß Stimme brach, ein Kloß setzte sich in meinem Hals fest und meine verfluchten Augen brannten so sehr, dass ich die Tränen kaum zurückhalten konnte.
„Oscar“, Vins sah auf mich herab, er wirkt genervt, „Du… Was? Weinst du?“
„Nein, ich…“, meine Stimme brach erneut.
Gott, wie lächerlich konnte ich mich eigentlich anstellen? Er hielt mich sowieso schon für einen Vollidioten, einen dummen Helden, jetzt auch noch eine Heulsuse dazu?
„Oscar!“, sagte Vins erneut und ich wollte mich von ihm wegdrehen, ich wollte nicht, dass er mich weinen sah, dass er sah, wie dumm und verliebt ich wirklich war. Doch genau in dem Moment, in dem ich mich leicht aufrichtete, um mich zur Seite drehen zu können, lehnte er sich zu mir runter. Unsere Köpfe knallten gegeneinander.
„Verdammt!“, fluchten wir gleichzeitig. Schmerzerfüllt presste ich eine Hand auf meine Stirn und er an die linke Schläfe.
Wir sahen uns an, wie wir da saßen, unfähig über das zu reden, was wichtig war. Ich schaffte es tatsächlich einen peinlichen Moment, noch lächerlicher zu machen.
Langsam setzte ich mich auf und ließ meine Hand nun von meiner Stirn über meine Augen gleiten, frustriert gluckste ich in mich rein. „Was?“, Vins schien verwirrt, doch ich begann einfach richtig zu lachen. „Ich hab gerade irgendwas nicht mitgekriegt, ich… Oscar?“
Mich schüttelnd vor Lachen und immer noch mit Tränen in den Augen sah ich den anderen an und meinte dann todernst: „Ich bin wirklich ein dummer Held!“ Jetzt lachte auch Vins.
„Ich würde wahrscheinlich wirklich irgendwas Dummes machen, wenn ich auf deinen Vater treffen würde! Ich denke einfach selten nach, bevor ich was mache!“, gestand ich halb seufzend, halb lachend. „An sich ist das ganz liebenswert, Spinnenbein!“, sagte Vins mit einem tatsächlich sehr liebevollen Blick.
Das Blut schoss mir natürlich sofort in die Wangen und ich war dankbar, das es zu dunkel für ihn war zu sehen, was seine Worte anrichteten.
„Aber du solltest…“, er überlegte kurz, „Du darfst nichts machen!“ Er wurde wieder ernst. „Er ist nicht einfach nur ein schlechter Ehemann und ein schlechter Vater- Er ist ein schlechter Mensch!“
Ich nickte, unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. „Was ist mit meinem Dad?“, fragte ich nun. „Was sollte mit dem sein?“ „Naja“, setzte ich wieder an, „Du würdest so was nicht sagen, wenn du es nicht so meinst, aber mein Dad ist ein Cop. Also willst du mit ihm reden?“
Vins Gesichtsausdruck wurde gequält. „Nein…“, ich verstand das Wort, aber nicht den Ton in dem er es sagte, „Nein. Ich denke nicht, dass das gut für deinen Dad ausgehen würde…“ Ich schluckte, Vins grüne Augen brannten sich in meine. „Oder für mich!“
Ich erschauderte.
Er konnte das nicht… Er meinte das nicht… Er meinte das doch nicht wirklich ernst?
Vins fuhr sich durch die Haare und wirkte plötzlich wieder verloren, die ganze Anspannung von eben schien ihn nun zu verlassen, so erschöpfend, war nur die Wahrheit.
Und erneut handelte ich instinktiv. Ich legte meine Hand auf seinen Oberarm, versuchte mit der Berührung zu sagen, was ich mir niemals trauen würde auszusprechen. Sein Blick legte sich auf die Hand, folgte meinem Arm hinauf und schließlich sah er mich direkt an.
„Ich werde nicht mit deinem Vater reden, oder mit meinem deswegen! Ich…“, ich wollte ihm so gerne sagen, wie viel Angst mir seine Worte machten, wie sehr ich mir wünschte, dass er keine haben müsste, „Nur…“, wieder biss ich mir auf die Unterlippe, „Nur wenn du nicht mehr kannst zu Hause, wenn- Ich weiß auch nicht! - wenn einfach nichts mehr geht, kannst du herkommen. Immer!“ Er sagte dazu nichts. „Also, wirklich, egal…“
Fast wie in Zeitlupe hob er die Hand, und strich mir mit sanften Fingern über die Wange, bevor sie flüsterzart über mein Kinn glitten, meine Lippen streiften. Unwillkürlich stockte mir der Atem. Ich schluckte merklich und schauderte erneut, doch jetzt aus einem ganz anderen Grund.
Seine Finger waren warm und rau, und doch irgendwie ganz weich. Schließlich stoppte er in der Bewegung, sein Daumen schwebte über meinen rechten Mundwinkel.
Er berührte mich und berührte mich zu gleich nicht. Das Ganze machte mich wahnsinnig, das Blut rauschte in meinen Ohren, rauschte in meiner Körpermitte. Zittrig öffnete ich meinen Mund. Ich wusste selbst nicht, ob, oder eher, was ich sagen wollte. Auch Vins Lippen bewegten sich, seine Zungenspitze fuhr fast hypnotisch über seine Unterlippe.
Wie würde sie sich in meinem Mund anfühlen?
Er wollte etwas sagen, ich spürte die Worte in der Luft hängen, doch ihn verließ kein Ton, zaghaft lehnte er sich nach vorn.
Würde ich die Worte erraten können, wenn meine Lippen auf seine gepresst wären?
Ruckartig, so grob, wie zuvor sanft ließ er mich los, verschränkte die Hände im Schoß. Keuchend lachte er auf und sah auf seine Hände. „Spinnenbein versucht wirklich für jeden da zu sein!“, scherzte er.
„Ja…“; stimmte ich in sein Lachen noch atemloser mit ein. Ich hatte keine Ahnung, was da gerade passiert war, oder eher nicht passiert war!
„Vie… vielleicht sollten wir endlich schlafen?“, meinte ich nun und ließ enttäuscht die Hand an seinem Arm hinabgleiten. Was hatte ich auch erwartet?
Doch bevor ich mich ihm ganz entziehen konnte, den Körperkontakt endgültig beenden würde, griff er nach meiner Hand. „Schlaf klingt gut!“, sagte Vins entschieden. Ich hatte das Gefühl, dass er mit Absicht nicht unsere verschränkten Hände ansah.
Wir legten uns hin. Meine Hand wurde regelrecht heiß in seiner. Er drehte sich wieder auf den Rücken, ich auf die Seite, das Gesicht ihm zugewandt.
Seine Finger verschränkten sich fast wie von selbst mit meinen, und viel mutiger als ich mich eigentlich fühlte, rutschte ich näher an ihn heran. Ich legte meine freie Hand nun auf die Stelle, wo die andere zuvor gewesen war, und lehnte meine Stirn an seine Schulter, suchte und gab Halt zugleich.
Er seufzte, fast erleichtert, und drehte sich schließlich zu mir. Sein Arm legte sich um mich und ich ließ meine Hand von seinem Oberarm zu seinem Nacken wandern. Immer dichter krochen wir aufeinander zu und schließlich presste er seinen Kopf gegen meine Brust, fest umschlangen ihn meine Arme.
„Ich…“, er räusperte sich, seine Stimme klang anders, vielleicht besser, „Ist das okay, nur für heute?“ Als Antwort zog ich ihn noch näher an mich.
Ich wollte ihm so gerne sagen, dass es immer okay war, dass er sich an mich anlehnen konnte, wann immer er wollte, dass wenn er jemand brauchte, der ihn umarmte, ich da wäre- Doch ich sagte es nicht, ich sagte gar nichts. Was hätte es auch gebracht?
Ergebend und müde schloss ich die Augen und lauschte unsere immer ruhiger werdenden Atemzügen.
‘Don't you try and pretend
It's my feeling we'll win in the end
I won't harm you or touch your defenses
Vanity and security
Don't you, forget about me
Don't, don't, don't, don't
Don't you, forget about me
As you walk on by
Will you call my name?
As you walk on by
Will you call my name?
When you walk away‘~ Simple Minds, „Don’t You“(1985)
Als ich aufwachte, war das Erste, was ich bemerkte, dass irgendetwas verdammt gut roch. Und dann war mir warm, viel zu warm. Und mein Kopf schien in Watte gepackt, also Watte, die eigentlich Stahlwolle war und die Stahlwolle bestand aus Stacheldraht und im Allgemeinen wurden Köpfe überbewertet, den meiner tat so weh, dass ich keinen mehr haben wollte!
Ich war eindeutig noch nicht bereit, so richtig aufzuwachen, ich würde am liebsten nie wieder aufwachen, zumindest nicht, bis es Abendessen gab. Oh Fuck…
Es gab eindeutig einen Grund, warum man sich erst mit 21 so fühlen sollte, auch wenn mir der nicht einfiel, mir würde nie wieder was einfallen.
Ich stöhnte leise und versuchte mich tiefer ins Kissen zu graben. Nur mein Kissen war irgendwie nur sehr hart und irgendwie warm und… Seit wann hatten Kissen Herzschläge?
Oder war das eine Post- Tequila- Störung?
Wenn man Absinth trank, schnitt man sich Ohren ab und sah angeblich Tinkerbell, also hatte bei Tequila das Mobiliar plötzlich Puls? Ich war mir nicht sicher, wie ob ich meinem Kleiderschrank widersprechen könnte, wenn er meinte, ich wäre ohne meine Ohren besser dran. Ich hatte schon damals bei Ikea gedacht, dass er verschlagen ist…
Verwirrt, und mit dem schlimmsten rechnend, öffnete ich blinzelnd die Augen um meine Theorie bestätigt zu wissen und meine Mutter zu bitten, einen Krankenwagen zu rufen, bevor ich mir irgendwas abschnitt. Ich war zwar momentan nicht sehr klug, und ich bezweifelte, dass ich es jemals war oder wieder sein könnte. Aber ich war mir doch fast sicher alle meine Körperteile zu brauchen, auch wenn mir gerade nicht einfallen wollte für was.
Nur sehr verschwommen sehend, sah ich einem meiner weißen Shirts entgegen. Das Sonnenlicht reflektierte viel zu gemein davon ab. Ich blinzelte noch etwas mehr und fragte mich, warum zu Henker ich auf einem meiner Shirts lag? Das machte alles keinen Sinn…
Nur sehr langsam sickerte in mein PTS geschädigtes Hirn, dass jemand mein Shirt anhaben müsste. Aber wer und… Oh!
Plötzlich sickerte der gestrige Abend in mein Bewusstsein. Zäh wie Gummibärchen, die man in der Sonne hatte liegen lassen, tropfte er auf meine Logik, meine Wahrnehmung und schließlich auf mein Herz, das stockend anfing Marathon zu laufen.
Ich wusste wieder, wer da mein Shirt anhatte, also auf wessen Brust ich da lag und wessen Herzschlag ich lauschte.
Langsam, als würde es dadurch weniger peinlich werden können, sah ich auf. Vins seinerseits beobachtete mich anscheinend belustigt. Seine grünen Augen funkelten, nichts erinnerte an die Leere von gestern Nacht.
„Guten Morgen“, lächelte er mich mit dem schiefen Grinsen an, dass mich schon unter normalen Umständen zum Verzweifeln brachte.
Am liebsten hätte ich die Augen wieder zu gemacht, so getan als würde ich ihn nicht sehen, vielleicht sah er dann darüber hinweg, dass ich mich an ihn gekuschelt hatte, oder eher mich um ihn geschlungen hatte, wie ein Kranken, dann meine Beine lagen eindeutig zwischen seinen.
Seine dunklen Haare standen ihm wirr kreuz und quer ab, der Schlaf lag noch halb in seinem Blick und er hatte einen Arm lässig hinter den Kopf gelegt, auf dem anderen lag ich.
Zuckend erwachte bei diesem Anblick die Unterhälfte meines Körpers, die wirklich nie hilfreich war.
Hastig setzte ich mich auf. „Ich hab dich nicht angesabert, oder?“, war das Erste und unter den erschwerten Bedingungen nicht unbedingt dümmste, wenn auch ganz bestimmt nicht das Cleverste, das ich sagen konnte.
„Nein“, meinte er schlicht und streckte sich. „Gut! Also nicht das ich das machen wollte, oder es realistisch wäre, aber ich wollte nur nachfragen…“, plapperte ich drauflos und er gluckste. „Du bist noch nicht ganz wach, oder?“ „Vielleicht, ja…“, zuckte meine Gesicht eher Schlaganfall verdächtig als amüsiert, während ich versuchte dezent die Decke über meinen Schritt zu drapieren, dass er nicht bemerkte, dass ein anderes Körperteil definitiv wach war!
Er setzte sich nun ebenfalls auf, fuhr sich durch die Haare und ließ vorsichtig seine geschundene Schulter kreisen. Die Erinnerung an den Bluterguss, den er hatte, ließ erneut Wut in mir aufkochen. Doch wie auch gestern Abend, brachte die mir herzlich wenig.
„Ich werde langsam los, denke ich…“, holte er mich aus meinen Gedanken. „Oh, sicher?“, ich wusste nicht, was für eine Antwort ich erwartete, oder warum ich glaubte, dass Vins einfach für immer hierbleiben könnte, doch- irgendwie war es nicht richtig, dass er ging. So gar nicht! Vor allem so schnell…
„Ja“, sagte Vins entschieden und eindeutig nicht bereit unser Gespräch von gestern Nacht im hellen fortzusetzen. Kurz schossen die Erinnerungen wieder ein, wie Vins- mein Unterleib zuckt kläglich! -, also wie er fast oder nicht… Gott, das Ganze wäre ohne Kater schon Kopfzerschmetternd genug! Was war gestern eigentlich passiert?
„Du kriegst keinen Ärger, weil du die Nacht nicht zu Hause warst, oder? Also wenn nicht schreib mir Mom einen Zettel oder so, also…“, mit einem nicht zu definierenden Blick, brachte er mich zum Schweigen. „Ich hab seit Jahren das Wochenende nicht zu Hause verbracht.“ „Oh!“
Vins stand auf, stieg in seine Jeans und dann in seine Boots. Völlig überrumpelt von seiner Hektik saß ich immer noch auf meinem Bett und war weitentfernt von Lebenstauglichkeit. Als er in seine Lederjacke schlüpfte und kurz checkte, ob seine Kippen, sowie sein Handy da waren, beschlich mich plötzlich das Gefühl, dass er floh. Das er einfach nur noch schnell von mir wegwollte.
Ich kramte ebenfalls nach meinem Handy, es war kurz nach halb Neun. „Du kannst, wenn du willst, was frühstücken oder du nimmst Reste mit. Mom macht echt gute Pancakes, also…“ „Ich bin verabredete!“, würgte er mich erneut ab. „Oh“, konnte ich schon wieder als Einziges erwidern, „Mit… mit Kim?“ „Nein“, geistesabwesend tippte er auf seinem Handy herum und ging zu meiner Zimmertür. „Ich… Ich bring dich zur Tür, also…“, eilig entwirrte ich mich aus der Decke, seine unerwartete Kälte hatte meine Morgenlatte verschwinden lassen. Wenigstens ein Gutes, versuchte ich, mir einzureden.
„Schon okay, ich finde alleine raus.“ „Ich bring dich zur Tür!“, ließ ich mich nicht abbringen und zog mein Shirt zurecht, um etwas Würde zu behalten, „Ich will nicht, dass du dich verläufst oder Nathalie dich wegfängt!“ Er schmunzelte leicht, sah mich jedoch nicht an.
Zügig gingen wir gemeinsam die Treppe runter. „Bist du dir sicher, dass du nichts essen willst? Ein kalter Hotdog oder so?“ „Ehrlich gesagt, bin ich spät dran. Ich wollte dich nicht wecken, ansonsten wäre ich schon vor ‘ner Stunde gegangen…“, er zuckte mit den Schultern. „Sorry. Du… Also, du hättest mich natürlich wach machen können, oder einfach zur Seite schubsen, ich war wahrscheinlich wie im Koma, also…“
„Schon okay!“ Wir standen vor der Eingangstür, ich wollte aufschließen, doch ein ungutes Gefühl, dass nichts mit falschen Entscheidungen und Tequila am Abend zuvorzutun hatte, machte sich breit.
„Oscar!“, Vins wackelte ungeduldig mit den Beinen, „Ich muss echt los, also…“ „Mit wem triffst du dich?“, fragte ich, den Haustürschlüssel fest in der Hand. „Was?“ „Mit wem bist du verabredet?“, fragte ich erneut. „Warum willst du das wissen?“ Sah Vins mir mit Absicht nicht in die Augen?
„Warum beantwortest du meine Frage nicht?“, ich versuchte, seine Miene zu deuten, doch er wirkte soweit weg, wie er gestern Nacht nah war. Es puckerte an meiner Schläfe schmerzhaft.
„Ich… Was interessiert dich das?“ „Ich hab einfach nur gefragt, mit wem du dich an ‘nem Sonntagmorgen vor um Neun so dringend treffen musst!“ „Das ist doch meine Sache, wann ich mich mit wem treffe!“ „Ja natürlich ist das deine Sache!“, ich verdrehte die Augen.
Was zum Henker war sein Problem?
„Ich hab einfach nur gefragt, mit wem du dich triffst! Ich versteh nicht, warum du darauf nicht einfach antwortest?“ „Weil es dich ‘nen Scheiß angeht?“, er wurde wütend, seine Worte trafen mich wie Schüsse, „Außerdem, seit wann muss ich vor dir rechtfertigen, was ich tue?“
Ich schloss rum und stieß die Haustür auf.
„Das musst du nicht! Bis morgen!“, sagte ich und drehte mich von ihm weg. Am liebsten hätte ich die Arme um meinen Oberkörper geschlungen, am liebsten hätte ich ihm welche verpasst! Er hatte noch nicht mal gezielt und trotzdem getroffen…
„Bist du jetzt etwa sauer?“, er lachte in dieser arroganten Art und Weise, die Kim sonst abbekam, die einem suggerierte, dass man dumm war.
„Was ist dein Scheiß Problem?“, kochte ich nun meinerseits über, „Ich stell dir ‘ne einfach Frage und du machst mich dumm? Kim lässt vielleicht so mit sich reden, aber ich nicht!“ „Was?“, Vins Augen blitzten gefährlich, doch der Restalkohol und das Gefühl der Zurückweisung ließen mich diesmal nicht kleinbeigeben.
„Du erzählst mir gestern Nacht, was bei dir abgeht- Mehr oder weniger! Und jetzt haust du kurz nach dem ersten Peng ab, als wärst du auf der Flucht…“ „Ich flüchte nicht!“, Vins machte bedrohlich einen Schritt auf mich zu, „Ich laufe nicht weg! Vor nichts und niemanden!“
„Und ob du das tust!“, lachte ich auf, „Du läufst gerade vor mir weg und dieser Auseinandersetzung, genau wie du es immer bei Kim machst! Bloß keine Gefühle zeigen! Das ist ja sogar nicht Junge! Anstatt zu reden, wirst du aggressiv und beleidigend und abwertend! Das ist feige! Dein hartes Getue ist nichts weiter als…“, doch weiter kam ich nicht, den Vins schubste mich mit voller Wucht gegen die Wand im Flur.
Keuchend atmete ich aus, während er mich am Kragen packte und zu sich ran zog. „Nenn mich nie wieder Feige!“, zischte er.
Seine Augen verschossen Blitze, sein Kiefer malte vor unterdrückten Zorn. „Warum läufst du dann vor mir weg?“, fragte ich und wollte alles, aber nur keine Angst vor ihm haben, wollte kein erschrockenes Zittern in meiner Stimme. Haltsuchend krallte ich mich an den Ärmeln seiner Lederjacke fest, und sah starr in seine grünen Augen.
Das war immer noch Vins, das war noch immer der Typ, in den ich mich verschossen hatte! Der Typ, der gestern Nacht in meinen Armen geweint hatte, der mein Auto gerettet hatte, der mich im Flur gegen seine Möchtegern- Freunde verteidigt hatte… Der Typ, für den ich alles tun würde!
Beruhigend atmete ich ein und aus. Ich würde nicht zu lassen, dass ein wütender Augenblick ruinierte, was ich mir mühsam zusammen gepuzzelt hatte!
„Ich…“, setzte er an, schloss dann jedoch seufzend die Augen und lockerte seinen Griff. Unsicher erwiderten seine grünen Augen meinen Blick. „Ich lauf nicht weg!“, er ließ seine eine Hand sinken und fuhr mit der anderen entschuldigend über den Kragen meines Shirts, wollte ihn glätten. Dabei streifte er die empfindliche Haut meines Halses. Ich musste daran denken, wie seine Finger über meine Wange gestreift waren, wie er mich berührt hatte und auch wieder nicht.
„Ich lauf nicht vor dir weg! Ich…“, doch er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. „Wenn du mir nicht sagen willst, mit wem du dich triffst, ist das natürlich dein gutes Recht, aber ich…“, unschlüssig suchte ich nach Worten, „Ich bin noch nicht ganz nüchtern und meine Spinnenbeinsensoren laufen dann Amok! Ich mach mir einfach sorgen, das müsste doch jetzt selbst auf den billigen Plätzen deiner Synapsen angekommen sein!“
Ich versuchte, sehr angestrengt nicht auf seine Hand zu achten, die noch immer an meinem Hals lag. Ich versuchte, die kleinen Stromstöße, die seine Berührung durch meinen Körper jagte zu ignorieren.
„…“, er räusperte sich und trat einen Schritt zurück, „Ich treffe mich mit Freunden!“ „Mit Freunden?“, wiederholte ich natürlich nicht überzeugt.
Sofort dachte ich an die Unterhaltung von ihm und Kim, wo er gemeint hatte, dass er eigentlich keine Freunde habe.
Hatte er sie angelogen? Log er mich an? Warum sollte er lügen? Warum sollte er die Wahrheit sagen?
„Ja, mit Freunden!“ „Okay.“ „Du glaubst mir nicht!“, er verschränkte die Arme vor der Brust. „Doch, doch… Ich wusste nur nicht, dass du Mitglied im Breakfast- Club bist!“ „Was für ein Club?“ „Breakfast- Club?“, wiederholte ich ungläubig, „Du kennst den Breakfast- Club nicht? Ein Schlauberger, ein Rebell, eine Schönheit…“
Vins sah mich immer noch völlig verständnislos an, „Don't You Forget About Me? Simple Minds?“, er schien immer noch nicht zu wissen, was ich von ihm wollte.
„Will you call my name? As you walk on by. Will you call my name? When you walk away.“, sang ich halb schief, halb entsetzt über sein Unwissen, „Das ist der Kultfilm der 80iger Jahre?“ „Wenn du das sagst…“
„Wie kann man das nicht kennen?“, verdrehte ich die Augen, „Judd Nelson, spielt die Rolle seines Lebens!“ „Anscheinend, den ich hab noch nie was von dem gehört!“, Vins zuckte unbestimmt mit den Schultern.
„Warum bin ich überhaupt mit dir befreundet?“, schüttelte ich den Kopf. „Weil ich toll bin!“, war Vins Antwort. „Das war rhetorisch!“ „Also wusstest du die Antwort!“, grinste er nun sein schmales Lächeln.
„Du triffst dich also mit Freunden!“, kam ich nun wieder zum wesentlichen zurück, vor allem um zu verbergen, dass ich rot wurde. „Ja!“, sagte er, er schien nicht ganz sicher, ob er das Grinsen im Gesicht behalten sollte.
„Wir wollten uns eigentlich schon gestern Abend treffen. Ich wollte noch kurz bei ihnen nach deiner Feier vorbeischauen, aber dann bin ich ja eingeschlafen. Deshalb treffe ich sie jetzt.“ „Zum Frühstück?“, fragte ich spitzfindig. „Geht’s darum in dem Film?“, fragte er zurück.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du noch verabredet bist, hätte ich dich geweckt!“, zuckte nun ich mit Schultern. „So meinte ich das nicht!“, knurrte er. „Ich auch nicht, also…“, unentschlossen bis ich mir auf die Unterlippe, diese ganze Unterhaltung, Situation, war völlig merkwürdig, „Also dann… Kann ich deine Freunde kennenlernen?“ „Was?“, völlig perplex sah er mich an.
„Naja, wenn du wegen mir deine Freunde versetzt hast, kann ich sie ja kennenlernen, und mich entschuldigen und ‘ne Pizza ausgeben oder so…“ „Ist das dein ernst?“ „Ja, warum nicht? Du kennst ja auch alle meine… Alle Freunde von Kim! Und mir… Also warum nicht?“
Kurz musste ich mir selbst in Erinnerung rufen, dass er Kims Freund war, und ich war nur ein Freund von Kim.
„Okay, also…“ „Oder, gibt’s ‘nen Grund, warum ich sie nicht kennenlernen sollte?“, tat ich ganz unschuldig und verschränkte erneut die Arme vor der Brust. „Nein, also Ja! Wie wäre es mit Mittwoch?“
„Da hab ich Training, aber danach hätte ich Zeit!“, nickte ich unbedarft vor mir her. „Okay!“, sagte er. „Okay!“, wiederholte ich. „Okay…“ er schien ungewohnt unsicher, „Also, sehen wir uns morgen in der Schule!“ „O… Genau!“, versuchte ich, nicht noch mal „Okay“ zu sagen.
Kurz sahen wir uns. Ich wusste nicht, wie ich mich von ihm verabschieden sollte. Schließlich boxte mich Vins leicht gegen die Schulter und lief dann die Auffahrt lang hoch. „Wir sehen uns, Spinnenbein!“
„Vins!“, rief ich ihm hinterher, verwundert drehte er sich um, „Guck den Film! Du bist genau wie John Bender!“ Er lachte und rief laut zurück: „Ist der den heiß?“
„Ich will nicht mehr mit dir befreundet sein!“, verdrehte ich die Augen und er zeigte mir den Mittelfinger und lief dann zügig die Straße lang hoch.
Ich sah ihm noch einen Augenblick nach und ging dann wieder rein.
Mein Kopf dröhnte, mein Rücken schmerzte, wahrscheinlich würde er blau werden von dem Stoß.
Hatte ich wirklich Angst vor ihm gehabt? War das bei Kim auch mal vorgekommen?
Vins hatte zum ersten Mal die Beherrschung bei mir verloren, aber ich war auch nicht sonderlich nett zu ihm gewesen. Natürlich fand ich ihn nicht feige, aber Vins wich tatsächlich jedem Gespräch, sobald es in die Tiefe ging, aus.
Ich ging wieder in mein Zimmer und überlegte mich wiederhinzulegen oder duschen zu gehen oder mir einfach beide Ohren abzuschneiden. Als ich unschlüssig in meinem Zimmer stand sah ich plötzlich Vins schwarzen Pullover. Er hatte noch immer mein Shirt an.
Ich hob den Pulli auf und roch kurz daran. Sein Duft lullte mich ein. Seufzend ließ ich mich samt Pulli auf mein Bett fallen, auch meine Decke, mein Kissen, roch nach ihm. Er war hier und auch wieder nicht.
Was waren wir eigentlich? Was war das gestern? Waren wir noch Freunde? War das freundschaftlich gewesen?
Ich wusste, dass ich mehr wollte, aber was war das mit Vins? Was zum Fick bedeutete sein Benehmen?
Wusste er einfach nicht, wie man mit Freunden normal umging? Und was war mit Kim? Hatte er so fluchtartig reagiert, weil ihm wieder eingefallen, war, dass ich nicht seine Freundin war? Das er noch eine hatte? Mit der er aber keinen Sex hatte… Momentan!
Was sollte ich Kim sagen, wie die Nacht war?
Nach dem dein Freund einen Albtraum und einen Nervenzusammenbruch hatte und wir dann ineinander verschlungen in meinem Bett eingeschlafen waren, war es ein netter Abend!
Am Arsch…
Wie konnte ich das alles überhaupt meiner besten Freundin antun? Anderseits, war ja nichts gewesen, irgendwie… Und doch war so viel, irgendwie… Ach Verdammt!
Ich seufzte erneut.
Mein Handy vibrierte und fast erwartete ich eine Nachricht von Vins, oder als Strafe des Universums eine von Kim.
Doch es war Alex, der wissen wollte, wie mein Geburtstag gewesen war und ob ich gut geschlafen hatte.
Vielleicht sollte ich mir nicht die Ohren ab, sondern einfach das Herz rausschneiden.
‘Some boys get too much, too much love, too much touch
Some boys starve themselves
Stand in the mirror and wait for the feedback
Creature comfort makes it painless
Bury me penniless and nameless
Born in a diamond mine
It's all around you but you can't see it
Born in a diamond mine
It's all around you but you can't touch it‘~ Arcade Fire, „Creature Comfort“ (2017)
Kurz nach halb Acht am Montagmorgen stand ich vor Kims Haustür und schrieb ihr schlecht gelaunt, dass sie ihren Hintern raus bewegen sollte. Aufstehen war einfach nicht meins und am Montagen noch weniger. Das änderte auch nicht mein Schätzchen, mit der ich jetzt zur Schule endlich fahren konnte, wenn ich zu gegebener Maßen doch definitiv weniger missmutiger war als sonst.
Eine gefühlte Ewigkeit später, zwei Minuten, kam Kim schließlich nach draußen und grinste mir zu, ich verzog nur das Gesicht.
„Hallo Sonnenschein!“, begrüßte sie mich, als sie endlich auf dem Beifahrersitz saß und sich anschnallte. „Mah“, war meine Antwort, sie lachte. „Ich schreib Bob, das wir gleich da sind!“, sagte sie nun und ich stellte demonstrativ die Musik meines Radios lauter.
„Born in a diamond mine. It's all around you, but you can't touch it.“
Sie lächelte milde und tippte auf ihrem Handy rum. „Wie lange war Vins gestern eigentlich noch bei dir?“, fragte sie mich viel zu betont beiläufig und ich schaltete etwas zu grob in den höheren Gang.
„Warum fragst du?“ „Nur so…“, meinte Kim, immer noch in ihr Handy vertieft, „Er hat ziemlich spät auf meine Nachricht geantwortet.“ „Ja, naja, ich hab ganz schön gekatert, keine Ahnung also, wenn ich ehrlich bin!“, wich ich der Frage aus und sie nickte vor sich hin. „War es spät?“ „Was heißt für dich spät?“, wich ich wieder aus, „Es war wieder hell und das schon ‘ne Weile…“
Einen kurzen Augenblick sah sie mich an, ich sah an der Art und Weise, wie sie den Unterkiefer bewegte, dass sie gerne etwas weniger Nettes sagen wollte, doch plötzlich meinte sie: „Das mit Leonie und Glen hast du gesehen?“
Ihr abrupter Themenwechsel hatte Schleudertraumapotenzial.
„Ja, ich hab die frohe Kunde schon erfahren!“, verdrehte ich die Augen. Glen und Leonie waren anscheinend nun zusammen, wie das halt so geht nach einer durchknutschten Partynacht und einem Tag chatten.
Ich war erleichtert über den Themenwechsel, wenn auch irritiert. Kim hatte mir gestern nicht mehr geschrieben, und auch jetzt ihre Nachfrage zu Vins und meiner unfreiwilligen Pyjamaparty war eher desinteressiert. Gespielt desinteressiert. Hatten die beiden sich gestritten, oder war Kim so betont nicht interessiert, wegen ihrem und Vins Gespräch. Sollte ich mehr sagen? Hätte ich ihr schreiben sollen?
„Glaubst du, dein Cousin meint es ernst?“, fragte sie nun in meine wirren Gedanken und ich schnaufte überfordert. „Woher soll ich das den wissen?“
„Naja, du kennst ihn doch- Also länger! Ihr teilt DNA. Wie war er in der Beziehung davor?“ „Kim…“, stöhnte ich, doch sie kannte kein Mitleid und geschlagen analysierte ich mit ihr die Gefühlswelt Glens.
Ich war mir ziemlich sicher, dass sie alles Leonie weitergab und ich haargenau dieses Gespräch nichtsdestotrotz noch mal mit dieser führen würde. Weiber waren in der Hinsicht irre!
Kurz schweifte ich zu meinem irgendwie Kuscheln und halb Kuss und halb Prügelei mit Vins, der der feste Freund meiner besten Freundin war und stellte fest, dass ich mich nicht weniger irre verhielt. Verdammt!
Wahrscheinlich machte es einen einfach irre, wenn man auf Typen stand, weil wir dumm waren!
Fünf Minuten später waren wir bei Bob. „Was geht, Bro?“, begrüßte er mich wie üblich, als er einstieg und wank Kim dann gechillt zu.
„Wie fandst du das Ganze mit Leonie und Glen?“, quetschte Kim nun ein frisches Opfer aus. „Wem?“, fragte Bob ganz typisch.
Mich würde ja eher interessieren, was er zu Ruth sagte, aber Kim schien das nicht auf dem Schirm zu haben, oder es im Suff vergessen zu haben, oder hielt sich die Krönung ihrer Folter für schlechte Zeiten auf.
Bob stammelte sich nach Kims ungehaltener Zusammenfassung der Geschehnisse eine Antwort zu Recht und schließlich parkte ich ein.
Ihre Laune schien immer schlechter zu werden. Ein paar Typen vom Footballteam begutachteten meine Wagen und nickten mir anerkennend zu, was meine Laune etwas steigerte. Mein Auto war toll. Doch Kims eisiger Blick ließ mich ahnen, dass dieser Tag noch mit einem Knall Enden würde.
Zu dritt liefen wir zum Eingang, vor dem Leonie und Ruth bereits auf uns warteten.
Leonie drückte mich viel zu breit grinsend an sich und meinte in hoher Klein-Mädchen-Stimme: „Danke, Danke, Danke!“
„Was?“, würgte ich hervor unter ihrem gekonnten Todesgriff. „Das du mir Gleniiii vorgestellt hast!“, sagte sie und seufzte verliebt. Oh weh!
„Gleniii“, formte ich stumm mit den Lippen über Leonie hinweg und sah zu ihrer Zwillingsschwester, die gerade Kim begrüßte. Ruth nickte und tat dann sehr leidgeprüft so, als würde sie sich den Kopf wegschießen.
„Er ist so wundervoll, er ist so…“, säuselte mich Leonie nun voll und hängte sich an meinen Arm, Kim ganz im beste Freundinnenmodus daneben. Mit einem kurzen Blick über die Schulter sah ich, wie Ruth und Bob sich zur Begrüßung sehr untypisch umarmten. Ich versuchte, ihn fragend anzusehen, doch Leonie zerrte mich bereits ins Innere der Schule.
Natürlich stellte mir Leonie nun hundert verschiedene Fragen zu meinem Cousin, die mir einerseits Kim schon gestellt hat und die ich anderseits nicht beantworten konnte oder erst gar nicht wollte.
Das schien Leonie aber leider nicht zu stören, also erzählte sie mir, wie toll er wäre, was irgendwie sehr merkwürdig war, weil ich nicht wissen wollte, wie sanft ein Familienmitglied von mir beim Küssen war. Üäh.
Als wir bei meinem Schließfach ankamen, sah ich mich unverhohlen um, in der Hoffnung Vins irgendwo zu sehen.
Ich hatte mir gestern nach unserer Auseinandersetzung verkniffen mich bei ihm zu melden und er hatte auch nicht von sich aus geschrieben. Im Gegensatz zu Alex, dem ich immer noch nicht wegen Freitag reinen Wein eingeschenkt hatte. Obwohl ich mir nicht sicher war, ob das angebliche Freitagsdate mit Vins noch stand, da ich ja mein Auto bekommen hatte, vielleicht gehörte das mit zum Verwirrungsplan.
Ich packte meine Bücher um und versuchte, Leonies geblubber zu einem Hintergrundsummen verkommen zu lassen, was nicht wirklich klappte. Kim hing schon wieder an ihrem Handy. Schon an ihrer Nasenspitze erkannte ich, dass sie eine Auseinandersetzung hatte, wer auch immer auf der anderen Seite da mit ihr Stritt. Obwohl, ich hatte eine Vermutung…
„Wo ist eigentlich Vins?“, fragte Bob, was ich mich nicht getraut hatte, doch er sah nicht Kim, sondern mich an. Scheiße.
„Keine Ahnung“, zuckte ich mit den Schultern und tat ganz lässig und üblich morgenmuffelig und überhaupt nicht interessiert und sah zu Kim. „Ist mir egal!“, sagte diese jedoch und steckte ihr Handy weg und wand sich wieder Leonie zu.
Bob zog die Brauen hoch und sah mich entschieden verwirrt an. Doch ich hatte genau so wenig Plan, was gerade abging.
„Ist alles okay bei…?“ „Sag du es mir!?“, fauchte Kim mich so überraschend an, dass selbst Leonie aus ihrem Monolog über Glen gerissen wurde.
Wie eine Abrissbirne traf mich ihr Blick, und das schlechte Gewissen, das ich sowieso immer hatte, kralle sich in meine Eingeweide, riss sie auseinander.
„Wie… wie meinst du…“ „Na ja, ihr seid doch neue beste Freunde, also sag du es mir!“, sie verschränkte die Arme vor der Brust und plötzlich fühlten sich ihr schönen blauen Augen mit Tränen. „Hey“, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte, berührte ich sie leicht am Arm. Die Tränen niederkämpfend, sah sie zur Decke.
„Wir müssen auch noch zum Schließfach!“, sagte Ruth sehr diskret und zerrte Leonie, die eindeutig auf Drama aus war mit sich, Bob verzog mitleidig das Gesicht und lief den beiden hinterher.
„Wann ist Vins gestern bei dir los?“, fragte sie nun erneut, „Und komm mir jetzt nicht noch mal mit, es war hell!“ „Kurz nach halb neun.“, antwortete ich leise, „Am Morgen.“ Ich wusste, dass die gesamte Schule uns ansah und wer nah genug dran war, versuchte zuzuhören. Becky Fisher hatte wahrscheinlich einen Schlaganfall, wenn sie hier von erfuhr.
Sie nickte, lächelte gequält und wischte eine Träne zittrig weg.
„Kim! Was?“ „Betrügt er mich?“ „Was?!“, das schlechte Gewissen schlug die Zähne in mein Herz. „Wie…“ „Betrügt er mich?!“, Kim wischte noch eine Träne weg. „Nein, also… Was?“
Meinte sie mich, also… Nein quatscht, das konnte sie nicht, also… Zwischen uns war nichts, gar nichts! Außer das Vins jemand gebraucht hatte, der ihn in den Arm nimmt. Das war kein Betrügen, aber… War es das, warum er mir nicht gesagt hatte, wo er hinwollte? Gab es eine Neue in seinem Leben? Das… Nein. Ich…
„Ich will, dass du ehrlich zu mir bist! Ich weiß, dass du ihn lieber magst als mich, aber deck ihn jetzt nicht! Also- hat er eine andere?“
„Ich…“, entschieden trat ich einen Schritt näher an sie ran, um leiser sprechen zu können, „Kim, DU bist meine beste Freundin! Denkst du wirklich, ich würde decken, wenn er eine andere hätte? Oder dass er sich trauen würde mir DAS zu sagen?“
Ich war vielleicht ein verliebter Vollidiot und ja, ich hatte gewollt, dass wir uns küssen, dass es irgendwie mehr wird, aber ich hatte niemals gewollt,- niemals! -, Dass Kim wehgetan wird!
Ich wollte Kim nicht wehtun, ich könnte es gar nicht. In meinen Fantasien hatten beide eingesehen, dass sie nicht zusammenpassten, waren dann Freunde. Und nicht, dass er Kim für mich bescheißen würde, dass ich Kim beschiss!
Außerdem würde ich ihm tatsächlich welche verpassen, wenn er mir erklären würde, er würde eine andere als Kim bumsen…
Sie schluchzte leise. „Wie kommst du darauf?“, fragte ich sie nun und sie presste die Lippen fest zusammen und wischte sich unwirsch übers Gesicht.
„Wir haben keinen Sex mehr!“, flüsterte sie und ich strafte mich leicht. „Ich hab das Gefühl, er will nicht, dass ich ihn anfasse, und er fest mich auch nicht an und…“, sie sah wieder zur Decke, „Ich hab das Gefühl, wir sind nur noch zusammen, weil ihr beide dann befreundet sein könnt!“
Ich schluckte.
„Ich… Ich glaub, du steigerst dich da in was rein!“, meinte ich und versuchte, nicht wie angeschossen zu klingen, „Und Vins und du, ihr lasst doch kaum die Finger von einander!“
„Er fest dich genauso oft an, wie mich! Es tut mir leid, ich…“, Kim sah mich nun direkt an, „Ich wollte ja, dass ihr euch anfreundet! Und ich war total begeistert, dass er sich dir so offen zeigte und am Anfang dachte ich auch, dein guter Einfluss, ist gut für ihn und für unsere Beziehung… Und…“, sie sah jetzt auf meine Schulter, „Und ich dachte, du könntest bei Vins deinen Helferkomplex ein bisschen ausleben, du warst so merkwürdig drauf nach dem ganzen mit Miguel, also…“, sie biss sich auf die Unterlippe, „Sei nicht sauer! Bitte! Ich bin doof, aber ich hab das Gefühl, ihr versteht euch besser als Vins und ich jemals haben und er vertraut dir und… Gott, ich bin so dumm, aber… Ich kann dieses Gefühl einfach nicht beschreiben, wenn du eine Tussi wärst, wüsste ich, ihr hättet was am Laufen aber so…“
Sie raufte sich die Haare und ich sah sie völlig perplex an. „Wenn ich eine Tussi wäre,“ wiederholte ich in meinem Kopf. Wenn ich…
„Ich hab oft überhaupt keine Ahnung, wo er ist und er sagt auch nicht, wo er dann war oder was er gemacht hat und er hängt oft ganz untypisch am Handy und wenn ich dann frage, mit wem er schreibt, meint er, es geht mich nichts an. Und gestern hab ich ihm sieben Mal geschrieben, und er hat mir dann gestern Abend um 10 geantwortet. Er war angeblich so lange bei dir und sein Akku war alle. Und du sagst, dass er morgens gegangen ist. Warum lügt er mich an… Ich habe das Gefühl, wenn du nicht mein bester Freund wärst, hätte er mich längst abgeschossen!“
„Hast du mit ihm darüber geredet?“, fragte ich sie nun, „Und ich meine richtig vernünftig geredet, ohne dass ihr euch gegenseitig belöffelt?“
Ihre Worte lösten eine merkwürdige Flut an Gefühlen an mir aus, die ich einfach nicht ordnen wollte. Noch immer war ich entsetzt, wie sehr man mir meine Schwärmerei anmerken müsste, wenn Kim meinte, dass wen ich eine Vagina hätte, hätten Vins und ich was am Laufen. Anderseits tat es Scheiße weh, dass nur wenn ich eben kein Junge wäre, es eine Chance gäbe, dass wir mehr als eine merkwürdige Freundschaft hätten.
„Ich habs versucht, ich…“, sie verschränkte wieder die Arme vor der Brust, „An deinem Geburtstag! Ich weiß nicht das richtige Timing, aber er hat eh abgeblockt und dann wurde ich wütend und er hat gesagt, ich stelle mich lächerlich an. Er hat ja auch recht, ich bin eifersüchtig auf meinen besten Freund… Oder auf ihn, weil er so gut mit meinem besten Freund kann, ich also ...“, sie seufzte, „Ich glaub, deswegen hat er das mit eurem Flaschendrehen fast Geküsse gemacht, weil er mir damit ‘ne Schelle verpassen wollte.“ „Ah“, sagte ich und hätte jetzt am liebsten selber angefangen zu heulen.
Warum hätte er das auch sonst machen sollen?
„Was ich nicht ganz verstehe…“, setzte ich jetzt an, „Warum hast du mich den dann gefragt, ob er bei mir pennt? Du hast mich gefragt, ob er bleiben kann, also…“ „Ich weiß!“, sie warf die Arme hoch, „An dem Abend kam's mir wie ‘ne super Idee vor! Ich dachte, ich beweise ihm, dass mir das doch nichts ausmacht, aber dann war es irgendwie doch ‘ne dumme Idee… Außerdem dachte ich, wenn er bei dir ist, weiß ich wenigstens wo er ist, und dass er nicht bei irgendeiner Schlampe in den Armen die Nacht verbringt!“
Am liebsten hätte ich gesagt, dass er in meinen Armen die Nacht gelegen hatte, doch das war jetzt nicht hilfreich.
„Es tut mir leid, dass ich dich so anpöble, und so Psycho bin und du zwischen die Fronten kommst, aber- Ich liebe ihn, und ich weiß, dass er mich nicht liebt!“, sie lachte trocken auf, sie hatte keine Tränen für dieses Gefühl übrig, „Zumindest nicht so, wie ich ihn liebe!“
Es klingelte zum Unterricht.
„Ihr müsst noch mal miteinander reden, und er betrügt dich nicht, das kann ich mir nicht vorstellen, dass… Nein!“, sagte ich nun abschließend.
Sie nickte schwach und drückte mich. „Danke!“, flüsterte sie und ging dann davon. Seufzend ging ich zu meinem Unterricht.
Liebte Vins Kim? Warum hatte er sie angelogen? Warum sagte er ihr nicht, was Sache war? Warum wusste ich mehr als Kim, warum konnte ich mich nicht zusammenreißen? Warum musste ich so peinlich verliebt sein, dass man es merkte…
Ich kam in den Klassenraum und Vins saß bereits weiter hinten und lächelte mir mit diesem verdammt wunderschönen schmalen Lächeln entgegen.
Was sollte ich nur zu ihm sagen?
Er zog den Stuhl neben sich zur Seite und ich ließ mich, meinem Schicksal ergebend, denn ich war wie vorhin schon festgestellt ein Idiot, neben ihm nieder.
„Morgen!“, sagte er recht gut gelaunt und fuhr sich durch die Haare, in dem spärlichen Licht der Neonröhren über uns wirkten sie schwarz. „Hey…“, meinte ich gähnend. Ich war ehrlich gesagt erstaunt. Ich hatte gedacht, er wäre mega pissig, wo er doch eine Auseinandersetzung mit Kim hatte.
„Ausgekatert?“, fragte er mich nun und begann mit dem Reißverschluss meiner Federtasche zu spielen, als ich meine Sachen auspackte. „Geht so.“, gestand ich ehrlich und kramte dann meine Hausaufgaben hervor. Vins schien keine gemacht zu haben.
„Ich musste mich gerade mit den Nachwirkungen meines Geburtstags auseinandersetzen.“, informierte ich ihn, er zog nur schlicht eine Braue hoch. „Ist was mit dem Impala?“
„Nein. Oh Gott, nein! Er schnurrt wie ein Kätzchen. Nein.“, ich gluckste, „Ich meinte damit, dass Leonie jetzt mit Glen zusammen ist.“ „Deinem Cousin?“, er schien nicht überrascht. „Jup, und Bob und Ruth haben sich mit ‘ner Umarmung begrüßt!“, erläuterte ich weiter. „Also läuft da echt was? Und was ist hier mit dem Typen, mit dem du mit in der Staffel bist und der aus deinem Informatikklub, Lisa?“ „Ich weiß nicht, ob da was läuft, ich werde Bob fragen. Wahrscheinlich hat er das noch gar nicht gecheckt!“
Durch Bobs allgegenwärtigen Pessimismus raffte er oft nicht, dass ihn wer anmachte.
„Und ich hoffe das Henry und Lisa jetzt zusammen sind! Ach so, und eine Pärchen Konstellation hast du noch vergessen…“, flüsterte ich nun, da der Unterricht begonnen hatte. Er runzelte die Stirn. „Meinst du Ian und Kim?“
„Ich meine uns!“, er blinzelte mich überrumpelt an, „Ja, war mir auch neu!“, fügte ich hinzu. Ich wusste gar nicht, woher ich den Mut nahm, den ich gerade hatte.
„Kim hat gerade mit mir geredet. Im Flur.“, ich linste zu ihm rüber, Vins Miene war ausdruckslos.
„Sie denkt, du betrügst sie.“, flüsterte ich weiter, „Ich meinte, dass das Bullshit ist, aber sie ist…“ „Sie ist eifersüchtig, weil wir befreundet sind, aber das war ihre kack Idee, also…“, Vins hatte ziemliche Schwierigkeiten seine Stimme leise zu halten. „Ich weiß, nur warum hast du sie angelogen, was du gestern gemacht hast? Wenn ich gewusst hätte, dass du ihr ‘ne andere Version erzählt hättest, dann…“ „Hättest du sie angelogen?“, spottete er halb, schien aber auch erstaunt. „Ich hätte dich auf jeden Fall nicht ins Messer laufen lassen!“, sagte ich entschieden.
Sein Blick wurde seltsam, nachdenklich. „Was hat sie sonst noch so gesagt?“
„Na ja, dass sie halt selber weiß, dass sie sich komisch verhält und halt Angst hat, dass ich dich lieber mag, wie sie und dass sie denkt, dass du nur noch mit ihr zusammen bist, wegen mir…“, ich war beim Reden immer leiser geworden, „Sie ist einfach verunsichert!“ „Wegen dir?“, fragte er nach. „Weil ich und sie beste Freunde sind, und… Keine Ahnung!“, ich seufzte und machte mir ziemlich schwammige Notizen. „Redet miteinander, ich will kein Scheidungskind werden!“, griff ich den Witz von vor ein paar Wochen auf.
„Wären wir noch Freunde, wenn ich mich von Kim trenne?“, ging er nicht auf meinen Witz ein und ich erstarrte in der Bewegung. „Willst du dich von ihr trennen?“, fragte ich zurück und versuchte dieses merkwürdige glimmen in seinen grünen Augen zu entziffern. „Nein, also…“, er fuhr sich erneut durch die Haare, „Du hast nicht auf meine Frage geantwortet.“
„Wenn du sie bescheißen würdest, dann… Weiß ich nicht, was ich machen würde! Wenn du oder ihr oder sie… Wenn ihr einfach die Entscheidung trefft, dass es nicht geht, dann ist das eure Sache und klar, wären wir noch Freunde. Dann feiere ich halt zweimal Weihnachten!“
Er schmunzelte und sah dann nachdenklich nach vorne. „Denkst du darüber nach, dich von ihr…“, setzte ich wieder an. Er schüttelte leicht den Kopf, meinte dann aber. „Ich weiß nicht, ich weiß nicht ob ich ehrlich…“, er stockte beim Reden. „Ob du ehrlich sein kannst?“, half ich nach, doch er schüttelte wieder den Kopf. „Ob ich ehrlich sein will! Ich weiß nicht, ob ich überhaupt will, dass sie alles über mich weiß!“
Ich öffnete den Mund, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
Warum vertraute er mir? Oder, tat er das?
Vertraute ich ihm?
Bevor ich mehr dazu sagen konnte, dröhnte ein schriller Ton durch die Lautsprecheranlage der Schule. „Was?“
„FEUERALARM!“, brüllte irgendwer und Panik ließ alle wild durcheinanderschreien. Schnell stand ich auf, während die Lehrerin vorne versuchte, Ruhe zu bewahren.
„Vielleicht ist es nur ‘ne Übung!“, murmelte ich Vins zu, der mit den breiten Schultern zuckte. Als wir auf den Gang kamen, drängten Schüler panisch an uns vorbei. Vins packte mich am Arm und schob sich entschieden vor mich und zog mich dann hinter sich her.
„Mach keine Dummheiten, Spinnenbein!“, nuschelte er und ich gluckste nicht unbedingt passend zur Situation auf. Selbst in halber Hysterie hatten die meisten Leute genug Respekt vor ihm, um zurückzuweichen.
Zügig fanden wir uns auf dem Schulhof ein und stellten uns mehr schlecht als recht in den angewiesenen Gruppen auf.
Ich konnte Kim und die anderen nicht entdecken. Ich hoffte, es ging ihnen gut!
Ein paar Leute in unserer Nähe meinten, im Chemielabor hätte es gebrannt, andere sagten sie haben Schüsse gehört.
In der Ferne konnte man die Sirene der Feuerwehr und Polizei hören, doch weder Rauch noch Flammen waren irgendwo zu sehen.
„Mr. Lopez!“, hielt ich meinen Lieblingslehrer auf, als er an uns vorbeieilte, „Was ist los?“ „Oskar! Nichts, alles gut. Es ist nur ein Fehlalarm. Irgendwer hat sich wohl einen kleinen Spaß erlaubt, aber sicherheitshalber wird die Schule überprüft!“
Ich nickte und sah zu Vins, der auch beruhigt aussah. In letzter Zeit passierte eindeutig genug Scheiß.
Schließlich bat Direktor Finnick mit tattriger Stimme, dass wir bitte Ruhe und Geduld haben sollten, bis die Einsatzkräfte das Gebäude wieder freigeben würden, alles deutet auf Fehlalarm hin.
Vins packte mich erneut am Arm. „Lass und irgendwo hin, wo ich eine rauchen kann!“ Ich seufzte, sah kurz nach, ob kein Lehrer in der Nähe stand und wir verzogen uns.
In einer Ecke, nahe dem Sportplatz, drehte sich Vins eine Kippe. Ich steckte die Hände in die Tasche und betrachtete kurz sein markantes Profil. Er hatte schwere Brauen und ein stolzes Kinn, er sah einfach verdammt gut aus.
„Wegen vorhin…“, setzte er nun an und drehte die Kippe zwischen den Fingern, „Es ist jetzt nicht so, als hätte ich nichts… also, als wäre Kim mir nicht wichtig, sie ist…“, er grinste kurz, eindeutig bei einer Erinnerung, die ich nicht kennen wollte und seufzte dann. „Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin… Für sie!“
„Ihr müsst miteinander reden!“, sagte ich, was auch das Einzige war, das ich dazu sagen würde. Ich könnte sonst nicht garantieren, dass ich ihm riet, sie auf der Stelle abzuschießen.
Was fies war, aber Kim war ehrlich verliebt und Vins wusste nicht, was er empfand. Wäre da ein schnelles Ende nicht das Beste?
„Vincent Treasur?“, kam es plötzlich hinter uns. Ein Mann in Hemd und Anzug stand vor uns. Die Haare lässig nach hinten gekämmt und die Augen hinter einer spiegelnden Sonnenbrille versteck hatte er die Hände tief in den Taschen und beobachtete uns offensiv Kaugummi kauend. Er war Mitte 30 und ich hatte ihn noch nie gesehen, aber er machte mich fürchterlich nervös.
„Bei dem ganzen Rauch ist es ja kein Wunder, dass ein Fehlalarm ausgelöst wird!“, ruckte er mit dem Kopf zu Vins Zigarette und wollte wohl witzig sein. Vins in des zog provokant an seiner Kippe und schnarrte dann: „Ein Fehlalarm ist auch ein guter Moment, das irgendwelche Perversen mit Schuljungen reden!“
„Ja, da hast du nicht unrecht!“, nickte der Typ nun lachend und griff in die Innentasche seines Jacketts. Er zog sein Portmonee hervor und sagte dann: „Gott sei Dank bin ich keiner! Ich bin Spezialagent Fortman vom FBI!“ Sein Ausweis schimmerte in der Sonne und mir wich alle Farbe aus dem Gesicht.
„Wo ist ihr Partner?“, fragte ich mechanisch. „Bitte?“, sah mich der Beamte an. „Polizisten und auch Agents sind eigentlich immer mit Partner unterwegs, zur Sicherheit!“ „Nun selbst unsere Einrichtung bleibt vor Kürzungen nicht verschont, manchmal erledigen wir die ungefährlichen Sachen deshalb allein.“, er sprach mit mir wie mit einem kleinen Kind, doch musterte mich eindeutig argwöhnisch und spuckte schließlich seinen Kaugummi aus. Dies wirkte unerwartet vulgär, dabei zog er ebenfalls eine Schachtel Zigaretten raus. „Ich möchte jetzt mir auch kein Duell liefern, sondern hab einfach nur ein paar Fragen an dich Vincent!“
„Haben Sie die Erlaubnis von Vins Eltern?“, fragte ich sofort und verschränkte die Arme vor der Brust. Agent Fortman zog die Brauen hoch. „Er ist erst 17, also noch minderjährig. Sie können ihn nicht einfach verhören, außerdem weiß die Schule, dass sie hier sind?“
Ich spürte Vins erstaunten Blick auf mir. „Ich denke ich werde gerade den Sohn von Officer Sprout vor mir haben?“, schmunzelte der Beamte nun, es versetzte mir einen Stich, dass er meinen Vater kannte.
Wollte er damit erreichen, dass ich ihn für offizieller hielt?
„Und wenn so ist?“, fragte ich zurück. „Er ist ein guter Cop.“, nickte Fortman nun vor sich her, „Aber keine Sorge, ich will deinem Kumpel nur ein paar Fragen stellen, nichts schlimmes. Vielleicht hast du ja auch eine Antwort auf die eine oder andere Frage…“, überlegte der Ermittler nun und Vins schnitt ihm das Wort ab.
„Nein, wenn Sie was von mir wissen wollen, bitte, aber lassen Sie Oscar daraus!“, sagte Vins scharf und meinte dann zu mir, „Am besten guckst du mal, ob schon aufgefallen ist, dass wir weg sind!“ „Du musst nicht mit ihm reden!“, sagte ich sofort, ich konnte es nicht fassen, dass er mich wegschickte.
Er konnte doch nicht ernsthaft denken, dass ich ihn hier allein lassen würde?
„Ich weiß!“, doch sein Blick sagte mir, dass er es trotzdem einfach hinter sich bringen würde.
Langsam viel bei mir der Groschen, dass Vins wahrscheinlich fast froh war, dass der Typ so mit ihm sprach ohne seinen Eltern mit einzubeziehen. Oder eher seinem Vater, dem Schläger!
„Ich komm gleich nach!“, meinte Vins nun eindeutiger als ich mich immer noch nicht bewegte und ich nickte mechanisch. Mit einem letzten wütenden Blick auf Agent Fortman ging ich los. Ich wusste nicht warum, doch der Typ behagte mir nicht.
Vielleicht könnte mir Dad mehr zu ihm sagen heute Abend. Irgendwas stimmte hier gewaltig nicht. Nur was?
Ich drehte mich um und wie Vins von Agent eine Zigarette angeboten bekam. Welche Fragen hatte der Agent an ihn, welche Antworten hatte Vins vor mir nicht geben wollen?
‚You say you want it, but
You can't get it in
You got yourself a bad habit for it
Oh, look at you, walking up and down a hall
I say please, say please
You say you want it, but
You can't get it in
You got yourself a bad habit for it
Oh, look at you, walking up and down a hall
I say please
Oh man, oh man, oh man
You know I wish I had it all‘~ The Kooks, Bad Habit (2014)
Keuchend stützte ich mich auf meinem Knie ab, mein geschundenes Bein puckerte leider nicht sehr vertrauenserweckend.
Schließlich richtete ich mich wieder auf, wischte mir über schweißnasse Gesicht und versuchte meine Muskeln zu entspannend, über streckte meinen Körper um darauf die Muskeln locker zu lassen, doch es half nichts. Ich war heute alles, aber nicht in Form.
„Zwei Durchgänge noch!“, erklärte der Coach, „Ohne Oscar!“ „Aber…“, setzte ich an, obwohl ich wusste, dass Coach Tucker recht, hatte. Besorgt sah er mich an: „Du bist gut gelaufen, aber lange nicht dein übliches Niveau! Und ich sehe dir an, dass du Schmerzen hast! Du schonst dich, auch beim nächsten Training!“
Wütend sah ich auf den Boden. Ich wollte mich nicht schonen, ich wollte rennen, bis mir die Scheiß Lunge raushing, um irgendwie meinen Scheiß Kopf frei zu kriegen. Ich wollte einfach klar denken können.
„Also alle auf Anfang!“, sagte der Coach nun und ich blieb, wo ich war. Kurz sah ich zur Tribüne, auf der Vins saß und mich seinerseits ansah. Gemächlich zog er an seiner Zigarette.
Schnell sah ich zu meinen Teamkollegen. Vins Blicke verunsicherten mich heute noch mehr als sonst. Seine Gegenwart ließ meine Knie noch weicher werden und doch war da ein anderes Gefühl, dass sich einfach in mich fraß und eine Art von Wut und Angst zurückließ, die mein Kopf, aber vor allem mein Herz, einfach nicht weiter ignorieren konnte. Die Rosarotebrille hatte ein Sprung.
Als wir am Montag nach dem Fehlalarm wieder zurück in die Schule gedurft hatten, war Vins zehn Minuten später auch wiedergekommen und er hatte ausgesehen, als hätte er einen Geist gesehen.
Ich hatte ihn natürlich gefragt, was passiert war, doch er meinte, dass nichts gewesen wäre. Also eigentlich hatte er gemeint, ich soll mich um meinen eigenen Scheiß kümmern. Mir war aber das Zittern seiner Hände nicht entgangen, geschweige denn, der gehetzte Ausdruck in seinen Augen. Seine Augen- wenn es ging, wirkten sie noch trauriger als gewöhnlich.
Als ich erneut gefragt hatte, hatte er mich noch charmanter wie üblich abgekanzelt, wenn auch ohne die übliche Schärfe, irgendwie. Widerwillig hatte ich dann nichts mehr dazu gesagt, aber…
Wenn ich nur wüsste, was dieser Mistkerl von FBI- Agent mit ihm gemacht hat? Was hatte er zu ihm gesagt? Warum kam dieser Typ zufällig, um mit Vins zu reden, wenn ein Fehlalarm war? Das war eindeutig ein Zufall zu viel!
Leider hatte ich Dad seit dem Wochenende nicht mehr gesehen und hatte ihn deshalb nicht nach Agent Fortman fragen können. Er schob eine Mischung aus Spät- und Mittelschicht, weil so viele Kollegen krank waren und so, war er noch nicht da, wenn ich nach Hause kam, und kam dann irgendwann in der Nacht heim, wo ich leider schon im Bett sein musste.
Die letzten beiden Tage war Vins langsam wieder zu seiner alten Form zurückgekehrt, aber ich konnte seinen Anblick einfach nicht vergessen.
Nur gab es absolut keine Gelegenheit in den letzten Tagen alleine mit ihm zu reden. Kim hing auffällig stark und untypisch an Vins. Sei es, wenn wir zu einer Unterrichtsstunde gingen oder Vins nur schnell eine Rauchen wollte. Nichts ging ohne Kim. Natürlich war mir klar, warum sie so war, ich wäre ja am liebsten nicht anders…
Vins kommentierte ihr verhalten nicht, stoisch hielt er ihre Hand und scherzte wie üblich mit mir, doch berührte er mich nicht. Besser gesagt, ich ging dem ganzen aus dem Weg. Ich hatte mich in der ganzen Sache zu wohl gefühlt, und Kim hatte nicht umsonst gemeint, wir beide wären zu vertraut. Wenn es ihr aufgefallen war, wem dann noch?
Es kotzt mich fürchterlich an, aber ich wich seiner Hand aus, wenn er mir durch die Haare fahren wollte oder lief so weit von ihm entfernt neben ihm, dass er keinen Arm um mich legen konnte. Auch das nahm er stumm hin, auch wenn sein Blick sehr eindeutig zu Kim ging, als ich ihm das erste Mal auswich.
Sie war nun mal meine beste Freundin, was sollte ich machen? Außerdem bereitete mir die ganze Sache mit dem FBI verflucht Bauchweh. Was könnten die nur von Vins wollen? Was wusste er? Was dachten sie, dass er wüsste?
Ich konnte mich absolut auf gar nicht mehr konzentrieren, außer auf ihn… Nur irgendwie anders, als davor.
Das merkte man leider auch im Unterricht und heute beim Training, obwohl ich das echt gebraucht hätte!
Doch ich hatte zwei Fehlstarts hinter mir und schließlich fing mein Knie an zu meckern und es war alles Scheiße. Und die freudige Nervosität, wenn Vins mir beim Training zu sah, wich Vermutungen und … Ach Fuck!
Das einzig Gute war, dass Kim nicht mit dabei war. Leonie musste unbedingt für ihr erstes offizielles Date mit meinem Cousin am Wochenende shoppen und Vins war dazu nicht eingeladen. Gott sei Dank.
Vins hatte auf die Frage von ihr, was er heute machte nur mit den Schultern gezuckt und ich hatte ihr auch nicht gesagt, dass wir uns treffen würden, um dann Freunde von ihm zu treffen. Angeblich.
Ich hatte keine Ahnung, wenn ich da heute treffen würde. Sollte ich die Typen, wenn sie existierten, fragen, ob er am Sonntag wirklich bei ihnen war?
Ein schleimiger Klumpen schlechtes Gewissen hatte sich an mir festgesaugt, weil ich Kim belog, aber ich hatte Vins die komplette Woche noch nicht allein gehabt und wir mussten dringend reden.
Meistens war er, wenn wir eine Weile alleine zusammen waren, recht gesprächig.
Vielleicht war er es heute auch. Besonders da ich die Sache mit ihm und Kim nicht übers Handy mit ihm besprechen wollte und die FBI Sache noch weniger!
Vielleicht ließen sie sein Handy überwachen… Okay, das war albern, aber es war besser, wenn niemand, ganz besonders Kim, keine merkwürdigen Nachrichten von uns las in dem wir über Drogen und das FBI sprachen. Und wahrscheinlich würde sie es auch nicht witzig finden, wenn wir ihre Beziehung mit Vins besprachen.
Unschlüssig stand ich da, sah dabei zu, wie meine Teamkollegen sich Startbereit machten und spürte, wie Vins mir Löcher in den Rücken starrte.
„Coach!“, seufzte ich in einer Mischung aus Frustration und Ergebenheit, „Ich geh duschen!“ Mein Trainer musterte mich kurz und nickte dann schlicht, bevor er sich wieder den anderen zu wand. „Gutes Training, bis nächste Woche!“
Ohne ein weiteres Wort ging ich vom Platz, aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Vins sich ebenfalls erhob. Ich ignorierte den Schmerz in meinem Knie völlig und unterdrückte das Verlangen zu hinken, das geschundene Gelenk zu entlasten.
„Hey!“, Vins erreichte zeitgleich mit mir das Ende der Tribüne, „Du bist schon fertig?“ Sein Geruch gemischt mit Zigarettenrauch stieg mir in die Nase, unnötig tief atmete ich ein.
„Ja, ich geh duschen!“, war ich kurz angebunden und blieb noch nicht einmal stehen um mit ihm zu reden. Ohne Weiteres hielt er mit mir Schritt.
„Ist alles in Ordnung?“ „Ja!“, sagte ich noch knapper und gereizter. „Das klingt nicht so?“ „Tatsächlich!“, verdrehte ich die Augen und er unterdrückte allen Ernstes ein Lachen.
„Das Training lief nicht sonderlich gut für dich heute?“, fragte er nun weiter. „Du bist ja heute ganz schlau!“, kochte ich über und blieb nun doch stehen.
Ohne vor Schmerzen das Gesicht zu verziehen, verlagerte ich das Gewicht auf mein heiles Bein. „Du hast Schmerzen, nicht wahr?“, fragte er ohne Umschweife, noch immer von meiner schlechten Laune völlig unbeeindruckt. Penner!
„Es ist alles in Ordnung! Ich war nur heute nicht im Tritt, das ist alles!“, ich fuhr mir durch die Haare und versuchte überall nur nicht in seine beschissen schönen grünen Augen zu gucken. „Dein Sturz ist ja noch nicht lange her, da kann so was mal passieren…“, meinte er überlegend und zog eine Packung Kaugummi aus der Jackentasche hervor. „Was labert ihr den alle immer zu wegen meinem Sturz!“ Das Gefühl schwach zu sein, schwächer zu sein als er, ließ mich sogar noch wütender werden. „Ich hab einfach ‘nen schlechten Tag, Henry hat davon Sechs von Sieben in der Woche! Deswegen fällt mir nicht gleich das Bein ab!“
Ich wollte niemand sein, der Hilfe brauchte. Ich wollte ihm helfen!
„Wenn du das sagst!“, sagte er gespielt überzeugt und legte sich einen Kaugummistreifen zwischen die Lippen, fast genüsslich zog er ihn dann mit der Zunge in seinen Mund. Ich schluckte merklich und ging weiter. Das machte dieser Wichser doch mit Absicht!
„Fick dich!“
Er lachte verhalten auf und folgte mir zur Turnhalle. „Also gibt’s ‘nen Grund?“
„Wofür?“, verwirrt sah ich zu ihm rüber. „Dafür, dass du ‘nen schlechten Tag hast?“, verdrehte er belustigt die Augen und hielt mir die Tür zur Turnhalle auf. „Nein, ich… Also… Darf ich nicht einfach einen schlechten Tag haben?“, fragte ich nun zurück und konnte nun langsam doch das Hinken nicht mehr unterdrücken. „Doch. Du bist nur nicht der Typ für einfach nur Hass…“, warf Vins ein. „Du aber schon?“, schnaufte ich und er grinste dreist. „Schon.“ Ich zog eine Grimasse, vor allem um ein Lachen zu unterdrücken.
Ich wollte wütend auf ihn sein, er sollte mich nicht zum Lachen bringen.
„Also gibt’s wirklich nichts, warum du so pissig bist?“, fragte Vins nun erneut. Wenn ich bei ihm so bohren würde, hätte er längst zu mir gesagt, ich soll die Fresse halten!
„Momentan bist du mit deiner Scheiß Fragerei der Grund!“, meinte ich nun, die Hand auf der Klinke zur Umkleide. „Du wirfst seit Kurzem ziemlich mit Kraftausdrücken um dich…“, sehr entschieden lehnte er sich gegen die Umkleidetür, versperrte mir so den Eingang, „Das ist eine ungewohnt schlechte Angewohnheit, Spinnenbein!“
Er lehnte sich ein Stück zu mir vor, unwillkürlich kam ich ihm entgegen. „Wo ich das bloß her habe?“, tat ich gespielt nachdenklich und als Antwort bekam ich das schmale Lächeln, das mein Herz regelmäßig aussetzten ließ.
„Das muss ein sehr schlechter Einfluss sein!“, überlegte er weiter, zog die Stirn fast lasziv in Falten, wenn so was überhaupt ging!
Ich wusste selbst, wie fürchterlich peinlich ich war- Aber Himmel, der Bengel machte mich fertig! Ich schluckte, zog dann aber unbeeindruckt die Brauen hoch.
„Ehrlich gesagt, macht er nur auf Hart…“, ich biss mir auf die Unterlippe, Vins Augen glühten, „Eigentlich ist er ein Weichkeks!“ Und mit diesen Worten zog ich die Tür zur Umkleide auf, sodass er leicht zur Seite taumelte.
„Weichkeks?“, wiederholte er ungläubig. Ich ging in die Umkleide, er hielt die Tür offen. „Ja, das trifft es, denke ich, am besten!“ „Mich hat niemand mehr Weichkeks seit der dritten Klasse genannt!“, empört folgte er mir in die Umkleide. „Nur nicht ins Gesicht!“, seufzte ich voller Weisheit und er versuchte mir in den Hintern zu treten.
Grinsend ging ich zu meinem Spint, schlug zwei Mal mit der flachen Hand auf die verrostete Tür, damit sie aufging, und zog dann mein Handtuch hervor. Ich stockte in der Bewegung jedoch, als ich sah, dass Vins nach einem der hervorstehenden Leitungsrohre an der Decke griff und sich ungeniert streckte.
Die Umkleide war ein schmaler, muffiger Raum mit alten, grünen Spinten, sowie einer tiefen Decke, an der unzählige schlecht gestrichene Rohre langgingen, an die sich niemand hängen sollte, aus Sicherheitsgründen. Natürlich machten es die meisten trotzdem.
Mit den Armen über den Kopf rutschte sein Shirt, dass er unter seiner Lederjacke trug, ein Stück hoch und entblößte den unteren Teil seines Bauches und einen schmalen Streifen seiner schwarzen Boxershorts. Ich schluckte erneut.
„Was machst du da?“, sah ich ihn etwas irritiert an. „Auf dich warten?“, fragte er gut gelaunt zurück. „Hier?“, mein Mund wurde trocken.
„Ja?“, sagte er immer noch grinsend, „Ich dachte, du willst meine Freunde unbedingt kennenlernen?“
Er ließ das Rohr los und lehnte sich an das Schließfach gegenüber von meinem. „Nein, also doch! Willst du, dass ich mich nicht mit ihnen treffe?“, ich verengte die Augen, suchte er eine Ausrede?
„Doch! Nur wenn du keinen guten Tag hast… Du musst nicht!“ „Ich will aber! Außer du willst nicht, dass ich mit soll!“ „Doch!“, sagte er schnell, „Klar will ich!“
„Gut!“, nickte ich. „Gut!“, sagte nun auch er. „Gut“, nickte ich erneut, völlig unnötig. „Ja.“, er seufzte und legte dann den Kopf erwartungsvoll schräg.
Völlig leer sah ich ihn mit dem Handtuch noch immer in der Hand an.
„So. Ziehst du dich dann endlich aus?“ „Was?“, meine Stimme schoss fünf Oktaven höher und mein Kopf platzte fast, von all dem Blut, was mir in die Wangen floss.
„Ich meine,“, Vins räusperte sich, „Ob du dich umziehst? Also Duschen und dann Umziehen. Damit wir loskönnen…“
Bildete ich mir das ein, oder sah er fast verlegen aus?
„Oh, ähm… Ja…“, hastig drehte ich mich um und zog meinen Kulturbeutel hervor.
Sollte ich mich in der Dusche erst ausziehen, aber das war albern, also… Aber wollte ich, dass Vins mir dabei zu sah, wie ich mich auszog?
Das Blut, das mir vor fünf Sekunden noch in den Kopf gestiegen war, suchte sich hastig einen Weg nach unten. Es sammelte sich genau da, wo ich es jetzt am wenigsten gebrauchen konnte.
Ich schloss die Augen, versuchte an Henrys ekligen Zehnagel vom letzten Jahr zu denken und schlüpfte aus meinen Turnschuhen plus Socken, bevor ich mir nun mein Shirt über den Kopf zog. Der Stoff kratzte über meine Haut. Kurz stellte ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn Vins es mir ausgezogen hätte. Verwarf den Gedanken aber wieder schleunigst.
Ich legte das Shirt nun zur Seite, bückte mich, um die Socken aus den Schuhen zu ziehen, und stopfte sie und mein Shirt in eine Plastiktüte für Dreckwäsche.
Vins Blick ruhte die ganze Zeit auf mir, ihm entging keine meiner Bewegungen. War das normal? Ich würde ihn natürlich auch so anstarren, aber ich war schwul, also… Verdammt!
Schließlich stieg ich aus meiner Kurzen- Hose, umständlicher als gewöhnlich, aufgrund meines Knies, und stopfte sie dann ebenfalls in die Tüte zu Socken und Shirt.
Sollte ich meine Shorts auch ausziehen? Ich zog mich eigentlich immer komplett aus, bevor ich zur Dusche ging. Alles andere wäre ja auch albern, also…
Entschieden drehte ich Vins den Rücken zu und stieg aus meiner Shorts.
Ich schnappte mir mein Handtuch plus Kulturbeutel und hielt beides so, dass es hoffentlich recht zufällig wirkte, wie es alles Wichtige weiter unten verbarg.
„Bin dann schnell duschen!“, meine Stimme klang ganz belegt. Vins nickte schlicht und ich verschwand zu den Duschen.
Verflucht, geschafft!
Warum musste mein Penis permanent nicht geplante Gastauftritte starten, wenn’s nicht die geringste Möglichkeit gab, ihn zu verstecken?
Ich ging zu einer der hinteren Duschen und stellte das Wasser auf ganz kalt. Schaudern versuchte ich das Blut aus der unvorteilhaften Region zu vertreiben. Was nicht wirklich gut funktionierte, also drehte ich die Temperatur höher.
Der unerwartete Wechsel von heiß und kalt ließ mich erneut Schaudern. Ich kramte mein Duschgel hervor und begann den Schweiß von meinem Körper zu schrubben. Ich fuhr mir übers Gesicht, den Hals zu den Schultern entlang.
Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn das Vins Hände wären? Ich schluckte.
Die kläglichen Bemühungen des kalten Wassers, lösten sich auf und mein Problem weiter unten stand wieder, wie eine Eins.
Unsicher sah ich zur Tür, die anderen würden so schnell nicht auftauchen und Vins könnte mich nicht hören, also…
Unsicher ließ ich meine Hand nach unten wandern, stellte mir vor, wie er lächeln würde, wenn er mein errötetes Gesicht dabei sah.
Ich biss mir auf die Unterlippe, ich wollte keinen Ton von mir geben und schloss ergeben die Augen.
Ich stellte mir erneut vor, wie Vins es war, der mich auszog. Natürlich ließ er sich quälend viel Zeit dabei, der alte Sadist.
Er zog mir mein Shirt über den Kopf. Dann hielt er es sich vors Gesicht, roch daran, sog den Schweißgeruch, meinen Geruch, ein, bevor er es grinsend zur Seite warf.
Schließlich ging er vor mir auf die Knie. Langsam, regelrecht genüsslich, strich er mir die bloßen Beine entlang, seine grünen Augen brannten sich in meine. Mit einem Ruck, regelrecht grob, zerrte er mir Shorts und Unterhose gleichzeitig vom Leib, ließ sie achtlos zu Boden fallen. Seine Hände bahnten sich weiter ihren Weg an meinen nun bloßen Lenden entlang. Er ignorierte meine eindeutig erregte Mitte völlig.
Entschieden zog er mich zu sich ran, winkelte mein rechtes Bein an, hauchte einen Kuss auf mein geschundenes Knie, küsste sich von dort weiter nach oben bevor er schließlich…
„Fuck!“, keuchte ich auf und mit einem Erlösenden ziehen kam ich in meine Hand.
Zittrig öffnete ich die Augen, mit der freien Hand stützte ich mich an der nassen Wand vor mir ab. Hastig hielt ich meine nun eingesaute Hand unter den harten Strahl der Dusche, sah dabei zu, wie der Beweis für meine Tat im Ausguss verschwand.
Geräuschvoll stieß ich meinen Atem aus und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand, das Wasser lief noch immer heiß über meinen Körper, fast mechanisch stellte ich die Temperatur wieder auf kalt.
Ich fühlte mich weder befreit noch weniger angespannt. Erbärmlich passte eindeutig besser. Wie sollte ich mit diesen Bildern im Kopf jetzt raus zu Vins? Hatte ich völlig den Verstand verloren?
Langsam hob ich die Hand und machte das Wasser aus. Die Stille, die darauf folgte, behagte mir nicht.
Hinkend ging ich zu meinem Handtuch und vergrub das Gesicht in dem weichen Stoff.
„Oscar?“, Vins Stimme klang sehr nah, viel zu nah, „Bist du ertrunken oder zu weit raus geschwommen…“
Mist! Ich hatte die Zeit völlig aus den Augen verloren. Wie lange stand ich schon unter der Dusche?
Panisch wollte ich das Handtuch um meine Hüften schlingen und mich irgendwie von der Tür wegdrehen, in der Vins nun erschien, dabei verdrehte ich jedoch mein eh schon lädiertes Knie und auf dem nassen, gefliesten Boden verlor ich den halt.
Mit rudernden Armen sah ich mich schon den Fußboden küssen, doch warme und in schwarzes Leder gehüllte Arme schlangen sich um mich. „Ich hab dich!“, packte er mich und zog mich nackt, wie Gott mich geschaffen hatte, an sich ran.
Unkoordiniert noch irgendwo haltsuchend kam ich mit der Hand gegen einen der Wasserhähne. Kalt prasselte es auf uns nieder.
„Alles okay?“, fragte mich Vins, als mein Fall endlich gestoppt war und er mich umständlich aufrichtete.
Zittrig und völlig überfordert sah ich ihn an, hielt mich an ihm fest. Mein Handtuch lag zwischen uns auf dem Boden und weichte völlig ein, so wie er.
Seine Haare waren nass pechschwarz und lockten sich ganz leicht, von seiner Lederjacke perlte das Wasser ab. Entschieden griff er zur Seite und stellte das Wasser ab, ein überrumpeltes Lächeln auf dem Gesicht.
„Sorry“, brachten wir zeitgleich hervor, jetzt lachte er richtig. „Ich hab mich gewundert, warum du so lange brauchst, und dachte, es ist was mit deinem Bein. Ich wollte dich nicht erschrecken… Ich…“ Er sah uns hinunter. Seine eine Hand lag halb auf meiner Hüfte und halb auf meinem Rücken, die andere auf meinem Arm.
„Du bis ganz nass…“, meine Stimme klang eindeutig rau und eindeutig nicht normal. Gott, konnte es schlimmer oder gar peinlicher werden? „Du auch…“, versuchte er zu scherzen, doch dann fügte er hinzu, „Und kalt!“
Seine Hände strichen über meine Haut, vorsichtig, fragend. Sie waren heiß, ich konnte die Erinnerung an meine Fantasien kaum unterdrücken. Wie er… Scheiße! Nicht jetzt! Nicht so!
Warum passiert mich aber auch immer so was? Warum…
Doch dann vergaß ich, warum und wie peinlich ich und das alles war, ich vergaß einfach alles, denn er sagte meinen Namen. Er sagte ihn so, wie ihn noch niemand jemals gesagt hatte. Vor allem nicht er. Aber nur er sollte ihn so aussprechen.
„Oscar“, seine Stimme klang so rau, wie meine und nicht nach ihm und irgendwie doch nach ihm.
Noch immer war ich an ihn gepresst, wenn ich gekonnt hätte, hätte mich noch enger an ihn gepresst. Er sah an uns hinab, meine Finger strichen über das nasse Leder. Seine Hand auf meine Rücken wanderte eindeutig weiter nach unten, die andere in meinen Nacken. Und dann, ich bildete mir das nicht ein, schluckte er, merklich.
„Oscar“, sagte er erneut, „Du machst es einem nicht leicht!“
„Man Brandon, Alter! Du hast aber auch stinkende Füße!“, durch brach Henry und der Rest meines Teams den Moment.
Sofort stieß ich Vins von mir und meinte: „Die anderen sind da!“ Völlig verdutzt blinzelte Vins mich an, die Hände noch erhoben.
„Wir sollten… Ich muss mich abtrocknen und was anziehen…“ Er nickte. „Geht’s…“, hastig räusperte er sich verhalten, „Geht’s mit dem Handtuch, oder soll ich…“
„Nein, nein. Geht schon!“, wank ich ab und bückte mich umständlich, um mein Handtuch aufzuheben. Ich schlang es um meine Hüften und ging dann hinaus, Vins folgte mir mit einigem Abstand.
Was zum Fick war da gerade passiert? Oder nicht passiert? Oder… Mein Gehirn konnte das gerade nicht verarbeiten.
„Du bist ja noch hier?“, begrüßte mich Henry und sah dann verwirrt zu Vins, der nass, aber angezogen hinter mir her aus der Dusche kam, „Ähm, alles okay?“
„Ja, was?“, verwirrt sah ich ihn an. „Ob alles okay ist?“, Henrys, sowie der Blick der anderen, glitt zu Vins. „Achso. Mein Scheiß Knie. Ich… bin…“ „Ausgerutscht!“, beendete Vins den Satz für mich. „Genau! Ich hab‘s heute wohl doch zu viel belastet und da hat es nachgegeben unter der Dusche.“
„Oh! Shit!“, verzog Henry das Gesicht mitleidig und begann sich auszuziehen, „Vielleicht musst du damit doch noch mal zum Arzt!“ „Ja, nicht das du länger ausfällst!“, meinte nun Brandon bereits halb nackt.
„Ich hab einfach nur ‘nen schlechten Tag! Das alles!“, wank ich ab und begann mich mehr schlecht als recht abzutrocknen, ich wollte endlich etwas anziehen. Ich musste dringend Stoff zwischen mich und Vins Blicke bekommen.
„Ich hab immer vermutet, das Henry ansteckend ist!“, warf Brandon ein. Es folgte einstimmiges Gelächter. „Sehr witzig!“, meinte nun Henry. „Kennt deine Freundin, dieses unglaubliche Talent von dir schon?“, fragte nun Leroy, der nur noch Shorts an hatte, „Jeder Tag bei dir, könnte dein schlechtester sein!“ „Das ist ja das, was sie so sexy findet!“, brachte sich nun Vins ein, „So kriegt er sie alle rum!“ Henry wurde nun rot, aber warf sich überheblich an die Brust. „So siehts aus!“
Die Jungs lachten, auch ich schmunzelte und meinte dann, als ich mir ein Shirt über den Kopf zerrte. „Mütter sperrt eure Töchter weg, eine wandelnde Katastrophe ist in der Stadt!“
Lachend gingen die anderen nun unter die Dusche und ich schlüpfte in meine weißen Chucks, die den schlechten Prognosen meiner Mutter zum Trotz, noch immer weiß waren. „Können wir?“, fragte Vins als ich meinen Rucksack schnappte.
Ich nickte und gemeinsam verließen wir die Umkleide. Ich hatte das Gefühl, der Abstand zwischen uns war größer als üblich, sogar größer als ich ihn die Woche über gehalten hatte.
Durch die unfreiwilligen Verrenkungen in der Dusche tat mein Knie nun so weh, dass ich ein Hink nicht mehr unterdrücken konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Als wir die Hälfte des Weges zum Parkplatz schweigend hinter uns gebracht hatten, meinte Vins plötzlich so frech wie immer: „Meinst du, du schaffst den Rest, Spinnenbein? Oder soll ich dich wieder tragen?“
„Laber keinen Scheiß!“, hinkte ich entschieden würdevoll weiter, „Ich glaube, du trägst genug an deinem riesen Ego!“ Er lachte und plötzlich legte er einen Arm um mich und zerwühlte mir die Haare. „Schon wieder diese bösen Worte, da hast du dir wirklich was angewöhnt!“
„Ich hab mir, wenn angewöhnt!“, korrigierte ich ihn, sein Grinsen wurde breiter, „Und angewöhnt ist an sich das falsche Wort. Es ist eher dieser Moment, wenn du auf ‘nem ekligen Bahnhofsklo dir ausversehen Herpes einfängst!“
Empört schubste er mich zur Seite, hielt mich aber gleichzeitig fest, damit ich nicht umfiel mit meiner momentanen Behinderung. „Hast du mich gerade mit ‘ner Geschlechtskrankheit verglichen?“ „Mit ‘ner sehr hartnäckigen!“, grinste ich breit und tat so, als würde ich vor mir in der Luft einen Regenbogen malen, „Super Herpes!“
„Ich klinge wie der Schurke aus ‘nem schlechten 80 iger Jahre Porno mit ‘nem Superheldenthema!“, meinte er nun und schüttelte den Kopf. „Ich versuche, mir gerade die Superschurkenverkleidung dazu vorzustellen…“ „Wahrscheinlich wäre es nur ne Maske, oder so, oder ‘nen Morphsuit, wo nur der Penis frei ist!“, überlegte Vins und schien sehr angestrengt und sehr verstört. „Und den Gegner wäre Wonderbra- Woman!“, warf ich ein. „Und Spinnenbein wäre ihr Sidekick?“ „Witzig!“, verengte ich die Augen, natürlich überhaupt nicht belustigt.
Schließlich gingen wir weiter zu meinem Auto und verschandelten weiter Superhelden zu Pornovarianten. Vins toppte alles, in dem er aus dem unglaublichen Hulk den unglaublichen Plug machte. Schließlich kamen wir bei meinem Wagen an.
„Und dein Knie geht wirklich?“, fragte Vins in mein Gegluckse über die Vorstellung von einem Analplug, der aussah wie Hulk.
„Ja… Was?“, kicherte ich weiter. „Wenn nicht, fahren wir ins Krankenhaus deiner Mom, wenn du willst, dass sich das jemand noch mal anguckt?“ „Sei nicht so ‘ne Glucke! Es gibt keinen Grund, sich sorgen zu machen, ich habe …“, doch ich kam nicht mehr dazu wieder alles auf einen schlechten Tag zu schieben, den plötzlich war Vins unglaublich dicht vor mir, und presste mich gegen mein Auto. Wie ein Kaninchen vor der Schlange starrte ich ihn erschrocken an. Seine Hände auf meiner nackten Haut erinnerte ich immer noch allzu deutlich.
Sein Mund war kaum einen Zentimeter von meinem entfernt, er lehnte sich noch ein Stück weiter nach vorne zu meinem rechten Ohr und meinte dann fast knurrend: „Wenn du aufhören würdest, immer zu irgendwas Dummes zu machen, müsste ich mir auch keine Sorgen machen!“
Er lehnte sich wieder zurück, und ich sah ihn weiter an. Dann grinste er plötzlich und hob die linke Hand, in der er meinen Autoschlüssel hatte. Ich hatte nicht registriert, wie er ihn mir aus der Tasche geklaut hatte. Verdammt.
„Außerdem, ich fahre!“, sein Lächeln war gewinnend. „Das… Das ist mein Auto!“, stotterte ich. Doch er ging längst einmal um mein Schätzchen herum und schloss bei der Fahrerseite auf. „Ohne mich hättest du dein Auto gar nicht, und du sollst dein Scheiß Knie schonen. Also steig ein, Spinnenbein!“
Grummelnd sah ich ihn an und ließ mich dann mal wieder sehr ungelenk und auch nur sehr widerwillig auf die Beifahrerseite nieder. „Ich kann mit dem Knie fahren!“, motzte ich.
Vins ignorierte das jedoch, stellte schlicht den Rückspiegel ein und parkte aus. „Du weißt sowieso nicht, wo wir hinmüssen, also…“ „Ich bin in der Lage einer Wegbeschreibung, wenn sie akkurat abgegeben wird, zu folgen. Im Gegensatz zu dir, krieg ich es ja auch geschissen, Hausaufgaben zu machen!“
„Ja, jetzt hast du es mir gegeben!“, tat er erschüttert. „Verrätst du mir wenigstens, wo wir hinfahren, Super Herbes?“ Er verzog belustigt und beleidigt zu gleich das Gesicht, als wir Richtung Highway vom Parkplatz fuhren. „Ja, wir holen meinen besten Freund von der Arbeit ab!“
Ich stutzte und vergaß beleidigt zu sein.
„Deinen besten Freund?“, wiederholte ich dumpf. Er hatte noch nie einen besten Freund erwähnt. Ich dachte, er hatte keine Freunde, also keine richtigen…
„Ja, er jobbt da neben der Schule!“, Vins nickte und fädelte sich lässig in den Berufsverkehr ein. „Wo arbeitet er?“, fragte ich das Erste, was mir einfiel.
Ich wusste, dass wir uns noch nicht lange kannten, und natürlich war Bob mein bester Freund, aber irgendwie hatte ich erwartet, so was in der Art für ins geworden zu sein. Also…
„Er arbeite bei Nortens.“, meinte er. „Nortens?“, wiederholte ich erinnernd, wo hatte ich das letztens schon mal gehört. „Ja, das ist ein Dinner in der Nähe der Main. Ich hänge da öfter rum…“
Plötzlich erinnerte ich mich, wer das letzte Mal Nortens erwähnt hatte. Es war mein Dad, der mit Miguels Mom sprach.
„Daher kanntet ihr euch!“, platzte es aus mir raus. Angeblich hatte er da, Miguel kennengelernt.
„Was?“, fragte Vins, der gerade einen LKW überholte. „Ich meine, daher kennst du… deinen besten Freund?“
„Nein!“, Vins lächelte leicht, „Ich hab ihn auf der Carter getroffen. Ich bin da erste auf die Highschool gegangen, bevor ich auf die South-West kam.“
Das musste eine der Schulen sein, vor der er geflogen war, wegen Körperverletzung.
„Also kennt ihr euch schon lange?“, fragte ich weiter. „Eine Weile…“, meinte Vins unbestimmt. „Ah, wie heißt dein bester Freund und wie ist er so?“, fragte ich nun weiter und versuchte auf die Informationen, die ich gerade bekam, klar zu kommen.
„Er heißt Josh und den Rest fragst du ihn am besten selbst!“, grinste Vins und fuhr vom Highway ab, „Wir sind nämlich gleich da!“
‚There'll be no desert too dry and no ocean too wet
I’ll be your punchbag substitute
I’ll sharpen your claws
When you come tumbling down you’re still in my thoughts
There's just one thing, baby, I can never abide
No matter how much you beg
No matter how hard you try
You can tell me that I'll never be free
Baby, don't you lie to me‘ ~ The Fratellis, „Baby,don’t you lie to me!“ (2015)
Vor ein paar Jahren hatte ich mit meinen Eltern zusammen eine Dokumentation über verschiedene Trickbetrüger gesehen. Zum Beispiel, wie Typen in Firmen reinspazierten oder gar Leute am Telefon das Geld aus den Taschen leierten oder an der Haustür: Der „Ich bin den Enkel“- Trick oder die „Sie haben einen neuen BMW gewonnen, bitte sagen sie uns ihre Kreditkartennummer“- Masche und solche Sachen halt.
Besonders im Gedächtnis blieb mir ein Fall, wo ein Mann, eigentlich so ein absoluter Durchschnittstyp, am Telefon verflucht reiche und vor allem auch verflucht clevere Leute um mehrere hunderttausend Doller erleichterte und dabei so tat, als wäre er entweder ein Angestellter, Verwandter oder jemand von der Steuerprüfung.
Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass es wirklich einen Menschen geben sollte, der so etwas könnte. Geschweige denn, dass jemand auf sowas reinfiel…
Niemals konnte das echt sein! Für mich war das ein klarer Fall von abgekartetem Spiel, Versicherungsbetrug vom feinsten. Niemand konnte so dumm sein und besonders niemand konnte so charmant, geschweige denn so vertrauenswürdig wirken, dass das funktionierte!
Nun ja, die letzten fünf Minuten hatten mich eindeutig eines Besseren belehrt.
Josh, Vins ominöser bester Freund, hinter der Theke bei Nortens war der lebende Beweis, dass ein Mensch durchaus so charmant sein konnte und vor allem, dass andere Menschen, diesem Charme verfielen.
Wenn er mich hier und jetzt fragen würde, wie der Code für den Safe in unserem Haus wäre, würde ich ihm den ohne zu zögern aufschreiben. Verdammt, wie konnte man so sein?
Josh, oder eigentlich Joshua Rodrigez, war zur Hälfte Kubaner und zur anderen Hälfte Franzose und noch irgendwas anderes, was er aber, wie er selbst sagte, für sich behielt, um seinen Mythos zu bewahren. Außerdem war er einen guten Kopf kleiner als ich und recht pummelig.
Er hatte schwarzes, dichtes Haar, das er unter einem schwarzen Beanie versteckte, und hatte dazu mit gerade mal 19 schon einen ziemlichen Vollbart, der ihn sehr viel älter wirken ließ, als er war.
Sein Bart wirkte wie der perfekte Rahmen für das einladende Kunstwerk, das sein strahlendes Lächeln darstellte. „Also die Damen!“, kassierte er jetzt lässig zwei alte Frauen ab, die eindeutig Mottenkugeln und Parfüm nicht mehr auseinanderhalten konnten, „Ich hasse es, von schönen Frauen Geld zu nehmen, aber wenn ich hier nicht arbeiten würde, wäre ich ja auch nie an den Genuss ihrer Bekanntschaft gekommen…“
Kichernd steckten die beiden Damen, wie er sie genannt hatte, ihm ein ordentliches Trinkgeld zu und verließen zufrieden watschelnd den Laden. Anerkennend pfiff Josh ihnen hinter her und Vins verdrehte die Augen.
„Ist er immer so?“, fragte ich und steckte mir ein riesiges Stück Apfelkuchen in den Mund. „Immer, für gewöhnlich sogar noch schlimmer!“, entspannt, wie ich Vins selten gesehen hatte, nippte er an seinem Kaffee, den er mit viel Zucker, aber ohne Milch trank. Irgendwie fand ich das witzig.
Kaum das wir den ausbesserungsbedürftigen Parkplatz überquert hatten und ins baufällige Nortens gegangen waren, ein typisch heruntergekommenes Dinner mit einer hässlich grünen Neonreklame, war Josh ganz selbstverständlich und mit strahlenden, dunklen Augen auf uns zu gekommen. Vins und er hatten sich umarmt, wie ich wohl Nathalie umarmen würde, wenn sie nicht so eine Hexe wäre. Danach hatte Vins mit dem Kopf in meine Richtung geruckt und nur sehr schlicht „Oscar“ gemeint.
Zwar hatte ich keine Ahnung gehabt wer Josh war, doch Josh schien sehr genau zu wissen wer ich war.
Er zog kurz die Brauen hoch und sah Vins an, der entschieden unbeeindruckt zurücksah und dann hatte er mir mit einem breiten Grinsen die Hand hingehalten und mich dann in eine kumpelhafte Umarmung gezogen. Ich hatte kurz das Gefühl gerade zum Ehrenbürger ernannt worden zu sein. Von was? Keine Ahnung, aber Josch schien zu wissen, war er tat.
Währenddessen hatte er außerdem die ganze Zeit geredet. Also nicht unangenehm, wie das manchmal so war, von Leuten, die einen zu texteten und nur Gülle rauskam. Nein, Josh hätte mir ohne Probleme 20 Bände Wirtschaftssteuerrecht vorlesen können und ich hätte noch fasziniert zu gehört. Seine Stimme war recht hoch, aber klangvoll, sowie melodisch und er hatte einen ganz leichten Akzent, der ihm etwas unverschämt Markantes gab, ich aber einfach nicht zugeordnet bekam.
Er hatte mir seinen Namen genannt, dass er gleich Feierabend habe, dass er Vins in letzter Zeit sehr wenig zu Gesicht bekommen hätte und das ich aussehe, als würde ich ein Stück Apfelkuchen vertragen können. Das wollte ich erst verneinen, dann sah ich sein Lächeln und ich nickte nur noch ergeben.
Der Apfelkuchen war tatsächlich ziemlich gut.
„Und das ist also Oscar!“, kam Josh nun ebenfalls mit einer Tasse Kaffee zu uns rüber und rutschte neben Vins auf die Sitzbank mir gegenüber. Das dunkelgraue Kunstleder der gut 15 Sitzbänke schälte sich gemächlich vom Polster und wirkte wie eine sich nicht sehr gesund häutende Schlange.
„Jup.“, nuschelte ich plötzlich nervös in den letzten Rest Kuchen. „Du bist der beste Freund von Vins Freundin, die viel zu hübsch für ihn ist?“, explizierte Josh seine Frage und ich nickte.
Ich wusste hundertprozentig, dass Josh und Kim noch keine Bekanntschaft miteinander gemacht hatten.
„Jup. Kim und ich sind seit Ewigkeiten beste Freunde!“ „Da hast du eindeutig eine sehr viel hübschere Wahl als ich getroffen...“, seufzte Josh, nahm einen großen Schluck Kaffee und klopfte Vins gleichzeitig wohlwollend auf den Oberschenkel. Ich gluckste verhalten.
„Du bist genauso hässlich, wie nicht witzig!“, war Vins Erwiderung, die so aalglatt kam, dass ich ein Lachen nicht unterdrücken konnte.
„Ich weiß, ich bin dein Typ!“, seufzte Josh, „Du musst das nicht jedes Mal erwähnen, aber wir sind schon so lange Freunde… Ich will das einfach nicht riskieren! Dafür bist du mir zu wichtig!“ Pathetisch schlang er nun die Arme um Vins, der belustigt und gespielt angewidert das Gesicht verzog.
„Könntest du dich bitte nicht völlig lächerlich benehmen?“, fragte Vins und Josh seufzte und richtete sich auf. „Er tut immer so hart…“, setzte Josh an. „Aber eigentlich ist er ein Weichkeks!“, beendete ich den Satz, „Ja, das hatten wir heute schon mal!“ Ich nickte wissend und versuchte die Gabel auf meinem Kuchenteller parallel zur Tischkante zu legen.
Es war verwirrend zu sehen, wie selbstverständlich Josh Vins anfasste. Natürlich machte es jetzt Sinn, dass Vins so körperlich war… Sein bester Freund ließ nicht die Finger von ihm, wahrscheinlich war Vins der Meinung, so war das eben zwischen Freunden.
Ein unangenehmer Kloß setzte sich in meinem Hals fest, unsicher schluckte ich ihn hinunter. Er schmeckte nach Eifersucht.
„Weichkeks?“, Josh sah mich an, als hätte ich ihm den Osterhasen persönlich geschenkt. Vins seinerseits sah mich eindeutig verärgert an, ich grinste nur milde zurück und griff nach seinem Kaffee um den bitteren Nachgeschmack, den ich im Mund hatte, runter zu spülen. Er ließ mich ohne weiteres einen Schluck aus seiner Tasse nehmen.
„Weichkeks! Das ist so passend, dass es wehtut! Warum ich da selber noch nicht draufgekommen bin!“ „Danke, Spinnenbein!“, knurrte Vins, als er mir seine Tasse wieder abnahm. Ich verzog das Gesicht, doch Josh schien lieber schlechte Wortspiele zu Gebäck vom Besten zu geben und ignorierte den fürchterlichen Spitznamen, den Vins mir gegeben hatte.
Irgendwie wollte ich auch nicht, dass ihn jemand anders als Vins benutzte. Das war unser Ding, also… Mit langen kalten Fingern, angelte sich die Eifersucht wieder einen Weg nach oben.
Josh fragte Vins nun, wo dieser seine Schokostreusel versteckte und als Vins das, warum auch immer, nicht witzig fand, meinte Josh zu ihm, er solle nicht so ein Sauerteig sein. Vins seufzte so genervt und gleichzeitig so nachsichtig, dass ich grinsen musste und mich gleichzeitig am liebsten zwischen die beiden gesetzt hätte.
Josh kannte Vins verflucht gut und sie waren verdammt vertraut miteinander. Das war nicht diese krampfige um einander schlängeln, wie es zwischen uns beiden war.
Warum musste es bei uns so anders sein, fragte ich mich bitter. Kannte jedoch die Antwort: Weil ich, Scheiße noch mal, scharf auf Vins war! Natürlich warum auch sonst? So ein Fick!
Und natürlich war ich nicht Josh. Wie sollte Vins Josh nicht als besten Freund wollen… Und natürlich war auch Vins einfach… Ich hustete verhalten und mein Innerstes flatterte kläglich. Vins war wundervoll. So schlicht, so Nervenzusammenbruch.
Nach unzähligen schlechten Witzen von Josh leerten er und Vins ihre Tassen. „So. Dann lass uns zum Rest der Bande!“, wackelte Josh frech mit den Augenbrauen und sah mich auffordernd an.
Fragend sah ich zu Vins, der nur grinste und mit den Schultern zuckte. „Mit gehangen, mit gefangen!“
Josh musst noch einmal hinter die Theke und seine Sachen holen. Vins meinte indes, dass er kurz austreten gehen würde. Ich nickte und sah mich nun alleine neugierig um.
Ich musterte die zwei völlig eingestaubten Ventilatoren an der Decke, besah mir die kleinen, und nicht sonderlich guten, schwarzweiß Fotografien von irgendwelchen Gebäuden an den Wänden an und versuchte dann zu erraten, welche Farbe die grauen Fließen am Boden mal ursprünglich gehabt hatten.
Trotz meines völlig Dämlichen und, Gott sei Dank, stummen Eifersuchtsdramas zwischen mir und meiner persönlichen Unzulänglichkeit musste ich noch immer daran denken, dass Vins und Miguel sich hier angeblich kennengelernt hatten.
Wie war es wohl dazu gekommen? Hatten sie sich vorher in der Schule gekannt und hier richtig Kontakt geknüpft? Hatte Josh Miguel auch gekannt? Wahrscheinlich.
Hatten sie wie wir eben zu dritt an dem Tisch bei der Theke gesessen? Miguel und Josh hätten sich bestimmt auf Knopfdruck gut verstanden. Miguel war von einem ähnlichen Schlag wie Josh gewesen. Er war jemand, dem man sehr schwer nicht mögen konnte, wenn er auch nicht ganz so extrovertiert gewesen war.
Ich hatte immer das Gefühl gehabt, egal was ich Miguel erzählte, er verstand es und niemals hätte er es weitererzählt. Ein anderes, kaltes Gefühl kroch nun in meine Brust, ich schüttelte es entschieden ab und versuchte mich aufs wesentliche zu konzentrieren.
Was hatte Miguel hier gemacht? Hatte ihm der Apfelkuchen auch geschmeckt? Oder hatte er hier vielleicht gejobbt?
Angestrengt versuchte ich mich, an unsere letzte Unterhaltung zu erinnern. Es war ein Freitag gewesen, der letzte Freitag, an dem ich ihn gesehen hatte…
Wir hatten übers Wochenende geredet, dass ich einen Wettkampf hätte. Er müsse Arbeiten, hatte er gemeint, sonst hätte er vielleicht bei meinem Wettkampf vorbeigesehen.
Hatte er hier gearbeitet? Und wäre er wirklich vorbeigekommen, wenn er keine Schicht gehabt hätte?
So viel hätte, würde könnte… Warum war "Vielleicht" nur so deprimierend?
„Alles in Ordnung?“, fragte Josh und zerrte mich aus meinen düsteren Gedanken. „Was... Oh ja! Ich war nur…“, stotterte ich überrumpelt. „In Gedanken?“, half Josh nach und ich nickte seufzend. Sein Lächeln war einladend und nicht aufdringlich. Obwohl ich auf seine und Vins Vertrautheit eifersüchtig war, fand ich ihn sympathisch- Was sehr doof war… Irgendwie!
Er hatte jetzt einen kleinen Rucksack dabei und trug ein rotes Halstuch, dass ihn in Kombination mit seinem schwarzen Pulli und der schwarzen Mütze wie einen Freiheitskämpfer aussehen ließ.
„Vins ist schnell pinkeln!“, informierte ich ihn nun. „Er immer mit seiner nervösen Blase!“, theatralisch verdrehte Josh die Augen. „Was?“, lachte ich. „Ja, ist dir das noch nicht aufgefallen?“, meinte der anderen und suchte geschäftig in seiner Tasche wohl nach seinem Handy, „‘Ne Blase wie ‘ne Konfirmandin!“, unbeeindruckte wischte er, als er sein iPhone gefunden hatte, eine Nachricht vom Display und fügte dann hinzu, „Und genauso wenig Arsch in der Hose!“ „Ich find, das ist genug Arsch!“, sagte ich ohne nachzudenken und erstarrte erschrocken.
Man fühlte sich eindeutig zu schnell zu wohl mit Josh, doch er grinste mich einen kurzen Moment viel zu wissend an und meinte dann diplomatisch: „Prinzipiell steh ich ja auf Arsch. Auf viel Arsch!“
„Wer hat, der kann…“, meinte ich dazu und versucht meinen Ausrutscher noch immer zu verarbeiten. „Das wohl wahr!“, lachte Josh. Unsicher sah ich ihn an, er lächelte diesmal eindeutig erwartend. „Kann…“, ich räusperte mich, „Kann ich dich mal was fragen?“
„Willst du die Frage schnell stellen, und ‘ne schnelle Antwort, bevor Vins wieder hier ist?“, fragte Josh mit einem belustigten Funkeln in die Augen zurück, aber auch verschwörerisch leise. Ertappt verzog ich das Gesicht, fragte jedoch trotzdem: „Kanntest du einen Miguel Vidal?“
Einen kurzen Augenblick schien Joshs lächelnde Fassade einen Riss zu bekommen. Mit einem nervösen Zucken sah er genau wie ich kurz zu den Toilettentüren, Vins war noch nicht zu sehen.
„Miguel…“, seufzte er nun wieder ganz der Alte, „Ja, den kannte ich. Traurige Sache.“ „Woher kanntest du ihn?“, hastig sprach ich weiter. „Miguel und ich waren Kollegen. Er hat ihr gejobbt, hatte ein gutes halbes Jahr nach mir angefangen.“, führte Josh immer noch im Plauderton aus, doch sah er erneut prüfend zu den Toilettentüren.
„Also kanntest du ihn gut?“, hackte ich nach. „Das würde ich nun nicht sagen!“, wiegelte er ab, „Er war ein netter Typ und hat so ein Ende nicht verdient… Aber wir haben jetzt nicht gegenseitig in unsere Poesiealben geschrieben!“ Trotz des Scherzes war Joshs Miene etwas betreten.
„Und Vins?“, fragte ich nun das, was mich eigentlich interessierte, „Sie kannten sich auch? Von hier?“
„Du warst mit Miguel befreundet.“, stellte Josh unerwartet fest. „Ja, also… Wir waren Nachbarn, und früher mal… Also- Sie kannten sich?“, stotterte ich mir eine Antwort zurecht.
„Okay, hör zu Kleiner!“, das Lächeln in Joshs Augen verschwand und wich einer Ernsthaftigkeit, die mich fast ängstigte, „Für gewöhnlich bin ich der Meinung, man soll immer mit der Person direkt sprechen, über die man was wissen will! Ich bin nämlich nicht Auskunft!“, er lehnte sich ein Stück weiter zu mir vor und sprach nun leiser, „Aber du scheinst ein netter Typ sein. Und Vins mag dich offensichtlich. Also… Wenn du willst, dass das so bleibt, solltest du dieses Thema wirklich nicht vor Vins anschneiden…“ Joshs Ton bekam etwas Entschiedenes und Endgültiges zu gleich. „Warum?“, fragte ich sofort, mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Es gibt Fragen, die beantwortet man nicht! Oder eher ich!“, wiegelte Josh ab. „Warum…“, fragte ich sofort weiter, erntete aber nur ein nichtssagendes Lächeln, „Also…?“
Ich konnte das so nicht so stehen lassen: „Also waren Vins und er befreundet?“
Sichtlich unentschlossen zog Josh die hochgeschobenen Ärmel seines Pullis wieder nach unten. Erst jetzt fiel mir auf, dass er auf seinem linken Unterarm eine große Narbe hatte. Sie sah aus wie ein Bissbadruck, doch bevor ich sie richtig identifizieren konnte, hatte er den Ärmel darüber geschoben.
Schließlich sah er mich direkt an, seine dunklen Augen wirkten ehrlich, aber irgendetwas in der Art, wie er mich ansah, sagte mir, dass er mehr wusste, als er gerade preisgab.
„Es gibt ‘nen guten Grund, warum ich diese Frage nicht beantwortet! Und das ist das, was du dir merken solltest! Glaub mir! Es ist besser so! Miguels Tod war ein mieser Schlag des Schicksals und dabei sollte man es auch belassen!“
„Bist du soweit?“, kam Vins von den Toiletten zurück und zog seine Zigarettenschachtel aus den Untiefen seiner Lederjacke hervor. „Wenn du alle Krümel dagelassen hast, wo sie hingehören?“, konterte Josh grinsend, drehte sich zu seinem besten Freund und gab mir damit einen Augenblick um mich wieder zu sammeln.
„Kommst du?“, wand sich Vins nun mir zu und ich nickte eilig, kurz fixierten mich seine grünen Augen fragend, doch ich grinste nur schwach und verzettelte Josh in erneutes Gespräch über schlechte Wortspiele.
Als wir das Diner verließen, steckte sich Vins eine Kippe an und auch Josh zog eine Schachtel Zigaretten hervor. Ganz selbstverständlich hielt er mir die Schachtel hin.
„Er raucht nicht!“, meinte Vins sofort. „Gute Einstellung!“, sagte Josh und zog genüsslich an seiner Kippe, „Ich hab auch nur angefangen, um mein Wachstum zu stoppen! Ich wäre sonst bestimmt…“ „Wenigstens ein Meter Sechzig groß geworden?“, schlug Vins vor und erntete einen erhaben Blick von Josh.
Ich schob die Hände tief in die Taschen meiner Schuljacke und blickte nach oben, der Himmel verdunkelte sich immer mehr. Es sah nach Regen aus, doch auch meine Gedanken verdunkelten sich.
Was hatte Josh damit gemeint, dass man manchen Fragen nicht beantwortete? Warum sollte ich vor Vins nicht über Miguel reden? Wie gut hatten sie sich wirklich gekannt? Was war passiert, über das Vins nicht sprechen wollte? Und warum wusste Josh davon? Wusste Josh alles, oder hatte Vins zu ihm nur gemeint, er will nicht drüber reden?
Nein, Josh wusste, was da abgegangen war… Nur was war es?
Langsam liefen wir über den Parkplatz. Josh tratschte irgendwas über einen ehemaligen Lehrer, den er und Vins an der Carter gehabt hatten.
„Erzähl mir nicht, dass das jetzt deine Karre ist!“, anerkennend zog Josh pfeifend die Luft zwischen den Zähnen ein, als wir vor meinem Schätzchen standen, „Wem hast du die den geklaut?“
„Das ist meine Karre!“, sagte ich entschieden stolz und Vins hüstelte belustigt über Joshs völlig erstaunte Miene. „Deine?“
„Ein Impala 67- Vollständig und original restauriert!“, immer noch selbst ganz hingerissen fuhr ich über den perfekten schwarzen Lack der Karosserie. Wenigstens mein Schätzchen schaffte es, dass ich ein echtes Lächeln ins Gesicht bekam.
Josh pfiff beeindruckt. „Ich hab ihn teilweise selbst mitrestauriert. Aber den Feinschliff verdanke ich Vins!“ „Also hast du mich nicht verarscht, als du meintest, du bist in einer Werkstatt?“, Josh sah seinen besten Freund an, als hätte er sich spontan wirklich in einen Keks verwandelt.
„Ja, ich bin nicht im Geringsten so unbegabt, wie du immer tust!“, Vins ging nun zur Fahrerseite und schloss auf. „Ich halte dich nicht für unbegabt!“, sagte nun Josh und schüttelte immer noch schockiert den Kopf, „Ich halte dich für völlig unfähig, den dreieckigen Baustein ins dreieckige Loch zu stecken!“
Ich tarnte ein gehässiges Lachen mit einem Husten und öffnete die Beifahrertür.
„Warte!“, eindeutig immer noch verwirrte mit der Situation hob Josh die Hände, „Wenn das dein Auto ist, warum fährt dann das Knack- und Back- Männchen?“
Ich lachte anstatt zu Antworten. Vins ignorierte Josh und stieg schlicht ein. „Weichkeks ist überbesorgt, deshalb!“, sagte ich schließlich, als Josh mich immer noch verständnislos ansah, meinte ich weiter, „Ich hab mir bei ‘nem Wettkampf das Knie verrenkt und Vins meint, ich soll mich schonen…“ „Hm“, war Joshs Antwort darauf und seine Mundwinkel zuckten anscheinend ziemlich belustigt.
Wir stiegen nun auch ein und Josh nahm hinter mir Platz. Während ich mich anschnallte, legte Vins den Rückwärtsgang ein und parkte aus. „Ich finde es ziemlich mutig, dass du ihn fahren lässt!“, sagte nun Josh und hielt sich übertrieben ängstlich am Panikgriff hinten fest. „Er fährt wie ‘ne alte Frau!“ „Wenigstens sehe ich nicht wie eine aus!“, sagte Vins lässig und fädelte sich ohne Probleme in den Feierabendverkehr ein, als er vom Parkplatz fuhr.
„Wirklich Oscar, es gibt viele gute Gründe, warum Vins kein Auto hat! Glaub mir, sehr viele Leute haben einstimmig darüber abgestimmt, dass es so das Beste ist… für alle!“ „Ich hab wenigstens ‘nen Führerschein…“, meinte Vins wieder völlig unbeeindruckt.
Ich verstand überhaupt nicht, was Josh meinte. Vins fuhr sehr gut und auch ziemlich lässig, was ihn sogar noch attraktiver erscheinen ließ. Leider. Verdammt.
„Ich fahr trotzdem besser als du!“, sagte Josh entschieden. „Ich will jetzt nicht klein kariert sein, aber gibt’s ‘nen Grund warum du keinen Führerschein hast?“, mischte ich mich nun ein und Vins schenkte mir sein schmales Lächeln, während er immer weiter Richtung Innenstadt fuhr.
„Ich bin ein Opfer der Justiz!“, erklärte Josh sehr sachlich und Vins schnaubte verächtlich: „Du bist ‘nem Bullen besoffen hinten reingefahren!“ „Das ist deine Wahrheit!“, tat Josh noch immer erhaben und ich sah Vins ungläubig an, der mal wieder mit den Schultern zuckte. „Und was ist deine Wahrheit? Die Wodkaflasche ist in dich reingefallen und dann hat der Cop sich mit Absicht in den Weg gestellt?“, fragte ich schnaubend.
„Weißt du, so wie du das sagst, klingt das echt negativ…“, überlegte Josh nun und Vins lachte. „Ich weiß wirklich nicht, wie man das positiv formulieren sollte!“, verdrehte ich die Augen, das konnte doch nicht der Ernst von den beiden sein?
„Dann musst du dich mehr anstrengen!“, sagte Josh. „Da ich dir definitiv nicht an die Wäsche will, spar ich mir die Mühe garantiert!“, entschieden verschränkte ich die Arme vor der Brust und Vins brach in schallendes Gelächter aus. „Tja, nicht jeder steht auf Bart!“, gluckste Vins und bog nun von der Hauptstraße ab in eine verlassene Seitenstraße. „Das ist gelogen und das weißt du!“, pikiert sah Josh aus dem Fenster und meinte dann, „Am besten parkst du hier. Bee wird dann ein Auge auf den Schinder haben!“
Unsicher sah ich mich um, wir waren in einem der unschöneren Gebiete der City.
Keine Gegend, in die ich alleine gehen würde, Dad schob hier ab und an eine Schicht. Zweimal hatte man hier bereits auf ihn geschossen. Jedes Mal hatte er Glück im Unglück gehabt, nichtsdestotrotz machte mich das nervös.
„Achso Oscar. Deine Jacke ist zwar echt cool, aber ich würde sie im Auto lassen!“, riet mir Josh mit einem Augenzwinkern, meinte das aber auf jeden Fall ernst und stieg dann aus.
„Ja, vielleicht ist das besser!“, meinte nun auch Vins und ich nickte verwirrt. „Mein Schätzchen ist hier wirklich sicher, oder?“, ungelenk schälte ich mich aus meiner Schuljacke. Ich trug darunter nur ein hellgraues Shirt. „Ja, Bee passt auf.“, Vins schien überzeugt. „Bee?“, fragte ich den anderen als er Ausstieg und beeilte mich auch aus dem Wagen zu kommen. „Bee!“, bestätigte Vins und zeigte auf den Wohnblock gegenüber.
Eine eindeutig sehr tattrige Oma mit Dutt und in geblümter Bluse lehnte sich aus einem der schmalen Fenster im zweiten Stock. Angeregt unterhielt sie sich mit Josh, der sich eine Kippe ansteckte.
„Das ist ihre Straße, hier klaut niemand etwas, dass sie nicht freigegeben hat!“, erklärte Vins weiter. Ungläubig sah ich ihn an, während ich an den kurzen Ärmeln meines Shirts zog. Ich hätte mir einen Pulli mitnehmen sollen. Es war nicht kalt, aber ich kam mir irgendwie ungeschützt, entblößt vor.
„Du machst Witze!“, überquerte ich mit Vins nun zusammen die Straße, „Ist sie die Oma des Paten?“ „Nein!“, er lachte, „Naja, fast. Bee hat hier auf jeden Fall das sagen!“ „Also Granny, es wird spät heute!“, verabschiedete sich Josh nun und zeigte dann kurz auf mich. „Das ist der Neue, pass gut auf sein Auto auf! Er ist ein ganz Lieber!“
Die alte Frau nickte mir zu als ich schüchtern die Hand hob. Sie hatte blutrot lackierte Fingernägel und tausend kleine Falten um ihre Rosinen großen Augen.
„Ich stell dir deinen Teller warm!“, lispelte sie durch eine gewaltige Zahnlücke. „Bist die Beste!“, warf Josh seiner Großmutter einen Luftkuss zu und lief die Straße hoch, mit übertrieben beschwingter Manier ging er jetzt an sein klingelndes Handy. Vins und ich folgten ihm mit einem kleinen Abstand.
„Ist Josh wirklich betrunken gefahren?“, fragte ich Vins schließlich leise. „Er hatte zwei, drei Bier und plötzlich ging der Bulle vor ihm voll auf die Eisen und Josh schaffte es nicht mehr zu bremsen. Der Bulle roch das Bier und Josh war Schuld…“, Vins reichte mir meine Autoschlüssel. „Also hat er die Wahrheit gesagt, als er meinte er ist ein Opfer der Justiz?“, ich steckte den Schlüssel in die Hosentasche.
„Jo, lügen ist sowieso nicht so Joshs Ding!“, blieb Vins nun plötzlich stehen und sah mich unsicher an, während er sich die Haare zerwühlte, „Josh ist nicht verkehrt!“ Ich nickte.
„Genau wie die anderen, die du jetzt kennenlernst, wenn du willst… Manchmal sind sie etwas… Gewöhnungsbedürftig!“, wiegelte Vins ab. „Ganz anders als du, was?“, scherzte ich, wusste aber nicht auf was er hinauswollte.
Joshs Warnung mit Vins nicht über Miguel zureden fiel mir wieder ein. Was wusste ich wirklich über ihn?
„Wenn’s dir zu dumm wird, kannst du jederzeit los!“, fuhr Vins entschieden fort und schaffte es nicht mir in die Augen zu sehen. „Du meine Güte! Ich bin mit Nathalie aufgewachsen, ich bin also elend gewohnt!“, scherzte ich erneut, nun jedoch selbstbewusster, zog jedoch erneut etwas unbeholfen mein Shirt zurecht. Ich würde mich nicht so leicht einschüchtern lassen.
Vins lächelte sein schmales Lächeln und schlüpfte unerwartet aus seiner Lederjacke. „Hier!“, er reichte sie mir, überrumpelt hielt ich sie fest. „Du kannst sie ruhig überziehen…“
Fast mechanisch schlüpfte ich in seine Jacke. Sie war warm und schwer und mir eindeutig ein gutes Stück zu groß. „Steht dir!“, meinte Vins und sah dann die Straße lang hoch zu Josh, der an der Ecke auf uns wartete und noch immer am Telefonieren war.
Tief atmete ich ein, ich konnte nicht anders. Vins vertrauter Geruch lullte mich vollständig ein. Vins Augen brannten sich in meine, wie so oft zu vor, meine momentan sowieso sehr unzuverlässigen Knie wurden weich. „Es macht mich nervös, dass du hier bist…“, gestand er schließlich völlig unerwartet, ganz leise.
„Ich weiß nicht, ob das ‘ne gute Idee ist…. Ob du…“, er brach ab und fluchte. „Ich renn nicht gleich weg, nur weil deine Freunde vielleicht doof sind.“, sagte ich genauso leise. „Momentan ist wegrennen für dich auch nicht sonderlich leicht!“, war er es jetzt der scherzte, wieder sah er nach vorne zu Josh, der uns seinerseits neugierig ansah, sein Telefonat hatte er beendet.
„Na los Weichkeks!“, sagte ich und ging entschieden auf Josh zu, „Ich will wissen, was deinen anderen Freunden für schlechte Witz zu dir einfallen!“
Lachend folgte er mir und legte schließlich seinen Arm um mich, bevor er mir wie sooft zuvor durch die Haare fuhr.
In seiner Jack fühlte ich mich sicher und für diesen kurzen Augenblick war es mir egal, dass diese Sicherheit vielleicht nur eine Lüge war.
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Ahoi! Und mal wieder Sorry für die Verspätung!
Ich bemühe mich wirklich pünktlcher zu werden, aber das ganze muss mir auch Spaß machen und deshlab hat es etwas länger gedauert, weil ich zwischendurch irgendwie abgelenkt war. Ich hab ne neue Buchidee. (Vampire und Western! Oh ja! :D)
Naja, auf jeden Fall ist es jetzt fertig, ich bin nicht ganz zu frieden. ABer erstmal wollte ich es euch zum lesen geben, ich denke das wird eins der Kapi über die ich später nochmla drüber gehen werden.
Natürlich interessiert es mich, was ihr von Josh haltet. Ich mag ihn ja... und glaube er und Nathalie würden die ultamtive Komi werden! :D
Ansosnten hoffe ich, euch gehts gut und hoffentlich bis Sonntag! <3
(Achso, die Jacken Szene wollte ich unbedingt schreiben, hach~ XD)
Lektorat: Lisa Mannhardt
Tag der Veröffentlichung: 04.06.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Sabrina, weil ich hoffe, dass es dir gefällt! Und Für Lis, weil ich mich ohne sie nicht getraut hätte!