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Teil 1

In Holland

Wir fahren jedes Jahr einmal nach Holland, denn uns gefällt dieses Land. Wir wählen meist die freien Tage um Ostern, um uns auf den Weg zu begeben, um das Land der Blumen, der Käsevielfalt und der Windmühlen zu besuchen. Natürlich gibt es noch viel, viel mehr, was uns so sehr anspricht, dass wir immer wiederkommen. Wenn wir über die ehemalige Grenze fahren, dann stellen wir den regionalen Radiosender ein und schmunzeln über die Sprachmelodie und die kehligen Laute der Holländer. Wir bestaunen schon im Vorbeifahren die fantasiereiche Architektur der Gewerbetreibenden, ihre Firmengebäude sind scheinbar normenfrei und so sehr abenteuerlich anzuschauen.
Auf den Wiesen sehen wir Unmengen von Schafen und Kühen weiden, ganze Herden mit total schwarzen Schafen fallen uns auf, und Pferde. Es gibt scheinbar auch viele Gestüte, die sich mit Reitpferden befassen. Das Land ist weit und absolut flach, sehr grün und saftig liegen endlose Wiesen neben der Strasse, oft von den Grachten durchzogen, die vielfach als natürlicher Weidezaun dienen.
Wir sehen auch die berühmten Tulpenfelder. Das ist sehr beeindruckend und wunderschön. Dieses Jahr haben wir die Tulpen verpasst, sie waren wohl schon alle abgeerntet. Aber dennoch sind wir wegen der Pflanzen und Blumen hier, denn jedes Jahr am Himmelfahrtstag ist in Leeuwarden ganz großer Pflanzenmarkt. Im letzten Jahr ist uns dieser Markt rein zufällig auf der Durchreise aufgefallen. Wir waren begeistert. Menschen über Menschen, fast alles Holländer traben über diesen riesigen Markt, um sich mit Blumen und vor allen Dingen Pflanzen für den Garten und den Balkon einzudecken.
Nie sahen wir etwas Vergleichbares. Ich stehe und staune. Es gab alles, einfach alles, was ein Pflanzenfreund sich nur vorstellen kann, dies in toller Qualität und mit akzeptablen Preisen. Voriges Jahr fassten wir schon den Plan, beim nächsten Besuch unbedingt zuzuschlagen. Das taten wir und zwar sehr ausgiebig. Wir schleppten weg, was uns möglich war zu transportieren. Zunächst war der Regenschirm sehr hilfreich. Zwischen uns baumelten also zahlreiche Plastiktüten mit den kleineren Pflanzen auf den Regenschirm gefädelt und in den freien Armen trugen wir die großen Biester. Bis zum Parkplatz musste man tippeln und die Pflanzen waren schwer, aber wir haben es geschafft und waren furchtbar stolz auf unsere Schätze.
Das Auto war voll und die Reise ging weiter nach Harlingen. Hier war unser Hotel, direkt am Hafen. Wir aßen den unvermeidbaren Apfelkuchen und blickten fasziniert auf die Schiffe. Sonst wohnten wir immer in Bergen, buchten das Zimmer bei VVV und bekamen auch mal die etwas abenteuerlichere Unterkunft, die letzte Möglichkeit in allerletzter Minute. Das störte uns allerdings überhaupt nicht, denn wir waren immer den ganzen Tag auf Achse, um die Gegend und das Land zu erkunden. Für mich war es immer spannend und erholsam gleichermaßen.
In Bergen ist es nicht all zu touristisch, zumindest in der Vorsaison nicht. Es ist eine nette kleine Stadt mit wundervollen typisch holländischen Häuschen, den rotweißen Fensterläden und den großen, gardinenfreien Fenstern. Sie lassen den freien Blick voller Stolz in die gute Stube zu, in der sich auch am Abend bei voller Beleuchtung die Holländer unbekümmert aufhalten. Oft sehen wir symmetrisch angeordnete Pflanzen und Vasen im Fenster, in der Mitte das scheinbar unvermeidbare Segelboot.
Die Häuschen, die aneinandergereiht, mit spitzen Dachgiebeln die Straßen bilden, sind oft furchtbar schmal und klein. Wir wundern uns, wie man so leben kann. Vielfach sind davor kleine Vorgärtchen, die mit allerlei Dekorativem bestückt sind, einfache uralte, ausgesonderte Haushaltsgefäße mit Blumen und Pflanzen liebevoll und auch geschmackvoll drapiert. Muckelig und schnuckelig! Uns gefällt das, dieses Ambiente scheint viel Herz und Seele zu besitzen. Manchmal sind allerdings auch um die allerkleinsten Vorgärten Zäune. Die Holländer pflegen zuweilen auch ihr Spießbürgertum. Manchmal gibt es natürlich auch vernachlässigte Ecken, dennoch ist der Gesamteindruck: hier ist es sauber und ordentlich. Man liebt sein zu Hause und dekoriert es entsprechend. Es gibt wohl nicht zuletzt auch deshalb unzählige Geschäfte, Lädchen, die die abenteuerlichsten Dekorationsmaterialien anbieten.
Man ist in Holland sehr kunstinteressiert, vermutlich fußt dies auf ganz alte Traditionen. Uns gefällt diese Neigung und so durchstreifen wir mit blanken Augen so manches Geschäft und kaufen das eine oder andere Stück. Wir können nicht widerstehen. Es gibt einfach affengeile Sachen und wir haben Zeit herum zu schnökern. Wir lieben diese kleinen Gassen mit den zahlreichen Lädchen. In Alkmar gibt es davon ganz besonders viele, auch in Harlem. Allerdings schieben sich mitunter viele Touristen durch die Gassen. Wenn in Alkmar am Samstag traditioneller Käsemarkt ist, dann strömen die Menschen nur so herbei, um die Show zu bestaunen. Das ist aber nur für die Touries veranstaltet und deshalb nicht sehr ursprünglich mehr. Mir waren da wirklich zu viele Leute. Ich mag das weniger und schlendere lieber durch die stilleren Gässchen, schaue mir die Häuschen an und finde es ganz lauschig überall.
Natürlich finden wir immer ein nettes Bistro, um eine Kleinigkeit zu speisen. Wir gehen selbstverständlich auch shoppen. Bernd mag das und verpasst mir mit viel Geduld für mein anfängliches Sträuben immer viele Sachen: Pullover, Hosen, Blusen, einmal sogar einen Hut oder eine Mütze, weil es so stürmt. Ich werde also immer nach Strich und Faden verwöhnt. Mir ist dies ein wenig peinlich, aber schließlich freue ich mich und renne stolz mit den neuen Sachen umher. Für sich selber kauft er selten etwas, eher alleine noch in Frankfurt in Vorbereitung der Reise, nicht ohne mir auch etwas mitzubringen. Mein guter Bernd, immer verwöhnt er mich! Das habe ich früher in meinem anderen Leben nie so erleben dürfen.
2004 waren wir auch in Bergen. Wir hatten eine sehr gute und geräumige Unterkunft, allerdings ist mir ständig das Innenleben des Schrankes zusammengebrochen und zwar mit lautem Getöse. Das war wirklich witzig. Und einmal habe ich mich in der Dusche fast 20 Minuten verzweifelt bemüht aus der Kabine zu gelangen. Irgendwie ging die Tür nicht auf. Wie sich herausstellte war ich nur zu blöde. Man muss auch beachten, dass in Holland oft die Toilettentüren in entgegengesetzte Richtung verriegelt werden. Man gerät ins Schwitzen, wenn man nicht weiß, wie man aus dem Klo wieder rauskommt, in Finnland ist das auch so.
Von Bergen aus wanderten wir mit einem gut gefüllten Picknickkorb und den neuen Hut aufgestülpt in den hellen Wäldern vor dem Meer herum, lagerten auf einer Wiese im Sonnenschein, verspeisten den Käse und tranken einen guten Schluck roten Wein bis die Ameisen kamen. Es war wunderschön. Nein, wirklich! Wir haben das sehr genossen, auch die lange Wanderung am fast menschenleeren Strand in zum Teil furchtbaren Wind. Wir haben auch zugegeben ein wenig gefroren, wärmten uns aber in Bergen and Zee mit einem heißen Pannekoeken am offenen Feuer in einem recht rustikalen Kaffee in Strandnähe,
denn wir mussten ja auch noch zurück und das war weit. Mit letzter Kraft erreichten wir dann aber auch unser Quartier und dann kam die Arie mit der Dusche.
Abends war etwas ganz Besonderes angesagt. Bernd hatte in einem kleinen Ort in der Nähe ein tolles Restaurant, das Rariteiten Restaurant „Linke Loetje“ in Schagen ausbaldowert und Plätze reservieren lassen, alles war rappeldicke voll. Aber wir saßen direkt neben der Küche, man konnte fast alles sehen. Nicht alles, nicht unsere Vorspeise, sie stand in der originellen Karte als Kikerbillen von Kermit bezeichnet. Ich Kuh bin nicht einmal stutzig geworden, erst als Bernd mich mit leuchtenden Augen aufforderte, auch mal von dem leckeren Fleisch zu kosten. Ich tat es verhalten, eigentlich wollte ich keine Vorspeise, denn ich kann mengenmäßig nicht so viel essen. Nun, es waren Froschschenkel. Darauf einen Brandy. Na ja, Spaß muss sein. Bernd hatte ihn, ich lächelte etwas schwach. Ab sofort bin ich wachsamer.
Amsterdam erlebten wir kühl und unwirtlich. Bernd wollte sich wegen der Kälte einen Not-Pullover kaufen, aber es war Sonntag und die Geschäfte, die trotzdem geöffnet waren, hatten nichts Brauchbares.
Wir liefen ein wenig umher, schauten uns um und sahen auch die wunderschönen altehrwürdigen Gebäude, davor lebende historisch verkleidete Figuren, die man eigentlich nur gegen Geld fotografieren darf. Ich wusste das nicht, tat es und erntete böse Blicke.
Die Mädchen in den Schaufenstern, in den bewussten Gassen, waren um die Zeit noch nicht alle bereit, aber dies war nun auch nicht sehr schlimm. Es ging auch ohne sie. Jedenfalls sah ich auch dieses, auch wo man sich seinen Joint besorgt, was in Holland wohl kein Problem ist und gern genutzt wird. Man ist halt locker drauf. Ja. Ja!
So schlenderten wir halt mal durch die Gassen und ich gewinne diverse Eindrücke als Ost-Landei. Ich tue ganz cool und denke, mein lieber Schwan, was mag hier erst am Abend abrasen?

Dann fahren wir wieder. Immer wieder staunen wir über die vielen Fahrräder, die man auf den Strassen sieht. Es gibt unglaubliche Fahrradparkplätze und auch die bemerkenswertesten Räder überhaupt, was Alter und Zustand anbelangt. Man kettet sie sorgsam an. Manchmal scheinen sie dort schon immer zu stehen, sie sind Dekoration geworden und das sieht ganz nett aus. Sie stehen vor den kleinen Lädchen und gehören einfach zum Gesamtbild. Das inspiriert mich und ich male ein Bild zu Hause, auch die Bistros bilden ein gutes Motiv.
Es gibt Anregungen für Bilder ohne Ende. Da wären zum Beispiel die Windmühlen. Immer gern genommen. Natürlich male ich auch diese.

Nun, dieses Jahr sind wir also in Harlingen. Wir sehen Segler mit beachtlicher Größe und Ruderboote wie verrückt, denn es ist Regatta nach Terschelling, einer der vorgelagerten Inseln. Ein Riesengewusel, ein Geschreie (die Holländer sind sowieso laut) begleitet das Spektakel. Wir sehen auch Kurioses am Rande: der Schiffskater mit Schwimmweste an Land auf Mäusejagd oder das fliegende Schwein in einer Galerie.

In Harlingen Hafen ist immer was los. Riesenfähren kommen und fahren wieder ab, nicht ohne vorher laut vernehmlich zu tuten. Auch wir beschließen mit der Schnellfähre der Insel Terschelling einen Besuch abzu-
statten. Dort waren die erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Ruderer bereits lautstark versammelt und genossen das Wochenende in und vor den zahlreichen Bistros und Lokalitäten. Wir schlendern herum, auch in den Nebengassen und schauen die Häuschen und Vorgärtchen an. Man bietet Turnschuhe für vier Euro an. Das ist unglaublich und sie sehen wirklich gut aus.
Überall herrscht Betriebsamkeit. Wir essen ein Toasti, eine heiße Schokolade für mich und ein Bier für Bernd, dann schauen wir noch einmal im mörderischen Wind auf die Nordsee, es ist Ebbe und wir verziehen uns schwer durchgepustet wieder. Es ist wirklich zu windig für uns entwöhnten Landratten.
Dann kommt sie, unsere Fähre. Bernd fotografiert noch schnell ihr Landemanöver. Auf dem Rückweg schlafe ich ein, und nicht nur ich, denn Seeluft macht müde, schließlich sind wir ja auch über zwei Stunden rumgegepilgert.

In Harlingen speisen wir einmal wie die totalen Gourmets. Na, Bernd ist ja auch einer. Unser Hunger hielt sich zum Glück in Grenzen, so dass wir das Essen amüsiert und durchaus genussvoll durchleben konnten. Jeder Gang wurde fotografisch festgehalten. Es war schon eine gewisse Show, die geheimnisvollen Schaums, Tunken und Pasten in reagenzglasähnlichen Gefäßen serviert zu bekommen. Die kleinen, elegant mit Zange gereichten Müslibrötchen waren äußerst lecker. Wir aßen vorsichts-
halber zwei. Wie man das so in der verhohnepipelnden Werbung immer sieht: Riesenteller und Spuren eines furchtbar komplizierten Gerichtes.
Also wir fanden diesen Abend im De Gastronom sehr witzig. Das Fleisch war jedenfalls in Ordnung, der Spargel auch. Das Dessert war nicht unübel, auch der Capuccino hatte Aroma. Kurz: wir waren zufrieden. Der Preis war sündhaft. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er der Sünde angemessen war. Bernd weiß da mehr. Einmal aßen wir in einem sehr schönen Fischrestaurant und es war ein Gedicht. Ursprünglich wollten wir allerdings Pizza essen. Das war nicht drin, weil Kartenzahlung nicht möglich (Maschin kaputt), an andere Stelle war alles reserviert. Es sollte nicht sein. Die Froschschenkel hatte Bernd beim Chinesen auch wieder sehr lecker geknabbert. Meine komischen Kekse, die ich auswählte (man ist der chinesischen Sprache so wenig mächtig), waren wohl eher getoastetes Löschpapier. Ich hatte eh keinen Hunger, habe aber alle brav wech geknuspert.
Wir konnten dabei beobachten wie eine Reihe von Männer und Frauen bemüht waren, das große Segel ordentlich um den Mast des Seglers zuschnallen. Ordnung muss sein, nach dem Segeltörn gibt es also immer noch anstrengende Arbeit. Irgendwie nach dem Einschreiten des Skippers war auch dies geschafft. Wir hatten also Unterhaltung. Ständig war in diesem Hafen was los. Die Brücken, es gab mehrere, gingen ständig auf und zu, weil die Segler raus oder rein wollten. Wir wunderten uns, dass es keine sichtbaren Havarien gab. Es ist wirklich für uns ein ganz befremdlicher Anblick, wenn plötzlich unmittelbar zwischen den Häusern Riesenmaste von Seglern auftauchen, denn die Grachten führen durch die ganze Stadt. Die kleineren Boote mit dem Glasüberbau fahren hin und wieder herum, die Stadtrundfahrt auf dem Wasser. Natürlich fahren auch offene Boote. Bernd meint die Grachten stinken manchmal, man muss das nicht mitmachen.
Nun, wir konnten so viel am Abend aus unserem Fenster beobachten, auch einen wundervollen und sehr romantischen Sonnenuntergang.
Am gleichen Abend lauschten wir noch ein wenig Lifemusik, war nicht schlecht, nur war es leider zu kalt für Openair. Eine Artistin mühte sich mit ihren Feuerstangen (sicher haben die Dinger auch einen offiziellen Namen).

Dann war auch der letzte Abend einer schönen Reise zu Ende.




© Helga


Fliegen wir schon?




Eine abenteuerliche Reise mit einer tollkühnen Freundin

Endlich war er da, der Tag, soooooo lange haben wir darauf gewartet, geschuftet und gespart, bis wir unseren lang ersehnten Urlaub antreten konnten. Die Nachsaison in Ägypten war für Feriengäste unseres Breitengrades gerade gut genug, herrlich temperierte See, reichlich Fisch, nicht nur essbar, sondern auch in erreichbarer Tiefe sichtbar.
Schnorchler und Taucher trampelten sich bereits auf den Tauchbooten auf den Füßen, unter Wasser war es wie auf dem Rummelplatz. Von wegen Fische gucken, aufpassen, dass die Flossen des voraus schwimmenden Tauchers einem nicht die Tauchmaske vom Gesicht fegte.
Aber dies nur am Rande bemerkt.
Bevor ich mein Gepäck die Treppen hinunter schleppte, vergewisserte ich mich noch einmal, ob ich auch das Wesentliche, neben meiner Tauchausrüstung, verstaut hatte. Startklar packte ich meinen Koffer in meinen Golf, der leider nur wenig Raum für Gepäck bot, aber die Rückbank barg noch genug Platz für die Reiseutensilien meiner Freundin. So wie ich sie kannte, würde sie nicht nur mit einem Koffer reisen. Ich warnte sie zwar, dass sie für dieses Land eher weniger Klamotten benötigte als vorgesehen, vor allem sollte sie, wenn machbar, alles in einen ihrer großen Koffer packen, möglichst wenig Handgepäck, da es beim Einchecken schneller gehen würde, und vor allem keine Flüssigkeiten in der Handtasche lassen.
Für Maren war es der erste Flug ihres Lebens, es bedurfte an Aufklärung in jeglicher Hinsicht.
Sichtlich nervös begrüßte sie mich, als ich am späten Abend direkt vor ihrer Haustür parkte, ich wusste schon im Vorfeld, dass es nötig war. „Wo willst du denn hin“, fragte ich amüsiert.
„Wieso?“ war ihre entrüstete Gegenfrage. „Ach ich meine nur so, bei all dem Gepäck, du hast doch wohl nicht deinen ganzen Kleiderschrank leer geräumt?“ „Das ist doch nicht viel“, entgegnete Maren, „ich habe ein Menge wieder ausgepackt, weil ich den Koffer nicht schließen konnte.“ Ich blickte sie etwas verwundert an, denn bei all dem was sie noch so mit sich führte, benötigte sie wohl doch erheblich mehr Zeug als ich. Die Rückbank reicht aber völlig aus, und kein Gepäckstück musste zu Hause bleiben. Wir brausten gut gelaunt los, freuten uns auf alles, was das Land der Pharaonen zu bieten hatte. Maren träumte von Tut Anch Amun, vom Tal der Könige, von den Pyramiden und dem Museum in Kairo. Ich hingegen wollte eigentlich nur ans Meer. Sand unter den Füßen spüren, die Sonne genießen und mindestens drei Mal täglich abtauchen. Strandurlaub nach Tauchermanier eben, etwas Kultur sicherlich, aber in Reichweite. Eine Tagestour von mehreren hundert Kilometern quer durch die Wüste bis zum Niltal, war eher nicht so mein Ding. Aber noch waren wir nicht dort. Am Flughafen angekommen, suchten wir uns einen Parkplatz, der nicht gar so weit vom Hauptgebäude entfernt war, immerhin verlangte das Gepäck von Maren eine enorme Kraft und lange Arme, und je kürzer der Weg, um so besser. Ich fragte so nebenbei: „Wie viel Handtücher hast du eingesteckt, wir dürfen keines aus dem Hotel mit an den Strand nehmen? Und ich hoffe, du hast deine komplette kosmetische Ausrüstung auch in den Koffer gepackt, du weißt doch, keine Flüssigkeiten dürfen im Handgepäck an Bord gebracht werden.“ Verdutzt schaute sie mich an, dann ratterte es in ihrem Kopf, und sie schimpfte über ihre Vergesslichkeit. „Verdammt, ich habe die Handtücher wieder ausgepackt, sie liegen auf meinem Bett. Aber dafür habe ich meine Kosmetik und alles was man so braucht in meinem Rucksack.“ „Na toll, den darfst du aber nicht mitnehmen an Bord, es sei denn, du bist damit einverstanden, dass sie dir bei der Kontrolle alles wegnehmen.“ „Wie meinst du das?“ „So wie es sagte“, bemerkte ich ernst, „alle Flaschen und Fläschchen mit Flüssigkeiten, bleiben zurück.“ „Die spinnen wohl“, meckerte Maren, „ich habe doch nur Parfüm, Bodylotion, Sunlotion, Zahncreme, Haarpray, Gesichtswasser und meine Tagescreme eingesteckt.“ „Klasse“, kommentierte ich, „das passt ja prima, volles Programm für Bombenentschärfer und Co.“
Mittlerweile waren wir im Hauptgebäude, der Schalter hatte bereits geöffnet, und wir schleppten uns die letzten Meter bis zur Gepäckaufgabe. Es ging relativ schnell, bis zu dem Moment, als Marens Koffer gewogen wurde. 20 kg Gepäck waren erlaubt, mehr forderte eine Nachzahlung.
Leider hatte Maren ihre Geldbörse im Koffer und somit musste er wieder her geholt werden.
Ich wollte ihr aushelfen, aber sie meinte, dass es besser wäre, wenn sie das Portemonnaie bei sich hätte. Da war etwas Wahres dran, denn wir brauchten noch eine Menge Geld bis zum Abflug.
Wir reisten nämlich nur mit dem Personalausweis und für die Einreise benötigt man entweder einen Reisepass oder ein Dokument, das die Ägypter zwar aushändigen, jedoch nicht ohne ein Foto. Tja, somit brauchten wir noch jemanden, der uns mal so eben portraitierte. Ein Automat war am anderen Ende der Halle, und weit entfernt von uns. Nun denn, wir liefen also durch die Halle, Zeit hatten wir noch genug, um Passfotos machen zu lassen. Ich setzte mich in das Ding, las die Anweisung und erhielt nach kurzen 5 Minuten meine Fahndungsfotos. Maren kletterte in den Automaten, jedoch sichtlich genervt, weil sie mit dem kleinen Spiegel auf Kriegsfuß stand, er gab sie leider nicht so wieder, wie sie es gerne gehabt hätte. Die Haare lagen nicht, die Augen mussten nachgeschminkt werden und alles was der Computer als Bild anzeigte wurde gelöscht. Irgendwie verbrachten wir eine lange halbe Stunde damit, Maren in Position zu bringen und den Auslöser zu betätigen. Auch so kann die Zeit tot geschlagen werden. Mit den Fotos im Handgepäck bewegten wir uns endlich nach oben, um durch die Kontrolle zu gehen. Ich konnte ohne Probleme passieren, nichts piepte und mein Tasche war sauber. Langsam schlenderte ich weiter, im Glauben, dass Maren mit folgte. Dem war aber nicht so. Ich vergaß, dass ihre Kosmetik Probleme bereiten würde. Sämtliche Flaschen wurden entnommen und sollten entsorgt werden. Sie protestiere heftig, es half aber nicht, wir mussten zurück und den Rucksack aufgeben. Jetzt drängte die Zeit, wir rannten hinunter und kamen noch rechtzeitig zum Schalter, bevor er geschlossen wurde. Mittlerweile war ich schweißnass und leicht genervt. Als nun auch der Rucksack seine Reise antrat, konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen und stichelte:
„Bist du sicher, dass du ihn so ziehen lassen willst?“ Maren sah mich vorwurfsvoll an, wischte sich ihren Schweiß von der Stirn und seufzte: „Ich fliege doch zum ersten Mal, woher soll ich das alles wissen.“ „Vielleicht, weil ich es dir gesagt habe“, antwortete ich nicht gerade freundlich.
Jetzt konnten wir den langen Weg noch einmal hastig nehmen. Oben angekommen, rannte Maren durch die Kontrolle, sie war der Meinung eine reicht, wurde aber abrupt gestoppt, da wir uns wieder anstellen mussten. Also, alles noch einmal von vorne. Glimpflicher verlief dann die Passkontrolle und wir hatten freien Zugang zum Flugzeug. Meine Freundin zitterte am ganzen Körper und setzte keinen Fuß auf die Gangway. Mittlerweile wurde auch ich nervös, denn neben dem Bedürfnis eine Toilette aufsuchen zu wollen, hatte ich auch Verlangen mich endlich entspannt hinsetzten zu können. Jemand schubste uns von hinten, und somit waren wir schneller im Flugzeug als ich es mir vorstellen konnte, nach dem Motto, Augen zu und durch. Maren waren auf der Flucht, sie hechtete über die Gangway, als wäre jemand hinter ihr her, stürmte das Flugzeug und fiel förmlich der Stewardess in die Arme. Wenigstens war sie an Bord, mehr wollte ich nicht. Den Platz zu finden, der auf der Bordkarte stand, war auch nicht so einfach, vor allem, wenn man erschöpft sich einfach so auf einen der Plätze niederließ. Maren wurde aber dann höflich gebeten sich zu erheben, um ihren Platz aufzusuchen. Im hinteren Teil der Maschine fand sie dann den Sitz, der ihrer war, mittig zwischen mir, ich saß am Fenster, und einer Dame, die seltsame Gesichtszüge offenbarte, als ob ihr der Platz nicht behagte. Nachdem Maren ihren Sitz einnahm, sich anschnallte, klappte sie das Tablett herunter, suchte nach der Kotztüte, blies sie auf und legte sie vor sich auf das Tablett. Die Dame schaute erschrocken auf die offenen Tüte und versuchte Abstand zu gewinnen. Ich schubste Maren an und forderte sie auf, die Tüte wieder in das Netz zu stecken und das Tablett hoch zu klappen, sie schüttelte den Kopf und erklärte trotzig: „Wie soll ich dann in die Tüte kotzen, wenn sie zu ist?“ „Dann halte sie fest“, flüsterte ich ihr ins Ohr, damit die anderen Passagiere nichts mitbekamen. Maren sah mich über ihre Brille hinweg an, griff nach der Tüte und steckte sie sich zwischen ihre Beine. Dann setzte sie sich aufrecht hin, legte ihre Hände auf den Vordersitz und starrte an die Decke. „Was ist nun schon wieder?“ fragte ich genervt. „So kotze ich nicht“, gab Maren zur Antwort. „Wir fliegen doch noch gar nicht, entspann dich doch mal, und bleib locker.“ „Wann fliegen wir denn?“ „Das merkst du schon, gleich geht es los.“ Sie blieb aber so sitzen. Ihre Sitznachbarin blickte verstohlen auf Maren und verzog das Gesicht wiederholt zu einer Grimasse.
Nach eine Weile bewegte sich das Flugzeug langsam zur Rollbahn. Maren rief entsetzt: „Fliegen wir schon?“ und bohrte ihre verkrampften Finger in den vorderen Sitz, dabei starrte sie noch immer zu Decke. „Mein Gott Maren“, beruhigte ich sie, „wir rollen zur Startbahn, es dauert noch.“ „Sag mir aber wenn wir fliegen, ja, bitte.“ „Klar man, mach ich, aber jetzt setzte dich doch mal vernünftig hin.“ „Geht nicht“, war ihre knappe Antwort.
Das Flugzeug erreichte die Startbahn, drehte eine kleine Linkskurve und rollte noch ein kleines Stück bevor es mit Vollgas über die Startbahn raste. Maren verdrehte ihre Augen und schrie: „ Fliegen wir schon?“ Ich antwortete nicht, schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit, allmählich war sie mir peinlich und hoffte, dass sie sich nicht übergeben musste. Als der Flieger vom Boden abhob, hob auch Maren ab. Als ob ihr Gesäß automatisch mit in die Luft ginge, jedoch im Gurt hängen blieb. „Fliegen wir jetzt?“ schrie sie wieder. Die anderen Fluggäste schauten neugierig auf Maren, teilweise amüsiert, teils entsetzt, nur ich nicht.
Als wir endlich die Flughöhe erreichten, die der Pilot für angebracht hielt, zog ich Maren zu mir herüber, sprach leise zu ihr: „Gleich kannst du trinken und essen, dann geht es besser, du wirst abgelenkt.“ Marens Krampf ließ nach und ihre Hände fanden die Tüte zwischen ihren Beinen wieder. Sofort sprang die Dame links neben ihr auf und stand im Gang. Maren sah sie empört an, störte sich aber nicht weiter daran, und stopfte endlich die noch leere Kotztüte zurück in das Netz. Vier Stunden Flug lagen vor uns. Vier Stunden Chaos mit Maren.
Nach Kaffeegenuss und Tomatensaft, gab es endlich etwas zu essen. Die Stewardess reichte uns das Tablett und Maren stellte es neugierig auf den Inhalt ab. Lüftete das Geheimnis und blickte mit entsetzten Augen auf mein Tablett. „Davon werde ich aber nicht satt“, bemerkte sie und wusste nicht wohin mit dem Deckel. Sie stopfte sich diesen, wie die Tüte zuvor, zwischen ihren Beinen und begann langsam das Besteck auszupellen. Es gab ein Nudelgericht, Cracker, Fischkäse, Pudding und alles schön verpackt. Ihr Tablett hatte eindeutig zu wenig Platz. Zuerst fielen die Deckelchen herunter, dann das Messer und zu guter Letzt die Cracker. Maren versuchte sich seitlich zu bücken, wühlte unten auf dem Boden nach ihren Crackern, fand sie aber nicht. Leise sagte ich ihr, sie solle es lassen, bevor alles unten läge, ich gäbe ihr meine, denn ich könnte auch ohne Cracker satt werden. Sie akzeptierte diesen Vorschlag aber nicht. Die Dame links von ihr durfte nun ihren Tomatensaft halten, in weiser Voraussicht, nahm sie den Plastikbecher gerne entgegen, ich hingegen das Tablett mit dem noch vorhandenem Nudelgericht und dem Pudding, auch ich nahm dieses gerne in Empfang. Maren klappte das befestigte Tablett hoch, bückte sich erneut und fand ihre Cracker unter dem Vordersitz wieder. Jetzt ging es retour. Genüsslich essen, keine Spur, sie schlang alles hinunter, als ob ich ihre Mahlzeit stehlen würde. „Willst du deine Cracker selber essen?“ fragte Maren noch kauend. Ich reichte ihr meine und hoffte, sie satt zu bekommen. Beim Abräumen hielt Maren ihr Tablett der Stewardess entgegen, achtete nicht auf die Dame links von ihr, die in diesem Moment auch ihr Tablett in die Hand nehmen wollte und wieder fiel alles zu Boden. Ich senkte meinen Kopf, lachte lauthals, dass mir dir Tränen in die Augen schossen. Ich entschuldigte mich und bat um Platz, da ich die Toilette aufsuchen wollte. Maren fand, dass das eine gute Idee wäre und lief vor mir her. Ich hoffte, dass die Toilette nicht auch noch eine Überraschung für sie übrig hatte. Aber dem war so. Sie verschloss die Türe, es dauerte eine Ewigkeit, die Schlange hinter uns wurde länger und länger. Ich klopfte an die Tür, rief ihren Namen aber sie muckte sich nicht. Die Stewardess holte einen Schlüssel und öffnete die Tür von außen, Maren drückte aber dagegen. „Machen sie bitte die Türe auf“, befahl die sonst so freundlich Stewardess. „Das geht nicht“, war Marens Antwort. „Sie müssen nichts weiter tun“, rief die Flugbegleiterin in das kleine WC. „Das ist es ja“, rief Maren zurück, „ich mach doch gar nichts.“ „Dann kommen sie doch bitte da heraus“, rief die Stewardess jetzt verärgert. „Wie denn?“ Marens Stimme klang ängstlich. „Bleiben sie einfach ruhig und tun sie nichts“, schrie die junge Flugbegleiterin. Dann warf sie sich gegen die Türe und sie sprang ein Stück weit auf. Maren war aber nicht bereit den kleinen Raum zu verlassen. Wie konnte sie auch, ihr Pullover hatte sich am Riegel der Tür verfangen und sie hing daran irgendwie fest. Die rettende Hand der Stewardess befreite sie aus ihrer verunglückten Position. Heil froh, dass sie diesem ungemütlichen Ort verlassen konnte, errötete sie mächtig, als sie an der Menschenschlange zurück zu ihrem Sitz torkelte. Und ich war erleichtert, endlich den Ort aufsuchen zu dürfen, der für Maren ein Gefängnis hätte werden können.
Die Dame am Gang stand sofort auf, als ich zurückkehrte, Maren jedoch blieb sitzen und starrte mich an. Eine kurze Weile, dann fragte sie verdutzt:: „Warum setzt du dich nicht?“ „Würde ich ja gerne“, erwiderte ich, „aber du lässt mich ja nicht. Ach was, bleib sitzen“, dabei kletterte ich über sie hinweg auf meinen Sitz und hoffte, dass die restliche Flugzeit ohne besondere Vorkommnisse verlaufen würde. Noch etwa eine Stunde bis zur Landung.
„Was passiert jetzt?" sichtlich verängstigt starrte Maren mich an. „Wir landen", war meine Erklärung. „Wo sind wir besser aufgehoben, im vorderen Teil oder im hinteren Teil der Maschine?" Ich verstand ihre Frage nicht. „Wie bitte?" „Na, wenn das Flugzeug abstürzt, oder auseinander bricht, wo sind wir dann besser dran?" „Im hinteren Teil", besänftigte ich Maren, denn wir saßen im hinteren Teil der Maschine. „Gott sei Dank", schluchzte sie, und schaute wieder zur Decke. Als der Pilot den Flieger auf die Landebahn aufsetzte, hoppelte das Flugzeug nicht schlecht, und wir wurden alle kräftig durcheinander geschüttelt. Ich griff sofort nach der Kotztüte, um sie Maren zu reichen, doch sie sah mich nur unverstanden an, und meinte: „Ach nein, über mich machst du dich lustig, aber selber kotzen müssen. Ohne Antwort steckte ich die Tüte wieder weg, verharrte stumm in meinem Sitz, bis wir das Flugzeug verlassen durften.
Hurra, wir sind in Ägypten, aber noch lange nicht im Hotel.
Und Maren verstörte langsam, aber sicher, die Ägypter.
Mein Urlaub war ein Abenteuer, gewiss, und unvergesslich.
Was glaubst du, was ich alles noch so erleben durfte?






© Petra


Sommer zwischen Himmel und Meer




Da, wo Himmel und Meer sich treffen, zu einem schnurgeraden, dunkelblauen Strich, zum Horizont zusammenfinden, dahin ist der Blick gerichtet. Man hat den Fahrtwind in den Haaren, die Sonne im Nacken und Salz auf den Lippen. Man sitzt unterm Mast bei Windstärke 0, das Meer spiegelglatt, also Gott sei Dank kein Grund weit und breit sich schlecht fühlen zu müssen. Sonnencreme hat man dick aufgetragen und ahnt nicht, daß man sich trotzdem krebsrote Knöchel holen kann. Der Autopilot steuert die Jacht durch das glatte Wasser, schafft Distanz zum Festland mit all seinen überflüssigen Dingen, die klein und kleiner werden, entschwinden, und sollte man irgendwelchen ungelösten Ballast mitschleppen, so löst sich dieser freundlicherweise nach und nach im Meereswasser auf, vermischt sich mit dem Salz, taucht ab, ist weg, nicht mehr da, und man ruft selbstverständlich dem Skipper nicht zu, er solle den Kahn stoppen, man hätte etwas verloren. Außer es handelte sich um einen läppischen Sonnenhut. Man läßt den Blick über die unendliche Weite schweifen; Meer, Meer, Meer – was will man mehr. Vielleicht einen Blick auf einen abtauchenden Wal oder wenigstens einen auftauchenden Delphin. Mit wachsamem Auge blickt man in die gleißende Fläche – und, wahrhaftig: da ist was! Die Flosse eines Wals! Nur schwer läßt sich der skeptische Skipper vom Kurs abbringen, aber schließlich übernimmt er nun selbst das Ruder. Da vorne, leicht rechts, zehn nach zwölf, da war´s. Mutig steuert der Skipper die Stelle an. Ach, schau an, Treibholz… Na so was, man hätte schwören können…
Ein Skipper hat in der Regel immer Recht. Das schreibt man sich fortan hinter die geröteten Ohren. Man ist jetzt vom rechten Kurs abgekommen, doch der Skipper kriegt das wieder hin.


Irgendwann ist der Punkt der absoluten Freiheit

erreicht: da, wo kein Land mehr in Sicht ist, da, wo die endlose Weite des Meeres wehrlosen Seereisenden die Sinne raubt. Sonne, Wind, Meer, freundliche Wellen, die sich unter dem Bug kräuseln. Man hängt jetzt trunken im Bug auf der äußersten Spitze wie eine nahezu graziöse Galionsfigur, man riecht und schmeckt das Meer.
Hier könnte man verweilen bis in alle, alle Ewigkeit. Auch Nietzsche würde das unterschreiben, man ist sich da sicher - ja, gut, halbwegs sicher - denn Lust will, wenn es nach ihm geht, tiefe, tiefe Ewigkeit, und das wiederum kann man ihm unterschreiben. Überhaupt hätte ihm, Nietzsche, so eine Seereise gut getan anstatt auf einsamen, idyllischen Engadiner Pfaden zu wandeln. Man hätte ihn bei der Hand genommen, "komm Friedrich, laß uns in See stechen", und unter dem Mast hätte man über Freiheit und vieles mehr geredet. -
Aber der Bug pflügt durchs Wasser, Seemeile um Seemeile, und plötzlich ist wieder Land in Sicht. Plötzlich ist es da, erhebt sich in Form einer Schlange langsam aber stetig aus dem Nichts und reiht sich am Horizont ein. Eine unbekannte Insel mit einem unbekannten Hafen mit unbekannten Leuten und dazugehörigen Sorgen. Hoch oben auf einem Felsen unter blaustem Himmel schiebt sich ein weißer Leuchtturm ins Bild, zu seinen Füssen Häuser in pompeianischem Rot, das stahlblaue Meer der Rahmen. Man ist fasziniert von diesem pittoresken Gemälde und hält es im Geiste fest, um es an grauen Wintertagen aufzurufen.


Irgendwo, in einer Bilderbuch-Bucht, wirft der Skipper den Anker. Magisch lockt das türkise Wasser. Man wirft alles von sich und springt ins prickelnde Naß. Beim Auftauchen überdenkt man, wie man denn wieder an Bord komme, und eine verwirrte Meduse zieht vorbei. Der zuverlässige Skipper ist natürlich zusammen mit der Leiter an Bord geblieben.


So vergehen mittlerweile namenslose Tage – wie soll man sie beschreiben, wie soll man in Worte fassen, was einen befällt; ein Zustand von allem losgelöster Leichtigkeit, ist es die Sonne, die sich sengend über die Gedanken legt und sie austrocknet, ist es der Wind, der sie mit sich nimmt oder ist es das Meerwasser, das sie wegwäscht. Jedenfalls fühlt man sich eins mit den Elementen, man taucht immer wieder ab ins Türkis, schwimmt mit den Fischen, man ist quasi einer von ihnen, man segelt im Wind, badet in der Sonne. Und wenn man zwischendurch träge auf dem Deck liegt im Schatten des Sonnendaches, die See spiegelglatt, und immer wieder diese Wolken, die vorbeiziehen und manchmal eine Möwe, mag man sich überflüssigerweise fragen, wann der Überdruß sich einstellen werde, denn er bleibt fern, stellt sich nicht ein, und die Wolken sind immer wieder andere und die Möwen – ein Kapitel für sich. Jedenfalls hat Morgenstern recht, sie sehen aus, als ob sie alle Emma hießen. Wie sie kreischen – bereits die jungen, noch braun gefiedert, können kaum fliegen – aber kreischen können sie, ganz große Klappe. Hämisch kommen sie rüber, wären sie keine Möwen würde man sagen diebisch. Vielleicht freuen sie sich diebisch, daß die Zeit unweigerlich kommen wird, wo die mediterranen Buchten und Felsen wieder ganz alleine ihnen und nur ihnen gehören werden, wenn all die Sonnen- und Meerhungrigen abziehen und wieder hinter Schreibtischen sitzen, über Schulbüchern brüten, sich in Büros ärgern oder sich sonst wo abrackern. Tuckert man mit dem Schlauchbötchen den Buchten entlang, kommt man auf Augenhöhe mit ihnen, sie sitzen in Gruppen auf dem Wasser und lassen sich nicht stören. Man ist erstaunt, wie groß sie sind, was für mächtige Schnäbel sie haben. Man wird argwöhnisch beäugt, und wenn sie sich dann kreischend in die Lüfte schwingen, lassen sie auch ungeniert was fallen – ein kleines Wort mit drei Buchstaben.


Zwischendurch an Land, wo man landkrank wird, der Boden hebt und senkt sich, unbekannte Läden, unbekannte Boutiquen, unbekannte Buchläden mit Büchern bekannter Autoren und bekannte rote Spaghettis in unbekanntem Ristorante.


Nachts, vor Anker im sicheren Hafen, liegt man erledigt in der Koje, überläßt sich dem sanften Schaukeln des Bootes, es ist heiß, die Bullaugen sind offen, ab und zu streicht ein kühlendes Windstößchen durchs Schiff, man läßt sich einlullen, hin und wieder plätschert es unter dem Bug, die Geräusche des Hafens - das Klirren einer Ankerkette, das Hecheln einer Wasserpumpe, das Tuckern eines Motorbootes - begleiten das Einschlafen. Es wird ruhig, eine laue Nacht, gutes Wetter vorhergesagt.


Ein früher Morgen beginnt, wieder eine Ankerkette, nur weckt sie einen diesmal. Ein angefressener Seebär muß schon - wer weiß aus welchem Grund - in aller Herrgottsfrüh den Anker lichten und in See stechen. Ein wenig mag es einen stechen, daß man so früh dem Schlaf entrissen wurde. Aber so ist das im Hafen auf dem Schiff.


Und die Tage gleiten mit den Wolken dahin, wie viele, man weiß es nicht. Viele. Jedenfalls ist man, es war nicht zu verhindern, schon ganz schön braun, Milchschokolade, und sollte man jetzt beschleunigt dem faltigen Alter entgegenschreiten - es wird ja weiß Gott genug prophezeit, daß die Sonne vorzeitig altern läßt - könnte man es nun nicht mehr verhindern, und man wäre erst noch selber Schuld!


Dann, in einer Bucht vor Anker, starkes Windaufkommen, von einer Stunde auf die andere. Die Jacht schaukelt, das Meer, nun dunkelblau, unberechenbar, schäumt und spritzt bis an Bord. Man ist überrascht und merkt, dem Meer ist nie zu trauen, erst noch friedlich freundlich, und nun bringt es einen in diese Bedrängnis. Man ist nun nicht mehr eins mit den Elementen, sie sind allesamt gegen einen und spaßen nicht. Unter Deck gehen ist nicht ratsam. Jetzt wäre ein Grund da, daß es einem übel werden könnte. Sogar sehr übel. Leichte Hektik kommt auf an Bord. Sonnendach runter, Bullaugen zu, alles festgezurrt, Anker eilends gelichtet und um die Insel ins ruhigere Gewässer geschippert. Das Praktische an einer Insel: ist das Meer auf der einen Seite bewegt, ist es auf der andern Seite ruhig. Sämtliche Segeljachten und Motorboote drängen sich hier Schutz suchend.
Und die Möwen haben ihr Gaudi im Aufwind. Man gönnt es ihnen.
Später, im ruhigen Hafen, erst mal aufs Klo.


Irgendwann, wenn das Blau der Augen aus der Gesichtsbräune langsam unerträglich hervorsticht, lichtet der Skipper den letzten Anker und steuert das Land an, dem man den Rücken gekehrt hat, und je näher man ihm kommt, desto deutlicher erkennt man diese verdammte Höllenscheiße, die sich dem Meer wer weiß wie abgetrotzt hat und da am Ufer steht in unübersehbarer Importanz:
das Ballast-Empfangs-Komitee von A bis Z.

Ahoi denn.


© Jeanne Guesch
Juli 2011

Impressum

Texte: Rechte an Fotos und Text bei den Autoren Coverbild (Zug) helgas. Bearbeitung Cover und Seitenhintergrund Klaerchen
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Band 1 In Holland - Helgas Fliegen wir schon? - Petra(szirra) Sommer zwischen Himmel und Meer - Jeanne Guesch(fatamorgana)

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