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Bei den katholischen Schwestern



Nach meiner Schulzeit schickten mich meine Eltern für ein Jahr in ein Internat, welches von katholischen Schwestern eines Franziskaner Ordens geleitet wurde.
Hier sollte ich vor meiner Berufsausbildung eine ausgezeichnete Allgemeinbildung und eine gute Haushaltsführung kennen lernen.
Dieses eine Jahr hat mein weiteres Leben sehr geprägt.
Meine Familie lebte nach religiösen Grundsätzen und so war mir der Tagesablauf in diesem katholischen Internat nicht fremd.
Dreißig Mädchen, die etwa 18 bis 20 Jahre alt waren, kamen aus gutbürgerlichen Gesellschaftsschichten um hier alle nötigen Kenntnisse der feineren Haushaltsführung kennen zu lernen.
So waren hier auch einige Töchter aus großen, wohlhabenden Bauernhöfen.

Einmal, es war während eines theoretischen Unterrichtes in Ernährungslehre, konnte eines dieser Mädchen eine Frage nicht richtig beantworten und gab deshalb erst gar keine Antwort.
Nach mehrmaliger Ansprache der Schwester Ethelburga und weiterem beharrlichem Schweigen der Schülerin, rief die Schwester ärgerlich:„ Warum gibst Du mir denn keine Antwort? DU BIST WOHL STIERIG !!!"
Die fünf Bauerntöchter erstickten fast vor unterdrücktem Lachen und wurden alle zur Strafe eine Weile aus dem Raum geschickt.
Wir anderen, unaufgeklärt wie man damals eben war, verstanden nichts und die gescholtenen Mädchen gaben auch nie eine Erklärung für ihren Heiterkeitsausbruch.

Die Schwestern waren streng, aber sie brachten uns wunderbare Sachen bei und förderten Kunst und Kultur.
So fuhren sie mit uns zur Weltausstellung nach Brüssel, reisten mit uns in den Elsass und wir lernten auf dieser Reise die deutschen Dome in Mainz, Worms, Speyer und Freiburg kennen.
Museen, Konzerte und Ausstellungen der verschiedensten Kunstrichtungen wurden uns ebenfalls angeboten.
Im Elsass habe ich besonders den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald im Städtchen Colmar und das herrliche Meisterwerk des geschnitzten Breisacher Altar, aus dem 16. Jahrhundert, dessen Meister nicht sicher bekannt ist - nur seine Initialen H und L befinden sich auf dem Mittelteil. Tillmann Riemenschneider oder Veit Stoß wurden vermutet aber mit Sicherheit konnte dies nicht bewiesen werden.

Im Internat schliefen alle in einem großen Schlafsaal, der in dreißig kleine Schlafplätze, abgetrennt durch rosafarbene, schön gearbeitete Vorhänge, gestaltet war.
Hier standen ein Bett, ein Nachtschränkchen, ein Hocker und ein Kleiderschrank.
Da ich zu Hause mit drei Schwestern ein Zimmer teilte, erschien mir dieser Schlafraum als ein erstes, ganz alleine mir gehörendes Zimmer.

Am Morgen um halb sieben ging eine Schwester mit einer kleinen Glocke durch die Gänge des Saales und rief: „Gelobt sei Jesus Christus!“
Wir antworteten, noch etwas schläfrig: „ In Ewigkeit. Amen.“
Dabei warfen wir das Oberbett über das Fußende des Bettes und damit bauschte sich der Vorhang am Ende der Schlafstatt auf und somit konnte die Schwester von außen sehen, dass wir aufgestanden waren.

Eine dreiviertel Stunde später nahmen wir am täglichen Gottesdienst teil, den ich besonders schön fand, weil die Schwestern gregorianische Gesänge anstimmten. Der Wohlklang dieses Gotteslobes in einer Kirche oder in einem Kloster ist für mich immer noch ein Höhepunkt eines Gottesdienstes.

Der Tag verging mit den verschiedensten Tätigkeiten:
Von feinsten Handarbeiten, leckersten Gerichten und deren Zubereitungen, dem Gestalten eines festlichen Tischschmuckes, dem Verhalten bei Tisch und Gesprächsführungen bei Gesellschaften, der Pflege eines guten Haushaltes, Babypflege, Übungen zur Wäschepflege und guter Allgemeinbildung, alles was wir später gebrauchen konnten, wurde uns beigebracht. Wenn ich es recht bedenke, war von Männern nie die Rede.

Eines der Mädchen, ein Griechin, die kaum ein Wort deutsch sprach, wurde von ihrem Verlobten, einem jungen Zahnarzt, einige Wochen nach Beginn dieses Jahres, zu uns gebracht und sollte nun vor ihrer Hochzeit, hier die Sprache und die Führung eines Haushaltes kennen lernen. Das war natürlich eine Sensation aber da Alexa erst einmal unsere Sprache nicht verstehen und sprechen konnte, erfuhren wir über die Liebe nichts.
Heimweh und Sehnsucht plagte sie zuerst sehr. Nach kurzer Zeit konnte sie beides überwinden, denn sie fühlte sich angenommen und lernte sehr schnell Deutsch.
Zu ihrer Hochzeit, die kurz nach dem Abschluss des Jahres stattfand, lud sie uns alle ein und sogar eine Schwester erhielt die Erlaubnis, daran teil zu nehmen. Es war eine wunderbare, riesige Hochzeit, Griechen und Deutsche feierten in großem Stil und für alle, die gekommen waren, hatten die beiden Familien Hotelzimmer gebucht. Alexa, die immer zu Treffen der Ehemaligen anreiste, betonte immer, wie gut ihr diese Zeit des Einlebens in unserer Gemeinschaft gefallen hätte.

Alle Schwestern waren freundlich, aufrichtig, fröhlich und eine Schwester, die noch ganz jung war, habe ich wie eine Freundin empfunden, der man alles anvertrauen konnte.

Zwei Freundinnen aus diesem Jahr sind mir bis heute, auch wenn sie weiter weg wohnen,
erhalten geblieben und wir besuchen uns hin und wieder.

Prägend für mein Leben in einer Großfamilie waren für mich die ersten zwanzig Jahre, die mir durch eine intakte Familie, dieses eine Jahr im Internat und eine gute Ausbildung geschenkt wurden.

© Genoveva


Im Internat.



Das klingt streng. Jugendliche hatten sich einzufügen und mussten sich dem Reglement einer Internatsordnung unterwerfen, eines mit Vorschriften und Verboten gespickten Werkes, welches von einer frustrierten Heimleitung und ähnlich gestimmten Erziehern mit allen Konsequenzen erarbeitet und von Gott weiß wem abgesegnet wurde.




Ich sollte nun mit meinen 15 jungen Lenzen in ein solches Internat, zumindest für die Woche. An den Wochenenden durfte ich nach Hause kommen. Es gab sicher Heime oder Internate ganz unterschiedlicher Güte. Meines war am Rande einer mecklenburgischen Kleinstadt, ein Bollwerk der besonderen Art.

Das Haus war ein altes Gutshaus, leicht umgebaut für die Unterbringung von Jungen und Mädchen. Nun, das besagt einiges. Die Internatsschüler wurden aufs sorgsamste bewacht. Es gab Erzieher der strengen Art und die Vorschriften waren ehern, also nicht von Pappe, die Zimmer mehr als spartanisch, was allerdings keineswegs störte. Wozu Komfort, wenn das Leben lustig war?
Besuche waren unerwünscht und der gestattete Ausgang hielt sich in Grenzen. Er war sehr abhängig von Zucht und Ordnung. Also wer sein Bett nicht ordentlich machte oder es an der Schrankordnung mangeln ließ, der wurde schon mal mit einer empfindlichen Ausgangssperre bestraft. Man führte über alles, was geschah akribisch Buch. Nichts blieb der Heimleitung verborgen, denn sie mussten ja aufpassen, die Jungen und Mädchen schliefen unter einem Dach. Da waren Zimmerrundgänge nötig, auch zu unchristlichen Zeiten. Nachtdienst hatte immer einer.
Wir trachteten natürlich ständig danach, die Heimordnung zu unterwandern und die gestrengen Vorschriften zu umgehen. Allein diese Mühe, die übrigens bis auf ein paar Streber und Schleimer, fast alle einhellig aufwendeten, war irgendwie zum Schießen. Man glaubt ja immer in dem Lebensabschnitt, die Alten, sprich die Erzieher, sind vertrottelt und würden nichts merken. Ich denke, sie haben auch mehr als einmal alle Augen zugedrückt und uns gewähren lassen, möglicherweise wollte sie auch ihre Nerven schonen, denn eine Riesengruppe von Halbwüchsigen konzentriert auf engem Raum, war damals sicher auch eine gewisse Herausforderung für die Erwachsenen.
Wir wohnten zu acht in einem Raum. Jeder hatte einen Tisch, einen Stuhl, das Bett und den Spind, einen schmalen Schrank, zur Verfügung. Für die Schuhe und die Gummistiefel gab es ein gesondertes Regal. Ja, jeder brauchte auch ein Paar Gummistiefel, wir waren nämlich nicht nur Oberschüler sondern auch noch nebenbei gewissermaßen Lehrlinge in der Landwirtschaft. Die Ausbildung nannte sich Abitur mit Berufsausbildung. Wir erwarben also zugleich mit dem Abitur auch einen Facharbeiterbrief. Deshalb hatten wir auch mitunter neun Stunden Unterricht am Tage, weil ja die Woche praktische Berufsausbildung irgendwie zu kompensieren war. Wir schafften dieses schon aber es war auch viel zu büffeln, manchmal die ganze Nacht, was allerdings verboten war. Selbst das Lernen war verboten, denn wenn es zur Nachtruhe geklingelt hat, dann wurden die Lichter gelöscht. Da mussten halt die Taschenlampen herhalten. Man durfte sich dabei nicht erwischen lassen, denn wir saßen oft zu dritt oder viert in den Betten, um uns Vokabeln oder sonstwas abzuhören. Mädchen durften, um Gottes Willen, nicht in einem Bett sein, das war hochgradig unmoralisch. Wir empfanden das nicht als unmoralisch, wollten wir doch nur lernen. Tatsächlich nur lernen, ich schwöre, dass es so war.
Die Zimmer wurden mittels Kachelöfen beheizt, das besorgten der Gärtner und die Putzfrau. Für das Putzen der Zimmer waren wir allerdings alleine zuständig und es musste ordentlich geschrubbt werden. Wir hatten dunkles Linoleum, man musste also auch bohnern. Wie schön, jeder durfte mal kräftig mit der Bohnerknolle durch den Raum. Abends wurden deshalb die Stühle hochgestellt, damit der Zimmerreinigungsdienst morgens, bevor wir zur Schule trabten, noch einmal überbohnern konnte. Man sah auf diesem bescheuerten Fußboden jedes Haar. Das gab Abzüge, denn die Sauberkeit der Zimmer wurde bepunktet. Schließlich standen wir im Wettbewerb. Das ordentlichste Zimmer in allen Belangen, da waren noch das Bettenmachen und die Schrankordnung, waren alle Kämme sauber und auch die Gummistiefel gewaschen, erhielt freie Arbeitszeit. Freie Arbeitszeiten war was Feines. Man konnte entscheiden, wann man in die Stadt gehen oder wann man lernen wollte. Das war Freiheit pur!
In diesem Internat schrillte zu jedem erdenklichen Anlass die Klingel. Sie ertönte zum Wecken, zum Frühstück, zum Mittag, zum Abendbrot und zum Beginn und zur Beendigung der Arbeits- und Lernzeiten. Das nervte schon sehr. Wir hassten diese Klingel.
Im Speisesaal saßen wir an Achtertischen. Die Tischdienste hatten die Tische zu decken und abzuräumen. Jeder hatte mal das Vergnügen. Es gab auch Einteilungen zur Küchen- und Gartenfron, so nannten wir das.
Bevor wir essen durften, mussten wir hinter den Stühlen stehen und warten bis einer der Erzieher ein herzhaftes „Guten Appetit“ grölte. Wir schrieen im Chorus Brüllus unsere Dankesformel und setzten uns zum Mahle. Das Essen war recht gut und leise Unterhaltungen bei Tisch waren gestattet. Der Saal dufte nur tischweise verlassen werden. Anschließend ging es durch die feuchten Wiesen auf einem Trampelpfad zur Schule, das war eine kleine Abkürzung. Wir gingen alle zu Fuß, ein Gefährt hatte kaum jemand.
Das hört sich bis jetzt reichlich schlimm an. Für mich und für die meisten anderen auch war es aber gar nicht so sehr furchtbar. Wir fügten uns im Großen und Ganzen in die gewollte Ordnung und hatten dennoch eine Menge Spaß.
Es gab weder Drogen noch Gewalt, auch Alkoholismus war überhaupt kein Thema. Es wurde in der Nacht zuweilen Karten gespielt oder geschmökert, manchmal kam man nicht zur vorgeschriebenen Zeit vom Ausgang rein, was eigentlich das häufigste Vergehen war, aber ansonsten gab es nur ganz lächerliche Verstöße.
Es war eine sehr Musik orientierte Schule, in der jeder Junge die Möglichkeit bekam, ein Musikinstrument zu erlernen. Als Mädchen wurde man, sofern die Stimme es zuließ, in den Chor aufgenommen. Ich fand es sehr merkwürdig, dass nur die Jungen, ein Instrument spielen durften. Nun, es war ein Blasorchester, was ständig mit Nachwuchs aufzufüllen war, den Mädels traute man offensichtlich keine Puste zu. Ich war aber nicht energisch genug, um mich da durchzusetzen also wurde ich eine Choramsel.
Schlecht war das auch nicht, aber man musste Texte lernen, was mir nie besonders behagte. Beim Singen als solches, fiel ich weder positiv noch negativ auf. Eine Solistin war ich nie, beim Kabarett singen, war natürlich ganz was Anderes, da gab es kein Halten.
Ich wollte immer ein Musikinstrument spielen, am liebsten Klavier. Das war nicht möglich, denn meine Eltern haben sich erst viel später ein gebrauchtes Klavier gekauft, worauf meine jüngere Schwester spielen sollte, die aber nicht die geringste Lust dazu verspürte. Sie war bockig ohne Ende deswegen und meine Mutter brauchte Nerven, um sie zum Üben zu bewegen. Heute sieht meine Schwester die Sache mit anderen Augen. Wie immer. Die Erleuchtung kommt, wenn alle Messen gesungen sind.
Jede Woche am Dienstag räumten wir nach dem Abendbrot den Speisesaal um, denn wir durften tanzen. Es gab eine Schülerband, aber auch Tonbänder und Plattenspieler. Nach Abnahme der Titel, es durfte nämlich nicht nur „Westmusik“ gespielt werden, die DDR- Schlager sollten immer dabei sein, ging es sofort los. Es wurde getanzt bis zum Abwinken, das war 23.00 Uhr. Die Beziehungskisten brodelten. Allerdings war Vorsicht geboten, die Heimleitung wachte ja peinlichst über Zucht und Ordnung. Hin und wieder verschwanden die Pärchen mal in den Internatspark und Garten, um dann glücklich lächelnd sich wieder ganz harmlos unter die Tanzenden zu mischen. Man duldete gnädig dieses
„Luftschnappen“. Nach der Veranstaltung wurden jedoch alle Haustüren fest verschlossen. Wer dann nicht zur rechten Zeit drin war, hatte hochgradig mit Ärger zu rechnen. Es gab als Strafe Verweise, Meldungen an die Schule und an die Eltern, zusätzliche Gartenarbeitsstunden, Dusch- und Waschräume scheuern etc. oder eben die verhassten Ausgangssperren. Bei harten Verstößen drohte der Rausschmiss aus dem Internat oder gar die Entfernung aus der Schule. Das kam kaum vor. Manchmal wurden Mädchen schwanger. Das wurde nicht toleriert. Sie mussten uns verlassen. In meiner Klasse gab es keinen derartigen Fall. Wir waren ziemlich brav, es passierte einfach nicht. Man war ja aufgeklärt. Na ja, was man so aufgeklärt nannte, es sprach sich so allerlei herum.
Ich hatte immer so allerhand kleine Liebschaften, aber war vorsichtig oder ängstlich, ließ nie mehr als Knutscherei zu. Man ging Arm in Arm ins Kino, tanzte, spazierte durch den Park und alberte umher. Das war alles.
Manche Mädchen rühmten sich mit einem festen Freund. Das war allerdings die Ausnahme. Nach dem Abitur würden wir sowieso in alle Winde zum Studium zerstreut, also was sollte der Quark mit einem festen Freund. Man ging eben nur mal mit einem. So hieß es jedenfalls damals.
Studieren wollten wir alle. Es gab insgesamt immer ausreichend Studienplätze, kostenlos für den Student. Für jeden Abiturienten war gesorgt. Es hieß, dass man manchmal seine Wünsche, was die Richtung betraf, ein wenig verändern müsse. Ich nahm das nicht sehr ernst.
Irgendwie wusste man, was kam. Es war gewissermaßen vorherbestimmt. Man erhielt ein nicht zurückzuzahlendes Stipendium sowie einen Schlaf- und Arbeitsplatz in einem der preiswerten Studentenwohnheime. Das stimmte und die Zimmer waren weitaus besser als die Räume, die ich vom Internat her kannte. Ich war nicht verwöhnt. Bücher gab es in den Bibliotheken und erschwingliches Essen in der Mensa. Man würde also studieren und besser leben als im Internat, hätte unendliche Freiheiten. Es würde nun nicht mehr klingeln. Man würde kommen und gehen können nach Belieben. Eine völlig neue schöne Freiheit erwartete uns. Wir wussten das alle und ein jeder sah mehr oder weniger beruhigt seiner geregelten Zukunft entgegen. So war das in meinem Umfeld. Es gab kein nennenswertes Aufbegehren, keine Revolten, keine Drogen oder Ähnliches und keine Kriminalität. Ich hörte nichts von solchen Dingen in meiner unmittelbaren Umgebung. Wir alle waren wohlbehütet und fühlten uns auch irgendwie wohl. Das mag woanders, vielleicht in den Großstädten sich etwas weniger harmlos zugetragen haben, aber mir ist diese Welt bis zu dem Zeitpunkt nie begegnet.
Der Drang in andere Länder zu fahren, an Massenveranstaltungen teilzunehmen, welcher Art auch immer, war in mir weitestgehend nicht vorhanden. Ich war in den Ferien zu Hause, ging ein wenig in der Landwirtschaft als Erntehelfer arbeiten oder fuhr mal für eine Woche an die Ostsee. Immer schön lieb und brav! Manchmal fuhren wir mit der Klasse in Städte mit kulturhistorischem Hintergrund aber sonst träumte ich in schulfreien Zeiten mit meinen Büchern im Garten meiner Eltern. Eine problemlose, schöne Zeit!

© helgas


Ab 16 Jahren gehörte Martha zu den jungen Damen



Es war Frühjahr im Jahre 1949. Die Klassenlehrerin im Lyzeum verkündete, dass ja nun alle Mädchen, jetzt 16 Jahre alt, zu jungen Damen heran gewachsen sind und alle, auch Martha, von jetzt an mit SIE angeredet werden. Außerdem wollte sie uns eine Freude damit bereiten, dass ab nächsten Monat die gesamte Klasse, es waren ca. 25 Schülerinnen, nachmittags, einmal wöchentlich, an einem Tanzkursus teilnehmen dürften. Eine Klasse des Athenäums, deren Schüler 1 Jahr älter waren, kämen auch dazu. Ein Raunen ging durch die Reihen und ein Tuscheln und Kichern.
Dennoch schienen sich alle zu freuen.
Die große Frage war in dieser schweren Nachkriegszeit, ein Jahr nach der Währungsreform, was sollte man anziehen. Nach und nach füllten sich zwar wieder die Geschäfte. aber kaufen konnte sich kaum jemand etwas. Bei der Geldumstellung gab es nur 40,00 DM Kopfgeld und das war nicht viel, um den gesamten Lebensunterhalt damit zu bestreiten.
Mutter dachte schon an den späteren Abschlussball. Aber da waren ja noch die Sachen aus dem Care-Paket. Ein Kleid wäre vielleicht geeignet. Aber Schuhe? Nein, Schuhe hatten wir nicht für einen solchen Tag. – Oma, die das hörte, bot leihweise ihre neuen blau mit roten Lederschuhe an, die sie nur für besondere Anlässe trug. Sie passten auch Martha.
Eine Woche später ging es schon los. Nach dem Schulunterricht war noch etwas Zeit, bis um 15 Uhr die erste Tanzstunde begann. Frau Schmalz, eine etwas ältere untersetzte Dame mit strammen, muskulösen Waden, stellte sich als Tanzlehrerin vor. Sie hatte eine kunstvoll mit Zöpfchen und Röllchen drapierte Frisur, die eher wie eine Perücke aussah, und sie war eine resolute und strenge Person.
Die Stühle waren in 2 langen Reihen aufgestellt. Für die Mädchen auf der einen und für die Jungen auf der gegenüberliegenden Seite. In der Ecke des Saales saß ein Musiker am Flügel. Ein großer, goldgerahmter Spiegel, der von der Stuckdecke bis zum Parkettfußboden reichte, war zwischen zwei großen Fenstern angebracht.





Frau Schmalz hat zunächst etwas über Anstand und Höflichkeitsformen erzählt bevor die ersten Tanzschritte erklärt und mit ihrer jungen Kollegin vorgetanzt wurden.
Marthas Augen wanderten hinüber zu den Jungens, sie wanderten von links nach rechts und wieder zurück.
Wer würde wohl ihr Tanzpartner werden? Sie hätte den einen großen, Dunkelhaarigen gern gehabt. "Aber das wird wohl nichts werden," dachte sie. – So geschah es dann auch, sie bekam einen kleinen, aschblonden Jungen, etwas dicklich, dem sie auf den Kopf gucken konnte. Wie sich später herausstellte, hatte er auch das Tanztalent nicht erfunden und das, wo Martha doch so gerne tanzte. Mutter meinte: "Nimm' es humorvoll, du musst ihn ja nicht heiraten."
Viele trugen schon hauchdünne Nylonstrümpfe, die es bei uns noch nicht gab. Martha musste sich also noch mit den alten Seidenstrümpfen begnügen. Das kleine Loch am Zeh war sorgfältig gestopft und im Schuh sah es ja keiner.
Der Tag kam heran. Alle Eltern waren eingeladen und saßen an kleinen runden Tischen. Die Tanzpartner hatten Blumensträuße für ihre Damen dabei. Auch Martha bekam einen. Es war ein kleiner putziger Strauß, kurzstielige bunte Sommerastern, die durch das krampfhafte Festhalten schon etwas gelitten hatten. Das Vortanzen bei so vielen Zuschauern hat Martha nicht sonderlich behagt, zumal sie auch noch mehrfach den Fuß ihres Tanzpartners auf ihren spürte. Ihre Eltern saßen schmunzelnd am Tisch und beobachteten ihre Tochter sehr genau.

Vater, der Nichttänzer war, konnte nicht umhin, doch noch zu tanzen, er wurde von der Tanzlehrerin aufgefordert.
So langsam wie sie geführt wurde, hat sie sich sicherlich in den letzten Jahren nicht mehr bewegt.
Es war eine amüsante Party, die Martha sicherlich nicht so schnell vergisst.
© clara


Fahrschülerleben



Wir schrieben das Jahr 1950 als ich nach 9 Jahren die Volksschule beendet hatte. Mein damaliger Klassenlehrer schlug meinen Eltern vor, mir noch die Möglichkeit zu geben eine weiterführende Schule zu besuchen. In einem kleinen Nachbarort gab es ein „Naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen in Aufbauform“ welches aber auch Mädchen aufnahm.

Aufbauform bedeutete, dass die Schule ab Untertertia begann. Die drei ersten Gymnasialklassen, Sexta, Quinta, Quarta entfielen. Hier konnte ich in den drei folgenden Jahren bis 1952 dann meine mittlere Reife nachholen. Gerne hätte ich das Abitur gemacht, aber meinen Eltern fiel es damals nicht ganz leicht, die Kosten, Schulgeld, Bücher und Fahrtkosten aufzubringen. Alle diese Kosten mussten seinerzeit ja noch von den Eltern selber bezahlt werden. Wir waren 4 Kinder zu Hause und eine Schwester war in einer Lungenheilstätte untergebracht, wegen einer offenen Lungentuberkulose. Als Freiberufler mussten meine Eltern die Kosten für diese Heilstätte selber aufbringen. Ihre finanzielle Belastung war dadurch sehr hoch und 3 weitere Schuljahre für mich waren einfach nicht drin. Was ich sehr bedauerte.
Zu dem Gymnasium gehörte ein Internat für Jungen. Hier wohnten viele Söhne aus Adelsfamilien, die aus den ehemaligen Deutschen Ostgebieten vertrieben oder geflüchtet waren. Einige Mitschüler trugen klangvolle Namen aus Preußens Vergangenheit. Sie waren mit ihren Familien hier im Westen bei Verwandten auf dem Lande untergekommen, wo es weit und breit keine Möglichkeit gab, das Abitur zu machen. Das Internat und das Aufbaugymnasium, wo auch ältere Schüler die durch Flucht und Krieg verlorene Schulzeit nachholen konnten, war daher genau das Richtige für sie.
In den beiden oberen Klassen, Unter- und Oberprima, wie es damals noch hieß, gab es sogar einige Schüler, die noch als Soldaten im Krieg gewesen waren. Sie hatten hier die Gelegenheit die durch den Krieg verlorenen Jahre in kürzester Zeit für das Abitur nachzuholen, um noch studieren zu können. Viele Schüler kamen als Fahrschüler aus den umliegenden Dörfern. Ich gehörte zu einer Gruppe von Fahrschülern, die aus der 13 km entfernten Kreisstadt jeden Morgen mit einer damals noch existierenden Kleinbahn anreisten. So kam es, dass in diesem Gymnasium Kinder aus den umliegenden Bauerndörfern gemeinsam unterrichtet wurden mit einem lustigen Haufen von bereits reifen, jungen Männern und Söhnen aus, wie man so schön sagt, „gutem Hause“, die sich durch ein gesundes Selbstbewusstsein und Weltoffenheit auszeichneten. Eigenschaften, die unseren gesamten Schulalltag prägten.

Da ich, wie schon erwähnt, zu den Fahrschülern gehörte, die eine Kleinbahn nutzen konnten, war mein Schulweg nicht allzu schwer. Im Sommer legten wir die 13 km auch schon mal mit dem Fahrrad zurück. Für die Schüler, die aus den umliegenden Dörfern kamen, war es schon schwieriger, jeden Morgen pünktlich in der Schule zu sein.Es ist für Schüler von heute gar nicht vorstellbar, was einige da auf sich nehmen mussten. Schulbusse gab es nicht und es hatte auch noch nicht jede Familie ein Auto so wie heute. Ich entsinne mich an eine Mitschülerin, die jeden Morgen zunächst mit dem Fahrrad einige km fahren musste bis zur Bushaltestelle, dann mit dem Bus bis in einen Ort, der gegenüber P. an der Weser lag, von dort musste sie mit der Fähre über den Fluss, und dann ging sie noch eine kurze Wegstrecke vom Fähranleger zur Schule. Diese Mitschülerin war keinen Nachmittag vor 4 Uhr zu Hause, musste morgens entsprechend früh aufstehen, sommers wie winters. Und - sie war trotz dieser Belastung unsere Klassenbeste!
Wir Fahrschüler aus der Bimmelbahn hatten den Vorteil, dass wir noch oft morgens im Zug schnell mal die Hausaufgaben abschreiben konnten. Eine Möglichkeit, von der viele gerne Gebrauch machten, auch ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Die Wagons, in welchen wir morgens zur Schule fuhren, waren häufig nur umgebaute Güterwagen, in die man Bänke eingebaut hatte, es war ja gleich nach dem Krieg. Das Leben war noch etwas karg und sparsam. Beheizt wurden diese ehemaligen Güterwagons im Winter mit normalen Kanonenöfen mit offenem Feuer,deren Abzugsrohr einfach durch ein Loch in der Wagenwand nach außen geleitet wurde und die manchmal bedrohlich schwankten. Diese Art von Personenbeförderung wäre heute schon aus Gründen der Sicherheit undenkbar..
Wie ich schon bemerkte, der Ton an dieser Schule war leicht und locker, auch mit unseren Lehrern.
Ich entsinne mich noch an die 5 lebenslustigen, temperamentvollen Töchter unseres Schuldirektors. Fast in jeder Klasse gab es ein Familienmitglied unseres strengen aber gerechten Schulleiters, die sich aber nicht scheuten, allen Schülerunsinn, den wir uns ausdachten, mitzumachen.
Montagmorgens versammelte sich die gesamte Schülerschar vor Beginn des Unterrichts in der Schulaula, wo unser Schulleiter eine gemeinsame Schulandacht abhielt. Nun hatten wir Fahrschüler aus Richtung M. oft keine Lust, an dieser Andacht teilzunehmen. Also, solidarisch, wie die Schüler jener Jahre noch untereinander waren, versammelten wir uns alle auf dem Minibahnsteig und bummelten, um gemeinsam zu spät die Schule zu erreichen und unseren Klassenlehrern als Entschuldigung etwas von der Verspätung unserer Bimmelbahn zu erzählen. Solche Unternehmungen haben für pubertierende Schüler nur einen Zweck, die Überlegenheit ihrer Schülersolidarität gegenüber der Autorität ihrer Lehrer auszutesten. Und es spricht für die pädagogischen Fähigkeiten unserer Lehrer, dass dieses Verhalten von uns Schülern nie ernsthafte Folgen für uns hatte, weil die Lehrer es nicht überbewertet haben. Auch bei anderer Gelegenheit wurden die Streiche, mit welchen wir gerne unseren Übermut austobten, von den Lehrern mit Gutmütigkeit ohne überzogene Strafen geahndet. Ein Verhalten, dass zu einem vertrauensvollen und sehr entspannten Lehrer-Schüler Verhältnis an unserer Schule beitrug. Die Strafarbeiten und Sonderstunden (Nachsitzen), die unser Fehlverhalten zur Folge hatte, nahmen wir gelassen hin.
Sport wurde sehr groß geschrieben in unserer Schule und es gab über den normalen Sportunterricht hinaus Schulmannschaften für Fußball und Handball. Handball war bei uns besonders beliebt. Unsere Gegend ist schon seit eh und je Handballhochburg. Drei Handballmannschaften aus unserem Kreisgebiet spielten in den 50er Jahren in der Oberliga für Feldhandball, die damals noch existierten. Als gute Sportlerin wurde ich in die Schul-Handballmannschaft für Mädchen aufgenommen. Die Organisation aller Mannschaften lag in den Händen unseres damaligen Mitschülers Karl Senne, der nach seinem Sportstudium in Köln, im ZDF später ja als Sportjournalist und Moderator bekannt wurde.
An alle Lehrer denke ich mit Dankbarkeit zurück. Jeder Einzelne war eine Persönlichkeit, wie man sie heute im Lehrerberuf nur noch selten antrifft. Unser Klassen- und Mathematiklehrer, trug den bekannten Spitznamen aus der Feuerzangenbowle: „Bömmel“. In eine Schule, in welcher noch Latein gelehrt wurde, gehört selbstverständlich auch ein Lehrer mit dem Spitznamen „Caesar“. Den gab es auch bei uns. Sein richtiger Familienname war Kaiser und das forderte den Spitznamen ja geradezu heraus. Neben Erdkunde und Latein unterrichtete er in unserer Klasse auch Musik. Wenn wir zum Unterricht in den Musiksaal kamen, saß er am Flügel und spielte immer die gleiche Melodie: Den Walzer aus Schuberts „Deutschen Tänzen“. Denke ich zurück an diesen bei uns Schülern sehr beliebten Lehrer, höre ich sofort in Gedanken diese Melodie.
Unser damaliger hauptamtlicher Musiklehrer hatte bereits das Pensionsalter überschritten, und unterrichtete nur noch einige Stunden in der Woche. Er leitete außerdem unseren Schulchor, dem ich während der drei Jahre meiner Schulzeit angehörte. Wegen seiner Schwerhörigkeit trug er ein Hörgerät. Diese Geräte waren damals natürlich noch nicht so ausgereift wie heute und ich kann mich noch gut erinnern, wenn er während der Proben am Gerät drehte um die Lautstärke zu regeln, oder er stellte in den Pausen das Gerät auch ganz aus, wenn wir Schüler alle durcheinander redeten. Für einen Musiklehrer ist Schwerhörigkeit doch ein sehr hinderliches Leiden.
Besonders beliebt bei unseren Jungens war unsere noch junge und flotte Assessorin. Bei ihr hatten wir Mädchen Sport und die gesamte Klasse Biologie. Beides Lieblingsfächer von mir. Natürlich gab es auch einen Assessor als männliches Gegenstück, der von uns Mädels heimlich angehimmelt wurde. Er war die letzten beiden Jahre unser Lehrer für Geschichte. Auch diese beiden seinerzeit noch jungen Lehrer sind mir in Erinnerung als gute Pädagogen.
Wenn ich meine Schulzeit mit der meiner Kinder, oder gar der meiner Enkel vergleiche, dann weiß ich erst, welch eine wundervolle, freie und glückliche Zeit ich all diesen Lehrern zu verdanken habe, die uns mit gütiger Strenge geleitet und geführt haben, und ein wesentlich umfassenderes Allgemeinwissen vermittelt haben, als es heute in den Schulen üblich ist. Sie alle waren Pädagogen und Erzieher im besten Sinne des Wortes, die ihren Beruf noch als „Berufung“ verstanden.

© petitpoint


Meine Schulzeit in der Realschule in Essen



Nachdem am 23. Mai 1949 die BRD gegründet wurde, bestand ich im gleichen Jahr die Aufnahmeprüfung zur Städt. Knaben- und Mädchen- Mittelschule in Essen - Steele. Erst ab 1951 wurde die Mittelschule in Realschule unbenannt.
Der Schulalltag verlief damals anders als heute, nicht so locker. Da war z. B. unsere Biologielehrerin. Sie begrüßte uns immer mit "Grüß Gott ", obwohl wir nicht in Bayern waren. Heute glaube ich, dass sie zur Nazizeit mit "Heil Hitler " die Klasse betrat. Wir mussten dann aufstehen und in einer geraden Linie wie die Soldaten stehen. Sie ging dann durch die Reihen und kontrollierte, ob auch kein Mädel aus der Reihe tanzte.
Unsere Klassenlehrerin habe ich in guter Erinnerung. Sie war eine mütterliche Frau mit warmen Augen, allerdings auch ein wenig launenhaft. Wir hatten nur das Fach Englisch bei ihr. War sie mal schlecht gelaunt, war nicht gut Kirschen essen mit ihr. Unter dem ganzen Lehrpersonal befand sich nur ein Mann, unser Mathe-, Physik- und Chemielehrer.

Als er uns einmal eine Mathearbeit ankündigte und wir meinten, es wäre noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür, weil wir das Ganze noch nicht verstanden hätten, er den Termin aber nicht ändern wollte, beschwerten wir uns bei unserer Klassenlehrerin. Nachdem sie auch keinen Einfluss darauf hatte, wir vor der Mathestunde bei ihr Englisch hatten und natürlich sehr aufgeregt und zappelig waren, hatte sie insofern Mitleid mit uns, indem sie die Englischstunde ausfallen ließ und mit uns einen Spaziergang machte. Das war zwar sehr nett von ihr, aber ich habe trotzdem eine Fünf in der Arbeit bekommen.
Mein Bruder, 10 Jahre älter als ich, bekamm 1952 eine Anstellung im Städtischen Orchester Bielefeld. Er schickte mir regelmäßig jeden Monat 5,-- DM, damit ich ins Theter gehen konnte. Von dem ersten Geld erstand ich eine Eintrittskarte für die Verdi Oper "La Traviata".
Am 31. März 1953 wurde ich konfirmiert. Zur Konfirmation bekam ich ein schwarzes Samtkleid von einer Schneiderin genäht.Ich hatte bis zur Konfirmation Zöpfe und drei Tage danach durfte ich sie mir beim Frisör abschneiden lassen und bekam meine erste Dauerwelle.

Ich fühlte mich als "Junge Dame".
Und wie profitierten wir vom Wirtschaftswunder? Meine Eltern kauften sich die erste Polstergarnitur. Als 1954 die Fußballmeisterschaft in Bern stattfand, konnten wir diese an unserem neuen Radio verfolgen. Aber erst 1957 bekamen wir den ersten Fernseher, und den ersten Kühlschrank erst 1958.
Für die jungen Leute entstand ein neuer Modestil. Lederjacken, hervorgerufen durch die Filme mit Elvis und James Dean, Caprihosen und am Bauch zusammen geknotete Blusen wurden von den Backfischen getragen. Dazu gehörte ich auch. Das Rock`n Roll Fieber machte Petticoats zum absoluten Muss. Und die Bluejeans wurden in der Badewanne auf hauteng getrimmt.
Apropos `Rock`-n Roll. Ich erinnere mich, dass ich mit ein paar Freunden den Steno-Kursus geschwänzt habe, statt dessen sahen wir uns den Film "Rock around the clock" an. Und da ging die Post ab. In einigen Vorstellung gingen sogar Stühle dabei zu Bruch. Anschließend rundete noch ein Besuch in der Milchbar den Abend ab. Die Milchbars waren beliebte Treffpunkte der damaligen Kids. Dort konnten wir bei Milchshakes und Cola unsere Musik hören und die ersten Kontake mit dem anderen Geschlecht wurden geknüpft.
Am 29. März 1955 wurde ich mit dem Abschlusszeugnis aus der Realschule entlassen. Ich hatte das Ziel der Realschule erreicht.
Bei der Abschlussfeier in der Aula bekam ich feuchte Augen und wischte mir heimlich ein paar Tränen fort. Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen. Der Abschied von meinen Klassenkameradinnen fiel mir schwer. Ich wusste, dass nun eine unbeschwerte Zeit vorbei war und der so genannte Ernst des Lebens begann.

© dora


Widerstand.
erzählt von szirra



Nach der Schulzeit blieb einem nicht viel übrig, als sich einen anständigen Beruf zu suchen, wenn man als junge Frau weiterkommen wollte. Die modernen Berufe für Frauen war dennoch rar und eine Friseurlehre kam für mich nicht in Frage. Ein weiterer schulischer Bildungsweg war allerdings aussichtslos für mich, da meine Eltern dieses nicht befürworteten und dann auch ihre Einwilligung nicht gaben. Zu gerne wäre ich noch ein paar Jahre zur Schule gegangen, aber da es nicht sein sollte, musste ich mich nun mit der Tatsache abfinden Arbeiten zu gehen.
Helferberufe standen ganz oben auf der Liste und nachdem ich mich dann entschied eine Lehre als Arzthelferin zu machen, waren meine Eltern zufrieden und glücklich mich auf den Weg in die Unabhängigkeit zu sehen. Leider war dieser Weg beschwerlich.
Die Ausbildung erschien mir nicht schwierig, denn schnell verinnerlichte ich das Geschehen in der Praxis, die fachliche Sprache, auch der Umgang mit den Patienten war ein Leichtes für mich.





Die Lehrzeit verging im Fluge und bald erreichte ich den Abschluss. 1981 hielt ich nun den Helferinnenbrief in den Händen, der mich aber keineswegs voranbrachte. Das Gehalt war mager, viele Stunden der Arbeit warteten jeden Tag auf mich, kaum Freizeit und die Wochenenden, die zusätzlich mit Dienst gefüllt waren, versauerten mir zusätzlich meine Laune. Wir lebten nun in den 80ern, alles war progressiv, nur mein Leben schien von Stillstand geprägt. Wie sollte ich von dem bisschen Geld vorankommen im Leben? Eine eigenen Wohnung konnte ich mir nicht leisten. So entschied ich mich, neben meinem Hauptberuf noch nebenbei arbeiten zu gehen, soweit ich keinen Sonntagsdienst hatte.
In den Kneipen war immer höllisch viel los und so freute sich der Wirt in meiner Lieblingskneipe, als ich nach einen Nebenjob fragte. Nun kellnerte ich freitags und samstags zusätzlich, damit ich mir etwas leisten konnte. Meine Freundin holte während dieser Zeit ihren Schulabschluss nach, denn sie hatte damals nach der neunten Klasse keine Lust mehr zur Schule zu gehen, und wollte sich ein bisschen vergnügen. Schnell wurde ihr klar, dass es ohne Geld nicht zum Vergnügen kam, und bemühte sich redlich den Abschluss der Fachoberschulreife zu erlangen. In unserem Bekanntenkreis entstanden immer mehr Wohngemeinschaften, weil es sich so besser leben ließ, finanziell betrachtet. Wir entschlossen uns, ebenfalls eine WG zu gründen, jedoch sollten mehr als nur wir beide in die Wohnung einziehen. Schnell fanden wir gleichgesinnte Frauen, die gerne mit uns in die große Wohnung gezogen wären. Jedoch konnten nicht mehr als vier Personen die Wohnung bewohnen. Eine angehende Krankenschwester und eine in Ausbildung befindliche Gymnastiklehrerin wurden zu unseren Mitbewohnerinnen erkoren. Wir gründeten die erste Frauenwohngemeinschaft in unserer kleinen Stadt. Dass dies nur Probleme nach sich zog, daran hätten wir im Traum nie gedacht.
Das Leben wurde uns zunehmend erschwert. Es wurde getratscht, getuschelt und die Lügen, die über uns verbreitet wurden, ließen einem die Haare zu Berge stehen. Trotzdem war unser Widerstand gegen die üblen Beschimpfungen groß. Neben Titulierungen wie Emanzen, Kifferinnen, Lesben und Nutten, waren wir faul, asozial, schmuddelig, ungepflegt und verlaust. Die Nachbarn waren unfreundlich und deren Kinder durften nicht in unsere Reichweite. Wir hielten dieses aus, auch mit Wut und Traurigkeit im Bauch, aber wir hofften auf besser Tage und glaubten an unsere kleine Wohngemeinschaft.
Erst als die Liebe in die Wohnung Einzug hielt, verabschiedete sich bald eine nach der anderen und wir lösten unser gemeinsames Leben auf. Jede von uns ging einen anderen Weg, der weit weg führte von dem, was wir zusammen erlebten.
Aber wiedergesehen haben wir uns bis heute nicht.

© szirra


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Texte: ©bei dem jeweiligen Autor Coverbild helgas. Das Gutshaus in Mecklenburg-Vorpommern war einst ihr Internat.
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2011

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