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Der Dreh



„Hat das nun endlich auch der Letzte mitgekriegt, dass wir uns ab morgen um 9 Uhr am Außen-Drehort in der Gartenanlage „Zur dicken Gurke“ , die hier ja gleich um die Ecke liegt, treffen?“ Der Regisseur rief das – noch immer ziemlich genervt – den um ihn herum versammelten und ebenso geschafften Akteuren zu. Hinter ihnen lag ein anstrengender Aufnahmetag, an dem gleich einiges voll daneben gegangen war.

Es hatte damit begonnen, dass der männliche Hauptdarsteller, Herr Brauer, erst am späten Vormittag, also wieder einmal viel zu spät und darüber hinaus auch noch verkatert, am Set erschienen war. Die miese Laune des Regisseurs besserte sich selbstverständlich auch nicht, als dem Beleuchter das Missgeschick mit dem umgefallenen Scheinwerfer passierte. Da der genau auf seinen Regiestuhl gefallen war und ihn in seine Einzelteile zerlegt hatte, musste der nun erst recht übel gelaunte Regisseur fast den ganzen Nachmittag notgedrungen mit einem – natürlich – unbequemeren Sitzmöbel vorlieb nehmen. Auch die meisten Szenen gelangen nicht gleich bei der ersten Klappe, so dass sich der letzte Drehtag im Filmstudio endlos lang hingezogen hatte. Nun blieb allen Beteiligten die vage Hoffnung, dass sich das Dilemma nicht auch noch beim Außendreh ab morgen fortsetzen würde. Denn man hatte läuten gehört, dass es sich wohl um ein verhältnismäßig verwunschenes Gartenhaus handeln sollte, was schon mal auf kompliziertere Drehbedingungen schließen ließ....

Als sich einige Schauspieler, die offenbar erst etwas später zu kommen brauchten, dann am nächsten Morgen auf der – immerhin asphaltierten – Straße dem Drehort näherten, überkam sie gleich eine dunkle Vorahnung: Schon aus der Ferne sahen sie das blaue Blinken eines Krankenfahrzeuges. Die Sanitäter kamen ihnen bereits aus dem Gartenweg mit einer Trage entgegen. Auf ihr sahen sie wohl einen von den früh zum Drehort bestellten Komparsen mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen, denn sie erkannten ihn nicht. Es war andererseits natürlich auch möglich, dass jemand aus der Kleingartenanlage einen Unfall erlitten hatte. „Treppensturz“ war die knappe Antwort eines Sanitäters auf ihre Frage. Von Unfällen mit Leitern in Gärten hatte man ja schon öfter gehört, aber ein Sturz von einer Treppe erschien in den üblicherweise doch ebenerdigen Gartenlauben ihnen sehr unwahrscheinlich.
Der mit spärlichem Rasen bewachsene Gartenweg erwies sich als beträchtlich schmal; nur mit Mühe konnte sich hier ein Kleinbus den Weg zum für die Filmarbeiten ausgewählten Gartenhaus bahnen, ohne die rechts und links begrenzenden Hecken zu streifen. Viele von ihnen waren, unter Verletzung der Bundeskleingartenordnung, so hoch, dass ein Blick in die Gärten kaum möglich war. Nur der Zaun des Gartens, in dem offensichtlich das Haus für den Außendreh gefunden worden war, hatte einen niedrigen und zierlichen Bewuchs mit einer unbekannten Pflanzenart, deren lange Ausläufer sich um die Zaunstreben wanden. Auf eine entsprechende Frage an die Gartenpächter, erkennbar, weil ein älteres Ehepaar, das die Filmarbeiten interessiert verfolgte, erfuhren sie, dass es sich um Blaugurken, lateinisch Akebia bezeichnet, handelt.

Der kurze Weg zum Gartenhaus führte durch gleich drei Rosenbögen, der mittlere auf der linken Seite verbunden mit einem Rosenspalier. Rechts oben am mittleren Bogen hatte man einen abgesägten Stamm befestigt, der bis zum 3 Meter entfernt stehenden Pflaumenbaum reichte. Er war voller Weinranken mit schon fast reifen Trauben. Den Weg selbst bildeten rot-schwarz Matten aus gummiähnlichem Material, auf denen es sich gut gehen ließ. Und von ihm aus blickte man auf das Gartenhaus, genauer gesagt auf das, was davon unter einem dichten Bewuchs aus Efeu, wildem Wein und Blauregen überhaupt erkennbar war. Nur die beiden Fenster hatte der Efeu freigelassen.
Zwischen ihnen ragte ein richtig altersdicker Stamm des Blauregens empor, dessen mehr als armdicke Äste tatsächlich das Gitter eines Balkons vollkommen umschlungen hatten und mit den Blättern zusammen einen dichten Sichtschutz bildeten, falls sich jemand im Adamskostüm oben auf dem Balkon sonnen wollte. Der selbst klimmende wilde Wein indes hatte die gesamte Wand auf der Giebelseite erobert; war über die Dachrinne auf das mit Wellblechplatten bedeckte Dach gewachsen und hatte aus dem Schornstein eine jetzt grüne – im Herbst blutrote – Kugel geformt. Der Blauregen wiederum zog sich vom Balkon ausgehend um die andere Giebelseite herum und bedeckte sie völlig mit seinen grünen Blättern. Im Mai, wenn die langen lila Blüten voll entwickelt waren, wäre das bestimmt ein toller Anblick. Das Gartenhaus sah somit in der Tat alles in allem verwunschen aus.

Doch daran dachte im Moment wohl niemand der vielen, dort im Garten und im Haus Anwesenden. Die gesamte Freiterrasse war mit Filmutensilien und provisorischen Sitzbänken voll gestellt. Einige der bereits frühzeitiger erschienenen Schauspieler und Technikkräfte hatten es sich auf anderen im Garten verteilten und bequemeren Sitzgelegenheiten, unter dem Apfelbaum, an der Mauer oder am Teich, bequem gemacht und warteten auf ihren Aufruf. Natürlich war unter ihnen insbesondere der gerade erlebte mysteriöse Treppensturz des Komparsen ein vorrangiger Gesprächsstoff. Man konnte heraushören, dass dieser wohl aufgefordert worden war, die steile Treppe zur Schlafkammer im Obergeschoss empor zu steigen, um dann – auf ein Stichwort - von dort oben seinen kurzen Text herunter zu rufen. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, denn plötzlich hätte die aus zwei Stahlstreben bestehende Treppe, an denen die Stufen befestigt waren, nachgegeben und der junge Mann habe den Halt verloren und sei zu seinem Pech auch noch mit den Rippen auf einen dort stehenden Alukoffer geprallt. Der Verantwortliche für Sicherheit am Drehort beteuerte ausdrücklich, die Standfestigkeit der Treppe zuvor geprüft zu haben. Er könne es sich nicht erklären, wie es zu diesem bedauerlichen Unfall kommen konnte.
Auf eine diesbezügliche Frage des zunächst geschockt wirkenden Regisseurs an den Kameramann, antwortete dieser allerdings überraschend gelassen, „ich habe - nur mal probeweise - seinen Aufstieg auf die Treppe gefilmt und daher müssen wir die Szene, glaube ich, nicht mehr wiederholen. Den Ruf, zu dem es ja nicht mehr gekommen ist, wenn man von seinem erschrecktem Ausruf im Fallen absieht, können wir doch auch nachsynchronisieren, oder?“ „Okay! Versuchen wir es dann mit der Einstellung 25/303. Herr Brauer und du, Elisabeth, ihr streitet euch hier im kleinen Wohnraum. Du, Elisabeth, weichst erschrocken zurück zum Schrank dort an der Wand und lehnst dich mit dem Rücken an. Alles klar? Text sitzt? Kameraprobe ab!“
Es handelte sich um einen knapp 7 Quadratmeter kleinen Raum, der offensichtlich später an den noch kleineren Eingangsbereich angebaut worden war, der aber immerhin über drei Fenster verfügte, davon ein kleineres an der Türseite. Die Decke beider Räume war so niedrig, dass man als normalgroßer Mensch sich fast bücken musste. Im Wohnraum selbst befanden sich ein ausklappbares Sofa mit einem kleinen Tisch davor, ein weiß gestrichener und mit Serviettentechnik verschönerter ausgedienter Wohnzimmerschrank und ein schmaler Kleiderschrank, vielleicht für Unterwäsche, zwischen denen beiden noch ein Ikea-Schwingsessel geklemmt worden war. Der Kleiderschrank reichte bis zur Decke.

Die Szene lief. Die mit Elisabeth angesprochene Schauspielerin wich vor dem wütend mit ihr streitenden Herrn Brauer zurück, lehnte sich an den Kleiderschrank...doch was war das? Der Schrank löste sich blitzschnell von Wand und Decke und kippte so schnell laut knarrend um, dass die total erschrockene Schauspielerin nicht mehr reagieren konnte und unter dem Schrank zu liegen kam. Die sofort herbei eilenden Filmleute konnten sie aber zum Glück schnell befreien, so dass sie lediglich mit einem gehörigen Schrecken und ohne Blessuren davonkam. „Ja ist denn das hier ein elendes Schiet-Spukhaus, oder was?“ ließ sich der Regisseur lautstark vernehmen. „Wer hat mir denn bloß diesen vermaledeiten Drehort an die Backe geklebt? Das ist ja nicht auszuhalten! In meinen jetzt fast 30 Berufsjahren beim Film habe ich so etwas noch nicht erlebt...Ich halte das nicht aus! Noch ein solch krummes Ding und ich breche den ganzen Dreh hier ab!“ Natürlich beteuerte der Sicherheitsverantwortliche erneut, vorher alles, dieses Mal sogar doppelt, geprüft zu haben. Der Regisseur drohte ihm vor versammeltem Team damit, dass er – sollte ähnliches nur noch einmal passieren, beim Produktionsdirektor seine unverzügliche Entlassung wegen Unfähigkeit veranlassen würde.
Tatsächlich lief dann der Tag - allerdings bis auf die letzte Szene - ohne weitere solch mysteriösen Zwischenfälle ab. Doch diese letzte Szene setzte dem Spuk tatsächlich die Krone auf: Es war schon einigermaßen dunkel geworden, so dass für die Schlafzimmerszene im oberen Stockwerk keine extra Verdunklung erforderlich wurde. Dieser Schlafraum, es passte nur ein Doppelbett rein, hatte eine so niedrige Decke, dass alle nur gebückt dort arbeiten konnten. Die Kamera wurde in die Eingangstür gestellt, denn für sie war in dem schmalen Gang zum Fenster, das auf den blauregenumrankten Balkon führte, überhaupt kein Stellplatz. Das Paar, also Elisabeth und Herr Brauer, lagen bereits im Bett und sollten sich angeregt unterhalten. Danach war die „Versöhnung“ im Drehbuch vorgesehen.
Nun muss man noch wissen, dass die Raumdecke nur aus einer dünnen Platte bestand, über der sich der Spitzdachboden befand. Dieser war mit noch alten Sprelacart-Platten, wohl noch aus DDR-Tagen, ausgelegt, die immerhin etwas Schutz vor gelegentlichem Durchregnen boten, weil die Verschraubungen zur Befestigung der Wellblechplatten mit der Zeit offenbar durchlässiger wurden.
Jedenfalls lief die erste Hälfte der Szene auch wie geplant. Doch als Herr Brauer gerade seine Bettdecke beiseite schieben wollte, um sich seiner - nun wieder besänftigten - Frau eindeutig „körperlich zu nähern“, da passierte es: Ein fürchterlich lautes Krachen erfüllte das Schlafzimmer und im gleichen Moment zersplitterte die dünne Zimmerdecke und fiel mitsamt einigen Sprelacart-Platten auf das im Bett liegende - wahrlich zu Tode erschrockene – Paar. Den Deckenelementen folgte eine Unmenge an widerlich riechendem Staub, die beiden nun zur Unkenntlichkeit verschleiernd, wie sich herausstellte, als sie von den anwesenden Filmleuten unter den Trümmern hervorgeholt worden waren. Sie waren zwar - welch ein glücklicher Umstand - körperlich unversehrt geblieben; standen aber unter Schock, von dem sie sich lange nicht mehr erholten und daher vom Fahrzeugpark der Filmcrew ins nahe Hotel gefahren werden mussten. Der Drehtag war natürlich gelaufen.

Dort, in der Hotellobby, kam es dann am späten Abend zu einem vertraulichen Gespräch zwischen Regisseur, Kameramann und Sicherheitsverantwortlichem bei einem Gläschen Sekt. Der Regisseur bemerkte dabei, mit einem kleinen Schmunzeln um den Mund herum „also bis auf die nicht eingeplante Rippenprellung des Komparsen ist doch der heutige Tag wie geplant abgelaufen. Die haben Gott sei Dank gar nicht nicht gemerkt, dass die mysteriösen Geschehnisse von uns professionell getürkt waren und nun sicher als besonders authentische Spukszenen später im Film rüberkommen werden....“ Kameramann und Sicherheitsverantwortlicher nickten ihm zustimmend zu. Für den kommenden Tag war von ihnen ebenfalls alles Notwendige im „Spukhaus“ bereits vorbereitet......

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Tag der Veröffentlichung: 30.10.2011

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