Tugend ist die Mitte
zwischen den Fehlern.
(Horaz)
Eine Nachricht ist erst eine Nachricht,
wenn der zweite Blick den ersten bestätigt.
(Pulitzer)
Leben am Rand des
Vulkans
Erinnerungsfragmente
Karl-Heinz Link
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"Leben am Rand des Vulkans zeigt Gefahren auf durch Naturereignisse und kriegerische Handlungen, aber auch durch Menschen verursachte Unlieblamkeiten. Und dennoch blickt der gebürtige Rheinländer auf ein erfülltes Leben zurück. Dabei hilft ihm der Wein. Er braucht nur aus dem Fenster zu schauen, er kann die Weinberge gar nicht übersehen. Wir begegnen Saulus und anderen Gottesleugnern, Glücksmomente und Trauer, aber aulch nagende Selbstzweifel. Sein jugendliches Vertrauen in den Glockenturm und schon recht in den Beichtstuhl hat ihn erzürnt. Aber es befällt ihn zuweilen eine heilsame Erkenntnis, dass der Klerus dazugelernt hat."
Es ist mir erst aufgefallen, nachdem ich meine Lebenserinnerungen Monate nach ihrem Erscheinen wieder zur Hand nahm, dass ich im Übereifer meiner Schreibwut eine ganze Reihe von Erlebtem unerwähnt ließ. Was sind denn auch 190 Seiten in Buchform gegen 78 Jahre Leben? Die Kritiken aus der eigenen Familie schwankten zwischen: „Das hättest du nicht erwähnen müssen, damit hast du das Andenken Verstorbener beschmutzt“ bis hin zu: „Das beste Buch aus deiner Feder.“ Kritik ist meist subjektiv. Ganz wichtig erscheint mir die Wahrheit. Ich hatte mir beim Schreiben geschworen, objektiv zu bleiben, auch wenn es mich persönlich trifft. Mein Wahlspruch heißt: Butter bei die Fische. Ich möchte meinem Computer keinesfalls das Lügen beibringen. Manches ist in meinen Aufzeichnungen wolkig verpackt. Dennoch gehe ich mit mir und meinen Vorfahren nicht gerade zimperlich um.
Meine Feder ist noch nicht abgenutzt. Bislang sind elf Bücher erschienen. Die ergeben mehr als 2000 Druckseiten. Das ist nicht viel, wenn ich mir vorstelle, dass acht dieser „Werke“ erst im Rentenalter erschienen sind. Nicht mitgerechnet sind vier Schauspiele und Zeitungsberichte. Die netten Kleinigkeiten schlummern noch immer im Verborgenen und warten, aus dem Dornröschenschlaf erweckt zu werden. Verbrauchte Jahre werden durch Wortschöpfungen, wenn auch als Bruchstücke, durch Tinte wieder lebendig. Also werde ich erneut in unserem Vorleben herumstochern. Wenn Sie wollen, betrachten Sie meine hier geschilderten Vorgänge als Teil II meiner Lebenserinnerungen.
Am Mittwoch, 10. Januar 1934 wurde meine Frau Aenne in Bad Salzig geboren. Der Mainzer Anzeiger, Parteiamtliche Tageszeitung der NSDAP, derzeit im 84. Jahrgang vom gleichen Tag, berichtete auf seiner Titelseite: „Van der Lubbe hingerichtet!“ Im Text: „Die durch das Urteil des 4. Strafsenats des Reichsgerichts vom 23. Dezember 1933 gegen den Maurer Marinus van der Lubbe aus Leyden (Holland) erkannte Todesstrafe ist, da der Herr Reichspräsident von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, heute morgen um 7,30 Uhr in einem Hofe des Landgerichtsgebäudes zu Leipzig mittels Fallbeil vollstreckt worden.
Heute morgen fiel van der Lubbes Kopf – eine Strafe, die angesichts der Größe seines Verbrechens und der unausdenkbaren Folgen, die seine Tat hätte haben können – fast zu gering erscheint. So erscheint uns diese Sühne nur als Teilsühne. Lubbe war ja – trotz seines Leugnens – nur der vorgeschobene Posten unterirdischer Kräfte und Mächte. Sein Kopf, der einzelne einer Hydra, der über Macht tausend neue Köpfe wachsen könnten, wenn heute nicht das ganze deutsche Volk in äußerster Wachsamkeit gegenüber dieser Weltgefahr stände. Das verrasste, fast tierische Gesicht des Verurteilten war förmlich der körperliche Ausdruck dieser Gefahr und der dahinter stehenden geistigen Kräfte.
Das Einzelexemplar kostete 10 Pfg. Dafür erfuhren die Leser auf der Titelseite folgende Schlagzeilen:
Wird die entmilitarisierte Rheinzone abgeschafft?
Kriegsvorbereitungen zwischen Rußland und Japan.
Lettland will deutsche Freundschaft.
Im Anzeigenteil warben die Kinos: CAMERA „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo.
CAPITOL: „Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise“ und „Das Husarenlied“ mit Gustav Fröhlich und Camilla Horn.
KÖTHERHOF-Lichtspiele: „Das verliebte Hotel“ mit Anny Ondra.
Sportmeldung: Mit einem Athletik-Vierländerkampf soll im Jahre 1935 das Olympia-Stadion in Berlin eingeweiht werden. Deutschland will gegen Italien, Ungarn und Schweden antreten.
Die Geburt der Aenne Reiner stand unter dem gleichen Stern wie die Geburt ihres späteren Ehemannes Karl-Heinz Link. Beide waren vor der Eheschließung gezeugt worden. Damals war das noch ein Thema in den Familien gewesen. Man sprach unter vorgehaltener Hand von Schande. Deshalb versuchten die Reinereltern ihr Glück in einer Mansardenwohnung in Bad Salzig mit Blick auf den Rhein, dem Arbeitsplatz des Schiffers und alsbaldigen Kapitäns Peter Reiner.
Ein Jahr, einen Monat und einen Tag später kam ihr Bruder Josef Reiner bereits in Oberwesel zur Welt. Die junge Familie verbrachte jedoch recht bald ihre Jahre zwischen Rotterdam und Basel auf dem Rhein.
Die Ehe des jungen Paares Therese und Peter Reiner wurde am 28. Juni 1933 vor dem Standesbeamten in Oberwesel geschlossen und die kirchliche Trauung fand einen Tag danach in dem Wallfahrtsort Marienthal statt. Deren Tochter Anna Theresia, genannt Aenne, wurde am 10. Januar 1934 geboren und vier Tage danach in der Pfarrkirche zu Salzig statt (heute Bad Salzig). Bruder Josef Reiner kam bereits in Oberwesel zur Welt. Auch er wurde vier Tage nach seiner Geburt von Kaplan Dupont getauft in seinem jetzigen Wohnort Oberwesel. Die frühe Taufe entsprang einer alten Befürchtung, ein ungetaufter Säugling könne bei einem plötzlichen Tod nicht in das Himmelreich eingehen. Ganz anders war das bei der Taufe unseres ersten Enkels Florian Link gewesen, der bei seiner Taufe in Mainz nicht stillsitzen konnte und vor dem Altar herum flitzte wie Michael Schumacher auf dem Nürburgring.
Meine Eltern Barbara Weiler und Heinrich Link heirateten am 26. Januar 1934 vor dem Preußischen Standesbeamten Lauer in Oberwesel und am 28. Januar 1934 kirchlich in der Wallfahrtskirche in Bornhofen am Rhein (Bistum Limburg) unter Mitwirkung von Pater Fidelis Schumacher. Trauzeugen waren Peter Link und Karl Weiler, meine beiden Großväter gewesen. Nach knapp einem halben Jahr später wurde ich am 24. Juli 1934 geboren und drei Tage später am 29. Juli 1934 in der Pfarrkirche St. Martin in Oberwesel von Kaplan Dupont getauft. Mein Bruder Franz Lothar Link ist am 3. Oktober 1939 geboren und am 8. Oktober 1939 von Kaplan Jung getauft worden. Bemerkenswert: Der preußische Adler auf dem Dienstsiegel mit Blickrichtung rechts trug ein Hakenkreuz auf der Brust und je ein Hakenkreuz vor und hinter dem Schriftzug Preuß. Standesamt.
Die Beurkundung der Taufe meines Bruders Lothar hatte nichts mehr mit Preußen zu tun. Die umlaufende Schrift lautete schlicht: Standesamt in Oberwesel, Kreis Sankt Goar. In der Siegelmitte ein gradliniger, schnörkelloser Adler mit Blickrichtung links, darunter ein in Eichlaub eingefaßtes Hakenkreuz.
Am Tag meiner Geburt am 24. Juli 1934 berichteten die Zeitungen:
Opel stellt 400 Wagen pro Tag fertig – Volksautomobil 1,2 Liter, 4 Zylinder ab RM 1880.
KDF-Schiff, „Sierra Morena“ wird in Bremerhaven in Dienst gestellt.
Auftakt zu den Deutschen Kampfspielen in Nürnberg.
250 Todesopfer der Hitze in den Vereinigten Staaten.
„Graf Zeppelin“ bei den Capverdischen Inseln.
Bacharach: Millionenschäden infolge Unwetters.
Belgische Weltausstellungsbriefmarken werden vorgestellt.
Das Pfund Ochsenfleisch kostet im Konsum-Verein 65 Pfennig.
1a Süßbücklinge ½ Pfund 0,30
Neue Matjesheringe 1 Stück 0,18
Sven Hedin in Innerasien
Saargebiet im Zeichen der Zeitungsverbote.
Tragischer Tod deutscher Himalaja-Bergsteiger.
Das Österreichische Chaos – Massenverhaftungen in Wien.
Auf den ersten Blick könnten es Schlagzeilen von gestern sein, wenn man von den genannten Preisen absieht oder von historischen Begebenheiten, die der Vergangenheit zuzuordnen sind. Was bleibt, ist der Tenor der Meldungen, der uns heute gar nicht überrascht.
Hineingeboren in Schlagzeilen, in eine Umbruchphase, so begann mein Leben, und meine Mutter hätte ungläubig verneint, wenn man ihr gesagt hätte, ich Sohn werde einmal mit der Zeitung und von der Zeitung leben.
Nun ja, die Hälfte meines Daseins verbrachte ich in Verlagen, aber dort nicht in der schreibenden Zunft. Aber es scheint ansteckend zu sein und macht obendrein Spaß. Also schreibe ich zum Spaß. Ich schreibe Romane, Gedichte, Erzählungen, Krimis, Kurzgeschichten, Stücke, Kommentare und Berichte.
Essen-West
Wie ich richtig fromm wurde und für die Mission an die Haustüren
ging, um die Menschen für die Predigtstunden zu begeistern und wie ich als Vorbeter in der Fronleichnamsprozession Flagge zeigte. Essen-West, Helenenstraße 34, 1. Etage, 4 Zimmer, Küche, Bad, Garage im Hinterhof. Unser neues Zuhause mit Hausgenossin Heidi, eine Boxerhündin. Eines Tages sprach uns ein kräftiger Mann, mittleren Alters im Hinterhof an. Er wollte uns die KAB schmackhaft machen. KAB war für uns ein Fremdwort. Ich schaute ihn verdutzt an und antwortete ihm: „Wenn Sie vom Gesangverein kämen, könnten wir vielleicht miteinander reden.“ „Wir von der KAB, dem katholischen Arbeiterverein, wir haben einen Männergesangverein und proben wöchentlich im Marienheim. Kommen Sie doch einfach mal vorbei und hören Sie sich das an.“ Der Mensch hieß Alfred, Alfred Brouren und wohnte in der Rüselstraße, ganz in unserer Nähe. Ich wurde Mitglied und Sangesbruder. Alfred war Betriebsratsmitglied bei Krupp in Essen. Seine Frau Anita arbeitete in der Kantine von Krupp. Inzwischen sind beide nicht mehr unter den Lebenden. Die Sangesbrüder waren durchweg lustige Gesellen. Ich wurde Bariton. Alfred stand im Chor neben mir. Ich kann zwar heute noch keine Noten lesen. Aber ich hatte ein Gehör. Das half mir weiter. Nach der Probe ging es an die Theke. Ich lernte das Biertrinken. Das war für den gelernten Rheinländer neu gewesen. Singen macht durstig und lustig. Nach und nach lernte ich die Namen der Sangesbrüder. Wir trafen uns auch mit den Frauen bei „Kibbels“ und bei „Horstmanns“. Wer aktiv in der KAB tätig ist, der bekommt unweigerlich Kontakt zu dem Pfarrer. Er verkörperte einen für damalige Zeiten schon modernen Priester, der es vortrefflich verstand, den Großstadtmenschen für die Heilslehre Christi einzunehmen. Spontan entschloss ich mich zur aktiven Mitarbeit. Das hieß: Hautürwerbung für die Mission in Essen-West. Das Gefühl von: hier musst du aktiv werden. In der Großstadt musst du Dinge tun, die zuhause in dem kleinen frommen Städtchen am Rhein überflüssig sind. Die Großstadt kam mir vor wie eine Diaspora. Und dabei ist die Stadt Essen Bischofssitz, aber auch eine nach Grün hungernde Industriestadt. Die grauen und niedrigen Zechenhäuser übten sich in Wiederholungen. Nur die grünen Vorgärten stritten mit geringem Erfolg gegen die Tristesse des Arbeiterviertels. Es waren kleine grüne Oasen, zum Teil mit liebevoll errichteten Holzlauben und Geranienkästen bestückt. Daneben der Hasenstall mit dem Wildbrett der Bergleute. Dann wiederum protzten Licht schluckende Betonpaläste beiderseits breiter Fahrstraßen mit aufdringlichen Neonschriften und wetteiferten mit den rotgelbgrünen Augen des schier nicht enden wollenden Straßenverkehrs. Noch vorhandene Trümmergrundstücke beherbergten großflächige Plakatwände, die für die Gruga warben oder für Peter Styvesant, dahinter spielende Kinder. Unsere Buben waren auch darunter zu finden. Bis eines Tages das Trümmerfeld gesperrt wurde. Experten entdeckten einen Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg. Wir wohnten genau nebenan in der Helenenstraße und mussten die Wohnung für Stunden verlassen und alle Fenster öffnen. Die Fliegerbombe wurde entschärft. Schließlich hatte man genügend Erfahrung in diesen Dingen.
Wir beobachteten den Vorgang aus respektabler Entfernung und waren heilfroh, als das Signal zur Entwarnung ertönte. Wir lernten die Stadt Essen kennen. Limbecker Platz, Kennedy-Platz, den Borbecker Schlosspark, den Baldeneysee mit Villa Hügel und den Grugapark. Vor allem lernten wir Menschen kennen. Zunächst die Sangesbrüder, den Paul Gasser mit seiner unverwechselbaren Lache und seine Frau Marianne, den Vorsitzenden des Gesangvereins, Willi Müller, den Karl-Heinz Erz, Stimmungskanone und Karnevalist. Dann den Zahnarzt Becker und viele Gesichter, deren Namen mir entfallen sind. Der Chor veranstaltete Konzerte im Marienheim und sang auch in der angrenzenden Kirche. Erwähnenswert die Karnevalsveranstaltungen für die gesamte Chorfamilie im voll besetzten Clubheim. Bier war das bevorzugte Getränk gewesen, Bier und etwas zu trinken hieß Bier und Schnaps. Korn, Samtkragen oder Pissfix (Wacholder). Neu für uns schienen die Viererreihen an der Theke bei leer stehenden Tischen und Stühlen im Lokal. Die Theke war die Quelle, Getränke wurden nach hinten durchgereicht. Körperkontakt förderte die Gesprächsbereitschaft. Jeder war mit jedem auf Du. Man fühlte sich wie in einer großen Familie. Dabei hatte jeder seine eigenen Probleme. Aber die blieben außen vor. Es war eben ein Hort zum Abschalten. Die Welt schien in Ordnung zu sein, wenn auch nur für Stunden.
Wann immer Gelegenheit bestand, die Schwiegereltern Therese und Peter Reiner für einen oder zwei Tage zu uns nach Essen zu holen, machten wir davon Gebrauch. Wir fuhren nach Duisburg zum Hafen, luden sie in unseren DKW und ab ging es zur Helenenstraße. November, noch sechs Wochen bis Weihnachten. Die Buben schleppten den Opa Peter in die Altendorfer Straße und blieben vor dem Spielwarengeschäft stehen. Vor allem die Märklin-Eisenbahn faszinierte die Knaben. Die Buben drückten ihre Nasen an der Schaufensterscheibe platt und jubelten der Dampflok zu, die während voller Fahrt mit den angehängten Personenwagen echten Dampf abließ. Am Ende kamen Opa und Enkel mit einem großen Karton unterm Arm zurück von ihrem kostspieligen Spaziergang, der Jubel überwältigend. Ein Weihnachtsgeschenk im November. Der Opa meinte lakonisch: „Wer weiß, ob wir zu Weihnachten überhaupt kommen können. Auf der Schifffahrt ist alles möglich. Vielleicht sind wir in Rotterdam oder in Basel!“ Er genoss die Kinderfreuden jetzt. Das bisherige Esszimmer wurde zum Eisenbahnzimmer umfunktioniert. Holzböcke und Holzplatte muss-ten herbei. Mit zerknüllten Zeitungen und Sackleinen entstan-den Berge. Darüber streichfähiger Gips und später graue und grüne Farbe, setzten Miniaturbäume, Bahnhof und eine Häusergruppe mit Miniaturmenschen und Tiere darauf. Ein alter Spiegel lugte aus dem Moos als See. So entstand bereits vor dem Advent ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk.
Am 6. Dezember sangen die Kinder: „Lasst uns froh und munter sein…“ Dann pochte es an der Tür. Im Flur stand der Nikolaus mit Bischofsmütze und Stab in der Hand. Mit dem weißen Bart und dem roten Gewand sah Paul Gasser (Lachpaul) wie ein wirklicher Nikolaus aus. Er hatte ein goldenes Buch dabei und eine große Tüte mit Süßigkeiten. Die Kinder standen etwas schüchtern vor ihm und falteten ihre kleinen Hände. Es war Abend, und die Buben hatten bereits ihre Schlafanzüge an. Später, nachdem der heilige Mann seine Mission beendet hatte, kam Peter zu seiner Mutter und flüsterte ihr ins Ohr: „Das ist der Lachpaul.“ Mama Aenne legte ihren Zeigefinger aufrecht über ihren Mund und deutete mit den Augen auf die jüngeren Brüder. Peter, der älteste unserer Buben, verstand diese Geste.
Jede Essener Pfarrei richtete zu Fronleichnam ihre eigene Prozes-sion aus. Unser Pfarrer kam eines Tages in unsere Chorprobe und warb um Vorbeter für den Fronleichnamstag. Ich wurde ausgeguckt mit dem Karl-Heinz Erz. Die beiden Heinzemänner wurden zu Vorbetern. Die tristen Straßen wurden von den Bewohnern spärlich mit Maiengrün und vereinzelt mit Fähnchen geschmückt. Da lobte ich innerlich meinen Heimatort Oberwesel, wo früher wunder-schöne private Altärchen mit Heiligenfiguren, brennenden Kerzen und Blumen geschmückt wurden. Ich hatte den Eindruck, hier musst du Flagge zeigen, damit diese alte Tradition erhalten bleibt. Essen war und ist eben Großstadt, selbst Bischofsstadt, aber dort lebten beileibe nicht nur Katholiken. Ich erinnere mich an unsere Zeit in Duisburg-Meiderich. Wir wohnten zur Miete in der Alexanderstraße bei der Familie Kassing. Kassing hatte ein Pferd, das hieß Axel, wie unser Sohn. Auf der anderen Straßenseite wohnte die Familie Elflein, deren Sohn Willi in Axels Alter gewesen war. Die Kinder fanden rasch Kontakt und spielten gemeinsam zwischen den alten Baracken aus dem Krieg und dem Schlackenberg. Wir wohnten in der 1. Etage, vier Zimmer, Küche, Bad, zwar nicht die erste Adresse, immerhin wurde das Dreifamilienhaus erst nach dem Krieg erbaut und hatte bereits Zen-tralheizung und lag abseits des Verkehrslärms, aber in riechbarer Nähe der Teerverwertung und nicht weit von Oberhausen-Lierich, lediglich getrennt durch den Kanal, also zu damaliger Zeit ein Industriegebiet. Eine Schüssel Vanillepudding auf der Fensterbank zum Kühlen abgestellt, präsentierte sich bereits nach einer Stunde mit schwarzen Rußpartikeln übersät. Das macht man nur einmal. Wir erfuhren von der schönen Badelandschaft in Duisburg-Wedau, unmittelbar an der Ruderregattastrecke. Dort fuhren wir mit unseren Buben hin zum Schwimmen. Wir luden das Badezeug in unseren Wagen, auch Wolldecken und Handtücher. Wir suchten uns ein nettes Plätzchen in Ufernähe und ließen uns nieder. Bald entdeckten wir ganz in der Nähe ein bekanntes Gesicht. „Aber das ist doch eine Oberwe-selerin,“ sagte meine Frau. „Doch ich kenne ihren Namen nicht,“ antwortete ich. Wir überlegten krampfhaft. „Die ist doch nur zwei Jahre älter als wir.“ Wir gingen erfreut auf die Oberweselerin zu und begrüßten sie mit Handschlag. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Geschichte, wie wir nach Duisburg verschlagen wurden, duzten uns selbstverständlich, ohne sie mit Namen zu nennen. Peinlich für uns. Die Situation erinnerte mich an den dummen Spruch: Fräulein, ich kenne Sie, aber ich weiß nicht, wie ich auf Sie draufkomme. Irgendwann erschien auch ihr Mann, den wir nicht kannten. Er erwies sich als umgänglich, freundlich. Wir merkten sofort, das ist ein Pfundskerl. Der Pfundskerl zeigte uns im Verlauf des Gesprächs seine Dauereintrittskarte für das Wedaubad, wo heute noch Regattarennen stattfinden. Da erfuhren wir seinen Namen Bernhard Schmitz. Er sprach seine Frau mit Christel an. Da fiel bei uns der Groschen. Christine Schmitz, geborene Oppenhäuser. Wir hatten Bernhard sofort geduzt. Bald verabschiedete er sich für eine Stunde und kam auch bald zurück. Er war zuhause, buk einen Kuchen und lud uns zum Kaffeetrinken bei sich in seiner Wohnung ein. Wir packten unsere Sachen ein und fuhren ihm hinterher nach Wedau. Für uns war er eine echte Neuheit, ein Kuchen backender Hausmann. Es war ein ausgiebiger Kaffeeklatsch, dem viele gemeinsame Treffen folgten. Die beiden Schmitzens haben zwei Söhne. Der ältere Sohn Frank wurde Arzt, und der Ullrich ist selbstständig und betreibt eine Beleuchterfirma für das ZDF und lebt in Ingelheim. Mit der Familie Schmitz verbrachten wir über Fastnacht einen Winterurlaub in Bodenmais/Bayrischer Wald im „Bergknappenhof“ in der Silberbergstraße. Wir genossen ein Bilderbuchwetter mit Schnee satt. Dort gab es Hallenbad und Sauna, die wir ausgiebig besuchten. Nur Bernhard sträubte sich gegen die Sauna. Er war einfach nicht in den Schwitzkasten zu bewegen. Alle Vorzüge einer Sauna schlug er in den Wind. Der Ferienort Bodenmais besitzt ein beliebtes Langlaufparadies auf dem „Bretterschachten“ am Arber, dem höchsten Berg im Bayrischen Wald. Von dort war es nur einen Katzensprung nach Bayrisch Eisenstein, der geteilten Grenzstadt zur Tschechei. Quer über die Bahngleise verlief die Ostgrenze als Mauerwerk. Hier wurde uns zum ersten Male die Tragweite einer verfehlten Politik bewusst. Am Fastnachtsonntag besuchten wir die katholische Kirche auf dem Hügel in Bodenmais. Die Predigt des humorigen Geistlichen hatte den Gläubigen Schmunzeln und sogar Lacher abverlangt. So etwas vergisst man nicht. Bleibt nachzutragen: Bernhard hat heute natürlich eine Sauna in seinem eigenen Heim.
Auf der Suche nach weiteren Bekannten aus der alten Heimat führte uns der Weg nach Rheinhausen. Dort lebte ein Ehepaar aus Wellmich, dem Geburtsort meines Schwiegervaters Peter Reiner. Wir bemühten die Telefonauskunft und erfuhren die Telefonnummer von Heinrich Platt, der die ebenfalls aus Wellmich stammende Marianne Rittgen geheiratet hatte. Wir vereinbarten einen ersten Besuchstermin. Oh Gott, die wohnten inmitten von Kohlehalden in einer bescheidenen Behausung. Aber der Heinrich war sparsam und strebsam. Er lebte seine Träume vom eigenen Heim. Es gelang ihm tatsächlich, ein wunderschönes Haus in Moers am Niederrhein aus eigener Kraft aus dem Boden zu stampfen. Sie haben zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Dort in der Memelstraße leben sie heute noch, sind gesund und glücklich. Eine Begebenheit konnte ich auch nach Jahrzehnten nicht vergessen. Die beiden besuchten uns natürlich auch in unserer Wohnung in Duisburg-Meiderich. Sie kamen mit ihrem VW-Käfer. Wir schwelgten in Erinnerungen. Es muß im Sommer gewesen sein, denn es gab Erdbeerbowle. Die schmeckte nach mehr. Am Ende hatte die Marianne einen sitzen, sprich Schwips. Heinrich hielt sich etwas zurück, weil er der Fahrer war. Als die beiden in den Käfer einstiegen, schlug Marianne vom Beifahrersitz einen Rückwärtssalto auf die Rückbank und schlief dort bald ein. Von der Heimreise hatte sie nichts mitbekommen.
Ich erzähle die Geschichte unserer geschlechtlichen Liebe auf dem Teppichboden, die beim Kerzenschein um ein Haar zum Großbrand geführt hatte. Wir hatten Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite und konnten uns gegenseitig in die Fenster sehen. Noch heute gibt es weder Vorhänge noch Markisen. Nicht hüben noch drüben. Was im Familienleben passierte, war im Grunde für alle Beteiligten von geringem Interesse. Wenn aber einmal in stillen Stunden die Hormone erwachten und erfinderisch wurden, wie bei meiner Frau und mir, dann hatten wir einfach das Licht ausgemacht. Nur die Straßenbeleuchtung vertrat dann das Mondlicht und spendete einen kargen Lichtschein zur eigenen Orientierung. Wir sparten Strom, zündeten dann jedoch eine einsame dickwandige Kerze auf dem hölzernen Couchtisch an, die lediglich unsere nackten Körpern Konturen verlieh. Auf dem Plattenspieler lag Verdis Gefangenenchor aus Nabucco. Er verzauberte uns zum xten Mal, weil es unsere erste und einzige Platte war. Auf der B-Seite das Capriccio Italiene. Daneben zwei Sektkelche, gefüllt mit einem Sonderangebot. Ein Champagner der Edelsorte hätte unsere Gefühle auch nicht höher beflügeln können. Ich spreche vom Vorspiel, von der Ouvertüre. Nein, so ganz jung waren wir nicht, schließlich hatten wir bereits drei Söhne, die schliefen unterm Dach. Man hätte vermuten können, unser Liebesbedarf sei gedeckt. Nein, das war er nicht. Wir waren einfach nur glücklich miteinander, wenn unsere Hände, Lippen und die Unterleiber gegenseitig zusammenfanden. Weniger komfortabel war ein Liebesakt im Winter in der verlassenen Wohnung der Eltern Reiner, die irgendwo auf dem Rheinstrom unterwegs waren. Zu jener Zeit waren wir bereits verlobt. Die Wohnung in der Kirchhausener Straße war auch bei Außentemperaturen von Minus 10 Grad nicht beheizt. Zentralheizung gabs nicht. Aber es gab in der Küche einen Gasbackofen. Wir schlossen die Vorhänge zur Straße, zündeten den Backofen an und ließen die Backofentür offen. Vor dem Fenster stand eine Chaiselongue. Dort vergnügten wir uns. Die Vereinigungen, variantenreich und an den verschiedensten Plätzen, gehörten in das Geheimfach meines Gehirns und wurden zum glückbringenden Ritual. Nur so konnte die Menschheit bestehen. Wir wurden auf diese Weise dem Schöpferauftrag gerecht, ohne uns dessen bewusst zu sein. Das Glück, das wir uns gegenseitig schenkten, mit der Gründung der eigenen Familie blieb uns auch im Alter gewogen, wenn auch die geschlechtliche Liebe ihren Stellenwert reduzierte. Wäre noch nachzutragen: Die erwähnte Kerze beim Liebesakt brannte vor sich hin, auch nachdem wir unsere Spielwiese im Schlafzimmer aufgesucht hatten. Irgendwann in der Nacht musste ich zur Toilette. Da gewahrte ich den Lichtschein im Wohnzimmer. Schon war die Tischdecke von der Flamme beleckt. Ich hastete hinzu und erstickte mit bloßen Händen das beginnende Feuer. Fazit: Liebe kann gefährlich sein. Kurt Tucholsky hat zur geschlechtlichen Liebe einmal gesagt: „Wie weit ist es von einem Mann zu einer Frau? Es ist schön, in eine Frau wie in ein Meer zu tauchen“.
Die biologische Uhr hatte ihre Schuldigkeit getan und lebt nun in unseren Kindern und Enkelkindern weiter. Älterwerden hat auch schöne Augenblicke, wenn wir die Nachkommen in ihrem Fortkommen mit Wonne betrachten. Als in den Jahren die Söhne ausschwärmten und spät in der Nacht durch den Hintereingang ins Haus schlichen, stand, wie könnte es anders sein, ihre Mutter im Treppenhaus. Es war ein Kontrollversuch, oft verbunden mit guten Ratschlägen und verbaler Schelte. Eines Tages gab ich meinen Söhnen einen probaten Rat, wie sie es anstellten sollten, damit sie unbemerkt ins Haus gelangen könnten. Ich sagte: „Ihr seid Hornochsen. Strengt eueren Erfindergeist an. Ihr müsst im Gässchen nur warten, bis ein Güterzug vorbei rattert. Dann hören wir in unserem Schlafzimmer nicht, wenn sich unten der Haustürschlüssel im Schloss dreht. Schuhe ausziehen und leise durch das Treppenhaus schleichen.“ Seitdem herrschte Ruhe und Frieden im Haus. An einem Sonntagmorgen war der Kaffeetisch gedeckt, als Sohn Lothar aus seiner Dachkammer kommend in der Küche mit verschlafenem Gesicht erschien und darum bat, noch ein Gedeck aufzulegen.
Er hatte weiblichen Besuch bei sich beherbergt. Wir sahen uns fragend an und wollten keineswegs unhöflich erscheinen. Also kam gleich darauf ein schüchternes Mädchen in die Küche, etwas geniert und nahm wortkarg Platz. Mutter Aenne blieb höflich, hatte Lothar aber später doch eine passende Predigt gehalten. Keiner unserer Söhne ist bei der ersten Liebe geblieben. Es gab zwar erfolgversprechende Bindungen, die jedoch irgendwann in die Brüche gingen. Sohn Axel hatte zunächst im heimischen Revier nach Röcken gejagt. Dann entdeckte er in Bingen Christiane Buder, Tochter von Heinz und Karla Buder. Wir waren einverstanden und pflegten auch privaten Kontakt zu der Binger Familie. Heinz Buder verschaffte Axel sogar einen Ausbildungsplatz bei der Dresdner Bank. Wir sahen in ihnen schon seine künftigen Schwiegereltern. Aber es kam dann doch anders, ganz anders. Heute lebt er mit seiner zweiten Familie in Köln. Seine Tochter Caroline aus 1. Ehe lebt und arbeitet ebenfalls in Köln, ist verheiratet mit Pascal Link. Pascal und Caroline einigten sich auf den Namen Link. Beide waren an der Universität Köln beschäftigt und haben jeder die Doktorarbeit bestanden. Das freut einen Großvater sehr. Inzwischen sind beide im Schuldienst beschäftigt.
Zurück nach Oberwesel. Unsere Kinder erlebten ihre Eltern als passionierte Saunagänger. Wir fuhren nach Koblenz oder nach Niederlahnstein zur Sauna. Das kostete Benzingeld und Eintritt. Auch Zeit. Im Jahre 1981 war das Fest unserer Silberhochzeit. Aus diesem Anlass schenkten uns die Kinder einen Saunaofen. Den ließen wir von einem Fachmann installieren. In der Tiefparterre des Hinterhauses gab es vier kleine Kellerräume. Einer davon beherbergte früher eine Limonadenabfüllstation des früheren Eigentümers Josef Kirchgässer. Dieser Raum bot sich als Saunaraum an. Unsere Buben besorgten Kanthölzer und Dämmstoffe sowie Nut-und-Federbretter. In dem vorgesehenen Liegeraum war ein Einstieg in einen Gewölbekeller, der heute noch unter dem Nachbarhaus zur Kirchhausener Straße liegt. Keller hatten wir mehr als genug. Mit gemeinsamen Kräften wurde dieser Einstieg zubetoniert. Es mussten Siederohre herbei und ausgediente Schiffsplanken sowie Moniereisen. So entstand mehr Platz für den Liegeraum. Jetzt können wir zwar den Keller nicht mehr nutzen. Unser Nachbar aber auch nicht. Denn von dort gab es nie einen Einstieg. Dieser verborgene Keller hatte ohnehin häufig Hochwasser geführt. Das wird auch jetzt noch der Fall sein. Aber es kümmert uns nicht. Wenn die übrigen Nachbarn ihre Keller leer pumpen, wird zwangsläufig unser toter Keller ebenfalls leerlaufen. Vor Jahren kauften wir noch eine Infrarotkabine für zwei Personen. Die wird gerade im Alter öfter genutzt als die klassische Sauna. Gerade bei Gliederschmerzen helfen Infrarotstrahlen spürbar. Der Unterschied zwischen beiden Systemen: der Schwitzeffekt ist der gleiche. Aber nach der Infrarotphase wird im Gegensatz zur finnischen Sauna warm geduscht. So wurden wir Warmduscher. Unser Haus ist über 300 Jahre alt. Fachwerk mit Lehm und Ähren. Auf der 1. Etage vier Zimmer. Daraus wollten wir erst einmal drei machen. Es war ein Samstagabend. Was fangen wir mit dem Abend an? Sehen wir fern oder werfen wir die Wand zwischen Wohnzimmer und Esszimmer raus. Wir schalteten den schwarzweißen Apparat an und merkten bald, das Fernsehprogramm bot uns nichts. Alles Quatsch. Also entschlossen wir uns, die Wand niederzureißen. Hämmer, Meißel, Eimer und Schaufel mussten her. Wir gingen es an. Nach einer Stunde entdeckten wir ein Fachwerkgebälk. Das ließen wir stehen. Balken im Raum strömen Wärme aus und Atmosphäre. Wunderbar. Wohin mit dem Schutt? Der Mülleimer war rasch voll. Der Schutthaufen wuchs und wuchs. In unserer Einfalt riefen wir unseren Kegelbruder Hans Matthai an. Wir wussten, der hat einen Pritschenwagen. Hans kam sofort mit seinem Gefährt, stellte es auf den Bürgersteig, genau unter die Fenster und brachte schweres Gerät mit. Er sprach: „Wenga, wenga,“ Die nächtliche Liebfrauenstraße 24 wurde in eine Staubwolke gehüllt. Nach einer weiteren Stunde, es ging auf Mitternacht zu, war die Arbeit getan. Doch Hans hatte noch was vor. Er nötigte mich auf den Beifahrersitz. Jetzt ging es ab in Richtung Wiebelsheim. Dort fand er in Höhe des ehemaligen Schuttplatzes ein Gelände, das die Ladung aufnahm. Ich hatte ein verdammt schlechtes Gewissen. Wir sahen aus wie Neger. Nur das Weiß in den Augen wies mich im Spiegel noch als Mensch aus. In der Zwischenzeit hatte Aenne den gröbsten Schmutz weggefegt und abgesaugt. Sie hatte mir auch die Badewanne mit wohlig warmem Wasser gefüllt. Hans hielt sich an der Doornkaatflasche fest. Auch ich nahm einen kräftigen Schluck. Irgendwann schlief ich in der Badewanne ein.
Nicht einschlafen durfte ich in meiner Eigenschaft als. Vorsitzender des Oberweseler Gewerbevereins OGV, der heute noch existiert, allerdings durch junge, dynamische Kaufleute geführt wird. Der heimische Handel und das Gewerbe hatten sich im Verlauf der Jahre durch den Siegeszug der Verbrauchermärkte, was wiederum mit den Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher geprägt war und ist, auf eine veränderte Situation einzustellen. Dennoch gelang es dem OGV, ein breites Publikum auf die Leistung seiner Mitglieder aufmerksam zu machen. Im März des Jahres 2007 fand eine Mittelrhein-Messe mit über 40 Messeständen im Schulzentrum der Verbandsgemeinde St.Goar-Oberwesel statt. Dieses Ereignis fand in der Rhein-Hunsrück-Zeitung ein erfreuliches Echo.
Während meiner Zeit als Geschäftsstellenleiter der Allgemeinen Zeitung in Bingen war ich lange Jahre Schriftführer der dortigen Werbegemeinschaft und späterer 1. Vorsitzender. Bingen ist zehnmal größer als Oberwesel, und die Aufgaben und Möglichkeiten sind in einem solchen Mittelzentrum entsprechend anspruchsvoller, als in meinem kleinen Heimatort. Zudem war ich eine Legislaturperiode lang 1. Vorsitzender des örtlichen Sportvereins Vesalia 08. Es war die Zeit, als unsere Kinder aktiv Sport betrieben, Peter, Lothar und Bettina als Turner und Axel in der Fußballabteilung. Bleiben wir bei Vorstandspöstchen. Selbst nach Beendigung meines Engagements bei der Allgemeinen Zeitung hörte das Ringen mit und um diese Zeitung nicht auf.
Meine Frau Aenne übernahm am 1. Mai 1990 als geschäftsführende Gesellschafterin die Geschicke der ZVG-Zeitungsvertriebsgesellschaft für Bingen und den oberen Mittelrhein mbH. Später übernahm sie die ZVG Ingelheim dazu mit einem zweiten Büro in Ingelheim. Später wurde der Hauptsitz nach Bingen verlegt. Die Gesellschaft wurde umbenannt in Zeitungsvertriebsgesellschaft Bingen und Ingelheim mbH, kurz ZVG genannt. Der Verlag startete mit 17 Einzelgesellschaften.
Die P(B)lattmacher
Dieser Romanstoff spielt in einer mittleren Großstadt in Deutschlands Westen. Was der Autor niederschreibt, ist Anarchie. Aber sein Bericht beruht auf einer wahren Begebenheit. Er sitzt mit im Boot. Wenn er vor sich selbst bestehen will, muss er diesen Bericht verfassen. Er tut dies mit dem Wissen, dass er am Ende mit leeren Händen dasteht, sobald das Manuskript veröffentlicht wird. Dennoch schreibt er sich frei, um nicht zu ersticken.
Ernst Eckstein war der Prototyp eines eingefleischten Zeitungsmachers. Er besaß wachsame Aeugelein, ein etwas grob geschnitztes Antlitz mit dennoch gütigen Zügen. Wenn er sprach mit seiner unverkennbar dialektgefärbten Stimme und dabei Wörter benutzte, die sein Kollege in der Redaktion niemals schreiben würde, dann erzeugte er bei seinen Gesprächspartnern eine gute Portion Glaubwürdigkeit. Ja, Eckstein* war so etwas wie eine Vaterfigur, der für vieles Verständnis aufbrachte und zuhören konnte. Mit einem Wort, er war das verkörperte Urgestein eines Verlagskaufmanns, dem nicht selten eine Portion Mutterwitz entglitt, ohne jedoch zynisch oder gar beleidigend zu wirken. Er erzählte die Geschichte, als er nach dem Krieg gemeinsam mit Rudi Schönfeld* von der Beamtenstadt ins 25 Kilometer entfernte Rheinstein fuhr zum Umbruch der Samstagausgabe. Schönfeld und Eckstein bildeten ein Gespann. Während Eckstein schon mit einem Auge auf sein Rentenalter linste, hatte Schönfeld noch knapp die doppelten Jährchen vor sich, also knapp zehn. Beide zählten sich beileibe nicht zum alten Eisen. Sie trugen gemeinsam die Verantwortung für die Geschicke ihres Heimatblattes, das immerhin zu den ältesten Zeitungen Deutschlands zählte. Bis vor wenigen Monaten in der Neuzeit oblag die Führungsaufgabe noch einem Triumvirat. Die Dreimänner-Herrschaft wurde von den Geldgebern aufgekündigt, nachdem der Dritte im Bunde, der Vertriebsleiter Kastner dem Alkohol dermaßen verfallen war, dass er jeden Tag eine Flasche Chantré offen auf seinem Schreibtisch stehen hatte, die am Abend vollends geleert war. Er zeigte dabei erstaunlicherweise überhaupt keine Ausfallerscheinungen. Offenbar brauchte er den Stoff wie andere ihre Glimmstengel, und die waren ihm zudem ebenfalls unentbehrlich. Er diktierte seine Korrespondenz, telefonierte geschliffen, ohne dass seine Gesprächspartner seine Sucht bemerkt hätten. Er sprach nicht über sein Problem. Später erfuhr die ganze Belegschaft von seiner Krankheit. Er verkroch sich in eine Suchtklinik und verließ auf eigenen Wunsch den Verlag. Ein Jahr danach kam eine Todesanzeige. Doch der Posten musste zunächst kommissarisch besetzt werden. Doch der junge Nachfolger als Vertriebsleiter sollte nach dem Willen der Verlagsleitung nicht zum Triumvirat gehören. Die Geschicke des Hauses lagen nun in den Händen von Eckstein und Schönfeld. Eckstein erzählte die alte Geschichte, als er mit Schönfeld mit einem als „Holzvergaser“ umgebauten Pritschenwagen zum Umbruch fuhr. Der Holzvergaser hatte seine Mucken. Der hinter dem Führerhaus montierte Kessel musste mit Holzstückchen befeuert werden. Zu diesem Zweck wurde Holz in einem Reservesack mitgeführt. Zudem war der Motorkühler leck. Also ging auch ein Reservekanister mit Wasser auf die Reise. Die Stimmung im klapprigen Gefährt war gut. Sie unterhielten sich über bessere vergangene Zeiten, auch über den Zusammenbruch nach der schlimmen Bombennacht in der Rheinstraße und über die Aufräumarbeiten, die fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen hatten. Im Keller des Ruinengrundstücks etablierte sich das Häuflein mutiger und unerschrocken optimistischer Blattmacher. Mit den geliehenen Schreibmaschinen und Bleistiften ging es an die Arbeit. Ideen hatten sie genug. Mitten in der Unterhaltung qualmte es unter der Motorhaube. Ernst Eckstein nahm Gas weg und fuhr rechts an den Straßenrand. Er ahnte sofort, es fehlte Kühlwasser. Motor aus und Kühlerhaube auf. Jetzt hatten sie Zeit für eine Zigarettenpause. Denn der Motorblock musste zuerst abkühlen. Nur jetzt noch kein Wasser in den überhitzten Kühler schütten. Die beiden Zeitungsmacher Ernst, der Anzeigenmann und Rudi der Redaktionsleiter waren zuversichtlich. Die halbe Stunde Zwangspause würde ihr Konzept nicht verderben. Schließlich gehörte die Improvisation zu ihrem Zeitungsalltag.
Während Ernst den Wasserkanister hervor holte, ging Rudi rasch hinter einen Alleebaum zum Wasserlassen. „Stopp Rudi, des warm Wasser in deuner Blos brauche mir fir de Kiehler. De Kanister is halb leer. Kumm her, ich muss aach emol. Des gibt en gut Gemisch.“ Beide guckten sich um, schließlich wollten sie kein öffentliches Ärgernis erregen. Die Luft war rein und niemand in Sicht. So pinkelten beide nacheinander in den Wasserkanister. Natürlich mussten sie herzhaft lachen. Aber das Wasserurin-Gemisch reichte aus. Der Motor wurde gestartet, und die Kühlung funktionierte wieder. So kamen sie zwar mit Verspätung, aber immer noch rechtzeitig zur Setzerei nach Rheinstein. Dort angekommen füllten Sie den Reservekanister sofort auf der Toilette des Druckereibetriebes mit Trinkwasser, um die spätere Heimfahrt nicht zu gefährden.
Das Wort Umbruch ist im heutigen Wirtschaftsleben oder auch in der Politik meist leider negativ besetzt. Bei der Zeitungsherstellung jedoch versteht man darin lediglich die Kunst, Artikel und Bilder im redaktionellen Teil ebenso wie die Anzeigen im Anzeigenteil lesegerecht und passend auf den einzelnen Seiten unterzubringen. Dazu gehörte immer die Meldung des Tages an den Kopf. Kommentare an den linken Seitenrand, und wenn es einmal wichtige Mitteilungen in eigener Sache gab, gehörten die in die rechte Spalte ganz oben mit einem dünnen Rahmen versehen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Das ist eher eine Floskel. In Wirklichkeit kostet die Konkurrenz nur Geld. Natürlich war jeder Regionalverlag darauf bedacht, sein Verbreitungsgebiet zum Nachbarverlag wie politische Grenzen abzustecken. Wem das gelingen sollte, der fühlte sich als Platzhirsch und konnte sich zurücklehnen und kapitalzehrende Machtkämpfe im Grenzbereich ersparen. Das ging aber nicht überall nach dem Wunschdenken der Verleger. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Wer seinen Mitbewerber in die Kosten treiben möchte, musste nur seinen eigenen Lokalteil gewaltig aufblähen und tonnenweise kostenlose Leseproben verteilen. Nach spätestens einer Woche musste der andere seinen Lokalteil ebenfalls auf das gleiche Volumen bringen oder sogar noch eine Seite mehr an Information bieten. Die Leser frohlockten, aber sie bemerkten nicht, dass man sie manipulierte. Der Leser unterhält zwar ein Abonnement bei seinem Verlag. Aber der Verlag hat keinen Rechtsanspruch auf lebenslange Abnahmegarantie. Denn jedes Abonnement ist nun mal kündbar. Zwar kalkulieren und schätzen die Verleger die Haltedauer ihrer Leser hoch ein. Denn ein althergebrachtes Erscheinungsbild kommt den eingeübten Lesegewohnheiten durchaus entgegen.
Eine gute Portion Häme kam dann ins Spiel, wenn der Wettbewerber einmal eine fette Schlagzeile auf der Titelseite doppelt druckte. Das muss man sich mal vorstellen: Auf der ersten Seite oben in Blattmitte und unten unter dem Bruch der Zeitung (das ist der Falz) noch einmal mit genau dem gleichen Artikel. Wenn aber in unserem Blatt eine große Werbeanzeige auf dem Kopf erschien, dann war das eher peinlich und hat dann natürlich bei dem Inserenten große Verärgerung ausgelöst. Den konnten wir dann nur noch durch eine kostenlose, richtige Wiederholung besänftigen. Einmal ist das bei einem Anzeigenkunden wieder passiert. Der hat sich jedoch nicht beschwert, denn damit erregte er bei den Lesern mehr Aufmerksamkeit. Den Zeitungslesen ist das natürlich nicht verborgen geblieben, sie waren neugierig und drehten das Blatt um. Nun wollte er sein nächstes Inserat ebenfalls im Kopfstand gedruckt sehen. Diskussionen in der Anzeigenabteilung. Bei einem seriösen Blatt kommt das nicht infrage, jedenfalls nicht bewusst. Es gab nur eine Ausnahme: Wenn nämlich aus dem Text der Anzeige hervorgeht, dass zum Beispiel die Preise Kopfstehen oder es hieß, da werden die Kunden aber kopfstehen, das sei noch hinnehmbar, ansonsten nicht. Es ist auch vorgekommen, dass eine Romanfortsetzung vom Vortag erschienen ist. Wo Menschen am Werk sind, passieren Fehler. Das ist eine bittere Erkenntnis. Das Qualitätsdenken musste neu erfunden werden. Aber es gab auch Ereignisse, die sind nicht entschuldbar und nur noch mit Einschaltung eines Staatsanwaltes zu regeln. Davon später.
Großkunden wie Verbrauchermärkte, Möbel-, Kaufhäuser oder potente Markenartikler gingen in Zeiten nachlassender Konjunktur mit ihren Werbeetats auf Sparflamme. Wer bisher noch ganze Seiten disponierte, gab sich mit dem Halbformat zufrieden. Der Stellenmarkt lag ohnehin am Boden. Es gab einfach keine freien Arbeitsplätze. Hatten wir noch in guten Zeiten am Wochenende zwanzig Seiten Stellenanzeigen, waren es nun nur noch zwei. Aus dem Vertrieb kamen immer mehr Alarmzeichen. Wir verloren zwar keine Leser. Aber wir verloren Abonnenten. Da teilten sich Nachbarn ein Zeitungsabonnement, der eine las vor dem Frühstück, der andere eben später. Außerdem wurde der Abopreis mit schöner Regelmäßigkeit jährlich leicht angehoben. Und bei jeder Preiserhöhung mussten Aboverluste hingenommen werden. Die Führungsriege stellte Notpläne auf. Mindererlöse verlangten nach Sparmaßnahmen. Es kam zur „Personalverdünnung“ in den Abteilungen, zum Einstellungsstopp und folgedessen zu Überstunden, die dann irgendwann auch nicht mehr vergütet wurden. Diese mussten abgefeiert werden.
Das Auslagern des eigenen Fuhrparks und die gleichzeitige Vergabe der nächtlichen Auslieferungen der Zeitungspakete an Fremdspediteure wurden in der Verlagsleitung mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Achtundzwanzig eigene Fahrzeuge wurden zu Bargeld und achtundzwanzig Fahrer wurden in verschiedenen Abteilungen, im Nachtversand, in der Ladestraße und im Vertrieb untergebracht. Dafür wurde der Personalabgang infolge Erreichen der Altersgrenze nicht mehr ersetzt. Der Betriebsrat zeigte sich aufmüpfig. Es kam zu einer Betriebsversammlung zur Hauptproduktionszeit. Das führte zur Druckverspätung von drei Stunden. Das wiederum brachte die Vertriebsleute auf die Palme. Der Betriebsrat hatte einen Funktionär der Gewerkschaft Druck und Papier eingeladen. Seine Kampfansage brachte die Werkshalle, in der die Sitzung abgehalten wurde, zum Kochen. Der Schlagabtausch war von Beleidigungen und Häme begleitet. Die Wortwahl wurde rüder. Nur ein Einlenken der Geschäftsleitung brachte durch das Zugeständnis über die Fortzahlung der Nachtzuschläge für die betroffenen Fahrer bis zu einer Dauer von zwölf Monaten Beruhigung. Das bedeutete: Zwölf Monate ein Heizer auf der E-Lok zusätzlich.
In den folgenden Wochen war „Dienst nach Vorschrift“ angesagt. Es knirschte an allen Ecken. Im Betrieb sprach man unter vorgehaltener Hand von der „Allmacht des Betriebsrates“. Aber in der Chefetage wurden insgeheim neue Pläne geschmiedet. Es war nämlich durchgesickert, dass die Gewerkschaft beabsichtigte, eintausend Zeitungszusteller unter ihre Fittiche zu nehmen. Es war nicht auszudenken, wenn Zeitungszusteller eines Tages sogar einen Sitz im Betriebsrat einnähmen und unter dem Dach der Gewerkschaft gar einen Streik und somit die gesamte Zustellung an die Abonnenten verhindern könnten. Das sollte unter allen Umständen verhindert werden. In streng geheimen Sitzungen entstand der Plan, das Verbreitungsgebiet in sechsundzwanzig Regionen aufzuteilen. Man gründete schließlich sechsundzwanzig eigenständige GmbHs, an denen der Verlag zu 34% beteiligt werden sollte. Die restlichen 66% sollten die neuen Geschäftsführer aufbringen. Es war nicht ungeschickt, den Außendiestlern im Vertrieb solch attraktive Posten anzubieten. Aber nicht jeder der umworbenen Herren war bereit oder auch in der Lage, das Risiko und die Verantwortung zu übernehmen, geschweige denn zwei Drittel des Stammkapitals oder 33.000 Mark aufzubringen. In einigen Fällen hatte der Verlag diese Summe vorgeschossen. Die sollte später vom Jahresgewinn nach und nach getilgt werden. Für die Verlagsbeteiligung schuf der Konzern eine Vertriebsfirma und eine Beteiligungsfirma mit eigenen Geschäftsführern als Gesellschafter in allen 24 GmbHs. Es war das Ei des Kolumbus. Die Personalkosten im Vertrieb sanken rapide, denn nicht nur der ganze Außendienst wurde wegrationalisiert, sondern auch eine ganze Reihe von Sachbearbeitern. Diesen Betroffenen wurde ein GmbH-Geschäfts-Führerposten angeboten. Die notariellen Verträge wurden von einigen Aspiranten auf einen solchen Posten als Knebelverträge verworfen. Wer das Angebot ausschlug, wurde versetzt in den Nachtversand oder in die Packerei. Die neuen Geschäftsführer waren darauf gepolt, vom ersten Tag an sparsam zu taktieren und Gewinne zu erwirtschaften. Es war schon verlockend, eine GmbH von zuhause betreiben zu können. Man benötige nur einen Tisch mit Stuhl, ein Telefon und Bleistift. Familienunternehmen. Jeder sollte mit anpacken. Schreibmaschine sei nützlich, und wer einen PC sein eigen nennt und den sogar beherrscht, um so besser. Die Geschäftsführergehälter lagen etwa in Höhe der Tarifgruppe III und galten als selbstständige Tätigkeit. Dazu kam ein Zuschlag für Sozialabgaben und Krankenkasse, die der neue Selbstständige selbst abzuführen hatte. Die Position Geschäftsführer war ein Mäntelchen aus Hermelin, das innen mit Glaspapier gefüttert ist. Unter Glaspapier wird die 24-Stunden-Bereitschaft verstanden, Telefon am Bett und die Kunst, immer dann geeignete Ersatzzusteller aus dem Hut zu zaubern, wenn plötzlich ein Stammzusteller wegen Krankheit ausfällt. Bei zweihundert Mitarbeitern ist das kein Kinderspiel. Der Verwaltungsapparat wächst ins Uferlose. Hier nur ein paar Beispiele. Steuerberater, Finanzamt, Gewerbeaufsichtsamt, Industrie- und Handelskammer, Gewerbesteuer, Haftpflichtversicherung, Berufsgenossenschaft, Betriebsarzt, Statistisches Landesamt, Krankenkassen. Dann kam erst das wichtige Tagesgeschäft. Stellen Sie sich vor, zwei Leute reden pausenlos am Telefon mit Zustellern, auch mit Abonnenten. Die Zeit reicht gerade, um einen Vorgang stichwortartig auf Schmierpapier festzuhalten. Dann ist das nächste Gespräch schon in der Leitung. Es gibt solche Tage, da werden nur Probleme aus der Welt geschafft.
Der Umgang mit dem Problem oder Mobbing von oben
„Bevor Sie mir Ihr Problem schildern, überlegen Sie bitte einmal gründlich, ob Sie vielleicht der Mittelpunkt dieses Problems sind.“
„Beifall ist eine symbolische Umarmung“ (Hellmut Karasek) „Interaktionskosten“ entstehen aus der Wechselbeziehung
zwischen Menschen und Gruppen (soziologisch gesehen).
Rechtfertigungen durch Vorgesetzte, Ausräumen von Anfein-dungen, Schulung vom Mitarbeitern im eigenen Hause, auch Unterweisung der Zeitungszusteller. Letztere rekrutieren sich meist aus einfachen Verhältnissen, die nicht etwa aus Jux nachts durch die Gegend laufen, um das Produkt Tageszeitung in die richtigen Briefkästen zu stecken. Diese Gruppe braucht Führung, Verständnis und Einsicht. Die symbolische Umarmung ist gerade bei diesen Menschen angebracht, weil diese Mitarbeiter am Ende einer Kette stehen und das vollenden müssen, was ein Heer hochqualifizierter Redakteure und Techniker zustande gebracht haben.
Die Affäre K & S (oder das ägyptische Grabmal)
Die Zeiten wurden schwieriger. Der Verleger legte sich einen Berater zu. Man entschied nicht mehr einsam, sondern ließ sich von einem kompetenten Fachmann beraten. Er wurde als Sparkommissar eingeführt. Immerhin kam der Mann aus Berlin. Das ist schließlich ein Indiz für Kompetenz. Er hatte weitreichende Vollmachten, stellte überall in den Abteilungen unangenehme Fragen und genoss uneingeschränktes Vertrauen auf allen Ebenen. Niemand wollte es mit ihm verderben. Schließlich handelte er auf höchste Weisung. Ich nenne ihn mit dem Decknamen Wolf . Der beriet unseren Verleger so gut, dass er ihn kurzerhand vor die Tür setzte. Innerhalb einer Stunde musste der Alte seine Siebensachen packen. Er verließ das Unternehmen mit einer Plastiktüte. Die enthielt seine persönliche Habe. Er verschwand durch die Hintertür. Gleichzeitig wurde ihm Hausverbot erteilt. Die Gründe für den Rausschmiss waren lapidar.
Inzwischen ist der Verleger längst rehabilitiert. Aber er fand den Weg nicht mehr zurück, wandte sich anderen verlegerischen Aufgaben zu und ging schließlich in Rente. Allein seiner gefestigten Konstitution und seinem Selbstbewusstsein war es zu verdanken, dass er den Eklat ohne seelischen Schaden überstanden hatte. Fortan übernahm Wolf im Verein mit dem Fuchs die Geschäftsleitung des Verlages. Fuchs hatte eine beispiellose Karriere im Unternehmen. Er begann als Lehrling, wurde Abteilungsleiter und landete in der Chefetage mit den roten Teppichen als nunmehr einer von zwei Geschäftsführern. Damit begann eines der dunkelsten Kapitel der gesamten Verlagsgeschichte. Zunächst wehte ein frischer Wind durch die Abteilungen. Niemand trauerte dem Alten nach, jeder versuchte, bei dem Duo im günstigen Licht zu erscheinen. Die Geschäfte florierten wieder. Konjunktur war in Deutschland angesagt und unser Unternehmen mischte kräftig mit. Der einzige Schatten war das defizitäre Tagblatt. Die neue Geschäftsleitung holte sich Assistenten frisch von der Akademie. Modernes Management musste ran. Am liebsten mit Doktortitel. Das wirkte nach außen. Der Einstieg in neue Medien ließ Optimismus aufkeimen. Videoplus war ein neues Schlagwort. Alle Verlagsgeschäftsstellen wurden mit Fernsehgeräten und Videorecordern ausgestattet. In den Schaufenstern liefen Musterbänder, lustige Vorspannstreifen auf ansonsten leeren Videobändern. Diese sollten wir verkaufen. Doch man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Publikum hielt sich zurück, denn die Kaufhäuser und auch der Fachhandel hatte Videokassetten ohne Vorspann zum wesentlich günstigeren Preis. Das Abenteuer Videoplus war ein riesiger Flop, über den die Branche schmunzelte. Im Jahre 1986 sahen sich die Beschäftigten beim Tagblatt plötzlich von Arbeitsplatzverlust bedroht. Der neuen Geschäftsleitung missfielen die ständigen Verluste ihres angeschlagenen Patienten. Doch völlig überraschend kam unerwartete Hilfe. Rettung schien möglich. Dr. Sowieso, Assistent der Geschäftsleitung, wechselte als Verlagsleiter zum
Tagblatt. Er war Spross einer süddeutschen Verlegerfamilie. Das ließ hoffen. Aber seine Familie investierte kein Kapital in das marode Tagblatt. Vielmehr wurde eine GmbH gegründet, an der die Muttergesellschaft nur beteiligt gewesen ist. Den Rest hielt
der neue Doktor mit geliehenem Geld. Das bürgerliche Blatt wurde in seinen Lokalspalten kesser und kritikfreudiger. Neue Bürgernähe machte sich in der Auflage durchaus positiv bemerkbar. Doch die wirtschaftliche Talfahrt war nicht aufzuhalten. Denn die Anzeigenkunden honorierten die neue Aufmachung keineswegs. Zwei Jahre dauerte der Todeskampf des seit 248 Jahren ansässigen und schon altehrwürdigen Blattes. Am 9. August 1986 erschien im Lokalteil eine einspaltige Agenturmeldung, die vom Ende des Tagblatts handelte. Diese Meldung hatte Bestürzung ausgelöst. Beim Personal und unter der Leserschaft. Ungezählte Telefonate jagten einander. Politiker schalteten sich ein. Es wurden Dementis gehandelt wie holländischer Käse. Niemand wollte es wahrhaben. Man glaubte immer noch an eine Rettung in letzter Sekunde. Eine Woche danach erfuhr die Öffentlichkeit die Schreckensmeldung, wonach das Blatt zum 1. Oktober 1986 von dem örtlichen Mitbewerber übernommen werde. Die in solchen Fällen immer wieder gestellte Frage nach der Marktbeherrschung wurde von der 6. Beschlusskammer der Berliner
Bundesbehörde verneint, obschon als sicher galt, dass es künftig nur noch eine lokale Tageszeitung in der Stadt geben werde. Vier Redakteure wurden übernommen. Zehn weitere Redakteure kamen im Stammhaus unter. Insgesamt waren rund neunzig Mitarbeiter betroffen. Man redete nur von Redakteuren. Das Büropersonal, die Kraftfahrer, Boten und Hausmeister blieben unerwähnt. Es sollte zwar keine Härtefälle geben. Es gab sie dennoch. Nur hat niemand darüber berichtet. Für so manchen engagierten Tagblättler ist damit eine Welt zusammengebrochen. Die drittälteste, im deutschsprachigen Raum und die sechsälteste Zeitung der Welt hatte aufgehört, zu existieren. Das Drama war aus. Der Vorhang fiel. Aber es sollte noch ein Ärgeres Nachspiel haben. Eine Woche vor Weihnachten erfuhr die Öffentlichkeit am 17. 12. 1986 durch eine Meldung von folgendem Sachverhalt:
„Zwei Festnahmen. Ex-Verlagschefs wegen Fluchtgefahr
verhaftet“.
Wegen Fluchtgefahr sind die ehemaligen Geschäftsführer des XY-Verlages verhaftet worden. Beide sollten sich im Zusammenhang mit dem Verkauf der inzwischen eingestellten Zeitung Tagblatt im Frühjahr 1986 nach Angaben der Justizbehörden der Untreue schuldig gemacht haben. Ihnen wird vorgeworfen, vier Millionen Mark Erlös aus dem Verkauf der Zeitung an sich gebracht zu haben. Ein weiterer „Täter“ war der Geschäftsführer beim Tagblatt und gleichzeitig Verlegersöhnchen einer süddeutschen Zeitungsfamilie. Er flog täglich am Abend von seinem Heimatort nach Frankfurt, um seine Haftstrafe über Nacht anzutreten und verließ nach dem Frühstück seine Zelle, um wieder gen Süden zu fliegen. Offenbar genießen Promitäter Vorrechte, und das sogar über Monate hinaus.
Nichts ist beständiger als der (Personal)wechsel
Am 9. August 1986 erschien im Lokalteil eine einspaltige Agenturmeldung, die vom Ende des Tagblatts handelte. Diese Meldung hatte Bestürzung ausgelöst. Beim Personal und unter der Leserschaft. Ungezählte Telefonate jagten einander. Politiker schalteten sich ein. Es wurden Dementis gehandelt wie holländischer Käse. Niemand wollte es wahrhaben. Man glaubte immer noch an eine Rettung in letzter Sekunde. Eine Woche danach erfuhr die Öffentlichkeit die Schreckensmeldung, wonach das Blatt zum 1. Oktober 1986 von dem örtlichen Mitbewerber übernommen werde. Das Bundeskartellamt in Berlin hatte dem Zeitungsverkauf Eilbedürftigkeit beigemessen und zugestimmt. Die in solchen Fällen immer wieder gestellte Frage nach der Marktbeherrschung wurde von der 6. Beschlusskammer der Berliner Bundesbehörde verneint, obschon als sicher galt, dass es künftig nur noch eine lokale Tageszeitung in der Stadt geben werde. Vier Redakteure wurden übernommen. Zehn weitere Redakteure kamen im Hauptunternehmen unter.
Wer unbequem wurde, der hatte schlechte Karten. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie werden versetzt auf einen Posten ohne Aufgaben. Sie sitzen den ganzen Tag auf Ihrem Stuhl, keiner ruft Sie an, Sie bekommen keine Post und niemand erwartet Ergebnisse von Ihnen. Sie lesen aus Langeweile den Spiegel, den Kicker und natürlich die eigene Tageszeitung, auch die Konkurrenzblätter. Sie kommen sich vor wie ein vergessener Mitarbeiter. Ihr Gehalt läuft weiter. Zunächst lachen Sie sich eins ins Fäustchen. Die Idioten setzen Sie auf eine Insel, ohne Leistung zu verlangen. Die wissen genau, wenn sie Ihnen kündigen, ist eine dicke Abfindung fällig. Also warten sie, bis die Nutzlosigkeit an Ihrem Nervenkostüm nagt. Die wollen Sie mürbe machen, wollen Sie demoralisieren, bis Sie das Handtuch werfen. Aber Sie sind standhaft. Ob es denen überhaupt auffallen würde, wenn Sie einmal nicht erscheinen würden? Unerlaubt fehlen, würde eine Abmahnung auslösen. Nur das nicht. Sie basteln an Ihrer Strategie. Sie beginnen, heimlich zu schreiben. Der Verlagsalltag wächst Zeile für Zeile auf jungfräulichem Papier und wandert sofort in Ihre Schublade. Nein, den Computer benutzen Sie wohlweislich nicht. Sie schreiben mit Kugelschreiber. Und Sie nehmen Ihre Notizen mit nach Hause. Dort werden sie noch ungeordnet in einem besonderen Ordner aufbewahrt. Wofür, das wissen Sie noch nicht. Zunächst verschafft das Ihnen ein Quentchen Genugtuung. Zudem ist es eine Versicherung gegen das Vergessen.
Die Seminaritis ist ausgebrochen
Kennen Sie Ihre Kompetenzen? Stehen die in Ihrem Arbeitsvertrag? „Nein“. Wie verhalten Sie sich bei bevorstehenden Entscheidungen? „Ich halte mich an die Zehn Gebote“ oder anders ausgedrückt, „ich benutze meinen gesunden Menschenverstand“.
Wie erfahren Sie, ob Sie richtig gehandelt haben? „Ich gehe so weit, bis man mir auf die Finger klopft. Dann weiß ich, hier ist meine Kompetenz zu Ende“.
Alkohol
Wo Zeitung gemacht wird, wird auch gesoffen. Papierstaub macht durstig. Und gestillter Durst macht Laune, fördert das Betriebsklima und vergisst auch mal den Feierabend, denn wer Überstunden macht, bekommt die schließlich auch bezahlt, und dazu gibt’s natürlich wieder Bier. Das gilt nicht nur für die Techniker im Bleisatz oder in der Montage. Ob Setzer oder Metteure. Sie haben sich vor vielen Jahren zu Zeiten giftiger Bleidämpfe in der Setzerei ein Privileg erstritten. Und das war ein Milchkontingent. Irgendwie ist es ihnen gelungen, von Milch auf Bier umzusteigen. Und niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. Wenn der Alte jemals eine Aktenschrankkontrolle durch die Bürofluchten veranstaltet hätte. Oh Gott, er hätte hinter manchem leeren, beschrifteten Aktenordner hochprozentige dekorative Flaschen vorgefunden. Aufgefallen ist es erst, als einer seiner leitenden Angestellten im Vollsuff in eine Glastür gelaufen ist und sich dabei hässliche Schnittwunden zugezogen hatte.
Das Bauernopfer
Da hat jemand eine gut funktionierende Vertriebsfirma (GmbH). Aus heiterem Himmel kommt zum 30. 06. unter Einhaltung der vereinbarten 6-monatigen Kündigungszeit die nie erwartete Kündigung. Man hat sich nichts vorzuwerfen, hat alles richtig gemacht. Und doch muss man gehen. Die Verlagsseite argumentiert, sie müssten reduzieren, Firmen einfach zusammenlegen, schlichtweg schrumpfen. Und tatsächlich, der Fall findet noch zwei weitere Parallelen. Schrumpfopfer, oder doch nicht? Nennen wir den Ort: Xhausen. Dort gibt es eine Verlagsgeschäftsstelle mit einem Geschäftsstellenleiter. Ein aktiver Mann, hat seinen Laden im Griff. Hat in den letzten Jahren den Personalbestand mächtig herunter gefahren. Das gefiel den Oberen.
Aber unser Mann ist kein Duckmäuser, er hat den Schnabel am rechten Fleck und macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. In der Zentrale wird er als unbequem empfunden. Nun wollen sie den loswerden. Aber wie? Es gibt einen eleganten Weg. Seine Frau hat bereits eine Vertriebsgesellschaft. Also gibt man ihm auch eine der oben genannten Firmen. Dort wird er Geschäftsführer. Dafür muss er jedoch seinen Platz in der Verlagsgeschäftsstelle räumen zugunsten eines bequemeren „Jasagers“ aus den Reihen der Günstlinge. Jetzt hat er mit seiner Frau eine Bürogemeinschaft. Eines ist ihm zunächst verblieben. Seine bisherigen Bezüge bleiben auf eine bestimmte Zeit erhalten.
Unrast und Ungeduld
Es gibt tatsächlich leitende Angestellte in Geschäftsführerfunktionen oder gar mit Prokura versehen, die so sehr in ihre Machtstrukturen verstrickt sind, dass es einem Außenstehenden vorkommt, als habe er einen Weißen Elefanten vor sich. Das Schlimme daran ist, diese Weißen Elefanten glauben an sich wie der Kaiser in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Im Grunde leben solche hoch dotierten Kaiser an der Realität vorbei. Nehmen wir folgendes Beispiel: In einem bestimmten Teil des Verbreitungsgebiets sollen innerhalb einer bestimmten Kalenderwoche Informationsblätter an so genannte „Nichtleser“ verteilt werden. Nichtleser sind all jene Familien, die unsere Zeitung nicht abonniert haben. Die Vorgabe war: Auslieferung am Montag oder am Dienstag. Ende der Verteilung: am Freitag. Dann kommt eine Mail: Bitte informieren Sie mich noch heute bis 14:00 Uhr, wie Sie die Verteilung geplant haben. Antwort: von Montag bis Freitag. Mit allen Zustellern wurde gesprochen. Dann die nächste Mail: Wie stellen Sie sicher, dass die ordnungsgemäße Verteilung kontrolliert wird. (Der Empfänger der Mail ist ein Einzelkämpfer und hat insgesamt rund zweihundert Mitarbeiter in Lohn und Arbeit stehen). Jetzt haben die Strategen den Stein der Weisen erfunden. Es geht mal wieder um die leidige Auflage. Sie sinkt stetig, zwar nicht spektakulär, aber sie sinkt seit Jahren. Man weiß, alle müssen sparen. Auch in den Haushalten. Wenn die Zeiten schlecht sind, wird so manche lieb gewordene Gewohnheit zumindest in Frage gestellt. Am Essen oder Trinken kann man sich einschränken, vor allem beim Ausgehen, Urlaub, na ja, bisher waren die Deutschen Weltmeister in Sachen Reisen und Erholung. Auto und Fernseher sind Statussymbole. Die stehen absolut nicht auf der roten Liste. Aber bei der abonnierten Tageszeitung wird gespart. Nachbarn halten gemeinsam nur ein Abonnement. Der eine liest früh und der andere eben später. Bei den Energiekosten in diesem Jahr kann das eingesparte halbe Abo pro Jahr schon den Energiehaushalt ausgleichen. Der oben beschriebene leitende Angestellte hat das Unternehmen inzwischen verlassen und rettet an anderer Stelle die Auflage eines anderen Verlages.
Der Boxring
Quadratisch der Raum, quadratisch der Tisch. Rings um den Tisch sitzen die Kampfrichter. Die Akteure und der Referee sitzen ausnahmsweise ebenfalls am Tisch. Im Hausgebrauch wird dieses Gebilde Boxring genannt, weil es wegen seiner gepolsterten Wände symbolisch die Schläge abfedern sollte, die hier ausgeteilt werden. Es ist das kleine Besprechungszimmer. Einladungen werden vorher nicht ausgeschrieben, sie ergehen spontan per Telefon. Keiner weiß, wer außer ihm noch anwesend sein wird. Auch das Thema ist fremd, damit sich niemand präparieren kann. Der Referee will spontane Stellungnahmen, quasi aus der Hüfte geschossen. Wer zum erlauchten Kreis der Teilnehmer zählt, gehört der Oberliga an, also Abteilungsleiter und Prokuristen. Und hier kriegen sie ihr Fett ab. Hier gibt es rote Ohren und hängende Gesichter. Was im Boxring beschlossen wird, darf die Polsterwände nicht verlassen, ist ausschließlich dem erlauchten Kreis vorbehalten. Kein Sterbens-wörtchen nach draußen. Ja, das sind alles Ehrenmänner, zum Teil sogar in öffentlichen Ehrenämtern mit gnädigster Duldung seiner Durchlaucht, dem Verleger. Jeder musste unterschreiben, nicht der Scientologie anzugehören.
Die Interessengemeinschaft
Jede einzelne Gesellschaft hatte einen eigenen Verwaltungsapparat. Jeder wurstelte nach eigenem Gutdünken. Das rief bei 17 Geschäftsführern den Wunsch nach Gedankenaustausch auf den Plan. Wir gründeten einen eingetragenen Verein, die Interessengemeinschaft der Zeitungsvertriebsgesellschaften, die IG ZVG. Auch hier war ich acht Jahre 1. Vorsitzender. Wir trafen uns regelmäßig einmal monatlich in einem Lokal. Hier wurden Erfahrungen ausgetauscht, Tricks und Kniffe gehandelt und erprobte Erkenntnisse und Fertigkeiten weitergegeben. Es wurde sogar ein Handbuch zum Thema „alles rund ums Personal“ mit Vertragsmustern, von Arbeitsrecht bis Zeugnis erarbeitet von dem Kollegen Manfred Lehmann, meinem Vorgänger im Vorsitz. Im Lauf der Jahre betrieb der Verlag die Zusammenlegung von Gesellschaften. Von einst 17 Gesellschaften existieren jetzt nur noch neun. Die Interessengesellschaft wurde danach eingestellt, was weitere kollegiale Kontakte nicht ausschloß. Hintergründe dieser Schrumpfungsprozesse waren Einsparungsmaßnamen. Neun Geschäfstsführergehälter mussten nicht mehr bezahlt werden. Dafür wurden weitere Computer angeschafft und billigere Bürokräfte engagiert. Zudem drängte der Verlag, langjährige Zeitungszusteller mit höheren Vergütungssätzen auszutauschen gegen neue Mitarbeiter mit geringerem Einkommen. Früher wurden wir belobigt für eine niedrige Fluktuationsrate im Personalbereich. Heute, ich spreche vom Jahr 2008, werden die Zeitungsvertriebsgesellschaften belobigt für möglichst viele Umstellungen auf billigere Lohntarife. Man nimmt sogar Abfindungszahlungen in Kauf. Andererseits hat der Verlag bestimmte Vorgaben mit den Gesellschaften vereinbart. Es geht um die Reklamationsquoten der Abonnenten. Jeder Telefonanruf eines Abonnenten wegen einer fehlenden Zeitung wird statistisch erfasst, unabhängig, ob der Zusteller die vergessen hat, oder ob die Zeitung gestohlen wurde. Von allen Gesellschaften lag derzeit unsere ZVG mit 0,07 Prozent an der Spitze. Alle anderen Kollegen lagen höher. Für das Jahr 2009 wurden wir zur Einhaltung von 0,06 Prozent verdonnert. Als Anreiz zum Erreichen des Ziels wurde mit dem Novembergehalt eine ansehnliche Geldprämie gewährt.
Der Drang nach Pöstchen hat sich gelegt. Ich mag meine Ruhe, damit ich Zeit habe fürs Schreiben. Schreiben bedeutet bewältigen, abhaken und ist eine Therapie gegen das Vergessen. Außerdem gewährt es mir Freiräume für neue schriftstellerische Experimente. Das ist mir erstmals gelungen mit: “DER NEUNTEN SINN“, einer Fantasy für Erwachsene. Von dieser Geschichte erhoffte ich mir ein allgemeines Leserinteresse. Der Klappentext berichtet von einem jungen Mann, der durch Mauern gucken kann. Er selbst ist verblüfft. Seine Mutter sorgt sich, schleppt ihn zum Psychiater. Doch der kann keinen psychischen Schaden entdecken. Wolf Wunderlichs Gabe stachelt seinen Voyeurismus an, bringt ihn in verdammt unangenehme Situationen, die sogar sein Leben kosten können. Er kommt sich vor wie ein Wünschelrutengänger, erlebt haarsträubende Situationen und landet sogar vor dem Kadi. Kann ihn die Liebe einer außergewöhnlichen Frau retten? Romeo und Julia lassen grüßen. Es ist ein kurzer Roman auf 138 Seiten. Wir erfahren von Liebe, Erotik und von Verbrechen. Das alles geht dramatisch zu, wenngleich die Zeilen auch zum Schmunzeln einladen. Darauf habe ich immer Wert gelegt. Auch im nächsten 190-seitigen Roman „ROTATION“ werde ich, trotz der Dramatik, nicht darauf verzichten. Die Rotation ist das Herzstück eines Zeitungsverlages. Sie bestimmt den Rhythmus der Menschen, die mit der Herstellung und Verteilung der Ware Tageszeitung ihren Lebensunterhalt verdienen. Rotation ist andererseits Symbol für Bewegung, Veränderung, auch Zentrifugalkraft, die Schicksale hervorruft und beeinflusst. Während der eine sein Leben wegwirft, kämpft ein anderer gegen den drohenden Zellverfall in seinem Körper. Die Geschichte spielt auf zwei Ebenen. Es beginnt mit der Beerdigung des Protagonisten. Der schildert in einer Rückblende seine Erlebnisse mit bewegenden Wendungen. Der Leser erfährt Einblicke in den Zeitungsalltag. Dabei begegnen ihm schillernde Figuren. Es gibt drei Tote, einen Kriminalinspektor, sensible Typen und kaltschnäuzige Strategen, liebende Menschen und dramatische Ereignisse. Am Ende stirbt sogar die Hoffnung. Was bleibt ist die Liebe und der Glaube an den nächsten Morgen. Die Rotation wird sich auch morgen drehen. Es passiert tagtäglich genau so viel, dass die Zeitung gefüllt werden kann. Natürlich passieren in einem Zeitungsverlag noch mehr Patzer, zum Beispiel die auf dem Kopf stehenden Bilder oder vertauschte Bildunterschriften. Peinlich wird es, wenn auf der Titelseite ein politischer Artikel mit fetter Überschrift doppelt erscheint. Das ist bei einem Nachbarverlag einmal vorgekommen. Darüber mögen die Leser schmunzeln; die betroffenen Metteure und der Schlussredakteur, der den Fehler übersehen hatte, für sie war es ein rabenschwarzer Tag. So etwas geht an die Berufsehre, abgesehen von der Schelte in der Geschäftsleitung. Die Niederschrift von Erlebtem ist nicht schwer. Schwierig wird es erst in erfundenen Romanen. Man muß lebendige Figuren schaffen, ihnen Charaktere zuordnen, es müssen Helden und Antihelden entstehen, schillernde Figuren, die sich gegenseitig nicht mögen und alles daransetzen, den anderen auszuschalten. Hierzu habe ich mich in meinem letzten Werk „Wortklinik“ ausführlich auseinander gesetzt.
Philosophie des Alters
Jetzt sind wir alle wirklich älter.
Das kann ich nicht verhehlen.
Des Lebens Herbst wird kalt und kälter.
Man kann sich nicht aus Jahren stehlen.
Doch gibt es eine Lebenskunst,
die Lage zu ertragen.
Ist auch das Altsein mal verhunzt,
wir sollten etwas wagen.
Wagt doch mal den Blick zurück,
zurück zu unsrer Jugend,
zur Kindheit und zu Liebesglück,
zu Frohsinn und zur Tugend.
Nun bin ich selbst kein Tugendbold,
verachte keinen Wein.
Verzichte gern auf Ruhm und Gold,
Doch mag ich sehr den Sonnenschein.
Das letzte Hemd hat keine Tasche.
So lautet eine Redensart.
Such nie das Glück nur aus der Flasche.
Doch halt Gelassenheit parat.
Gelassenheit, wenns hinten zwickt.
Üb jederzeit Beharrlichkeit
und Gleichmut, wenns woanders drückt.
So kommst du sicher durch die Zeit.
Erfahrung ist des Alters Diamant.
Erfindungsreich sind alle deine Schritte.
Dich störet nichts, weil alles dir bekannt.
In der Familie gehörest du zur Mitte.
So soll es sein, auf allen deinen Wegen.
Die Zielgerade hast du schon beschritten.
Du erntest Dank und irgendwann auch Gottes Segen.
Doch deine Taten bleiben unbeschnitten.
Was du gesagt und du geschrieben,
das bleibt auch übern Tag hinaus.
Ich wär vielleicht noch was verblieben.
Doch irgendwann ist alles aus.
Zurück verbleiben deine Erben.
Auch sie, sie müssen einstens gehn.
Selbst Schiller musste einmal sterben.
Mir gilts als Trost, sein Dasein fand er schön.
Auf meiner Couch – ein stiller Gast,
seit Jahren sitzend, furchtlos, karg.
Hält wartend aus und ohne Rast.
Er weiß von einem schlichten Sarg.
Einst wird er mühsam sich erheben.
Ergreifen meine müde Hand.
Vorüber Hast und jeglich Streben.
Ich folg ihm in ein andres Land.
Niklas
Zinngrau der Himmel,
Menschengewimmel.
Die Luft riecht nach Schnee.
Von draußen, vom See
in dem Spiel der Lichter
nahet ein Kahn.
St. Niklas kommt an.
Auf Kindergesichtern
ist Spannung zu sehen.
Die Pechflammen wehen
im Wind. Und ein Kind
ist ängstlich, verbirgt den Schopf
auf der Mutter Arm, an ihrem Kopf.
Die Schulkinder plärren fromme Lieder,
die Strophen von „Alle Jahre wieder“,
von „Lasst uns froh und munter sein“,
und es nahet der Kahn im Lichterschein.
Der Mond steht honiggelb am Wald.
Vom anderen Ufer drüben schallt
ein Echo klar aus Kinderkehlen,
erwartungsvoll aus reinen Seelen.
Dann stößt er ans Ufer mit seiner Fracht.
Für jeden hat Niklas was mitgebracht.
Der heilige Mann mit Bischofsstabe
gibt jedem Kind eine süße Gabe.
Jetzt ist er da, mit gütigen Zügen
spricht er von Taten, von Tadel und Lügen,
aber er lobet dabei auch die Braven,
die immer gehorsam und abends früh schlafen.
Zinngrau der Himmel.
Die Luft riecht nach Schnee.
Im Innern verspür ich ein heimliches Weh.
Wer von uns verspürt heute noch ein heimliches Weh an den Weihnachtstagen? Das Anspruchsdenken hat sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig geändert. Meine Mutter Betty erzählte mir einmal aus ihrer Kindheit. Sie besaß bereits eine Puppenküche, die ihr Vater selbst gezimmert hatte und mit Laubsägearbeit die Küchenmöbel herstellte. Nur der Herd bestand aus Blech. Der wurde im Spielwarenladen erworben. Ihre Patin, die Babette machte sie im Advent neugierig. Sie sprach zu meiner Mutter: „Du bekommst etwas ganz Schönes. Ich werde es nicht verraten, nur so viel: es fängt mit P an.“ Meine Mutter träumte schon von einer neuen Puppe. Nein, es war keine Puppe. Es war ein Pfännchen für den Küchenherd. Ihr Bruder Franz bekam vom Christkind ein nagelneues Skatspiel, in Cellophan eingepackt. Franz war ein besessener Skatspieler. Vor Freude hatte er vor dem Christbaum den Purzelbaum geschlagen. In der heutigen Zeit ist es nicht nur der Spielzeugindustrie gelungen, die Ansprüche gewaltig nach oben zu treiben. Ausgeklügelte Computerspiele, Mobiltelefone und jede Menge technischer Schnickschnack buhlen um die Scheine in den Geldbeuteln.
Zum Gruß
Grüß mir den Wein, den honiggelben
Grüß mir das Mädchenlachen am Rhein
Dann werd´ ich hingehn und trinken denselben,
um wieder für Stunden jung zu sein.
Grüß mir die Liebe mit pochendem Herzen,
grüß mir die Maid und die Fröhlichkeit,
lasst uns beim Tranke küssen und scherzen,
vergessen den Alltag beim Prosit zu zweit.
Grüß mir den Zecher mit fackelnder Nase,
grüß mir die Fältchen in seinem Gesicht,
grüß mir die Tropfen, die edlen im Glase,
die launischen Mucker – ach, grüße sie nicht.
Pfalzblick
Man spricht vom Tempelchen
nicht wissend, dass der Blick
von oben ins Tal den Besucher
göttlich belohnt.
Ich sehe das schwere Blei des
Stromes, sehe die von der Zeit
verletzten, verwitterten Felsen,
schaumkrönende Riffe
hineinragend in die Flut
Die Glut von Sonnen hat das Laub
der Hänge vergoldet und versüßt
die pralle Frucht des Weines.
Die Zeilen sind aufgereiht wie Perlen
harren auf die Ernte. Lustige Boote
zwängen wimpelflatternd durch die Rinne,
Fahrrinne wie Straße.,
Tanzende Bojen, Signalflaggen,
stummer Verständigung Worte
schaffen Klarheit; ein Lotse an Bord,
Garant und Wegweiser.
Weiße Schiffe, buntgetupfte Menschen
Schunkeln im Dreivierteltakt.
Es ist, als ob ihr Gesang das
trunkne Schiff schwanken ließe.
Von den Gipfeln grüßen Fahnen
auf weißen Masten. Drunt´ in der Mitte,
wo der Rhein ins Blickfeld tritt,
erhebt sich trutzig die Festung
Pfalzgrafenstein, den Strom teilend
Nach Gut und Böse. Die Kapitäne
wählen den guten Weg
Sie sprechen vom Fahrwasser.
Und ach, die Bänder asphaltblauer Uferstraßen,
leiten Spielzeugautos lautlos vorüber.
Das Bild lebt. Es ist kein toter Tempel;
Ein Blick für Sehende.
Sünde mediale
Die Sünde ist organisiert.
Sie steht reglementiert als
Bestandteil unseres legitimen
Informationsanspruchs.
Täglich in den Spalten der Gazetten.
Ist Unkraut im Kornfeld des Lesestoff.
Dein Bild
Gebannt auf Film und Zelluloid
Betrachte ich Dich hoch beglückt.
Dein Abbild zeigt, als wäre es heut,
Dich nah, als wärst Du nie entrückt.
Die Bilder, sie sind starr und stumm
Und reden dennoch sanfte Worte.
Du lächelst fröhlich, schaust Dich um.
Dein Bild ist von der heitren Sorte.
Und wirst Du einst von Erden scheiden,
es bleibt mir nur Dein Bild zurück.
So will die Klage ich vermeiden,
Erinnerung ist dann mein Glück.
Traumlicht
Dein fahles Sternenlicht
Dringt in die Fernen nicht,
wo meine Liebste schmachtet,
die fremde Buhl verachtet
meinetwegen.
Wann geht die Nacht vorbei?
Der Morgenstern mir einerlei.
Ich möchte Deine Augen schauen,
schlaflos blick ich ins Morgengrauen.
Deinetwegen
Die ersten Strahlen stehn im Osten.
Ich möchte Deine Lippen kosten.
Der Tag beschert uns Wirklichkeit.
Ein Traum vorbei – ein Tag zu zweit,
mit Gottes Segen
Küß beizeiten schöne Mädchen,
trink beizeiten guten Wein;
bald zerreist dein Lebensfädchen,
und ein andrer küßt die Mädchen,
und ein andrer trinkt den Wein.
(Giebelverzierung eines Fachwerkhauses
in Bernkastel-Kues an der Mosel)
Kultur und Spaß bei der Nachbarschaft Kirchhausen am 17. Oktober 2008
Die Nachbarschaft Kirchhausen, eine der ältesten ihrer Art in Oberwesel hatte zu einem kulturellen Spätnachmittag in die Vikarie von Liebfrauen eingeladen. Nein, trocken wars nicht, schließlich sorgten die Nachbarn für Weine, Säfte und Laugenbrezeln. Die Tische trugen frisch geschnittenen Rosenschmuck aus dem Vikariegarten. Rasch füllte sich der Raum, zumal auch Gäste Zugang hatten. Nachbarmeister Heinz Vogel begrüßte die ansehnliche Schar Zuhörer und verteilte sogleich die Notenblätter des Kirwelhauser Heimatliedes, das 1983 entstanden, ist mit dem Text von Karl-Heinz Link und vertont von Franz Leinhäuser.
Karl-Heinz Link unterhielt danach sein Publikum mit einem Prosatext aus dem Buch: „Die frivolen Taten des Glöckners“, eine Geschicht aus dem späten Mittelalter, in dem die bedrohliche Situation der geringer gegen Feinde geschützten Vorstadt Kirch-hausen plastisch wurde. Wegen der feindlichen Belagerung konnten die überreifen Trauben nicht geerntet werden. Passend zum Thema trug Heinz Vogel mit seiner raumfüllenden, klaren Stimme unter der bekannt professioneller Begleitung von Franz Leinhäuser am Klavier die Liedbeiträge vor: Zunächst: “Was bringen uns die Reben …“ Im steten Wechsel zwischen Link mit Lesung folgten „Das Lob vom Wein“ und danach „Bekränzt mit Laub“ (Lied). Die verschmitzte „Reblausstory“ glich sich thematisch dem Lied: „In jedem vollen Glase Wein“ an. Dann las Link seine „Ode an Liebfrauen“, die er 1981 zur 650-Jahrfeier der Liebfrauenkirche zur Festschrift beigetragen hatte. Nachdenklich auch der Liedvortrag: „Der Mensch“ und: „Nun wandere Maria.“
Die folgenden Texte trug KH Link im heimischen Dialekt vor: Das Lukas-Evangelium, die „Fronleichnamsprozession“ und auch: „Auf dem Aldegundismarkt“. Wie sehr die urwüchsige Muttersprache die Menschen erheitert, war deutlich an der Reaktion des interessierten Publikums spürbar. Der Wechsel zwischen Text- und Liedvortrag ließ zu keiner Zeit Langeweile aufkommen. Heinz Vogels Liedvorträge „Das Veilchen“, „Der Kuss“ und zum Schluss: „Die Uhr“ passten zur Linkschen Ballade „Die Burg der Alchimisten“ und dem wiederum in der Muttersprache gelesenen Rückblick auf das Oberweseler Spektaculum. Ein spontan vorgetragenes Dankwort des Nachbarn Theo Weinheimer ließ erkennen, dem Interpre-tenteam Leinhäuser, Link und Vogel sei es vortrefflich gelungen, Kultur und Kurzweil in charmanter Weise unter einen Hut zu bringen.
Mittelrhein-Nachrichten vom 23. 10. 2008
Nachbarschaft ist ein Gebot
Grüß Euch Gott, ihr Nachbarsleute
Grüß Euch alle, Alt und Jung
Wünsch Euch Frohsinn, Spaß und Freude
Fröhlichkeit hält Euch in Schwung
Jetzt in den Novembertagen
Wo das Leben trist und grau
Nebel durch das Rheintal jagen
Trifft sich Nachbarmann und Frau
Trifft sich in der warmen Stube
Schmaust beim Safte edler Reben
Im Gespräch unter der Lupe
Wächst das nachbarschaftlich Leben
Nach der Sitte unsrer Väter
Wird das Zepter übertragen
Damit unsre Jugend später
Lesen kann, was eingetragen
In der Chronik ists zu lesen
Freud und Leid der Nachbarschaft
Was im Lauf der Zeit gewesen
Gibt der Jugend neue Kraft
Dass sie hochhalte die Sitte
Treue ist kein leer Gerücht
Nachbarschaft ist mehr als Bitte
Nachbarschaft ist eine Pflicht
Grad in technisierten Zeiten
Tut Zusammenhalten Not
Muß ein jeder mitarbeiten
Nachbarschaft ist ein Gebot
Nachbarschaft hat viel Gesichter
Traurigkeit und Fröhlichkeit
Hat kein Platz für Bösewichter
Hat nur Platz für gute Leut
Drum, so lasst das Glas erheben
Trinkt es leer bis auf den Grund
Ist es noch so schwer, das Leben
Wein macht Kranke auch gesund
Lasst die Gläser hell erklingen
Stoß mit Deinem Nachbar an
Der Chronist, auf Wortes Schwingen
Hat seine Schuldigkeit getan
Rezension zum „13. Römerschiff“ von Hans Dietrich Lindstedt
03. Mai 1999
Lieber Dieter!
Das 13. Römerschiff hat mich von Anfang bis zum verblüffenden Ende fasziniert. Ich empfand es als Dein bisher bestes Werk. Natürlich sind mir die Parallelen nicht entgangen, wohl wissend, dass die „Aventura“ keine Segel hat und auch nur von lebenden Literaten bevölkert war. Auch die autobiografischen Züge des Krampus alias Schambes, alias Jean Baptist alias HDL sind in der Gestalt des Protagonisten unübersehbar. Auf der Suche nach der Prämisse musste ich bis zum letzten Kapitel warten. Dann erkannte ich sie: Wer zu viel Wein trinkt, darf sich nicht wundern, dass er zaubrische Gestalten sieht. Zwei gravierende „Schnitzer“ sind zwar Deinem Lektor nicht aufgefallen. Ein Blick auf die Landkarte hätte genügt zu erkennen: Gegenüber von Hirzenach liegt nicht Lorch, sondern Kamp. Und der Doppelheilige auf der Oberweseler Ringmauer ist keineswegs der Christophorus sondern der Nikolaus, der Schutzpatron der Schiffer. Zur Landseite schaut übrigens der Heilige Nepomuk, Schutzpatron der Landfahrer oder auch als Brückenheiliger bekannt. Aber das fällt nur dem Einheimischen auf uns soll auch der Gesamtbeurteilung keinen Abbruch tun.
Gut gefallen hat mir die gefällige Sprache, ja eine Sprachgewalt, die das Opus von Deinen übrigen Werken unterscheidet. Die Dialoge der Dichterfürsten sind glaubhaft, die Charaktere treffend gezeichnet. Und die nebenbei empfundene Sehnsucht nach einem neuen Literaturverständnis außerhalb der existierenden Moloch-Mentalität hat meine Zustimmung gefunden. Wir wünschen Dir weiterhin viele neue Ideen. Viele liebe Grüße auch an Deine liebe Lilly.
Aenne und Karl-Heinz Link
Was wäre geschehen, wenn mein Held in dem Roman DER NEUNTE SINN kein dramatisches Ende genommen hätte. Dann wäre meine Schwiegertochter Silke vollends zufrieden gewesen. Es war doch so spannend, und die geschilderte Liebesgeschichte hätte ein Happyend verdient. Ich versuche, diesen Gedanken nachzuvollziehen. Also lasse ich ihn am Leben. Das ist das Schöne am Schreiben, Figuren wie auf einem Schachbrett bewegen oder rauszu-schmeißen. In allerletzter Minute wird der Unglückliche von dem Penner aus der Fußgängerzone mit seinem Hund im Schlepptau entdeckt. Der kann zwar infolge seiner Behinderung nicht rennen. Aber er kann seinen Schäferhund Helmut ableinen. Helmut kennt Wolf Wunderlich von der Begegnung in der Stadt, hechelt auf ihn zu, als Wunderlich gerade in seinen sicheren Tod springen will. Er hat bereits die Bootsleine an dem kräftigen Ast der Kastanie über der Parkbank befestigt und die Schlinge um seinen Hals gelegt. Es war seine Parkbank, auf der er mit Marion, seiner geliebten Frau so manches Liebesabenteuer erlebte. Hund Helmut bellt den Lebensmüden an, als ob er ihm sagen wolle, tu das nicht, lieber Freund, du hast mir doch die Wurst und die Knochen spendiert. Kennst du mich denn nicht wieder? Komm runter von der Bank und kraule mir das verlauste Fell! Der Lebensmüde hält inne, nimmt die Schlinge von seinem Hals und steigt hinab zu dem Hund. In dem Augenblick klingelt sein Mobiltelefon, er drückt die grüne Taste und vernimmt die ihm bekannte Stimme seiner Marion: „Hallo Wolf, wo bist du? Ich habe zwei Überraschungen für dich. Erstens bin ich schwanger. Ich komme gerade vom Gynäkologen. Wir bekommen ein Kind. Und dann ist mein einziger Cousin heute ganz plötzlich nach einem längeren Neuseeland-Trip hier bei mir aufgetaucht. Den musst du unbedingt kennen lernen. Der hat viel zu erzählen. Melde dich. Du wirst ihn sicher auch mögen. Ich liebe dich.“ Jetzt fällt es wie Schuppen von Wolfs Augen. Um ein Haar hätte er einen verhängnisvollen Fehler begangen. Er wollte aus enttäuschter Liebe seinem Leben ein Ende bereiten. Jetzt macht er sich die größten Vorwürfe. Warum hat er Marion nicht gesagt, was er gesehen hatte, als er sie durch seinen nur ihm eigenen Blick in den Armen eines fremden Mannes beobachtet hatte. Eine Welt brach in ihm zusammen. Und dabei war der nur ihr Cousin und kein anderer Liebhaber. Um Gottes willen. Das war ein harter Schlag für Wolf Wunderlich. Nach Marions erneute Liebeserklärung und erst nach der Gewissheit, dass er Vater wird, entsteht in seinem Kopf ein weiteres Wechselbad der Gefühle. Er schwelgt geradezu in diesem Zustand, möchte jetzt die ganze Welt umarmen. Zunächst umarmt er den Bettler aus der Fußgängerzone samt Hund. Die Bootsleine nimmt er beiseite. Die braucht er noch, aber jetzt ausschließlich nur für sein Boot. Er wickelt sie fein säuberlich zusammen und verbirgt sie unter seinem Wams, damit er gar nicht mehr daran erinnert wird. Natürlich ist er seinem Retter jetzt etwas schuldig. Er erklärt ihm seine vermeintlich missliche Lage, ohne ihm jedoch seine Mauersichtigkeit preiszugeben. Dann lädt er die beiden Helmuts zu einem warmen Mittagessen ein. Sie sollten morgen gegen 12 Uhr an der „Linde“ auf ihn warten. Sie könnten sich so richtig rundum satt essen. Sie als Leser haben jetzt vermutlich Probleme, die Situation zu verstehen, wenn Sie mein Buch DER NEUNTE SINN nicht gelesen haben. Die Hauptfigur Wunderlich kann nämlich durch Wände sehen. Und was er sieht, wenn sich Menschen unbeobachtet wähnen, ist haarsträubend. Er gerät an Geldfälscher, wird sogar vor den Kadi gezerrt, weil er eine in Beton eingegossene Leiche entdeckt, also Täterwissen an den Tag legt. Das ist ein gefundenes Fressen für den Staatsanwalt, der jedoch einige Tage zuvor von dem Protagonisten in der Spielbank beobachtet wird, wie der seine ganze Barschaft verspielt. Erotische Szenen, auch sexuelle Übergriffe spielen eine Rolle bis hin zu der Schlüsselszene, als er seine geliebte Marion in den Armen eines fremden Jungmannes in inniger Umarmung erspäht. Das habe ich nun davon. Meine Geschichte geht weiter, entwickelt sich zu einer unendlichen Geschichte. Ohne Ende, Herr Ende. Jetzt macht sich Wunderlich Gedanken, ob sein Sohn, wenn es einer wird, auch die Sehfähigkeit seines Vaters erben würde. Einer Tochter würde er das keinesfalls zumuten. Dafür wäre ihm eine Tochter zu schade. Ein Sohn hingegen, wenn er halbwegs die Gene seines Vaters in sich vereinigt, wenn er besonders in seiner Entwicklung entsprechend vorbereitet wird, kann das Phänomen bewältigen. Als Vater würde er sich ihm besonders annehmen. Als Erstes will er seinen Abschiedsbrief verbrennen. Als Gelegenheitsraucher besitzt er ein Feuerzeug. Aber wo soll er das tun? Gleich hier, dann wird sein Retter neugierig. Nein. Zuhause in seinem Zimmer hat er einen metallenen Papierkorb. Oder einfach in einer Toilette. Die Idee gefällt im am besten. Anzünden und Asche wegspülen. Fertig. Er muß aber vorsichtig zu Werke gehen. Seine Mutter richtet seine Kleidung, dabei kontrolliert sie schon einmal die Taschen, damit nichts in der Waschtrommel verloren geht. Sein Kopf ist prall gefüllt mit Gedanken. Sein Verhalten nach dem gottlob missglückten Todessprung belastet sein Gewissen. Doch nicht lange, die Wiedersehensfreude mit seiner geliebten Marion und vor allem das Hochgefühl, mit der Zeugung eines Kindes eine wirkliche Großtat vollbracht zu haben, schenkt ihm neuen Mut, Lebensmut. Er verabschiedet sich von dem Bettler mit einer Umarmung. Hund Helmut steht daneben und sieht Wunderlich treuherzig an. Er erwartet auch von ihm eine Streicheleinheit, die ihm der Wiedergeborene gewährt. Zurück zu seinem Zuhause ist sein erster Weg in die Toilette. Er verriegelt die Tür von innen, nimmt den Abschiedsbrief aus der Rockinnentasche und fingert nach dem Feuerzeug in der Hosentasche. Doch das verdammte Ding hat seinen Geist aufgegeben. Dennoch betätigt er die Spülung, um den Anschein zu erwecken, er habe ein kleines Geschäft gemacht. In der Küche sucht er in der Krimkramschublade nach Zündhölzern. Seine Mutter Berta fragt, was er suche. Aber er hat die Streichhölzer bereits gefunden. „Du sollst nicht so viel rauchen“, meint Mutter Berta. Gleich darauf geht er wieder zur Toilette. Jetzt geht der verräterische Abschiedsbrief in Flammen auf. Er hält das Papier senkrecht über die Kloschüssel, zündet unten mit der Flamme das Schriftstück an und beobachtet, wie sich die Flamme nach oben frisst, bis sie fast seine Finger, den Daumen und den Zeigefinger berührt. Erst jetzt öffnet er seine Finger und der Rest weht schaukelnd in den Abort. Die Asche drückt er ab. Er öffnet das Toilettenfenster und geht seelenruhig zurück zur Küche, wo seine Mutter mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt ist. Hast du Durchfall, fragt sie. Du warst doch eben erst. Du musst nicht auf dem Klo rauchen. Kannst doch auf dein Zimmer gehen oder auf den Balkon. Der angesprochene Sohnemann sagt lakonisch: „Die meisten Raucher sterben auf dem Balkon“. Was er nicht wusste: Seine Mutter hatte natürlich sein Zimmer aufgeräumt und bemerkt, dass auf seinem Schreibtisch ein Schreibblock mit wertvollem Briefpapier liegt. Sie dachte noch, darauf wird er seine Liebesbriefe schreiben. Die Marion ist ja auch ein liebes Mädchen. Sie fährt mit ihrer flachen Hand über das leere obere Blatt, als wolle sie das Mädchen streicheln. Da bemerkte sie, auf dem Schreibblock wurde ein längerer Text geschrieben. Sie kannte noch den alten Trick aus ihrer Jugend. Wenn man mit einem gespitzten Bleistift schräg über den vermeintlichen Text schraffiert, kann man den Text wieder lesbar machen. Auf diese Weise erfährt sie die furchtbare Absicht ihres Sohnes. Aber sie spricht ihn nie darauf an. Sie nimmt das Blatt an sich und verbirgt es zwischen ihrer Bettwäsche. Ihre illegal erworbene Erkenntnis bewahrt sie wie einst Maria im Neuen Testament, in ihrem Herzen. Wenn er sich wieder gefestigt hat, will sie ihn damit konfrontieren. Zunächst will sie ihrem Sohn etwas Abstand gönnen. Der Abend mit Marion und ihrem Cousin in der Eckkneipe wird fröhlich, auch feuchtfröhlich. Die Heimkehr des Neuseelandfahrers wird gefeiert. Nicht nur das. Es gab ja auch noch den zu erwartenden neuen Erdenbürger in Marions Bauch zu begießen. Dann muß der Weltreisende all seine Eindrücke loswerden. Er weiß, Neuseeland liegt unweit von Australien, gehört dennoch nicht zu diesem Kontinent. Es soll das jüngste Land der Erde sein. Es ist das Land Maori, die Ureinwohner, die vor 1000 Jahren aus Hawaika, dem Heimatland ihrer Vorfahren in das neue Land kamen. Die berühmten Great Walks sind mit keinen anderen Wanderwegen der Erde zu vergleichen. Er schwärmt von den Menschen und von der Natur pur und ist kaum noch zu bremsen. Dann packt er seine Stapel Bilder auf die Theke. Genau so wird Wolf Wunderlich mal die Schnappschüsse seines und Marions Baby aller Welt präsentieren. Er hat keine Sehnsucht nach dem Inselstaat. Er hat nur Sehnsucht nach Marion, die schweigend das Gespräch genießt. Der Cousin heißt Walther mit th und verdient seine Brötchen mit Reiseberichten und mit seinen Fotos. Er will sogar einen Bildband verlegen lassen. Ideen gibts, das hätte sogar mir einfallen können. Ich könnte doch eine wissenschaftliche Abhandlung über meine besondere Fähigkeit schreiben und an die Menschheit verkaufen. Aber dann würde man mich als Lügner, als Aufschneider brandmarken. Von solcherlei Öffentlichkeitsarbeit hab´ ich die Nase voll. Bei einem lockeren Zusammensein zu dritt kann immer nur einer reden. Und das war Walther. Er muß all den aufgestauten Abfall aus der anderen Welt loswerden. Viel lieber wäre Wolf mit seiner Marion alleine, ohne den dritten Mann. Irgendwann wird auch der höflichste Mensch des Zuhörens müde. Wolf sieht aus Verlegenheit zur Decke und betrachtet die Flügel des Propellers, der dort gemächlich seine Runden dreht, um den Raucherqualm zu verwirbeln. Er nennt ihn Wirbeltier, dessen Sington ihm mit der Zeit die Laune verdirbt. Er lutscht zaghaft an seinem Bier, möchte sich kein weiteres Getränk bestellen. Marion muß Wolfs Gedanken erraten haben. Nach zwei Stunden Reiseberichterstattung verspürt auch sie Langeweile und meint, sie verspüre Übelkeit, was wohl mit ihrem Zustand zu erklären sei. Sie schlägt vor, die Unterhaltung bald zu beenden. Noch kämpfe ich mit mir, ob ich eine Fortsetzung der Geschichte schreiben soll. Es könnte damit enden, dass Wunderlichs Sohn die Fähigkeit des neunten Sinns erbt und ebenfalls seine Erfahrungen sammelt. Vielleicht gelingt es dem Sohn, nur positive Szenen zu Gesicht zu bekommen, zum Beispiel spontane Hilfsbereitschaft, Spendenfreudigkeit, menschliches Glück und Zufriedenheit.
Es wäre sogar angebracht, ihn zu einem spirituellen Menschen heranreifen zu lassen, der in ein Kloster eintritt und enthaltsam lebt.
Zuversicht
Wer belohnt mich für die aufgewandte Mühe,
die am Tag beginnt schon in der Frühe.
Wer bedankt sich für des Tages Last und Glut,
schenkt Vertrauen mir und neuen Lebensmut?
Wenn ich traurig bin und leide unter Schmerzen,
wenn die Zweifel nagen mir am kranken Herzen.
Wer gibt Zuversicht in all den trüben Lebenslagen,
wer gibt Antwort mir auf ach so viele Fragen?
Ich wüsste da ein Lieb, ein holdes Menschenkind,
das mich retten könnt, mir hülf geschwind.
Ich weiß, du schenkst mir wieder meinen Glauben
durch deine göttlich treuen Kinderaugen.
Fremdling
Wildfremder Mann, du kannst nicht dafür,
dass du anders bist als wir.
Mühst dich ehrlich einzugliedern,
zaghaft alles zu erwidern.
Wildfremder Mann, deine Moral
Steht einsam in dem neuen Tal.
Hast eine andere Religion,
glaubst nicht an Christus, den Gottessohn.
Wildfremder Mann, deine Gedanken
Neigen zu Zweifel, beginnen zu schwanken.
Hast eine andere Philosophie.
Die Farbe der Haut macht dazu dir viel Müh.
Wildfremder Mann, ich reich dir die Hand.
Ergreif sie, so sind unsre Herzen verwandt.
Auch ich bin ein suchender Fremdling im Land.
Ich geb dir Vertrauen und Hoffnung als Pfand.
Jemand
Sag, wer mir die Blumen bringt,
wer sich heimlich mir verdingt.
Sag, wer Gutes spricht von mir,
niemals lauschet an der Tür.
Frag den alten Blumenbinder
Oder deine eignen Kinder.
Frag den Nachbarn auf dem Flur
Nach dem Gruß von der Natur.
Jemand, der sich zu dir wendet,
an dir Zuneigung verschwendet.
Achte ihn in jedem Dritten.
Er könnt es sein - ´s ist unbestritten.
Fährmann
Hol über, Fährmann, hol über.
Trag mich, mein Gepäck übern Rhein.
Ich wäre geblieben viel lieber
bei meinem Liebsten daheim.
Der Fährmann zerteilet die Fluten
mit seinem schwankend Gefährt.
Der kennt in dem Strome die Routen,
den Weg, der ihm Sicherheit währt.
Ich setze den Fuß auf die Planken.
Fast grußlos gewährt er mir Platz.
Mit quälenden Abschiedsgedanken
trägt fort mich, der Fährmann, vom Schatz.
Ein Zittern durchfährt dann den Kahn.
Aus der Tiefe ein Nixengesumm.
Ein Zauder erfasst mich, ein Wahn
Sagt im Innern nur flüsternd, kehr um!
Zu weit ist das Boot schon vom Ufer.
Zu weit von dem Liebsten entfernt.
Verloren, du heimlicher Rufer,
nun hast du das Scheiden erlernt.
Der Vater ist stärker
Uralt Gebälk, erzähl von Glück und Leid,
von Kriegen, vom Lieben, auch von der Maid,
von den Knechten und von den Nonnen,
von den Gewittern und von den Sonnen
aus deiner Zeit.
Uralt Gebälk, hast Wohnstatt behütet.
Doch als dann das Feuer geprasselt, gewütet
und krachend geborsten dein eichernes Mark,
wie warst du stark.
Im Menschengewimmel
war glühend der Himmel
Geschick der Mächte
und eisig die Nächte.
Oh Grauen – wie weit.
Noch glimmet die Glut.
Du Vater nimmst mich in deine Hut.
Ich schau zu ihm auf, bewundernd Vertrauen.
Dein Herz ist stärker, ich wird auf dich bauen.
Bis hin zu dem Sarg.
Umweltgebet
Schau heimwärts Engel – schau mit Blicken
versöhnend diese Menschheit an.
Sie droht an Morast zu ersticken
Das hat der Wohlstand ihr getan.
Schau heimwärts Engel – schau mit Gnade
versöhnend auf den Erdenrund.
Noch ist es Zeit, noch wär es schade.
Bewahr uns vor des Unrats Schlund.
Schau heimwärts Engel – steh uns bei.
Befrei die Luft von Gas und Blei.
Mach rein die Lüfte, rein das Meer.
Entflechte auch den Stadtverkehr.
Schau heimwärts Engen – sieh wir kämpfen.
Und rackern uns wie Sisyphus
Schütz uns vor Smog und Schwefeldämpfen,
weils endlich anders werden muß.
Schau heimwärts Engel – schau mit Blicken
versöhnend diese Menschheit an,
damit die Nachwelt mit Entzücken
im Garten Eden leben kann.
Ballade 1943
Die Kindheit voll Angst, bedroht die Menschenrechte.
Angst von der Mutter Angst genährt, mir übertragen.
Es war die Zeit der schlimmen Bombennächte.
Das Vaterland von Bombenteppich` umgegraben.
In den Kellern fühlten wir uns geborgen.
Die Sorgen galten nur dem einen Tag.
Wer mag die Hoffnung heute nachempfinden,
die an dem längst verblichenen Kalender hing.
Der Drahtfunk kündete Verbände an.
Mit bombenschwerer Last im Elefantenrumpf.
Als die Sirenen von den Dächern heulten,
begann das weite Dröhnen schwer und dumpf.
Vergessen möchte ich die Erinnerungen gerne.
Drum schreib ich sie, wies kommt, mir von der Seele.
Die Bomberschwärme zogen in der Ferne.
Vorbei an mir, derweil ich mich zum Keller stehle.
Ich lausch dem Dröhnen mit seinen Intervallen.
Und bin gewiss, es werden heute Bomben fallen.
Ich bin erleichtert, weils diesmal nicht die Meinen sind.
Obwohl ich weiß, gleich stirbt im Lande irgendwo ein Kind.
Ich bin gewiss, es sterben Menschen in den Trümmern.
Und nur die Anverwandten werden sich drum kümmern.
Als das Inferno nach dem Zusammenbruch dann schwieg,
da sagt der Mensch zu sich, es war halt Krieg.
Nur wer die trübe Vernichtung hat vergessen,
wer gar an einem sichern Orte hat gesessen,
kann die Erinnerung verscheuchen, ich kanns nicht.
Drum schreibe ich nach fünfzig Jahren dies Gedicht.
In dem Gewölbe rochs nach Feuchtigkeit und kaltem Stein.
Und duster wars im kargen Kellerlampenschein.
Die Menschen saßen da, vermummt und hatten ängstliche Gesichter.
Im Haus darüber erloschen alle warmen Lichter.
Die bange Frage, wird das Mauerwerk auch halten?
beschäftigte besorgt die Jungen und die Alten.
Wie stark sind diese schweren Bruchsteinmauern,
in deren Raum sich Kinder an die Mütter kauern.
Derweil die Väter draußen kämpfen an der Front.
Wann kommt er heim, wird er vom Tod verschont?
Die Leute reden von einem neuen Stollen,
den sie mit Eile in den Felsen treiben wollen.
Vom Keller eines alten Judenhauses an dem Berge
erproben alte Männer mit Werkzeug ihre Stärke.
Sie schlagen mannshoch einen Stollen waagrecht in die Erde,
dass er in Wochen zum Schutze der Bevölkrung werde.
Mit Hämmer und Eisen,
mit Stemmen und Schweißen.
Es klingen die Schläge
hinein in die Schräge.
Bei Tag und bei Nacht
wird die Arbeit vollbracht.
Im Wechsel der Schichten,
das Werk zu verrichten.
In langer Reihe durch der Frauenhände Kette
wandern Eimer mit Gestein hinauf zum Hügel um die Wette.
Und Schwielen an den Händen, die sonst die Butterbrote streichen.
Es standen Tränen in den Augen, es war zum Steinerweichen.
Man stößt auf Nack, hart wie Granit.
Den sprengen sie gekonnt mit Dynamit.
Meter für Meter in die warme Erde.
Die braven Alten, sie führen kaum Beschwerde.
Schon war die Tiefe des langen Ganges zu erkennen.
Mit starken Stämmen stützten und schalten sie den Bruch.
Und beim Alarm begann die Nachbarschaft zu rennen
zum Stollen – zurück! Es glomm des Zündkabels Geruch.
Zurück ihr Leut´ - gleich wird die Sprengung detonieren.
Zurück schreit dieser Feuerwerker, dass es schallt.
Da vorn ein Kind – gleich wird das Pulver explodieren!
Ein greller Mutterschrei ertönt, bevor die Ladung knallt.
Der alte Feuerwerker springt, erfassend die Gefahr, behende
nach vorne, wo die Schnüre glühen an der Zündung Ende.
Erfasst das Kind und reißt es rasch zurück.
Drei Schritt – ein Blitz, ein Schlag und – hatt´ er Glück?
Die Pulverschwaden stehen in dem Stollen
und beißen in den Augen, dass es schmerzt.
Dann kommen Männer, die da helfen wollen.
Nur einer wars, der wirklich half beherzt.
Der liegt im Staub, bedeckt von vielen Steinen.
Er spricht kein Wort – sein Kahlkopf färbt sich rot.
Das Kind in seinem Arm beginnt zu weinen.
Doch er, der brave alte Mann ist tot.
Wenn Sie mich fragen, wann diese Gedichte entstanden sind, dann werden Sie es kaum glauben. Sie sind 1976 entstanden und stammen aus meinem ersten Buch „Loreley-Geflüster“. Das Büchlein gibt es heute nicht mehr. Es existieren nur noch wenige Exemplare in meinen Bücherregalen. Dennoch üben diese Verse auch heute noch eine unverbrauchte Faszination aus.
Bemerkenswert finde ich die Zeilen von Christa Polch aus Traben-Trarbach zum Jahreswechsel 2008/09:
„Ein Lächeln kostet nichts und bringt viel ein. Es bereichert den Empfänger, ohne den Geber ärmer zu machen. Keiner ist so reich, dass er darauf verzichten könnte und keiner so arm, dass er es sich nicht leisten könnte. Es bedeutet für den Müden Erholung, für den Mutlosen Ermunterung, für den Traurigen Aufheiterung und ist das beste Mittel gegen Ärger. Man kann es weder kaufen noch leihen oder stehlen. Wenn in den letzten Tagen des Jahres die Menschen zu erschöpft sein sollten, um Ihnen ein Lächeln zu schenken, dann dürfen wir Sie vielleicht bitten, um eines von Ihnen dazulassen. Denn niemand braucht ein Lächeln so nötig, wie derjenige, der für andere keines mehr übrig hat.“
Das verbrauchte Jahr 2008 hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert. Wetterkapriolen im Sommer und der Finanzskandal im Herbst waren nicht gerade berauschend. Politische Paukenschläge in Berlin, Bayern und Hessen beherrschten die Schlagzeilen. Raketen im heiligen Land wurden mit Bomben im Gazastreifen beantwortet. Die Welt hielt den Atem an. Dann Blitzeis an Sylvester. Und wieder Raketen über den Köpfen der Menschheit. Ein Millionen-Spektakel bunter Knallkörper hinterließ am Neujahrstag tonnenweise Abfall wie nach dem Rosenmontagszug. Die Menschheit verschleuderte wieder einmal unnütz Kapital, während in der Dritten Welt Kinder verhungern. Noch im Advent hatten die Menschen in diesem, unserem Lande via Fernsehen erfreulich viel Geld gespendet. Promis saßen auf den Rängen und nahmen selbst von mir Geld an, das zehn Tage danach von meinem Konto eingezogen wurde. Doch in der Sylvesternacht wurde vermutlich ebenso viel dem Wolken-gott geopfert. Trotz Finanzkrise.
Über meine Frau
Ich hatte sie erlebt, als sie betörend schön war, jung, blond und graziös. Wir waren beide noch jung, verliebt bis über die Ohren. Ihre rehbraunen Augen, ihre etwas abgedunkelte Altstimme und ihr stolzer Gang machten mich verrückt. Natürlich wurde sie meine Frau, strahlende Mutter von drei Knaben und einer Tochter. Ich wurde Vater, ein stolzer Vater. Heute sind wir beide älter, nein alt. Dabei ist sie mir sechs Monate überlegen. Die alte Dame wurde am 10. Januar 2009 beachtliche 75 Jahre alt. Und dann kamen sie, vier Kinder und acht Enkel, Verwandte und Freunde. Unser Haus ist groß. Das musste gefeiert werden. Eigentlich wollten die Kinder ihr einen Urlaub schenken. Anstandshalber fragten sie ihre Mutter, was sie sich zum Geburtstag wünsche. Sie überlegte nicht lange. Sie wollte einen neuen Computer. Den hatte sie auch bekommen. Von mir bekam sie einen Kuss und ein Gedicht.
Für Aenne zum 75. Geburtstag
Wenn ich einen Menschen kenne,
ist es unser aller Aenne.
Kenne jede ihrer Falten,
doch sie hat sich gut erhalten.
Liebe ihren Ordnungssinn,
auch ihr Charme ist ein Gewinn.
Bin ihr manchmal unterlegen,
hab auch gar nicht ´was dagegen.
Wenn sie mal die Zügel strafft,
hat doch vieles schon vollbracht.
Unsre eignen Interessen
Grenzen wahrlich ans Vermessen.
Während sie die Pflanzen gießt,
mir die Schreiberei vermiest,
halten wir doch fest zusammen,
gießen Öl in unsre Flammen.
Eigentlich ein Phänomen.
Für mich ist sie noch immer schön.
Ein Muttertier für Orchideen,
was selbst Passanten staunend sehen.
Sie ist ein As auch am PC,
liebt Sonnenschein und manchmal Schnee;
am liebsten sind ihr ihre Enkel.
Für mich bleibt da nur ein Geplänkel
Sie mag den schnellen Kilometer,
nur nach dem Crash gabs mal Gezeter,
weil unverschuldet sie betroffen.
Wir konnten nur auf Heilung hoffen.
Jetzt sind sie beide repariert
und laufen wieder wie geschmiert.
Wir danken dem Christophorus,
der gottlob manchmal helfen muß.
So wünsch ich Dir auf allen Wegen
fortan das Glück und Gottes Segen.
Drei letzte Worte inniglich.
Ich sage Dir: Ich liebe Dich!
Der Januar war für uns schon immer ein teurer Monat. Am 3. Januar hat unser Sohn Lothar Geburtstag. Am 10. folgt meine Frau Aenne und am 19. unsere Tochter Bettina.
Auf Lothars Geburtstagskarte steht folgender Spruch: „Bewahre dir auch im neuen Lebensjahr die Sonne im Herzen! Dazu schrieb ich ihm: „Alles hat seinen Preis. Jedes verflossene Lebensjahr kostet dich einen Teil deines Lebens. Wer sich dem Zwang widersetzen will, der muß jung gehen. Wir raten, den Preis zu zahlen, damit du deinen Eltern nacheifern kannst. Nimm den Geldschein als Anzahlung. Alle guten Wünsche und behalte die Sonne im Herzen.
Deine Eltern.
Ich habe eine neue Spielwiese im Internet gefunden, ein Portal für Schreibende, die ihre Texte dort aus Word einfach laden und sogar noch mit farbigem Titelblatt und Rückseite veröffentlichen können. Ob Kurzgeschichten, Krimis, Romane oder Fantasie, ob Lebenserinnerungen, Sachbücher, Kinderbücher oder Schauspiele, alles Lesbare ist möglich. Und es kostet keinen Cent. Meine bisher vier Bücher können von allen anderen Teilnehmern gelesen und begutachtet werden. Jeder Teilnehmer hat einen nur ihm bekannten Login-code. Nur er kann seine Texte verändern. Hier werden Ratschläge erteilt, auch Kritik geübt oder Fragen gestellt. Wichtig für mich ist die Kommunikation mit Gleichgesinnten, auch wenn sie gelegentlich als dümmliche Sprüche und Wortfetzen daherkommen. Wer es einmal versuchen möchte, gehe einfach auf die www.bookrix.de und erfährt sofort, wie es geht. Man muß nicht einmal seine Personalien angeben, auch keine Bankverbindung. Ein Kunstname genügt. Da ich nicht anonym bleiben möchte, verwende ich meinen richtigen Namen.
Wenn ich zum Beispiel in die Rubrik Bibliothek gehe zu meinen Büchern, erfahre ich, wie oft jedes Buch gelesen wurde. Das spornt an. Selbst mein Konterfei erscheint auf meiner Seite und auf allen privaten Mitteilungen an die Teilnehmer, die dann auf einer Pinnwand mit Datum und dem entsprechenden Thema erscheinen. Die Nachrichten werden mit bunten Nadeln angeheftet und können von mir auch wieder gelöscht werden. Das ist ein toller Service. Nur Geld verdienen kann ich damit noch nicht. Aber ich betrachte es wirklich nur als Spielwiese. Vielleicht gelingt mir ja eines Tages ein großer Wurf. Den würde ich dann wirklich einem Verlag anbieten, damit er im Buchhandel angeboten werden und mit ISBN auch im Internet erworben werden kann unter amazon, libri oder buch.de.
Am Rhein kehrte die Eiszeit ein
Der Raum Oberwesel war das Epizentrum des Unwetters
Kniehoch türmte sich der Hagel in der Stadt der Türme und des Weines und das im Hochsommer. Im T-Shirt und mit Schneeschieber und Schaufeln bewaffnet versuchten die Oberweseler der Katastrophe am Mittwochabend, 27. Juli 2005 Herr zu werden. Derweil deckten Sturmböen Dächer auf der Rheinhöhe in Damscheid und Urbar ab. Die Bilder vom Mittwochabend werden den Menschen am Mittelrhein noch lange in Erinnerung bleiben. Selbst die Ältesten haben etwas Vergleichbares noch nie erlebt. Innerhalb einer Viertelstunde kehrte in Oberwesel und Umgebung am Mittwochabend die Eiszeit ein. Während sich auf der rechten Rheinseite Gewitter entluden, öffnete der Himmel links des Rheins kurz nach 20 Uhr seine Schleusen. Die Temperaturen sackten von hochsommerlichen 30 auf 15 Grad. Hagelkörner so groß wie Taubeneier prasselten nieder. Der Wind brauste über Tal und Rheinhöhen und erreichte laut Wetterbericht Tornadostärke. In Oberwesel standen 32 Feuerwehrleute noch bis 2 Uhr nachts im Einsatz. Hier entfaltete das Unwetter seine größte Kraft. Während die Einwohner unterstützt von schwerem Gerät versuchten, dem Chaos in den Straßen Herr zu werden, kämpften die Feuerwehrleute mit umgestürzten Bäumen auf der B 9 und mit den Wassermassen in der Mainzer Straße. Der Park & Ride-Platz am Bahnhof stand komplett unter Wasser. Die Straße nach Langscheid war wegen eines abgerutschten Weinberges gesperrt. Ein Frontlader der Straßenmeisterei machte den Weg frei. Von den Orkanböen auf der Rheinhöhe war Damscheid am schlimmsten betroffen. Zwei Scheunendächer und der Dachstuhl einer Familie wurden entblößt. Das ganze Ausmaß der Schäden offenbarte sich am Tag nach dem großen Unwetter am Mittelrhein. In den Weinbergslagen oberhalb von Oberwesel hat das Günderrodehaus Schaden genommen. Der Einweihungstermin musste verschoben werden. Dem Oberweseler Winzer Wolfgang Dietrich hat es im Weinberg unterhalb des Filmhauses die Ernte verhagelt. Der Spätburgunder war hin. Sein Schicksal teilten auch die anderen Winzer in Oberwesel und in der Umgebung. Die Schäden lagen bei 80 bis 100 Prozent.
Eiszeit regierte in ganz Deutschland, wirtschaftliche, politische und meteorologische Eiszeit. Der Januar 2009 zeigte sich seit 22 Jahren mal wieder ausgesprochen frostig. Das berührte die Menschen mehr als der Finanzskandal und die Schattenfechterei im Superwahljahr. Ruhig Blut und Durchhalten war meine Devise. Warm anziehen und das Gassigehen auf das Wesentliche beschränken. Mein „Blacky“ begann zu humpeln, er konnte nicht sagen, dass seine Pfoten leiden. Die Heizung lief im Dauerbetrieb, auch nachts. Nun hatten wir im Rheintal noch Glück. Nur 14 Minusgrade. Andere bibberten mehr. Das tröstete mich für heute. Die Aussicht auf den nächsten Frühling lagt in weiter Ferne. Am 15. Januar 2009 gegen 21 Uhr fiel unsere Gasheizung aus. Das ganze Haus kühlte ab. Im Wohnbereich konnten wir ein elektrisches Elf-Rippengerät aufstellen, das wir die ganze Nacht in Betrieb hielten. Eine Stunde danach hieß es, ab ins Bett und gut zudecken. Am nächsten Morgen um sieben riefen wir den Installateur an. Der war bald zur Stelle und behob den Schaden. Kleinigkeit. Aber es dauerte bis zur Mittagsstunde, ehe das Haus einigermaßen auf angenehme Temperaturen erwärmt werden konn-te. Nicht auszudenken, wenn das am 10. Januar passiert wäre, da hatten wir 43 Gäste zum Geburtstag meiner Frau zu beherbergen. Es wird wohl das letzte große Ereignis mit einem solchen Aufwand gewesen sein. Schaffen Sie mal dreiundvierzig Sitzplätze in Wohn- und Esszimmer. Schwager Josef schaffte noch sieben Stühle herbei und einen Tisch. Sohn Lothar trommelte noch eine Band herbei. Insgesamt standen sieben Künstler an den Instrumenten und am Mikrofon. Der Weinkeller wurde aufgefüllt, und der Bierlieferant brachte eine Zapfanlage mit Sauerstoffflasche und Gläser. Was er nicht bedacht hatte, war der Frost. Die Zapfanlage war zugefroren. Sie taute zwar auf, aber der Versuch, ein Testbier zu zapfen, bescherte uns eine kleine Katastrophe. Unter Druck ergoß sich das begehrte Gebräu aus der Eifel über den Schreibtisch und in die Schubfächer. Wir hatten nicht Hände und Putzlappen genug. Irgendwann ließ die Überschwemmung nach. Der Lieferant kam, holte die defekte Anlage ab und versorgte uns mit Flaschenbier. Wir ließen uns die Feierfreude nicht verderben.
Eis am Rhein
„Ein riesiger Verkehr setzte am Sonntag nach St. Goar und zu den aufwärts gelegenen Orten ein. Die Nachmittagszüge waren beängstigend überfüllt.“
(Aus dem St. Goarer Kreisblatt über den Eiswinter 1929)
Im Februar 1929 reiben sich die Mittelrheiner verwundert die Augen: Treibt doch gerade eine bewohnte Eisscholle an ihnen vorüber. Vier Männer haben sich an Bord gemütlich eingerichtet: Neben der Sitzbank bollert ein kleines Öfchen, das die sibirischen Temperaturen ein wenig mildern soll. Die Männer bevölkern eine Eisscholle und versuchen mit Enterhaken, sich an Land zu ziehen. Dabei werden sie von einer begeisterten Menschenmenge angefeuert. Natürlich ist es strengstens verboten, den Rhein auf einer Eisscholle zu befahren. An Land herrscht Volksfeststimmung. Dreißig Jahre ist es her seit dem letzten Eisgang. Zwanzig Grad Frost bilden dicke Eisschollen, die sich an der engsten Stelle an der Loreley übereinander schieben. Der gewaltigste deutsche Strom verwandelt sich in eine bizarre Winterlandschaft. Fünf Wochen lang liegen Hunderte Schiffe fest. Es entstand ein gewaltiger ökonomischer Schaden. Aber nicht für alle. Es entwickelt sich ein Eistourismus über das Eis. Findige Geschäftsleute bieten Glühwein an. Bei Lorchhausen spielt eine Tanzband auf dem Eis. Selbst Schulklassen wandern zum anderen Ufer. Der Pfalzgrafenstein bei Kaub wird zum beliebtesten Fotomotiv. Das Eis ist bis zu zwei Meter dick. Es wird ein ständiger Wachdienst eingerichtet. Fünf Eisbrecher sind unentwegt im Einsatz, um eine Fahrrinne freizuhalten. Vergeblich. Dann wird gesprengt, aber mit mäßigem Erfolg. Aber es ist ein Spektakel, als die Detonationen an der Loreley meterhohe Fontänen in die Luft schießen. Das Eis hält den Bemühungen jedoch stand, die Fensterscheiben mancher umliegender Häuser jedoch nicht. Erst Anfang März setzt Tauwetter ein. Die Pegel steigen und steigen. Der Spuk ist vorbei. Eiswinter hat es seit Menschen-gedenken gegeben. Doch der Spaßfaktor hält sich in Grenzen.
Der Jahreswechsel 1739/40 trifft die Menschen besonders hart. „Über Monate lag die Kälte bei minus 30 Grad. Die Fenster tauten nicht mehr auf, wenn auch der Ofen glühte“, schreibt der Bacharacher Chronist Sebastian Faber. Der Totengräber hat zwei Tage gewerkelt, ehe er ein Grab ausgehoben hat. Der Boden ist hart wie Felsen. Der Totengräber hat viel zu tun, denn die Bacharacher erfrieren reihenweise in ihren Häusern. Andere verhungern, weil die Vorräte verderben. Kartoffeln im Keller und Bohnen oder Sauerkraut werden steinhart. Dann wird auch das Brot noch knapp. Den Bäckern geht das Mehl aus. Die Menschen drängen sich eng aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen und Holz zu sparen.
„Die Vögel fielen tot vom Himmel, und in den Wäldern knallte es Tag und Nacht, weil die Eichbäume platzten.“ Aber in diesem Winter zieht es nur wenige aufs Eis. Die Volksbelustigung floppt. Selbst das von Küfern aufs Eis verbrachte Weinfaß wird nur spärlich frequentiert. Das aufgestellte Zelt auf dem Eis bleibt leer, trotz Ofen. Und tanzen will auch niemand. Sogar der Wein verkommt zum Ladenhüter, und das am Rhein. „Die Kälte war zu groß und das Geld rarer als der Durst“. Doch der größte Albtraum steht noch bevor. Bange blicken die Bacharacher der Eisschmelze entgegen. Wie ein Bollwerk versperren die aufgetürmten Eisschollen an der Loreley den anrollenden Wassermassen den Weg. Mit Grauen lauschen die Bürger in die Nacht hinein, wie das Eis knarrt und berstet. „Dazu tobte der Wind immer heftiger und heulte, wo er eingezwängt war“, heißt es in der Chronik. Dann kündigt ein dumpfes Grollen den Abgang an. „Das Wasser war wie ein Blitz gekommen und stand im Nu an der großen Kirchentür,“ schreibt der Chronist Faber. „Das Wasser wallte die Marktgasse herauf, dass man annehmen konnte, mit welcher Gewalt es sich zum Tor hereindrängte.“ Schnell sind die Häuser vollgelaufen. Die Bacharacher flüchten in die oberen Stockwerke. Manche Fachwerkhäuser werden von den eiskalten Fluten einfach mitgerissen. Beim Schiffer Emmerich dringt das Wasser sogar bis in den Speicher ein, sodass der Familienvater die Ziegel vom Dach abreißt, um aufrecht stehen zu können. Dann stürzt Gebäude durch den Wasserdruck ein, um mit einem ohrenbetäubenden Krachen in den Fluten zu versinken. Sebastian Faber zieht Bilanz: „Noch vier Wochen später säumten zwölf Fuß hohe Eismauern die Ufer des Rheins als stumme Zeugen einer der größten Katastrophen, die Bacharach und den gesamten Mittelrhein in jenem Winter 1739/40 getroffen hat.“
(Aus Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 29. September 2012)
Zurück zur Historie.
In meinem Buch „Bibeln Bonzen Bomben“ ist die Rede von dem Entdecker des Schifffahrtsweges nach Basel mit seinem 300 Tonnen fassenden Kahn „Christina“ im Schlepptau des Schraubendampfers „Kniepscher IX“ gelungen war, der jedoch bei diesem Abenteuer sein Schiff verloren hatte, das beim Wendemanöver an einem Brückenpfeiler der Hüninger Brücke zerschellte und sank. Man schrieb den 2. Juni 1904. Einer seiner Vorfahren wurde in Oberwesel ebenfalls als Johann Kirchgässer geboren, der 1849 ein privates Tagebuch verfasst hatte. Er war Handwerker, ging auf die Wanderschaft. Geboren wurde er am 24. August 1821 als dritter Sohn des Bäckermeister und Winzer Jacob Kirchgässer. Seine Mutter Margareta, geborene Bischof stammte aus Camp, Herzogtum Nassau. In seinen Aufzeichnungen lesen wir: 1824 kam das erste Dampfschiff bis Oberwesel. Es war Hochwasser, weshalb man nicht außerhalb der Stadtmauer an den Rhein gelangen konnte. Ich wurde auf die Ringmauer getragen, wo man sah, wie das Schiff gegen die starke Strömung ankämpfen musste und nur bis an die Pfalz bei Kaub kam. 1825, nachts um ein Uhr brannte das an dem Niederbach gelegene Nonnenkloster bis auf die Umfassungsmauern ab. Man glaubte, es sei angesteckt worden, weil es an den vier Ecken zugleich anfing, zu brennen. Der Eigentümer Daniel Glänzer hat das noch Stehende beseitigt und einen Weinberg angelegt, wo man heute noch an den Mauerresten und an der erhöhten Lage die Stelle erkennt, wo das Kloster gestanden hat. 1826 schrieb Papst Leo der XII. ein allgemeines Jubiläum aus, womit ein vollkommener Ablass unter verschiedenen religiösen Verrichtungen verbunden war und begann am 20. August und endete am 31. Dezember. In 1817 sind vom 17. bis 20. Februar die Weinstöcke bis auf den Boden erfroren. Am 24. August schlug der Blitz in den in der Stadtmitte stehenden Kuhhirtenturm, zündete aber nicht, verletzte aber die darin befindliche Uhr, welche stehen blieb. Der Turm diente in der Zeit dem Nachtwächter und Kuhhirt zur Wohnung, welche zum Teil durch einen Vorsprung wie ein Vogelkorb aussah. Der Wächter konnte die ganze Stadt und den Rhein übersehen und musste durch das Fenster von elf Uhr abends bis fünf Uhr morgens die Stunden blasen. Und wenn der Rhein vom Eise zugefroren gewesen war und dasselbe sich bei eingetretenem Tauwetter des Nachts in Bewegung setzte oder Brand entstand, musste er die dort befindliche Glocke läuten, welche einen so schauerlichen Klang hatte, dass nur starke Nerven denselben ertragen konnten. 1829 wurde die von Napoleon begonnene am Rhein vorbeiführende Heerstraße mitten durch die Stadt gebaut, wobei manches Haus und zwei Tortürme zum Abbruch kamen. Die Häuser und Grundstücke wurden gut bezahlt, ebenso auch die Arbeiter, worunter auch viele Italiener waren, Frankreich musste nach dem Friedensschluss alles bezahlen.
1830 sind die Weinstöcke noch stärker als 1827 erfroren und es hat so wenig Wein gegeben, wie sich die ältesten Leute nicht zu erinnern wussten. Wir Kinder gingen mit einem kleinen Henkelkorb durch unsere Weinberge, wo wir durchschnittlich ein bis eineinhalb Fuder Wein a sechs Ohm (= 824 Liter) ernten konnten. 1831 wurde die 500jährige Gedenkfeier der prachtvollen gotischen Liebfrauenkirche in glänzender Weise gefeiert. Dieselbe wurde nebst der fest am Berge liegenden St. Michaels-Kapelle durch das dort bestehende Stift von Kanonikern, wovon noch einige Mauerreste und ein tiefer Brunnen vorhanden sind, den Grafen von Schönberg und der Stadt gebaut und von dem damaligen Bischof und Churfürst Balduin von Trier 1330 geweiht. Die Feier währte acht Tage lang, jeden Tag wurde ein feierliches Hochamt und abends sechs Uhr eine Andacht mit Predigt gehalten, woran sich auch viele Geistliche, Laien von nah und fern beteiligten. Auch hat der Bischof einen Ablass von einem Jahr und vierzig Tagen denjenigen verliehen, welche besondere Vorschriften erfüllten und würdig beichteten und kommunizierten, woran sich viele Fremde und Einheimische beteiligten. Damit auch Altersschwache und Kranke sich daran beteiligen konnten, zog eine Prozession mit den Geistlichen zu denselben, welche ihnen das Abendmahl reichten. Unter dem Gewölbe der St. Michaels-Kapelle befindet sich ein Gewölbe, worin sich noch der Unterbau eines Altars befindet und eine Unmasse von menschlichen Gebeinen, teils schichtweise mit Knochen von Armen und Beinen, dann Schädel von verschiedenen Größen aufgebaut, teils zerstreut umherliegen. Geht man nun darüber hinweg, so gelangt man an der hinteren Wand an eine Türöffnung, wodurch man in den unterirdischen Gang kommt, welcher nach der Burg führt. Als Junge gingen wir eine Strecke hinein, konnten aber wegen der Dunkelheit nicht weit kommen.
1834 bereiste Kronprinz Friedrich Wilhelm die Rheinlande und wurde überall, so auch in Oberwesel, festlich empfangen. Der Landsturm hatte sich am Niederbacher Tor aufgestellt und begleitete ihn durch die festlich geschmückte Stadt. An dem eisernen Tor, wodurch man über den Kirchhof zur Liebfrauenkirche gelangte, hatte sich die Geistlichkeit, die städtische Behörde, Lehrer mit den Schülern und Mädchen aufgestellt, um den hohen Gast in die Kirche zu begleiten. An dem Tor stand auch ich mit einem gleichaltrigen Mädchen, Louise Dávis, Tochter des Gastwirts „Zum goldenen Pfropfenzieher“ sowie mein Vater als Stadtverordneter und hießen den Kronprinzen durch eine schwarz-weiße Schleife im Weitergehen auf und trugen folgenden Spruch auf:
Heil Preußen dir, dir ward ein schönes Los beschieden.
Dein Schicksal lenkt ein treues Vaterherz.
Auf deinen Fluren thront der goldne Frieden.
Und Kunst und Wissen streben himmelwärts.
Dein schönes Reich, es ist ein Reich der Freuden.
Dein Vaterherz teilt ärmerer Brüder Leiden.
Wenn andre Länder sich durch Krieg verheeren
Siehst deinen Wohlstand du sich täglich mehren.
Du weißt, das Glück ruht im Nichtentzwein.
Doch wollen Frevler frech sich an dich wagen,
so weißt auch du zu kämpfen und zu schlagen.
Kirchgässer berichtet weiter aus seiner Jugendzeit: Wir mussten fleißig mitwirken. Auch ließen wir es in der freien Zeit nicht an den bekannten Jugendstreichen fehlen. Am meisten hielten wir uns am Rhein auf. Im Sommer liefen alle mit nackten Füßen, ohne Schuhwerk. Stundenlang standen wir mit der Fischgerte, einem Haselstock mit längerem Zwirnfaden, woran eine krumm gebogene Stecknadel befestigt war. Als Köder diente eine Fliege oder ein kleiner Wurm, womit wir eine Menge kleiner Fische fingen, die wir den Katzen oder Schweinen gaben. Auch kletterten wir viel in den Bergen, besonders in den steilen Felsen des Schlossberges herum, wo die besten wilden Beeren zu finden waren. Einmal nahm ich mit einem Kameraden einen von den am Ufer liegenden Nachen und ruderten zur anderen Rheinseite, wo ich auf dem sehr hohen Berg, über der Grenze der Weinberge sehr schöne Weichselkirschen wusste, woran wir uns tüchtig labten und anschließend nach unserem Nachen liefen. Als wir uns mitten auf dem Strom befanden, kam ein Dampfschiff um die Ecke am Kammereck, und wir waren in Gefahr, überfahren zu werden. Der Kapitän bemerkte uns und schimpfte wie ein Türke, musste aber aufstoppen. Uns gelang es, mit Flüchen begleitet, vor dem Dampfer noch den Strom zu queren. Am Ufer stand aber schon der Eigentümer des Nachens und zeigte uns die Faust. Wir getrauten uns deshalb nicht, an der Stelle zu landen und ließen uns stromabwärts treiben. Mit Fluchen und Schimpfen folgte er uns. Als wir an eine Stelle kamen, wo das Ufer sich weiter in dem Fluss befand, fuhren wir rasch an Land, zogen den Nachen etwas auf den seichten Boden und liefen rasch dem nächsten Torbogen zu. Der Schiffer konnte uns nicht erwischen, weil er sich seinem Nachen zuwandte. Daheim hatte man von unserem Abenteuer erfahren, wo eine tüchtige Abreibung auf mich wartete.
Das Jahr 1834 war ein gutes Weinjahr. Es herrschte die Cholera am Rhein, besonders in Köln. Die älteren Schulkinder mussten in dem Gelände oberhalb der Weinberge Kräuter suchen, wobei wir es auch nicht unterlassen konnten, die im August in guten Lagen schon reife Weintrauben zu stibitzen. Zuhause mussten wir jeden Morgen nüchtern eine gewisse Zahl Wacholderbeeren einnehmen (als Schutz gegen die Cholera), was wir mit Widerwillen taten.
Oberwesel wurde häufig von schweren Gewittern heimgesucht. Im August 1835 war es wieder so weit. Meine beiden älteren Brüder waren mit der Magd mit einem Nachen auf der anderen Rheinseite im Wingert. Sie wurden von einem schweren Gewitter mit riesigen Hagelkörnern überrascht, so dick wie Hühnereier. Es folgte Blitz auf Blitz, Schlag auf Schlag, der Regen floss in Strömen, der Hagel prasselte wie Raketen auf die Dächer. Die Mutter mit uns Kindern verging fast vor Angst. Wir beteten miteinander, bis die drei Perso-nen zerschlagen, zerfetzt und blutend ankamen, durchnässt bis auf die Haut. Am Ende der Stadt hatte das Unwetter am stärksten gewütet. Durch einen Flözgraben wurden Weinstöcke, allerlei Gehölz, Schlamm, Steine und allerhand Getier, eine Hase und Schlangen zu Tal gespült. Die Weinbergsmauer war zum Teil eingestürzt, Weinstöcke von Blättern und Trauben entblößt, Bäume entästet und umgeworfen. Eigentlich hatten meine Eltern die Absicht, mich als Lehrer ausbilden zu lassen. Aber es gab zu viele Kinder in unserer Familie. Das Geld war knapp. Sie ließen es bleiben. Mein Onkel Peter Kreutz hatte eine Schlosserwerkstatt und fertigte allerlei Geräte von Blechabfällen und von Blei. Bei ihm begann ich Ende Oktober 1836 eine Lehre, musste zuhause essen und schlafen und noch fünfzig Taler Lehrgeld zahlen. Oberwesel wurde häufig von schweren Gewittern heimgesucht. Die Weinbergsmauer war zum Teil eingestürzt, Weinstöcke von Blättern und Trauben entblößt, Bäume entästet und umgeworfen. Wenn der Wein im Herbst im Keller lagerte, mussten die Weinberge gedüngt werden. Schon um drei Uhr in der Früh kamen die Mistträger mit ihren Kiepen und bekamen jeder ein Glas Branntwein. Sie trugen den Mist an den Rhein zum Nachen. Um fünf Uhr wurde ich geweckt und musste den Mistträgern mit einer Laterne leuchten, wenn sie im Steilhang über die engen Treppchen in dem Mauerwerk ihre schwere Arbeit verrichteten. Der gewöhnliche Tagelohn war acht Silbergroschen. Am 19. Oktober 1836 brannte das frühere Minoritenkloster ab. Dort lebten noch vierzehn Familien mit fünfundsiebzig Seelen. Die dazu gehörige Kirche war bereits eine Ruine. Die Umfassungsmauern mit den gotischen Maßwerken der Fenster standen noch, der innere Raum war mit Stallungen und Düngergruben ausgefüllt. Ein wehmütiger Anblick, wenn man von der Oberstraße kommend durch den von rotem Sandstein gefertigten Toreingang (Schellenbogen) wandert. Am Abend des 29. Juli 1846 erschütterte ein fürchterliches Erdbeben die Häuser der Stadt. Die Schiefer fielen von den Dächern. Ein Branntweinglas, das vor der Haustür auf der Treppe stand, sprang davon und zerbrach. Die Bewohner liefen aus Furcht aus den Häusern. 1848 war in Oberwesel ein Krawall ausgebrochen, wobei man den Bürgermeister Reusch von seinem Posten verjagt hatte. Der Stadtrat, dem auch mein Vater angehörte, weigerte sich, trotz Aufforderung der vorgesetzten Behörde, den unerwünschten Bürger-meister wieder in sein Amt aufzunehmen. Der Reusch versuchte es mit Gewalt unter Mithilfe des Regierungsrates Stetter aus Coblenz und dem Landrat von St. Goar nebst fünf Gendarmen. Der Regierungsrat hielt vor dem Amt eine lange Ansprache vor den Stadtverordneten und den Bürgern und drohte mit allen gesetzlichen Strafen, wenn man sich der Einführung widersetzen würde. Aber die Bürger riefen im Chor: „Wir wollen ihn nicht und nehmen ihn nicht an“. Sie besetzten die Eingänge und verwehrten der Behörde und dem Bürgermeister den Eintritt. Als der mit Gewalt eindringen wollte, hielten sie ihn am Rockschoß fest und rissen denselben ab. Der Regierungsrat schlug ein Fester zum Flur ein, um die Tür von innen zu öffnen. Aber auch das wurde vereitelt. Die Behörde musste mit Bürgermeister und bewaffneter Macht unverrichteter Sache abziehen. Der verhinderte Bürgermeister Reusch sollte nun noch einmal zur Untersuchung kommen, weil er beschuldigt war, bei dem Hoerterschen Schadenfeuer Mobiliar unterschlagen zu haben. Später sollte der Geächtete mit Gewalt durch militärische Exekution eingeführt werden. Die Truppe war schon bis St. Goar gekommen, wurde aber in letzter Minute zurückbeordert, denn bei dem allgemeinen Unfrieden am Oberrhein fühlte sich die Regierung nicht sicher. Es hat sich auch nicht feststellen lassen, wer dem Bürgermeister den Rock abgerissen hat. In den Jahren 1848 bis 1849 wurde das neue Rathaus gebaut.
Die Kosten: 8000 Taler.
Bei dem Eisgang am 2. Februar 1850 war der höchste Wasserstand seit 1784 in Oberwesel. Das Wasser stand bei mir im Wohnzimmer eineinhalb Fuß hoch und verursachte großen Schaden. Alte Gebäude sind eingestürzt. Sämtliche Häuser in Ufernähe standen im Wasser. In der Vorstadt Kirchhausen, wo die Ringmauer wegen der an der engen Straße gelegenen Häuser bis auf vier Fuß abgebrochen war, hatte sich das Eis oberhalb dem alten Römerturm (Haagsturm) über die Mauer gedrängt, und die in den Häusern Menschen schwebten in Lebensgefahr und schrieen um Hilfe. Sie wurden sogar mit Nachen gerettet. Die Eisschollen drückten die Haustüren ein und verwüsteten die Häuser. Alle betroffenen Bewohner erhielten milde Gaben in Geld und Speis und Trank. Der finanzielle Schaden wurde mit je 1800 Taler ersetzt. Im Oktober 1857 wurde der Weiterbau der linksrheinischen Eisenbahn begonnen. Die Arbeiten liefen bei Tag und bei Nacht. Die Tagelöhner erhielten 20 Silbergroschen, die Tunnelarbeiter, meistens Franzosen und Italiener verdienten in sechs Stunden einen Taler und zehn Silbergroschen. Es war wirtschaftlich eine gute Zeit. Man konnte sogar Geld zurücklegen. Schließlich kam am 3. Dezember 1859 die erste Dampflokomotive durch Oberwesel. (Aus den Tagebuchaufzeichnungen des Johann Kirchgässer)
Verweilen wir im gleichen Jahrhundert. 1813 in der Neujahrsnacht zu 1814 wurde am Rhein Geschichte geschrieben. Marschall Blücher setzte mit seinen Truppen bei Kaub über den Strom und schlug den überraschten Napoleon in die Flucht. Jetzt, nach fast zweihundert Jahren spielt man in dem kleinen historischen Ort wieder Krieg. An Pfingsten 2013 schlüpft eine Heerschar in historische Uniformen. Napoleons Traum vom Besitztum ganz Europas wird in jener Nacht jäh zerschlagen. Mit einem Überraschungseffekt in der Neujahrsnacht hatte der Franzose nicht gerechnet. Zuvor sammelte sich die Schlesische Armee 1813 auf der rechten Rheinseite zwischen Mannheim und Neuwied, während sich das eigentliche Zentrum vom Taunus am Mittelrhein bei Kaub etablierte. Bildermaler zeigen das Übersetzen der Truppen mit Kanonen und Pferden über den zugefrorenen Rhein. Doch berichten die Historiker von Nachen und einer Brücke aus Leinwandpontons, von russischen Pionieren erbaut. Während der Auseinandersetzung wurde die französische Telegraphenlinie von Metz nach Mainz unterbrochen. Es kam zur Schlacht von Waterloo, wobei Blücher die wankenden Truppen des englischen Generals Wellington unterstützten. Als Belohnung schenkte Friedrich Wilhelm III. dem Blücher ein Stadtpalais in Berlin.
Eines meiner wichtigsten Bücher lag Weihnachten 2008 unter dem Gabentisch. Ein großartiges Lesevergnügen, vielleicht wichtiger als die Bibel, weil es mir neue Erkenntnisse vermittelt hat. Ich las nachts. Nach einer Woche war ich schlauer. Ich las den SPIEGEL-Bestseller „Das Ende ist mein Anfang“ von Tiziano Terzani, einem italienischen Journalisten. Auf 412 Seiten berichtet er über sein Leben, das sich zum Ende neigt. Das Zwiegespräch mit seinem Sohn Falco ist ein Rückblick auf ein reiches Leben, ein wunderbares Gespräch über das Wagnis der Freiheit, über Mut, Liebe, Krankheit und Trauer, über Vergänglichkeit und darüber, wie man lernt, loszulassen. Im Alter läßt man auch die Liebe los. Er liebt seine Frau noch wie zuvor. Aber er ist nicht mehr Sklave dieser Liebe, dass er nicht mehr davon abhängt. Diese gelebte Liebe ist Teil seines Lebens. Verlangen ist unsere große Triebfeder, das einfachste Verlangen ist das nach dem Fleisch des anderen, des geliebten Menschen. Aber jedes Verlangen ist eine Form der Sklaverei. Warum macht das Sterben Angst? Wo das doch alle getan haben. Wir laufen alle über einen unendlichen Friedhof. Es ist schon seltsam. In unserer Vorstellung sind Friedhöfe Orte des Leidens und der Trauer. Das ist falsch. Dieser riesige Friedhof Erde ist wunderschön. Er macht die Natur aus. Geh hinaus in die Fremde, die Füße im Matsch, den Kopf in den Sternen. An anderer Stelle sagt er: Wer das Leben der Ameisen erforscht, der begreift dabei die ganze Welt. Oder: Die Welt in einem Sandkorn sehen und du erfährst die Ewigkeit in einer Stunde. Tiziano schreibt über den Journalismus. Er war ein halbes Leben für den SPIEGEL unterwegs, in Vietnam, in Kambodscha, in China und Indien. Er sprach mit Gandhi über die Kultur. Sie basiert auf einem Verhalten, das den Menschen den Weg der Pflicht zeigt, die Achtung der Moralität. Das bedeutet, unseren Geist und die Leidenschaften zu beherrschen. Gandhi wollte den Weg der Dörfer gehen, nicht den der Fabriken, die den Menschen versklaven. Diese Haltung hat etwas von Würde. Er sprach zu seinem Sohn: Sieh dir meine Bibliothek an, da stehen Unmengen von Büchern über Indochina und die Geschichte der Kolonialisierung, die waren mein Kompass. Wer die Fakten von heute nicht in einen größeren Zusammenhang stellt, begreift nichts. Verstehst du die Geschicht nicht, verstehst du auch das Heute nicht. Beschränkst du dich auf die aktuellen Nachrichten, dann erzählst du Märchen, denn dann berichtest du, was du unterm Mikroskop siehst, obwohl du eigentlich ein Fernglas bräuchtest. Deswegen halte ich nichts von Journalistenschulen. Da lernt man nämlich das Gegenteil von dem, worum es geht, da lernt man die Technik, wie man einen Artikel anfängt, wie ein guter Schluss aussieht und wie man seine Sachen am schnellsten abschickt. Was man aber wirklich braucht, ist vor allem ein vielseitiges Grundwissen, besonders in Geschichte und Ökonomie. So etwas kann man sich nur selbst erarbeiten, auf einer Journalistenschule lernt man das jedenfalls nicht. Solche Schulen sind ebenso absurd wie Dichterschulen. Um die Tatsachen darzustellen, muß man begreifen, was dahinter steckt. Wenn andere Journalisten zu den Mächtigen gingen, ging Tiziano in die Dörfer und Hütten. Ein Journalist muss eine gewisse Arroganz besitzen, muss sich frei fühlen, von jeder Macht unabhängig. Selbst als er in China verhaftet wurde, hat er immer gesagt: Macht, war ihr wollt! Ich berichte darüber. Dieses Gefühl, dass du so etwas wie ein heiliges Recht darauf hast, deine Version der Wahrheit zu erzählen, verleiht dir ungeheure Kraft. An anderer Stelle sagt er: Die Intellektuellen komplizieren, was einfach ist, und die Journalisten vereinfachen, was kompliziert ist. Sein Sohn Falco sprach über sein Buch: Es markiert einen Wendepunkt in deinem Leben. Danach hast du dich auf eine andere Ebene begeben, denn Zeitungen sind wie Röntgenstrahlen, sie bilden nur Dinge einer bestimmten Dichte ab; aber du hattest begonnen, dich für Geschichten aus einem anderen Stoff zu interessieren. Was waren die Geschichten? Tiziano: Ich hatte mir vorgenommen, mir während der ganzen Reise kein Quartier zu nehmen, das mehr als fünf Dollar pro Nacht kostete. Im birmanischen Dschungel auf der Suche nach Khun Sa, dem Drogenkönig, habe ich sogar im Freien übernachtet, in wunderbaren, riesigen Baumkathedralen, wo das Mondlicht durchs Blattwerk sickerte. Er war immer auf der Suche nach den berühmten Schamanen oder Hellseher des Ortes. Tatsächlich hat er auf dieser Reise die unglaublichsten Gestalten getroffen. Von der Jungfrau des Tempels in Medan bis zum Orakel mit der zweitausendjährigen Stimme. Über das Verhältnis zu seiner Frau gestand er: Sie war die Gewissheit, um die alles kreiste, die Gewissheit, frei und gleichzeitig geborgen zu sein. Sie war das, was der große bengalische Dichter, den ich so gerne zitiere, mit einem außerordentlich treffenden Bild beschreibt: Der Pflock, an dem der Elefant sich mit einem seidenen Faden binden läßt. Mit einer winzigen Bewegung könnte er ihn zerreißen und weglaufen, doch er tut es nicht. Er hat sich dafür entschieden, mit dem seidenen Faden an den Pflock gebunden zu sein. Und er hatte sich mit achtzehn Jahren als blutjunger Mann dazu entschieden. Diese Wahl war ein ganz großer Fixpunkt seines Lebens. Klar, wenn du einen knackigen Hintern vorbeikommen siehst, schaust du ihm hinterher und verschwendest einen Haufen Zeit mit diesem ganzen Quatsch. Meine Güte, was ist die Lust für eine Bürde. Wie viel Zeit ich damit verschwendet habe, dieses wilde Tier im Bann zu halten. Dann sprach Tiziano von dem Alten im Himalaja, den er immer besucht hat. Am Ende, ganz oben im Himalaja hat ihm der Alte wie durch Zauberhand geholfen, für einen Augenblick zu schauen, was er nie geschaut hatte. Wer das erlebt hat, kann nicht mehr leben wie zuvor. Er sprach über die Kerze. Eine Kerze zündet die nächste an. Die alte verlischt, die neue brennt. Und die gibt die Flamme weiter an die nächste. Die simple Geschichte von der alten Kartoffel macht dies ebenso deutlich. Um Kartoffeln anzubauen, setzt man eine alte in den Boden, läßt sie vermodern. Und aus dem Tod der alten Kartoffel entsteht das Leben der Neuen. Und er sprach wieder über den Tod. Der Alte in den Bergen sagte ihm, er muß loslassen, alles, was du kennst. Lass es los. Hab keine Angst, mit leeren Händen dazustehen, denn eben dieses Nichts wird letztlich deine Stütze sein. Dazu gehört all der überflüssige Kram, an dem wir hängen. Es gibt ein kosmisches Wesen, und wenn du einmal gespürt hast, dass du ihm angehörst, brauchst du nichts anderes mehr. Ein Erlebnis mit den Roten Khmer hat ihn Folgendes gelehrt: Wenn jemand ein Gewehr auf dich richtet, lächle ihn an. Das hat ihm in Kambodscha das Leben gerettet. Dann kam er zu dem Wort Wahrheit. Man muss aus der Reihe tanzen. Die Wahrheit ist ein Land ohne Wege. Wer schon weiß, was er sucht, wird nie finden, was er nicht sucht. Ich habe mir mein Leben erfunden, und zwar nicht vor hundert Jahren, sondern noch vorgestern. Das kann jeder andere auch, es braucht nur ein wenig Mut. Wie gehen die Tibeter mit dem Tod um? Der Sterbende liegt zwischen lauter Verwandten, alle jammern und klagen, doch wenn der Lama kommt, verpasst er allen einen Tritt in den Hintern: raus! Dann flüstert er dem Sterbenden zu: Löse dich, halt dich nicht fest. Fort, fort, jetzt bist du frei. Fort! Beschäftigst du dich aber schon vorher damit und lernst, auf deine Wünsche zu verzichten und dich von allem zu lösen, verlierst du nichts, weil du es bereits verloren hast. Leid kommt daher, dass du an den Dingen hängst. Buddha hat das sehr schön gesagt: Besitzt du etwas, fürchtest du, es zu verlieren; besitzt du es nicht, trachtest du danach. Buddha sagt: Weil wir unser ganzes Leben verschlafen. Unser Bewusstsein schläft, wir benutzen es nur, um uns Vorteile zu verschaffen oder die Kunden der Firma, für die wir arbeiten, übers Ohr zu hauen. Und plötzlich kommt jemand und sagt: Wach auf! Unser Geist ist ein unglaubliches Instrument. Die Größe der indischen Rishis vor fünftausend Jahren bestand darin, sich hinzusetzen und ihren Geist zu beobachten, ihr Bewusstsein zu studieren und seine Veränderungen zu registrieren. Mach aus deinem Körper und deinem Geist ein Labor! Wie könnte ich das besser auf die Reihe bekommen, als in guten Büchern zu lesen. Ich bin meinem Sohn Axel außerordentlich dankbar für diese Lektüre, die mein Innerstes berührt hat und verbinde meine Sucht zu schreiben im Sinn des bemerkenswerten Autors, meinen eigenen Weg zu Ende zu gehen. Auch ich fühle mich wie der erwähnte Elefant am seidenen Faden. In meinem Seidenfaden ist eben doch mal ein Knoten drin. Den musste ich knüpfen, weil das Fädchen einmal gerissen war.
Schmitt am BILD-Telefon
Hallo, ist dort die Redaktion von BILD. Ja, hier ist Schmitt, ich möchte mich beschweren. Nein, nicht der Bundes-Schmitt, ich bin der Leser Schmitt. Ach Sie kennen keinen Leser Schmitt. Nein, der Schleicher Schmitt, mit die elastischen Beine. Die werden sich bei Ihnen kaum beschweren. Nein, der Schmitt ist Kummer gewohnt – mit Ihnen. Nein, hier ist der Schmitt mit T. Welchen Tee? Nein nicht Tee. Ich kann keinen Tee riechen. Wenn schon Tee, dann Oktober-Tee. Ich wollte nur sagen, dass ich keinen Tee mag, wollte mich beschweren. Ach was sag ich, ich bin der Schmitt mit zwei TT, Te, Te, nicht DT.
Ob ich keinen anderen Namen – natürlich spielt das eine Rolle. Ich bin nun mal auf den guten alten deutschen Namen Schmitt getauft, weil mein Vater, ja der war auch ein guter Deutscher. Überhaupt, alle guten Deutschen sind deutsch. Frollein, jetzt hören se doch mal zu. Wenn ein treuer Axel-Cäsar-Springer-Dauer-Verdummungskonsument täglich seine Groschen locker macht und einmal in dreißig Jahren Ihren Chef sprechen will, dann sollten Sie sich wirklich nicht so anstellen. Schließlich bezieh ich meine Allgemeinbildung ratenweise, wissen se, so pö a pö aus Ihrn Boulevardanzeiger mit die wichtigen Balkenüberschriften nach dem Motto: Je balker die Schrift – je toter, den es trifft. Und das ist der springende Punkt.
Jetzt kommts. Ich möchte auch einmal in meinem Leben ganz vorne drauf auf die Balkenüberschrift. Was, das geht nicht? Und ob das geht! Das werd ich Ihnen beweisen. Passen se auf. Wenn ich ein Dutzend Plastik-Bomben gleichzeitig leg, dann lass ich mich ertappen und Ihre Zeitung schreibt: Schmitt – Bombenleger der Nation. Ja, ich, der van der Lubbe-Verschnitt von 1977. Was, das könnte Verwechslungen geben mit dem anderen Schmitt, der heißt doch mit Beinamen Schnauze. Das ist der springende Punkt. Nein, nicht der Springer im Hund. Frollein, jetzt machense mich aber ganz schön verlegen. Hauptsache, die Leute lesen das vorm Wahlsonntag, dann is de Schoose sowieso gelaufen. Oder meinense, de Bevölkerung, was so Ihr Leserpublikum repräsentiert, kann Schmitt nit von Schmidt unterscheiden?
Frollein, warum hamse aufgelegt?
Die Wallfahrt zur Gnadenmutter
Die Gret war geradezu prädestiniert als Vorbeterin bei der Prozession. Ob das nun die Fronleichnamprozession war oder die Bittprozession, immer war Frau Grets Stimme etwas blechern, aber unerbittlich und weit hörbar zu vernehmen. Sie schmetterte das „Vater unser“ und das „Gegrüßet seis du Marie“, dass es eine wahre Freude war, für den Herrgott und auch für die Gläubigen. Die Gret gehörte einfach dazu, sie war von der Prozession nicht mehr wegzudenken. Eines Sonntags war eine große Wallfahrt zur Gnadenmutter nach Marienthal im Rheingau angesagt. Mit einem kleinen Personendampfer ging es früh am Morgen los. Das Schiff hieß „Cäcilie“ und war geduldig genug, ein ganzes Schiffsleben lang mehr oder weniger fromme Wallfahrer zu transportieren. So ging es beim ersten goldenen Sonnenstrahl mit „Marie zu Lieben“ auf den Lippen von der Landebrücke. Im Takt der Schaufelräder folgte der Rosenkranz, und es dauerte gar nicht lange, bis sich nach dem ersten Gesetz des Rosenkranzes erster Hunger und Durst einstellten. Gerade verschwand die Turmspitze der hochragenden Liebfrauenkirche hinter der nächsten Strombiegung, als die ersten mitgebrachten Butterbrote ausgepackt wurden. Thermosflaschen, gefüllt mit schwarzem Tee mit Zitrone wurden rundgereicht. Wer gerade den Mund voll hatte, brauchte nicht mit zu beten und mit zu singen. Im Rheingau angekommen, stand die Sonne schon hoch, es war heiß und es gab argen Durst. Die Gret war besonders durstig. Einmal lag das an ihrer Veranlagung und andererseits gibt ständiges Beten und Singen einen trockenen Hals. Ein Limonadenstand an der Landebrücke wurde eilends von der Gret aufgesucht. Zwei Flaschen Limonade wechselten den Besitzer und gingen mit der Gret auf fromme Wanderschaft. Der marianische Gruß ist so eingerichtet, dass an einer Stelle des Gebetes der Vorbeter endet und die Gemeinde den restlichen Gebetstext vollendet. Just an der Stelle „Heilige Maria, Mutter Gottes …“ setzte die Gret die Flasche an ihre durstigen Lippen und gluckerte nach und nach die beiden Flaschen leer. Es war ja auch so heiß. Über Feldwege ging es vorbei an Weinbergen, vorbei an Klee und Roggen. Was die Gret nicht vorhersehen konnte, stellte sich bei ihr ein. Nun war sie zwar nicht mehr durstig, aber die Limonade drückte doch sehr auf ihre Blase. Was tun? Kurzerhand verließ sie die betende Kolonne, schritt fünf Schritte aufs freie Feld, ging in Hockstellung und streifte ihr Untergewand so geschickt zurecht, dass sie sich der überflüssigen, nun nicht Limonade, entledigte. Dabei betete sie laut wie zuvor, und wer nicht zufällig hinschaute, dem ist der Vorgang überhaupt nicht bekannt geworden.
Die folgende Kurzgeschichte zum Thema: „Überwindung rassischer Vorurteile“ wurde von der Bundeszentrale für Heimatdienst in Bonn am 4. Februar 1957 mit einem Preisgeld ausgezeichnet. Unter der Rubrik Aus dem Buche der Menschlichkeit erschien am 21. Juli 1957 in der Rhein-Post dieser Text:
Die kühne Tat der Sträflinge
Schlesien 1945. Zwei Tage ist der Treck der 68 KZ-Sträflinge schon unterwegs. Ganze zwölf Kilometer haben die Leute gemacht. Heute werden es nur knapp zehn. Schmerz, Hunger und Elend haben die Gesichter entstellt. Sie reden nicht miteinander. Warum auch. Was haben sie noch zu hoffen? Die zerschlissenen KZ-Hemden schützen die Leiber kaum vor Frost. Es ist ja Februar. Die nackten Füße schmerzen, sind zerschunden, erfroren. Rote Spuren bleiben auf dem harten Boden zurück. Sieben Bewaffnete führen den Haufen gleichgültig weiter. Einer von ihnen ist gut zu den Sträflingen. Er hilft einem, der gestürzt war, auf die Beine. Ein barmherziges Wort: „Komm, Alter“, das ist alles. Im nächsten Dorf wird eine Scheune beschlagnahmt. Die ausgelegten Strohgarben bieten ein wenig Schutz vor dem Frost. Dann gibt es Rübengemüse. Der Hunger aber bleibt. Und die durchgefrorenen Glieder werden nicht warm. Von Ferne böllert die Artillerie in die Nacht. Der Russe rückt vor. Noch wissen es die Sträflinge nicht. Vielleicht ahnen sie, warum sie unterwegs sind. Blitze zucken am Horizont. Dann wieder dumpfe Schüsse, weit weg. Dazwischen ein Stöhnen in der Scheune. Am frühen Morgen merkt man, dass es ein Röcheln war. Man schafft den Toten hinaus, zieht ihm die Kleider aus; denn die werden noch gebraucht. Der dritte Tag bringt zwei weitere Tote. Opfer der Kälte. Selbst die Wachleute können ihren Hunger, ihren Missmut nicht verbergen. Sie wissen um die gezählten Tage ihrer Herren. Die Artillerieschüsse werden deutlich vernehmbar, kommen beängstigend nahe. Fünfundsechzig Männer sind es noch, schwach, unbewaffnet und durchgefroren. Wären sie in der Lage, die Wachmannschaft zu überwältigen? Die Posten trauen sich nicht, diese Frage zu beantworten. Im Laufe der nächsten Tage sterben ein Jude, ein Österreicher und zwei Polen. Auch ihre Kleider werden auf die Übrigen verteilt. Die Überlebenden beginnen unruhig zu werden, erregt sprechen sie miteinander, doch sie verstummen jäh, wenn die Wärter in die Nähe kommen. Die letzte Nacht bringt die ersten Granateinschläge. Schon gegen vier Uhr drängen die Posten zum Weitermarsch. Am Mittag wird am Waldrand ein Sowjetpanzer sichtbar. Er hat den Menschenhaufen entdeck, nimmt Kurs auf den Trupp. Dann bleibt er stehen. Noch etwa zweitausend Meter trennen ihn von den Leuten, die plötzlich stehen bleiben und eine geschlossene Front bilden. Was hinter dieser Mauer aus armseligen, elenden Menschenleibern geschieht, verdient in goldenen Lettern in das Buch der Menschlichkeit geschrieben zu werden. Blitzschnell haben die Sträflinge die Posten entwaffnet. Sie lassen es geschehen in der düsteren Erkenntnis, dass alles verloren ist. Doch dann, als sie den Posten die Uniformen vom Leibe reißen, versuchen sie, sich zu wehren. Vergebens. Allmählich aber beginnen sie zu verstehen und ziehen die Sträflingskleider an, die sie ihnen in fliegender Hast hinwerfen. Es sind die Kleider der Verstorbenen. Die Uniformen und die Waffen fliegen in das nahe Buschwerk. Dann laufen sie alle geschlossen dem Panzer entgegen. Noch hundert Schritte, und sie sind in Sicherheit, die KZ-Sträflinge und die Posten. Keiner der Gefangenen verrät etwas. Waren sie nicht alle Gefangene des gleichen Regimes? Eine kühne, menschliche Tat hat die Unmenschlichkeit überwunden.
Der Chirurg hat seine Schuldigkeit getan.
Wenn der Mann in Weiß
das Skalpell zur Seite legt,
sich gründlich die Hände wäscht
und nach der Zigarettenschachtel greift,
dann herrscht Traum in mir,
tropfender Traum an Kanülen.
Huschende Nebelschwestern,
flüsternde Gesichter über mir.
Raumlose Stille,
ein Rosenstrauß im Sonnenlicht
und eine warme Hand,
die meinen Namen spricht.
Ich fühle Atem
Zwischen Tag und Leere,
ein Schweben, vogelleichtes Ich
in Müdigkeit versunken.
Wie freier Fall - der Ruck
Befördert mich ins Diesseits,
und ein Schmerz, ein brüllender
beweist nur, dass ich lebe.
Die stille Armee
Die stille Armee
schweigt Jahre in den Tag,
weiß sie um die Last
der Lebenden?
Sie rührt unser Herz,
schafft so Erinnerungen
und manchmal
auch Sehnsucht
nach fernen Ufern
in dem vorbestimmten
Garten der Stille.
Unwetter
Der Fluss spannt trommelnd
einen Fadenteppich zu den Wolken.
Das Nass in Pfützen, Tümpeln und
Kanälen spricht die Melodie.
Ich öffne das Fenster,
damit meine unreinen Wünsche
durch die Gosse hinweggerissen werden
in den Schlund.
Doch bevor sie darin verschwinden,
drehen sie sich zweimal im Kreise.
Ists Wehmut?
Blitz und Donner setzen den Kontrapunkt.
Schwefelgelb mein Spiegelgesicht.
Und da – fast stockt mir das Herz.
Der dauerhafte Strahl, es ist die Sonne,
und zaubert einen Bogen aus Spektral.
Den werd´ ich reinen Sinns besteigen.
Funkenflug
Wenn die Zeiten laut werden,
sondert sich Stille ab,
bilden sich Oasen.
Wenn das Angebot an Lesestoff
rüde ausschlägt
verkriecht sich die Stille
in schamhafte Seiten.
Wissend und inspirierend wirkend
auf jene, die sich ihr Feingefühl
bewahrt haben.
Die Zuwendung
zum verborgenen Lesevergnügen
belohnt denn auch
in mannigfacher Weise.
Als Alternative
zur Populär-Lyrik,
unternimmt ein leiser Funkenflug
den Versuch,
dem oft totgesagten Gedicht
zu neuen Feuern zu verhelfen.
Die Funken mögen verlöschen.
Wenn es ihnen jedoch gelingt,
neue Lichter zu zünden,
kann es in der Zeit,
die laut ist,
wenigstens nicht finster werden.
Mein Oberwesel
Mein Oberwesel ist immer bei mir.
Ich trag es im Herzen, das sehnt sich nach dir.
Wenn ich des Nachts im Mondenschein weine,
seh ich mich als Bub im Sonnenscheine.
In memoriam
Ein Baum, gefällt, vom Blitz getroffen,
liegt bleich, seiner Rinde Haut beraubt.
Er schweigt, und bar ist alles Rauschen
seiner Blätter.
Die Zeit braucht Stämme seines Schlages.
Drum lasst nicht nach, der Jugend
täglich anzutragen,
dass sie Bäumchen pflanze, Stück um Stück.
Denn tausend zarte Zweiglein mögen einen
doch zustande bringen, uns zum Wohl.
Den einen freilich bringen hunderttausend
Zweiglein nie zurück.
Flügellahm
Meist bin ich einfallslos,
ein flügellahmer Pegasus,
oder eine Fehlfarbe,
oder eine Remittende.
Doch manchmal träumt es
in mir die wunderlichsten Dinge.
Ich habe kein Papier, sie aufzuschreiben.
Selbst wenn ich es hätte, fehlte mir die
Kraft, die Feder zu halten.
Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll
Soll ich dirs in Prosa sagen
Oder soll ich reimen?
Wills mit meinen Worten wagen
Die wie Farben scheinen
Wie spektral der Regenbogen
Wie Azur der Meere Bläue
Wie sakral des Glaubens Wogen
Blau wie auch der Menschen Treue
Grün, wie Frühlings zarte Triebe
Purpur, wie des Königs Kleid
So soll leuchten unsre Liebe
Heute und für alle Zeit.
Kopflos wie die Fledermaus
Einäugige Moral, geschaffen für Blinde und freiwillig nicht Sehende. Scheuklappenfetischisten, Moralartisten mit Netz und doppeltem Boden sind schlechter als gar keine. Kopflos wie eine Fledermaus flattert der Geist über verdorrte Felder und modrige Auen. Es gibt kein Entrinnen auf dem Radarnetz der Diabolik.
Diabolos besteigt den Olymp und ruft die vielen kleinen Teufelchen zum Rapport.
Erzengel Gabriel, wann rüsten deine Heerscharen? Wann ertönen die Posaunen von den Wolken des Himmels? Oder brauchen wir neue Ohren, damit wir deine Ankunft wahrnehmen? Bisher hören wir nur Lärm und nichts als Lärm.
Albtraum
Was abends in den Straßen röhrt,
PS-erfüllte Burschenbalz.
Chromblitzend Ross, das ihm gehört,
riskiert den Kragen und den Hals.
Die Wettfahrt durch die hohlen Gassen
Bringt Fensterscheiben zum Erzittern.
Der Bursche kann es halt nicht lassen.
„Der bringt sich hinter Eisengittern!“
Ich sah das Kind, das hüpfend, singend.
Und fröhlich auf die Fahrbahn lief.
Der Chromblitz nahte, Unheil bringend.
Mein Schrei erstarb, obwohl ich rief.
Da lags im Staub, kein Bremsgekreisch.
Und aus dem Mündchen sickerts rot.
Mir stockt der Puls, die Knie weich.
Ich hob es auf, das Kind war tot.
Pranger
Es gibt heute keine Werkstätte mehr, die einen Pranger herzustellen gewillt ist. Es gibt sie überhaupt nicht mehr, diese Pranger, obschon in unseren Tagen immer noch angeprangert wird. Sie sind unsichtbar geworden. Dennoch schmerzen sie. Die Pranger haben sich ins Abstrakte geflüchtet. Worte und Gedanken, Schrift und Papier ersetzen ihn. Ich stelle mir vor: Eine belebte Einkaufsstraße an einem verkaufsoffenen Samstag. Wenn jeder seinen Pranger sichtbar trüge, es gäbe einen Menschenauflauf. Es würde Proteste hageln. Denn das wäre höchst menschenunwürdig. Aber man sieht sie nicht. Deshalb schieben sich die Menschen gleichgültig aneinander vorbei.
Organisation
O.
Orga.
Die Organisation.
Es lebt die Organisation.
Hoch lebe die Organisation.
Nation und Organisation sind miteinander
verwoben, lassen sich nicht voneinander trennen.
Wir spüren es täglich am Arbeitsplatz, in den
Amtsstuben, in den Familien.
Familienleben nach dem Programmheft.
Programmierte Familien.
Urlaubsprogramme, Arbeitsprogramme, Etats,
Freizeitprogramme. Leben nach dem Kalender.
Terminierte Menschheit.
Sehnsucht nach dem unverbrauchten Paradies.
Adam, wo bist du?
Nachtbegegnung
Du bist da, wie in die Nacht geschnitten.
Schatten deiner Hülle vor des Mondes Silberlicht.
Doch als du aus dem düstern Bild geglitten,
umfingen mich zwei Arme, und die Nacht verflicht,
zu einem einzgen Schatten,
dann Stille auf den Matten.
Interpretation:
Die Einfachheit des Wortes ist nicht zu verwechseln mit Einfalt oder Simplifizierung. Vielmehr bietet der sparsamste Ausdruck die Konturen des Gegenstandes dar, wie deinen Körper in der Nacht vor der Silhouette des Mondes. Mehr nicht. Doch es genügt, dich zu erkennen, noch bevor ich deine Haut ahne und deinen Odem verspüre.
Kreatur
Das Spiel ist aus.
Das Rennen ist gelaufen.
Termin vorbei, jetzt kommt Verschnaufen.
Spannung legt sich.
Nichts mehr regt sich.
Nur der Wind
Bewegt der Astern Blüten.
Ein einsam Kind
steht weinend vor dem Grund.
Ein Hund mit trauernd hängend Ohren
hat heute seinen Herrn verloren.
Schreiberfahrung
Wer je ein Buch geboren, weiß
um Bitternis und Ringen,
was schwarz auf weiß organisch sich verdingt.
Auf Seiten in Kapiteln ist dem Urteil preis-
gegeben und verloren,
wie Fleisch und Blut der Prüfung
lesgeübter Aug´ und Ohren
was sprachbewusst nach Achtung ringt.
Doch stehn die Wörter wie Eisen und wie Fels.
Und nur die Zeit vermag daran zu schleifen,
was noch nicht rund.
Ihr könntet ungelesen Geschriebenes beiseite tun.
Ihr könntet Blatt für Blatt entreißen und verbrennen.
Doch werdet ihr den Geist vom Buche niemals trennen.
Er war ein Freund
Zum 80. Geburtstag erschien ein Erinnerungsbuch an meinen Freund und Schriftsteller Hans-Dietrich Lindstedt, der genau ein Jahr zuvor in Oberwesel auf dem Liebfrauenfriedhof beigesetzt wurde. Initiiert wurde die Schrift von seiner Nachfolgerin im Amt des Vorsitzenden im FDA (Freier Deutscher Autorenverband), Landesverband Sachsen, Frau Almut Fehrmann.
Es störte ihn nicht, am 21. April, also einen Tag nach dem Plakatmaler und Weltanzünder geboren zu sein. Sein Wesen war eher rheinischer Natur. Vielleicht liegt es an seiner Schulzeit, die er in Oberwesel und in Boppard (Penne) am Rhein genossen hatte. Der Rhein muß ihn fasziniert haben. In einem seiner Gedichte „fließt er mitten durchs Gesicht“. Und natürlich das Oberweseler Rathaus, gleich unter Sirene und Rathausuhr war ja seine Heimat. Wir „kotzelten“ (tauschten) meine Briefmarkensammlung gegen seinen Diaprojektor. Beide existieren heute nicht mehr. Er leider auch nicht. An seinem Geburtstag 2008 fand er in seinem geliebten Oberwesel seine letzte Ruhestatt. Beim Leichenschmaus im Fachwerk-Weinhaus Weiler, gleich bei dem Hufeisen im Kopfsteinpflaster, das der Teufel verloren hatte, erinnert ich an eines seiner beliebtesten Gedichte. Es ist der Segler, den er auf den Rheinhöhen fliegen ließ, der durch seine Träume flog und den er niemals wieder fand. Er hatte das Gedicht l959 auf Hiddensee verfasst.
Geschwinde eilen die Bäche zu Tal,
ich möchte hurtiger eilen
zum Strom und zum Land und wieder einmal
bei seinen Menschen verweilen.
Euch Städtchen und Dörfer kenne ich gut,
ich weiß eure heimlichen Ecken.
Der „Bläu“ im schwarzen Obrigkeitshut
Sah uns nicht im Turme stecken.
Und oben am Steinbruch im dichten Wald
ließ ich einen Segler fliegen.
Es dunkelte, und er Abend kam bald.
Nie konnt´ ich ihn wiederkriegen.
Der Segler blieb in der Kindheit Land.
Dort singen Reben und Bäume.
Und wenn ich ihn nie mehr wiederfand,
er fliegt noch durch meine Träume …
Folgende Strophe habe ich ihm auf eine Oberweseler Ansichts-Karte als Ergänzung geschrieben:
Es leuchtet fern mein Land am Rhein.
Der Segler könnt es erreichen.
Doch selbst der Abenddämmerschein
Kann keine Mauer erweichen.
Hans Dietrich Lindstedt hat seine Frau Lilly in der Burgkapelle auf der Schönburg geheiratet. Im Rittersaal kam es am 25. September 1985 zur Gründung des FDA–Landesverbandes Rheinland-Pfalz. Jetzt wundert auch niemanden, dass er sein geliebtes Oberwesel für seine letzte Bleibe auserkoren hatte. Für mich war er ein Wanderer zwischen Deutschland und Deutschland, hin und her gerissen zwischen Herz und Hand. Natürlich waren wir nicht immer einer Meinung. Wir haben miteinander gerungen, sogar gestritten. Aber böse konnte man diesem Menschen nicht sein, schon gar nicht über den Tod hinaus. In meiner Bibliothek lebt er weiter in seinen Werken. Sie stehen genau neben meinen Büchern. So bleiben wir verbunden.
In der Allgemeinen Zeitung, Mainz vom 25. 07. 2009 finden wir einen Artikel zum Tod von Lilly Ulm-Lindstedt:
„Die fünf Ulms“
Künstlerfamilie Lilly Ulm war letzte Überlebende.
GONSENHEIM (jl). Kaum ein Kunde des ehemaligen Fachgeschäfts Alfons Becker für Haushaltswaren und Geschenkartikel an der Breite Straße vermutete hinter der langjährigen, freundlichen und hilfsbereiten Verkäuferin Lilly Ulm, eine frühere, erfolgreiche Variete-Artistin. Viele Jahre war mit der seit 1961 in Gonsenheim wohnhaften Artistenfamilie „Die fünf Ulms“ auf ungezählten Bühnen Westeuropas unterwegs und brillierte, als Tänzerin am Staatstheater Chemnitz ausgebildet, mit einer eigenen Tanzschau unter der Bezeichnung „Kautschuk auf Spitze“. Kürzlich starb Lilly Ulm im Alter von 74 Jahren in Chemnitz und wurde in Oberwesel beigesetzt. (Hier irrte die Presse. Die Beerdigung fand erst am 27. Juli 2009 statt.) Zusammen mit Vater Gottfried, Mutter Olga und zwei Brüdern war Lilly Ulm schon früh von der Heimatstadt Chemnitz aus mit einer Equilibristik-Schau auf Achse. 1950 siedelte man in die Bundesrepublik über und fand nach mehreren Stationen 1961 in Gonsenheim Heimat. Man errichtete in der Klosterstraße ein bescheidenes Haus, das man nach vorübergehendem Campingwagen-Dasein bald beziehen konnte. Da gab auch Vater Gottfried altersbedingt den Artisten-Beruf auf, was das Ende des Ulm-Quintetts bedeutete. Lilly aber feierte weiter Soloerfolge und war selbst im Moulin Rouge in Paris, im Tivoli in Kopenhagen und auf vielen Brettern, die ihr die Welt bedeuteten, unter anderem in Rom, Cannes und Oslo zu bewundern. Von 1970 an sah man sie im eingangs genannten Geschäft, bis sie sich als letzte Überlebende der Künstlerfamilie 1997 wieder in die Geburtsstadt zurückzog. Ihre Eltern fanden in Gonsenheim ihre letzte Ruhestätte. Vielseitige Talente verband Lilly Ulm auch mit der Lyrik. So veröf-fentlichte sie ein im Pandion-Verlag in Bad Kreuznach erschienenes Buch mit Gedichten unter dem Titel: „Einmal ein Tropfen sein“.
(Zur Beerdigung vor einer bescheiden anmutenden Anzahl von Trauergästen – in Oberwesel war Lilly nur wenig bekannt – las ich vor ihrem Sarg in der Friedhofskapelle zwei Gedichte aus ihrem Buch.)
In meinen Lebenserinnerungen „Bibeln, Bonzen, Bomben“
hatte ich über unsere erste Kreuzfahrt berichtet. Als schillernde Figur sahen wir, meine Frau und ich, den Kapitän Werner Boels. Beim Blättern in alten Fotoalben fiel mir ein handgeschriebener Brief dieses stattlichen Kapitäns wieder in die Hände. Er schrieb uns aus Brasilien. Was mochte aus ihm geworden wein? Ob er noch lebte? Schließlich war älter als wir.
Wozu gibt es denn Internet? Ich suchte nach seinem Namen und wurde fündig. Natürlich gibt es mehrere Träger gleichen Namens. Aber der Zusatz Kapitän und auch sein Wohnort Timmendorfer-Strand ließ mich hoffen, es sei der Richtige. Ich rief ihn an. Es gab ihn noch. Zunächst entschuldigte ich mich bei ihm für meine Frage, ob er sich noch an die Reise von Genua um den italienischen Stiefel durch die Straße von Messina hinauf bis Venedig, erinnern könne. Schließlich hat ein Kapitän Tausende von Passagieren an Bord und alle Weltmeere durchpflügt. Ich erkannte ihn sofort an seiner Stimme. Aber er konnte sich natürlich nicht mehr an uns erinnern. Da ich aber in meinen Memoiren über diese Reise in unseren Zeitungen berichtet hatte, bot ich an, ihm ein Exemplar oben genannten Buches zuzusenden. Drei Tage danach erhielt ich eine Briefkarte mit folgendem Text:
„Sehr geehrter Herr Link!
Für die Zusendung Ihres Buches bedanke ich mich sehr herzlich. Den Teil EUROPA-Reise habe ich natürlich sofort gelesen und hat mich sehr erfreut. Leider kann ich mich an Ihre Frau Gemahlin und an Sie nicht mehr erinnern.
Herzliche Grüße an Sie und Ihre Frau, Ihr Werner Boels.“
Sofort schrieb ich zurück:
„Sehr geehrter Herr Boels, vielen Dank für Ihre Karte. Damit Sie sich an uns erinnern können, füge ich Kopie Ihres Briefes vom 6. 11. 1977 aus Fortaleza/Brasilien bei sowie zwei Aufnahmen. Im Vordergrund stehen wir vor Ihnen am Galabuffet. Das andere Foto entstand an unserer Goldenen Hochzeit am 06. 03. 2006.
Fotos sind konservierte Erinnerungen. Doch der Vergleich macht uns deutlich, dass wir älter geworden sind. Inzwischen blicken wir auf acht Enkel zurück. Wir fühlen uns gesund, wenn auch die Spannkraft nachgelassen hat. Aber wir stehen zu unserem Alter und zürnen nicht. Ich habe mal über die Philosophie des Alters nachgedacht. Die habe ich diesem Schreiben ebenfalls beigefügt. Meine Frau und ich, wir wünschen Ihnen noch eine gute Zeit.
Mit herzlichen Grüßen. Karl-Heinz Link.“
Wenige Tage danach erhielten wir einen zweiseitigen Brief:
„Sehr geehrter Herr Link, sehr verehrte Frau Link!
Für Ihre Post vom 9.6. bedanke ich mich herzlich. Mit Post sind gemeint, Ihr Brief, meinen Brief vom 6.11.77, Ihre Philosophie des Alters und vor allem auch die Bilder.
Nun, Frau Link, kann ich mich auch recht gut an Sie erinnern, und auf dem Bild Ihrer Goldenen Hochzeit sehen Sie noch immer fantastisch aus.
Ich durfte mit meiner Frau 2005 noch die Diamantne Hochzeit feiern. Unser Bild mit dem ersten Urenkel stammt auch aus diesem Jahr 2005. Meine Frau wurde nach schwerer Krankheit am 29. 6. 2007 erlöst. Ich habe inzwischen meinen 2. Urenkel erhalten. Enkel hatten wir auch acht. Ein Enkel ist leider im vergangenen Juni gestorben.
Sonst geht es allen und mir recht gut. Ihre Philosophie ist auch für mich natürlich zutreffend. Seit 1985 bin ich im Ruhestand, habe aber wenig Ruhe gehabt. Haus und Garten und Familie sorgen für Dauerbeschäftigung. Eine liebe Enkelin, Imke Boels, wohnt jetzt bei mir im Haus und versorgt mich zuverlässig.
Sie haben mich auf die netteste Weise an meine aktive Zeit erinnert. Die Zeit war erfolgreich und gut. Ihnen wünsche ich noch viele zufriedene Jahre und grüße Sie sehr herzlich
Ihr Werner Boels.“
Beim Wühlen in einem Salamander-Karton entdeckte ich eine colorierte Weihnachtskarte, die das Interieur der Church of the Nativity (Interior) ob Bethlehem zeigte. Der handgeschriebene Text lautet: „Lieber Herr Link, vielen Dank für die Zahlung an meinen Sohn, deren Eingang er heute mir bestätigte. Mit besten Grüssen Merry Christmas and Happy New Year, 15. Dezember 1978 Otto Stiefel.
Jener Otto Stiefel, Fremdenführer in Jerusalem hatte seinerzeit einen Sohn, der in Deutschland studierte. Studenten brauchen im-mer Bares. Aber es war kompliziert, deutsches Geld aus Israel zu überweisen. Er bat mich, einen ansehnlichen Betrag für seinen Sohn in Frankfurt mitzunehmen. Sofort nach Rückkehr in die Heimat überwies ich dem Junior sein Geld per Postanweisung.
Liebe auf dem Lande
Die Freiheit der Menschen auf dem Lande galt bei meinen Urgroßeltern nach heutigem Verständnis als eingeschränkt, ja sogar abhängig von der Respektperson unter dem niedrigen Schieferdach des Dreimädelhauses. Mein Urgroßvater hätte so gerne einen männlichen Erben. Drei flügge Weibspersonen, eine schöner als die andere, bereiteten ihm mit zunehmendem Alter Sorgen. Zwar würden die Töchter irgendwann Schwiegersöhne anschleppen, aber leider blieb ihm der Hoferbe versagt. Da half auch keine Bittprozession, weder eine Glockenspende noch ein Dutzend brennende Kerzen am Marienaltar. Die ältere der Töchter, die Maria, trug eine stattliche Figur, hatte ihre Rundungen an der richtigen Stelle. Aber keine der Burschen im Dorf machte ihr Avancen. Anna, die mittlere, zwei Jahre jünger, lernte von dem Gehabe ihrer älteren Schwester, galt als sittsam und fromm, war ebenso wie Maria, arbeitsam im Haus und in den Ställen, wie auf dem Felde. Ihre Schönheit zog schon seit einigen Monden gierige Männerblicke sogar aus den Nachbardörfern auf sich. Und bei der Kirchweih blieb Anna bei keinem Tanz auf der grob gezimmerten Bank sitzen. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren ließ sie sich mit Wohlbehagen umwerben. Sie aber wollte unter keinen Umständen einen Bauer zum Gemahl und schon gar nicht in ihre bescheidene Kammer auf die Strohmatratze. Die jüngere Elisabeth mit ihren achtzehn Lenzen jedoch verkörperte ein wahres Lustobjekt für die Männerwelt, trug ihre Qualitäten mit Grandezza zur Schau, war von der Natur bevorzugt mit einem strahlenden Lächeln, einem madonnenhaften Äußeren, dass selbst den alten Knackern bei ihrem Anblick der Seiber aus den bärtigen Mäulern rann. Eines schönen Tages, es war schon mehr eine laue Sommernacht, hatte die Maria ihre jüngste Schwester Elisabeth in den Armen eines fremden Mannes in der elterlichen Scheune erwischt. Wer mochte der fremde Kerl sein? Den hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen. Es war auch duster in dem Raum. Maria fürchtete um die Ehre ihrer Schwester, hatte aber auch nicht den Mut, sich bemerkbar zu machen und verschwand mit hochrotem Kopf, behielt aber die Beobachtung in ihrem Herzen. Am nächsten Morgen beim Füttern der Kühe sprach Marie die Elisabeth flüsternd an, damit der Vater es nicht hören sollte. „Wer wars denn, gestern Abend im Stroh?“ „Kennen tu ich den nicht, aber in seiner Unterhose stand: Mako“. „Heilger Strohsack“. Die ansonsten couragierte und dennoch verständnisvolle ältere Schwester Maria bekam einen hochroten Kopf, ängstigte sich bei der Auslassung der Elisabeth um deren Unschuld. Dabei legte sie ihren Zeigefinger senkrecht über ihre blutlosen Lippen zum Zeichen ihrer Verschwiegenheit. Elisabeth hingegen lachte schallend, sodass ihr Vater einen strafenden Blick wie einen Blitz durch die Stallung warf, begleitet mit den Worten: „Hühnervolk, wer so früh lacht, den holt der Fuchs!“ Die ausnehmend hübsche Elisabeth verstand es zudem mit ihrem unbekümmerten Wesen geschickt, den gestrengen Vater um ihre Finger zu wickeln. Der würde auch einer Hochzeit mit dem gebildeten Studenten hoffentlich zustimmen. Die gütige Mutter würde ohnehin ihren Segen dazu geben. Die Zuneigung zu dem Studenten entwickelte sich alsbald zu einem echten Liebesverhältnis. Der Vater beobachtete seine Töchter argwöhnisch und wurde immer schweigsamer. In ihm reifte ein folgenschwerer Entschluss. Eines schönen Tages im Advent stellte Elisabeth ihren Schatz der Familie vor. Noch bevor der Liebhaber um die Hand der jüngeren Tochter Elisabeth anhalten konnte, sprach der sonst wortkarge Alte seine alles entscheidenden Worte: „Bei uns geht es der Reihe nach, zuerst die Älteste, dann die Nächste, und wenn du dann noch Lust hast, kannst du die Elisabeth haben.“
Das war ein niederschmetterndes Urteil für die Verliebten. Aber der Alte blieb hart. Elisabeth wollte keinen anderen Mann. Sie trat ins Kloster ein, wurde Nonne. Jetzt war sie mit dem lieben Gott verheiratet. Gegen den hatte der Alte nichts einzuwenden. Am Ende bekam meine Urgroßmutter, die älteste der Töchter, ganz nach dem Willen ihres Vaters, den damaligen Studenten als Gatte. Eigentlich traurig für die junge Nonne. Doch sie hatte ein seligmachendes Glück gefunden. Ein Glück auch für meine Großmutter und für mich. Vielleicht wäre ich gar nicht geboren und hätte diese Geschicht nie schreiben können.
Geblättert in meinem Zeitungsarchiv
Mir liegt die Nummer 1 der Frankfurter Allgemeine vom Dienstag,
1. 11. 1949 vor. Die erste Überschrift auf der Titelseite lautet:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung für Deutschland
Unsere Leser haben heute die erste Nummer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor sich. Dieses Blatt setzt die journalistische Arbeit fort, die in Mainz mit der „Allgemeinen Zeitung“ begonnen worden ist. Aber es knüpft zugleich den Anfang zu einem neuen Werk. Unsere Leser haben wohl das Recht zu erfahren, was damit beabsichtigt ist.
Aus der Tatsache, daß einige unserer Mitarbeiter früher der Redaktion der „Frankfurter Zeitung“ angehört haben, ist vielfach geschlossen worden, hier werde der Versuch gemacht, die Nachfolgeschaft dieses Blattes anzutreten. Eine solche Annahme verkennt unsere Absichten. Wie jeder, so haben auch wir die hohen Qualitäten dieses Blattes bewundert; daß die Besatzungsmächte sein Wiedererscheinen sofort nach dem Waffenstillstand nicht gestatteten, wird immer ein Kennzeichen für ihre Unkenntnis der deutschen Verhältnisse bleiben. Aber der Respekt vor einer hervorragenden Leistung bedeutet noch nicht den Wunsch, sie zu kopieren. Wir haben einen ziemlich kräftigen Ehrgeiz, und dieser ist vornehmlich auf eigene und selbständige Leistung gerichtet. Wir haben genaue Vorstellungen von einer neuen Art Zeitung, die wir schaffen möchten. Für sie müßte die Wahrheit der Tatsachen heilig sein; sie müßte sich der strengen Sachlichkeit in der Berichterstattung befleißigen; sie müßte auch den Andersmeinenden gegenüber immer Gerechtigkeit walten lassen; und sie müßte sich bemühen, nicht an der Oberfläche der Dinge stehen zu bleiben, sondern ihre geistigen Hintergründe aufzusuchen. Dies alles also wollen wir redlich; aber wir glauben, zu diesem neuen Typ von Zeitung müßte auch eine beträchtliche Volkstümlichkeit, ein Ansprechen breiter Schichten – ohne ihre Umschmeichlung – gehören. Natürlich denken wir nur an diejenigen, die sich mit uns bemühen wollen, über die Dinge nachzudenken, statt Schlagworten nachzulaufen. Für die Denkfaulen möchten wir nicht schreiben. Aber sonst meinen wir, daß die Vereinigung von breiter Wirkung und geistigen Ansprüchen sehr wohl möglich sei. Es ist also eigentlich allerhand, was uns vorschwebt. Alle, die wir fragen, sagen uns, daß dieses Ziel sehr schwer zu erreichen sei; manche meinen: unmöglich. Daß unser Vorhaben nicht leicht ist, wissen wir, weil wir eben vom Fach sind. Daß es unmöglich sei, möchten wir nachdrücklich bestreiten. Wir haben bei unserer Vorarbeit in Mainz einige Erfahrungen gesammelt und sind schon von daher zuversichtlich. Natürlich werden wir eine Menge Fehler machen, vor allem am Anfang; später hoffentlich weniger. Aber wir denken doch, daß unser Ziel am Ende ganz leidlich gelingen werde. Die Leser aber, die uns auf unserem Wege folgen werden, können unser Bemühen von Anfang an verfolgen; vielleicht wird sich einiges von der inneren Spannung, die uns erfüllt, auch ihnen mitteilen. Natürlich ist das alles, so sehr es uns beschäftigt, nicht Selbstzweck. Journalismus ist für uns die schwierigste, schrecklichste, aufregendste, herrlichste Sache von der Welt. Aber auch für uns wird er seelenlos, wenn er um seiner selbst Willen betrieben wird. Wir möchten noch einiges mehr, als nur eine gute Zeitung machen. Wir möchten in einer Zeit, in der die Freiheit keineswegs allein durch die Diktatoren; sondern ebenso durch Vermassung, durch Trägheit und Unduldsamkeit bedroht ist, das lebendige Gefühl für dieses kostbarste aller irdischen Güter entfachen. Das gilt für die einzelnen Menschen wie für unser Land. Wir verabscheuen den Chauvinismus; wir stellen nicht die Nation über die Menschheit. Aber wir lieben ebensowenig die unwürdige Rolle der nationalen Unfreiheit. Gerade weil wir uns als Europäer empfinden, möchten wir nicht, daß ein einziges Land, nämlich das unsere, in die europäische Gemeinschaft als ein Mitglied minderen Rechtes trete. Von den großen Idealen der Freiheit und Gerechtigkeit, denen unsere Arbeit dienen soll, darf Deutschland nicht ausgeschlossen bleiben. Wir hoffen, einiges dazu tun zu können. Deutschland hat keinen Außenminister. Seine Stimme dringt nur schwach nach draußen. Hier möchte dieses Blatt einsetzen; es will eine Stimme Deutschlands in der Welt sein. Hierzu haben wir ebenfalls in Mainz einige Vorarbeit geleistet, die uns zum Vertrauen berechtigt. Auch bei diesem Vorhaben, uns zu folgen, möchten wir unsere Leser einladen. Wenn wir dann einige Jahre gemeinsam gewandert sind, werden wir uns hoffentlich sagen können, daß unsere gemeinsame Arbeit nicht vergeblich gewesen ist.
In Berlin
he. Ganz Deutschland schaut in diesen Tagen nach seiner früheren Hauptstadt. Selten ist ein Staatsoberhaupt so sehr der Dolmetsch von Gefühlen einer ganzen Nation gewesen als gestern, da Theodor Heuß zu den Hunderttausenden auf dem Platz vor dem Rathaus sprach. Seine Zuhörer waren unsichtbar nicht nur die Millionen Menschen aus den Westzonen, sondern auch alle die siebzehn Millionen, die auch nach der Errichtung des mitteldeutschen Staates weiter unter russischer Herrschaft leben. Wie sehr auch immer ihre wirklichen Empfindungen niedergehalten werden, in Wirklichkeit weiß doch alle Welt, daß auch die Bewohner der Gebiete östlich der Linie von Lübeck nach Kassel in Theodor Heuß ihren Präsidenten sehen. Inzwischen ist deutlich geworden, daß die Bundesrepublik für ihr notleidendes zwölftes Land mehr übrig hat als nur symbolische Gesten. Der Finanzminister hat in der letzten Sitzung des Bundestages einiges von dem Programm mitgeteilt, das Westdeutschland für Berlin bereithält. Diesem Programm liegen mehr als Nützlichkeitserwägungen zu Grunde. Dahinter steht die Ueberzeugung, daß, wenn wir wieder aufsteigen, wir gemeinsam diesen Weg gehen wollen.
Die Welt
Überparteiliche Zeitung für die gesamte britische Zone. Veröffentlicht unter Zulassung durch die britischen Behörden.
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Nr. 1 1. Jahrgang Dienstag, 2. April 1946 Preis 20 Pf.
Einzelheiten zum Industrieplan
„Die Welt“ fragt den Kontrollrat
„Die Welt“ hat zu den Einzelheiten des Industrieplanes einige Anfragen an einen verantwortlichen Offizier des Kontrollrates in Berlin gerichtet. Die Fragen behandeln die Themen: Stufenweiser Aufbau der Wirtschaft – Rohstoffe und industrielle Ausrüstung – Internationale Kredite – Arbeitslosigkeit – Bevölkerungszahl in Deutschland.
UNO wartet auf Rußlands Antwort
N e u y o r k, 1. April
In den Delegationen für die Tagung des Weltsicherheitsrates in Neuyork herrscht, wie die Korrespondenten der englischen und amerikanischen Zeitungen feststellen, „nur sehr mäßiger Optimismus“. Man fragt sich, ob noch bis morgen die Antworten Rußlands und Persiens vorliegen. Die wichtigste Frage, die auf Beschluß des Weltsicherheitsrats in Teheran und Moskau vorgelegt wurde, lautet: Ist der angekündigte Rückzug der russischen Truppen von dem Abschluß eines Abkommens abhängig oder nicht? …
Europäische Ernährungskonferenz
Morgen wird in London eine europäische Ernährungskonferenz beginnen. Sie wird bis zum Sonnabend dauern. Der einzige außereuropäische Staat, der teilnehmen wird, sind die USA. Zu dieser Konferenz wird sich, wenigstens für die beiden letzten Tage, auch Herbert Hoover einfinden. Er bereist im Auftrag Trumans die notleidenden Gebiete Europas. Seine Reise führte ihn bis jetzt nach Paris, Rom, Genf, Prag und Warschau. Er wird auch Deutschland besuchen. In der Bekämpfung europäischer Hungersnöte ist er kein Neuling. Mit 72 Millionen Tonnen Lebensmittel, die er 1818 als Leiter des damaligen Wirtschafts- und Wiederaufbau-Ausschusses aufbrachte, trug er dazu bei, nach dem ersten Weltkrieg 300 Millionen Europäer vor dem Hungertod zu retten. In Erinnerung an diese Zeit vor 28 Jahren sagte er in Rom: „Ich bin ein alter Hausarzt, den man noch einmal zur Behandlung einer schrecklichen Krankheit gerufen hat.“
Nach Hoovers Meinung sind die nächsten vier Monate die kritischste Periode für 500 Millionen Menschen, die in Gefahr sind, zu verhungern. Dabei sei die Jugend, von der die Zukunft der Zivilisation abhänge, besonders gefährdet. Nach der nächsten Ernte sei eine beträchtliche Besserung zu erwarten.
Der frühere Oberbürgermeister von Neuyork Laguardia, der zum Nachfolger des wegen seiner angegriffenen Gesundheit ausscheidenden Generaldirektors Lehmann gewählt worden war, übernahm am Sonnabend sein Amt. Er erklärte: „Ich will Pflüge und keine Schreibmaschinen, schnelle Schiffe und keine Resolutionen, die erst nach längerer Zeit in die Tat umgesetzt werden. Ich werde alle meine Vollmachten geltend machen.“
Das Wesen der CDU
Essen, 1. April
Bei einer Großkundgebung auf dem Burgplatz in Essen sprach am Sonntagnachmittag der erste Vorsitzende der CDU, Jakob Kaiser, Berlin, vor mehreren Tausend Essener Männer und Frauen. Einleitend begründete Bürgermeister Dr. Heinemann die Notwendigkeit des Zusammenschlusses aller Christen in der Union, indem er auf die Verantwortlichkeit eines jeden für die politische Gestaltung unserer Zeit hinwies. Einigung der Konfessionen und der Stände zu einem großen politischen Machtfaktor, zu einer alle christlich Denkenden umfassenden Volkspartei war auch der Kern der Rede Jakob Kaisers, der zum letzten Male vor 13 Jahren auf dem gleichen Burgplatz in Essen in einer großen Kundgebung zu der Bevölkerung des Ruhrgebietes gesprochen hatte. Er forderte den Neuaufbau und die Umgruppierung des politischen Lebens auf den Grundlagen des Christentums und des christlichen Sozialismus. Das Wesen der Union liege in der einigenden Zusammenfassung beider Konfessionen; sie wolle einen ehrlichen deutschen Religionsfriede herbeiführen, damit der Weg frei werde für eine schöpferische Politik des Volkes.
Nur eine Zentralregierung biete die Möglichkeit, auf breitester Basis am Wiederaufbau Deutschland zu arbeiten. Das Ruhrgebiet aber mit seiner tapferen Bevölkerung und als Herz der deutschen Wirtschaft dürfe auf keinen Fall vom Reich getrennt werden. Jakob Kaiser schloß mit einem Apell an die Welt, indem er um Vertrauen in das neue demokratisch-christliche Deutschland bat.
DIE AKTUELLE ILLUSTRIERTE
Quick
Nr. 1 München 25. April 1948 80 Pf.
Titelbild: Präsiden Truman unterzeichnet das Gesetz über die Europahilfe (Siehe Bildartikel Seite 3 – 5)
Frankfurt und das ERP
Nach der Unterzeichnung des europäischen Wiederaufbaupro-gramms durch Präsident Truman hat Quick führende Männer des Frankfurter Wirtschaftsrates bei ihrer Arbeit aufgesucht und sie um ihre Meinung über das Wiederaufbauprogramm innerhalb des ERP befragt.
Ein Sonderbericht für Quick von Hilmar Pabel
In diesem Augenblick sitzen in Paris sechzehn Nationen um einen Tisch. Sie gehören alle zu einem Erdteil, zum zerstörten und aus den Fugen geratenen Europa, das wieder aufgerichtet und aufgebaut werden soll. Amerika will zwanzig Milliarden dafür zur Verfügung stellen, in der Geschichte der Menschheit der größte Betrag, über den jemals verhandelt wurde. Es ist eine Charta für die Zusammenarbeit der Sechzehn vorbereitet, ihre Unterzeichnung steht bevor, und dann wird das gigantische Programm, das ERP, anlaufen. Seine Auswirkung ist nicht abzusehen. Es kann sein, daß Europa wieder wird, was es war, der helle Kontinent, von dem das Licht des Geistes vielfältig in die Welt strahlte. Deutschland sitzt vorläufig noch nicht mit am Konferenztisch. Seine Stimme soll aber, und das ist eine Hoffnung, in Paris gehört und seine Wünsche sollen dort geprüft werden.
Dann folgen Bilder. Hier einige Bildunterschriften:
„Zum Erstenmal seit 1945“, sagte der Präsident des Wirtschaftsrates Dr. Erich Köhler, „ist Deutschlands Isolierung entscheidend durchbrochen. Wir sind in den Marschall-Plan einbezogen.“ Unser Bild zeigt Dr. Köhler mit dem englischen Vertreter im Zweimächte-Kontrollamt, General Adcock. „Mit General Adcock läßt sich wunderbar arbeiten“, sagte Dr. Köhler zu unserem Berichterstatter.
„Das sind unsere Vorschläge zum Marshallplan!“ sagte Oberdirektor Dr. Hermann Pünder, der ehemalige Kölner Oberbürgermeister und jetzige Vorsitzende des Verwaltungsrates. Der äußerlich unscheinbare, grüne Aktendeckel in seinen Händen enthält die deut-schen Wünsche, die dem Zweimächte-Kontrollamt vorgelegt wurden. Er veranschlagt den Gesamt-Einfuhrbedarf der Bizone für 1948/49 auf 1,96 Milliarden Dollar, von denen 873 Millionen Dollar auf Nahrungsmittel entfallen.
Als unser Berichterstatter den Sitzungsraum betritt, findet er als ersten Anwesenden den Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Prof. Dr. Ludwig Erhard, vor. Im Gespräch über den Wiederaufbauplan äußerte der führende bayerische Wirtschaftler: „Die praktischen Auswirkungen des ERP für Westdeutschland werden sich am raschesten in der Ernährung zeigen. In manchen Gebieten wird es etwa eine halbes Jahr dauern, dann wird eine Besserung deutlich werden“. Prof. Dr. Erhard vertritt die Ansicht, daß durch die Förderung der Industrie lebenswichtiger Dinge die Bevölkerung eine Gegenleistung für ihre Arbeit gegeben werden muß. Das höchste soziale Ziel in Deutschland müsse ein gerechter Lohn für ehrliche Arbeit sein.
ERWIN SCHOETTLE, DER VORSITZENDE DER SPD-FRAKTION IM WIRTSCHAFTSRAT hat einem Fraktionskollegen auf dem Weg zur Wirtschaftsratssitzung. E. Schöttle erklärte unserem Mitarbeiter: „Ich weiß nicht, wann das ERP bei uns zur Wirkung kommt. Der Marshallplan ist eine Kombination zwischen amerikanischer Hilfe und eigener, deutscher Anstrengung. Es wird sich erst in Paris entscheiden, was und wie viel wir bekommen. Auf jeden Fall kann man sagen, Deutschland wird nicht so viel geliefert bekommen können, dass die Not von heute auf morgen ein Ende hat. Auf die Bemerkung unseres Berichterstatters, dass die führenden Politiker des Wirtschaftsrates in ihrer Mitteilung so zurückhaltend seien, erklärte Schöttle: “Sie müssen verstehen, dass ihnen Schlange-Schöningen keine präzisierten Angaben über zukünftige Rationserhöhungen geben kann. Die Erhöhungen hängen nicht von deutschen Stellen ab. Wenn dann ein von uns gegebenes Versprechen nicht gehalten werden kann, so wird die Schuld den deutschen Politikern in die Schuhe geschoben.“
BILDER DER ZEIT
BERLINER NERVENKRIEG
Mit seinem dramatischen Auszug aus dem Alliierten Kontrollrat leitete Marschall Sokolowski die neueste Phase des „Kalten Krieges“ in Berlin ein. Dann forderte er die Kontrolle der Militärzüge, die zwischen den Westzonen und Berlin verkehren. Die Westmächte lehnten diesen Anspruch ab. Der Nervenkrieg geht weiter, die Welt blickt voller Spannung auf Berlin.
EMPFANG FÜR ZUCKMAYER
ZUCKMAYER SPRICHT: „Seitdem weiß ich“, sagt der Dichter, der Amerikaner wurde und Deutschland nicht vergessen kann, „dass der Mensch zwei Heimaten haben kann, die eine, zu der er durch Blut und Abstammung gehört, und die andere, die er sich erarbeitet hat. Ich betrachte es als eine meiner Aufgaben, für die Versöhnung meiner deutschen Heimat mit Amerika zu arbeiten, denn hier wie dort ist der Arbeiter ein Arbeiter, der Arzt ein Arzt und der Schriftsteller ein Schriftsteller.“
Im kristallkalten Winter 1946/47 kehrte Carl Zuckmayer aus Amerika nach Deutschland zurück. Er fand es genau so, wie er es in dem Kassandraruf aus dem Jahre 1939, in seiner „Elegie von Abschied und Wiederkehr“ vorausahnend beschrieben hatte.
„Ich weiß, ich werde alles wiedersehn,
Und es wird alles ganz verwandelt sein.
Ich werde durch erloschne Städte gehen,
Darin kein Stein mehr auf dem andern Stein.“
Der heimgekehrte Dichter wurde nicht müde, die Bahnhofshallen, die Flüchtlingsbaracken, die Gefangenenlager zu durchwandern. Der Jugend zu helfen, deren einziges Erbe die Trümmer sind, setzte Carl Zuckmayer zu seiner Aufgabe. Die deutsche Jugend wird ihre Aufgabe nur meistern können, wenn sie imstande ist, sich in freier Entscheidung von dem lebensfeindlichen Geist der „tausend Jahre“ zu trennen und sich der tätigen Anschauung vom freien Menschendasein und von der Schönheit und Unverletzlichkeit des Lebens hinzugeben.
DAS WAR KARL VALENTIN
Karl Valentin, der Münchner Komiker, war ein ernster Mensch: ein Philosoph des Humors. Er machte das Brettl zur Bühne, auf der sich das Tiefste und das Flachste darstellen ließ. In den Jahren vor seinem Tod war er, der von der Vorstadt und den Lokalen ausging, weit über sich hinausgewachsen; er hatte die Münchner Seele dargestellt, die Umwege des Denkens, den listigen Ernst, der mit überraschenden Volten an die letzen Dinge rührte. Man hat ihn den leibgewordenen Widerspruch genannt und damit viel von seinem Wesen getroffen. Valentin bleibt unvergesslich.
Dichter danken München
HEINE UND DAS BIER
Der Ort heißt Bogenhausen oder Neuberghausen oder Villa Hompesch oder Montgelasgarten oder das Schlößl, ja man braucht ihn nicht einmal zu nennen, wenn man von München dorthin fahren will, der Kutscher versteht uns schon an einem gewissen durstigen Augenblinzeln, an einem gewissen vorseligen Kopfnicken und ähnlichen Bezeichnungsgrimassen. Tausend Ausdrücke hat der Araber für ein Schwert, der Franzose für die Liebe, der Engländer für das Hängen, der Deutsche für das Trinken, und der neuere Athener sogar für die Orte, wo er trinkt. Das Bier ist an besagtem Orte wirklich sehr gut, selbst im Prytaneum, vulgo Bockkeller, ist es nicht besser, es schmeckt ganz vortrefflich.
KELLERS GELOBTE LAND
Ich befinde mich sehr wohl hier. Man kann über die Straße gehen, ohne dass man von allen Seiten begafft und für stolz ausgeschrieen wird. Kein Mensch achtet auf den andern; alles geht bunt durcheinander. Kommt man aber mit den Leuten in Berührung, so sind sie höflich und gefällig, nur die Weibsbilder von der bürgerlichen Klasse sind ungemein roh. Sie fluchen und schimpfen wie bei uns die Stallknechte und sitzen alle am Abend in der Kneipe und saufen Bier. Sogar die nobelsten Damen gehen ins Cafehaus und trinken da - nicht Cafe, sondern so zu Spaß eine Maß Bier bis zwei.
THOMAS WOLFE: DER TRAUM
Was könnte man über München anderes sagen, als daß es eine Art von deutschem Paradies sei? Viele Menschen schlafen und träumen manchmal, sie seien in den Himmel gekommen – in ganz Deutschland aber träumen die Leute oft, sie seien nach München, nach Bayern gefahren. Und tatsächlich ist diese Stadt auf erstaunliche Art und Weise ein großer deutscher, ins Leben übersetzter Traum.
Aus „Gastfreundliches München“, Kurt Desch.
Dauerbrenner Bahnlärm
Seit Jahren stöhnen die Menschen am Rhein, Grund dafür liefert die Deutsche Bahn. In meinem Bahnlärm-Krimi „07:13 – Zug des Todes“ erschien 2007 bereits meine Geschichte. Der Verlag BoD war so kühn, mein Konterfei auf dem Buchtitel zu zeigen.
Während es den Menschen im engen Rheintal in erster Linie um das Geratter beiderseits des Stroms geht, gab es bis zum 06. April 2009 in Oberwesel ein zusätzliches Ärgernis, die rechte Rheinseite betreffend. Dort mussten alle Loks an unbeschrankten Bahnübergängen einen Pfeifton abgeben, auch nachts, wenn kein Winzer seine Weinberge aufsucht. Unter dem 7. April 2009 erschien in der Rhein-Hunsrück-Zeitung eine halbseitige Abhandlung mit der Überschrift: Züge haben endlich ausgepfiffen. Warnschilder auf der gegenüberliegenden Rheinseite wurden demontiert – Lärmbelästigung der Bürger hat nun ein Ende.
Thomas Torkler schreibt in der gleichen Ausgabe seinen Kommentar:
Liebe Oberweseler, es ist Euch von Herzen zu gönnen, dass dieser Unsinn, Marke deutsche Gründlichkeit, endlich ein Ende hat. Bürgermeister Thomas Bungert und Euch hat es ja auch Nerven genug gekostet. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: Da dauert es mehr als drei Jahre, um in Deutschland Schilder abzubauen, die nicht mehr sinnvoll sind. Die Alternativlösung, die nun gefunden wurde, wird allen gerecht: Die Bahn kann weiterhin darauf bauen, dass die Sicherheit gewährt ist, die Pfeiferei nervt nicht mehr durchs Rheintal, und der Winzer bekommt trotzdem Zugang zu seinem Wingert. Die Idee, dessen Überquerung der Gleise künftig per Telefon absichern zu lassen, muss nun wirklich nicht einem Superhirn entspringen. Das ist keine Verunglimpfung des „Erfinders“, aber nach fünf Minuten Stammtisch-Diskussion kommt man von selbst auf diese Lösung. Die Schilder abzubauen, dürfte auch kein Tagesprogramm für einen Handwerker darstellen. Dass das Ganze jedoch mehr als drei Jahre dauert, bis so etwas endlich beschlossen ist, das ist ein Skandal. Wäre da nicht ein Thomas Bungert gewesen, der allen Beteiligten dauernd mit dieser „Lappalie“ auf den Füßen gestanden hätte, die Schilder stünden immer noch. Es ist schlimm genug, dass man für dieses ständige Nachbohren einen „Dummen“ finden muss, der bereit ist, sich das anzutun, ständig bei den zuständigen Stellen nachzufragen. Vergnü-gungssteuerpflichtig ist das sicher nicht. Wer von uns hätte nicht nach erfolglosen Telefonaten, diversen Briefen und E-Mails irgendwann entnervt aufgegeben?
Ihr merkt also, liebe Oberweseler – und liebe Mittelrheiner – Beharrlichkeit führt zum Ziel, sogar wenns gegen Bürokratismus und deutsche Gründlichkeit geht. Da sollte doch auch was gegen den übrigen Bahnlärm gehen? Bestimmt. Es kann halt nur etwas dauern. Schließlich ist bei lauten Güterzügen, neuen Bremsen für Waggons oder gar Alternativ-Strecken auch die Deutsche Bahn Verhandlungspartner. Drei Jahre, um sechs Schilder abzubauen – rechnet man das hoch, wie lange es wohl dauern wird, bis der Güterzuglärm im Rheintal weniger wird, dann … nee, ich lass das. In Mathe und Wahrscheinlichkeitsrechnung war ich noch nie gut.
Wer glaubt, was in der Zeitung steht und noch Tage danach immer noch die leidigen Läutsignale hören muß, der versteht die Welt nicht mehr. Offenbar denken manche Lokführer der Gewohnheit gehorchend, immer an der gleichen Stelle das Hupsignal noch abgeben zu müssen. Wenige Wochen danach wurden auch die endlich eingestellt. Ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Viel dramatischer ist die Lärmbelästigung von insgesamt mehr als fünfhundert Zugbewegungen innerhalb von vierundzwanzig Stunden rechts und links des Rheins. Personenzüge im Nahverkehr und die flotten ICEs fallen da nicht ins Gewicht. Aber die Güterzüge, zum Teil in Überlänge als Kesselwagen, Container oder Schrott sind verhasste Störenfriede. Lärm macht krank. Da hilft nur Tempo runter auf 50 kmh und oder Nachtfahrverbot. Die Politik sucht nach Ausweg-Trassen. Die Menschen im engen Rheintal sind abgenervt. Sie sind das zermürbende Geratter auf den Schienen endlich satt. Sie wollen von der Bahn keine Besänftigungen mehr hören. Sie wollen Taten sehen und keine Taten begehen. Zu diesem Thema schrieb ich 2007 einen Bahnlärm-Krimi unter dem Titel: 07:13 Uhr – Zug des Todes (ISBN 978-3-8334-7915-1) Im Klappentext heißt es: Plötzlich menschliches Hackfleisch auf den Gleisen. Kaum noch als Körper erkennbar. Selbstmord, Motivmord, Unfall? Ein Sammeltrupp sorgt sich um die Überreste. Ein makabres Zuzzle. Bitte keine Leichenteile fotografieren. Contenance bitte. Ein zweiter Toter im Gestrüpp unterhalb der zerfallenen Burg. Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Presserummel um den Bahnlärm und den Toten? Am Ende eine faustdicke Überraschung für die Ermittler. Der Mythos der Loreley soll nicht sterben. Die sinnliche Erfahrung von Leidenschaft, Liebe, Schönheit und gar Erotik gehören zur Verführung der lieblichen Sagengestalt, ebenso wie Tod, Verderben und die Furcht vor dem ewig Weiblichen. Eben typisch Loreley.
Ein Jahr nach dem 11. September 2011 erinnert die Rhein Main Presse an das IC-Unglück bei St. Goar auf der linksrheinischen Bahnstrecke. Man rätselt noch immer über den Unfallhergang. Der IC war mit 800 Fahrgästen besetzt gewesen und als Folge eines Unwetters im Schlamm und Geröll entgleist, wobei 15 Menschen verletzt wurden. Alle Fahrgäste wurden über Leitern vom Bahnkörper geborgen und unter Einsatz von Feuerwehr und THW, DRK in Sicherheit gebracht.
Die Rhein-Hunsrück-Zeitung berichtete am 2. Oktober 2012 über die Bahn auf der Titelseite unter der Überschrift: „Züge sollen flüstern.“
Die Bahn will leiser werden. Dieses Ankündigung hört man schon lange im Mittelrheintal – allein es fehlt vielen Bewohnern der Glaube, dass es wirklich zu nachhaltigen Verbesserungen beim Bahnlärm kommt. Wie sehr sogenannte „Flüsterbremsen“ helfen würden, davon konnte man sich am Montag bei einer Hörprobe überzeugen. Zweimal fuhr im Bahnhof Bingen ein Zug vorbei, der teils mit alten, teils mit neuen Bremsen ausgestattet war. Der Unterschied zwischen den alten und den umgerüsteten Waggons war deutlich zu hören. Davon konnten sich auch Bahnchef Rüdiger Grube, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und der rheinlad-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) überzeugen. 1250 Bahn-Waggons sollen im ersten Schritt umgerüstet werden. Bis 2020 soll die gesamte Bahn-Flotte folgen – wenn die Europäische Eisenbahnagentur im nächsten Jahr eine neu entwickelte Leichtlaufsohle (LL – Sohle) genehmigt, sagte Grube.
Hemmschwelle Europa
Der Kommentator Thomas Torkler von der gleichen Zeitung schreibt: Ein Drittel aller seit Frühjahr auf K-Sohle umgerüsteten Güterwagen haben die Gäste der DB-Veranstaltung sowie die Demonstranten hinterm Bahnhofszaun zu hören bekommen – 20 von 60. Am 2. April 2007 war ein ähnliches Schauspiel im Bahnhof Bingen zu erleben. Die Protagonisten hießen damals nicht Ramsauer und Grube, sondern Tiefensee und Mehdorn. Damals wie heute war es verdächtig leise. Kein Güterzug störte die Veranstaltung. Als jetzt am Ende mal ein „normaler“ Güterzug durch den Bahnhof fuhr, wurde das ganze Dilemma deutlich. Den Höreindruck des Testzuges noch in den Ohren, konnt man beim Vorüberfahren des Zuges genau ausmachen, ob es sich um einen leisen oder lauten Waggon handelte. Zugzusammenstellungen erfolgen leider nicht nach db-Werten. Da rollt eine alte Krachschleuder einträchtig neben einem modernen leisen Waggon. Ergebnis ist ein lauter Güterzug. Die laute Grauguß-Sohle ab 2020 zu verbieten, ist der richtige Weg. Österreich, Polen und die Niederlande wollen mitmachen bei den DB-Plänen, aber die Finnen beispielsweise, die ihre Erztransporte durchs Niemandsland karren, jeckt die Topographie im Rheintal, die den Lärmpegel potenziert, wenig. Eine europaweite Einigung hinzukriegen, kann also dauern. Es geht nur übers Geld. Es müssen nicht nur Anreize geschaffen, sondern drastische Mehrkosten beim Trassenpreis für Laute Waggons erhoben werden – die dürfen aber nicht zu hoch sein, damit Güter nicht wieder auf die Straße wechseln.
Großmutters Sorgen
Großmutter war dagegen und wollte zuerst sterben. Dann bot sie den jungen Leuten Bargeld an – ganze dreitausend Mark, all ihre Ersparnisse. Sie sollten wenigstens heiraten. Inzwischen hatte sie sich abgefunden, dass ihr Enkel mit einem jungen Mädchen zusammenlebte, mit dem sie nicht einmal verlobt gewesen ist. Geschirr für den Hausstand hat sie auch gekauft. Und neuerdings stellt sie zweimal in der Woche, statt einmal, frische Blumen an den Altar der Anbetungskapelle. Ich hatte dergleichen Bedenken nicht, wollte nicht sterben, wollte sie auch nicht mit Geld bestechen. Aber eine Kerze hatte ich angezündet vor dem Standbild Mariens in Sacré Coer auf dem höchsten Hügel, dem Mont Matre zu Paris.
SaulusPaulusSaulus
Dann fand ich in meinem Kuriositätenkabinett eine Begegnung mit einem mir bekannten SaulusPaulusSaulus. Als Saulus galt er in unserer Jugendclique, weil er nur Flausen im Kopf hatte, markige und vor allem verdorbene Sprüche. Seine Fäkalsprache schien er aus einem schier unversiegbaren Fundus seiner Unterhose zu schöpfen. Er empfahl seinen Artgenossen, den in einem Einmachglas verwahrten männlichen Samen zu sammeln, wie andere Briefmarken. Irgendwann war er erst einmal verschwunden. Er verdingte sich als Schiffer oder Hafenarbeiter in Duisburg-Ruhrort und trieb sich im Rotlichtmilieu herum. Einmal schaute er zum Himmel und schwärmte von der sexuellen Verbindung zum Weib, die möge so lange andauern wie ein Schleppzug von Rotterdam bis nach Basel.
Meine Schulkameraden und ich fielen aus allen Wolken, als die Kunde im Städtchen von der Bekehrung des Saulus zum Paulus seine Runde machte. Er wurde plötzlich fromm, ging in ein Kloster und wurde Pater. Paulus war ein kluger Kopf, sprachbegabt und aufgeschlossen. So ist er uns einmal Jahre später in der Koblenzer Hauptbahnhofshalle über den Weg gelaufen. Plötzlich stand er vor meiner Frau und mir im braunen Mönchsgewand mit Kutte. Wir hatten unseren kleinen Sohn an der Hand. Natürlich erkannten wir uns. Er sah gut aus, braun gebrannt. Er kam ja aus Südamerika, war dort in der Mission tätig. Er nannte uns mit Namen und fragte nach dem Namen unseres Sohnes. „Axel“ sagten wir wie im Chor. „Das ist doch kein Name, warum habt ihr ihn nicht Paul genannt?“ Wir erfuhren, er ist im Heimaturlaub, um für seinen Orden Geld zu sammeln und wohnte in unserem Heimatort bei einem Schulfreund. Sein Aufenthalt sollte sechs Wochen währen, doch eines Tages war er von der Bildfläche verschwunden.
Der Schulfreund erwischte ihn zusammen mit seiner Frau im ehelichen Schlafzimmer beim Geschlechtsakt und setzte ihn Hals über Kopf vor die Tür. So verwandelte sich Paulus wieder zum Saulus. Der Schulfreund war konsequent, ließ sich von seiner Frau scheiden und lebt seitdem mit seiner zweiten Frau glücklich und zufrieden. Eine Weile verging, so verblasste auch das Stadtgespräch über jenen Gottesmann, bis das Gerücht wie ein Lauffeuer durch die engen Gassen flammte: der mit der Kutte ist in Brasilien oder Bolivien plötzlich verstorben. Diese brisante Kunde nährte an den Stammtischen die Spekulationen. Die Scala reichte vom natürlichen Tod durch Krankheit, vielleicht Tropenkrankheit oder gar Aids bis hin zum gewaltsamen Tod im Drogenmilieu oder in den Spelunken der Armenviertel bei Alkoholexzessen in Spielhöllen mit folgenschwerer Messerstecherei. Allein diese Geschichte würde Munition für einen weiteren Roman liefern können.
Marktschmöker
Enthastung ist nicht nur im Alter wichtig. Für mich ist Lesen von Büchern ebenso wichtig wie das Schreiben. Der Salzburger Sebastian Mettler nennt sich Innovator, er hat das Stadtlesen erfunden, Enthastung sein Lieblingsthema. Er nennt ein Beispiel: Manager, die nach zwei Seiten Text schon wieder aufs Smartphon schielen und deshalb Mühe haben, Jahresbilanzen ganz durchzulesen. Seine Methode ist ebenso praktisch wie ausgefallen. Er ließ von einem Designertischler gefertigte Readers Corner, das sind bequeme Sitzsäcke, er nennt sie Lese-Lunzer, die er je nach Bedarf bis zu 60 Stück auf Marktplätzen auslegt. Das Material ist pflegeleicht und selbst nach Regen in fünf Minuten trocken. Damit reist er durch siebzig Städte. Natürlich wird kein Buch ganz gelesen. „Es muß nicht ruhig sein beim Stadtlesen, im Gegenteil, es lebt davon, dass viele Menschen zufällig vorbeilatschen.“ Das Lesefestival im Freien funktioniert offenbar an Plätzen, wo ohnehin Trubel herrscht und Leute flanieren, die in Plauderlaune sind. Natürlich kommen und gehen die Menschen. Es geht ja um neun Uhr los und endet bei Dämmerlicht. Dabei list der Initiator nicht alles selbst. Er hat freie Schriftsteller quasi als seine Jünger aufgefischt. Er rechnet in all den Städten im Jahr 2013 mit über 1,34 Millionen Menschen, die für einige Zeit enthasten und zuhören wollen.
Auf Zeitreise zu Freiligrath
Mittelrhein feiert berühmten Achtundvierziger
(Auszug aus Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 6. 7. 2010)
Der Mittelrhein reiht sich ein in die Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Ferdinand Freiligrath. Schließlich lebte der „Trompeter der Revolution“ einige Jahre am Goldenen Strom und scharte Gesinnungsgenossen um sich. Ein bedeutender Treffpunkt der Revolutionäre war das Gasthaus „Goldener Pfropfenzieher“ in Oberwesel.
In mehr als 50 Veranstaltungen wird in diesem Jahr in ganz Deutschland an den 200. Geburtstag des großen Lyrikers Ferdinand Freiligrath erinnert. Auch der Mittelrhein hält die Erinnerung an den Achtundvierziger aufrecht.
Die Liebesgedichte und Balladen aus der Feder Freiligraths bewegten Generationen. Als „Trompeter der Revolution“ inspirierte Freiligrath noch die Bürgerrechtler der DDR. „Wir sind das Volk“ war und bleibt sein Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit. Seit dieser Poet „zu singen begonnen hat, sind wir andere Spatzen“, schrieb Adalbert von Chamisso und meinte damit Ferdinand Freiligrath, der vor 200 Jahren in Detmold geboren, mit seinen ersten Gedichten und Liedern von den Zeitgenossen mit Begeisterung aufgenommen wurde und sofort zum Superstar seiner Zeit avancierte. Seine historischen Balladen und exotischen Wüstenträume fanden ein breites Publikum. Noch ganz im Banne der Romantik erlebte und gestaltete er zunächst noch die Rheinland-schaft während seiner Aufenthalte in Unkel und St. Goar.
Fern der Polizeigewalt
So erstaunt es also, dass sich gerade hier am Rhein der entschei-dende Wandel vollzog und Freiligrath eine revolutionäre Keimzelle um sich scharte. Fern von den allgegenwärtigen Polizeikontrollen scharte Ferdinand Freiligrath in St. Goar in seinem gastfreundlichen Haus Gleichgesinnte um sich. Das Oberweseler Gasthaus „Zum goldenen Pfropfenzieher“ wurde zum Zentrum des revolutionären Gedankenaustauschs.
Freiligrath wandelte sich hier im romantischen Mittelrheintal zum „Trompeter der Revolution.“, bleibt aber weiterhin – vielleicht gerade auch deswegen – zu seiner Zeit der populärste Dichter Deutschlands. Zum Gedenken an den ungeheuer erfolgreichen Dichter werden auch in St. Goar und Oberwesel mehrere Veranstaltungen im Rahmen des bundesweit gefeierten Jubiläumsjahres angeboten. Gerade in St. Goar und Oberwesel sollte das Andenken an diesen großen Autor und Kämpfer für „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gepflegt werden, bettet er doch immer wieder seine Ideen in Texte ein, denen immer wieder Orte des Mittelrheintales als Kulisse dienen so etwa in „Der Königsstuhl bei Rhens“ mit den satirischen Versen: „Dass du wirst zu Stuhle kommen/Sonsten auch, o deutsches Land!“ In seinem berühmten Nachruf auf die Romantik, eine Hymne an Oberwesel, „Ein Flecken am Rhein“ heißt es bereits: „Dein Reich ist aus! – Ja, ich versteh´ es nicht; Ein andrer Geist regiert die Welt als deiner. Wir fühlen alle, wie er Bahn sich bricht“.
Hoffmann von Fallersleben
Der am 02. 04. 1798 geborene August Heinrich Hoffmann von Fal-lersleben schrieb am 26. 08. 1841 auf Helgoland das Lied der Deutschen. Für ihn als Ausdruck von Sehnsucht nach nationaler Einheit. Reichspräsident Friedrich Ebert erhob das Lied zur deut-schen Nationalhymne. Diese Hymne gilt heute nur noch in der dritten Strophe, weil die erste Strophe im Dritten Reich von den Nazis als Alleinstellungs-Anspruch verstanden wurde. Als Melodie wurde Joseph Haydns Kaiserhymne nach wie vor verwandt. Der Namenszusatz von Fallersleben ist kein Adelsprädikat, sondern ein Unterscheidungsmerkmal. Der Name Hoffmann war weit verbreitet. Hoffmann wohnte in Fallersleben, dem Vorort von Wolfsburg und bekam wegen der besseren Unterscheidung aller Hoffmänner den Beinamen Hoffmann von Fallersleben. 1823 verlieh ihm die Universität Leiden die Ehrendoktorwürde. Am 17. August 1843 trug er im historischen Gasthaus (heute Hotel) zum goldenen Pfropfenzieher sein Deutschlandlied vor Winzern und gleichgesinnten Freunden vor. Hundert Jahre danach erlebte ich als damals Neunjähriger die Hundertjahrfeier mit großem Braunhemdenaufgebot und Hakenkreuzfahnen, Fanfarenklängen, Kampfreden und allgemein erhobenen rechten Armen als Hitlergruß. Ich empfand das als Schmierentheater und erinnerte später, nachdem mein Vater im Norden von Lappland den Heldentod starb, an seine Worte, die er nur meiner Mutter gegenüber geäußert hatte. Er nannte den braunen Emporkömmling einen Säbelrasseler und Kriegstreiber. Noch heute erinnert eine beschriftete Schiefertafel an den denkwürdigen Tag von 1843 an der Frontseite des „Goldenen Pfropfenziehers“. Sie wurde zur Hundertjahrfeier von den Nationalsozialisten natürlich mit einem Hakenkreuz geschmückt, das nach Kriegsende weggestichelt wurde.
Mein Tagelöhner ist zu übereifrig. Er überspringt ganze Jahrzehnte. Ich muss ihn zurückpfeifen. Der Blechtrommler sollte herbei und die Geschichte mit dem Familienerbstück zum Besten geben. Er hat unablässig getrommelt. Als er 1944 im September Brandbomben vom Himmel regnen ließ, traf es nicht nur das Haus des Nachtwächters in der Steingasse. Der halbe Straßenzug ging in Schutt und Asche. Noch heute zeugen Fotos in einem Oberweseler Bildband von dem Ausmaß der Katastrophe. Das Haus des Steuereintreibers mit dem natürlichen Drang nach fremden Röcken brannte und brannte. Kein Stuhl, kein Schrank, kein Tisch, kein Bett blieb heil.
Nachdem das Feuer am nächsten Morgen bis auf einige Rauchschwaden gelöscht war, fand Großvater auf der verblieben Fläche des Untergeschosses ein nur leicht angekohltes, aber ansonsten erhaltenes Holzschnitzkruzifix aus Eiche auf dem reich verzierten Sockel. Zur Stunde des Angriffs wussten wir noch nichts vom Tod meines Vaters Heinrich, der am 12. September 1944 in Lappland den Heldentod für Führer, Volk und Vaterland gestorben ist. Als die Nachricht von einem beleibten, schwarz gestiefelten und ansonsten braun uniformierten Parteibonzen förmlich überbracht wurde, wollte meine Mutter in den Rhein laufen, wenn sie nicht an ihre zwei Söhne gedacht hätte. Die gütige Großmutter Mariechen überließ daraufhin jenes Kruzifix, das seit jeher als Familienerbstück galt, meiner Mutter, weil sie ihren Mann verloren hatte als Pfand. Seitdem steht es als Schmuckstück im Fachwerkgebälk unseres Wohnzimmers. Heute ist Lappland die letzte Wildnis Europas und macht süchtig. Das behaupten Lapplandkenner. Als junger Mann hatte ich davon geträumt, das Soldatengrab meines Vaters dort an der Eismeergrenze zu suchen. Das ist jedoch bei dem Wunsch geblieben. Mutter Betty hat einmal gemeint, vielleicht ist er gar nicht tot, hat eine hübsche Frau dort gefunden und ein neues Leben begonnen. Das hat sie nur einmal geäußert, dann hat sie resigniert. Der 1801 in Wien geborene Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy soll einmal zum Thema Resignation gesagt haben: „Die edelste Nation ist die Resignation.“
Nachts im Museum
Wenn die Gelegenheitsgäste mitsamt den Verlegenheitsbesuchern unser Reich verlassen haben und der schnauzbärtige Henry endlich seine Schlüsselgewalt ausüben wird, dann fährt er mit der feingliedrigen linken Rentnerhand ums Kinn, um das Licht in den Räumen bis auf die Notbeleuchtung herunterzufahren. Dann erst wird er die gläserne Eingangspforte mit seiner Rechten doppelt sichern. Er kennt es aus seiner Jugend. Doppelt genäht hält besser. Henry ist nicht irgendein Museumsbediensteter. Sein einziger Vorgesetzter ist Beamter und sitzt im Rathaus, während Henry die Oberaufsicht mit erhobenem Haupt und mit Adleraugen ausübt, bewacht und bewahrt. Es sind zwar alles leblose Dinge, aber nicht seelenlose. Soll nur einer glauben, die Requisiten aus dem Friseursalon der 1930er Jahre seien tote Gegenstände. Die haben schließlich den Weltkrieg erlebt. Und wer das alles überstanden hat, der kennt Schicksale und allerhand Neuigkeiten. Barbiere waren früher schon die Nachrichtenverbreiter, bevor es Radio und Fernsehen gab. Die Gerätschaften sind gebrauchsfertig, als ob der letzte Kunde eben erst „Grüß Gott“ gesagt hätte. In der nächsten Abteilung begegnen uns die Burger-Stumpen aus der Tabakverarbeitung, die seit 1872 hier im Ort ansässig war. Henry hat eine feine Nase. Wenn er hier vorüber schleicht, vermeint er, Männergeruch zu inhalieren. Wo geraucht wird, da wird auch getrunken. Natürlich. Ende des 19. Jahrhunderts gab es ja Brauereien am Ort. Die Exponate leben heute noch in Henrys Reich. In Gedanken gibt er den imaginären Figuren nächtlichen Freigang in den leeren Räumen. Da geht man zum Friseur, raucht Stumpen und trinkt miteinander Bier. Nur die in den Vitrinen gelagerten Funde von Meerestieren und die fossilen Funde aus der Zeit der Kelten, Römer und Alemannen bleiben auch nachts stumm. Für Henry ist das alter Plunder. Für ihn fängt die Kunst bei den Ausstellungsstücken des Bildhauers an, der vor allem für seine Krippenfiguren hoch geachtet wurde. Mit dem glaubt Henry, einen geheimen Pakt geschlossen zu haben. Er weiß es nicht ganz genau, vielleicht war es auch nur ein Traumgebilde. Dann ist er sich doch sicher, dass es kein Traum gewesen ist, denn jedes Mal, wenn er morgens sein Museum wieder öffnet und seinen Kontrollgang vollzieht, liegen alle Gegenstände wieder an ihrem angestammten Platz, obwohl er sicher ist, dass die „Bande“ ihr nächtliches Unwesen treibt.
Bodo
Bodo wollte seiner Pauline imponieren, fuhr zum Baumarkt und schritt zielorientiert zu den Werkzeugen. Schließlich wollte er im Kellergeschoss eine kleine, aber feine Hobbywerkstatt einrichten. Kurzerhand packte er Hammer, Zange, Hobel, Säge und einen Satz Schraubenzieher sowie einen Satz Kreuzschraubendreher in seinen Einkaufswagen. Den Zollstock brauchte er nicht, den hatte er bereits, den ließ der Klempner mal bei ihm liegen. Die Dübel und Schrauben kaufte er nicht im Baumarkt sondern in dem kleinen Eisenwarengeschäft im Ort. Die wollen ja auch leben. Außerdem lagen die Schrauben dort in der untersten Schublade. Das hatte er mal beobachtet, als sich die vollbusige Verkäuferin mit dem offenen Herzen bücken musste, um das Tütchen zu füllen. Das waren aufregende Augenblicke für ein Männerherz. Nur zu dumm, die Vollbusige war heute nicht im Laden. So ein Pech auch! Jetzt fehlte ihm lediglich noch eine Werkbank. Aber da stand doch seit Jahren der stabile alte Esszimmertisch von Oma. Für die Einmachgläser war der viel zu schade, geradezu unpassend. Die räumte er in das Regal neben die Farbtöpfe mit alten Resten, wenn irgendwo im Haus etwas nach neuer Farbe dürstete. Die eingetrockneten Pinsel wanderten in ein leeres Einmachglas. Bodo schüttete anschließend ein Nitroverdünungsmittel darüber. Damit er sich nützlich machen konnte, zersägte er alle umher liegenden und verstaubten Holzteile. Latten, Leisten, Besenstile, Kanthölzer und Fußbodenleisten. Er sägte sich in Rage, bis sein Oberarm Müdigkeit meldete. So, jetzt war seine Werkstatt eingeweiht. Jetzt noch eine Flasche Pils an den Hals setzen, wie es die Handwerker vormachen. Was ihm überhaupt nicht aufgefallen war, das waren die Sägespuren in Omas Eichentisch. Ob die den überhaupt noch vermissen würde?
Der stattliche Bodo mit dem schwarzen Anzug und einer silbergrauen Krawatte schritt äußerst selbstbewusst durch den völlig besetzten Speisesaal. Mit einem stolzen Zahnpastalächeln war er für die Damenwelt ein ungeahnter Anblick. Selbst die Herren legten ihre Bestecke auf die Damastserviette zurück und schauten diesen gleichgeschlechtlichen Menschen verwundert an. Das ostentative Lächeln der Damen schien ihm zu imponieren. Aber warum halten einige Schönheiten ihre hochwertigen Servietten vor den Mund? Er kam sich zwar vor wie der Kapitän eines Luxusliners, der allabendlich seinen Pflichtgang absolviert. So ausgenommen schön fand er sich nun gerade auch nicht, als er eben noch vor dem Toilettenspiegel stand und sein Erscheinungsbild musterte. Interessant fand er sich schon. Solch grau gewelltes Silberhaar hat schließlich nicht jeder. Jetzt beschleunigte er seine Schritte. Erst als er sich an seinem Tisch niederließ und sein Jackett öffnete, bemerkte er, sein Hosenbund stand offen und der weiße Hemdzipfel grüßte aus dem sperrangelweiten Mittelschlitz. Seine Frau Pauline bekam große Augen und einen hochroten Kopf. Sie drängte zum Aufbruch, winkte dem diensteifrigen Ober, dem mit seinem blitzenden Goldzahn ein dienstbeflissenes Lächeln aus dem dünnlippigen Mund entsprang. Er verstand die Geste von Pauline, die den Zeigefinger an den Daumen rieb. Zahlen bitte. Noch im Taxi überschüttete sie ihn mit unflätigen Tiraden, die selbst der Taxifahrer noch nicht kannte. Der konnte auch nicht ahnen, dass seine Fahrgäste von einem Geburtstagsessen kamen, er mutmaßte, sie kämen von einem Scheidungstermin. Endlich zuhause angekommen, herrschte Sendepause. Es war alles gesagt. Doch kam urplötzlich auch noch seine Schwiegermutter zu später Stunde. Die musterte ihren Schwiegersohn und schüttelte den Kopf: „Ei Bodo, du hast ja einen schwarzen und einen braunen Schuh an. Wie kann das passieren, ist das denn niemandem aufgefallen?“ „Komisch, ich hab da im Schrank noch ein zweites Paar davon.“
Bodo kam nach seinem Werkstatteinsatz nach oben um sich zu duschen, doch die Duschkabine war besetzt. Ottokar, der Neffe war gekommen und duschte stundenlang. Bodo fragte Pauline, was der hier mache. Sie antwortete spitzbübisch: „Wenn du zugehört und keine Zeitung gelesen hättest, dann wüsstest du, dass der sich eine eigene Bleibe einrichtet. Der Bub hat zuhause noch keine sanitären Anlagen, deshalb duscht er bei uns. Und er braucht auch Omas Esszimmertisch, du weißt schon, den alten Eichentisch, der in unserem Keller steht.“
Reifenwechsel war angesagt. Bodo kannte die Regel. Von O bis O, was so viel hieß, wie von Ostern bis Oktober Sommerreifen und umgekehrt Winterreifen von Oktober bis Ostern. Wo war sein Monteuranzug? Vielleicht auf dem Dachboden. Er bestieg die Treppe zum Obergeschoss, kletterte die steile Leiter hoch, um unter der Dachschräge den Blaumann zu finden. In der einen Hand hielt er eine Taschenlampe, doch die gab nach der fünften Stufe ihren Geist auf. Es würde auch ohne gehen. Er würde sich an die Dunkelheit gewöhnen. Nach der nächsten Stufe haute sein Kopf gegen einen Querbalken. Auuaaa. Verdammt! Bodo ließ die müde Taschenlampe in einem Reflex fallen. Sein Körper rutschte unkontrolliert von der Leiter und plumpste in voller Länge auf den Dielenboden. Dann verlor er das Bewußtsein. Pauline hatte den Aufschlag in der Küche gehört, hastete die Treppenstufen nach oben und fand ihren schlafenden Bodo.
Sie schrie: „Boodoo.“ Doch der war in einer anderen Welt. Sie tätschelte seine Wangen mit ihren Händen, liebkoste ihn mit Küssen auf seine geschlossenen Augenlider und auf den Mund. Da erwachte Bodo, tat aber so, als sei er noch bewusstlos. Er spürte nach einer genussreichen Verschnaufpause die Not seiner Pauline und öffnete dankbar seine Augen. Jetzt umarmte er sie sogar, umfasste ihren Körper und zog ihn zu sich herunter. Was ein geplanter Reifenwechsel doch bewirken konnte. So nahe waren sie sich schon lange nicht mehr gekommen. In der darauf folgenden Nacht träumte Bodo von der so plötzlichen Umarmung seiner Liebsten. Warum flüsterte sie ihm so skurrile Sachen zu? „Ich war noch niemals in New York – niemals in einem Hubschrauber, niemals auf dem Mount Everest und noch niemals nachts in einem Museum.“ Er hörte sich antworten: „Nachts sind alle Katzen grau und alle Museen geschlossen.“
Des Glücklichen Hemd
Der König war ein unzufriedener Herrscher. Die Winter waren ihm alle zu eisig, und die Sommer zu lang und viel zu heiß. Er hasste den Kalender, war mit seinen Untertanen gänzlich unzufrieden und empfand Krone und Zepter als lästigen Plunder. Selbst der Leibkoch konnte kein Mahl nach des Königs Geschmack zusammen stellen. Aber er behielt diese Gedanken in seinem Kopf. Kein Mensch sollte je etwas davon erfahren. Eines Nachts erlebte der König einen seltsamen Traum, er träumte von Gott. Der Tag graute für ihn an jenem Morgen viel früher. Er war schon ganz aufgeregt, denn Gott hatte zu ihm gesprochen. Er sprach zu sich: „Wenn der Herrscher aller Himmel mit mir redet, dann will ich seinen Rat noch heut befolgen.“
Er rief seinen fähigsten Kundschafter zu sich und befahl ihm, er möge sofort aufbrechen und so lange nach dem glücklichsten Menschen in seinem Reich suchen, und er dürfe erst dann zurückkehren, wenn er wenigstes einen Glücklichen gefunden habe. Der Kundschafter wiederholte die Worte seines Königs zum Zeichen, er habe seine Order verstanden, verneigte sich bücklings, doch bevor er hinter der goldenen Tür verschwand, gab ihm sein König auf, über diesen Auftrag Stillschweigen zu bewahren. Schließlich wollte er seine Untertanen im Glauben an einen glücklichen König wähnen. Der Kundschafter ging in die Flecken und Dörfer, in Höhlen und Heerlager, befragte die Menschen jeglicher Herkunft und Standes. Doch keiner stand mit dem Glück im Bunde. Schon fürchtete der Glücksucher, sein König werde ihn verdammen, wenn er seinen Auftrag unverrichtet an seinen Herrn zurückgeben müsse. In seinem Inneren wuchs die Furcht vor Versagen. Er war in der Tat schon sieben Tage vergebens unterwegs. Schon wollte er seine Mission vergeblich beenden, da schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Eine innere Stimme, so glaubte er, sage ihm, den Glück-lichen nicht in der Ebene anzutreffen, sondern im Gebirge, fern aller Hast und Eile. Er schnaufte vernehmlich, denn der Pfad verlief steil und in mannigfachen Windungen immer dem Himmel entgegen. Aber dort gab es keine Menschen, die er befragen könnte. Doch da stieg irgendwo ganz oben eine Rauchsäule empor. Er murmelte sich zu: Rauch kommt nicht von selbst. Dort müssen Menschen sein. Der Gedanke an einen Einsiedler ließ seine Schritte beschleunigen. Je höher er den Berg stieg, um so geringer wurde die Vegetation. Er wollte auf keinen Fall seinen Plan aufgeben. Jetzt erst recht nicht. Im Bereich des Gipfels gewahrte er kreisende Vögel. Ob die wohl etwas beobachten? Der Anstieg belastete seine Glieder, doch er bemühte sich um einen gleichmäßigen Atemrhythmus. Die Sonne versprühte ihre angenehme Wärme, obschon die Höhenluft merkliche Kühle verbreitete. Sein Blick haftete auf dem rot glühenden Gipfel und er dachte mit keinem Gedanken an den beschwerlichen Rückweg ins Tal. Was mochte ihn dort bei den Göttern erwarten? Seine Schritte wurden kürzer und langsamer zugleich. Nun verlor er sogar sein Zeitgefühl. Sein Verstand funktionierte noch. Der gebot ihm, eine Rast einzulegen. Er willigte ein und ließ sich auf dem kargen Boden nieder. Seine Seele träumte vom Erfolg seiner Mission, wie er vom König für den erwiesenen Dienst belobigt würde. Es fror ihn vor Kälte und schlug seine Augen auf. Sein erster Blick fiel auf ein Augenpaar wie das eines Bernasenn-Hundes. Mit seinem rechten Handrücken wischte er die Feuchtigkeit der Hundeschnauze von seiner Wange. Dann gewahrte er die stattliche Gestalt eines in Schafsfell gehüllten Mannes, umringt von Schafen und Ziegen. Der Riese sprach ihn an: „Was suchst du hier oben in meiner Einöde?“ „Ich suche einen glücklichen Menschen.“ „Ich bin glücklich, sehr sogar. Dem Himmel nah, mit der Natur verbunden, schlafe in der Grotte, lebe vom reinen Quell und von meinem Vieh.“ Da rief der Ankömmling freudig aus: „Genau das ist mein Begehr. Mein König schickt mich, einen glücklichen Menschen zu finden. Ich danke meinem Schicksal, das mich zu dir auf dem einsamen Berg geschickt hat. Bitte schenke mir für meinen König dein Hemd. In meinem Beutel stecken zwölf Goldstücke. Das ist doch ein guter Preis für dein Hemd, oder?“ Der Mann schüttelte den Kopf und öffnete sein Schafsfell und sprach: „Wie du siehst, trage ich gar kein Hemd, ich besitze nicht ein einziges. Selbst wenn du hundert Goldstücke hergibst, kann ich dir und deinem König nicht dienen. Geh zurück zu deinem Herrn und sage ihm, ich habe die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet.“ Jesaja 61,10
Wer kriegt die Krise?
Krisen sind doch nichts anderes, als unschöne Ereignisse, die meine heile Vorstellungswelt durchlöchern wie die Salatschleuder meiner Küche. Das ist doch Dampfgeplauder, Schlagzeilenhetze, als Korsett für steigende Auflagezahlen. Und schuld daran sind nur die Haie in den Wolkenkratzern, die Bangster. Alles schon mal da gewesen. Gut, nein schlecht, denn diesmal hat es den Globus erwischt. Für manch einen ist es das Scheinleben vor dem Realtod. Oder anders ausgedrückt: Die Menschheit hat sich ein Scheinleben vor dem wirtschaftlichen Realtod vorgegaukelt. Die Immerschonlügner haben ihr rosarotes Lippengebäude sprudeln lassen wie der Hochsommerspringbrunnen in Nachbars Garten. Die Gaukler in den Nadelstreifen haben die Lawine losgetreten. Wenn sie allmor-gendlich den Lift mit ihren sphinxvergrinsten Minen besteigen, stecken sie Steine von der Lawine in ihre Manteltaschen, damit sie nicht abheben. Ihre Körper werfen keine Anstandsschatten. Opa weiß es, hat es immer gewusst. Er erinnert an die zwanziger Jahre in Amerika. Deshalb hat er seine Hypothek auf sein Häuschen rechtzeitig abbezahlt und vor allem auch löschen lassen. Denn die Nadelstreifen, so ein Insiderwissen, verpfänden die Grundschulden sonst weiter.
Wen triffts? Die Häuslebauer in den Staaten sind geleimt worden. Zuerst hat man ihnen billiges Geld gepumpt, bis die Seifenblase geplatzt ist. Plötzlich ging den Banken der Atem aus. Sie leihen dir bei Schönwetter einen Regenschirm und fordern ihn bei Regen wieder zurück. So einfach ist das mit den Unethikern des 21. Jahrhunderts. Wen trifft es noch? Zuerst die Banken, die Wirtschaft, die Autoindustrie samt Zulieferindustrie, das produzierende Gewerbe, die Werbung, die gelbe Post, weil sie immer weniger Briefe auszutragen hat, dank E-Mail-Konkurrenz. Im Lauf der Jahrzehnte sind eine ganze Reihe von einst bekannten Marken verschwunden: Auto-Union, Bordward (nein Frau Petra Gerster, das ist nicht der mit den drei Rädern), Büssing, DKW, Hanomag, Henschel, Horch, Horten, Mannesmann, Messerschmitt, Nordmende, NSU, Quelle, SABA, Telefunken, Zündapp, Schlecker. Sie leben nur noch in der Erinnerung, hatten Anteil am Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg. Alle haben Schicksale hinterlassen. Es ist müßig, nach den Gründen zu fragen. Missmanagement und Auslassen von Chancen, sträfliches Festhalten an alten Strukturen und Negierung des Marktgeschehens.
Wen trifft es noch? Das Klima, die Raucher, das Thema Aids, Schweinegrippe, die Bahn mit veraltertem Güterpark und folgedessen mit Bahnlärm, der krank macht. Die Lufthansa hat bereits reagiert und ihren Winterfahrplan verschlankt. Wer noch steckt in der Krise? Israel und die Palästinenser, Afghanistan und sein, oder doch nicht Krieg? Unser zweitliebstes Kind, das Fernsehen, hier vornehmlich die seichten Programme und nicht zuletzt die Parteien. Stichwort: Politikverdrossenheit. Auch der Profifußball hat seine Krise, ausgelöst durch die Schattenseite eines talentierten Ausnahmetorhüters, der in Selbstzweifel verfiel und einer inneren Ausweglosigkeit folgend, sich vor den Zug warf. Robert Enke ist ein warnendes Beispiel an vorderster Front. Der Erwartungsdruck einer Nation raubte einem sensiblen Menschen die Freude am Sport und damit die Lebensfreude. Versagensangst kann tödlich sein!
Selbst der Papst bleibt nicht verschont und sogar Gott persönlich. Aber der wäre nicht Gott, wenn er nicht reagiert hätte. BILD druckte die Lösung: Ein Rabbiner sagt zu Gott: „Hilfe, mein Sohn ist Christ geworden, was soll ich bloß tun?“ Gott beruhigt ihn: „Mach dir nichts draus, mein Sohn ist auch Christ geworden.“ Der Rabbiner fragt weiter: „Und was hast du getan?“ Gott antwortet: „Ich habe ein neues Testament geschrieben.“ Oder wie wäre es mit: „Warum gibt es in den Kirchen keine Toiletten?“
„Sonst würden noch mehr Menschen austreten.“
Hätten die Markenleichen zu Lebzeiten auch ein „Neues Testament“ geschrieben (sprich weitsichtige Vorkehrungen getroffen), könnten sie heute noch mitmischen. Waren sie denn alle Wasserbüffel, also Sturköppe? Bestimmt nicht. Sie vertrauten ihren Prinzipien, hatten nur versäumt, sie immer wieder infrage zu stellen. Die Krise verhält sich wie eine Pandemie, ist ansteckend, grenzüberschreitend, weltumspannend. Wenn Amerika hustet, bekommt Europa oder auch Japan die Grippe. Wo lauern weitere Gefahren, wohin führt die Spirale? Arbeitslosigkeit, Existenznot, Radikalismus, Armut, Sittenverfall, Depression! Aber die Krise hat ein Heer oft unterschätzter Gegner. Das sind die Optimisten. Yes, we can-Leute. Das ist das Prinzip Hoffnung, Vertrauen, bergeversetzender Glaube, die Achtung, besser noch die Hochachtung vor den Menschen, kluge Köpfe in den Akademien der Wissenschaften, Leute vom Schlag eines Alexander von Humboldt, Max Planck oder Gerhard Mercator. Heute hat man erkannt: „Wissen ist der erste Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt.“ Darüber lohnt es nachzudenken. Die Welt braucht jetzt neue, umweltverträgliche Technologien, damit die Allmutter Natur nicht kollabiert und alle Hoffnung mit der Titanic untergeht.
Wenn Bundespräsident Köhler sich für ein verstärktes Eingreifen zur Bändigung der Profitgier ausspricht und weniger dem Prinzip Hoffnung folgt, weil sich auf den Finanzmärkten schon wieder Hütchenspieler im Chadow-Banking tummeln mit intransparenten Derivatengeschäften und Spekulationen auf den Rohstoffmärkten, dann werde erst recht ein starker Staat gebraucht, der dem Marktgeschehen klare und wirksame Regeln vorgibt. Eine Reform der Finanzordnung verlange die Beteiligung der Gewerkschaften. Die betriebliche Mitsprache der Arbeitnehmer sei ein „Produktions- und Innovationsfaktor ersten Ranges.“ Allerdings habe die Praxis der Mitbestimmung in Einzelfällen auch zu Kungeleien geführt. Dagegen sei Wachsamkeit geboten und nötigenfalls auch Reformen.
Hinzert ist ein bescheidener Ort auf dem Hunsrück in der Nähe von Trier.
Hier entstand 1938 ein Barackenlager der Deutschen Arbeitsfront. Dort wurden die Arbeitstrupps für den Westwall untergebracht. Im Oktober 1939 wurde das Lager als Polizeihaft- und Erziehungslager eingerichtet. Man sprach von disziplinarischen Behandlungen, von dreiwöchiger Umerziehung von Arbeitsscheuen, die zu Arbeiten am Westwall oder an den Reichsautobahnen zwangsverpflichtet waren. Im SS-Sonderlager Hinzert wurden Rückfällige, notorische Faulenzer und Gewohnheitssäufer inhaftiert. Dazu gesellten sich bis 1944 rund dreißig weitere Außenlager, die dem Lager Hinzert unterstellt wurden. Ihre Aufgaben: Feldflugfelder, Landebahnen zu errichten und Bombentrichter einzuebnen. Im Juli 1940 wurde das Lager von der Inspektion der Konzentrationslager übernommen mit dem Status eines KZ-Hauptlagers. Begriffe wie: Wiedereindeutschung, Arbeitserziehung und Schutzhaft gehörten zum Sprachgebrauch. Ab 1942 sollen zweitausend Gefangene aus Frankreich und Benelux dort eingeliefert worden sein. Selbst ehemalige französische Fremdenlegionäre deutscher Herkunft wurden hier untergebracht. Bis zur Räumung 1945 durchliefen rund 14.000 männliche Häftlinge das Lager zwischen 13 und 80 Jahren. Die Kapazität war für nur 560 Häftlinge vorgesehen, in Wirklichkeit jedoch bis zu 1500 Menschen überbelegt. Die Toten sind mit 321 belegt. Nach Aussagen von den überlebenden Lagerinsassen und nach Recherchen der französischen Militärverwaltung wird die Zahl der Toten auf eintausend geschätzt.
Hinzert galt nicht als Vernichtungslager, es gab keine Tötungsanlagen, wie Gaskammern. Dennoch kam es durch Sonderbehandlungen des Lagerpersonals Ende 1941 zum Mord an siebzig sowjetischen Politkommissaren und dreiundzwanzig luxemburgischen Widerstandskämpfern durch Erschießen oder durch Giftspritzen. Die Leichen wurden in der Nähe des Lagers im Wald verscharrt.
Natürlich gibt es Gedenkstätten. Bereits 1945 errichteten Luxemburger Bürger das sogenannte „Hinzerter Kreuz“. Der Gedenkstein ist in Deutsch und Luxemburgisch beschriftet. Seit 1946 hat die französische Militärregierung auf dem Gelände des ehemaligen Mannschaftslagers einen Ehrenfriedhof errichtet. Hier ruhen alle in den Massengräbern gefunden Leichen, die nicht mehr identifizierbar waren. Die Friedhofskapelle wurde am 4. November 1948 eingeweiht. Am 11. Oktober 1986 wurde auf dem Friedhof ein Denkmal des ehemaligen luxemburgischen Häftlings Lucien Wercollier als zentrales Mahnmal eingeweiht. Die Inschrift in lateinisch und deutsch lautet: „In ardorem humanitatis, pacis et iustitiae“, zu deutsch: „Durchdrungen von Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit.“
(Quelle: Wikipedia)
Schlagzeilen aus meiner Jugend
Der Engländer Percy Shaw erfindet 1934 die Reflektoren (Katzenaugen für den Straßenverkehr)
Schalke 04 wird deutscher Fußballmeister am 24. Juni 1934 gegen den FC Nürnberg.
1937 Luftschiff Hindenburg explodiert beim Landeanflug auf New York.
1938 Reichskristallnacht
Hitlers haßerfüllte Hetzrede gegen die Juden lieferte das Alibi für die SA zur Reichskristallnacht am 9. November. Die Gefolgsman-nen der SA demolierten und plünderten 7500 jüdische Geschäfte und 190 Synagogen in Deutschland und steckten diese in Brand. Anschließend forderten die Nazis von den Geschädigten Bußgelder in Milliardenhöhe. 30.000 Juden wurden verhaftet und von der SS in Konzentrationslager verbracht. Man nahm ihnen Führerscheine ab und verbot jüdischen Kindern den Besuch in deutschen Schulen. Ärzte und Apotheker verloren ihre Zulassungen. Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März in Österreich. Am 31 März lehnt US-Präsident Franklin D. Roosevelt eine Allianz mit europäischen Staaten gegen Hitler ab.
Die letzte Augenzeugin Resi, geborene Windhäuser in meinem Heimatort Oberwesel (inzwischen verstorben) wohnte im Obergeschoss der heimatlichen Synagoge und erlebte dort, wie Oberweseler Nazis die Räume schändeten. Sie warfen das gesamte Interieur mitsamt sakralen Gegenständen in den vorbeifließenden Bach und verbrachten flüssigen Teer in die Synagoge. Das hat sie mir bei einem Glas Wein authentisch in ihrem Dialekt erzählt, als die Bürger in Braun wie im Rausch gewütet hatten mit hochroten Köpfen und Schaum vor dem Mund. Ja, sie hat sie sogar beim Namen genannt. Nein, sie leben nicht mehr. Um deren Nachkommen nicht für die Untaten ihrer Vorfahren zu bestrafen, verschweige ich die Namen der Übeltäter.
Hitler legt am 26. Mai 1938 vor 70 000 Menschen den Grundstein für das Volkswagenwerk im Dorf Wolfsburg. Hermann Göring ordnet am 22. Juli Zwangsarbeitsverpflichtungen zum Bau des Westwalls an. Am 1. Juli wird die Beamten-Arbeitszeit auf 51 Stunden festgelegt In Italien wird am 1. September 1938 die Neuansiedlung von Juden verboten. Alle nach 1918 eingewanderten Juden werden ausgewiesen
Das Kreuz mit dem Kreuz
Dem Erlass des Reichsministers für Wissenschaft und Bildung vom 26. Juni 1937 zufolge war dem Bild des Führers in den Schulklassen ein bevorzugter Platz einzuräumen. Jeder wußte, dieses Privileg gehörte dem Kruzifix. In der Bischofsstadt Trier verfügte der Regierungspräsident das Anbringen von Führerbildern an den Vorderwänden der Schulräume. Die Kruzifixe sollten weichen. Das war in den katholischen Gegenden wie die Faust aufs Auge. Die Bürger protestierten mit Blitzaktionen. Sie drangen nachmittags in die offenen Schulklassen ein und hängten die Kruzifixe wieder auf, neben das Führerbild. Der Streit schwelte über Jahre. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und leitete Strafverfahren ein. Doch ein Führererlass hob sie wieder auf. 1939 forderte die Gaupropagandaleitung von den Ortsgruppen Berichte über die Reaktion der Bevölkerung auf den Kruzifix-Erlass. Man tat so, als habe es nie Unruhen gegeben. In Bayern war der Widerstand sehr heftig. 1941 schließlich erregte der Kruzifix-Erlass mehr Aufsehen als der Truppen-Einmarsch in Rußland. Der massenhafte Widerspruch aus der Bevölkerung, von Priestern, Lehrern und ehrenamtlichen Bürgermeistern hatte Erfolg. Noch im gleichen Jahr wurde der Erlass klammheimlich zurückgenommen. (Hildegard Kohnen: „Wir vom Jahrgang 1934, Kindheit und Jugend“ Wartberg Verlag 2008)
Die Judenhäuser wurden natürlich in der deutschen Bevölkerung willkommen geheißen. Bevor die unerwünschten Menschen ihre Bleibe verließen, verschenkten sie brauchbare Dinge an die Nachbarn. Mein Großvater war Stammgast in einer kleinen Kneipe und zufällig anwesend, als er Zeuge einer Bücherverteilung wurde. Von dem 24-bändigen Lexikon trug er stolz zwei Bände nach Hause. Welch ein Hohn! Der Rest wurde auf die Stammtischrunde verteilt. Die beiden jüdischen Schwestern Lina und Hertha Marx wohnten in der Pliersgasse, unten links. Das Haus trägt auf der Spitzecke oberhalb der ersten Etage heute noch eine steinerne Gesichtsmaske, typisch für ein jüdisches Männergesicht.
Natürlich gibt es in meinem Heimatort eine Gedenktafel mit den Namen aller jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Sie steht am Schaarplatz an prominenter Stelle mit Blick auf die nahe Synagoge.
9. April 1940 Deutsche Truppen besetzen Dänemark und Norwegen.
10. Mai 1940 Besetzung der Niederlande, Belgien und Luxemburg. 12. Mai 1940 Beginn des Blitzkriegs in Frankreich.
10. Juni 1940 Italien erklärt den Krieg gegen Frankreich und Groß-britannien
14. Juni 1940 Deutsche Truppen besetzen Paris.
11. Februar 1941 Truppen unter Rommel besetzen Tripolis.
Am 22. Juni 1941 beginnt der Russland-Feldzug.
1. September 1941 Polizeiverordnung zum Tragen des Judensterns.
7. Dezember 1941 Japanischer Überfall auf Pearl Harbour mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg.
20. Januar 1942 Beginn der systematischen Judenvernichtung
31. Januar 1943 Hitlers 6. Armee kapituliert vor Moskau. (90 000 Soldaten gehen in Gefangenschaft).
19. April 1943 Judenaufstand im Warschauer Ghetto mit mehr als 50 000 Mordopfern.
Sankt Werner,
du mein Schutzpatron
Jüngling brav und rein
Bitt für mich bei Gottes Thron
Lass wie du mich sein
Du warst so jung und doch ein Held
Heilger Werner du
Dir jubelt mit der ganzen Welt
Dein Oberwesel zu
In meiner Kindheit wurde im April der Wernertag festlich begangen mit einer Prozession durch die Wernerstraße, Koblenzer Straße und Königsweg zum St. Werner-Krankenhaus. Die Straßen wurden mit Fahnen und Maiengrün geschmückt und die Statue des damals noch heiligen Werner wurde von vier Jünglingen auf einer Lafette auf der Schulter unter den Klängen der Blaskapelle wie ein Heiligtum verehrt. Zu Ehren des Pseudo-Heiligen wurde die gotische Werner-Kapelle mit einem Zwiebelturm versehen. Es ist weit und breit die einzige Kapelle, die über eine Straße gebaut wurde, unter der sogar Lastwagen durchfahren können.
Mit dem gewaltsamen Tod des Burschen Werner aus Womrath im Hunsrück wurden die Oberweseler Juden beschuldigt, den Knaben am Karfreitag 1287 ermordet zu haben. Daraufhin wurden vierzig Juden in Oberwesel und Boppard erschlagen. 1337 kam es durch umherziehende Judenschläger zu tödlichen Übergriffen und Plünderungen der Judenhäuser. Mit dem Gegenwert der Beute sollte die Kapelle in Bacharach eine finanzielle Unterstützung erfahren. Der Erzbischof Balduin von Trier zwang die Stadt Oberwesel, die Schulden der Juden zu begleichen. 1349 während die Pest wütete, wurde die mittelalterliche jüdische Gemeinde völlig vernichtet. Erst 1462 kam es zur erneuten Ansiedlung von Oberweseler Juden. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Anzahl der jüdischen Einwohner auf 15, l808 waren es 33, 1830 dann 43 und 1890 schließlich 53 gemeldet. Im Jahre 1910 ging die Zahl infolge Abwanderung und durch Sterbefälle auf 41 zurück. Im Mittelalter galten die Juden als Geldverleiher und waren vermögend, zum Teil mit mehreren Häusern. Das brachte ihnen in der Bevölkerung zwar Achtung, jedoch auch Verachtung und selbst Hass ins Haus. Der heilige Werner wurde 1963 vom Bistum Trier aus dem Heiligenkalender gestrichen, nachdem katholische Kirchenhistoriker wegen innerer Widersprüche die Auffassung vertreten hatten, dass es sich um einen Sexualmord gehandelt habe. Die ehemalige Werner-Kapelle wurde in Mutter-Rosa-Kapelle umgetauft. Aber die Werner-Straße entlang der rheinseitigen Ringmauer existiert noch, ebenso die St.-Werner-Nachbarschaft. Jedenfalls hat meine ehemals jugendliche und religiöse Einstellung durch den zwar nachvollziehbaren Sinneswandel der katholischen Kirche einen Knacks erlitten. Für mich ist die inzwischen nebulöse Existenz des Werner ein Phantom. Der Fundort seiner Leiche wird einmal in Bacharach und zum anderen in Oberwesel angegeben. Für Bacharach spricht die weithin sichtbare gotische Werner-Ruine. Demnach soll der „heilige“ Leib gegen den Strom getrieben sein. Sollte Werners Leiche jedoch in Oberwesel aufgetaucht sein, weshalb dann die Werner-Ruine in Bacharach? Heute steht fest: Werner war nie ein Heiliger. Lediglich im Bistum Trier galt er als verehrungswürdig.
Der Blick zurück auf das Jahr 1942 erinnert an den Fliegeralarm und an die Lebensmittelkarten, Reichsfleischkarten oder an die Reichskleiderkarte, zerbombte Städte wie: Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, Koblenz, Mainz, Frankfurt, Darmstadt und all die übrigen Städte, kaum ein Platz, der von den Kriegseinwirkungen verschont geblieben ist. Selbst unsere eigene kleine Heimat blieb von Bomben nicht verschont.
Der Rebell in Hermann Hesse
Wer kennt sie nicht, die Pop-Ikone der Literatur für die Hippies der vergangenen 60er Jahre? Seine Sehnsucht nach imaginären Reisen ins Innere fand seine Anhänger zwischen Beat und Rock. Die Rede ist von dem deutschschweizerischen Schriftsteller Hermann Hesse. Er galt als Außenseiter, bis er seinen „Steppenwolf“ auf die Menschheit los ließ. In der Zeit von Hitlerdeutschland nutzte Hesse das Pseudonym Emil Sinclair. Bis heute zählt Hesse zu den Autoren mit mehr als 120 Millionen verkauften Bücher weltweit. Zum Gedenken an seinen 50. Todestag am 9. August 1962 geizten die Gazetten des Euro-Zeitalters nicht mit Lobeshymnen. Hier einige Beispiele aus der „Zeit“ vom 9. August 2012 von Benjamin Lebert: 1877 wurde Hermann Hesse in Calw im nördlichen Schwarzwald geboren. Sein Vater Johannes war Sohn eines Arztes aus dem Baltikum, seine Mutter Marie kam als Missionarstochter in Indien auf die Welt. Der Hesse-Clan war kinderreich. Die Eltern waren beide Missionare und in Gedanken vom Pietismus geprägt. In ihrem Tagebuch gibt es eine Notiz über ihren Sohn: „Hermännle hatte morgens die Schule geschwänzt, worauf ich ihn ins Gastzimmer einsperrte.“ Doch ihr Sohn sagte: „Das hilft Euch nicht viel, wenn Ihr mich dahin thut, ich kann da zum Fenster hinaussehn und mich unterhalten.“ Und am Abend sang der Bub im Bett: „Gelt, ich singe so schön wie die Sirenen und bin auch so bös wie sie.“ In ihrer Überforderung durch den ungeratenen Jungen übergaben sie den aufgeweckten Kerl in ein evangelisches Internat. Mit Zwölf liest Hesse Hölderlins Gedicht „Die Nacht.“ Mit sechzehn beschließt er, Dichter zu werden oder gar nichts. Der Übermacht der Lehrer gegenüber ist er feindlich gesinnt. Er sollte Theologe werden. Doch aus dem Kloster Maulbronn läuft er eines Morgens fort und bleibt den restlichen Tag und die Nacht darauf verschwunden, bis ein Landjäger den Ausreißer wieder zurückbringt. Es folgt eine Zeit der inneren Zerrissenheit und zur Nervenkrise. Hier beginnt sein Kampf gegen die religiöse Tradition der Familie und somit gegen alle Autoritäten. Mit fast sechzehn Jahren unternimmt er einen Selbstmordversuch, der jedoch mißglückt, ein Grund für die Einweisung in eine Anstalt im Remstal. Im gleichen Jahr erneuter Schulversuch auf dem Gymnasium in Bad Cannstatt. Auch hier scheitert Hesse. Danach 1893 Lehrvertrag bei einer Buchhandlung in Esslingen. Doch bereits nach drei Tagen wirft der Lehrling die Lehre hin. Endlich 1894 beginnt Hesse ein Praktikum in der mechanischen Werkstatt der Calwer Turmuhrenfabrik Perrot. Die Arbeit liegt ihm. Drehbank mit Fräsen, Bohren Feilen und Löten und gelegentliches Klettern im Kirchturmgebälk, als Helfer beim Aufhängen der Glocken, das ist eine Wende in seinem Fortkommen. Er schien langsam erwachsen zu werden. Und er beginnt leidenschaftlich mit dem Lesen. Seine Eltern besitzen eine Bibliothek aus Großvaters Überlassenschaft. Das Refugium fasziniert den jungen Hesse. In seinem Kopf schwirren Geschichten und Stimmen, die ihm zuflüstern, Schriftsteller zu werden. Ab Herbst 1895 wird er Buchhändlerlehrling in Tübingen, schreibt Verse und veröffentlich den kleinen Prosaband Die Stunde hinter Mitternacht. Danach beginnt Hesse Reisen, berührt mit den Fingerspitzen zum ersten Mal, wie sich Freiheit fühlt. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1903 erschein der Roman, der Hesses Ruhm begründet. Peter Camenzind. Der Romanheld Camenzind ist ein Bauernjunge aus dem kleinen Dort Ninikon. Er wird von seinem Vater körperlich gezüchtigt. Er will Dichter werden und wünscht sich, mit der Natur in Einklang zu leben. Es ist nicht schwer, den Text als autobiografisches Werk zu verstehen. Ihm wird nachgesagt, er sei nichts als ein Heile-Welt-Onkel, ein Verseschmied für Postkarten, ein verklärend, klebrigsüßer und kitschiger Sinnsucher. Nein, scheinheilige Worte passen nicht zu ihm. Er läßt seine Figur Harry Haller aus dem Steppenwolf folgenden Text sprechen: Es brennt in mir eine wilde Begierde nach starken Gefühlen, nach Sensationen, eine Wut auf dies abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, etwas kaputtzuschlagen, ein kleines Mädchen zu verführen oder einigen Vertretern der bürgerlichen Weltordnung das Gesicht ins Genick zu drehen.
In einem Brief an seine Eltern schreibt er als 15-jähriger Schüler:
„Wenn ich vor Monaten mein jetziges Leben gesehen hätt, hätte ich es für einen bösen Traum gehalten. Dieser kalte, halb gelehrte, halb praktische Pfarrer mit seinen Predigten, diese ungebildeten Wärter, diese Kranken mit den abstoßenden Gesichtern und Manieren, etc, etc, alles ist mir in der Seele verhasst und wie gemacht, einem jungen Menschen zu zeigen, wie elend dieses Leben mit allem ist.“
Hesse hat immer einen scharfen Blick auf die Wirklichkeit gelenkt. Als der erste Weltkrieg ausbrach und euphorisch gefeiert wurde, kam die Zeit, da er sein Eheglück verlor und als Vaterlandsverräter gebrandmarkt wurde. Später, als sich das Nazireich breit machte, erhob Hesse erneut ernste Worte. Das Romantisieren in seinen Büchern hörte sich an wie Etwas-behaupten-wollen gegen Widerstände. Ach, es gibt zu Hesse so viel zu sagen. Er war zeitlebens ein Suchender. Seine drei Ehen haben ihm kein Glück beschert. Glück allein empfand er nur beim Schreiben, vielleicht auch bei diesem Gedicht:
Sonne leuchte mir ins Herz hinein,
Wind verweh mir Sorgen und Beschwerden!
Tiefere Wonne weiß ich nicht auf Erden,
Als im Weiten unterwegs zu sein.
Nach der Ebne nehm ich meinen Lauf,
Sonne soll mich sengen, Meer mich kühlen;
Unsrer Erde Leben mitzufühlen,
Tu ich alle Sinne festlich auf.
Schneeflöckchen
Es war einmal ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen und mit einer lustigen Stupsnase. Es hieß Bettina nach ihrer Großmutter Barbara oder auch Betty genannt und saß in der warmen Stube am Fenster, während draußen im Winter ein schneeschwerer Himmel für eine frühe Dämmerung sorgte. Ihre Großmutter sagte zu ihr: „Es riecht nach Schnee.“
„Oma, was ist Schnee?“ „Das will ich dir erklären. Regen kennst du ja. Und wenn es kalt wird draußen in der Natur, verwandeln sich die Regentropfen auf ihrer langen Reise vom Himmel allmählich in ganz zarte Schneeflocken. Und weil sie so leicht und hauchdünn sind, tanzen sie fröhlich zur Erde. Wenn du Glück hast, kannst du das heute noch erleben.“ „Oh, dann möchte ich mal Glück haben.“ Die Großmutter legte ihre zerknitterte Hand auf Bettinas Kopf und drückte ihr einen warmen Kuss auf die Stirn. Es dauerte auch nicht lange, als die ersten Schneeflocken vor dem Fenster wie Federn zur Erde tanzten. Bettina drückte ihre kleine Nase an der Fensterscheibe platt und beobachtete mit ihren blauen Kulleräuglein tatsächlich die weißen Flöckchen, wie sie miteinander wetteiferten, endlich unsere graue Erde in eine einzige weiße Pracht zu verwandeln. Aber das war noch lange nicht so weit. Ja, die fielen zwar auf den Boden, aber der Bürgersteig mochte sie wohl nicht. Dort hinterließen sie nur ein Nichts. Bettina fand es schade und bekam Mitleid mit den ersten Flöckchen. Da haben die sich so beeilt, zu uns zu kommen. Die Großmutter erriet ihre Gedanken und sagte besänftigend: „Nicht traurig sein, mein Kind, da kommen ja noch Tausende hinterher. Das wirst du bald sehen. Sieh mal drüben zur Straßenlaterne. Da ist der Boden kälter als bei uns vor dem Haus. Dort bleiben sie schon liegen.“ „Und warum ist es bei uns weniger kalt?“ „Weil wir im Haus nicht frieren wollen, hat der Opa den Kachelofen angezündet. Und eine warme Wand strahlt immer ein wenig Wärme auch nach draußen.“ „Das hab ich jetzt verstanden.“ Langsam verwandelte sich die Dämmerung zur Nacht. Die Großmutter zündete eine von den dicken Kerzen an. Da kam auch der Großvater aus dem Stall in die Stube und legte drei Holzscheite in den Kachelofen, dass es knisterte. Der alte Schäferhund Bello döste daneben und träumte vom Hundehimmel. Auf dem Küchenherd brodelte bereits die Brotsuppe im Topf. Erst als Oma Betty die Teller verteilte, wandte sich Bettina um und sagte voll Begeisterung zum Opa: „Opi, ich freue mich ganz doll, weil es schneit. Viele wunderschöne Schneeflocken kommen uns besuchen.“ Der Opa seufzte hörbar und erwiderte: „Hoffentlich bekommen wir einen milden Winter und nicht so viel Schnee. Der Bello hat jetzt noch die Schnauze voll vom letztjährigen Winter.“
Bettina blickte verächtlich zu ihrem Großvater und meinte vorwurfsvoll: „Weil du die Stube so heiß machst, müssen die jungen Schneeflocken draußen vor dem Haus schmelzen!“
Opa hingegen meinte, viel Schnee mache auch viel Mühe, die Gehwege zu fegen und mit Salz abzustreuen. Da wurde die kleine Enkelin richtig böse, als sie das hörte. Sie protes-tierte vor dem Opa wie eine Erwachsene: „Von dem Salz bekommen die Hunde wunde Pfoten. Ich glaube, die kleine Enkeltochter muß jetzt in die Heia, es wird Zeit für kleine Kinder. Der Mond steht schon am Himmel.“ „Das stimmt überhaupt nicht. Der Mond ist nicht da. Der Himmel hängt voll dichter Schneewolken.“
Oma Betty schnappte sich wortlos das kleine Mädchen, drückte es an ihren Leib und brachte es hinauf in ihr Schlafzimmer. Dort beteten sie gemeinsam das Schutzengelgebet, Oma machte der Kleinen ein Kreuzzeichen auf ihre Stirn und sagte: „Gute Nacht und träum etwas Schönes.“ Bettina schlug ihre Arme um Omas Hals, drückte sie ganz fest, drehte sich zur Seite und schlief ein. Aber in Wirklichkeit blieb sie noch eine ganze Weile wach und dachte noch lange über die Schneeflöckchen nach, wie sie lautlos zur Erde tanzten und sich nach ihrer Landung auf dem Boden ineinander kuschelten, nebeneinander und übereinander, wie sie sich freuten, jetzt bei den Menschen auf der Erde zu sein. Es muß ja ein sehr weiter Weg gewesen sein. Vielleicht sind sie auch müde wie ich. Diese Gedanken begleiteten sie auch in ihren Träumen. Sie sah sich mit Frau Holle auf einem Berg voller Wolken und half ihr, das Bettzeug der Engel auszuschütteln. Und während Bettina diensteifrig half, trat der Knecht Ruprecht heimlich hinzu und knotete die Bettlaken zusammen, um sich daran zur Erde hinab zu lassen. Sie glaubte zunächst an einen Rapunzel-Ruprecht. Aber den kann es wirklich nicht geben. Noch nicht einmal im Märchen.
Da gab ihm die Frau Holle einen Fußtritt, dass er hinterrücks einen Purzelbaum schlug und brüllend hinter der nächsten Wolke verschwand. Am nächsten Morgen war Bettinas erster Weg ans Fenster. Oh welche weiße Pracht. Die Straßenlaterne hatte einen dicken weißen Hut auf. Selbst die sonst kahlen Äste der Bäume trugen schneeweiße Zierstreifen, und die wintertristen Wiesenmatten erfreuten sich der schützenden Laken aus Schnee, die sich wie frisch gewaschene Bettwäsche adrett ausgebreitet hatten. Aber Bettina trauerte nun um die wenigen Vögel, die nun bei dieser dichten Schneedecke kein Futter mehr finden würden.
„Müssen die Vögel jetzt verhungern?“ Die Oma schüttelte ihr silbernes Haar und meinte, sie werde jetzt etwas von dem Hühnerfutter auf dem inzwischen geräumten Gehweg streuen. Da meldete sich der Opa zu Wort und entgegnete, das würde nur Ratten und sonstiges Ungeziefer anlocken. Aber Bettina ließ nicht locker. Sie hatte da eine bessere Idee: „Opa, warum bist du so böse gegen die Vögel?“ Das Wort hartherzig kannte sie noch nicht. „In der Scheune liegt doch Krimskrams herum. Damit kannst du für die Vögel ein Häuschen bauen. Das befestigst du im Baum auf einem Ast. Da kommt bestimmt keine Ratte hin.“ Der Opa schmunzelte über seine naturverbundene Enkelin, nahm Oma und Bettina in den Arm und sagte voll Stolz: „Mit euch Beiden möchte ich Hundert werden, damit ich erlebe, wie unsere kleine Bettina mal eine Karriere als Tierärztin oder als Biologin macht. Das goldene Herz dazu hat sie.“ Als er das sagte, erhob sich Bello, der Haushund und gab seine Zustimmung mit „Wau, wau, wau.“
Noch zwei Aussagen von Hesse zum Leben:
Es gibt keine Norm für das Leben.
Wer nicht in die Welt paßt, der ist immer nahe dran, sich selber zu finden.
Sein wohl berühmtester Vers wird immer wieder zitiert:
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
…
Was immer auch über Hermann Hesse geschrieben wurde, wird er immer ein Dichter der Jugend bleiben. Er feierte als „Steppenwolf“ das aufbegehrende Lebensgefühl eines Außenseiters.
Die einen reden von Dusel, andere von Glück oder gar von schicksalhafter Fügung, wenn eine plötzliche Wendung zu unseren Gunsten eingetreten ist.
„Engel sind die ausgestreckten Hände Gottes mitten in unserem Leben.“ (Aus einem Pfarrbrief meiner Heimatstadt)
Dieses Zitat hat etwas Tröstliches für uns Menschen. Das hat selbst der Literaturpapst MRR in seinem Leben mehrfach erfahren. Wie sonst hätte er dieses biblische Alter erreicht
Marcel Reich-Ranicki (92) findet in der Religion keinen Trost. Mit seinen über 90 Jahren steht ihm laut eigener Aussage der Tod immer vor Augen. Mit dem Gedanken an den Tod kann man nicht fertigwerden. Er ist völlig sinnlos und vernichtend,“ sagt der Literaturkritiker dem „Focus“. Und O-Ton: Es gibt kein Weiterleben nach dem Tod. Das ist Wunschdenken.
Das Leben ist endlich. Lebe endlich!
(am Stammtisch belauscht)
Lesermeinungen
Mir kommt der gesamte Text wie eine Grabung des Autors vor, bei dem sehr unterschiedliches, überwiegend auf für den fremden Leser Interessantes zutage gefördert wird. Für diesen sind wohl am wenigsten von Bedeutung die rein verwandtschaftlichen oder nachbarschaftlichen Beziehungen, die hin und wieder ausgebreitet werden. Wir wollen aber davon reden, was mir angenehm war beim Lesen. Zunächst das Landschaftsbild mit den kleinen Städten am Mittelrhein. Früher bin ich oft dort gewandert, kenne die meisten Wege zwischen Koblenz und Bingen und fast alle Orte. Sehr angetan war ich vom Einschub des Zeitungszitats aus 1934 über Van der Lubbe, erschreckend die Details. Dergleichen sollte man öfter hervorkramen. Notiert habe ich mir die Auslassung über die Geselligkeit im Gesangverein, wo private Probleme außen vor bleiben.
Damit ist ganz knapp umrissen, was mich schon früh am Vereins-leben gestört und lebenslang von ihm fern gehalten hat. Ja und dann die Sache mit dem Vanillepudding auf der Fensterbank (nach einer halben Stunde bereits mit Russ belegt), das ist Kohlen-pottromantik. Ich erinnere mich, dass uns dies um 1960 im Saarland, wo ich aufwuchs, auch so erging. Dann wieder allgemein über das heutige Lohndumping bei der Zeitungszustellung.
Und zuletzt finde ich den Trick, wie man die verborgenen Spuren einer Schrift lesbar machen kann. Das will ich ausprobieren. Im Ganzen mit Gewinn gelesen. (Arno Abendschön)
Das hier ist genau wie Dein Goldrausch ein Zeitdokument. Ein Muss für die Historiker. Auch die Filme dieser Zeit als Markierung dieser Epoche. Das ist Geschichtsunterricht. Für mich als 42ziger Geburtsjahr hoch interessant. (Thomas Glanz)
Das ist mehr, als eine Zugabe. Es liest sich leicht und locker. Man erlebt das Geschriebene, als hätte man es selbst erlebt. In Vielem findet man sich wieder. (Gerhard Spingath)
Biographie...
Wanderung durch ein Menschenleben... Ich habe gerne darin gelesen, die Schilderungen, als Ihr die Familie gründeten und die Söhne flügge wurden. Und ich habe sie gelesen, die Gedanken von Tiziano, einfach Klasse! Danke für den Hinweis! Werde sicher bald einmal in den Seiten weiterlesen....
Gerne mein Stern für die Schreibweise.
(Gabriele Ende)
Texte: Copyright by Karl-Heinz Link
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2012
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