Cover

Kapitel 1

Ich konnte es nicht fassen, als ich aus dem Überlandbus ausstieg und diese gottverlassene Gegend sah. Aber was hatte ich auch anders erwartet, eine Stadt mit aber Millionen Einwohnern, überfüllten Straßen mit stickiger Luft und lärmenden Autos? Was es auch war, es war nicht das gewesen! Ganz ruhig Mira, das wird schon werden, beruhigte ich mich selbst, während ich darauf warte, dass der Busfahrer meinen Koffer holte. Meine Freundin Ashley hatte recht gehabt, ich hätte erst googeln sollen, bevor ich die Ausbildungsstelle in der Tanzschule Richter annahm, doch nun ist es zu spät. Nun sitz ich in diesem kleinen Dorf fest, das seltsamerweise das Stadtrecht hatte. Na ja, aber es könnte auch schlimmer sein. Was kann an etwas Natur und Ruhe so schlimm sein? Nix man kann nur versauern und Einsiedler werden, sagte meine innere Stimme mir, dich ich zu ignorieren versuchte.

 

Ich bedankte mich bei dem Fahrer und nahm meinen Koffer, der zum Glück Rollen hatte, und machte mich auf den Weg zu der Stelle, wo man mich abholen würde. Meine Mutter hatte nicht schlecht geschaut, als sie damals gesehen hatte, was ich alles in meinen Koffer stopfen konnte ohne das er platze. Sie hatte damals nur den Kopf geschüttelt und gemeint:

„Kindchen, wir können dir das Ganze doch auch bei unserem Besuch in einem Monat mitbringen!“ Dabei hatte sie mich mit ihren rehbraunen Augen fixiert so, wie sie es immer tat, wenn sie mich von etwas überzeugen wollte. Damals hatte ich nur geseufzt und mich zusammengenommen sie nicht wieder an zufahren. Ich liebe meine Mutter wirklich sehr, aber manchmal ist sie eine verdammte Glucke!

„Mama das Thema hatten wir doch schon! Ihr bringt mir schon genug mit und ich brauch diese Sachen, also lass mich bitte jetzt weiter packen.“ Damit war das Thema für mich beendete. Nun bereute ich es etwas, denn das Ding war Sau schwer, nur was hätte ich ohne die Sachen tun sollen? So dicke hatte ich es schließlich auch nicht, mein Konto schrie jetzt schon fast um Hilfe. Also musste sie so viele Sachen wie möglich mitnehmen.

 

Jetzt zog ich meinen schweren Koffer über einen gepflasterten Weg, der von grünen Bäumen gesäumt war. Bis zu einer Litfaßsäule, an der ich erst vor wenigen Minuten mit dem Bus vorbeigefahren war. Hier sollte ich also jetzt auf jemand warten der mich abholen würde. Tolle Aussichten in Anbetracht der Tatsachen, dass mich die alten Rentner im Park gegenüber finster musterten. Mir ist das sehr unangenehm, da ich es nicht gewohnt bin das mir jemand so viel Beachtung schenkt. Schließlich stamme ich aus dem Herzen von Berlin und wer einmal dort war, wird wissen, dass man dort schnell in der Masse verloren geht, wenn man ein Mauerblümchen wie ich ist. Selbst in meiner Familie bin ich untergegangen, war mehr Zuschauer. Aber wenn wundert es, wenn man eine große Schwester hat, die mittels Castingshow zum Superstar wird. Zwar gibt sich meine Mutter mühe mich nicht zu vergessen, doch gelingt es ihr selten. Es hat aber auch gute Seiten so hab ich schnell gelernt allein zu Recht zukommen und ich gebe es zu ich habe diese Stimme auch deswegen gewählt, weil es weit weg ist von Ashley. Ich mag meine Schwester! Allerdings ist sie mir, seit sie ein Star ist zu anstrengend. Immer muss alles nach ihrer Nase gehen und jeder soll ihr zu Füßen liegen das ist einfach nix für mich! Also habe ich mich bei einer Tanzschule beworben, um eine Ausbildung in Einzelhandel zumachen und vielleicht noch ein oder zwei Tanzschritte aufzuschnappen. Ich hab früher gern getanzt, aber als ich in die Schule kam habe ich aufgehört damit, weil meine Schwester es so wollte.

 

Der Wind strich über meine Arme. Er war kühl und doch angenehm. Die Sonne prasselte vom Himmel und ich war wirklich froh das ich mich für ein T-Shirt entschieden hatte und nicht auf meine Freundin gehört hatte, die mir gesagt hatte, dass ich mich warm anziehen soll, da hier sicher noch Schnee liegen würde. Dem war zum Glück nicht so. Trotzdem muss ich mich wahrscheinlich erst daran gewöhnen, dass das Wetter hier anders war als Zuhause. Zu Hause gab es selten Schnee und wenn war es nicht viel, doch das Gebirge war für seine Winterlandschaften berühmt. Ich schirmte meine Augen gegen die Sonne ab und sah gen Himmel, als sich hinter mir jemand räusperte. Leicht erschrocken fuhr ich herum und erblickte einen jungen Mann in ihrem Alter.

„Bist du Mira Dress?“, fragte er nicht gerade freundlich und blickte mich über den Rand seiner Sonnenbrille missbilligend an.

„Ja“, antworte ich trotz meiner Geringschätzung über seinen barschen Ton und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass mich sein Verhalten störte.

„Dann komm mit!“ Damit drehte er sich um und ging wieder den Weg zurück, den ich erst gekommen war. Ich brauche einen Augenblick, bevor ich begreife, dass dieser zwar gut aussehende, sonst aber taktlose Typ mein Abholdienst war. Schnell schnappte ich also meinen Koffer und schloss zu ihm auf.

„Ein Hallo, oder sich selbst vorzustellen, scheint hier nicht gerade Mode zu sein“, warf ich beiläufig ein, während wir nebeneinander herliefen, doch ich erhielt keine Antwort, was mich fast wahnsinnig machte. Er lief einfach nur weiter, bis zu einem grauen Kleinbus. Wo er stehen blieb, wortlos aufschloss und meinen Koffer in den Kofferraum warf, ehe er auf dem Fahrersitz platz nahm. Leise fluchend steige auch ich ein und nehme auf dem Beifahrersitz platz, noch während ich mich anschnalle, startet er den Motor und reihte sich in den fliesenden Verkehr ein.

 

Ich beschloss aus dem Fenster zuschauen, da jede Hoffnung auf eine vernünftige Unterhaltung aussichtslos schien und die natürliche Landschaft draußen weit interessanter war, als der Herr im weißen T-Shirt und schwarzen Jeans. Wir fuhren aus dem Ort, dessen Namen ich immer wieder vergaß, und erreichten erst nach über einer Stunde endlich meine neue Heimat Altenberg. Die Stadt war noch kleiner, als das Nest in dem ich angekommen war, aber dafür einfach traumhaft!

 

Wir hielten vor einen großen, wahrscheinlich erst vor kurzem renoviertem, Gebäude. Es war in einem schönen warmen Gelbton renoviert worden und mit braunen Buchstaben stand über der Tür: Tanzschule Richter geschrieben, das Haus und auch die Straße machten einen gepflegten Eindruck. Doch weiter kam ich mit meiner Betrachtung auch schon nicht, weil eine freundlich wirkende Frau auf uns zu kam. Sie war schlank und in ihren dunkelbraunen Haaren zeigten sich erste graue Strähnen.

„Hallöchen, du musst Mira sein! Ich bin Sarah. Ich darf doch Mira sagen oder? Es freut mich auf jeden fall dich endlich auch mal kennenzulernen. Meinen Sohn kennst du ja schon. Ray sei doch bitte so lieb und bring Miras Koffer schon mal hoch. Ich zeig der weil Mira hier alles“, sagte sie freundlich und zog mich mit sich, bevor ihr Sohn widersprechen konnte. Irgendwie war ich etwas perplex, diese Frau, die zwar freundlich und nett schien, sollte die Mutter dieses Griesgrams sein? Unmöglich! Aber mir blieb nicht sehr viel Zeit mich darüber wundern. Sarah, wie ich sie nennen durfte, führte mich in die Tanzschule. Zeigte mir jeden einzeln Raum und erklärte mir, wofür er genutzt wurde. Es war beeindruckend. Ich hatte schon viele Tanzschulen gesehen, doch die meisten hatten nur einen großen verspiegelten Raum mit Ballettstangen. Hier jedoch gab es noch sehr viel mehr Räume. Einige waren verspiegelt Andere nicht.

„So hier ist der Empfangstresen. Das wird eine deiner Hauptaufgaben sein. Die Kunden zu betreuen, Kursteilnehmer zu registrieren und natürlich der Verkauf von unseren Tanzartikeln. Du hast das ja schon mal alles gemacht an deinem Probearbeitstag auf der Messe bei meinem Mann, nicht?“ Ich nickte.

„Ja, das habe ich. Es hat mir auch sehr viel Spaß gemacht.“, „Das freut mich zu hören!“, erwiderte Sarah und zeigte mir, was ich alles beachten musste, eh sie mich eine Stunde später einigen meiner neuen Arbeitskollegen vorstellte. Miriam Neuhaus und Wanda Bonsels waren beide Tanzlehrerinnen hier und ich verstand mich auch sofort mit ihnen. Auch wenn sie ein paar Jährchen älter waren als ich. Miriam bot mir gleich das Du an und führte mich noch einmal durch den kleinen Shop, der gleich neben dem Empfangstresen lag.

„Hier findest du alles was das Herz begehrt zumindest, wenn es fürs Tanzen schlägt“, meinte sie lachend und gab mir ein paar Sachen.

„Das müsste dir passen. Probier es gleich mal an.“ Noch ehe ich protestieren konnte, schob sie mich in die Umkleidekabine und zog den Umhang hinter mir zu. Seufzend ergab ich mich und schlüpfte in die enge schwarze Stoffhose und das rote T-Shirt, das sich auch perfekt an meinen Körper anschmiegte. Irgendwie fühlte ich mich unwohl, weil ich eigentlich immer darauf achtete, möglichst weite unauffällige Sachen zu tragen und nicht welche die förmlich schrien: „Huhu, schaut her hier bin ich!“ Allerdings schien Miriam völlig begeistert von meinen Sachen zu scheinen.

„Na bitte, wusste ich es doch.“ Zufrieden lief sie um mich herum und betrachtete mich von allen Seiten, bevor sie meinte: „Kleines das steht dir super! Wehe ich sehe dich noch mal in diesen Säcken.“ Sie lächelte mich an, aber sicher sah sie meine Unsicherheit.

„Ah Wanda komm mal her“, rief sie und winkte eine andere junge Frau zu uns. „Mira darf ich dir Wanda Bonsels vorstellen? Sie ist wie ich Tanzlehrerin hier und noch dazu die Queen was Mode fragen an geht.“ Miriam wandte sich zu ihrer Kollegin und Freundin.

„Wanda, das ist Mira Dress unsere neue Azubi.“ Wanda lächelte mir freundlich zu und reichte mir die Hand.

„Oh das freut mich, dich kennenzulernen. Du hast ja bleibenden Eindruck bei unserem Boss hinterlassen. Der Ärmste kommt ja gar nicht mehr raus aus den Schwärmen“, meinte sie mit einem Zwinkern, was mir aber die Röte ins Gesicht stiegen ließ.

„Na ja, ich … das ist wohl etwas übertrieben“, stammelte ich verlegen und trat von einem Bein auf das andere, was die beiden zum Lachen brachte.

„Lass dich nicht ärgern Mira, das war doch nur Spaß“, meinte Miriam.

„Aber was hältst du von den Sachen? Gefallen sie dir?“ Sie blickte mich erwartungsvoll an. Zum Glück blieb mir eine Antwort erspart, weil Wanda sich einmischte.

„Natürlich gefallen sie ihr, Miri. Wie kannst du den da noch fragen? Im Gegensatz zu uns zwei Bohnenstangen hat, sie idealen Body für diese Sachen.“, „Ich hab dich nicht gefragt Wanda, sondern Mira. Also Kleines was meinst du?“ Nun schauten mich die beiden an und sahen mich dabei so an das mir gar nichts anderes übrig blieb als zu sagen, dass es mir gefiel, auch wenn ich mich doch etwas unwohl fühlte. Fast so als würde ich nun mit einer Leuchtreklame über meinen Kopf durch die Gegend laufen.

„Na bitte! Ich hab es dich doch gleich gesagt!“, sagte Wand zu frieden und legte mir den Arm um die Schulter und zog mich mit sich.

„Aber meine Sachen…“, setzt ich an zum Protest, aber Wanda erstickte ihn sofort. „Ach, Miri kümmert sich schon darum. Mach dir keine Sorgen.“

So ergab ich mich meinen Schicksal und folgte ihr.

Kapitel 2

Die Zeit vergeht wie im Flug. Nun bin ich schon fast einen ganzen Monat hier und hab mich schon relativ gut hier eingelebt. Ab und zu hab ich zwar noch hier und da einige Probleme mit der Technik oder mit einigen Kunden, die der Meinung sind, ich wäre das größte unbegabteste Wesen im ganzen Universum. Aber alles in allem macht es Spaß und auch meine Kolleginnen sind super. Ich verstehe mich prima mit ihnen und verbringe auch meist meine Freizeit mit ihnen und lass mir von ihnen alles zeigen.

 

Drei Tage nach meiner Ankunft hatte ich auch Emilia kennengelernt, die wie ich hier ihre Ausbildung macht, nur war sie im Gegensatz zu mir schon im dritten Jahr und damit fast fertig. Sie ist etwas exzentrisch und liebt es sich in den Mittelpunkt zu drängen, während sie sich über einige beklagt, die doch so ungerecht sind. So auch heute.

           

Ich saß gerade am Empfang und versuchte vergebens die neusten Teilnehmerlisten auszudrucken, als sie sich auf einen Stuhl neben mir fallen ließ und mit einem lautstarken Seufzer um Aufmerksamkeit bat.

„Du siehst richtig fertig aus. Wie wäre es, wenn du eine Pause machst?“, sagte ich pflichtbewusst mit einem Lächeln. Wir hatten heute neue Ware bekommen und Emilia hatte beim Streichholz ziehen das Kürzeste gezogen, was sie zu der Sklavenarbeit verurteilt hatte. Sie lächelte mich dankend an.

„Das ist eine gute Idee. Die hab ich mir verdient! Ich weiß nicht, warum wir überhaupt so viele Klamotten brauchen. Reichen nicht zwei pro Größe zu?“ Ich lachte und schüttelte den Kopf über ihre Worte.

„Du kommst auf Ideen, also wirklich. Du weißt doch am Besten, wie es ist, wenn hier die Modelle ausgehen. Oder muss ich dich wirklich an letzten Freitag erinnern, wo wir nur noch das eine Kleid auf Lager hatten und die sich förmlich darum geprügelt haben. So weit mir bekannt ist, musstest du ja dazwischen gehen.“

„Ja ja, ich weiß es noch. Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Ich will es lieber wieder vergessen!“, meinte sie und verzog das Gesicht missbilligend. Bevor sie einen Blick über meine Schulter warf und fragte:

„Wie läuft es mit dem Computer, kommst du mit dem Programm zurecht?“ Ich nickte.

„Ja, aber manchmal macht er trotzdem nicht, dass was ich will“, meinte ich finster und machte einen erneuten Versuch des Druckens. Leider erhielt ich auch diesmal wieder eine Fehlermeldung, aus der ich nicht schlau wurde.

„Siehst du? Er mag mich nicht.“ Emilia lachte und schüttelte den Kopf.

„Wundert mich nicht. Du musst ja auch den Drucker einschalten“, meinte sie grinsend und drückte auf den entsprechenden Knopf. Sofort erwachte das Gerät zum Leben und druckte die Liste aus.

„Gott, meine Heldin! Schade, dass du kein Kerl bist, sonst würde ich dich jetzt abknutschen“, meinte ich überglücklich. Sie winkte allerdings ab.

„Nein danke, lass mal sein. Deine Worte reichen mir. Aber apropos Kerl. Hast du schon mitbekommen, Ray hat eine neue Tanzpartnerin. Soll eine ziemlich eingebildete Zimtzicke sein. Benka oder so.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Schon wieder? Der hat einen verschleiß… Hast du nicht auch mal mit ihm getanzt?“

„Ja, aber zum Glück hab ich den Absprung rechtzeitig hinbekommen. Der kennt keine Pausen und er ist der reinste Diktator. – Nein, den Fuß musst du so setzten“, äffte sie ihn perfekt nach, so dass ich nur lachen konnte. Sie war eine Schönheit. Ich konnte nicht verstehen, warum sie mit dem Tanzen aufgehört hatte. Mit ihren blonden Haaren, den blauen Augen und der schlanken, großen Figur war sie eigentlich perfekt dafür. Aber wenn ich an Raymonds Verhalten dachte, konnte ich ihr nur zustimmen.

„Ja, das passt zu ihm.“

„Was passt zu wem?“, fragte eine männliche Stimme hinter uns. Erschrocken fuhren wir zusammen und drehten uns um. Nur um einen finster dreinblickenden Ray zu sehen. Doch ich hatte mich schnell wieder im Griff und antwortete auf seine verärgerte Frage, ohne an irgendwelche Konsequenzen zu denken.

„Nichts, wo rüber Sie bescheid wissen müssten!“ Sein Blick wurde noch finsterer als zu vor, beinahe schon tödlich. Trotzdem ließ ich mich davon nicht einschüchtern. Sondern schenkte ihm ein betont freundliches Lächeln.

„Kann ich sonst etwas für Sie tun?“ In den letzten Wochen hatte ich mir angewöhnt ihn zu siezen, da es mir gegen den Strich ging, wie er mich und meine Kolleginnen behandelte. Und so konnte ich es ihm heimzahlen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Zwar ist es immer etwas seltsam, da ich alle anderen duze, doch es ärgert ihn und das ist es was ich will. Auch jetzt konnte ihm deutlich ansehen, dass er fast platzte, jedoch leider nur fast.

„Wenn Bianca mich sucht, sag ihr: Ich im Keller bin und Sie schon mal sich erwärmen soll!“, befahl er mit eisiger Stimme.

„Natürlich werde ich ihr es ausrichten“, meinte ich zuckersüß und wandte mich demonstrativ wieder dem Rechner, um die letzten Listen auszudrucken. Als ich plötzlich seinen warmen Atem an meinen rechten Ohr spürte. Ich wäre sicher zusammen gezuckt, wenn ich diese kleine Vorwarnung gehabt hätte, doch so blieb ich ganz gelassen und entspannt als er mir bedrohlich etwas ins Ohr sagte:

„Du solltest besser deine Aufgaben erledigen, bevor du über mich lästerst“

Ich wusste nicht ob Emilia alles mithören konnte, aber ich konnte regelrecht zusehen wie sie von Sekunde zu Sekunde immer blasser wurde.

„Du willst doch nicht schon nach einem Monat deine Koffer wieder packen, oder?“

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie darüber zu bestimmen haben. Außerdem bezweifle ich, dass es Ärger wegen unerledigter Arbeit geben wird. Da ich bis jetzt immer alles geschafft habe, was man mir aufgetragen hat. Außerdem wollten Sie nicht in den Keller?“, sagte ich und rückte mit meinen Stuhl soweit wie nur möglich von ihm ab.

„Du solltest aufpassen, wenn du dir zum Feind machst Kleines.“ Wenige Sekunden hörte ich wie eine Tür zugeschlagen wurde und hörte meine Kollegin aufatmen. Ich selbst hatte eine richtige Gänsehaut und war erleichtert, dass er wieder weg war.

„Du bist wahnsinnig! Niemand, aber auch wirklich niemand, der bei klaren Verstand ist, legt sich freiwillig mit Ray an.“ Ich zuckte nur die Schulter und machte ein unbeeindrucktes Gesicht, obwohl mein Herz immer noch raste. Ganz geheuer war mir die Situation auch nicht gewesen, allerdings würde ich das niemals zugeben, auch nicht Emilia oder jemanden anderen von meinen Freunden gegenüber.

„Was hätte ich denn deiner Meinung nach, tun sollen? Mich kleinlaut unter dem Schreibtisch verstecken und zu allem ja und ahmen sagen? Tut mir leid, das ist nicht mein Art.“

„Natürlich nicht, aber sich mit Ray anzulegen ist keine gute Idee. Der lässt sich sicher was einfallen, um dir einen Denkzettel zu verpassen.“ Wieder zuckte ich nur die Schultern.

„Mir egal, solange ich nicht tanzen muss, werde ich schon irgendwie fertig mit ihm“, meinte ich zuversichtlich, doch Emilia schien nicht daran zu glauben. Zumindest sah sie mich eine ganze Weile nachdenklich an, bevor sie aufstand und machte sich ebenfalls wieder an ihre Arbeit.

 

Als ich alles ausgedruckt und zusammen getackert hatte, um es Sarah zubringen, sprach mich eine junge Frau an, die kaum älter als fünfundzwanzig zu sein schien. Sie machte auf mich einen ziemlich hochnäsigen Eindruck, was sie mit jedem Wort unterstrich, das sie mit mir sprach.

            „Wo ist Ray?“, fragte sie, wobei ich einen Blick bekam, der sagte: Worauf wartest du? Du hässliches Ding. Dabei trommelte sie die gesamte Zeit ungeduldig mit ihren schrill pink lackierten und viel langen, künstlichen Nägeln auf dem Tresen.

„Entschuldigen Sie bitte, aber dürfte ich wissen, wer Sie sind?“, fragte ich höfflich, obwohl ich ihr lieber etwas anderes entgegnet hätte. Sie sah umwerfend aus und obwohl ich sie hier noch nie gesehen hatte. Zumindest wäre mir ein Einsneunzig große Schwarzhaarige möchte gern Topmodel sicher in Erinnerung geblieben.

 

„Bianca Sullivan. Was ist nun? Ich hab nicht ewig Zeit, schon gar nicht für jemanden wie dich.“ Jetzt wusste ich, warum Raymond sie zu seiner Tanzpartnerin gemacht hatte. Sie passte zu ihm wie die Faust aufs Auge. Sie hatte den gleichen miesen Charakter wie er, nur war sie mir um so einiges unsympathischer als Ray, trotzdem richtete ich ihr die Nachricht aus und machte mich anschließend auf den Weg zu Sarah, um ihr die Unterlagen zu geben. Ich fand sie hinter ihrem Schreibtisch sitzend und sich die Haare raufend, als ich das kleine Arbeitszimmer betrat, dass unser Büro war und in dem fast immer entweder Sarah oder Robert zu finden ist. Sie lächelte als ich ihr die Zettel überreicht.

„Ah, genau die brauch ich, danke Mira.“ Sie blätterte sie durch und legte sie auf ihren Schreibtisch und griff sich einen anderen Stapel. Ich wollte schon gehen als sie mich auf hielt und mir einige andere Zetteln mit Namen reichte.

„Kannst du die bitte Ray bringen? Es sind die Anmeldungen für unseren neuen LineDance Kurs, der heut beginnt“, erzählte sie mir und ich horchte auf.

„LineDance?“, fragte ich verwundert. Ich kannte diesen Tanzsport, ich selbst habe diesen Sport vor vielen Jahren einmal gemacht. Damals hat war ich regelmäßig bei irgendwelchen Workshops um neue Tänze lernen. Es ist nicht so kompliziert und man braucht für viele Tänze auf keinen Partner, da man sich einfach nur in eine Reihe aufstellt und bestimmte Schritte in vorgegebenen Reihenfolgen macht. Ich hatte es gern gemacht, das ich so mal von zu Hause raus kam, doch als meine Schwester mit ihrer Karriere startete und ich nur noch lieb und nett in der Ecke stehen durfte um zu jubeln, musste ich damit aufhören.

 

„Ja, wir bieten es ab diesem Monat mit an. Wir wollen schauen ob es sich lohnt weitere Kurse dafür zugeben. Ray hatte in den letzten Jahren einige Workshops besucht und auch an einigen Wettkämpfen teilgenommen“, erklärte sie mir.

„War er denn erfolgreich?“, fragte ich neugierig und erhielt ein nicken.

„Ja, ich finde schon, auch wenn er mit sich nicht so zufrieden ist, allerdings ist er nun einmal ein Perfektionist. Mit einem Dritten Platz ist er einfach nicht so zu frieden wie, seine Mutter“, meinte sie mit einem Augenzwinkern.

„Er sollte froh sein überhaupt unter den Besten drei gewesen zu sein, dass ist schon eine gute Leistung, vielleicht ist es genau, dass was ihm den ersten Platz verhagelt“, sagte ich, ohne daran zu denken mit wem ich sprach. Schließlich ist Sarah ja seine Mutter. Als mir das bewusst wurde, schlug ich mir auf den Mund und entschuldigte mich bei ihr. Doch sie lachte nur.

„Du kannst wieder aus dem Fettnäpfchen. Ich bin ganz und gar deiner Meinung, jedoch will mein lieber Herr Sohn davon nichts hören.“ Sie lehnte sich auf ihren Stuhl zurück und schaute mich an.

„Weißt du, mir kommt gerade ein großartiger Gedanke.“ Mir schwante nichts gute, schon gar nicht als ich ihren verschlagen Gesichtsausdruck dabei sah.

„Du hast doch auch mal LineDance gemacht, nicht wahr?“ Ich nickte verunsicherte.

„Gut dann bist du ab sofort seine Assistentin!“, sagte sie und warf mich damit völlig aus der Bahn.

„W-was? Das geht nicht. Ich hab doch überhaupt keine Ahnung, wie man das macht und …“

„Ach was! Du kennst alle Tanzschritte und ich hab gesehen, wie du neulich bei einem Lied getanzt hast. Und das war LineDance, denn Ray macht das auch immer.“

„Ja, aber deswegen kann ich so was doch nicht. Außerdem sind Ray und ich nicht gerade … nun ja wir arbeiten nicht gerade gut zusammen!“, warf ich verzweifelt ein, doch Sarah winkte nur ab.

„Das wird schon. Kommt Zeit kommt Rat. Mach dir darüber mal keine Gedanken – So nun muss ich weiter machen“, meinte sie zu frieden und wandte sich wieder ihren Aktenordnern zu, während ich immer noch wie perplex dastand und es nicht fassen konnte. Assistentin von Raymond, Gott wie kann das Schicksal grausam sein! Beinahe niedergeschlagen wollte ich schon das Büro verlassen, als Sarah noch einmal den Kopf hob.

„Ach Mira, könntest du Ray bescheid geben und an dieser Entscheidung von mir gibt es nix zu rütteln. Übrigens der Unterricht beginnt heut um neunzehn Uhr. Ich wünsch dir viel spaß!“ Sie zwinkerte mir zu und versank wieder in ihren Papieren.

 

Bleich schloss ich die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen.

„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen, Süße“, meinte Miriam, als sie auf mich zukam.

„So kann man das auch sagen Miri“, gab ich mit einem schiefen Lächeln zu und erzählte ihr, was gerade geschehen war. Als ich endete, fing sie an zu Lachen und mir mitfühlend die Schulter zu tätscheln.

„Du Arme und auch noch mit Ray. Du hast es echt nicht leicht.“

„Ja und das auch noch nachdem ich ihn heute auf hundertachtzig gebracht habe. Ich kann mir gleich den Strick nehmen! Oder besser noch ich such mir schon mal einen schönen Platz bei euch auf den Friedhof, wo ihr mich begraben könnt.“

„Ach Quatsch, so schlimm wird es schon nicht. Ich schätze, dass es nur am Anfang die Hölle sein wird und danach willst du es nicht mehr missen“, meinte sie mit einem Augenzwinkern, was mich allerdings nicht so ganz überzeugte. Sie ging weiter und ließ mich allein im Flur zurück.

Kapitel 3

Ich sah ihr nach und dachte mir nur, dass sie leicht reden hatte. Miri musste ja schließlich nicht mit einem selbstverliebten Idioten zusammenarbeiten. Das konnte wirklich heiter werden und ich wollte eigentlich nicht die Jenige sein, die Raymond die „freudige“ Botschaft unserer Zusammenarbeit mitteilte. Trotzdem würde mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als es zu machen.

Also machte ich mich schweren Herzens auf dem Weg zu ihm. Zuerst schaute ich im Tanzsaal vorbei, allerdings war dort niemand, nicht mal Miss Perfekt. Verwundert suchte ich weiter, es war seltsam niemanden anzutreffen, da ein Training so gut wie immer mehre Stunden in Anspruch nahmen. Und seit Ray mir aufgetragen hatte Miss Topmodel zum Aufwärmen zu schicken, waren noch nicht mal zwei Stunden vergangen. Also konnten sie eigentlich noch nicht fertig sein. Daher klapperte ich sämtliche Räume ab, die mir einfielen und schaute sogar im Herrenklo nach. Aber überall war gähnende Leere und auch die Leute, die ich traf, wussten nicht, wo Raymond abgeblieben war.

So ungern ich es zugab, aber langsam machte ich mir doch Sorgen, weil es nicht zu ihm passte, sich einfach aus dem Staub zu machen, ohne dass jemand bescheid wusste. Nach einer halben Stunde, ohne Erfolg, nahm ich das Telefon und versuchte ihn auf seinem Handy zu erreichen, allerdings ging dort auch nur die Mailbox ran. Frustriert und weil ich nicht mehr wusste, wo ich noch suchen sollte, schnappte ich mir den Kellerschlüssel und ging hinunter.

Eigentlich konnte er dort nicht mehr sein, da die Kellertür zu gewesen war, als ich obligatorisch von der Treppe aus nach gesehen hatte. Dennoch ging ich jetzt dahin zurück, obwohl die Tür eigentlich offen stehen müsste, wenn jemand dort war. Da man ohne einen Schlüssel dort nicht mehr raus kam, wenn diese einmal zu war. Und da es auch noch eine schöne massive Brandschutztür ist, die jegliches Geräusch schluckte. War man auf das pure Glück verlassen, um dort wieder rauszukommen. In der Regel verhinderten ein Holzkeil und ein Backstein das zu fallen der Tür. Doch wenn Jemand übereifriges beide Vorsichtsmaßnahmen wegräumte, saß man wie eine Maus in der Falle.

 

Mal davon abgesehen, dass die Kellerräume vom ganzen Haus eh nicht mein liebster Ort waren. Alles dort war recht verwinkelt und die wenigen Lampen an der Decke spenden nur spärlich Licht, so dass es immer dunkle Nischen und Ecken gibt, aus denen jeden Moment jemand auftauchen konnte, um jemanden einen Schrecken einzujagen. Außerdem war es dort immer eisig kalt und feucht. Die Luft war muffig und stank so gut wie bei jedem Besuch nach einer Mischung aus abgestandenem Wasser und Kläranlage.

Daher brauchte ich auch einige Sekunden, um mich zu überwinden die Tür zu öffnen und nach Raymond zu suchen. Als ich so weit war, stellte ich überrascht fest, dass abgeschlossen war, was seltsam war. Denn keiner machte sich die Mühe diese Tür abzuschließen, da ja von der anderen Seite niemand hineinkommen konnte. Geschweige den, dass der Keller auch nur irgendeine Flucht Möglichkeit bot. Alle Fenster, die es dort gab, was vielleicht, wenn es hochkam, sechs Stück waren, so klein waren, dass wenn man Glück hatte, ein kleines Kind durch gepasst hätte, wenn sie nicht noch vergittert gewesen wären. Perfekt also, wenn man jemand gefangen halten wollte.

 

Ich schob den Gedanken beiseite und schloss auf. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, strömte mich auch schon die kalte muffige Luft entgegen. Unwillkürlich überkam mich wieder eine Gänsehaut, als ich den Backstein zwischen Schwelle und Tür legte und den Holzkeil unter das Metall schob, damit die Tür offenblieb. Kurz versicherte ich mich noch einmal, dass ich den Schlüssel auch wieder abgezogen hatte und in meiner Hosentasche hatte, bevor ich mich auf die Suche nach Raymond machte. Es war wie immer unheimlich, das Licht schien noch schummriger als sonst zu sein, wenn man rein kam, also betätigte ich den Lichtschalter, doch anstatt heller zu werden, war es plötzlich stockfinster. Schnell machte ich es wieder an. Im Dunkeln wollte ich hier ganz bestimmt nicht sein.

 

„Ray?!“ Ich rief seinen Namen, aber alles blieb stumm. Am liebsten wäre ich wieder rauf gegangen und hätte mit meiner normalen Arbeit weitergemacht. Trotzdem sagte mir meine innere Stimme, dass ich jetzt nicht keifen sollte und hier weiter suchen sollte nach ihm. Und so lief ich weiter und begann die die angrenzenden kleinen Räume und Gänge nach im abzusuchen, wobei ich immer wieder seinen Namen rief. Als ich hinten ankam, wollte ich schon umdrehen, als ich eine brennende Taschenlampe auf dem Boden bemerkte, die im hintersten Winkel lag, wo kaum noch Licht hinkam. Verwundert ging ich hin und hob sie auf, dabei schenkte ich den Lumpenhaufen in der Ecke erst keine große Beachtung. Erst als zufällig der Strahl der Lampe auf das Bündel fiel, bemerkte ich, dass es Raymond war, der mit dem Gesicht zur Wand flach auf dem Bauch lag. Neben seinem Kopf war eine kleine dunkle Lache. Vor Schreck ließ ich die Taschenlampe wieder fallen, und lief zu ihm. Ich wusste nicht, ob er noch lebte, oder schon den Löffel abgegeben hatte. Vorsichtig drehte ich ihn ins Licht der Lampe, die ziemlich robust schien, manch andere Lampe wäre sicher ausgegangen bei dem Fall.

Ray war kreidebleich und seine Haut war eisig kalt, trotzdem lebte er noch. Sein Atem ging langsam aber regelmäßig und auch sein Herz schlug gleichmäßig, als ich mein Ohr an seine Brust legte und lauschte. Das beruhigte mich etwas, doch nicht so sehr, denn mir war klar, wenn er noch länger hier unten in der Kälte liegen würde, könnte sich das schnell ändern. Deswegen zog ich meine Jacke aus, sie war zwar nicht gerade dick, aber sicher besser als gar nichts, um seinen Körper zu wärmen.

 

Ich überlegte gerade, ob ich es verantworten konnte ihn hier allein zu lassen, um Hilfe zu holen, als Raymond sich zu regen begann und die Augen aufschlug. Mir fielen echt Steine in Größenordnungen von Wackersteinen vom Herzen. Er stöhnte, als er sich aufrichtete und mit der Hand sich an den Kopf fasste.

„Scheiße … Was ist denn passiert?“, fragte er mich gerade.

„Das würde ich auch gern wissen. Bist du gegen einen Balken oder so was in der Art gelaufen?“, fragte ich, als ich mich erhob und ihm aufhalf.

„Sehr witzig, ich lach später“, meinte er düster und zuckte zusammen, als er mit seiner Hand über den Kopf fuhr. Erst da wusste ich, was diese Lache am Boden war. Es war sein Blut und da wurde mir schlecht. Ich weiß nicht warum, eigentlich gehöre ich nicht zu denen die, wenn sie Blut sehen, umkippen oder sich übergegeben, aber hier war es irgendwie etwas anderes.

„Hey, kipp jetzt ja nicht weg, wegen den bissel Blut“, meinte er und griff nach meinem Arm. Er führte mich zu einer Holzkiste, die in der Nähe war, und setzte mich dort hin, bevor er neben mir Platz nahm. Wir schwiegen eine Weile, eh er das Wort ergriff:

„Wenn du das nächste Mal versuchst mich umzubringen, würde ich an deiner Stelle ein Messer oder der gleichen nehmen.“ Entrüstet sprang ich auf.

„Wie kommst du auf den Scheiß! Ich hab weder dich versucht umzubringen, auch wenn du es mehr als einmal verdient hast! Noch habe ich dich hier niedergeschlagen. Das Einzige, was man mir vorwerfen kann, ist das ich dich Vollidioten gesucht habe, um dir mitzuteilen, dass wir zusammenarbeiten müssen, bei deinem LineDance Projekt“, fuhr ich ihn aufgebracht an und bereute jegliches Mitleid, was in mir aufgekeimt war, als er verletzt am Boden lag. Ich schnappt meine Jacke und verließ ohne ihn noch mal eines Blickes zuwürdigen den Raum. Meine Übelkeit war ebenfalls mit einem schlag weg

Mir war egal, dass er mir hinterher rief und nachkam. Ich würde ihm ganz sicher nicht mehr helfen. Nicht nach der Unterstellung! Da war ich mir sicher, was ich zu dem Zeitpunkt aber nicht wusste, ist das ich gleich seine Hilfe brauchen würde. Denn ich hatte noch nicht mal die Hälfte des Weges zurückgelegt, da ging das Licht aus und ich hörte, wie jemand die Tür schloss. Panisch wollte ich schreien, dass ich noch hier wäre, als sich eine Hand auf meinen Mund legte und mich in eine Nische zog.

 

„Pst, keinen Mucks“, zischte Ray an meinem Ohr und presste mich fest an sich, als er die Lampe löschte und reglos verharrte. Ich wusste nicht, was das Theater sollte und wollte mich schon von ihm befreien, als ich Schritte hörte, die sich näherten. Dann sah ich den Schein einer weiteren Lampe und die Silhouette von einer Person, die irgendetwas Schweres hinter sich herzog. Unbewusst drückte ich mich enger an Raymond und spürte seinen muskulöse Brust an meinen Rücken, während mir das Blut in den Ohren rauschte. Ich glaube, wäre ich in dieser Situation allein gewesen, wäre ich sicher nicht so ruhig hocken geblieben, wie wir es gerade taten.

Die Zeit verstrich und keiner von uns rührte sich, wir lauschten nur auf irgendwelche Geräusche. Es schien eine gefühlte Ewigkeit zu vergehen, bis wieder die Schritte zu hören waren, die rasch näher kamen und sich wieder entfernten. Als Letztes hörten wir dann, wie die Tür ins Schloss fiel und selbst dann bewegten wir uns erst sehr viel später vorsichtig aus unserem Versteck heraus. Mir schlotterten die Knie und ich verspürte nicht die geringste Lust nachzusehen, was der oder die Jenige dort hinten hingebracht hatte. Im besten Fall waren ein paar alte aussortierte Schuhe und im schlimmsten Fall? Ich wollt es mir gar nicht vorstellen.

„Warte hier, ich geh nachsehen, was unser Freund abgelegt hat“, sagte Raymond und machte seine Taschenlampe wieder an.

„Bist du dir sicher, dass du das wissen willst? Ich meine, … Dich hat jemand niedergeschlagen und eingeschlossen und dann taucht jemand auf und zieht etwas hier lang. Entschuldige aber das ist …“ Ich merkte, dass meine Stimme mit jedem Wort schriller und hysterischer klang, daher brach ich ab und versuchte mich zu beruhigen.

„Was sollen wir deiner Meinung tun? Hoch gehen und tun als wäre nix gewesen?“

„Nein, aber wir könnten deinen Eltern bescheid sagen, zum Beispiel“, schlug ich vor.

„Da kann ich auch allein erst nachsehen, wenn nix ist. Dann brauchen wir es ihnen nicht erzählen.“ Damit wandte er sich um und ging davon. Ich verlagerte unruhig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Wirklich Lust hier allein im Dunkeln zu warten, hatte ich nicht. Also lief ich ihm nach und gemeinsam sahen wir nach, was der oder die Unbekannte versteckt haben könnte.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst warten!“, knurrte er mich an, doch ich dachte nicht im Traum daran.

„Ja klar, und dann kommt der Irre wieder. Nein danke!“, zischte ich finster und lief hinter ihm her, während er in jeden Raum leuchtete. Wir liefen weiter, bis wir wieder in dem Raum standen, in dem ich Raymond gefunden hatte. Anfangs schien auch dieser Raum, wie die anderen unverändert zu sein, bis ich den leblosen Körper von der Decke hängen sah. Vor Entsetzen stieß ich einen Schrei aus. Ich wollte hin aber starke Arme hielten mich fest.

„Du kannst nichts mehr für sie tun“, sagte er rau und zog mich weg von dem Grauen.

„Wir können doch nicht …“

„Doch können wir. Bevor wir etwas verändern, holen wir die Polizei!“, meinte er entschieden. Ich begriff nicht, warum wir das tun sollten. Alles schien auf einmal keinen Sinn mehr zu ergeben. Wer brachte eine Leiche in den Keller und warum? Wer war sie, die dort hängte. Kannte ich sie vielleicht sogar? Fragen über Fragen schwirrten mir in Kopf herum, während Raymond mich mit sich zog und etwas später die Polizei rief.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine lieben Freundinnen, die mich immer wieder auf schöne Ideen bringen. Auch möchte ich Luchia_Reito danken, die für mich das Bild erstellt hat.

Nächste Seite
Seite 1 /