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Der Antiweihnachter

Man könnte Fürchtegott Nachtweih auch als Weihnachtsfeind bezeichnen, nie mehr Weihnachten, es geht auch ohne Tannenbaum. Dann überlegte er, er könnte Mohamedaner werden oder Jude. Dieses Gemütsschleuderfest besteht nur aus Weichmachergedenktagen. Alle Kinder haben am 24. Dezember Geburtstag. Und die Erwachsenen sorgen für den nötigen Umsatzschub in den Superketten mit ihren atemlosen Blondinen hinter den piepsenden Scannern, die bis Heiligabend im rechten Arm eine Sehnenscheidenentzündung einfangen und dabei noch lächelnd die Kunden anblecken, während die Bankcard des jeweiligen Umsatzpotentaten im Lesegerät steckt. Diese Sekunden nutzt die Kassensklavin zum Atemholen. Da geht doch die Menschlichkeit verloren. Fürchtegott hat sich selbst zum Weihnachtsgegner ernannt.

Fast hatte er vergessen, Advent war einmal Fastenzeit. Heute sind Weihnachtsmärkte fidele Events, eben Weihnachtskirmesgedudel, Glühweingesüffel und Dicke-Backen-Musik, Kinderkarussell, Rauschgoldengel oder der Weihnachtsmann mit Rauschebart und rotem Mantel, Hermelinersatz am Kragen … Fürchtet euch nicht!

Was vor 2009 Jahren in einem spärlichen Stall begonnen, hat sich als kalkulierbare Umsatzgröße entwickelt mit festen Regeln. Süßer die Kassen nie klingen. Es ist doch zum Fürchten. Es sind Teufellob nur noch wenige Tage, dann werden die Schokoladenweihnachtsmänner und die in den Lagern noch schlafenden Schokohasen die Trikots wechseln.

Fürchtegott Nachtweih muss sich zusammennehmen, die glühenden Verehrer der Stillenachtanhänger nicht zu vergrämen. Deshalb muß er am Stammtisch sein Zunge zügeln, die Klappe halten, quasi hüten. Es fällt ihm nicht leicht. Viel lieber hätte er sich ausgekotzt, hätte dem Michel mal den Marsch geblasen. Aus der Kirche austreten, um Steuern zu sparen und dann den schönsten Christbaum ans Fenster stellen, damit ihn jeder im vollen, reputierlichen Lichterglanz von draußen bewundern kann. Ja, solche Bewunderung tut gut. Armleuchter. Sein schlechtes Gewissen besänftigt er alle vier Jahre an der Wahlurne mit einem CDU-Kreuz auf seinem Wahlzettel.

Plötzlich kommt ihm seine Kriegskindheit in den Sinn. Verdunkelung, Fliegeralarm, Kellerdasein und Bunkersit-in. Fürchtegott denkt sich mal die Lichterketten in den Einkaufsmeilen weg, die beleuchteten Fenster und Balkone, auch die Lichterbäume auf den Plätzen. Fußgänger trugen damals gelbphoshoreszierende Ansteckplaketten als Erkennungszeichen, hallo, da kommt mir jemand entgegen. Es war ja stockfinster, nur tote Gaslaternen. Die wenigen Autos im Ort gehörten der Feuerwehr, dem Doktor oder dem Apotheker. Die Autoscheinwerfer mussten bis auf einen schmalen, vielleicht einen Zentimeter breiten Schlitz, abgedunkelt werden. Aber die Menschen hatten die Luftschutzkeller mit geschmückten Weihnachtsbäumen geadelt, damit wenigstens ihre Kinder strahlende Äuglein bekamen und eine kleine Vorahnung von dem größten Familienfest des Jahres. Andere Nachbarn, die in der entlegenen Kellerecke kauerten, illuminierten Wachsstöcke, wie sich Goethe ausgedrückt hätte. Wieso kommt Fürchtegott bei diesem Vergleich der Darmolmann in den Sinn, jener nachtbehemdende Mensch mit langer Zipfelmütze auf dem Haupte und dem brennenden Kerzenstock in der rechten und den großen Schlüssel in der linken Hand von rechts nach links eilend dem stillen Örtchen zustrebend? Fürchtegott Nachtweih bleibt verdutzt stehen. Sein Gehirn macht Kassensturz. Wie kommt er verdammt nochmal von überzogenem Weihnachtsrummel auf das stille Örtchen? Andererseits, wer kennt dieses Schattenmännchen aus den 50igern noch? Alle verängstigten Kinder, Mütter und die Alten von damals kennen ihn, während die Väter an der Front andere Sorgen hatten.
Die schlimmen Zeiten sind Gott sei´s gedankt, vorbei. Der Denkstratege Fürchtegott schaufelt seine Meinung um wie der Bauer die Krume. Dann doch lieber Weihnachtskommerz als Krieg.


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Tag der Veröffentlichung: 16.12.2009

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