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Blutflecken

Es ist Herbst. Ihr Lieblingsmonat. Die Sonne scheint und ein kleiner Windstoß bläst einige Blätter vom Baum. Es ist eigentlich ein wunderschöner Tag. Eigentlich.
Doch nicht für sie.
Als sie endlich die Augen öffnet, wird ihr nach einigen Momenten klar, wo sie sich befindet. Sie erkennt die Poster an ihrer Zimmerwand wieder und als dann allmählich die Erinnerung zurückkehrt und sie sich gestehen muss, was passiert ist, ist das Mädchen den Tränen nahe.
Sie liegt auf dem Boden. Ein letztes Zittern durchfährt ihre Glieder und sie spürt etwas Warmes auf der Wange.
Ein Kalender hängt an der Wand, doch welcher Tag heute ist, das weiß sie nicht.
„Mama? Papa?“, ruft sie die schwer verständlichen Worte mit einer stark zitternden Stimme, an der man erkennen kann, wie viel Angst sie wirklich hat.
Es ist Niemand zu Hause.
Aufgestützt auf ihrem Regal schafft die 18-jährige es nur sehr langsam, sich hinzuknien, hinzuhocken, hinzustellen.
Plötzlich entdeckt sie den riesigen Blutfleck auf dem Teppich, sieht sich selbst im Spiegel, welcher in der Ecke steht.
Dieser Spiegel zeigt eine große Platzwunde, nur sehr knapp über dem rechten Auge, aus der ein dicker Blutstropfen ihre Wange entlang läuft.
Und erst jetzt spürt das Mädchen den Schmerz, den sie schon viel früher hätte spüren müssen. Die Müdigkeit ist kaum zu ertragen ebenso wie die immer wiederkehrenden Depressionen, die nun schon seit sechs Jahren Teil ihres Lebens sind.
Ihre Zunge schmerzt heftig und sie kann kaum sprechen. Wissend, woher nun das meiste Blut auf dem Teppich kommt, macht sie sich auf den Weg ins Badezimmer.
Und wieder eine weitere Narbe, denkt sie sich.
Mit kaltem Wasser wusch sie sich ihr Gesicht, tupfte mit einem Tuch ihre Wunden trocken.
Als sie beim nächsten Blick in den Badezimmerspiegel feststellte, wie schlimm ihre Verletzungen wirklich sind, liefen nun heiße Tränen statt Blut über ihre Wangen.
Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten.
Doch nicht weil sie körperliche Schmerzen hatte, sondern weil sie mit der Tatsache klar kommen muss, einen weiteren Anfall gehabt zu haben.

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Tag der Veröffentlichung: 24.01.2009

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