Grabraub
„Ich hab vier Wanderkarten von der Gegend gefunden, auf zwei'n ist sie garnicht drauf, bei einer ist sie unter dem Namen „Friedenskirche“ und bei der letzten unter dem Namen „St. Hagen“ eingezeichnet.“ Ihre Schritte raschelten leise auf den grasbewachsenen Wegen, „Bei Google-Maps ist sie durch den starken Moos-Bewuchs nur bei akribischer Suche oder mit den Koordinaten findbar.“ Kein Vogelgezwitscher, kein Blätterrauschen, kein Surren von Insekten lag in der Luft.
„Und was ist mit dem Toten?“ Sie näherten sich der Kirche. Efeu, Moos, einzelne Bäume und Blumen umrankten sie.
„Bei ihm gibt es unterschiedliche Quellen. Eine behauptet er wäre ein Adliger, gestorben im 16.Jahrhundert. Er soll seinen Landbesitz vollständig seinem ersten Sohn vermacht haben, seinen materiellen Besitz hat er der Quelle zufolge unter seinen anderen Söhnen aufgeteilt.“ Rotes Glas zierte ihre Fenster. „Die zweite glaubwürdige Quelle schreibt ihn der Inquisition zu, alles Weitere ist weniger von Bedeutung. Beide Quellen behaupten, dass ihm von Unbekannten ein Edelstein, beziehungsweise ein Halbedelstein als Grabbeigabe auf den letzten Weg gegeben wurde. Die Beschreibung eines aquamarinblauen, beziehungsweise eines violetten Steines passen annähernd auf die Beschreibung, die du mir gegeben hast. Beide Quellen besagen, dass der Stein in einer mit Edelsteinen verzierten Schatulle die einzige Grabbeigabe gewesen wären.“ Geschwungene Muster ließen die Pflanzen wie einen Teil der Kirche erscheinen.
„Sehr gut, hast du sonst noch irgendetwas Wissenswertes herausgefunden?“
Engel aus Stein, einsame Beschützer, hielten ihre ewige Wache.
„Aus dem Jahrzehnt seiner Beisetzung sind öfters Beschreibungen derartiger Steine aufgetaucht, oft wurde ihnen Magie angedichtet, eine Erzählung begründet den Ausbruch einer Seuche mit einem solchen von einem Unbekannten in ein Grab gelegten Stein, wieder eine andere schreibt die Steine einem Totenkult zu, der seinen Mitgliedern auf diese Weise ewige Schönheit nach dem Tode sichern wollte. Darauf deutet auch eine andere Quelle hin, in der dokumentiert wurde, dass immer kurz bevor ein solcher Stein zu einem Grab gelegt wurde, in dem Dorf, das dem Friedhof am nächsten liegt, ein junges Pärchen getötet wurde.“
Lebensechte Löwenköpfe bewachten das Tor.
„Hast du noch was anderes, was das auch mich
interessiert?“
Die Spitze des Turmes ragte weit über die höchsten Wipfel der Bäume.
„Nunja, die Kirche hat eine ziemlich alte Uhr, der einzigen Beschreibung, die ich zu ihr gefunden habe, zufolge ist einiges an Gold im Ziffernblatt verarbeitet, allerdings besteht Zweifel daran, ob die Quelle echt ist und daran, ob das Innere der Kirche betretbar ist. Außerdem wurde sie mindestens einmal umgehangen, das heißt ihre ursprüngliche Kirche ist eine andere und beim Umbau wurden einige Änderungen vorgenommen, so dass nicht sicher ist, ob das Gold überhaupt noch an der Uhr ist.“
Schwarzer Schiefer bedeckte die unbewucherten Stellen der Dächer.
„Hm, wir sollen eigentlich alles so verlassen, wie wir es vorgefunden haben - vergiss lieber das Gold an der Uhr.“
Nur das Sternenlicht erhellte den Friedhof.
„Seit wann hältst du dich an die Bedingungen die dir ein Auftraggeber macht?“
Vor ihnen führten die Stufen in die Finsternis.
„Willst du hier viel Zeit verbringen?“
Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an das Licht ihrer eigenen Lampen.
„Ich hab mir den Job nicht ausgesucht.“
Bronzen glänzte das Tor zu den letzten Ruhestätten.
„Aber du hast eingewilligt.“
Das Schloss klackte laut - sofort spürten sie starken Wind in ihrem Rücken.
„Ich hab nur eingewilligt, weil du sagtest wir brauchen das Geld.“
Leise Töne erklangen. Ihre Schritte verstummten.
Schweiß ran über ihre Gesichter. Langsam tasteten sie sich durch die Dunkelheit.
Laut knallte das Tor hinter ihnen. Die Töne verstummten.
Beständig lies das Echo des Tors ihnen ihr Blut in den Adern gefrieren.
Zitternd wagten sie neue Schritte. Ließen ihre Lampen aufflackern.
Tote Gesichter starrten zu ihnen.
Um sie herum lagen Tote, gestapelt in Fenstern, hinter Gittern aus festem Metall.
Am Ende des Tunnels bot sich ihnen ein schauriges Bild. Rechts und links eines schmalen Durchgangs standen Skelette, zwischen ihnen, in der Mitte des Durchgangs hing es.
Lange dünne Stäbe reichten von der Decke bist fast zu ihren Rippen, ein Kreuz straffte das Band zwischen ihnen, was die Stäbe anschlug war im Schatten verborgen. Deshalb spürten sie so starken Wind, als sie das Tor öffneten. Es war als Abschreckung für Grabräuber gedacht und es erfüllte seine Aufgabe gut, das war ihnen klar geworden. Der Raum dahinter war in tiefe Schatten gehüllt.
Schritt für Schritt näherten sie sich dem Windspiel, ihre Nerven bis aufs äußerste gespannt. Nichts geschah, im Hintergrund tönte fortlaufend das Echo des Tores, sonst herrschte Stille. Voller Erstaunen betrachteten sie die dünnen, hohlen Stäbe. Jeder war auf andere Weise verziert und doch schien ihnen allen die selbe Botschaft anzuhaften.
Angst, das strahlten sie aus, ihr Anblick faszinierte und erschütterte zugleich. Vorsichtig versuchten sie den Durchgang zu passieren, peinlich darauf bedacht das Kreuz nicht zu berühren. Ein einzelner Sarg lag in der Kammer. Ein marmorner Körper, Abbild des Toten, bedeckte die Platte. Hinter dem Sarg war ein steinernes Fenster eingelassen, Strahlen, wie von einer Sonne waren darin eingemeißelt, ausgehend von der kleinen Schatulle, die unscheinbar, in schlichten Farben am Boden des Fensters stand.
Wieder ertönten Klänge.
„Was machst du da?“
Der Schreck war noch gut in seinem Gesicht zu erkennen.
„Tschuldigung, ich hatte Angst und dachte mir, wenn ich selbst die Töne kontrolliere wirds vielleicht besser. Außerdem wollte ich das Echo übertönen, ich kann's wieder aus machen.“
„Nein, lass es an, es ist beruhigend, du hast recht.“
Dumpf klackte das Schloss der Schatulle.
„Hast du schon mal so ein Schloss gesehen?“
Enttäuscht legte er einen weiteren Dietrich zu ein paar anderen.
„Nein, hab ich nicht, es ist auch nicht meine Art ein Schloss mit einem Schlüssel zu öffnen.“
„Das heißt du willst sie sprengen?“
„Nein, das heißt ich würde sie sprengen, wenn du mir nicht gesagt hättest, dass wir hier alles so zurücklassen sollen, wie wir es gefunden haben.“
Resigniert setzten sie sich auf den Sarg, die Schatulle zwischen ihnen.
Lange hörten sie auf das Windspiel.
„Du, wollen wir doch was von der Uhr mitgeh'n lassen? Ich mein, wir nehmen die Schatulle mit, schau'n, ob sich bei der Uhr was holen lässt und lassen uns dann nie wieder bei deinem Auftraggeber blicken.“
Stille herrschte zwischen ihnen.
„Sag nochmal, was du gerade gesagt hast!“
„Ich habe gesagt wir sollten uns von der Uhr-“
„Stopp! -Gib mir die Schatulle!“
Hastig griff er nach der Schatulle, warf sie auf den Boden.
„Das Echo! Es ist verhallt! Das ist kein Echo! -Die Klänge,das ist kein Holz, mach das Windspiel aus“
Schnell waren alle Stäbe zur Ruhe gebracht.
„Das ist kein Windspiel, das sind Glocken!“
Tag der Veröffentlichung: 07.08.2011
Alle Rechte vorbehalten