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Krisen sind doch nichts anderes, als unschöne Ereignisse, die meine heile Vorstellungswelt durchlöchern wie die Salatschüssel meiner Oma Löcher hat. Das ist doch Dampfgeplauder, Schlagzeilenhetze, als Korsett für steigende Auflagezahlen. Und schuld daran sind nur die Haie in den Wolkenkratzern, die Bangster. Alles schon mal da gewesen. Gut, nein schlecht, denn diesmal hat´s den Globus erwischt. Für manch einen ist es das Scheinleben vor dem Realtod. Oder anders ausgedrückt: Die Menschheit hat sich ein Scheinleben vor dem wirtschaftlichen Realtod vorgegaukelt. Die Immerschonlügner haben ihr rosarotes Lippengebäude sprudeln lassen wie der Hochsommer-
springbrunnen in Opas Garten hinterm Haus. Die Gaukler in den Nadelstreifen haben die Lawine losgetreten. Opa weiß es, hat es immer gewusst. Er erinnert an die zwanzi-
ger Jahre in Amerika. Deshalb hat er seine Hypothek auf sein Häuschen rechtzeitig abbezahlt und vor allem auch löschen lassen. Denn die Nadelstreifen, so ein Insider-
wissen, verpfänden die Grundschulden sonst weiter.

Wen trifft´s? Die Häuslebauer in den Staaten sind geleimt worden. Zuerst hat man ihnen billiges Geld gepumpt, bis der Schneeball geplatzt ist. Plötzlich ging den Banken der Atem aus. Sie leihen dir bei Schönwetter einen Regen-
schirm und fordern ihn bei Regen wieder zurück. So einfach ist das. Wen trifft es noch? Zuerst die Banken, die Wirtschaft, die Autoindustrie samt Zulieferindustrie, das produzierende Gewerbe, die Werbung, die gelbe Post, weil sie immer weniger Briefe auszutragen hat, dank E-Mail-
Konkurrenz. Im Lauf der Jahrzehnte sind eine ganze Reihe von einst bekannten Marken verschwunden: Auto Union, Borgwart (nein Frau Petra Gerster, das ist nicht der mit den drei Rädern), Büssing, DKW, Hanomag, Henschel, Hoechst, Horch, Horten, Mannesmann, Messerschmitt, Nordmende, NSU, Quelle, SABA, Telefunken, Zündapp. Sie leben nur noch in der Erinnerung, hatten Anteil am Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg. Alle haben Schicksale hinterlassen. Es ist müßig, nach den Gründen zu fragen. Missmanagement und Auslassen von Chancen, sträfliches Festhalten an alten Strukturen und Negierung des Marktgeschehens.
Hätten die Markenleichen zu Lebzeiten ein „Neues Testament“ geschrieben (sprich Vorkehrungen getroffen), könnten sie heute noch mitmischen. Waren sie denn alle Wasserbüffel, also Sturköppe? Bestimmt nicht. Sie vertrauten ihren Prinzipien, hatten nur versäumt, sie immer wieder infrage zu stellen. Die Krise verhält sich wie eine Pandemie, ist ansteckend, grenzüberschreitend, weltum-
spannend. Wenn Amerika hustet, bekommt Europa oder auch Japan die Grippe. Wo lauern weitere Gefahren, wohin führt die Spirale? Arbeitslosigkeit, Existenznot, Radika-
lismus, Armut, Sittenverfall, Depression!
Wen trifft es noch? Das Klima, die Raucher, das Thema Aids, Schweinegrippe, die Bahn mit veraltertem Güterpark und folgedessen den Bahnlärm, der krank macht. Die Lufthansa hat bereits reagiert und ihren Winterfahrplan verschlankt. Wer noch steckt in der Krise? Israel und die Palästinenser, Afghanistan und sein, oder doch nicht Krieg? Unser zweitliebstes Kind, das Fernsehen, hier vornehmlich die seichten Programme und nicht zuletzt die Parteien. Stichwort: Politikverdrossenheit. Auch der Profifußball hat seine Krise, ausgelöst durch die Schat-
tenseite eines talentierten Ausnahmetorhüters, der in Selbstzweifel verfiel und einer inneren Ausweglosigkeit folgend, sich vor den Zug warf. Robert Enke ist ein warnendes Beispiel an vorderster Front. Der Erwar-
tungsdruck einer Nation raubte einem sensiblen Men-
schen die Freude am Sport und damit die Lebensfreude. Versagensangst kann tödlich sein!

Selbst der Papst bleibt nicht verschont und sogar Gott persönlich. Aber der wäre nicht Gott, wenn er nicht reagiert hätte. BILD druckte die Lösung: Ein Rabbiner sagt zu Gott: „Hilfe, mein Sohn ist Christ geworden, was soll ich bloß tun?“ Gott beruhigt ihn: „Mach dir nichts draus, mein Sohn ist auch Christ geworden.“ Der Rabbiner fragt weiter: „Und was hast du getan?“ Gott antwortet: „Ich habe ein neues Testament geschrieben.“ Oder wie wäre es mit: „Warum gibt es in den Kirchen keine Toiletten?“
„Sonst würden noch mehr Menschen austreten.“ Vereinzelte Würdenträger beschleunigen noch die Austrittsraten durch unehrenhaftes Verhalten. Lieber Gott, was ist aus Deinen Kronjuwelen auf Erden geworden?

Aber die Krise hat ein Heer oft unterschätzter Gegner. Das sind die Optimisten. Yes, we can-Leute. Das ist das Prinzip Hoffnung, Vertrauen, bergeversetzender Glaube, die Achtung, besser noch die Hochachtung vor den Menschen, kluge Köpfe in den Akademien der Wissenschaften, Leute vom Schlag eines Alexander von Humboldt, Max Planck oder Gerhard Mercator. Heute hat man erkannt: „Wissen ist der erste Rohstoff, der sich bei Gebrauch vermehrt.“ Darüber lohnt es nachzudenken. Die Welt braucht jetzt neue, umweltverträgliche Technologien, damit die Allmutter Natur nicht kollabiert und alle Hoffnung mit der Titanic untergeht.

Wenn Bundespräsident Köhler sich für ein verstärktes Eingreifen zur Bändigung der Profitgier ausspricht und weniger dem Prinzip Hoffnung folgt, weil sich auf den Finanzmärkten schon wieder Hütchenspieler im Chadow-
Banking tummeln mit intransparenten Derivatenge-
schäften und Spekulationen auf den Rohstoffmärkten, dann werde erst recht ein starker Staat gebraucht, der dem Marktgeschehen klare und wirksame Regeln vorgibt. Eine Reform der Finanzordnung verlange die Beteiligung der Gewerkschaften. Die betriebliche Mitsprache der Arbeit-
nehmer sei ein „Produktions- und Innovationsfaktor ersten Ranges.“ Allerdings habe die Praxis der Mitbestimmung in Einzelfällen auch zu Kungeleien geführt. Dagegen sei Wachsamkeit geboten und nötigenfalls auch Reformen. Bevor am Ende die Apokalypse Platz greift, empfehle ich meinen Vierzeiler aus dem Jahre 1976:

Ihr restauriert die Kirchen und die Türme
Die alten Mauern und des Fachwerks Wand Gesicht
Sie trotzten tausend Jahr dem Wind und auch der Stürme
Nur die Gesinnung, die eigne, restauriert ihr nicht!


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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2010

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