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„Schätzche, was mache mer?“

Im Tal der Loreley gab es neun Jahre nach Kriegsende noch keine Fernseher in den Wohnstuben. In der Bundesrepublik gab´s nur 20.000 Geräte. Wer unbedingt das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft am 4. Juli 1954 sehen wollte, der musste auf die Rheinhöhen pilgern. Es sprach sich rasch herum, der Dorfwirt, gegenüber dem Loreleyfelsen hat Fernsehen in seiner Gaststube. Dort saß ich also auf dem Boden im Schneidersitz, weil es an Stühlen mangelte. Eine Genickstarre holte ich mir während der neunzig Minuten, weil das Gerät ziemlich hoch angebracht wurde, damit auch der Letzte in der allerletzten Reihe das Geschehen noch verfolgen konnte.
Oh Gott, die deutsche Elf lag im Wankdorf-Stadion in Bern 0:2 zurück. Der Ungar Puskás traf in der 6. Minute und sein Teamkollege Czibor zwei Minuten später. Der Reporter Herbert Zimmermann sprach von Fritz-Walter-Wetter, weil der Fritz nur ungern bei Hitze wegen seiner im Krieg eingehandelten Malaria spielte. Und es regnete vom Himmel hoch, was das Zeug hielt. Nach weiteren zwei Minuten gelang Max Morlock das Anschlusstor und schließlich in der 18. Spielminute Helmut Rahn der 2:2-Ausgleich. Toni Turek steigerte sich zum Fußballgott, hielt seinen Kasten durch unglaubliche Paraden sauber.
Als sechs Minuten vor Spielende Helmut Rahn das 3:2 gelang, schrie Herbert Zimmermann sein legendäres „Tor – Tor – Tor – Tor“ in das Mikrofon. Der Jubel in der Dorfkneipe schwappte über. Der Wirt spendierte Freibier, und als die Deutsche Nationalhymne ertönte, ging bei einigen Dorfbewohnern der rechte Arm hoch. Die uns heute geläufige erste Strophe „Einigkeit und Recht und Freiheit“ war vielen Menschen noch unbekannt, man behalf sich eben mit der inzwischen verbotenen ersten Version. Es ging ein Ruck durch die Republik. Wir hatten uns Respekt verschafft, waren wieder wer, ja dieser Sieg galt sogar als die eigentliche Gründung der Bundesrepublik und als Grundlage für das Wirtschaftswunder. Und jeder unserer Nationalspieler erhielt 2500 Mark und eine Polstergarnitur für den Titelgewinn. Mit einer Polstergarnitur kann man heute keinem Weltmeister mehr imponieren. Drei Jahre zuvor bot Atletico Madrid dem Fritz bereits eine halbe Million für einen Zweijahresvertrag, für die damalige Zeit ein Wahnsinnsbetrag. Fritz Walter fragte seine Frau Italia: „Schätzche, was mache mer?“ Sie gab schlagfertig zurück: „Wieso fragst du noch? Da ist dein Betzenberg, der Chef, deine roten Teufel vom FCK und die Nationalmannschaft.“ Darauf Fritz: „Recht hasde, dahäm is dahäm. Außerdem is es en Espanja viel zu haaß für mein Malaria, un Geld is nit alles. Wie saache die Lautre: du kriehsch moi letschtes Hemd …“
Ja, der Chef Sepp Herberger, der galt als Dirigent und als Übervater auf der Bank. Und Fritz Walter galt als sein Vollstrecker auf dem Rasen. Es schien, als könnten die beiden Strategen Gedanken lesen. Als Fritz Walter am 17. Juni 2002 diese Welt verließ, traf er im Himmel auf sein Schätzche Italia und auf den Chef Herberger, den er immer noch siezte, wie zu Lebzeiten. Zu seiner Frau sprach der Fritz zärtlich: „Schätzche, weischte noch, wie mer die Polstergarnidur ausprobiert han, nur mir zwo beim Kerzelicht; und die Fenstervorhäng hadde mer zugezoche.“ Italia nickte lächelnd mit ihrem Kopf, trat auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf seine Lippen und sagte auf imitiert pälzisch: „Von all dene Weibsleit bin ich die einzig´ falschi Pälzer Krott.“ Sepp Herberger guckte verlegen zur Himmelsdecke und musste all seine legendären Sprüche wieder loswerden: „Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten. Der nächste Gegner ist immer der Schwerste. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Der Ball hat immer die beste Kondition. Elf Freunde müsst ihr sein.“ Dann wurde er philosophisch: „Fritz, ist Dir eigentlich bewusst, das der Fußball Dein Leben gerettet hatte, damals in der russischen Gefangenschaft? Nicht das WM-Finale war das Spiel deines Lebens, sondern das im Kriegsgefangenen-Lager in Rumänien.“ Fritz Walter erklärte Einzelheiten: „Geschwächt durch einen Malaria-Anfall ließ ich mich nicht hängen und spielte mit den ungarischen und slowakischen Wachsoldaten Fußball. Sie erkannten mich als deutschen Nationalspieler. Der russische Lagerkommandant Schukow, ein Fußballfan, wurde auf mich aufmerksam. Er bewahrte mich und meinen jüngeren Bruder Ludwig vor der Verschleppung nach Sibirien. Ende 1945 kehrten wir nach Kaiserslautern zurück.“ Als er das aussprach, ging er auf seine Frau zu und auf Herberger, erfasste Italia mit der rechten und den Chef mit seiner linken Hand und sprach: „Ich möchte doch mol nur für e aansisch Säsong enunner uff de Betze, ich ging aach jeden Sunndaach en die Kerch, wenn mir net grad en Sonndachsspiel hann. Ich müsst mol met em Pedrus redde. Mein Gott, waren das noch Zeite. Es is zwar wunnerscheen hie owwe, so friedlich, gemiedlich, immer Lichterglanz, kaan Hunger un Durschd. Den Palzwoi würd ich schon gern widder mol probiern. Gott sei Dank habe mer den Fußballstammdisch em Himmel.“ Ob aus Fritz Walters Urlaubsantrag etwas geworden ist, lässt sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Der ist gestern erst eingereicht worden.


Der Fußballgott vom Betzenberg



Ein Mensch wurd´einst zum Fußballgott erkoren
Er hatte sich dem Betzenberg verschworen
Bescheidenheit, der Heimat treu. Das runde Leder
Das war sein Motto, das weiß fürwahr ein jeder

Gelebte Fairness und Vorbild für die Jugend
Stark im Charakter, ein Denkmal für die Tugend
Lang, lang ist´s her, das legendäre Kräftemessen
Und die Nationen werden´s nimmermehr vergessen:

Er war der Kopf, der Denker, der Stratege
Trotz Rückstand fand er dennoch kluge Wege
Die Mannen in die Position zu bringen
Und den begehrten Endsieg zu erzwingen

Ein Jubelschrei ging schagartig durch die Nation
Das Wirgefühl verdankten wir dem Pfälzer Sohn
Der Sieg, er kannte vieler Väter Namen
Doch von den vielen, die danach noch kamen,

blieb einer für die Ewigkeit, ein Schalter
in meinem Kopf: Sein Name ist Fritz Walter

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Tag der Veröffentlichung: 02.10.2010

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