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Einschulung im Notjahr 1945
von Dora



Im Mai 1945 war der 2. Weltkrieg zu Ende. Nachdem in Essen,der Stadt, in der ich meine Kindheit verlebt habe, 1943 der gesamte Schulunterricht nach 2 großen Bombenangriffen beendet wurde, begannen im Herbst 1945 die Schulen wieder.Auch für mich fing als I-Männchen die Schule an. Ich war gerade einen Monat vorher 7 Jahre alt geworden.

Eine Schultüte zur Einschulung gab es nicht. Es war ja nichts da. Am Anfang wurden wir von einem Schulgebäude zum anderen geschickt. Es ergaben sich erhebliche Raumprobleme. Viele Schulen waren ausgebombt. Die Schulwege waren oft weit.
Notunterkünfte wurden gesucht. Ich kann mich erinnern, dass ich für zwei Tage einen Schulweg von ungefähr einer Stunde hatte. Aber schließlich und endlich nach ein paar Wochen besuchte ich die Volksschule, in der ich bis zum Frühjahr 1949, bis zum Übergang zur damaligen Mittelschule blieb. Ich brauchte 20 Minuten bis zur Schule.
Das erste Schuljahr endete am 31. März 1946.

Das Zeugnis beinhaltete keine Noten, nur einen Text: Ich hätte einen guten Anfang gemacht. Es wäre mir nichts zu viel. Immer gleichmäßig und angenehm, ein liebes Kind. Das war alles.

Bemerkungen: versetzt,
Essen, den 31. März 1946



Ab 1946 gab es die Schulspeisung, für 1,20 RM je Woche. Das Essen war entweder eine Erbsensuppe, Haferschleim oder, - was ich am liebsten aß,Fleischsuppe mit ein paar Nudeln drin. Allerdings konnte man die Fleischstückchen und Nudeln zählen. Einen Topf und einen Löffel mussten wir von zuhause mitbringen. Für manche Kinder war das die einzige warme Mahlzeit am Tag. Erst 1950 wurde die Schulspeise eingestellt.
Ich glaube nach dem Krieg wurde noch mehr gehungert als während des Krieges. Meine Mutter stand manchmal während der Nacht in der Schlange, um ein Brot zu bekommen. Morgens hat mein Bruder sie dann oft abgelöst. Manchmal musste auch ich sie für vielleicht eine Stunde ablösen. Und wenn wir Pech hatten, war das Brot aus, kurz bevor wir dran waren. Manchmal gab es Maisbrot. Das sah wunderschön gelb aus. Aber es schmeckte scheußlich,
Am härtesten war es im Winter 1945/46. Mit der Versorgung klappte es überhaupt nicht. Es gab so gut wie nichts. Ich kann mich an eine Wassersuppe, in der dicke Graupen und ein paar Fettaugen schwammen, erinnern. Bei irgend einem Metzger hatte meine Mutter ein paar Knochen auftreiben können, die sie ausgekocht hatte. Obwohl hungrig, fiel es mir schwer diese Suppe herunter zu bekommen.

Schulhefte gab es in den ersten Schuljahren nicht. Wir hatten eine Schiefertafel mit einem Schwämmchen und einem Lappen und einen Griffel.

Protestanten und Katholiken waren streng getrennt. Auf unserem Schulhof standen zwei Schulgebäude. Eine Schule für die Katholiken und eine für die Protestanten. Wir trafen nur in der Pause auf dem Schulhof zusammen und es war nichts Ungewöhnliches, dass manchmal eine Prügelei zwischen den Katholiken und den Evangelisten stattfand und die Lehrer dazwischen gehen mussten.
Im Winter 45/46 war der Kohlenmangel ein großes Problem. In den Fenstern fehlten zum größten Teil noch die Scheiben. Fensterglas war bis Dezember 1946 für Schulen nicht zu bekommen. Kinder und Lehrpersonal saßen mit Mänteln, Mützen und Handschuhen in den Klassen.
Da mein Vater im Bergbau beschäftige war, brauchten wir zu Hause nicht zu frieren. Wir bekamen so viel Kohle, dass wir noch einige Zentner schwarz verkaufen oder tauschen konnten.
Meine erste Volksschullehrerin, die mir das gute Zeugnis geschrieben hatte, wusste das und winkte mich eines Tages zu sich ans Pult und bat mich, zu Hause bei meinen Eltern einmal nachzufragen, ob sie ihr nicht einen Sack Kohlen bringen könnten, selbstverständlich geschenkt. Mit dieser Aufgabe wurde dann mein Bruder betraut, der meiner Lehrerin mit einer Karre fluchend einen Sack Kohlen brachte.Fluchend, weil es ein langer Weg bis zu ihr war.
Im zweiten Schuljahr bekam ich dann eine andere Lehrerin, die ich bis zum Ende des vierten Schuljahrs auch behielt.

©hammerin


Eine unbeschwerte Kindheit in einer schweren Zeit!


erzählt von Helga





Man versucht sich, wenn Ruhe einkehrt in ein turbulentes Leben und man willens ist, vergangene Zeiten gewissermaßen gedanklich noch einmal zu durchschreiten, an wesentliche Dinge zu erinnern. Das ist nicht ganz einfach, wie sich herausstellt, denn vieles ist da in irgendeiner Schublade tief vergraben und will einfach nicht klar erscheinen. Man muss also richtig angestrengt nachdenken. So geht es mir mit den Kindheitserinnerungen, die ja nun wirklich weit zurück liegen. Es war allerdings eine richtig gute Zeit und es sind ausschließlich glückliche Tage gewesen, wenn auch meine Mutter immer sagt, ich wäre oft und ernsthaft krank gewesen, so dass sie Sorge hatte, mich durchzubringen. Das ist mir überhaupt nicht bewusst. Meine Kinderkrankheiten habe ich nur sehr verschwommen in Erinnerung und schmerzhaft schon gar nicht.
Ich bin ein Nachkriegskind, das zweite, in schlechten Zeiten geboren, ob ich gewollt war, ist fast zu bezweifeln, denn meine Eltern heirateten als ich bereits unterwegs war und es ging ihnen finanziell nicht sehr gut, was allerdings das Schicksal der meisten Menschen damals war. Man musste sich größte Mühe geben, um die Familie satt und gekleidet zu bekommen. Meine Mutter war bereits dreißig Jahre und hatte keine Arbeit, bzw. keinen Babysitter, war also Hausfrau, hatte eine Menge Probleme zu meistern. Ich bemerkte davon natürlich nichts und genoss eine schöne Kindheit. Ich schien rein gar nichts zu registrieren, nicht mal die Tatsache, dass meine Mutter sieben Jahre später noch ein Kind bekam. Natürlich nahm ich mein Schwesterbaby zur Kenntnis aber mehr nicht, sie war klein und zu nichts zu gebrauchen, man konnte mit ihr nicht spielen, und man sollte leise sein in ihrer Gegenwart, das war für mich unmöglich. Meine Mutter hatte nun noch weniger Zeit, so ging ich meiner Wege, fand das aber nicht sonderlich traurig, hatte ich doch immer Freunde genug und einen Hund.

Fragen nach dem Woher der kleinen Kinder hatte ich nicht. Sie waren eben plötzlich da und erweckten nicht im Geringsten mein näheres Interesse. Somit wuchs ich völlig unaufgeklärt, lange naiv bleibend, aber in einer für mich heilen Welt, behütet heran. Ich wusste nicht einmal, wie erwachsene Menschen nackt aussahen, meine Eltern zogen sich nicht vor den Kindern aus, sie zeigten sich niemals unbekleidet, tauschten vor uns auch kaum Zärtlichkeiten aus, allenfalls ein flüchtiger Kuss beim Verabschieden, was schon viel war. Die Badezimmertür wurde stets verschlossen. Die augenscheinliche, vielleicht aber auch nur scheinbare Lieblosigkeit, auch sexuelle Verklemmtheit im Beisein der Kinder, bemerkte ich damals natürlich nicht. Wie sie allerdings wirklich alleine miteinander umgingen, weiß ich bis heute nicht und wage auch nicht, meine Mutter darüber zu befragen, denn es ist mir peinlich.
Früher schien es nicht wichtig. Komischerweise hatten die anderen Kinder diesbezüglich auch keine Fragen, die kamen später.

Wir hatten, obwohl in Berlin wohnend, das Glück einen wunderschönen Garten zu besitzen und einen großen sehr lieben Schäferhund, der mein bester Freund war. Eine Hündin, die einfach alles über sich ergehen ließ. Sie hatte eine unendliche Geduld mit den sicher auch mal groben Kinderhänden.

Es gab natürlich auch Kinder in der Straße, mit denen ich spielte und gewisse Streiche verübte, die aus heutiger Sicht so harmlos und nett waren, wie sie von glücklichen Kindern auch nur kommen konnten. Wir verübten Klingelstreiche und steckten mitunter Knete in Schlüssellöcher. Das aber nur bei Leuten, die immer mit uns was zu meckern hatten, wenn wir mal durch den Hausflur tobten.



Die Einschulung war eigentlich kein Höhepunkt. Mein Vater musste arbeiten, meine Mutter war schwanger und schickte meine große Schwester, sie war nur vier Jahre älter als ich, mit zur Schuleinführung, vermutlich nur um auf mich ein wenig aufzupassen. Die kleine Feierstunde hat mich kaum beeindruckt, eine Familienfeier schloss sich nicht an, die kleine Schultüte beinhaltete ein paar bescheidene Süßigkeiten, die ich mit den Freunden und Hund teilte.
Meine Kindheit war dennoch super und ich denke sehr gerne an sie zurück. Hatte Spaß und alles, was ein lebenslustiges und fröhliches Kind benötigt, war vorhanden.

©helgas


Marthas erster Schultag
Eine Schulgeschichte erzählt von Clara



Es war Ostern in dem Jahr als der zweite Weltkrieg begann. Weihnachten zuvor lag für Martha schon ein lederner Ranzen und eine Umhängetasche für das Pausenbrot unterm Tannenbaum. Der braune Ranzen war bestückt mit einer Schiefertafel, an der ein Naturschwamm hing und ein Griffelkasten aus Holz mit Schiebedeckel, der bunt bemalt war.

Martha war sehr stolz auf ihre neuen Utensilien.
Mutter hatte ein Mäntelchen aus leichtem Stoff genäht, ein rotes Filzhütchen kam dazu und dann hatte die kleine Martha zum ersten Schultag neue braune Schnallenschuhe bekommen.

So fein ausgestattet musst nun noch ein Foto für’s Familienalbum her.

Einen Fotografen gab es nicht in dem Dorf. Diese Aufgabe übernahm in der Regel nach Bedarf der Inhaber eines Schreibwarengeschäftes, der auch Fotobedarf in seinem Sortiment führte.




Der Weg in die Grundschule, die man damals Volksschule nannte, war für Martha zu Fuß in 10 Minuten zu erreichen. Das langgestreckte, eingeschossige Schulgebäude hatte vor dem Eingangsbereich 4 dicke Säulen und eine breite Treppe mit nur 4 Stufen. Martha ging am ersten Tag in Begleitung ihrer Mutter in die Schule.
Nachdem die ABC-Schützen vom Schulleiter der 3-klassigen Grundschule in Empfang genommen und in ein Klassenzimmer geführt worden waren, verließ Marthas Mutter sowie auch alle anderen Mütter wieder das Gebäude.
Das Mobiliar der Klasse bestand noch aus langen Holzbänken, die in einem Stück mit den langen Tischen verbunden waren. An der oberen Kante waren Tintenfässer eingelassen und eine Griffelfuge eingefräst. 3 Kinder hatten in einer Bank Platz.
Herr Lemke stellte sich als Klassenlehrer vor und alle Kinder, Jungen und auch Mädchen mussten ebenfalls ihre Namen nennen, die Herrn Lemke eigentlich, wie es ja oft auf dem Lande üblich ist, bereits mehr oder weniger bekannt waren.

Dieser erste Schultag, der nur aus einer „Unterrichtsstunde“ bestand, war für Martha ein sehr schöner Tag, weil er ziemlich locker ablief. Herr Lemke fragte, ob wir denn alle Plattdeutsch können. Die meisten der ABC-Schützen verstanden es zumindest. So las er uns die lustige Geschichte vom „Fischer un sine Fru“ vor, als nächstes noch 2 weitere Geschichten auf Hochdeutsch. Danach wurde noch etwas geplaudert. Der Eine oder Andere wurde gefragt, womit er sich denn gern beschäftigt und was er gerne allein oder mit seinen Spielkameraden spielt. – Die Stunde verging sehr schnell. Als die Schulglocke zur Pause läutete, hat sich Herr Lemke von den Kindern verabschiedet und alle, auch Martha, konnten nach Hause gehen.

Mutter hatte für nachmittags Kuchen gebacken. Es kamen Verwandte und Nachbarn. Martha hat das gar nicht mehr so wahrgenommen. Für sie war es viel wichtiger, draußen zu spielen.

©clara


Eine etwas ungewöhnliche Einschulung
erzählt von Alke



In unserer Familie gibt es eine wunderschöne Anekdote von dem älteren Bruder meines Großvaters, und dessen erstem Schultag. Diese Geschichte möchte ich hier erzählen.
Also, man schrieb das Jahr 1865. Mein Großonkel Friedrich hatte einen Spielkameraden und besten Freund, den Nachbarjungen Ike. Der war 1 Jahr älter als sein Freund Friedrich und der Ernst des Lebens begann für ihn ein Jahr früher als für seinen Spielkameraden. Meinem Onkel Friedrich gefiel es nun überhaupt nicht, dass er seine Tage allein verbringen sollte, ohne den geliebten Freund. Er stieg kurzerhand auf den Boden des elterlichen Hauses, kramte aus einer dort gelagerten Bücherkiste ein altes Doktorbuch als Fibel-Ersatz heraus und folgte seinem Freund zur Schule. Das alles eigenmächtig und ohne Wissen seiner Mutter. Die suchte den ganzen Morgen vergeblich nach ihrem Friedrich, der dann pünktlich am Schluss des Unterrichts mit seinem Freund Ike nach Hause zurück kehrte. Auf die Frage seiner Mutter, wo er den ganzen Vormittag gesteckt habe, antwortete er wahrheitsgemäß: „In der Schule.“ Und als meine Urgroßmutter ihn fragte, was denn der Lehrer zu ihm gesagt habe, erzählte er, dieser habe ihn nach seinem Alter gefragt. Er habe dann dem Lehrer gesagt, dass er am 2.April des Jahres 5 Jahre alt geworden sei. Urgroßmutter war es zufrieden und wartete in Ruhe ab, wie der Lehrer sich zu dieser Sache verhielt. Sie wusste ihren Ältesten ja in guter Obhut. Pünktlich zu 14 Uhr ging Friedrich wieder zur Schule.

Zu der Zeit hatten die Kinder von 8 Uhr bis 12 Uhr am Vormittag und von 14 Uhr bis 16 Uhr am Nachmittag Schulunterricht. Nachdem das einige Tage so ging, erschien dann der Lehrer bei meiner Urgroßmutter, und wollte wissen, ob der Knabe wirklich erst 5 Jahre alt sei, was diese ihm dann bestätigte. Außerdem fehle Friedrich immer noch eine Fibel. Das Doktorbuch sei wohl weniger geeignet zum Lesen lernen. Anmerken möchte ich hier, dass die Erziehung in einer Kapitänsfamilie wegen der ständigen Abwesenheit der Väter auf See, größtenteils in den Händen der Frauen lag.

(Foto: Der kleine Friedrich links im Bild neben seiner Mutter, meiner Urgroßmutter.)



Da nun mein Großonkel Friedrich ein sehr aufgeweckter Junge war, körperlich gut entwickelt, und er dem Unterricht folgte ohne zu stören, kamen Mutter und Lehrer überein, wenn die Schulbehörde keinen Einwand hätte, den Jungen weiterhin in der Schule zu belassen. Auch die fehlende Fibel wurde von der Mutter gekauft. Da der Lehrer der Schulbehörde gegenüber nichts Nachteiliges über den Schüler Friedrich zu berichtigen hatte, hat diese dann die Eigenmächtigkeit des 5jährigen im Nachhinein abgesegnet. Und so kam es, dass mein Großonkel Friedrich sich selbst ein Jahr früher eingeschult hat und seinen Mitschülern immer um ein Jahr voraus war.
Ob so etwas heute, in unser überregulierten und verbürokratisierten Zeit wohl noch möglich wäre?
Friedrich wurde jedenfalls Jahr für Jahr wegen guter Leistungen versetzt, besuchte ein Gymnasium, hat studiert und es am Ende zu einer Professur für Nautik gebracht und hat die Seefahrtsschule in Hamburg geleitet.

©petitpoint


Wollstrümpfe und Leibchen. Wer kennt sie noch?
Eine Schulgeschichte von Genoveva



Eine Woche nach Ostern 1948 , an einem Montag wurde ich eingeschult.
Es war ein nebliger, kühler Tag und unter vielen Tränen musste ich doch die langen, kratzigen Wollstrümpfe, die Urgroßmutter ohne Unterbrechung und in großer Zahl für uns Kinder strickte, anziehen. Mit Leibchen, auch von ihr gestrickt, und langen rosafarbenen Strumpfbändern, an welchen die Strümpfe befestigt waren. Wollweiß waren sie und darüber zog mir Mutter auch noch eine Wollhose, die den noch nackten Teil der Oberschenkel bedeckten.
Zum Glück zog ich vorher ein Unterhemdchen und Unterhöschen an, weiße Baumwolle, nicht gestrickt - mit den Schuhen, die einzigen Dinge, die nicht selbst angefertigt waren - nun kam das dunkelblaue Kleid mit weißem Kragen, das hatte die Tante Klara genäht. Hier hätte ich zu gerne die weißen, baumwollenen Kniestrümpfe dazu getragen. „Nein“ erklärte Mutter kategorisch, dafür ist es heute zu kalt!“ Widerworte gehörten sich nicht und erst recht kein Geschrei.
Das sparte ich mir für die Prozedur des Kämmens auf. Lange Haare wollten nicht so, wie ich es gerne gehabt hätte: Es ziepte und zog, musste aber glatt sein, bevor oben zwei Tollen mit kleinen Haarkämmen gegeneinander festgesteckt wurden. Das Flechten der Zöpfe ging schon hurtiger, diese wiederum nach oben gebogen – Affenschaukeln hieß diese Frisur - und dicht am Kopf mit weißen, steifen Schleifen verziert.
Wenigstens brauchte ich nicht die hohen Winterschuhe anzuziehen, sondern rote Halbschuhe, die ich über alles liebte. Ein dunkelblauer Mantel und ein roter, gestrickter Schal – ihr wisst schon, von wem die Teile waren – und ein brauner Ranzen, bestückt mit Schiefertafel, Holzkästchen mit zwei dünnen Griffeln, einer Packung mit Buntstiften, einem kleinen Zeichenblock, einem grünen Döschen für das nasse Schwämmchen, ein blau-rotes Tafelläppchen baumelte seitlich aus dem Tornister, der auf meinem Rücken prangte, so ging ich an Mutters Hand, die mich vorher noch mit Weihwasser gesegnet hatte, in den „Ernst des Lebens“. Keiner hatte eine Schultüte, die gab es bei uns nicht.
Noch einige Kinder mit ihren Müttern nahmen den gleichen Weg, der zwei Kilometer lang war. Das Schulgebäude wies noch große Einschusslöcher auf und sah insgesamt recht trist aus. Der Rektor der Schule nahm uns am Eingangstor in Empfang, erkundigte sich nach dem Namen und schickte uns in die vorgesehene Klasse.
Dort begrüßte uns an der geöffneten Tür die Klassenlehrerin, Fräulein Andermal, eine zierliche, junge Frau. Ihre schwarzen Haare waren kurz und modisch geschnitten. Dunkle strahlende Augen blickten mich freundlich an und ich fühlte mich gleich zu ihr hingezogen.
Einen Sitzplatz durfte sich jeder aussuchen und die Mütter standen rundum an den Wänden.
Die Klasse hatte vier lange Reihen mit zweisitzigen Bänken und schräger Tischplatte. Diese konnte hochgeklappt werden und immer mit Schulmaterialien versehen werden, die nicht täglich mit nach Hause genommen werden mussten.
Erst einmal stellte sich Fräulein Andermal vor, begrüßte uns alle und erzählte, was uns nun täglich erwarten würde. Nun teilte sie für jedes Kind eine Fibel aus. Trotz der einfachen Ausführung, graues, stumpfes Papier und wenige Bilder, in schwarz-weiß, war ich begeistert. Nun würde ich lesen lernen und selber Geschichten lesen können. Nicht mehr angewiesen sein auf das Vorlesen der Erwachsenen, die immer wenig Zeit hatten.
Ein Rechenbuch bekamen wir auch noch. Die Mütter wurden gebeten, die Bücher mit Schutzumschlägen, unseren Namen und der entsprechenden Klasse, zu versehen. Heute noch habe ich einen dieser blauen Papierumschläge und das Namensschild, denn mein Zeugnisheft der Volksschule ist mir erhalten geblieben.
Weiterhin sollten wir ab dem nächsten Tag einen „Essensträger“ oder mundsprachlich einen „Knibbel“ und einen Esslöffel mitbringen, denn die englische Besatzung würde jeden Tag um halb zwölf eine „Schulspeisung“ durchführen. Diese "Essensträger" waren in jeder Familie bekannt und in Gebrauch. Darin nahmen die Väter ihr Mittagessen mit, welche sie in der Firma in große Wasserkessel stellten und erwärmten.
Diese Schulspeisung erfreute alle, Kinder und Mütter gleichermaßen.

Die Mütter wurden nach Hause geschickt und wer um halb zwölf nicht alleine den Heimweg fand, konnte dann abgeholt werden. Das war aber nicht nötig, den Weg kannten in diesem Vorort alle.
Endlich durften wir die Tafeln und Griffeldöschen herausnehmen. Alle Kinder waren still und aufmerksam. Die Lehrerin malte nun an die Tafel, die teilweise mit den gleichen Zeilen wie unsere Tafel ausgestattet war, eine Reihe mit kleinen Spazierstöckchen. Die durften wir genau so auf unsere Tafel kratzen. Die Griffel kreischten und die ersten Finger wurden mit Spucke befeuchtet und ein nicht so gut gelungenes Spazierstöckchen ausgelöscht und neu geschrieben.
In der Pause liefen wir auf den Pausenhof und Fräulein Andermal blieb bei uns, damit wir nicht von den älteren Schülern mit dem üblichen Gesang „I-Dötzchen- Kaffeerötzchen“ geärgert wurden.
Anschließend durften wir auf das erste Blatt des Zeichenblocks mit Buntstiften, ein Bild nach unseren Vorstellungen malen. Ich weiß noch, dass ich eine Wiese mit Blumen und Bäumen malte. Ein Osterhase, der mir in der vorigen Woche bunte Eier in einem Körbchen gebracht hatte,all dies nahm auch noch Gestalt an. Alle Bilder wurden nacheinander hochgehalten und jeder durfte sagen, was er sich vorgestellt hatte.
Fräulein Andermal nahm nun ihre Gitarre zur Hand und wir sollten ihr sagen, welche Lieder wir denn schon kennen würden. Die spielte sie und wer konnte, sang laut mit. „Nah, das hört sich ja schon sehr schön an und nun bringe ich euch ein neues Lied bei“, sagte sie. Auch daran erinnere ich mich, weil ich es immer wieder mal gesungen habe.
„Vöglein im hohen Baum, klein ist’s ihr seht es kaum“
Zum Schluss las sie uns noch eine Geschichte vor und sagte, dass wir für morgen als erste Hausaufgabe, drei weitere Reihen von Spazierstöckchen auf die Tafel schreiben sollten.
Mir hat dieser erste Tag sehr gut gefallen und Fräulein Andermal blieb meine liebste Lehrerin.

Kleiner Zusatz:
Die Schulspeisung war immer sehr lecker. Ich lernte zum ersten Mal Nudeln mit Tomatenmarksoße kennen. Davon aß ich so viel, dass mir leider schlecht wurde und die Speise in der Schultoilette landete. Da wir alle dünn, blass und kränklich aussahen, brachten uns die Engländer große Portionen und manchmal Schokolade, Kekse und Obst mit.

© Genoveva


Mein erster Urlaub in den Bergen
erzählt von szirra





Jedes Jahr im Sommer fuhren meine Großeltern mit mir nach Holland.
Auf Scheveningen in Den Haag lebte eine ihrer Töchter, meine Tante, die keine eigenen Kinder hatte.
Ich war ihre liebste Nichte, ihr Patenkind, und sie verwöhnte mich nach Strich und Faden.

Die gute gesunde Luft, die schöne Gegend, das Meer, die Grachten, die Wiesen und die Windmühlen, sowie der blaue Himmel sind mir seitdem in fröhlicher Erinnerung. Aber einmal in meinem kurzen Leben, ich war damals erst acht Jahre alt, wollte ich den Watzmann sehen, von dem mein Vater mir schon so oft erzählte. Für mich war der Watzmann so furchterregend wie Rübezahl aus dem Riesengebirge. Ich sah dann immer ein altes griesgrämiges Wesen mit grollender Stimme und bösem Blick, nur mit weißen vollen Haaren und einem langen weißen Bart. Rübezahl hingegen war ja rothaarig.

In Omas Küche duftete es immer nach frisch gebackenem Kuchen.
Fast täglich besuchte ich meine Großeltern, Wind und Wetter konnten mich nicht daran hindern.
Viel zu gerne hatte ich sie, so dass mir etwas fehlte, wenn ich sie nicht besuchen konnte.
Als wir an einem schönen Sommertag alle gemütlich im Garten saßen, bemerkte ich, dass Mama und Oma sich zuzwinkerten. Ich rutschte dabei auf dem Gartenstuhl herum, denn still sitzen konnte nicht.
"Weil deine Eltern in diesem Jahr auch verreisen möchten, werden sie dir den Watzmann zeigen", sagte meine Oma überraschend.
Mir wurde ganz heiß, ich schluckte mehrmals, bevor ich ein Wort antworten konnte. Dann sprudelte meine Freude nur so aus mir heraus. Ich hüpfte und tanzte, küsste meine Mutter, die Oma und den Opa, und alles wirbelte vor meinen Augen herum.

Den Tag bis zu Abreise konnte ich kaum erwarten. Endlich war der letzte Schultag gekommen. So schnell war ich noch nie zu Hause. Dort angelangt, warteten bereits meine Eltern mit vollgepacktem Auto vor unserem Haus.
Nicht einmal Zeit zum Abschied konnte ich mir nehmen. Meine Geschwister mussten zu Hause bleiben, sie waren noch zu klein um in den Bergen zu wandern, aber Oma passte gut auf sie auf. Etwas traurig schaute sie mich an, denn es war das erste Mal, dass ich ohne meine Großeltern verreisen sollte. Mein Vater ermahnte mich zum gutem Schluss, damit ich keinen Anlass zur Sorge bot. Und das übliche Bla Bla...

Nach den ersten Kilometern wünschte ich mich schon ans Reiseziel, Berchtesgaden in den Alpen. Doch viele Stunden dauerte es, bis wir bei Frau Anker, die uns sehr freundlich, aber in einer sehr komischen Sprache, in ihrer Pension willkommen hieß. Das schöne Haus, die niedlichen Zimmer, die Wiesen und Pfade drumherum, alles kannte ich von den Fotos. Nichts war richtig fremd, so als wäre ich schon hier gewesen.
Nach dem Abendessen fiel ich todmüde in die schweren Kissen in meinem Bett. Ich dachte nicht an zu Hause, sondern an den Watzmann, den ich nun endlich zu Gesicht bekommen sollte. Auch an Heidi und Peter, deren Geschichte wohl jedes Kind kennt. Vielleicht sieht der Watzmann ja auch wie Heidis Großvater aus. Glücklich schlief ich ein.

Die Sonne und meine Neugier lockten mich früh morgens aus dem Bett.
Blumen pflücken und Schafe zählen, das hatte ich mir für diesen Morgen nach dem Frühstück vorgenommen.
Zuerst rannte ich mehrmals den Pfad hinauf und hinunter, dann auf die Wiese hinter dem Haus, wo tausend Blumen auf mich warteten. Welch wunderschöner Anblick. Ich war aber nicht alleine auf der Wiese, dort grasten eine große Anzahl Schafe und deren Lämmer.
Wie auf der Alm bei Heidi, sauste es mir durch den Kopf.
Ich hörte eine kräftige Jungenstimme.
Langsam bewegte ich mich auf den seltsam aussehenden Jungen zu, der komische Kleidung trug und einen langen Stab bei sich hatte.
"Du bist Petra, nicht wahr?" fragte er.
Zögernd nickte und wollte wissen, woher er meinen Namen kannte.
"Die Mutter hat ihn mir verraten", antwortete er.
"Ihr wohnt bei uns."
Er verriet mir, dass er Peter hieß und neugierig wollte ich noch wissen, ob er der Freund von Heidi sei und ob er den Herrn Watzmann kenne.
Peter schaute mich zuerst merkwürdig an, dann sagte er: "Na klar, den Watzmann kennt doch hier jeder."
Mit krauser Stirn fragte er: "Willst du dorthin?"
"Natürlich, deshalb bin ich doch hier", gab ich zur Antwort. "Ich will ihn endlich kennenlernen."

Wir trieben eifrig die Schafe zusammen, und als alle im Stall waren, machten wir uns auf den Weg zum Watzmann.
Peter und ich kletterten einen schmalen Bergpfad entlang, der sich als sehr mühsam entpuppte. Mir kam es vor, als wenn Stunden vergingen.
Auf einer Anhöhe blieb Peter auf einmal stehen, zeigte mit dem Finger auf die riesigen Berge vor uns.
"Schau, dort ist der Watzmann."
"Ich sehe niemanden", entgegnete ich verwundert. "Wo ist er?"
Peter drehte sich zu mir um, lachte laut los, hielt sich dabei an seinem Stab fest, seine einheimische Kluft und die Zahnlücke ließen sein Lachen noch schäbiger aussehen.
"Der Watzmann," schnaufte er, "das ist der größte von den Felsen dort im Gebirge."
Ich wurde ganz verlegen, merkte, wie mein Gesicht vor Scham und Wut rot wurde. Dann musste auch ich lachen.

Nachdem ich mir noch eine ganze Weile den Watzmann angeschaut hatte, fasste Peter mich an der Hand und so rannten wir gemeinsam den Bergpfad herunter. Zu Hause warteten bereits nervös Peters Mutter und meine Eltern auf uns.
Als wir alles gebeichtet hatten, bereitet Frau Anker eine deftige Brotzeit, die wir uns wahrlich schmecken ließen.
Jetzt wusste ich, wer der Herr Watzmann wirklich war.

© szirra

Impressum

Texte: © bei den jeweiligen Autoren
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2011

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