Die P(B)lattmacher
Roman(konzept) aus dem Berufsalltag
1. Kapitel: Aufbauphase
Wir sind eine verschworene Gemeinschaft
2. Kapitel: Konsolidierung
Wir ziehen an einem Strang
3. Kapitel: Wechsel auf der Kommandobrücke.
Wir sind noch einmal davongekommen oder
die Suche nach den zwanzig Millionen
4. Kapitel: Die neue Identität
Wir bringen es auf den Punkt oder
Wir treiben es auf die Spitze
5. Kapitel: Rezession
Immer mehr Häuptlinge und immer weniger Indianer
Wir sind doch keine Beschäftigungsanstalt.
Es werden Köpfe geopfert. Raten Sie mal welche?“Eine Nachricht ist erst eine Nachricht, wenn der zweite Blick den ersten bestätigt.
(Pulitzer)
Dieser Roman spielt in einer mittleren Großstadt in Deutschlands Westen. Was der Autor niederschreibt, ist Anarchie. Aber sein Bericht beruht auf einer wahren Begebenheit. Er sitzt mit im Boot. Wenn er vor sich selbst bestehen will, muss er diesen Bericht verfassen. Er tut dies mit dem Wissen, dass er am Ende mit leeren Händen dasteht, sobald das Manuskript veröffentlicht wird. Dennoch schreibt er sich frei, um nicht zu ersticken.
Ernst Eckstein war der Prototyp eines eingefleischten Zeitungsmachers. Er besaß wachsame Äuglein, ein etwas grob geschnitztes Antlitz mit dennoch gütigen Zügen. Wenn er sprach mit seiner dialektgefärbten Stimme und dabei Wörter benutzte, die sein Kollege in der Redaktion niemals schreiben würde, dann erzeugte er bei seinen Gesprächspartnern eine gute Portion Glaubwürdigkeit. Ja, Eckstein war so etwas wie eine Vaterfigur, der für vieles Verständnis aufbrachte und zuhören konnte. Mit einem Wort, er war das verkörperte Urgestein eines Verlagskaufmanns, dem nicht selten eine Portion Mutterwitz entglitt, ohne jedoch zynisch oder gar beleidigend zu wirken. Er erzählte die Geschichte, als er nach dem Krieg gemeinsam mit Rudi Schönfeld von der Beamtenstadt ins 25 Kilometer entfernte Rheinstein fuhr zum Umbruch der Samstagausgabe. Schönfeld und Eckstein bildeten ein Gespann. Während Eckstein schon mit einem Auge auf sein Rentenalter linste, hatte Schönfeld noch knapp die doppelten Jährchen vor sich, also knapp zehn. Beide zählten sich beileibe nicht zum alten Eisen. Sie trugen gemeinsam die Verantwortung für die Geschicke ihres Heimatblattes, das immerhin zu den ältesten Zeitungen Deutschlands zählte. Bis vor wenigen Monaten in der Neuzeit oblag die Führungsaufgabe noch einem Triumvirat. Die Dreimänner-Herrschaft wurde von den Geldgebern aufgekündigt, nachdem der Dritte im Bunde, der Vertriebsleiter Kastner dem Alkohol dermaßen verfallen war, dass er jeden Tag eine Flasche Chantré offen auf seinem Schreibtisch stehen hatte, die am Abend vollends geleert war. Er zeigte dabei erstaunlicherweise überhaupt keine Ausfallerscheinungen. Offenbar brauchte er den Stoff wie andere ihre Glimmstängel, und die waren ihm zudem ebenfalls unentbehrlich. Er diktierte seine Korrespondenz, telefonierte geschliffen, ohne dass seine Gesprächspartner seine Sucht bemerkt hätten. Er sprach nicht über sein Problem. Später erfuhr die ganze Belegschaft von seiner Krankheit. Er verkroch sich in eine Suchtklinik und verließ auf eigenen Wunsch den Verlag. Ein Jahr danach kam eine Todesanzeige. Doch der Posten musste zunächst kommissarisch besetzt werden. Doch der junge Nachfolger als Vertriebsleiter sollte nach dem Willen der Verlagsleitung nicht zum Triumvirat gehören. Die Geschicke des Hauses lagen nun in den Händen von Eckstein und Schönfeld. Eckstein erzählte die alte Geschichte, als er mit Schönfeld mit einem als „Holzvergaser“ umgebauten Pritschenwagen zum Umbruch fuhr. Der Holzvergaser hatte seine Mucken. Der hinter dem Führerhaus montierte Kessel musste mit Holzstückchen befeuert werden. Zu diesem Zweck wurde Holz in einem Reservesack mitgeführt werden. Zudem war der Motorkühler leck. Also ging auch ein Reservekanister mit Wasser auf die Reise. Die Stimmung im klapprigen Gefährt war gut. Sie unterhielten sich über bessere vergangene Zeiten, auch über den Zusammenbruch nach der schlimmen Bombennacht in der Rheinstraße und über die Aufräumarbeiten, die fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen hatten. Im Keller des Ruinengrundstücks etablierte sich das Häuflein mutiger und unerschrocken optimistischer Blattmacher. Mit den geliehenen Schreibmaschinen und Bleistiften ging es an die Arbeit. Ideen hatten sie genug. Mitten in der Unterhaltung qualmte es unter der Motorhaube. Ernst Eckstein nahm Gas weg und fuhr rechts an den Straßenrand. Er wusste sofort, es fehlte Kühlwasser. Motor abstellen und Kühlerhaube öffnen. Jetzt hatten sie Zeit für eine Zigarettenpause. Denn der Motorblock musste zuerst abkühlen. Nur jetzt noch kein Wasser in den überhitzten Kühler schütten. Die beiden Zeitungsmacher Ernst, der Anzeigenmann und Rudi der Redaktionsleiter waren zuversichtlich. Die halbe Stunde Zwangspause würde ihr Konzept nicht verderben. Schließlich gehörte die Improvisation zu ihrem Zeitungsalltag. Während Ernst den Wasserkanister hervor holte, ging Rudi rasch hinter einen Alleebaum zum Wasserlassen. „Stopp Rudi, des warm Wasser in deuner Blos brauche mir fir de Kiehler. De Kanister is halb leer. Kumm her, ich muss aach emol. Des gibt en gut Gemisch.“ Beide guckten sich um, schließlich wollten sie kein öffentliches Ärgernis erregen. Die Luft war rein und niemand in Sicht. So pinkelten beide nacheinander in den Wasserkanister. Natürlich mussten sie herzhaft lachen. Aber das Wasseruringemisch reichte aus. Der Motor wurde gestartet, und die Kühlung funktionierte wieder. So kamen sie mit Verspätung, aber immer noch rechtzeitig zur Setzerei nach Rheinstein. Dort angekommen, füllten Sie den Reservekanister sofort auf der Toilette des Druckereibetriebes mit Trinkwasser, um die spätere Heimfahrt nicht zu gefährden. Das Wort Umbruch ist im heutigen Wirtschaftsleben oder auch in der Politik meist leider negativ besetzt. Bei der Zeitungsherstellung jedoch verstand man darin lediglich die Kunst, Artikel und Bilder im redaktionellen Teil ebenso wie die Anzeigen im Anzeigenteil lesegerecht und passend auf den einzelnen Seiten unterzubringen. Dazu gehörte immer die Meldung des Tages an den Kopf. Kommentare an den linken Seitenrand, und wenn es einmal wichtige Mitteilungen in eigener Sache gab, gehörten die in die rechte Spalte ganz oben mit einem dünnen Rahmen versehen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Das ist eher eine Floskel. In Wirklichkeit kostet die Konkurrenz nur Geld. Natürlich war jeder Regional-verlag darauf bedacht, sein Verbreitungsgebiet zum Nachbarverlag wie politische Grenzen abzustecken. Wem das gelingen sollte, der fühlte sich als Platzhirsch und konnte sich zurücklehnen und kapitalzehrende Machtkämpfe im Grenzbereich ersparen. Das ging aber nicht überall nach dem Wunschdenken der Verleger. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Wer seinen Mitbewerber in die Kosten treiben möchte, musste nur seinen eigenen Lokalteil gewaltig aufblähen und tonnen- weise kostenlose Leseproben verteilen. Nach spätestens einer Woche musste der andere seinen Lokalteil ebenfalls auf das gleiche Volumen bringen oder sogar noch eine Seite mehr an Information bieten. Die Leser frohlockten, aber sie bemerkten nicht, dass man sie manipulierte. Der Leser unterhält zwar ein Abonnement bei seinem Verlag. Aber der Verlag hat keinen Rechtsanspruch auf lebenslange Abnahmegarantie. Denn jedes Abonnement ist nun mal kündbar. Zwar kalkulieren und schätzen die Verleger die Haltedauer ihrer Leser hoch ein. Denn ein althergebrachtes Erscheinungsbild kommt den eingeübten Lesegewohnheiten durchaus entgegen. Eine gute Portion Häme kam dann ins Spiel, wenn der Wettbewerber einmal eine fette Schlagzeile auf der Titelseite doppelt druckte. Das muss man sich mal vorstellen: Auf der ersten Seite oben in Blattmitte und unten unter dem Bruch der Zeitung (das ist der Falz) noch einmal mit genau dem gleichen Artikel. Wenn aber in unserem Blatt eine große Werbeanzeige auf dem Kopf erschien, dann war das eher peinlich und hat dann natürlich bei dem Inserenten große Verärgerung ausgelöst. Den konnten wir dann nur noch durch eine kostenlose, richtige Wiederholung besänftigen. Einmal ist das bei einem Anzeigenkunden wieder passiert. Der hat sich jedoch nicht beschwert, denn damit erregte er bei den Lesern mehr Aufmerksamkeit. Den Zeitungslesen ist das natürlich nicht verborgen geblieben, sie waren neugierig und drehten das Blatt um. Nun wollte er sein nächstes Inserat ebenfalls im Kopfstand gedruckt sehen. Diskussionen in der Anzeigenabteilung. Bei einem seriösen Blatt kommt das nicht infrage, jedenfalls nicht bewusst. Es gab nur eine Ausnahme: Wenn nämlich aus dem Text der Anzeige hervorgeht, dass zum Beispiel die Preise Kopfstehen oder es hieß, da werden die Kunden aber kopfstehen, das sei noch hinnehmbar, ansonsten nicht. Es ist auch vorgekommen, dass eine Romanfortsetzung vom Vortag erschienen ist. Wo Menschen am Werk sind, passieren Fehler. Das ist eine bittere Erkenntnis. Das Qualitätsdenken musste neu erfunden werden. Aber es gab auch Ereignisse, die sind nicht entschuldbar und nur noch mit Einschaltung eines Staatsanwaltes zu regeln. Davon später. Großkunden wie Verbrauchermärkte, Möbelhäuser, Kaufhäuser oder potente Markenartikler gingen in Zeiten nachlassender Konjunktur mit ihren Werbeetats auf Sparflamme. Wer bisher noch ganze Seiten disponierte, gab sich mit dem Halbformat zufrieden. Der Stellenmarkt lag ohnehin am Boden. Es gab einfach keine freien Arbeitsplätze. Hatten wir noch in guten Zeiten am Wochenende zwanzig Seiten Stellenanzeigen, waren es nun nur noch zwei. Aus dem Vertrieb kamen immer mehr Alarmzeichen. Wir verloren zwar keine Leser. Aber wir verloren Abonnenten. Da teilten sich Nachbarn ein Zeitungsabonnement, der eine las vor dem Frühstück, der andere eben später. Außerdem wurde der Abopreis mit schöner Regelmäßigkeit jährlich leicht angehoben. Und bei jeder Preiserhöhung mussten Aboverluste hingenommen werden.
Die Führungsriege stellte Notpläne auf. Mindererlöse verlangten nach Sparmaßnahmen. Es kam zur „Personalverdünnung“ in den Abteilungen, zum Einstellungsstopp und folgedessen zu Überstunden, die dann irgendwann auch nicht mehr vergütet wurden. Diese mussten abgefeiert werden. Das Auslagern des eigenen Fuhrparks und die gleichzeitige Vergabe der nächtlichen Auslieferungen der Zeitungspakete an Fremdspediteure wurden in der Verlagsleitung mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Achtundzwanzig eigene Fahrzeuge wurden zu Bargeld und achtundzwanzig Fahrer wurden in verschiedenen Abteilungen, im Nachtversand, in der Ladestrasse und im Vertrieb untergebracht. Dafür wurde der Personalabgang infolge Erreichen der Altersgrenze nicht mehr ersetzt. Der Betriebsrat zeigte sich aufmüpfig. Es kam zu einer Betriebsversammlung zur Hauptproduktionszeit. Das führte zur Druckverspätung von drei Stunden. Das wiederum brachte die Vertriebsleute auf die Palme. Der Betriebsrat hatte einen Funktionär der Gewerkschaft Druck und Papier eingeladen. Seine Kampfansage brachte die Werkshalle, in der die Sitzung abgehalten wurde, zum Kochen. Der Schlagabtausch war von Beleidigungen und Häme begleitet. Die Wortwahl wurde rüder. Nur ein Einlenken der Geschäftsleitung brachte durch das Zugeständnis über die Fortzahlung der Nachtzuschläge für die betroffenen Fahrer bis zu einer Dauer von zwölf Monaten Beruhigung. Das bedeutete: Zwölf Monate ein Heizer auf der E-Lok zusätzlich. In den folgenden Wochen war „Dienst nach Vorschrift“ angesagt. Es knirschte an allen Ecken. Im Betrieb sprach man unter vorgehaltener Hand von der „Allmacht des Betriebsrates“. Aber in der Chefetage wurden insgeheim neue Pläne geschmiedet. Es war nämlich durchgesickert, dass die Gewerkschaft beabsichtigte, eintausend Zeitungszusteller unter ihre Fittiche zu nehmen. Es war nicht auszudenken, wenn Zeitungszusteller eines Tages sogar einen Sitz im Betriebsrat einnähmen und unter dem Dach der Gewerkschaft gar einen Streik und somit die gesamte Zustellung an die Abonnenten verhindern könnten. Das sollte unter allen Umständen verhindert werden. In streng geheimen Sitzungen entstand der Plan, das Verbreitungsgebiet in sechsundzwanzig Regionen aufzuteilen. Man gründete schließlich sechsundzwanzig eigenständige GmbHs, an denen der Verlag zu 34% beteiligt werden sollte. Die restlichen 66% sollten die neuen Geschäftsführer aufbringen. Es war nicht ungeschickt, den Außendienstlern im Vertrieb solch attraktive Posten anzubieten. Aber nicht jeder der umworbenen Herren war bereit oder auch in der Lage, das Risiko und die Verantwortung zu übernehmen, geschweige denn zwei Drittel des Stammkapitals oder 33.000 Mark aufzubringen. In einigen Fällen hat der Verlag diese Summe vorgeschossen. Die sollte später vom Jahresgewinn nach und nach getilgt werden.
Für die Verlagsbeteiligung schuf der Konzern eine Vertriebsfirma und eine Beteiligungsfirma mit eigenen Geschäftsführern als Gesellschafter in allen 24 GmbHs. Es war das Ei des Kolumbus. Die Personalkosten im Vertrieb sanken rapide, denn nicht nur der ganze Außendienst wurde wegrationalisiert, sondern auch eine ganze Reihe von Sachbearbeitern. Diesen Betroffenen wurde ein GmbH-Geschäfts-Führerposten angeboten. Die notariellen Verträge wurden von einigen Aspiranten auf einen solchen Posten als Knebelverträge verworfen. Wer das Angebot ausschlug, wurde versetzt in den Nachtversand oder in die Packerei. Die neuen Geschäftsführer waren darauf gepolt, vom ersten Tag an sparsam zu taktieren und Gewinne zu erwirtschaften. Es war schon verlockend, eine GmbH von zu Hause betreiben zu können. Man benötige nur einen Tisch mit Stuhl, ein Telefon und Bleistift. Familienunternehmen. Jeder sollte mit anpacken. Schreibmaschine sei nützlich, und wer einen PC sein eigen nennt und den sogar beherrscht, umso besser. Die Geschäftsführergehälter lagen etwa in Höhe der Tarifgruppe III und galten als selbstständige Tätigkeit. Dazu kam ein Zuschlag für Sozialabgaben und Krankenkasse, die der neue Selbstständige selbst abzuführen hatte. Die Position Geschäftsführer war ein Mäntelchen aus Hermelin, das innen mit Glaspapier gefüttert ist. Unter Glaspapier wird die 24-Stunden-Bereitschaft verstanden, Telefon am Bett und die Kunst, immer dann geeignete Ersatzzusteller aus dem Hut zu zaubern, wenn plötzlich ein Stammzusteller wegen Krankheit ausfällt. Bei zweihundert Mitarbeitern ist das kein Kinderspiel. Der Verwaltungsapparat wächst ins Uferlose. Hier nur ein paar Beispiele. Steuerberater, Finanzamt, Gewerbeaufsichtsamt, Industrie- und Handelskammer, Gewerbesteuer, Haftpflichtversicherung, Berufsgenossenschaft, Betriebsarzt, Statistisches Landesamt, Krankenkassen. Dann kam erst das wichtige Tagesgeschäft. Stellen Sie sich vor, zwei Leute reden pausenlos am Telefon mit Zustellern, auch mit Abonnenten. Die Zeit reicht gerade, um einen Vorgang stichwortartig auf Schmierpapier festzuhalten. Dann ist das nächste Telefonat schon in der Leitung. Es gibt solche Tage, da werden nur Probleme aus der Welt geschafft. Der Umgang mit dem Problem oder Mobbing von oben „Bevor Sie mir Ihr Problem schildern, überlegen Sie bitte einmal gründlich, ob Sie vielleicht der Mittelpunkt dieses Problems sind.“
Das Gegenteil von Mobbing
„Beifall ist eine symbolische Umarmung“ (Hellmuth Karasek) Die Interaktionskosten gehen ins Unermessliche. Sie entstehen aus der Wechselbeziehung zwischen Menschen und Gruppen. (soziologisch gesehen) Rechtfertigungen durch Vorgesetzte, Ausräumen von Anfeindungen, Schulung vom Mitarbeitern im eigenen Hause, auch Unterweisung der Zeitungszusteller. Letztere rekrutieren sich meist aus einfachen Verhältnissen, die nicht etwa aus Jux nachts durch die Gegend laufen, um das Produkt Tageszeitung in die richtigen Briefkästen zu stecken. Diese Gruppe braucht Führung, Verständnis und Einsicht. Die symbolische Umarmung ist gerade bei diesen Menschen angebracht, weil sie Mitarbeiter am Ende einer Kette stehen und das vollenden müssen, was ein Heer hochqualifizierter Redakteure und Techniker leisteten.
Die Affäre Wolf und Fuchs (oder das ägyptische Grabmahl) Der Video-Plus-Flop mit Betamax
Die Zeiten wurden schwieriger. Der Verleger legte sich einen Berater zu. Man entschied nicht mehr einsam, sondern ließ sich von einem kompetenten Fachmann beraten. Er wurde als Sparkommissar eingeführt. Immerhin kam der Mann aus Berlin. Das ist schließlich ein Indiz für Kompetenz. Er hatte weit reichende Vollmachten, stellte überall in den Abtei-lungen unangenehme Fragen und genoss uneingeschränktes Vertrauen auf allen Ebenen. Niemand wollte es mit ihm verderben. Schließlich handelte er auf höchste Weisung. Ich nenne ihn mit dem Decknamen Wolf. Der beriet unseren Verleger so gut, dass er ihn kurzerhand vor die Tür setzte. Innerhalb einer Stunde musste der Alte seine Siebensachen packen. Er verließ das Unternehmen mit einer Plastiktüte. Die enthielt seine persönliche Habe. Er verschwand durch die Hintertür. Gleichzeitig wurde ihm Hausverbot erteilt. Die Gründe für den Rausschmiss waren lapidar. Inzwischen ist der Verleger längst rehabilitiert. Aber er fand den Weg nicht mehr zurück, wandte sich anderen verlegerischen Aufgaben zu und ging schließlich in Rente. Allein seiner gefestigten Konstitution und seinem Selbstbewusstsein war es zu verdanken, dass er den Eklat ohne seelischen Schaden überstanden hatte. Fortan übernahm Wolf im Verein mit dem Fuchs die Geschäftsleitung des Verlages. Fuchs hatte eine beispiellose Karriere im Unternehmen. Er begann als Lehrling, wurde Abteilungsleiter und landete in der Chefetage mit den roten Teppichen als nunmehr einer von zwei Geschäftsführern. Damit begann eines der dunkelsten Kapitel der gesamten Verlagsge-schichte. Zunächst wehrte ein frischer Wind durch die Abteilungen. Niemand trauerte dem Alten nach, jeder versuchte, bei dem Duo im günstigen Licht zu erscheinen. Die Geschäfte florierten wieder. Konjunktur war in Deutschland angesagt, und unser Unternehmen mischte kräftig mit. Der einzige Schatten war das defizitäre Tageblatt.
Die neue Geschäftsleitung holte sich Assistenten frisch von der Akademie. Modernes Management musste ran. Am liebsten mit Doktortitel. Das wirkte nach außen. Der Einstieg in neue Medien ließ Optimismus aufkeimen. Videoplus war ein neues Schlagwort. Alle Verlagsgeschäfts stellen wurden mit Fernsehern und Videorecordern ausgestattet. Dort liefen in den Schaufenstern Musterbänder. Es waren lustige Vorspannstreifen auf ansonsten leeren Videobändern. Die sollten wir verkaufen. Doch man hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Publikum hielt sich zurück, denn die Kaufhäuser und auch der Fachhandel hatten Videokassetten ohne Vorspann zum wesentlich günstigerem Preis. Das Abenteuer Videoplus war ein riesiger Flop, über den die Branche schmunzelte.
Im Jahre 1986 sahen sich die Beschäftigten beim Tageblatt plötzlich von Arbeitsplatzverlust bedroht. Der neuen Geschäftsleitung missfielen die ständigen Verluste ihres Ablegers. Sie spielte offen mit Einstellungsgedanken. Doch völlig überraschend kam unerwartete Hilfe. Rettung schien möglich. Ein Dr. Sowieso, Assistent der Geschäftsleitung, wechselte als Verlagsleiter zum Tagblatt. Er war Spross einer süddeutschen Verlegerfamilie. Das ließ hoffen. Aber seine Familie investierte kein Kapital in das marode Tagblatt. Vielmehr wurde eine GmbH gegründet, an der die Muttergesellschaft nur noch beteiligt war. Den Rest hielt der neue Doktor mit geliehenem Gold. Das bürgerliche Blatt wurde in seinen Lokalspalten kesser und kritikfreudiger. Die neue Bürgernähe machte sich in der Auflage durchaus positiv bemerkbar. Doch die wirtschaftliche Talfahrt war nicht aufzuhalten. Denn die Anzeigenkunden honorierten die neue Aufmachung keineswegs.
Zwei Jahre dauerte der Todeskampf des seit 248 Jahren ansässigen und schon altehrwürdigen Blattes. Am 9. August 1986 erschien im Lokalteil eine einspaltige Agenturmeldung, die vom Ende des Tageblatts handelte. Diese Meldung hatte Bestürzung ausgelöst. Beim Personal und unter der Leserschaft. Ungezählte Telefonate jagten einander. Politiker schalteten sich ein. Es wurden Dementis gehandelt wie holländischer Käse. Niemand wollte es wahrhaben. Man glaubte immer noch an eine Rettung in letzter Sekunde. Eine Woche danach erfuhr die Öffentlichkeit die Schreckensmeldung, wonach das Blatt zum 1. Oktober 1986 von dem örtlichen Mitbewerber übernommen werde. Das Bundeskartellamt in Berlin hatte dem Zeitungs-verkauf Eilbedürftigkeit beigemessen und zugestimmt. Die in solchen Fällen immer wieder gestellte Frage nach der Marktbeherrschung wurde von der 6. Beschlusskammer der Berliner Bundesbehörde verneint, obschon als sicher galt, dass es künftig nur noch eine lokale Tageszeitung in der Stadt geben werde. Vier Redakteure wurden übernommen. Zehn weitere Redakteure kamen im Stammhaus unter. Insgesamt waren rund neunzig Mitarbeiter betroffen. Man redete nur von Redakteuren. Das Büropersonal, die Kraftfahrer, Boten und Hausmeister blieben unerwähnt. Es sollte zwar keinen Härtefall geben. Es gab sie dennoch. Nur hat niemand darüber berichtet. Für so manchen engagierten Tagblättler ist damit eine Welt zusammengebrochen. Die drittälteste, im deutschsprachigen Raum und die sechsälteste Zeitung der Welt hatte damit aufgehört, zu existieren. Das Drama war aus. Der Vorhang fiel. Aber es sollte noch ein ärgeres Nachspiel haben. Eine Woche vor Weihnachten erfuhr die Öffentlichkeit am 17. 12. 1986 durch eine Meldung von folgendem Sachverhalt:
"Zwei Festnahmen. Ex-Verlagschefs wegen Fluchtgefahr verhaftet“.
Nichts ist beständiger als der (Personal)wechsel.
Wer zu viel weiß, muss gehen. Wer unbequem wird, der hat schlechte Karten. Sie werden versetzt auf einen Posten ohne Aufgaben. Sie sitzen den ganzen Tag auf Ihrem Stuhl, keiner ruft Sie an, Sie bekommen keine Post und niemand erwartet Ergebnisse von Ihnen. Sie lesen aus Langeweile den Spiegel, den Kicker und natürlich die eigene Tageszeitung, auch die Konkurrenzblätter. Sie kommen sich vor wie ein vergessener Mitarbeiter. Ihr Gehalt läuft weiter. Zunächst lachen Sie sich eins ins Fäustchen. Die Idioten setzen Sie auf eine Insel, ohne Leistung zu verlangen. Die wissen genau, wenn sie Ihnen kündigen, ist eine dicke Abfindung fällig. Also warten sie, bis die Nutzlosigkeit an Ihrem Nervenkostüm nagt. Die wollen Sie mürbe machen, wollen Sie demoralisieren, bis Sie das Handtuch werfen. Aber Sie sind standhaft. Ob es denen überhaupt auffallen würde, wenn er einmal nicht erscheinen würde? Unerlaubt fehlen, würde eine Abmahnung auslösen. Nur das nicht. Sie basteln an Ihrer Strategie. Sie beginnen, heimlich zu schreiben. Der Verlagsalltag wächst Zeile für Zeile auf jungfräulichem Papier und wandert sofort in Ihre Schublade. Nein, den Computer benutzen Sie wohlweislich nicht. Sie schreiben mit Kugelschreiber. Und nehmen Ihre Notizen mit nachhause. Dort werden sie noch ungeordnet in einem besonderen Ordner aufbewahrt. Wofür, das weiß er noch nicht. Zunächst verschafft ihm das ein Quäntchen Genugtuung. Zudem ist es eine Versicherung gegen das Vergessen.
Die Seminaritis ist ausgebrochen
Kennen Sie Ihre Kompetenzen? Stehen die in Ihrem Arbeitsvertrag? „Nein.“ Wie verhalten Sie sich bei bevorstehenden Entscheidun- gen? „Ich halte mich an die Zehn Gebote“ oder anders ausgedrückt, „ich benutze meinen gesunden Menschenverstand.“ Wie erfahren Sie, ob Sie richtig gehandelt haben? „Ich gehe so weit, bis man mir auf die Finger klopft. Dann weiß ich, hier ist meine Kompetenz zu Ende.“
Wo Zeitung gemacht wird, wird auch gesoffen. Papierstaub macht durstig. Und gestillter Durst macht Laune, fördert das Betriebsklima und vergisst auch mal den Feierabend, denn wer Überstunden macht, bekommt die schließlich auch bezahlt, und dazu gibt’s natürlich wieder Bier. Das gilt nicht nur für die Techniker im Bleisatz oder in der Montage. Ob Setzer oder Metteure. Sie haben sich vor vielen Jahren zu Zeiten giftiger Bleidämpfe in der Setzerei ein Privileg erstritten. Und das war ein Milchkontingent. Irgendwie ist es ihnen gelungen, von Milch auf Bier umzusteigen. Und niemand hatte etwas dagegen einzuwenden. Wenn der Alte jemals eine Aktenschrankkontrolle durch die Bürofluchten veranstaltet hätte. Oh Gott, er hätte hinter manchem leeren, beschrifteten Aktenordner hochprozentige dekorative Flaschen vorgefunden. Aufgefallen ist es erst, als einer seiner leitenden Angestellten im Vollsuff in eine Glastür gelaufen ist und sich dabei hässliche Schnittwunden zugezogen hat.
Das Bauernopfer
Da hat jemand eine gut funktionierende Vertriebsfirma (GmbH). Aus heiterem Himmel kommt zum 30. 06. unter Einhaltung der vereinbarten 6-monatigen Kündigungszeit die nie erwartete Kündigung. Man hat sich nichts vorzuwerfen, hat alles richtig gemacht. Und doch muss man gehen. Die Verlagsseite argumentiert, sie müssten reduzieren, Firmen einfach zusammenlegen, schlichtweg schrumpfen. Und tatsächlich, der Fall findet noch zwei weitere Parallelen. Schrumpfopfer, oder doch nicht?
Nennen wir den Ort: Xhausen. Dort gibt es eine Verlagsgeschäftsstelle mit einem Geschäftsstellenleiter. Ein aktiver Mann, hat seinen Laden im Griff. Hat in den letzten Jahren den Personalbestand mächtig herunter gefahren. Das gefiel den Oberen. Aber unser Mann ist kein Duckmäuser, er hat den Schnabel am rechten Fleck und macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. In der Zentrale wird er als unbequem empfunden. Nun wollen sie den loswerden. Aber wie? Es gibt einen eleganten Weg. Seine Frau hat bereits eine Vertriebsgesellschaft. Also gibt man ihm auch eine der oben genannten Firmen. Dort wird er Geschäftsführer. Dafür muss er seinen Platz in der Verlagsgeschäftsstelle räumen zugunsten eines „Jasagers“ aus den Reihen der Günstlinge. Jetzt hat er mit seiner Frau eine Bürogemeinschaft. Eines ist ihm zunächst verblieben. Seine Bezüge bleiben auf eine bestimmte Zeit erhalten.
Unrast und Ungeduld
Es gibt tatsächlich leitende Angestellte in Geschäftsführerfunktionen oder gar mit Prokura versehen, die so sehr in ihre Machtstrukturen verstrickt sind, dass es einem Außenstehenden vorkommt, als habe er einen Weißen Elefanten vor sich. Das Schlimme daran ist, diese Weißen Elefanten glauben an sich wie der Kaiser in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider.“ Im Grunde leben solche hoch dotierten Kaiser an der Realität vorbei. Nehmen wir folgendes Beispiel: In einem bestimmten Teil des Verbreitungsgebiets sollen innerhalb einer bestimmten Kalenderwoche Informationsblätter an so genannte „Nichtleser“ verteilt werden. Nichtleser sind all jene Familien, die unsere Zeitung nicht abonniert haben. Die Vorgabe war: Auslieferung am Montag oder am Dienstag. Ende der Verteilung: am Freitag. Dann kommt eine Mail: Bitte informieren Sie mich noch heute bis 14:00 Uhr, wie Sie die Verteilung geplant haben. Antwort: von Montag bis Freitag. Mit allen Zustellern wurde gesprochen. Dann die nächste Mail: Wie stellen Sie sicher, dass die ordnungsgemäße Verteilung kontrolliert wird. (Der Empfänger der Mail ist ein Einzelkämpfer und hat insgesamt rund zweihundert Mitarbeiter in Lohn und Arbeit stehen). Jetzt haben die Strategen den Stein der Weisen erfunden. Es geht mal wieder um die leidige Auflage. Sie sinkt stetig, zwar nicht spektakulär, aber sie sinkt seit Jahren. Man weiß, alle müssen sparen. Auch in den Haushalten. Wenn die Zeiten schlecht sind, wird so manche lieb gewordene Gewohnheit zumindest infrage gestellt. Am Essen oder Trinken kann man sich einschränken, vor allem beim Ausgehen, Urlaub, na ja, bisher waren die Deutschen Weltmeister in Sachen Reisen und Erholung. Auto und Fernseher sind Status-
symbole. Die stehen absolut nicht auf der Roten Liste. Aber bei der abonnierten Tageszeitung wird gespart. Nachbarn halten gemeinsam nur ein Abonnement. Der eine liest früh und der andere eben später. Bei den Energiekosten in diesem Jahr kann das eingesparte halbe Abo pro Jahr schon den Energiehaushalt ausgleichen.
Der Boxring
Quadratisch der Raum, quadratisch der Tisch. Rings
um den Tisch sitzen die Kampfrichter. Die Akteure und der Referee sitzen ausnahmsweise ebenfalls am Tisch. Im Hausgebrauch wird dieses Gebilde Boxring genannt, weil es wegen seiner gepolsterten Wände symbolisch die Schläge abfedern sollte, die hier ausgeteilt werden. Es ist das kleine Besprechungszimmer. Einladungen werden vorher nicht ausgeschrieben, sie ergehen spontan per Telefon. Keiner weiß, wer außer ihm noch anwesend sein wird. Auch das Thema ist fremd, damit sich niemand präparieren kann. Der Referee will spontane Stellungnahmen, quasi aus der Hüfte geschossen. Wer zum erlauchten Kreis der Teilnehmer zählt, gehört der Oberliga an, also Abteilungsleiter und Prokuristen. Und hier kriegen sie ihr Fett ab. Hier gibt es rote Ohren und hängende Gesichter. Was im Boxring beschlossen wird, darf die Polsterwände nicht verlassen, ist ausschließlich dem erlauchten Kreis vorbehalten. Kein Sterbenswörtchen nach draußen. Ja, das sind alles Ehrenmänner, zum Teil sogar in öffentlichen Ehrenämtern mit gnädigster Duldung seiner Durchlaucht, dem Verleger. Jeder musste unterschreiben, nicht der Scientology anzugehören.
Die eigenen Geschäftsanteile von 66% und ihre
Bewertung.
Was sagt das Karlsruher Modell?
Und was ist Realität?
Ex-Verleger mit Kopfschuss in seiner Baracke
Texte: (C)
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009
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