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Berichten will ich euch heute die tragische Geschichte von Prinz Theodor und Prinzessin Riccarda. Sie ereignete sich vor sehr langer Zeit in einem fernen Land, das mittlerweile in Vergessenheit geraten ist. Doch ich versichere euch, die Geschichte hat sich genau so zugetragen:

Jubel drang aus jeder Straße, jeder Gasse und vor allem von den Zinnen des Schlosses. Heute fand die Vermählung des Prinzen Theodor mit der lieblichen Prinzessin Riccarda statt. Im ganzen Lande wurden bereits am Tage zuvor Speisen und Wein an alle Untertanen verteilt, so dass jeder dieses große Ereignis gebührend feiern konnte. Die Glocken ließen ihr freudiges Geläut über die Dächer strömen, und da schritt endlich das glückliche Brautpaar die Stufen der Kathedrale herunter. Prinz Theodor in weißem Anzug, eine Schärpe in den Landesfarben quer über die Brust, hatte seine schwarzen Haare mit einer weißen Schleife nach hinten gebunden. Prinzessin Riccarda war die pure Anmut in Person. Ihr schneeweißes Brautkleid fiel in zahlreichen Stoffbahnen bis auf den Boden, und hinter der Prinzessin folgten sieben Mädchen, welche die lange Schleppe des Brautkleides trugen.
Die Menge, die sich auf dem Vorplatz versammelt hatte, war außer sich vor Freude. Überall ertönte: “Lang lebe Prinz Theodor, lang lebe Prinzessin Riccarda!”
Am Fuße der Treppe wartete die königliche Kutsche, bespannt mit sieben weißen Rössern. Der Jubel schwoll noch einmal an, als die Rösser in Richtung Sommerschlösschen davon trabten.

Ihr könnt euch ja denken, dass im Sommerschlösschen am Wildrosensee ein rauschendes Fest veranstaltet wurde, deshalb will ich davon auch gar nicht weiter erzählen.
Am Abend, als die letzten Gäste das Anwesen verlassen hatten, zogen sich unsere beiden Verliebten zurück in eine Laube direkt am See. Prinz Theodor, der sein Glück immer noch nicht fassen konnte, das Herz der Prinzessin für sich gewonnen zu haben, sank vor ihr auf ein Knie und nahm ihre Hände in seine.

“Oh holde Riccarda, ich bin nun dein.
Für Ewig werden wir zusammen sein.
In deinen Augen will ich täglich versinken,
In meiner Liebe nur sollst du ertrinken.”

Unsere Prinzessin, von diesen Worten tief gerührt erwiderte nun:

“Liebster Theodor, als ich dich einst sah,
am Hof meines Vaters, wurd mir gewahr,
du bist der Eine, für mich bestimmt,
der mich als Braut bald zu sich nimmt.
Jeder Tag, jede Stunde wurde zur Pein,
ich schritt durch Gang und Flur stets allein.
Wartend auf den Tag, der kommen sollte,
da ich nur an deine Seite wollte.
Nun erfüllt sich mein Glück, ich bin bei dir,
und du bleibst für immer nah bei mir.
Alle Wege beschreiten wir nun gemeinsam
und sind von heute an nie mehr einsam.”

Nun spazierte das junge Paar am Ufer des Sees entlang, und da die Nacht mild war, kamen sie auf die Idee, gemeinsam im Wildrosensee zu baden. Sie schwammen in die Mitte des Sees, bespritzten sich mit Wasser, turtelten, küssten sich über und unter Wasser, eng umschlungen, und nur der Mond sah ihrem Liebesspiel zu. Dann schwammen sie um die Wette zurück zum Ufer.
Theodor war als erster aus dem Wasser, doch als er sich umdrehte, war keine Spur von Riccarda zu sehen. Die Wasseroberfläche war dunkel und glatt, und tausende von Sternspiegelungen blickten ihm traurig entgegen.
Entsetzen ergriff des Prinzens Herz, und mit einem Satz sprang er zurück in den See. Er tauchte immer wieder unter die Wasseroberfläche und suchte nach der Prinzessin. Dann sah er ihre blonden Locken auf dem Wasser treiben. Er schwamm so schnell er konnte zu ihr und schaffte ihren leblosen Körper ans Ufer. Seine nassen Haare fielen ihm ins Gesicht, und Tränen liefen ihm ungehemmt über die Wangen.

“Oh liebste Riccarda, was ist nur geschehen?
So sag doch ein einziges Wort.
Deine Augen, sie scheinen mich nicht mehr zu sehen,
sie blicken nach einem fernen Ort.
Liebste Riccarda, verlass mich nicht,
ohne dich kann ich nicht mehr sein.
Du bist mein Leben, mein Odem, mein Licht,
die Dunkelheit sucht mich nun heim.
Ich flehe dich an, komm zurück zu mir,
alles würde ich dafür geben.
Oh grausamer Tod, sag, was verlangst du von mir,
Damit du verschonest ihr Leben?
Ich biete dir Geld, Gold und Juwelen,
was ich besitze sei dein.
Was immer du forderst will ich dir geben,
mein Leben soll das deine sein.”

So saß Prinz Theodor zwischen den Wildrosen am Ufer, den Kopf seiner geliebten Prinzessin in seinen Schoß gebettet, und beklagte ihren Tod.
Plötzlich vernahm er eine tiefe dunkle Stimme hinter sich:

“Was du dir wünscht, kann ich erfüllen dir,
doch wisse, hoch wird sein der Preis.
Die Schicksals-Lilie gibt das Leben zurück ihr,
Schau dort am Ufer, blüht sie in strahlendem weiß.
Mit deinem Blute musst du sie tränken,
dann leg sie der Geliebten auf die Brust.
Neues Leben wird die Blume ihr sogleich schenken,
Und es geschieht, was geschehen muss.”

Als die Stimme verstummte, sah Prinz Theodor nach hinten, aber es war niemand zu sehen. Am Ufer sah er die Lilie im Mondlicht schimmern. Sanft bettete er Riccardas Kopf auf dem Boden und schritt zum Ufer. Vor der Lilie kniete er nieder und sah sie an.

“In dich setzte ich meine Hoffnung nun,
Bring mir die Geliebte zurück.
Wie mir geheißen werde ich tun,
sei vom Tod zum Leben nun die Brück.”

Mit diesen Worten brach er die Lilie ab und schritt eilig zu Prinzessin Riccarda.
Das Blatt der Lilie war messerscharf. Damit schnitt sich Theodor nun die Handfläche auf und hielt die blutende Hand über die weiße Blüte, die sich nach und nach blutrot färbte. Dann legte er die Blume auf die ruhende Brust der Prinzessin.

“Geliebte Riccarda, gleich ist es soweit,
die Schicksals-Lilie bringt dich zurück.
Dann leben wir beide für ewig zu zweit
in unserem neu gewonnenen Glück.”

Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als sich die Prinzessin aufrichtete und sprach:

“Theodor, mein Geliebter Mann,
ich hatte einen seltsamen Traum.
Auf mir lag ein Zauberbann,
ich sah und hörte dich kaum.
Ein weißes Licht, es lockte mich,
ich konnte nicht widersteh’n,
ging darauf zu, vergaß gar dich.
Ich musste einfach geh’n.
Doch dann war diese Blume dort,
strahlend rot und wunderschön,
lockte mich von dem Licht hinfort.
Und plötzlich sah ich dich vor mir steh’n.”

Sie fiel ihrem Theodor in die Arme und war glücklich, seine Lippen auf ihren zu spüren. Doch mit einem Male erschlaffte er in ihren Armen. Er entglitt ihr und landete auf dem Boden. Schnell ergriff sie seinen Kopf und nahm ihn in den Arm. Doch sie hielt nur eine leere Hülle. Das Leben hatte Prinz Theodor verlassen, und die Schicksals-Lilie lag verwelkt neben ihm, und eine körperlose Stimme flüsterte in der Nacht:

"Die Schicksals-Lilie hat große Macht,
mag gar den Tod besiegen,
ihr Einsatz sei jedoch gut bedacht,
denn der Tod wird sein Opfer kriegen."

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.10.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Ricci, die sich immer geduldig meine Ideen anhört. Danke!

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