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Laura im Spukhaus



Regentropfen trommelten gegen die Fensterscheibe, als wollten sie sie einschlagen und die am Himmel zuckenden Blitze ins Zimmer leiten. Laura zitterte. Sie fürchtete sich sehr vor dem unheimlichen Lichtspiel, dass sich draußen in der Nacht abspielte. Eine Krähe flog am Fenster vorbei, und Laura zuckte zusammen. Schweiß ran ihr die Stirn hinab, sosehr ängstigte sie die Dunkelheit. Ein Donner grollte. Laura rollte sich unter ihrer Decke zusammen und versuchte einzuschlafen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Immer wieder glaubte sie das flache Atmen eines Menschen zu hören, der sich unter ihrem Bett versteckt hatte und nur darauf wartete, hervorzukriechen und ihr wehzutun. Als sie dann auch noch ein leises Rascheln vernahm, entfuhr ihr ein spitzer Aufschrei. Sie schlug sich die Hand vor den Mund.
Sie durfte nicht schreien. Sonst würde Mutter sie wieder schelten, sie solle sich nicht so anstellen. Laura wollte keinen Ärger bekommen. Sie wollte nicht von dem Mann, mit dem Mutter in letzter Zeit immer zusammen war, bedroht und beschimpft werden. Sie wollte wieder in den Arm genommen werden. Sie wollte beschützt und behütet werden. Aber das ging nicht. Seit Vater weg war, ging das nicht mehr. Laura schluckte. Seit dem Tag vor drei Monaten war das Haus, das sonst ihr sicheres Heim gewesen war, zum Spukhaus geworden. Sie schüttelte den Kopf und drehte sich um. Traurig blickte sie die Wand an, als plötzlich eine Spinne darüber krabbelte. Sie zuckte zusammen und stieß sich den Kopf am Bettrand.
„ Autsch“, flüsterte sie. Jetzt wäre sie gerne getröstet worden. Mutter hätte ihr sanft über den Kopf gestrichen, und Vater hätte sie bestimmt in den Arm genommen. Aber nicht, seitdem er weg war. Einen Tag nach Lauras viertem Geburtstag passierte es. Er war wie immer mit seinem Auto zu Arbeit gefahren. Aber er war am Mittag nicht zurückgekehrt. Dann hatte das Telefon geklingelt. Mutter hatte abgenommen, und als das Gespräch beendet war, hatte sie ganz fürchterlich geweint. „ Laura, Schatz, ich muss dir etwas sagen. Dein... dein Vater ist.. er.. er ist jetzt im Himmel“, schluchzte sie. Einen Moment lang hatte Laura sie ungläubig angesehen. Dann aber begann sie, fröhlich zu lachen. „ Aber wieso weinst du denn?“, rief sie,
„ das ist doch wunderbar. Bestimmt hat er viel Spaß. Wenn ich groß bin, gehe ich auch einmal in den Himmel. Dann spaziere ich auf den Wolken, und allen meinen Freunden bringe ich eine mit.“
Doch schon bald war Laura nicht mehr so fröhlich. Warum war Vater denn nicht zurückgekommen? Es musste etwas passiert sein, dort oben, etwas ganz Schreckliches. Kurz darauf hatte Mutter einen anderen Mann kennen gelernt. Seitdem tranken sie viel, und rochen immer ganz komisch. Laura mochte das nicht. Es stank ein wenig, fand sie, und die beiden benahmen sich dann auch immer anders, sie wurden manchmal sogar richtig gemein. Aber was konnte sie schon tun?
Lauras Beule begann zu pochen. Sollte sie nicht doch hinuntergehen? Ja. Sie beschloss, einen Versuch zu wagen. Sie krabbelte aus dem Bett, schlüpfte in ihre Pantoffeln und trat hinaus auf den Flur. Auch dort war es dunkel, so musste Laura sich vorantasten. Sie spürte einen Luftzug und schauderte. Was, wenn ihr jemand auf dem Flur auflauerte? Nein, ganz bestimmt nicht. Sie hörte Mutters Lallen: „ Stell dich doch nicht so an, da is Keiner!“ Und dazu lachte Ralf, ihr neuer Freund, hämisch. Laura hielt inne. Sie mochte es nicht, wenn Mutter sie ausschimpfte, und Ralf sowieso nicht. Und auf einmal war die ganze Angst wieder da. Laura sank an der Flurwand nieder und begann zu schluchzen. Seit Vater weg war, fürchtete sie sich immer, und Mutter nahm sie auch überhaupt nicht mehr in dem Arm. Seit Vater weg war, war das Haus zum Spukhaus geworden. Und so krümmte sie sich zusammen und versuchte, auf dem harten, kalten Boden einzuschlafen. Das gelang ihr schließlich, und sie träumte von ihrem Vater, der sie auf seine Schultern setzte und lachte.

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Tag der Veröffentlichung: 30.10.2011

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