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Das vierte Date

Ich denke, ich bin nervös. Anderseits bin ich zu nervös um zu denken. Dann sehe ich ihn, wie er lächelnd auf mich zukommt. Ich schnappe mir meine Tasche und laufe ihm entgegen. Mein Herz überschlägt sich beinahe, meine Knie sind weich, was aber auch an der stundenlangen Zugfahrt liegen kann. Wir begrüßen uns mit einem intensiven Kuss und gehen dann händchenhaltend zu seinem Auto. Selbstverständlich hat er mir sofort die eigentlich recht leichte Reisetasche abgenommen und öffnet mir nun gentlemanlike die Autotür. Ich liebe diese kleinen charmanten Gesten. Ich bin eine emanzipierte Frau, aber in Beziehungsangelegenheiten bin ich doch recht altmodisch.

Dies ist unser viertes Treffen, und zum ersten Mal werden wir auch die Nacht gemeinsam verbringen. Meine Nase juckt ganz schrecklich, weshalb ich ganz diskret meine Hand in Richtung Kopf bewege, mir eine Haarsträhne hinters Ohr schiebe und dann ganz flink über meine Nase kratze. Er weiß, dass es bei mir ein Zeichen von Nervosität ist. Das hab ich ihm in meinem jugendlichen Leichtsinn mal verraten. Nun ist mir das peinlich, was wiederum völliger Blödsinn ist. Seit neun Monaten sind wir nun zusammen, unterhalten uns täglich im Chat. Ich kann mit ihm über alles reden, und er hört mir zu, versteht mich. Ich habe eine so innige geistige Vertrauensbasis zu ihm aufgebaut, da ist es eigentlich wirklich lächerlich, dass es immer noch Sachen gibt, die mir vor ihm peinlich sind. Aber es ist so, und die juckende Nase ist nur eine Kleinigkeit davon. Ich blicke zu ihm rüber, sehe sein breites Grinsen und weiß sofort, dass ich erwischt wurde. Auch in meinem Gesicht macht sich ein breites Grinsen breit. Und wieder mal bin ich nur zu einem Gedanken fähig: „Ich liebe ihn!“ Und ich bin mir sicher, er weiß genau, was ich denke.

„Und sonst?“ fragt er mit einem extra aufgesetzten unschuldigen Hundeblick. „Nichts!“ erwidere ich lachend und gebe ihm noch einen Kuss. Mit entschuldigender Mine erklärt er mir, dass wir noch seinen kleinen Bruder vom Spielplatz abholen müssen. Das irritiert mich einen kurzen Moment, dachte ich doch, sein Bruder sei älter wie er, aber ich will darüber jetzt nicht nachdenken, sondern nicke nur zustimmend. Er fährt los, und ich lasse meinen Blick über die Umgebung streifen. Ich war ja noch nie bei ihm, weshalb ich versuche, soviel wie möglich von der Umgebung zu erfassen. Aber nach einer Weile gebe ich enttäuscht auf. Die Straßen und Häuser sehen aus wie in jeder x-beliebigen Stadt. Am Spielplatz angelangt steigt mein Schatz aus, um seinen Bruder zu holen. Kurze Zeit später setzt er sich eilig wieder hinters Lenkrad und startet sofort den Motor. Sein Bruder sei eben auf der anderen Seite vom Spielplatz in den Bus gestiegen. Das war nicht gut. Wenn die Mutter das erfährt, gibt es Ärger. Er will versuchen, den Bus an einer anderen Haltestelle abzupassen. Und schon tritt er das Gaspedal durch, umrundet den Spielplatz, nimmt die Verfolgung auf. Schon kurze Zeit später sehen wir den Bus, wie er die nächste Haltestelle verlässt. Der Stadtverkehr hindert uns daran, zügig voran zu kommen. Die Chancen, den Bus an einer der kommenden Haltestellen abzufangen ist gering. Aber mein Schatz hat eine grandiose Idee. Die Südautobahn wird momentan in Richtung Ebenthal ausgebaut und ist noch wegen Belags- und Fertigstellungsarbeiten gesperrt. Aber er ist sich ziemlich sicher, dass die Asphalttragschicht schon aufgebracht wurde. Zielstrebig steuert er also die geplante Abkürzung an. Er umsteuert eine Absperrung, überfährt drei Absperrhütchen – und schon haben wir freie Fahrt. Mit hoher Geschwindigkeit brettern wir über den grobkörnigen Fahrbahnbelag, vorbei an ein paar verwunderten Arbeitern, die gerade dabei waren, Feierabend zu machen. Vielleicht sollte ich mir Sorgen machen, oder gar Angst verspüren, aber das Adrenalin rast durch meinen Körper mit derselben Geschwindigkeit, wie wir über die Straße rasen. Ich spüre ein Kribbeln im Bauch, und fühle, wie sich eine angenehme Erregung in mir breit macht. In meinem Kopf erscheinen Bilder, was ich gerne mit meinem attraktiven Chauffeur anstellen würde... Plötzlich sehe ich jedoch etwas Beunruhigendes. Die Straße macht eine scharfe Rechtskurve. Wahrscheinlich ist dort Ausbauende. Ich sehe wie mein Fahrer das Lenkrad nach rechts dreht - aber das ist zu früh! Er kann doch unmöglich die Kurve schneiden wollen, dort ist doch gar kein Untergrund. Ich sehe schon kommen, wie der Wagen sich überschlagen wird und am Fuße der eineinhalb Meter hohen Böschung zum Liegen kommt. Aber dann geschieht das Unglaubliche. Anstatt abzubremsen drückt er das Gaspedal voll durch, und wir fliegen durch die Luft. Wie in Zeitlupe erlebe ich den Flug, ich halte den Atem an, kann meinen eigenen Herzschlag hören, und dann landet der Mazda zielsicher wieder auf der Spur. Ich hole erleichtert Luft, und die Fahrt geht

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Bildmaterialien: JK von Karine Levieux
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2013
ISBN: 978-3-7309-2990-2

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