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Wieder daheim



Romantische Schlupfwinkel in Fachwerkgiebeln,
von Mauern und Zinnen und Türmen umrahmt,
eingebettet in einladend anmutende Rebhänge
zwischen gezacktem Schiefergestein
und schroff abfallenden Hängen,
nicht trennend, eher verbindend
durch einen Strom von majestätischer Breite,
so bietet sich die kleine Stadt mir dar.
Unverkennbar der Talblick, von Urbar kommend,
gebietet meinem Fuße Halt.
Die Kontrapunkte des mächtigen Ochsenturms
und der beiden stadtbegrenzenden Gotikbauten,

schatzbergende Gebetshäuser, sind so augenfällig,


wie die umlaufende Ringmauer den Stadtkern
umschließt.
Droben auf dem Schönberg dirigiert eine Feste
den harmonischen Gleichklang vom Leben unter
Schieferdächern.
Ich verharre und überlasse mich dem Bild
und seiner Wirkung.
Sanfter Rauch entsteiget grauen Dächern.
Das Bild, es lebt. Plötzlich drängt es mich,
als ob der Wein jemals zur Neige gehe
dort im Städtchen an dem Strom.
Die ersten Schatten,
die von dunkelgrünem Efeu eingekleidete Mauer
verschenkt mir wohlige Kühle.
Der rasche Gang hat meine Stirn erhitzt.
Ich kenn´ ein Haus. Da gibt es einen Wein.
Was wär´ der Wein ohne die Menschen?
Mensch und Wein sind gute Freunde.

Jetzt klingen bunte Glockenklänge in den alten Tag.


Leuchtend rot glüht das Gemäuer
von der Schönburg auf die müde Stadt. Abend.
Noch verharren die verborg´nen Lichter,
noch ist´s hell.

Nur drinnen hinter bleiverglasten bunten Scheiben


flackern Kerzen im Lokal.
Ein kurzer Gruß, dann sitz ich in der Runde.
Als ob ein Tag, ein sonnenreicher, Überstunden
machen wollte, so glänzet der Pokal,
gefüllt mit kernig herbem Saft,
mir strahlend froh entgegen, sehr zum Wohl.
Und wie der Schluck, der erste mich erfährt,
da sprudelt es aus übervollem Herzen: Heimat.
Ich hatte sie vertauscht, den heilen stillen Hort.
Ihr Glanz im Rheintal tauscht ich ein
samt Frohsinn und geselligem Bemühen.
Die Wohlfahrt und Geborgenheit,
vertraute Namen und angeborne Laute
ließ ich jäh zurück.
So ging ich fort, zu weit, sie öfter zu besuchen.

Zum Abschied, der mir damals leicht, gesellte sich


die Wehmut.
Zwar nahm ich Wein mit von zu Haus,
wie schnell war der getrunken.
Und Bilder von dem Strom, dem Mauernkranz,
den Türmen.
Sie zeigte her ich manchem Fremden in der Stadt.
Die Stadt, groß, wie sie mir erschien,

hätt´ vielfach Platz gehabt für dieses Fleckchen Erde.


Fremd waren dort Gesichter.
Und immer wieder fremd und neu und anders
ihre Züge.
Die Sprache, freilich deutsch und trotzdem fremd
im Klang.
Ich musste hundertmal die neuen Straßen gehen,
eh’ mich die Namen und die Häuser freundlich
stimmten.
Ihr Pulsschlag war genormt.
Ich musste mich dreinfinden
und lernen musst ich täglich,
mich üben in der großen Stadt.
Wenn das Gesicht der Bäckersfrau auch freundlich,
so währte es doch Wochen, bis sie vertraut mir schien.
Ich hatte mich beworben, war stolz auf den Vertrag.
Und jung an Jahren half die Hoffnung mir nach vorn.
Vergleiche, Einsicht und Erfahrung standen Pate.
Es schadet keinem jungen Manne, wenn er sieht,
wie andernorts der Tag sich zwingt.
Die Forderung nach mehr macht einen Mann.
Und wenn ich vorhin sagte,
dass Wehmut, leichter Abschiedsschmerz
mich peinigte,
so war an diesem Abschiedstage
doch die Rückkehr schon bestimmt.
Nicht als Entschluss, nicht greifbar nah,
nur als Funke irgendwo im Inneren,
nie verlöschend.
Was hätt´ ich drum gegeben manches Mal,
an trüben Tagen, ewig langen Nächten unter
fremden Dächern,
was hätt ich drum vertauscht
aus meinem neuen Wirkungskreis
für ein vertrautes Wort.
Es reizte mich, den fremden Klang
in Nachahmung zu üben.

Das war die Referenz, die einz´ge an die neue Welt.


Dann sprach ich mit den Meinen,
der Frau, den Kindern wieder Dialekt.
So ausgeprägt, so echt als wie zuhause.
Die Kinder freilich lernten draußen Deutsch,
ein Hochdeutsch, dem ich heute noch
vergeblich nachzueifern ich mich mühe.
Und wenn die Sehnsucht nach dem Strom
mich manchmal übermannte,
dann fuhr ich Stunden durch das Land,
den nächsten Weg zum Rhein.
Dort stand ich wortlos an dem Fluss,
der braun und schwer wie zäher Schlamm
der nahen Grenze gegenschwamm.
Hier war ich nicht zuhause.
Doch konnt ich wieder freier atmen
beim Anblick des bekannten Rheins.
Ich sah´s als Niederlage an
und wehrte mich im Innern der Gefühle.
Gestand mir ein, fast ein Jahrzehnt,
du bist der Trennung nicht gewachsen.
Gewachsen in der Fremde war ein neuer Takt,
ein Anspruch an das Leben,
oft Standard auch genannt.
Die Stadt, die große, konnte dies erfüllen,
selbst wenn sie kühl und sachlich sich gebärdet.
Ich hatte abzuwägen
zwischen schiefergrau verträumter Heimat
und dem Ort der scheinbar güldenen Fassaden,
die lockten mich mit Geld.
Ich wählte grau und bürgerlich,
statt mich dem Neonglanze hinzugeben.
Der Hahnenschrei aus Nachbars Garten
beglückte mich am Morgen.
Der Schwalbe tiefer Flug
durch Gässchen, zwischen Giebeln und Gemäuer
belebte meinen noch verschlafnen Blick.
Ich war zuhause.
Jetzt sind die rauchig schwarzen Schlote
der Fabriken, die marmornen Fassaden
großer Bauten und rotgebgrüner Augen
des Großstadtlärms verdränget wie im Traum.
Sie kehren wieder, in den Träumen.
Fallen über mich her
wie über den Verräter.
Sie zerrten mich an meiner Kluft
und schmeichelten mir gar
mit lockend Konditionen.
Nein, lasset mich in Frieden.
Vergesset mich für immer.
Mein Ratschluss ist endgültig.
In tiefen Zügen genieße ich den Tag,
den kleinen, den persönlichen, den frohen Sieg.
Wie gern lass ich mich einen Spießer schelten.
Doch sing ich stets das hohe Lied
von Heimat, Rhein und Wein.
Die Anpassung nicht leicht,
der Sprung zurück verhehlt nicht seine Tücken,
doch nehm ich viel in Kauf.
Im Lauf der Zeit, da wachsen alte Wurzeln.

Sie greifen Nahrung suchend, Nahrung findend Grund.


Es wachsen alte Bande.
Erst waren es die Zeugen der Vergangenheit,
die mir vertraut erschienen,
steinerne Wächter auf wehrtüchtig Mauern.
Die breiten, haushohen Schattenspender
umschließen lückenlos den alten Stadtkern,

als wollten sie auch heut´ noch ungebet´ne Feinde


von seinen Bürgern schützend ferne halten.
Längst ist Zurückgezogenheit gewichen.
Einladend´ Gastlichkeit empfiehlt sich vielfältig,
dem Gaste, so auch mir.
Dann waren es bekannte Laute,
bekannte Züge der Gesichter,
die mir Gewissheit gaben, zu Haus´ zu sein.
Ich gebe zu, es waren neue Blicke drunter,
viele junge Züge,
doch beim zweiten Blick entdeckte ich
dahinter ihre Eltern.

Und dies ersparte mir, sie nach den Namen zu fragen.


Ich lauschte gern der übervollen Sprache,
verflüssigt durch das Nass im Glas,
wie sie die Runde gar schwärmerisch
mit frisch Erlebtem froh erheiterten.
Es waren keine wicht´gen Dinge.
Nein nein, das waren sie beileibe nicht.
Junge Menschen erfahren ihre Umwelt
und sich selbst.

Und das empfinden sie nicht selten komisch oder lustig.


Wie hätt´ ich ihnen widersprechen dürfen?
Man raubt doch keine Illusionen.
Das wäre unschicklich von mir.
So freute ich mich mit ihnen,
gab ihrem Drängen nach,
von ihren Eltern zu erzählen,
mit denen ich die Schulzeit lang verbrachte.
Nicht wieder Schulzeit, nein.
Es wird zu viel glorifiziert.
Schönmalerei und Legende,
als ob die Schulzeit aus lauter Episödchen nur
bestanden hätte.

So plaudert´ ich, wie wir gemeinsam damals lebten.


Und siehe da, gar manche Selbstverständlichkeit
erschien in einem andren Licht.
Obwohl ich´s lernte von zuhause,
obwohl die Heimatkunde sich versuchte,
Erfahrung, Abstand und der Blick geschärft
von Heimweh und der Fremde,
ich seh´ die Heimat, die mich wieder hat,
mit sehenden, mit andern Augen.

Schön war´s bei jenen jungen Menschen im Lokal.


Längst glänzt´ der volle Mond im glatten Strom,

mit silbrig Schimmern breit und matt bis an die Ufer,


als ich den Umweg wählte, dann zu gehen.
Gut´ Nacht ihr Freunde,

das war mein erster Tag bei euch, bei mir zu Haus.


Noch im Gehen sprach ich leise vor mich hin.
Ich sprach so laut, dass grad ich´s hören konnte.
Es waren fast vergessne Laute,
die hörten sich ja an wie Kosenamen,
obwohl sie ungern nur den Namensträgern
schmeichelten. Spitznamen gab´s von A bis Z,
die ihre Träger zeitlebens mit sich tragen
wie ausgetret´ne Schuhe.
Die hatten selbst die Eigenart, sich zu vererben.

So trug der Sohn den gleichen Ruf wie seine Ahnen,


entstanden einst zur bess´ren Unterscheidung.

Und weil ein jeglicher gleich ungefragt erkannte,


wes Träger dieser Sonderheit gemeint,

wurd´ Allgemeingut, was einst die Alten still ersannen.


Ja, ja, die neue Gen´ration

ist nicht mehr so erfinderisch mit neuen Attributen,
doch pflegt sie den Gebrauch
der Spitznamen noch heute.
Ich will sie hier, obwohl ich viele kenne,
doch nicht benennen, weil unschicklich es wär´,
auch würde mancher dann sich grämen,
weil ausgerechnet er hier einging in die Schrift.
Gesprochen ja, doch nicht geschrieben,
so leben sie noch heute, selbst wenn sie uns gestorben.
Die Derbheit mancher Namen,
sie macht sich schlecht gedruckt.
Begnügen wir uns schlicht, dass es sie gibt.
Der Mond verdeckte fast verschämt
sein Spiegelbild im dunklen Strom,
versteckt wohl hinter einer Wolke,
als ob er die Gedanken, die eigenen erraten hätt´.
So schritt ich fortan schweigend weiter,
derweil im Strauch, im nahen Grün der Rheinanlagen
zwei jauchzende, verscheuchte Laute
lächelnd ich vernahm.
Der eine hell, der andere dunkel. Ich schritt vorbei.




Die Macht der Heimat wird überdeutlich in diesen Versen, gerät zum Magnet und hat tatsächlich bewirkt, ein Jahrzent lang auf gepackten Koffern zu sitzen.

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Texte: Alle Rechte beim Autor.
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2009

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