Für meine Liebsten
Die Handlung dieses Romans, sowie die handelnden Personen sind frei erfunden.
Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
© Schwartz, Stephanie M.
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»Meinst du nicht, es ist etwas früh dafür?«, fragte Alexander seufzend und ließ sich neben Andrea auf die Couch sinken.
Es war noch früh am Morgen und die Sonne quälte sich nur langsam über die Berge, um auch das Tal mit ihrem Licht zu durchfluten. Von dem großen Panoramafenster im oberen Stockwerk von Andreas Haus aus, konnte man die Tautropfen in den Ästen und Blättern der Bäume und auf dem Gras der Felder und Wiesen glitzern sehen.
Alexander gähnte und nahm dankbar die angebotene Tasse Kaffee an. Sein Blick wanderte abermals über die mit hellen Fliesen belegte Dachterrasse, in die Ferne, wo allerdings sehr bald ein Berg den Blick versperrte.
Es war mitten in der Nacht gewesen, als sein Telefon geklingelt hatte. Am anderen Ende war Andrea. Sie war völlig aufgelöst, weinte und stammelte wirres Zeug.
Zu diesem Zeitpunkt war Alexander gerade in Wien auf einer Sitzung des Verlages, für den er gearbeitet hatte, gewesen, die bis in die Nacht dauerte. Er wollte eigentlich am nächsten Tag erst wieder zurückfahren, doch als er Andreas Zustand erkannte, zögerte er nicht lange.
Aus dem Hotelzimmer war er schnell ausgecheckt und sein Auto stand in der Tiefgarage des Hotels. Es war drei Uhr morgens und dementsprechend wenig los auf den Straßen. Dennoch dauerte es über drei Stunden, bis er schließlich vor Andreas Haus anhielt.
Sie schien nicht geschlafen zu haben. Ihre Augen waren rot, das Gesicht verquollen. Noch immer schniefte sie heftig und schien Mühe zu haben ihre Tränen zurückzuhalten.
Andrea brachte ihn ins Wohnzimmer und bot ihm die Couch an, doch Alexander stand lieber. Er war jetzt so lange im Auto gesessen, das musste er nun nicht auch noch fortführen.
Als Gentleman übersah er auch den Vibrator, der halb unter einer Zeitschrift verborgen auf dem Couchtisch lag. Als Andrea zurückkam, setzte er sich doch hin. Sie nahm ein Glas Rotwein und leerte es in einem Zug.
Kaum waren Alexanders Worte verklungen, hatte sie das Glas bereits nachgefüllt und die Flasche landete neben zwei weiteren, die bereits am Boden standen.
»Hast du etwa die ganze Nacht hier gesessen und getrunken?«, fragte Alexander fassungslos.
Andrea antwortete nicht.
Sie lehnte sich zurück und schwenkte das Glas unter ihrer Nase, während sie durch das Fenster hinaus blickte. Es war, als warte sie auf etwas, das nicht passierte.
Abermals leerte Andrea das Glas mit einem Zug und stellte es auf den Tisch zurück. Es war Alexander zu verdanken, dass es nicht zu Boden fiel. Denn nur durch seine schnelle Reaktion fing er den schwankenden Kelch und brachte ihn in Sicherheit.
Als hätte das Andrea wieder daran erinnert, warum sie geweint hatte, begannen die Tränen wieder zu fließen. Sie schluchzte laut und sank an Alexanders Schulter.
»Ganz ruhig«, sagte er sanft und streichelte ihren Rücken, »Was ist denn los?«
»Ich habe sie gefunden«, seufzte Andrea leise und drückte ihn von sich weg.
Noch bevor er begriff, was sie meinte, hatte sie ihren Laptop aufgeklappt. Darauf war das eingefrorene Bild eines Filmes zu erkennen. Sie drückte Play.
Lautes Stöhnen drang aus den Lautsprechern. Die Kamera entfernte sich etwas von der Szene und Alexander konnte zwei Männer erkennen, die eine Frau in die Mitte genommen hatten.
»Ist es dafür nicht doch noch etwas viel zu früh?«, fragte er halb belustigt, halb in Sorge, doch Andrea antwortet nicht.
Der Film lief weiter und die Kamera zoomte auf das Gesicht der Schauspielerin. Andrea stoppte den Film.
»Da!«, sagte sie bestimmt und wies auf das Gesicht.
»Ja?«, fragte Alexander nach.
»Das ist sie!«
»Wer?«
Er sah ein weiteres Mal hin. Erst jetzt fielen ihm die grünen Augen auf. Doch der Rest passte überhaupt nicht. Die Frau war voller Tätowierungen und Piercings. Auf dem Kopf trug sie eindeutig eine Perücke. Und sie hatte Sex mit zwei Männern vor einer Filmkamera.
»Nein«, sagte er schließlich, mehr um sich selbst zu beruhigen, denn aus Überzeugung, »Das ist sie nicht.«
»Ich glaubte es zuerst auch nicht«, sprudelte es aus Andrea hervor, »Aber dann habe ich nachgeforscht.«
Sie schloss das Fenster mit dem Film und öffnete einen Browser. Unzählige Seiten waren hier gleichzeitig geöffnet. Die meisten hatten pornografischen Inhalt und es war immer die gleiche junge Frau.
»Sie ist in Europa kaum bekannt. Die Filme sind ausschließlich aus Amerika. Da hab ich auch ihren Wikipedia-Eintrag gefunden.
Sieh: Das ist Caros Geburtsdatum. Sogar der Geburtsort ist richtig. Ihr Name ist Elena Hansen, bekannt unter dem Pseudonym Delana Dark. Über ihr Leben vor dem Pornobusiness ist so gut wie nichts bekannt. Doch seit ihrem Einstieg ist sie als alternatives Model heiß begehrt.
Sie hat unzählige Filme gedreht und dafür sogar Preise bekommen. Erst in diesem Jahr gleich zwei, bei etwas das AVN-Awards heißt.«
»Die Porno-Oscars«, lachte Alexander, wurde aber gleich wieder ernst.
»Ich habe Fotos aus ihrer Anfangszeit gefunden.«
Sie öffnete eine Seite und vergrößerte ein Bild darauf. Das Mädchen mit den blauen Haaren und dem runden Gesicht hatte wirklich Ähnlichkeit mit Caro. Doch das konnte nicht sein. Wie wahrscheinlich war es, dass ausgerechnet sie als Pornosternchen in Amerika Karriere machte.
»Das glaube ich nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf, »Sie sieht ihr ähnlich, keine Frage, aber doch nicht mehr.«
Andrea antwortete nicht. Sie suchte stattdessen ein weiteres Video heraus. Dieses Mal war es ein Video von den AVN-Awards dieses Jahres. Sie hatte bereits die Stelle gesucht, an der Delana Dark den roten Teppich herunterkam. Sie hatte ein hageres, glatzköpfiges Mädchen im Arm. Die Fremde war noch mehr tätowiert als das Pornosternchen und ließ sich anscheinend nur ungern von den Kameras einfangen. Dagegen genoss Delana Dark das Bad in der Menge sichtlich.
Alexander hatte das Gefühl, als lege sich eine kalte Hand um sein Herz. Ihr Lächeln, die fröhlichen Augen, das Gesicht. Es war alles beinahe eine verzerrte Kopie der Carolina, die er in Erinnerung hatte. Dennoch konnte es nicht sein.
Dachte er.
Auf die Frage der Reporterin antwortete die Frau in einem beinahe akzentfreien Englisch und löschte damit alle Zweifel aus. Alexander würde diese Stimme wohl nie vergessen können. Ihre Schreie, ihr Flehen war ihm ins Gedächtnis gebrannt.
Er bekam eine Gänsehaut und begann zu zittern. Sein Blick hing wie gebannt an den vollen Lippen der Pornodarstellerin. Es konnte einfach nicht wahr sein.
Oder doch?
»Ich glaube es nicht«, meinte er schließlich stotternd.
Eine einsame Träne schlich sich in sein rechtes Auge und glitt über seine unrasierte Wange, eine feuchte Spur hinterlassend.
Andrea kam zu ihm und umarmte Alexander. Sie schluchzte laut und Augenblicke später durchnässten ihre Tränen sein Hemd.
Zwei Tage später hatte Alexander seinen Hintergrundcheck abgeschlossen. Ein Freund hatte ihm bestätigt, dass der Name Elena Hansen tatsächlich nicht der Geburtsname war. Allerdings hatte er auch bestätigt, dass der Name mittlerweile rechtskräftig geändert und der ursprüngliche Name unter Verschluss war. Warum, sagte er nicht.
Alexander wusste, dass er nicht mehr Informationen herausgeben würde. Ämter waren da mitunter nur wenig kooperativ und an Gesetze gebunden, die einen freien Journalisten ganz gerne einmal einbremsten.
Allerdings hatte er Glück mit der Bildersuche. Er stieß auf ein privates Facebook-Profil, das allerdings wohl schon länger nicht mehr betrieben wurde. Doch die beiden darauf öffentlich zugänglichen Fotos zeigten Elena mit weniger Tattoos und weniger Piercings. Hier war es nicht mehr zu leugnen. Sie und Carolina waren eine Person.
Gerade das machte es für Alexander so schwierig es zu glauben.
Wie konnte ein lesbisches Mädchen, das zu allem Überfluss noch brutal vergewaltigt worden war, in der Sexindustrie arbeiten? Es ging ihm einfach nicht in den Kopf.
Er hatte eine Mappe mit allen Informationen zusammengestellt und war zu Andrea gefahren. Die hatte gerade noch Ordination und so setzte er sich ins Wartezimmer, um auf sie zu warten.
Außer ihm waren nur noch zwei weitere Personen anwesend. Die ältere, hübsche Blondine hinter dem Computer, die ihm immer wieder einen prüfenden Blick zuwarf, sowie eine ältere Dame, der es nicht peinlich zu sein schien, im Wartezimmer einer Psychologin und Psychotherapeutin zu warten.
»Sind sie der Freund der Frau Doktor?«, fragte sie mit brüchiger Stimme, nachdem sie mitbekommen hatte, wie er zuvor meinte, er wäre nicht zu einer Behandlung hier.
Alexander musste lachen. Andrea war noch keine Doktorin, aber vermutlich würde sie auch das eines Tages nachholen und war es nur aus reinem Wissensdurst.
»Nein, ich bin nicht ihr Freund. Ich bin nur ein Freund. Andrea hat keinen Freund«, erklärte er schließlich reichlich umständlich.
Doch die alte Frau hatte begriffen.
»Oh«, machte sie, »Verzeihen sie. Ich finde es nur seltsam, dass die Frau Doktor keinen Mann an ihrer Seite hat.«
»Ich denke, so schnell wird da keiner zu finden sein«, antwortete Alexander und biss sich gleich darauf auf die Zunge.
Er war nicht hier um Andrea zu outen. Und genau genommen ging es auch niemanden etwas an.
»Sie hat viel zu tun. Da bleibt nicht wirklich Zeit für die Liebe«, erklärte er auf die fragenden Blicke hin.
Damit gab sich die alte Frau zufrieden.
Es dauerte nicht lange, bis sie in die Ordination gerufen wurde. Alexander ließ seinen Blick schweifen und der kreuzte sich mit dem von Susanne, der Sprechstundenhilfe. Sie kannten sich bereits und hatten sich öfter unterhalten.
Susanne war seit einem halben Jahr geschieden und hatte zwei Kinder, die beide noch ziemlich jung waren. Schon bei seinem ersten Besuch war ihm ihr Blick aufgefallen, doch er hatte sich nichts dabei gedacht. Doch nun war ihm bei jedem weiteren Besuch, als würde sie ständig mit ihm flirten.
Auch jetzt suchte sie Blickkontakt und schien ihr üppiges Dekolleté noch weiter nach oben zu drücken. Alexander ertappte sich dabei, wie er das ausgeblasste Tattoo eines Skorpions auf der rechten Brust betrachtete.
Das alles dauerte nur einen Augenblick, doch als sie sich langsam erhob, war ihm heiß und er fühlte sich, als hätte er eine Stunde seines Lebens verloren.
»In letzter Zeit bist du öfter hier«, meinte die Sprechstundenhilfe und setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches.
»Wir haben in einer WG gewohnt und waren immer gute Freunde. Das wollen wir jetzt nicht abreißen lassen«, erklärte Alexander.
»Eine WG zwischen einer Frau und einem Mann. Das ist doch etwas seltsam. Da kam euch nie der Sex dazwischen?«
Alexander errötete, doch er musste nichts sagen.
»Also doch«, lachte Susanne und setzte sich neben ihn auf einen der Stühle.
Ihr süßes Parfüm benebelte seine Sinne und Alexander fühlte, wie langsam, aber dafür drängend, Blut in sein bestes Stück schoss.
»Aber ihr seid nicht zusammen?«, fragte die Sprechstundenhilfe, »Und verheiratet bist du auch nicht. Freundin?«
Alexander schüttelte den Kopf. Es fiel ihm immer schwerer, bei Verstand zu bleiben. Er mochte sich möglicherweise täuschen, doch ihr Begehren war für ihn ziemlich eindeutig.
»Auch ein Single. Das ist ein Leben, sag ich dir. Besonders in meinem Alter. Über dreißig tust du dir schon schwer nette Männer kennenzulernen und sei es nur für eine Nacht. Besonders mit zwei Kindern daheim.«
Sie seufzte leise und spielte mit ihren Haaren. Alexander beschloss, in die Offensive zu gehen.
»Wie stellst du es dir vor?«, fragte er und versuchte möglichst ruhig zu wirken, »Hier, während Andrea im anderen Zimmer eine Patientin hat? Oder im Bad, ein schnelles Nümmerchen?«
Jetzt errötete Susanne, doch Alexander wusste, er hatte gewonnen. Sein Glied wurde immer härter, wenn er auf ihre sich immer schneller hebende Brust blickte.
»Ich mag Frauen, die wissen was sie wollen«, sagte er nur und nahm ihren Kopf in beide Hände.
Der Kuss war lang und intensiv. Als sie sich wieder voneinander lösten, waren ihre Gesichter gerötet. Aus ihrer Hosentasche zog sie ein Kondom und drückte es Alexander in die Hand.
»Das ist der letzte Termin. Von der halben Stunde sind jetzt zehn Minuten um. Du hast zwanzig Minuten es mir zu besorgen.«
Sie stand auf, öffnete den Gürtel ihrer Hose und schob ihn so weit nach unten, dass Alexander teilweise ihren Po sehen konnte. Dann ging Susanne weiter in Richtung des Bades. An der Tür angekommen winkte sie Alexander, der es nun eilig hatte ihr zu folgen.
Als die Tür geschlossen war, schlüpfte sie schnell aus ihrer Hose und schob ihre Bluse mitsamt dem BH nach oben, dass er ihre Brüste sehen konnte. Sie hingen bereits leicht und ihr Bauch war von den Schwangerschaften etwas zerrissen, doch das machte nichts.
Schnell war auch Alexander seine Hose los und hatte das Kondom übergestreift. Susanne war wild. Sie kratzte und biss ihn immer wieder, doch sie wusste, was sie wollte und wechselte in dem geräumigen Bad immer wieder die Position, bis es schließlich vorüber war.
Sie sah auf ihre Uhr.
»Fünfzehn Minuten. Schöner Quickie. Vielleicht hast du ja mal Zeit für mehr«, hauchte sie und schlüpfte wieder in ihre Kleidung.
Alexander war verschwitzt und völlig außer Atem. Er hoffte nur, dass Andrea sie nicht gehört hatte.
Als Andrea aus ihrem Büro kam saß Alexander bereits wieder auf dem Sessel und wartete mit seiner Mappe auf sie. Susanne arbeitete an ihrem Computer und wirkte völlig unbeteiligt.
»Bist du so weit fertig, Susanne?«, fragte Andrea und die Sprechstundenhilfe nickte.
»Fix und fertig«, säuselte sie lächelnd und warf Alexander, von Andrea unbemerkt, einen Blick zu, den der nicht ganz deuten konnte.
»Dann mach Schluss für heute, ich sperre dann ab.«
Sie winkte Alexander zu, der ihr noch immer etwas verwirrt in ihr Büro folgte. Als die Tür ins Schloss gefallen war, umarmten sie sich zur Begrüßung, doch als sie sich wieder trennten, grinste Andrea.
»Oh«, machte sie, umrundete ihren Schreibtisch und ließ sich auf ihren Bürosessel fallen, »Da riecht jemand nach Frauenparfum und Sex.«
Als Alexander schuldbewusst errötete lachte sie laut auf.
»Du bist ja ein Schlingel. Die ist doch zehn Jahre älter als du.«
»Das macht nichts«, antwortet er.
»Erzähl«, sagte Andrea fragend.
»Was willst du wissen? Das Tattoo mit dem Skorpion auf ihrer Brust kennst du ja. Die Brüste hängen leicht, aber sehen gut aus. Der Bauch ist von den Schwangerschaften ein bisschen zerrissen, doch die Narben sind kaum noch zu sehen. Knackiger Hintern und wunderschöne, geschlossene Schamlippen.«
Er erzählte das so beiläufig, dass Andrea nun selbst errötete. Sie hatte sich schon öfter mit ihrer Sprechstundenhilfe im Bett gesehen, auch wenn das nur ein Wunschtraum wäre. Vielleicht beneidete sie deshalb Alexander um diese Erfahrung.
»Ein Quickie in meinem Bad?«, fragte sie daher um sich abzulenken.
Alexander nickte nur.
»Ich hoffe, ihr habt nichts schmutzig gemacht.«
»Nein, alles sauber. Ich habe sogar noch das Kondom in der Tasche.«
Demonstrativ griff er an seine Hose, doch Andrea machte eine abwehrende Handbewegung.
»Das muss ich nicht sehen«, seufzte sie und wechselte schnell das Thema, »Was hast du rausgefunden?«
»Es ist nicht viel, aber schon ein bisschen was. Caro hat ihren Namen rechtskräftig in Elena Hansen ändern lassen. Wann das genau war und wie die Begründung dafür lautete, konnte oder durfte man mir allerdings nicht sagen.
Ich habe hier einen Ausdruck über ihre Karriere für dich. Anscheinend gab es Fotoshootings in Deutschland für Erotikkalender und kleinere Magazine. Sie hat auch für ÖKM gemodelt.
Im Internet habe ich einige dieser alten Fotos aufgetrieben. Die Links kann ich dir dann noch mailen. Dort besteht überhaupt kein Zweifel mehr, dass es wirklich Caro ist. Sie müssen kurz nachdem sie weggelaufen war entstanden sein.
Ich habe ein Facebook-Profil gefunden, dass aber nicht mehr aktiv betreut wird. Dafür gibt es eine offizielle Seite von Delana Dark. Das ist interessant, weil sexuelle Inhalte ja von Facebook normalerweise nicht akzeptiert werden. Ich habe ein Like gesetzt und darüber hinaus noch einige erstaunliche Dinge herausgefunden.
Wie es aussieht hat sie in einigen normalen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Ich fand eine kleine Rolle in CSI eine Rolle in einer Soap, Komparsenrollen in, teilweise sogar großen, Hollywoodproduktionen und eine Nebenrolle in einem B-Movie. Alles unter ihrem neuen Namen und nicht unter ihrem Pseudonym. Allerdings sind die Auftritte auch auf der Wikipedia Seite aufgelistet und natürlich in der IMDB.
Ich habe mich mit ihrer Agentur in Verbindung gesetzt und wegen eines Interviews angefragt. Doch dort hieß es, sie wäre zurzeit auf Urlaub und nicht zu erreichen.«
Andrea wirkte nach außen hin ruhig, doch in ihr brannte ein Feuer. Seit wie vielen Jahren vermisste sie Carolina? Wie lange beherrschte das Mädchen ihre Gedanken, ließ nicht zu, dass Andrea sie vergaß?
Sie wollte Caro sehen. Wenigstens ein letztes Mal mit ihr sprechen. Sie nur fragen, warum sie damals verschwunden war und sich nie wieder gemeldet hatte.
»Hörst du mir zu?«, fragte Alexander und unterbrach ihre Gedanken.
Andrea nickte.
»Das mit dem Urlaub hat mich stutzig gemacht«, fuhr er fort und legte einen Ausdruck mit dem Bild von Caros glatzköpfiger Begleiterin bei den AVN-Awards auf den Tisch, »Ihr Name ist entweder Lea Anton oder Carolina Angela Baker. Je nachdem wo man sucht.
Sie ist Tätowiererin und Piercerin und lebte zuletzt in München.«
Andrea schluckte. München, das war näher als Wien. Sie begriff, worauf Alexander hinauswollte.
»Du glaubst, sie ist ihre neue Partnerin und sie machen Urlaub in München?«, schloss Andrea.
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß, dass sie ihre neue Partnerin ist. Naja«, meinte Alexander und senkte seine Stimme, »Ihre neue Partnerin war.«
Andrea sah ihn fragend an.
»Sie ist vor etwa einem Monat in München verstorben. In einer Wohnung, die Elena Hansen gehört. Im Beisein von Elena Hansen.«
Andreas Mund stand weit offen. Caro war in München. Sie musste sofort dort hin. Ohne zu überlegen, sprang sie auf und wollte sofort zur Tür hinausrennen, doch Alexander hielt sie fest.
»Ganz ruhig«, sagte er leise, »Es ist heute schon zu spät, um nach München zu fahren. Außerdem glaube ich, ist sie gar nicht mehr dort.«
Er deutete auf ihren Sessel und nur widerstrebend nahm Andrea Platz. Sie wollte Carolina unbedingt finden. Koste es, was es wolle.
»Wo ist sie?«, fragte sie ungeduldig.
»Das weiß ich nicht. Aber ihre Wohnung in München steht zum Verkauf. Dort werden wir sie bestimmt nicht mehr finden.«
Andrea seufzte. Die Aufregung war verschwunden und ihr Körper entspannte sich langsam wieder. Erst jetzt merkte sie, dass sich ihre Finger in die Lehne ihres Stuhls gekrallt hatten. Die Knöchel schmerzten bereits, so sehr hatte sie sich verkrampft.
»Wo könnte sie bloß sein?«, fragte sie schließlich in die entstandene Stille hinein.
»Ich bin noch immer im Kontakt mit ihrer Agentur. Die Interviewanfrage steht noch und man wird mich informieren, ab wann sie wieder zur Verfügung steht.
Bis dahin können wir nur abwarten. Doch jetzt wissen wir wenigstens, wo sie ungefähr und vor allem wer sie ist. Und sie wird sich nicht mehr verstecken können, denn die nette Sekretärin mit der ich dort gesprochen hatte, hat mir ein Dossier über die neue Miteigentümerin der Agentur geschickt.«
»Das wird ja immer besser«, stöhnte Andrea, »Erfolgreich und vermutlich reich auch noch. Mich frisst beinahe der Neid. Doch wie konnte ein Mädchen mit ihrer Vorgeschichte in so einem Business landen?«
»Da fragst du mich zu viel. Allerdings glaube ich mittlerweile, dass sie ihre lesbische Seite unterdrückt hatte.«
Andrea runzelte fragend die Stirn.
»Der Wikipedia-Artikel«, erklärte Alexander, »Sag mal hast du ihn dir eigentlich durchgelesen? Dort sind ihre Liebeleien nach der Reihe aufgeführt. Sie war mit mehreren Darstellern, Produzenten und Regisseuren liiert. Diese Lea oder Carolina war ihre erste öffentlich gemachte Partnerin. Sie war bis dahin nicht geoutet.«
»Du meinst, sie unterdrückte diese Seite und ließ sie nur in den Filmen raus?«
»Das ist reine Spekulation, aber immerhin möglich.«
»Wer weiß, was sie noch alles unterdrückt hat«, meinte Andrea nachdenklich.
»Interpretiere da nicht zu viel hinein«, unterbrach Alexander ihre Gedanken, »Ich habe hier die Fakten. Auf ihre Beweggründe kann man daraus nicht schließen.«
»Aber ich kann es versuchen«, bestand Andrea darauf, »Ich weiß noch, wie sie früher war. Sie wollte sich selbst nie als Lesbe, lesbisch oder homosexuell bezeichnen. Sie hat sogar lang versucht, die Seite zu unterdrücken. Erinnere dich an ihre Abstürze und die Drogen.
Sie war immer schon instabil. Vielleicht hat sie das nun perfektioniert. Sie hat eine Mauer um diesen Teil ihres Selbst gebaut, die sie vor diesen Gefühlen schützen sollte.
Nun hat sie geschafft, das zu akzeptieren und eine neue Partnerin gewählt. Wenn die nun wirklich gestorben ist, dann könnte sie die Mauer wieder errichten.
Oder sie stürzt ab und verliert sich selbst.«
Alexander machte eine beschwichtigende Geste und griff nach Andreas wild gestikulierenden Händen.
»Du interpretierst da viel zu viel hinein. Beruhige dich. Ich werde ein Interview mit ihr führen. Wenn es sein muss, dann vor Ort. Ich wollte schon immer einmal eine Reportage in Amerika machen. Vielleicht finde ich einen Auftrag, der sich damit vereinbaren lässt.«
»Wenn du weißt wo sie ist, dann sag es mir. Ich fliege rüber und stelle sie«, sagte Andrea.
»Das ist keine gute Idee. Lass mich erst die Vorarbeit leisten. Alles andere hängt von Caro ab.«
Andrea musste einsehen, dass er recht hatte. Sie konnte Carolina nicht dazu zwingen. Sie wollte es gar nicht. Dazu liebte sie das Mädchen noch immer viel zu sehr.
Es war beinahe schon kitschig, wie selbst der Himmel an diesem Tag um Lea zu weinen schien.
Auf dem Friedhof des kleinen Ortes hatten sich nicht viele Menschen eingefunden. Aus Leas Familie war nur eine Cousine anwesend. Die Mutter wollte anscheinend nichts vom Schicksal ihrer verschwundenen Tochter wissen.
Die wenigen Freunde aus München waren angereist und sahen stumm dabei zu, wie die Urne mit Leas Asche vom Bestatter in dem Urnengrab abgestellt wurde.
Sie hatten einen langen Tag hinter sich. Gemeinsam wohnten sie der Verbrennung bei. Lea hatte sich gewünscht verbrannt zu werden und Elena hatte alles in ihrer Macht stehende unternommen, um das zu ermöglichen.
Die Asche wurde in zwei Urnen gefüllt. Eine wurde, nach ihrem Wunsch in ihrem Heimatort bestattet. Die andere war bereits auf dem Weg in die Schweiz, wo sie zu einem Diamanten gepresst werden würde.
Dies war Elenas Wunsch, die so immer einen Teil ihrer Geliebten bei sich tragen wollte. Lea hatte ihm entsprochen und ihr Testament dahin gehend geändert. Aus dem Edelstein wollte sie sich eine kleine Brosche oder ähnliches fertigen lassen, die sie fortan um den Hals tragen wollte.
So romantisch dieser Wunsch auch war, so schwierig erschien die Durchführung. Die deutsche Bürokratie hatte leider viel mitzureden und es war nicht so einfach gewesen, die notwendigen Schritte einzuleiten. Doch das unmissverständliche Testament hatte dabei geholfen auch diese Klippen zu umschiffen.
Als der Stein in das Urnengrab an der Wand des Friedhofs eingesetzt wurde, war es als würde eine kalte Hand Elenas Herz zerquetschen.
»Leb wohl, geliebtes Wesen«, flüsterte sie leise und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Der Regen hatte ihren Mantel und ihre Kleidung bald völlig durchnässt. Nach kurzer Zeit war sie der letzte Mensch auf dem Friedhof. Eine einsame, dunkle Gestalt, die noch immer eine rote Rose in ihren zitternden Händen hielt.
Sie hatte nur wenig Zeit gehabt sich wirklich darauf vorzubereiten, doch in Elena setzte sich die Überzeugung durch, dass es wohl nie genug Zeit geben würde, sich auf den Verlust eines geliebten Menschen vorzubereiten.
Als die Sanitäter der Rettung in der Wohnung eintrafen, hatte sie sich bereits von ihrer Geliebten verabschiedet. Sie begriff in diesem Augenblick noch nicht, dass Lea nie wieder aufwachen würde. Diese Erkenntnis kam erst, als man ihre Freundin bereits weggebracht hatte und sie mit zwei Tassen Kaffee im Schlafzimmer stand, um sie zu wecken.
Elena hatte viel geweint. Die letzten Worte, die sie mit Lea gewechselt hatte, waren ihr im Gedächtnis geblieben. Auch die zahllosen Versprechen gingen ihr nicht aus dem Kopf.
Eines hatte sie bereits erfüllt. Sie hatte Lea so bestattet, wie die es gewollt hatte. Nun würden die anderen Versprechen folgen.
Die meisten sollten keine Probleme darstellen und waren leicht zu erfüllen, doch mit zweien tat sie sich schwer. Elena wusste nicht, ob sie noch einmal in der Lage wäre sich zu verlieben und eine neue Partnerin zu suchen, so wie sie versprochen hatte.
Doch vermutlich würde der Schmerz irgendwann vergehen. Oder etwa nicht?
Der Traum mit dem Spiegel und Andrea verfolgte sie mittlerweile in jeder Nacht. Dafür war die Stimme in ihrem Kopf endgültig verstummt. War sie wirklich nur ein Wächter gewesen? Ein Schutz, der diese Erinnerungen für immer von ihr fernhalten sollte?
Elena schüttelte den Kopf. Die Schuldgefühle machten ihr zu schaffen. Sie fühlte sich schuldig, dass sie ihre Eltern und ihre Geschwister so einfach verlassen hatte. Was würden die wohl sagen, wenn sie erfuhren, womit sie nun ihr Geld verdiente?
Würden sich die kleine Stefanie und die Zwillinge noch an ihre große Schwester erinnern können? Was wohl aus Lily und Kisha geworden war?
Sie dachte an Alexander und wie er gestorben war. Sie musste unbedingt sein Grab besuchen. Immerhin war er damals ihr Held gewesen.
Elena begann wieder zu weinen. Doch dieses Mal war es nicht Leas Verlust, der ihr die Tränen in die Augen drückte. Es war die Erinnerung an die verlorenen Freunde, die ihr nun zu schaffen machte.
Bald war sie sich darüber im Klaren, dass sie diesen Wunsch Leas vermutlich nicht würde erfüllen können. Sie konnte Andrea nicht gegenübertreten. Das würde sie einfach nicht durchstehen.
Durch die junge Tätowiererin hatte sie wenigstens geschafft, ihr wahres Wesen zu akzeptieren. Es half nichts mehr es abzustreiten: Elena war lesbisch. Sie war es immer gewesen. Und sie erinnerte sich mit einem warmen Gefühl im Bauch an die ersten Küsse mit Andrea.
Cheryls Radar hatte sich damals bei kink.com offensichtlich nicht geirrt. Nur Elena war sich dessen in diesem Moment nicht klar gewesen.
Sah sie sich ihre Vergangenheit an, so war es doch viel klarer, als sie zugeben wollte. Sie war eigentlich nie mit einem Mann glücklich gewesen. Elena hatte sich in eine Beziehung nach der anderen geflüchtet, doch nie hatte sie Erfüllung darin gefunden.
Die Erkenntnis warf ein völlig neues Licht auf ihre Arbeit. Würde sie es überhaupt noch fertigbringen, auch in Zukunft noch mit Männern zu drehen? Elena war sich nicht sicher, doch bislang hatte sie nie Probleme beim Sex mit Männern gehabt und das würde sich vermutlich nicht ändern. Nur der Körper, an den sie sich zukünftig privat kuschelte, würde bestimmt weiblich sein. Falls sie sich jemals wieder verlieben sollte.
Ihr Blick fixierte die einfache Tafel, auf der der Leas Name verewigt war. Allerdings war es ihr Geburtsname, mit dem Elena nur wenig verband. Für sie würde diese Carolina Angela Baker immer Lea Anton bleiben.
Der Regen war stärker geworden und der Wind frischte auf. Elena zitterte vor Kälte, doch sie würde das Grab nicht verlassen. Noch nicht.
Leise Schritte näherten sich. Das Prasseln des Regens auf einem Schirm wurde hörbar. Elena bewegte sich nicht. Der Fremde würde bestimmt vorübergehen und sie kaum eines Blickes würdigen. Doch die Schritte kamen näher und hielten direkt neben ihr an.
»Guten Tag«, sagte die brüchige Stimme einer Frau.
Langsam hob Elena ihren Kopf und erschrak. Es war, als blicke sie in das Gesicht einer schnell gealterten Lea. Die gleichen graublauen Augen, die gleichen Lippen, die gleichen fröhlichen Backen. Die Haut allerdings war nicht mit bunter Tinte geschmückt, sondern von unzähligen Falten zerfurcht.
»Tag«, antwortete sie leise, stockend, als ihr klar wurde, wem sie gegenüberstand.
Die schlanke Frau war etwa so groß wie sie. Sie trug einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut. Dazu einen großen roten Regenschirm.
»Haben sie meine Tochter gekannt?«, fragte sie, nachdem sie Elena eindringlich und offen gemustert hatte.
Die nickte nur und begann wieder zu weinen.
Doch dieses Mal war sie nicht alleine. Mit leisem Schluchzen stimmte Leas Mutter mit ein und gemeinsam weinten sie im strömenden Regen. Unwillkürlich hatten sie ihre Hände erfasst, um sich gegenseitig Halt zu geben.
Es hatte etwas Unwirkliches. Nach allem, was Elena von Leas Familie wusste, war dies eine seltsam vertraute Geste. Doch Trauer konnte Menschen verändern.
Schließlich schien es, als hätten beide genug geweint. Stumm starrten sie auf die Gedenktafel, ehe Leas Mutter wieder das Wort ergriff.
»Ich bin Angela Baker«, sagte sie und reichte Elena die Hand.
Mit zitternden Fingern griff die zu, doch als sich die Hände berührten, konnte sie fühlen, wie kalt ihre
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Tag der Veröffentlichung: 13.01.2015
ISBN: 978-3-7368-7107-6
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