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Zwei Christkinder
Eine Geschichte in zwei Teilen
Teil I
Es war einer der 24. Dezember vor einigen Jahren, in denen in der städtischen Klinik Hochbetrieb herrschte. Leider nicht beim Personal, sondern eher in der Gynäkologie, genauer gesagt in den beiden Kreißsälen. So als hätte man sich abgesprochen, an Heilig Abend sein Kind zur Welt zu bringen, ging das seit dem Nachmittag Schlag auf Schlag. Zwei Hebammen hatten ihren Dienst um 14 Uhr beendet, es hat aber nur eine die zweite Tagesschicht übernehmen können. Die junge Hebamme, deren Eltern in Amerika lebten, wäre heute eh‘ alleine zu Hause, da kann sie auch hier ihre Schicht drehen. Vielleicht würde es die restlichen Stunden des Heiligen Abends doch noch etwas ruhiger werden. Obwohl draußen bereits kleine Schneeflocken durch die Luft tanzten und dabei eine gewisse Ruhe ausstrahlten, war im Moment in diesem Gebäude jedenfalls noch nicht an Besinnlichkeit zu denken.
„Kommen Sie bitte, es ist soweit“ wurde von weitem gerufen. Also wieder Trouble. “Ja, Ja, ich beeile mich.“
Nachdem heute schon mehrere Jungen das Licht der Welt erblickten freute Schwester Martha sich besonders, jetzt bei der Geburt eines Mädchens zur Seite zu stehen. Christine soll sie heißen.
Noch bevor das Baby fertig untersucht war, musste sie in den zweiten Kreißsaal, hier schien es komplizierter zu sein. Sie bekam etwas von Sauerstoffmangel und irgendeinem weiteren Problem mit.
Dieses Baby sah aber dann doch aus wie alle anderen gesunden Neugeborenen und Schwester Martha hoffte so für sich, dass doch noch mal alles gut gegangen war. Denn irgendwie leiden Hebammen doch mit allen mit, wenn irgendwas schief geht. Wieder ein Mädchen, diesmal wünschte sich die Mutter den Namen Christiane für ihr Kind. Dann blinkte ein rotes Lämpchen und Schwester Martha wurde in Kre1ßsaal 1 zurückgerufen. Sie holte gerade noch zwei rosa Bändchen, beschrieb das erste, während sie noch in Gedanken bei der komplizierten Geburt war und band dem Kind, dass sie gerade in die Hand gedrückt bekam das Bändchen um, legte es ins rollbare Kinderbett und fuhr damit davon. Und wieder wurde nach ihr gerufen, diesmal in den anderen Kreißsaal.
Sie hielt das zweite rosa Bändchen fest in ihrer Hand gedrückt und war voller Hoffnung, keine schlechte Nachricht von den Ärzten zu erfahren. Auf dem Weg zu dem zweiten eben Geborenen hörte sie Schritte hinter ihr, die lauter wurden, zwei verschiedene Stimmen. Jemand murmelte was von Christine. Danach fiel laut eine Tür zu. Schwester Martha öffnete ganz vorsichtig und leise die Tür zum Kreißsaal 2. Und niemandem in diesem Haus war bewusst, was an diesem Heiligen Abend geschehen war.
Teil 2
9 Jahre später
Wieder schrieb man den 24. Dezember. Christines Mutter Angela zog die Vorhänge zurück, hob ihre Tochter aus dem Bett und setzte sie sanft in den Rollstuhl. Dieser Tag machte sie immer traurig. Sie musste an den Tag der Geburt ihrer Tochter denken. Alles lief so unkompliziert genau so wie die Voruntersuchungen, immer hieß es, sie bekäme ein gesundes Kind – und erst nach der Geburt kam peu a peu heraus, wie viele Behinderungen ihre Tochter eigentlich hatte. Christines Vater wurde damit nicht fertig und verließ die Beiden noch im 1. Lebensjahr ihrer gemeinsamen Tochter.
Angela streichelte über Christine, sagte still zu ihr, mein Christkind, alles Liebe und Gute und strahlte sie an. Christine reagierte erst gar nicht, aber nach einigen Sekunden lächelte sie dann doch. Und das gab ihrer Mutter dann doch wieder Mut und Kraft. Sie entschloss sich, Christine zu ihrem Geburtstag Buntstifte zu überreichen und ihr gleich genügend Papier hinzulegen.
*****
Christiane wurde in der Familie Glückskind genannt. Nach ihrer komplizierten Geburt hatte niemand mehr mit einem gesunden Kind gerechnet. Christiane war beliebt und gut in der Schule, hatte viele Hobbys und war unter anderem sehr musikalisch. Ihre Eltern hatten das nötige Kleingeld, ihr Klavierunterricht zu bezahlen und Christiane hatte sich neue Noten zum Geburtstag gewünscht. Kurz nach dem Frühstück musste sie natürlich klimpern. Und ständig musste sie ihr Spiel unterbrechen, weil viele Geburtstagsanrufe kamen.
Oft hörte sie, du Arme, hast heute Geburtstag. Aber Christiane war glücklich darüber. Heute würde ihre Familie kommen und nächste Woche in den Ferien würde sie mit ihren Freunden feiern.
Es wurde Abend. In dem einen Haus saß ein kleines Mädchen am Klavier und spielte den festlich gekleideten Gästen erst klassische Stücke vor, dann erklang Stille Nacht, Heilige Nacht.
Im anderen Haus lief leise das Radio. Christines Mutter hatte eine Kerze angezündet und ihrer Tochter warmen Tee in eine Schnabeltasse gegossen. Sie war froh, dass ihre Tochter in einer Wolldecke eingepackt war und ihr zuhörte, als sie begann, die Weihnachtsgeschichte zu lesen.
Die Radiomusik lief leise im Hintergrund weiter. Mit einem Male erklang auch in diesen vier Wänden Stille Nacht, Heilige Nacht. Angela unterbrach, wurde still und schob den Rollstuhl ans Fenster. Leichte Schneeflocken tanzten durch die Nacht, genau wie damals. Beide schauten in den Sternenhimmel und plötzlich strahlte ihre Tochter über das ganze Gesicht. Angela bekam Freudentränen, faltete ihre Hände und sagte nur leise. „Danke.“ Hielt kurz inne und sprach weiter „ für die Kraft, das alles durchzustehen
und für die glücklichen Momente in Gemeinsamkeit!“


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Tag der Veröffentlichung: 20.12.2009

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