Cover

I

„Herzlich Willkommen, liebe Zuschauer, zu einer neuen Ausgabe von Nah am Leben. Heute haben wir den Grenzsoldaten Hermann Gruber begleitet, der uns von einem üblichen Tag in seinem Beruf berichten wird. Er ist am Südabschnitt S3 eingesetzt, wo er unser großartiges Land gegen terroristische Übergriffe feindlicher Eindringlinge schützt. Damit habe ich genug Vorabinformationen gegeben, hören Sie nun selbst die Stimme aus dem Volk.“

Die Szene wechselte zu schnell zusammengeschnittenen Ansichten deutscher Landschaften, untermalt von einer euphorisch-dramatischen Musik, die schließlich mit Paukenschlägen in die Anzeige des Sendungstitels gipfelte.

NAH

AM

LEBEN

Genau so, in blau umrandeten Großbuchstaben, jeweils ein Wort pro Zeile. Mittig eingerückt. Abermals folgte ein Schnitt, die Musik brach schlagartig ab. Ein Soldat mit Stahlhelm auf dem Kopf, gewandet in der typischen Uniform der Verteidigungsstreitkräfte, rückte ins Bild.

„Mein Dienst beginnt aktuell um 16 Uhr und dauert bis Mitternacht. Das ändert sich im monatlichen Wechsel, denn wir sind hier in drei Schichten eingeteilt, damit eine lückenlose Grenzüberwachung sichergestellt ist. Meine Aufgabe dabei ist es, Patrouillen durchzuführen, um den Grenzzaun zu kontrollieren, der illegale Übertritte wirkungsvoll verhindert. Dabei wird natürlich auch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht. Für nachgewiesene, erzielte Abschüsse gibt es einen Soldbonus von 500 Mark. Das normale Monatsgehalt beträgt 4000 Mark, zuzüglich Nachtschichtzuschlag von 40 %. Also, für alle diejenigen aktuell Unzufriedenen, die ihre Heimat sichern wollen: kommt zu uns!“

„Lieber Hermann, erzähl uns doch mal, was du auf deinen Streifgängen so alles erlebst“, erklang die Stimme des Moderators aus dem Hintergrund. Das Bild blieb nach wie vor auf den Soldaten gerichtet. Das war ein Markenzeichen der Sendung, nämlich daß nicht ständig der Moderator auftauchte, sondern der jeweilige Befragte. Ein großartiges Beispiel für moderne, deutsche Informationssendungen. Nah am Menschen, nah an der Wahrheit.

„Neulich war ich mit einem Kameraden auf Nachtwache, als drei Afris versuchten, in unser Land einzudringen. Wir konnten sie mit Warnschüssen auf Distanz halten und haben dann sofort Alarm ausgelöst, der eine größere Anzahl feindlicher Subjekte entlarvte. Von denen ist es keinem einzigen gelungen, die Statistik der Grenzverletzungen negativ zu beeinflussen. Leider konnte ich keinen Abschuß erzielen, aber ich besitze eh schon das silberne Verteidigungskreuz, das für 30 bestätigte Abschüsse verliehen wird. Das goldene hat in unserem Abschnitt noch keiner erzielt, also bin ich ganz zufrieden.“

„Gratulation für diese tolle Leistung! Mach nur weiter so.“

„Auf jeden Fall, ich bin jeden Tag im Einsatz und obwohl die Penetratoren genau wissen, daß wir auf sie vorbereitet sind, versuchen die es fast täglich wieder irgendwo. Meines Erachtens passiert das nicht ohne Grund. Da muß irgendeine Macht, die uns feindlich gesinnt ist, die Strippen ziehen. Wahrscheinlich das Großkapital.“

„Das ist ein sehr guter Gedanke, Hermann.“

„Daran ist schon das Vierte Reich zu Grunde gegangen, aber das wird uns nicht passieren. Wir passen hier auf, die Grenze ist dicht.“

„Das ist doch ein passendes Schlußwort“, erschien nun erneut der Moderator im Bild, was allen Zuschauern, die regelmäßig zusahen, verdeutlichte, daß die Sendung am Ende angelangt war. „Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn wir einem Mann der Propagandaabteilung bei seiner spannenden Arbeit über die Schultern schauen.“

Das alte System war ohne großes Getöse zusammengebrochen. Unfähig, sich der neuen Herausforderungen der neuen Zeitrechnung zu stellen, hatte es sich selbst überlebt. Die inkompetente Kanzlerin war abgesetzt und wegen neurotischer Wahnvorstellungen in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert wurde. Aus der Asche der alten Gesellschaft stieg wie Phönix ein Mann empor, den man nur als den „Retter“ bezeichnete, weil er Deutschland aus seiner größten Not befreite. Manch einer witzelte noch darüber, daß der Name „Befreier“ doch wohl eigentlich viel besser gepaßt hätte, aber ihnen sollte das unbedachte Scherzen bald vergehen. Das wußten sie zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht, denn anfangs dachten sie noch, sie könnten wie bisher ihren pseudo-elitären Status pflegen, sich ihren eigenen Interessen widmen wie auch unter dem alten System. Doch sie selbst waren der Grund gewesen, weshalb jenes so schmachvoll gescheitert war. Der Retter wußte es, die Bevölkerung auch, nur sie selbst hatten davon keine Ahnung, weil sie es niemals für notwendig gehalten hatten, aus ihrem Elfenbeinturm herauszukommen. Nun ernteten sie den Sturm, den sie als Wind gesät hatten. Das war aber nicht weiter schlimm, denn es betraf nur einige tausend Leute. Der Masse des Volkes brachte das neue System nur positive Neuerungen. So, jetzt muß ich aber den Fernseher einschalten, denn wir haben den Anfang von Nah am Leben bereits übersehen.

„ … meine Aufgabe ist es, Berichte für die Nachrichtensendungen vorzubereiten. Das Wichtigste dabei ist, die Informationen so aufzubereiten, daß sie sinnvoll gesendet werden können. Es bringt etwa wenig, von einem Produktionsrekord im Stahlgewerbe zu berichten, wenn die Zuschauer das größenmäßig gar nicht einordnen können. Deshalb rechnen wir uns aus, wie viele Panzer davon gebaut werden können. Diese Angabe erscheint dann als Orientierungshilfe im Bericht. Oder ein anderes Beispiel: in den ausländischen Medien, die wir natürlich abhören, wurde gestern mitgeteilt, daß die Inflation in China im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 % gesunken ist. Wir hingegen berichten, daß die Wirtschaft Chinas noch immer rückständig kapitalistisch ist, weil die chinesische Regierung in ihren Bemühungen gescheitert ist, Preissteigerungen zu verhindern.“

„Das heißt, ihr laßt die ganze Schönfärberei weg und präsentiert die nackte Wahrheit?“

„Ja, genau. Im Ausland ist es ganz normal, daß bewußt scheinheilige Meldungen verbreitet werden, falls eine wahrheitsgemäße Schilderung der Umstände unerwünscht ist. Auf diese Weise werden seit längerem in Frankreich viele Straftaten von Ausländern verheimlicht, schlicht dadurch, daß es nicht explizit genannt wird, daß die Verbrecher keine einheimischen Franzosen sind. Außerdem tricksen die verantwortlichen Stellen gern bei den Statistiken. Bei den Straftaten etwa werden bestimmte Vergehen wie etwa illegale Grenzübertritte nicht mehr für die Verbrechensstatistiken berücksichtigt und auch religiös motivierte Straftaten werden dort inzwischen bereits ausgeklammert. Dadurch ergeben sich völlig falsche Zahlen, die die Bevölkerung ruhighalten sollen.“

„Solche Tricksereien kommen bei uns aber dem Retter sei Dank nicht mehr vor.“

„Genau“, bestätigte der Gast, dessen Name mir verborgen blieb, weil Vorstellung am Anfang versäumt. „Das gab es früher auch, aber jetzt müssen wir bei Dienstantritt alle einen Eid auf die absolute Wahrheit ablegen, nur zum Wohle unseres Landes zu berichten und keine falschen Informationen weiterzuleiten.“

„Das hört sich gut an.“

„Absolut. Wir wollen die Wahrheit verbreiten, auf daß sich jeder Deutsche selbst ein reales Bild der Dinge machen kann.“

„Dann bedanke ich mich herzlich für diese interessanten Ausführungen. Morgen erwartet uns eine neue Folge mit ...“

II

Vor der Ankündigung des nächsten Gastes hatte ich bereits ausgeschaltet, weil ich mich überraschen lassen wollte. Dafür gönnte ich mir noch einen Kriegsfilm, der bis lange in die Nacht hinein dauerte. Immerhin brauchte ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit zu gehen, denn jener 20. April war ein Feiertag. Das Wetter war unerwartet schön und so unternahm ich einen längeren Spaziergang, der mich kreuz und quer durch die Landschaft führte. Früher hatte ich öfter mit einem Freund zusammen eine Wanderung gemacht. Das ging mittlerweile freilich nicht mehr, denn er war ausgewiesen worden. Der hatte nämlich englische Vorfahren, was ich all die Jahre nicht gewußt hatte! Sein Urgroßvater mütterlicherseits, der war Engländer gewesen und Anfang des 20. Jahrhunderts eingewandert. Klar, daß er deswegen automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft verlor, denn der Retter hatte nicht umsonst bei seiner Machtübernahme betont, daß er alle ausländischen Elemente unter uns entfernen werde. Das muß man sich einmal vorstellen: ein Achtel-Engländer in meinem Freundeskreis, wovon ich keine Ahnung gehabt hatte! Das konnte ich aber glaubhaft versichern, sonst hätte ich vermutlich auch Probleme mit dem Staatsschutz bekommen. Trotz meiner guten Position. Weil so fest sitzt heutzutage keiner mehr, wenn er gegen die Reinheitsgesetze verstößt. Unter uns gesagt, also, daß darf wirklich diesen Raum nicht verlassen, weil sonst bekomme ich Schwierigkeiten, die französische Freundin, die ich während des Studiums in Berlin hatte, das war gegen Ende des Vierten Reiches, als das losging, das fiel mir echt schwer, mich von ihr zu trennen. Zweifellos hat der Retter schon recht, in dem was er sagt. „Das Ausland will unseren Untergang.“ Es will uns unterwandern und von innen heraus aushöhlen. Dafür muß jeder ein Opfer bringen. Also auch ich. Das fällt manchmal echt schwer, aber das ist eben notwendig. Wer wüßte das besser als unser Retter, der selbst seine langjährige Freundschaft zu einem eingewanderten Türken aufgab, um sich ganz seinem Vaterland zu verschreiben? Das hat einen die Geschichte gelehrt, daß man sich nur auf seinesgleichen wirklich verlassen kann. Ja, das war wörtlich zitiert, ich weiß schon, aber besser vermag ich es selbst gar nicht zu formulieren. Wenn wir den Retter nicht hätten, dann würden wir alle ziemlich alt aussehen. Bei dem Prozeß gegen die ehemalige Kanzlerin konnte er nichts dafür, daß die nicht belangt wurde, weil das hat sich ja herausgestellt, daß sie nicht mehr zurechnungsfähig war, als sie gegen die Verfassung gestoßen hat. Aber den Vize, den haben sie wenigstens kassiert. Der hätte damals etwas tun müssen, den Notstand ausrufen oder was weiß ich. Für sein schändliches Nichtstun im Angesicht der drohenden Gefahr hat er jetzt ja auch die verdiente Quittung bekommen.

Voller Vorfreude machte ich es mir auf dem Wohnzimmersofa bequem, wenige Minuten nur noch verblieben bis zum Beginn der Sendung.

„Ja, mein Name ist Gerhard Lipper und ich bin Preiskommissar. Meine Aufgabe besteht darin, die Geschäfte zu kontrollieren, um die Einhaltung der Festpreise zu überprüfen. Wie allgemein bekannt ist, hat der Retter verkündet, daß das Zeitalter der Inflation vorbei ist, die nur dem Großkapital nützt, dabei das einfache Volk allerdings nur belastet. Also ermittle ich durch Stichproben, ob das Fixpreisgesetz eingehalten wird.“

„Wie funktioniert das denn im Detail, etwa bei Brot?“

„Das ist natürlich ein wichtiges Lebensmittel, da Grundnahrung. Hier setze ich den Verkaufspreis in Bezug zum Gewicht und der Güte des verwendeten Getreides. Dafür gibt es Tabellen, die das exakt festlegen. Roggenbrot darf beispielsweise etwas teurer sein als Weizenbrot. Wichtig ist halt, daß das Verhältnis eingehalten wird.“

„Was passiert denn, wenn das nicht der Fall ist?“

„Dann muß ich eine tiefgründigere Untersuchung einleiten, die alle Produkte des Verkäufers umfassen. Stellt sich dann heraus, daß es sich um einen unabsichtlichen Fehler handelt, dann sind die Preise zu korrigieren. Bei mutwilliger Preismanipulation erfolgt die Verhaftung des Übeltäters, weil das einfach nicht geht, das ist klar. Der Retter hat schließlich festgelegt, daß die Preise fix sein müssen, da darf sich niemand darüber hinwegsetzen.“

„Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor, verschiedenste Waren überprüfen zu müssen.“

„Bei standardisierten Gütern ist es relativ leicht zu bewerkstelligen, schwieriger sind hingegen Fälle, in denen die Verarbeitung viele Schritte erfordert. Ein Fernseher beispielsweise. Das ist ziemlich aufwendig, den angemessenen Preis zu ermitteln. Vor allem, wenn es sich um ein neues Modell handelt, das über neue Funktionen verfügt. Aber deshalb gibt es nicht nur einen Kommissar pro Bezirk, sondern gleich mehrere. Das schaffen wir dann schon.“

Ungewöhnlich für diese Sendung war die Einspielung von Ausschnitten der Rede des Retters anläßlich der Verkündung des Preisgesetzes.

„Sicherlich bin ich kein Freund des Sozialismus“, tönte der Retter auf dem Bildschirm. „Aber manchmal sind Eingriffe des Staates in die Wirtschaft dringend erforderlich. Ihr alle könnt euch noch gut daran erinnern, wie unter dem Vierten – erfolglosen – Reich die Textilindustrie zugrundegerichtet wurde durch Billigimporte aus Fernost. Hier hätte der Staat regulierend durch hohe Außenzölle eingreifen müssen, was er versäumt hat. Zigtausende Arbeitsplätze gingen so unwiederbringlich verloren. Ihr wißt, was mit der einheimischen Elektronikindustrie geschah, auch hier hat der Staat geschlafen, während seine arbeitslos gewordenen Bürger keinen gerechten Schlaf mehr finden konnten. Aus diesem Grund habe ich daher beschlossen, dem Markt Sicherheit und Konstanz zu gewährleisten, indem ich von jetzt an die Preise auf dem Niveau von heute einfriere. Spekulativer Wucher und Ausnutzung von Engpässen wollen wir den Kapitalisten nun nicht mehr durchgehen lassen. Des weiteren werde ich mich persönlich dafür einsetzen, daß staatliche Textilbetriebe gegründet werden. Auch eine Großfabrik für die Fernseherproduktion wird unter meiner Aufsicht in Angriff genommen.“

Der Beifall der anwesenden Zuhörer in der Kundgebungshalle wollte kein Ende nehmen. Es dauerte fast eine Minute, ehe die reguläre Sendung Nah am Leben fortgesetzt wurde.

„Diese Ansprache ist uns allen noch gut im Gedächtnis“, leitete der Moderator über. „Noch eine letzte Frage an Gerhard Lipper: wie ist heute, ein halbes Jahr nach der Einführung, die Situation auf dem Markt?“

„Hervorragend. Am Anfang gab es massiven Widerstand der Kapitalisten, der jedoch unbarmherzig bekämpft wurde. Jetzt ist die Wirtschaft frei von allen Subjekten, die sich in egoistischer Manier zum Schaden der Allgemeinheit bereichern wollen.“

„Das freut uns natürlich alle, das zu hören. Die Sendezeit neigt sich ihrem Ende entgegen, daher ...“

 

Die Freiheit unseres Volkes rechtfertigt jedes Opfer.

(gesammelte Zitate des Retters)

III

Jeden Tag, nachdem ich von der Arbeit nach Hause kam, genehmigte ich mir zuerst einmal ein deftiges Abendessen. Meistens las ich dann die Tageszeitung, bevorzugt das „Freie Propagandablatt“, da mir „Vorwärts Kameraden“ etwas zu militaristisch und martialisch auftrat. Nichts gegen das Militär, weiß Gott nicht, die schützten unsere Grenzen vor den wilden Auswüchsen Resteuropas, sorgten für Ordnung und Sicherheit auf den Straßen. Aber ich mußte mir deshalb noch lange nicht täglich Berichte von Soldaten durchlesen, die in übertriebenem Stil von ihren Heldentaten erzählten. Meinem Vorgesetzten gefiel das, wie ich wußte. Der gab sich überhaupt die Mühe, besonders zackig aufzutreten, was leider auch auf die Art und Weise zutraf, wie er seine Leute behandelte. Immer von oben herab, wie auf dem Kasernenhof. Vielleicht war meine Abneigung gegen die genannte Zeitung indirekt darauf zurückzuführen, weil ich sie mit der Person meines Abteilungsführers verband.

Nach ausgiebigem Zeitunglesen pflegte ich dann am Abend meistens „Nah am Leben“ anzuschauen. Das kam zur besten Sendezeit um 20 Uhr 20, gleich nach der Propagandaschau. Die Sendung brachte immer wieder neue Ansichten unseres tollen Landes und erfreute sich großer Beliebtheit. Auch meine Frau sah sich das ganz gern an. Einträglich saßen wir dann zusammen vor dem Gerät, um einer neuen Folge beizuwohnen.

„Ich bin Hans Wolf und von Beruf Sprachgestalter. Zu meinen Aufgaben gehört es, die deutsche Sprache von aufgezwungenen undeutschen Wörtern zu säubern sowie unerwünschte Wortformen zu tilgen. Mir ist es etwa zu verdanken, daß heute die Wörter Neger und Nordafrikaner verschwunden sind. Um die völkischen Besonderheiten besser lautlich darzustellen, wurden diese anarchischen Begriffe durch Afroide für die nordafrikanischen Araber und Afris für die Neger ersetzt, man beachte den außergewöhnlichen Plural mit 's', den es sonst so in dieser Form praktisch nicht mehr gibt. Dadurch wird die besondere Andersartigkeit herausgestellt, da die Afroiden gemäß der Untersuchung des Ministeriums für Rassenkunde eher den orientalischen Araboiden zuzurechnen sind und stark von den Afris differieren.“

„Das hört sich hochinteressant an. Wie geht man da denn genau vor bei der Austilgung von Wörtern?“

„Das ist eigentlich ganz leicht. Dazu suche ich mir bestimmte Wörter, die problematisch sind, etwa, weil sie während des Vierten Reichs mißbraucht wurden. Diese unterziehe ich einer genauen Überprüfung und ersetze sie dann durch treffendere Begriffe. Ein klassisches Beispiel wäre etwa 'Südseehäuptling' aus der modifizierten Pippi Langstrumpf. Das ist natürlich völliger Schmarren, da es in der Südsee keine Häuptlinge gibt wie bei den Indianern, sondern Stammesfürsten. Aus diesem Grund haben wir den Begriff des Originals, Negerhäuptling, dahingehend einfließen lassen, indem der neue Begriff Negeroberhaupt zustandekam. Ein weiteres Beispiel ist das von der entarteten Republik schändlich mißbrauchte Wort 'Flüchtling', das nur für Deutsche verwendet werden darf, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Russen gewaltsam widerrechtlich vertrieben wurden. Noch ein letzter Begriff zum Abschluß – Reform. Das ist nicht einmal ein deutsches Wort, sondern kommt aus dem Französischen, ursprünglich aus dem Lateinischen. Das soll eine Verbesserung andeuten, aber war im Vierten Reich immer gleichbedeutend mit einer massiven Verschlechterung. Stattdessen verwenden wir heute das Wort Entwurf. Es gibt Steuerentwürfe, Rentenentwürfe, Gesundheitsentwürfe. Darin impliziert ist eine neutraler Umgang mit der eigentlichen Sache, ohne vorherige Bewertung, die ohnehin nicht eingehalten werden kann.“

„Das klingt spannend, ihr reinigt die deutsche Sprache also auch von Fremdwörtern?“

„Ja. Anstatt Shampoo haben wir Haarseife eingeführt, Airbag wurde ebenso ausgemerzt. Stattdessen ist das Wort Luftsack gebräuchlich geworden. Vierteljahr statt Quartal, Torwart statt Keeper oder Goalie, Ecke statt Corner, Spielleitung statt Regie, wiederverwerten an Stelle von recyclen, Tragbares Telefon oder kurz Trate statt Handy, Informationsbrief oder abgekürzt Infobrief statt Newsletter, Arbeiter rausschmeißen statt outsourcen. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafen bis zu 5000 Mark oder in besonders schweren Fällen mit AL bestraft. So wird die Einzigartigkeit der deutschen Sprache gerettet. Zudem sind wir maßgeblich damit beschäftigt, in der Vergangenheit mißbrauchte Phrasen zu tilgen. Formulierungen wie 'Schülerinnen und Schüler' sind Schwachsinn, beruhen auf falschen semantischen Vorstellungen der deutschen Sprache. Sie sind reinrassig ideologischen Ursprungs, den wir verachten. Deshalb werden solche Unsinnigkeiten unter Strafe gestellt, damit nicht der Rest der Menschheit mit solchen Blödheiten verdorben wird.

Auch Berufsbegriffe wie 'Fachfrau' sind geistiger Irrsinn, da sich der Begriff auf Tätigkeiten bezieht, die primär von Männern ausgeübt worden sind, wodurch die Zuordnung 'Mann des Fachs' eine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt. Eine Expertin der Holzbearbeitung ist daher genauso ein 'Fachmann' wie ihr 'Ehemann'. Eben solcher Blödsinn war die Verwendung des Rangs 'Hauptfrau' beim republikanischen Militär. Eine Hauptfrau gibt es in unserem Kulturkreis nicht. Sie ist ausschließlich in mohammedanischen Kreisen präsent. Daran sieht man wieder einmal die Dekadenz der verflossenen Republik in ihrer Ausartung und Entartung, der wir keine Träne nachweinen, da wir eine echte Demokratie genießen.“

„Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Morgen sehen wir uns wieder, wenn Sie wollen.“

 

IV

Das ZPF, das Zweite Propaganda-Fernsehen, brachte im Anschluß daran die vollständige Ansprache des Retters anläßlich seines Geburtstags. Das ganze Land harrte vor den Fernsehgeräten aus, um seinen erhabenen Worten zu lauschen.

„Das Vierte Reich ist gescheitert, da es auf ein ständiges Wirtschaftswachstum angewiesen war, das es irgendwann nicht mehr erbringen konnte. Genau diese Abhängigkeit war der Fehler im System, der es in den Abgrund stürzte. Wir haben daraus gelernt und eine völlig andere Wirtschaftspolitik vorgestellt, deren Früchte ihr nun alle erntet. Verschuldung ist der Weg in den Untergang, feste Zinssätze sind das Zeichen des Anti-Christs, digitales Geld ist der Schlund zur Hölle.

Aus diesem Grund habe ich Festzinsen verbieten lassen. Ich habe es euch erklärt und ich tue es gern noch einmal. Wenn ein Bauer sich Geld leiht, um einen Acker zu kaufen, auf dem er Feldfrüchte anbaut, dann mußte er in der kapitalistischen Vergangenheit dafür Zinsen zahlen, unabhängig vom Erfolg, den er dabei hatte. Wenn der Ernteüberschuß, d.h. die Produktivität, geringer war als dieser Zins, dann ergab sich daraus ein immer größer werdendes Ungleichgewicht. Die Forderung des Gläubigers überstieg dann die tatsächlich vorhandene Gütermenge, genau das ist das Hauptproblem des alten Geldsystems – es wurde mit Geldmengen operiert, zu denen es keinen materiellen Gegenwert gab. Geld ist nur ein bequemeres Tauschmittel für Waren. Als was anderes war es nie gedacht. Die Kapitalisten haben es pervertiert, sie tragen die Schuld an der Inflation, die ihr selbst noch miterlebt habt. Heute gibt es so etwas nicht mehr in diesem Land, weil ein völliges Gleichgewicht zwischen der Geldmenge und der Gütermenge existiert. Das Geld ist nun wieder das, was es sein muß. Ein Tauschmittel, aber nicht mehr. Ich bin dafür angegriffen werden, vor allem vom Ausland, wo noch immer kapitalistische Schergen ihr Unwesen treiben, die Völker auspressen und sich daran laben, die Maden im Speck zu sein. Das wollten wir nicht und ich will bescheiden sein, denn wir haben all das erreicht dank eurer Hilfe.“

Ein tosender Beifall der Zuschauer unterbrach die Rede für mehrere Minuten, da immer wieder der Jubel der Massen von Neuem ausbrach. Endlich hatte sich die Menge wieder so weit gesammelt, daß der Retter weitersprechen konnte.

„Es ist noch immer möglich, Darlehen zu geben, aber jetzt ist der Zins an den Erfolg des Gläubigers geknüpft. Nur, wenn der in der Lage ist, die Gütermenge zu vergrößern, nur dann erhält auch der Gläubiger seinen Anteil daraus. Wo nichts ist, davon kann man nichts nehmen. Ich bin stolz, daß die Produktion in den vergangen Jahren drastisch zugelegt hat. Waren, die in unserem Lande gar nicht mehr hergestellt wurden, werden jetzt in einer Zahl gefertigt, daß bereits die Autarkie wiederhergestellt ist. Die Imperiumsmark ist die stärkste Währung, die wir jemals hatten. Ihre Kaufkraft ist konstant und wird auch nicht nachlassen. Darauf kann sich jeder verlassen. Das hat sich sogar gereimt, obwohl ich das wirklich nicht beabsichtigt habe. Was ich aber nicht dem Zufall überlassen habe, das ist die Wirtschaft, die wie Phönix aus der Asche emporsteigt zu neuen Höhen, was uns allen Wohlstand und ein sicheres Auskommen beschert. Lang lebe Deutschland, ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.“

Im Fernsehen folgte nun das Deutschlandlied, während die Kamera dem Retter folgte, der gemächlichen Schrittes aus dem Saale stolzierte. Wahrlich, eine imposante Erscheinung. Nach einer Programmvorschau kam der Spielfilm „Der ewige Deutsche“. In der Hauptrolle der beim Publikum sehr beliebte Heinrich Hase, der einen preußischen König des 18. Jahrhunderts spielte. Ein kolossaler Monumentalfilm zum Gedenken an einstige Größen, die es wieder zu erreichen galt. Recht sehenswert allein schon auf Grund der vielen Soldaten in den alten Uniformen. Kanonen krachten, Gewehrsalven entluden ihre rauchige Fracht auf das Schlachtfeld. Ein Film, den man vom heimischen Wohnzimmersofa aus so richtig schön genießen konnte. Selbst weich und warm sitzend, aber dennoch nah genug am Geschehen. Ein weiterer abendfüllender Meilenstein des Regisseurs Veit Harlinger.

V

Im Büro hatten wir am folgenden Tag besonders viel zu tun, da zwei Kollegen krank geworden waren, was deren Arbeitspensum auf uns restlichen fünf verteilte. Normalerweise bekamen wir in solchen Fällen Ersatz geschickt. Da gab es nämlich eine Abteilung, die wir scherzhaft „fliegende Feuerwehr“ nannten. Sie wurde überall dort eingesetzt, wo Not am Mann war. Entsprechend vielseitig waren sie begabt und beschäftigten sich in Leerlaufphasen mit der Wartung sowie Instandhaltung der Systeme. An diesem Tag schien aber der Personalausfall besonders hoch zu sein, wodurch der Ersatz selber auf Ersatz angewiesen gewesen wäre. Mich störte das nicht besonders, da Überstunden – dem Retter sei Dank – mit der doppelten Entlohnung vergütet wurden. Seit der großen Steuerreform bedeutete das dann auch nicht mehr, daß man lediglich 60 Prozent mehr Geld bekam wegen eines progressiven Steuersatzes, sondern wirklich volle 100 Prozent. Der Retter verstand es, sich Freunde zu machen. Überhaupt war die Reformierung der Steuern eines der Glanzstücke in der Anfangszeit. Der Retter hatte es radikal vereinfacht, zig Steuern abgeschafft, darunter auch so unbeliebte wie die Biersteuer. Weitere Vereinfachungen betrafen den Wegfall von hunderten an Sonderfällen sowie generell eine größere Flexibilität. Das Anfertigen der Steuererklärung wurde dadurch zum Kinderspiel, wodurch dreißigtausend Steuerberater arbeitslos wurden. Doch sie brauchten sich nicht zu sorgen, denn der Retter führte sie anderen Wirtschaftsbereichen zu, um dort produktivere Tätigkeiten zu verrichten. Gelobt sei der Retter, dessen Weitblick nichts entgeht. Es hatte sich wahrlich einiges getan seit den beschwerlichen Jahren am Ende des Vierten Reiches, das jahrelang vor sich hinvegetierte, ehe es zum finalen Kollaps kam. Die Steuern waren damals so zahlreich und ungerecht gewesen, daß viele resignierten. Bereits versteuerte Beträge mußten damals noch einmal versteuert werden. Das sah heute ganz anders aus. Jetzt wurde nur mein Gehalt versteuert, das war ganz einfach, denn hier galt der Standardsatz von 30 % Abzug, egal wie viele Stunden ich genau arbeitete und wieviel ich verdiente. Jetzt könnte man sagen, ja, das ist ziemlich ungerecht, wenn jemand sehr wenig Lohn erhält. Möchte man meinen, aber deshalb gab es ja die Preiskommissare, die sich nicht nur um die Einhaltung der Fixpreise kümmerten, sondern die auch dafür sorgten, daß die Löhne ein bestimmtes Mindestmaß einhielten und auch – und vor allem – einen bestimmten Höchstsatz nicht überstiegen. Dadurch war das Ganze recht überschaubar geregelt. Mein Chef, den ich nicht mochte, wie bereits erwähnt, bekam 20 Prozent mehr Geld als ich. Die in der Abteilung eine Hierarchieebene unter uns 20 Prozent weniger. Das war alles recht transparent, da die jeweiligen Gehaltsstufen offenlagen. Es war schließlich alles genormt. Ein Büromitarbeiter im gehobenen Dienst wie ich bekam 1400 Imperiumsmark monatlich. Ein landwirtschaftlicher Arbeiter 1500, denn darin spiegelte sich der Respekt der Gesellschaft vor dem Werk des Bauern wider. Ohne ihn würden wir alle verhungern. So hatte es der Retter in seiner Neujahrsansprache formuliert. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft waren daher hochbegehrt, da sie als ehrenvoll galten und finanziell recht passabel bezahlt wurden. Freilich war die Zahl der Plätze begrenzt, da die Bodenfläche eben auch sehr begrenzt ist, wodurch die Warteschlangen ziemlich lang waren. Auch ich hatte mich da beworben, aber war dann nur hier in der Verwaltung gelandet. Naja, besser als nichts. Obwohl ... irgendwas bekam man sowieso zugewiesen, denn der Staat hatte immerhin eine Arbeitsplatzgarantie versprochen. Zwar konnte nicht jeder genau das machen, was er vielleicht unbedingt wollte, aber irgendeine Arbeit, die ihm nicht ganz unangenehm war, die erhielt er in jedem Fall. Das lief alles zentral über den Supercomputer, was die Optimierung vereinfachte. Klingt nach Planwirtschaft? Nein, nein, wir haben schon noch eine vom Markt geregelte Privatwirtschaft, also mehr oder weniger. Es gibt privat wirtschaftende Personen und Unternehmen, die können produzieren, was sie wollen. Sie müssen sich halt nur an die Lohnvorgaben halten und die gemäßigten Fixpreise einhalten. Wenn Personal gesucht wird, dann erfolgt das über die staatliche Arbeitszentrale, hinter der der besagte Großrechner sitzt. Die Zentrale sagt dann, ok, wir haben da einen, der wird dann zugeteilt und das Privatunternehmen kann weiterproduzieren. Entlassen darf es den natürlich nicht ohne schwerwiegenden Grund, das ist klar. Das wäre ja noch schöner. Aber es geht. Also, wenn der klaut oder die Chefin unsittlich berührt. Nachgewiesen muß das halt werden, denn der Verdacht allein, der reicht nicht. Wir sind schließlich ein Rechtsstaat, in dem der Arbeiter den höchsten Schutz genießt, da durch ihn allein die Kultur voranschreitet und so weiter. Diese Parolen werden ja ständig durch die Straßenlautsprecher geblasen. Diese Sprüche kennen die meisten Leute schon auswendig. Neuerdings habe ich sogar mal davon geträumt. Ich spazierte da so durch die Straßen, also im Traum jetzt, als die Hymne erklang und eine Frauenstimme tönte: „Ewig bleibt der Sieg!“ Komisch, oder? In echt sagt das doch ein Mann. Wieso träume ich dann von einer Frau? Sie selbst habe ich nicht gesehen, aber ihre Stimme gehört. Die klang schon recht erotisch, wie sie die Wörter betont hat. Da kenne ich niemanden, der für die nicht freiwillig in den Kampf ziehen würde, um ihr den ersehnten Sieg zu schenken. Wie komme ich jetzt darauf? Ach ja, wegen den Lautsprechern. Wenigstens geben die in der Nacht Ruhe, aber das hat der Retter schließlich angekündigt, daß ihm die Nachtruhe der Bürger heilig ist. Deshalb hat er ja die Ausgangssperre zwischen 23 Uhr und 7 Uhr verhängt. Ich weiß bis heute nicht, wie die Bäcker das hinbekommen. Haben die eine Ausnahmegenehmigung? Oder wohnen die im selben Haus wie ihre Backstube? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Um diese Uhrzeit schlafe ich noch und ich kenne auch keinen Bäcker persönlich.

Die positiven Auswirkungen des Ausgehverbots lagen allerdings auf der Hand: keine betrunkenen Horden mehr, die mitten in der Nacht von irgendeiner Sauftour nach Hause torkelten, dabei Lieder grölend oder was weiß ich für Fanhymnen johlend. Das war früher immer ganz schlimm gewesen am Wochenende, wenn dieser eine städtische Verein spielte. Wie hieß doch gleich diese Sportart mit den Stöcken? Eishockey. Da wachte ich um drei oder vier Uhr aus dem verdienten Schlaf auf, vor allem im Sommer, wenn der Zwang vorherrschte, auf Grund der Hitze bei offenem Schlafzimmerfenster zu nächtigen. Das war jetzt ganz anders. Die Nachtruhe war heilig. Jeder, der illegal auf der Straße angetroffen wurde oder Radau fabrizierte, der kam sofort in Haft. Da wurde gar nicht lange gefackelt, weil das ja klar ist, daß das nicht geht. Die Produktivität des deutschen Arbeiters wird in der Nacht erhalten. Sie wird ähnlich wie eine Batterie neu aufgeladen. Etwaige Störungen sind Sabotage am Wirtschaftswachstum und müssen daher unerbittlich bekämpft werden. Neulich hatte mein Nachbar eine Feier veranstaltet, die etwas zu laut gewesen war. Der war noch am selben Abend abgeholt worden und mußte sich jetzt vor Gericht verantworten. Das war kein Bagatelldelikt, sondern eine ernste Angelegenheit. Dabei war der sonst immer anständig. So kann man sich täuschen.

 

Pazifisten sind Verbrecher.

(gesammelte Zitate des Retters)

VI

„Mein Name ist Rainer Saurer und ich bin Kunstzensor. Meine Aufgabe ist es, neu erschienene Werke zu durchforsten. Sollten irgendwelche Abnormitäten vorkommen, dann werde ich es zensieren, um die Allgemeinheit vor schädlichen oder widerwärtigen Anwandlungen zu schützen.

Letzte Woche habe ich ein Werk vom sogenannten Literaturkekspreisträger Juan-Manuel Rodriguez gesichtet. Da ist von einer, Zitat, 'deutschen Sau' die Rede, was einer unerhörten Lästerung unseres Landes gleichkommt. Natürlich habe ich das Schandwerk sofort auf den Index gesetzt. Das ist klar, weil solche Sauereien lassen wir nicht durchgehen. Das gleiche Schicksal teilt der Haßroman 'Drei kleine Deutschlein' vom Haßschreiber Hans-Joachim Krüger, der bereits in der Vergangenheit negativ aufgefallen war. Dieses Subjekt beschreibt drei Deutsche, die quasi als Witzfiguren dargestellt werden. Der eine korrupt, der andere kriminell, der dritte gar ein Ehebrecher. Ein fürchterliches anti-deutsches Machwerk miesester Gesinnung, das ich sofort der Vernichtung preisgegeben habe.“

„Wie oft kommt das vor, daß ihr einschreiten müßt?“

„Naja, das hängt immer davon ab. Mitunter im Monat zwanzig bis dreißig. Manchmal mehr, zeitweise weniger. Am schlimmsten ist es bei Büchern, weil da ist die zu prüfende Menge groß und da verstecken manche Schmierfinken gern irgendwelche unerlaubten Parolen. Manche machen das so geschickt, daß wir kaum einen Ansatzpunkt finden. Bei Musik ist es recht einfach, da schauen wir uns die Liedstrophen an und sehen recht rasch, wohin die Reise geht. Nehmen wir uns mal einige Komiker vor, die auch sehr häufig ...“

Genau an dieser Stelle klingelte es an der Tür. Ein alter Kamerad von mir stand draußen, der eigentlich aus Teutonia stammte. Er hatte spontan entschieden, mir einen Besuch abzustatten, wodurch der Rest der Fernsehsendung verlorenging.

VII

Der nächste Tag verstrich ohne besondere Vorkommnisse. Anläßlich des Jahrestags der Landesrettung kam im Fernsehen eine längere Berichterstattung, in dessen Verlauf auch eine Rede des Retters folgte, die vom Propagandaminister eingeleitet wurde.

„Liebe Mitbürger, wir gedenken heute einer großen Umwälzung, die unser gesamtes Land betraf und immer noch betrifft. Ihr wißt, ich bin kein Freund langer Vorreden, daher übergebe ich die Rede gleich demjenigen Mann, dem wir all das zu verdanken haben. Unser Heilsbringer, der Retter hat das Wort!“

Bescheiden zurücktretend gab er das Rednerpult frei, an dem sogleich der Retter erschien.

„Deutsche, Bürger, Kameraden, stets war es mir ein Anliegen, die Belange des Militärs zu berücksichtigen. Es ist eine besondere Ehre, mit der Waffe in der Hand für das Vaterland in unverbrüchlicher Treue zu kämpfen. Mir wurde sie bislang nie zuteil, was an der pazifistischen Grundhaltung des alten Regimes lag. Mir wurde verwehrt, was ein Grundrecht von jedem aufrechten Deutschen ist – sich zur Wehr setzen gegen den äußeren Feind als auch gegen den inneren. Ich habe dem Heer seine alte Rolle wiedergegeben, ihr erntet die Früchte dieser Bemühungen. Unser Land ist sicher geworden, niemand wird auf offener Straße überfallen, ausgeraubt oder schlimmeres, wie es früher an der Tagesordnung war. Die Grenzen werden systematisch überwacht, es gelingt fast niemandem ohne unser Wissen einzudringen, genauso wenig wie irgend jemand hinauskommt, ohne daß wir Kenntnis davon haben. Ich möchte Ihnen eine paar bemerkenswerte Zahlen präsentieren, um den beachtlichen Fortschritt zu demonstrieren. Im Jahr 2023, also im letzten vollen Jahr, in dem das alte Regime seinen verderblichen Geifer auf dieses Land spritzen konnte, da kamen im Durchschnitt 18000 Eindringlinge pro Tag über die Grenze, die keine mehr war, weil sie niemand mehr als solche empfand. Unser Land wurde preisgegeben dem Verfall, dem Niedergang und der totalen Vernichtung. Im gesamten vergangenen Jahr wurden lediglich 127 vollzogene Übertritte gemeldet, von denen 103 im Nachhinein doch noch verhindert werden konnten. Das entspricht einem Rückgang ungewollter Eindringlinge um 99,8 %! Das soll uns mal jemand nachmachen. Das Militär war im letzten Jahr des alten Regimes auf 292.000 Mannstärke gesunken. Darunter kamen auch einige tausend Frauen, die damals auch in Kampfverbänden – das muß man sich mal vorstellen – eingesetzt wurden. Wir haben mit dieser Gleichmacherei Schluß gemacht. Die Frau ist für den Kampf ungeeignet, was eine historisch erwiesene Tatsache ist. Sie findet beim Militär Verwendung für Verwaltungsbereiche und im Sanitätsdienst, aber niemals werde ich es zulassen, daß deutsche Frauen mit der Waffe herumlaufen und Krieg spielen. Wir Männer sind Manns genug, um selbst zu kämpfen, so wie wir es seit Jahrtausenden immer getan haben.

Ich habe dank einer gezielten Aufrüstung die Heeresstärke von 292.000, nur damit Sie den Wert im Hinterkopf behalten, auf beachtliche 1,24 Millionen erhöht. Ich habe 900.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, wobei die gestiegene Beschäftigung im sekundären Bereich, also Waffenproduktion, Logistikabteilungen, et cetera, noch gar nicht berücksichtigt sind. Die Zahl der einsatzbereiten schweren Kampfpanzer habe ich gesteigert von 180 auf 740! In den nächsten Jahren werden weitere 2000 Panzer gebaut werden, die unseren Staat unangreifbar machen werden.“

Beifall mit „Lang lebe der Retter“-Rufen unterbrach die Rede für eine ganze Minute.

„Meine Gegner werden mir vielleicht vorwerfen, daß es noch immer Arbeitslose gibt. 37000 sollen es in diesem Monat sein, den neuesten Informationen zufolge. Darauf kann ich nur zur Antwort geben: wer es geschafft hat, 4 Millionen Arbeitslose abzubauen, dem darf man dann nicht spitzfindig vorwerfen, es gäbe noch immer 37000 und er habe nichts erreicht, denn diese Zahl ist absolut lächerlich gegenüber vier Millionen Erwerbslosen. Außerdem muß man dazusagen, daß diese Zahl ohnehin wesentlich höher anzusetzen ist, da viele Scheinerwerbstätige gar nicht als Arbeitslose gelistet worden waren. Heute ist das anders. Da gibt es keine Scheinselbständigen mehr, keine Ein-Mark-Knechte, die als reguläre Werktätige gelten. Unsere Statistiken stimmen, weil wir es gar nicht nötig haben, herumzutricksen. Ich zittere nicht vor der Wahrheit, sondern ...“

„Bravo!“-Rufe übertönten all das, was der Retter noch sagen wollte. Auch mir wurde enthusiastisch zumute, als ich diese Stimmung hautnah erlebte. Zwar nur im Fernsehen in der ersten Sitzreihe, aber immerhin. Der Mann besaß schon Ausstrahlung. Wo wäre das Vaterland, wenn es ihn nicht gäbe? Beherrscht von dekadenten Konzernokraten spätrömischer Art, die nur auf ihr eigenes Heil blickten, während sie die Belange der Massen vergaßen.

„Kommst du zum Essen?“ trat meine Frau ins Zimmer. Ich nickte nur.

 

Das Volk hat abgestimmt und ich werde das Ergebnis umsetzen.

(gesammelte Zitate des Retters)

VIII

Ausnahmsweise erledigte ich nach der Arbeit die Einkäufe, weil meine Frau erkrankt war. Sie hatte mir aufgeschrieben, was wir alles brauchten und wo es das alles zu kaufen gab.

Aus den Lautsprechern, die überall in der Innenstadt aufgestellt waren, plärrten die üblichen Parolen. „Die Gemeinschaft ist alles“, „Arbeite für deine Zukunft“ und „Bildung ist Fortschritt“. Zwischendurch wurde dies aufgeheitert durch belanglose Mitteilungen wie freie oder belegte Parkplätze, die nächsten Gemeinschaftsveranstaltungen oder die aktuellsten Sportergebnisse. Immer, wenn es etwas besonders Erfreuliches zu berichten gab, ertönte eine euphorische Melodie, die im Hintergrund präsent blieb, während eine freudige Stimme mitteilte, daß sich wieder irgendein deutscher Sportler in irgendeiner Disziplin gegen ausländische Konkurrenz eine Medaille erkämpft hatte. Negative Informationen wie etwa gestiegene Taschendiebstähle wurden von einer traurigen Melodie untermalt, wobei ein an Dramatik kaum zu übertreffender Sprecher Konsequenzen für die Zukunft andeutete, die bösen Verbrecher warnte, daß sich der Retter das nicht gefallen lassen würde, die Rache des Volkes drohe und so weiter. Für Touristen hört sich das anfangs sicher ganz nett an, aber die Vorhersagbarkeit dieser Durchsagen reduzierte irgendwann das eigene Interesse dafür, so daß man es kaum noch mitbekam. Lediglich die akustische Information, also ob gerade etwas gutes oder weniger gutes erschallte, das drang noch immer zu mir durch.

Zuerst strebte ich zur Bäckerei an der Ecke, frisches Vollkornbrot für 3 Mark den Laib, die Brezen für 50 Pfennige das Stück. Das hatte ich gar nicht gewußt, daß die im Verhältnis doch recht teuer waren. Aber klar, da hoher Personalaufwand. Die wurden schließlich in Handarbeit gefertigt, wie es das Ernährungsgesetz verlangte. Deutsche Qualität für deutsche Bürger. Anschließend suchte ich den Gemischtwarenladen auf, wobei das „Suchen“ durchaus wörtlich zu nehmen ist. Der war nämlich zwei Straßen weiter, in denen ich noch nie gewesen war. Meine Frau hatte mir aber einen Plan aufgezeichnet, wodurch ich es doch ganz gut fand. Eier, Nudeln, Kartoffeln, Joghurt, Milch, Salat, Gemüse, Äpfel, Birnen, all das kaufte ich dort ein und fühlte mich danach wie ein Packesel. Erstaunlich, was meine Frau alles leistete. Noch ein weiteres Geschäft fehlte – die Metzgerei. Dort erwarb ich Schweinefleisch, diverse Würste und ganz wichtig: Leberkäse. Außer mir hatten in allen Läden nur Frauen eingekauft, weshalb ich mich etwas seltsam dabei fühlte. Dennoch fand ich das alles sehr interessant, was es da so alles gab. Normalerweise wünschte ich mir halt dieses oder jenes und das stand dann fertig auf dem Tisch, zubereitet von meiner Frau. Wie nun die Auberginen im Urzustand aussahen, das war mir gar nicht so bewußt gewesen. Oder daß Radieschen an so komischen salatähnlichen Pflänzchen hingen. Wahrscheinlich lag das tatsächlich daran, daß verheiratete Männer bisweilen den Kontakt zur Basis etwas verlieren. Essen zubereiten ist schließlich Frauensache. Dank dem Retter wurden die Geschlechterrollen verstärkt betont. Das Arbeitszimmer der Frau ist die Küche. Dem Manne ist es dank seiner Körperkraft zumutbar, im Bergwerk zu malochen. Die Frau ist wegen ihrer Sanftheit prädestiniert als Krankenschwester. Der Mann leistet vorbildliches in der Fabrik. Diese und ähnliche Weisheiten erklangen immer wieder mal aus den städtischen Lautsprechern.

Der Mann ist die Krone der Schöpfung, was ihn verpflichtet, denn er muß seine Rolle einnehmen, auch wenn sie härter ist. Die Frau hingegen verdient auf Grund ihrer körperlichen und geistigen Durchschnittlichkeit Schonung, die wir ihr in unserem Großmut gewähren. Wir sind keine Barbaren, die beiden Geschlechtern unabhängig ihrer spezifischen Fähigkeiten dieselbe Last auferlegen.

Im Fernsehen kam auch jeden Mittwoch eine Dokumentation, die sich mit dem widerwärtigen Frauenbild des Vierten Reiches befaßte. Dabei wurde jede Woche ein anderer Teilaspekt dargestellt. Wirklich grauenhaft, was den Frauen damals alles zugemutet worden war. Sie mußten Männerarbeit verrichten und bekamen dafür weniger Geld, wurden von den Kapitalisten gnadenlos ausgebeutet und konnten nicht mal mehr Kinder bekommen, aus Angst vor Nachteilen in ihren Berufen. Die hemmungslose Unterdrückung der Frau durch das System war durch den Retter beendet worden. Meine Frau war noch zu jung, um das selbst erlebt zu haben, aber von ihrer Mutter wußte ich, daß das eine schlimme Zeit gewesen war. Dem Minister für Volksgemeinschaft unterlag es heutzutage, dafür zu sorgen, daß Frauen alle Möglichkeiten hatten, die ihnen liegenden Tätigkeiten auszuüben. Unterbrechungen, auch für längere Zeit, im Falle der Mutterschaft waren dabei überhaupt kein Problem. An erster Stelle stand die Familie, das Wohl der Nachkommen, dann kam lange nichts und dann erst die Arbeit. In dieser Hinsicht hatte das neue System grandiose Fortschritte für die Gesellschaft erreicht. Kein Konkurrenzdenken mehr zwischen den Geschlechtern, sondern ehrliche Kooperation. Die Frau übte Berufe aus, die sie durch ihre biologischen Eigenschaften einfach besser erledigen konnte. Sie fand ihren Wirkungsbereich in Krankenhäusern, in Gaststätten, Hotels, in der Verwaltung, der Kindererziehung und im Sozialwesen allgemein. Zum Teil auch in der Feldwirtschaft, denn die Ernährung ist die Grundlage allen Lebens und betrifft daher beide Geschlechter. Daher ist es auch vertretbar, daß sich beide daran beteiligen. Es gibt selbst in der Viehzucht genügend Möglichkeiten, sich auch als Frau zu betätigen. Arbeiten, die körperlich nicht zu schwer sind. Leider fanden sich hierfür nicht genügend Freiwillige, wodurch sich das Ministerium genötigt sah, entsprechende Kontingente von Frauen zu ihrem Glück zu zwingen, weil das eben erforderlich ist, um die Ernährung des Volkes zu sichern. Da gibt es dann kein „könntet ihr vielleicht“, „würdet ihr bitte“ oder „macht euch das was aus“, sondern da heißt es „zack bumm, das muß getan werden“, da die deutschen Frauen Frau genug sind, um einzusehen, daß das, was nötig ist, auch zu geschehen hat. In dieser Angelegenheit von Zwangsarbeit zu sprechen wäre sicherlich völlig falsch, denn rein rechtlich unterstehen schließlich alle Deutschen dem Ministerium für Beschäftigung, auch solche, die indirekt bei Privatfirmen arbeiten. So gesehen handelt es sich um ein besonders freies Beschäftigungsverhältnis, da die Wünsche der allermeisten Arbeiter in bezug auf ihre Beschäftigung, sowohl was den Ort angeht als auch die genaue Tätigkeit, fast immer berücksichtigt werden können. Wo gibt es denn so etwas in der ausländischen Privatwirtschaft? Das kann man folglich nur als weltbestes Arbeitssystem bezeichnen, alles andere wäre üble Nachrede oder gar Verleumdung. Manche Arbeiten müssen natürlich zugewiesen werden, sei es auch nur temporär, bis sich das natürliche Gleichgewicht eingestellt hat. Anders funktioniert es nicht. Das ist eben so. Freilich erwähnen das die Kritiker nicht und sie gehen auch mit keinem Wort darauf ein, daß jeder Deutsche praktisch eine Arbeitsplatzgarantie besitzt. Wem eine Tätigkeit zugesichert worden ist, der ist nahezu unkündbar. Das gibt es in dem Ausmaß nirgendwo auf der Welt. Früher gab es das mal in

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.06.2017
ISBN: 978-3-7438-1966-5

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