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Der Maulwurf

Simon trank einen kräftigen Schluck von seinem Kaffee. Schwarz. Wie immer. Eigentlich bevorzugte er Milch, doch diesen abgestandenen Milchbrei der im Tetrapack schlummerte würde er ganz bestimmt nicht anrühren. Zum Glück war das sein letzter Tag in diesem grässlichen Betrieb. Auch wenn das durchschnittliche Gehalt wirklich bemerkenswert war, merkte jeder der mehr als fünf Minuten in dem grauen Kasten verbrachte, wo gespart wurde: Am Komfort und an der Arbeitnehmerfreundlichkeit.

Keine Klimaanlage im Sommer, die Stühle hatten ihre besten Tage hinter sich und die Technik war unglaublich veraltet. Er grinste in sich hinein. Der letzte Punkt war zu seiner vollsten Zufriedenheit, auch wenn er sich jedes Mal fragte wie eine moderne Versicherungsgesellschaft solche potentiellen Sicherheitslücken zulassen konnte. Oder waren sie denn wirklich potentiell? Simon schmunzelte und erhob sich von seinem quietschenden Bürostuhl, was Pacman leider dazu verleitete sich in Pinky hinein zu beißen und Geister schmeckten dem gelben Kerl leider gar nicht gut.

Ungeachtet dieses grausamen Mordes begab er sich zum Männerklo. Auch hier wurde an allen Ecken gespart, vor allem an einer Putzfrau. Die Nase rümpfend musterte er sich im Spiegel, zog seine Krawatte gerade und richtete seinen angeklebten Schnurrbart. Immer wieder staunte er darüber, wie echt er aussah und seine schwarzhaarige Perücke stand ihm in nichts nach. Trotz dieser Authentizität war er froh, diese Dinge bald nicht mehr tragen zu müssen, denn er sah aus wie ein Möchtegern-Mexikaner. Passend dazu sein Name, den sich seine Kollegen ausgedacht hatten: Pablo de Silva. Ein diabolisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Schon morgen würde er wieder bei ihnen sitzen und die sollten sich warm anziehen. Martin würde über seinen neuen Namen staunen.

Er griff in seine Hosentasche und tastete ob alles vorhanden war, was er dafür benötigen würde und sogar der kleine Maulwurf aus Salzteig wartete auf seinen großen Auftritt. Auch wenn er seine Freundin liebte, sie hatte wirklich einen Schaden. Jedes Mal, wenn der letzte Tag gekommen war, war sie kurz vorm durchdrehen, als ob er aus einem Flugzeug springen würde. Aus 10.000Metern Höhe. Ohne Fallschirm. Über einem Betonfeld. Und dieses Mal gab es sogar noch diesen seltsamen Glücksbringer beim „Du wirst sterben“-Paket. Nächstes Mal gibt’s dann 'ne gestrickte Krawatte, dachte er finster.

Seufzend überprüfte er noch mit einem letzten Blick seine Verkleidung und rückte noch einmal seine Sonnenbrille zurück. Schnellen Schrittes verließ er diese Miefkammer und machte sich auf dem Weg zu seinem Schreibtisch. Nahezu auf die Sekunde schob sich der Stundenzeiger auf die Zwei und ein einvernehmliches Seufzen ging durchs gesamte Kollegium. Jeder schnappte sich seine Sachen und verließ dieses stickige Büro für diese eine wundervolle Stunde Freizeit. Jeder. Außer natürlich Bernd, dem Muttersöhnchen, der seine Super Mario-Lunchbox herausholte. Simon konnte sich täglich aufs neue darüber wundern, was für eine Kreatur am anderen Ende des Raumes saß.

Der Mann mit den langen, roten Haaren war einfach das Vorzeigebeispiel für einen Vollnerd – und Simon hatte immer gedacht, diese gäbe es nur im Mittagsfernsehen gewisser Privatsender. Er hatte ja nichts gegen Kerle die mehr Stunden als nötig vor der Konsole hockten, ein Verweigerer dieses Konsumguts war er nun auch nicht, aber auf die Hygiene achten sollte ja nun wirklich drin sein. Was Simon wieder zu seiner Verkleidung brachte, wegen diesem Flohteppich auf seinem Kopf konnte er sich 3mal täglich die Haare waschen ohne ein Gefühl der Besserung zu bekommen und den Schnurrbart durfte er jeden Abend ausbürsten. Wieder stiegen die Mordgelüste auf Martin und Thomas, die sich diese Sache ausgedacht hatten.

Ohne weiter über diese Dinge zu Grübeln schnappte sich Simon seinen Rucksack und nickte Bernd zum Abschied. Langsam lief er auf den Fahrstuhl zu und hielt Ausschau nach Personen, die Verdacht schöpfen könnten und wie auf Zuruf erschien die Sekretärin des Chefs vor seiner Nase. „Was tun sie denn in der niedrigen Bedientenschicht“, scherzte er und steckte die Hände in die Hosentasche. Dabei verzichtete er natürlich nicht auf seinen mexikanischen Akzent, den konnte er wohl schon ziemlich gut, zumindest hatte ihn eine – anscheinend echte – Mexikanerin neulich auf ihrer Landsprache angesprochen, nachdem sie ein Gespräch mit einem Kollegen belauscht hatte. Zum Glück hatte Simon Spanisch in der Schule und hatte etwas wie „Ich gehen zur Geflügelsuppe hinter schwimmen Herpes kochen Rinderfilet“ gebrabbelt. Irgendwie hatte ihm das Mädchen leidgetan, das ihn „leicht“ irritiert angesehen hatte, doch was fiel ihr auch ein, seine Tarnung zu gefährden?

„Sie sind ein solcher Witzbold“, sie rollte mit den Augen, „Aber sie haben irgendwie Recht, freiwillig bin ich bei so Unwürdigen wie ihnen nicht.“ Sie fuhr sich sehr dezent durch ihre kurzen blonden Locken und klimperte mit ihren viel zu offensichtlichen angeklebten Wimpern. Simon wurde beinahe schlecht, diese Frau war so unglaublich eingebildet. Nur weil sie mit dem Chef schlief und dadurch auf sogenannte Geschäftsreisen durfte und ihr Gehalt vermutlich das einer richtigen Sekretärin um Lichtjahre übertraf. „Ist ihr Freier“, er räusperte sich, „Ich meine natürlich, unser Chef, anwesend?“

„Hat man ihnen in Mexiko keine Manieren beigebracht? Ach, was rede ich denn da, da bekommen sie doch eh nur gezeigt, wie man Koks kocht“, meinte sie pikiert. „Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier, sondern hätte eine kleine Villa auf einer karibischen Insel.“ Schnaubend drückte Isabella auf die Fahrstuhltaste. „Aber der Chef ist außer Haus, sie können ihnen also nicht mit Taco-Rezepten belästigen“, fauchte sie bevor sie einstieg.

Schulterzuckend wartete Simon bis sich die Türen schlossen, er war erstaunt. Isabella, Mätresse von und zu Dummhausen wusste tatsächlich das Tacos zu Mexiko gehören. Wenn er noch länger hier arbeiten würde, würde er ihr wohl einen Keks mitbringen. Als er sich ihr dümmliches Gesicht bei diesem Geschenk vorstellte, verzerrte sich sein Mund zu einem breiten Grinsen.

Simon mahnte sich zur Selbstbeherrschung, schließlich war seine Zeit begrenzt. So betrat er den nächsten, leeren, Fahrstuhl und fuhr in die höchste Etage, woraufhin er ihn mit einer einfachen Tastenkombination blockierte. Sein Weg führte ihn zielstrebig auf das Büro des Oberhauptes dieses Idiotenvereins. Gerade noch rechtzeitig erinnerte sich daran Handschuhe überzuziehen, als er den zaghaften Versuch ausübte, die Türklinke herunterzudrücken und zu seiner Verwunderung schwang sich die Tür tatsächlich auf. Mit hochgezogener Augenbraue lugte er vorsichtig in das Zimmer und es war tatsächlich keine Sterbensseele anwesend. Das Wort „Sicherheit“ kennen die Idioten tatsächlich nicht, dachte er amüsiert und hoffte, Martin hatte es geschafft, die Kameras zu manipulieren.

Ohne weiter zu zögern machte sich der Mexikaner in spe an die Arbeit und ließ sich in den Chefsessel fallen, der entgegengesetzt der Möblierung die für die Beschäftigten zur Verfügung stand, unglaublich bequem war. Nach wenigen Minuten war der PC vor ihm hochgefahren und die wichtigen Dokumente gespeichert – und Simon konnte es nicht fassen: Sie waren mit Passwörtern geschützt. Was den Dateien aber auch nicht viel helfen würde, schließlich war XP leider kein Diamant für seine Hacker-Spitzhacke, die er in Form eines USB-Sticks im PC versenkte. Minecraft verseucht den Geist, dieser Vergleich hinkt ja hinten und vorne, dachte er resignierend und fing an, einige Code-Zeilen einzugeben.

Wie erwartet knackten sich die Passwörter in wenigen Sekunden, vermutlich waren sie einfallsreich wie „Passwort“ oder „1234“ gewesen. Simon schob seine Brille wieder auf ihren gedachten Platz und fing an die Dateien zu kopieren, was sich nun ziehen würde, weshalb er anfing, die nächsten Befehlszeilen einzutippen. Noch im Tipprausch hörte er plötzlich Schritte und erst jetzt bemerkte er ein kleines rotes Lämpchen, welches aufgeregt blinkte.

Geistesgegenwärtig rannte er zur Tür und verschloss sie, nahm den Bürostuhl und verkantete damit zusätzlich die Türklinke. Er hoffte, diese Kerle auf dem Flur würden nicht direkt auf die Idee kommen, mit schwerem Geschütz aufzutreten. Der Adrenalingehalt in Simons Blut explodierte und aufgeregt wippte er vor dem Bildschirm auf und ab. Quälend langsam zog sich der grüne Balken über den Bildschirm und er hörte bereits erste Stimmen, die ihn ermahnten herauszukommen. Er schmunzelte über die langen Atempausen und fragte sich, wie viele Stockwerke sie die Treppen heraufgerannt waren.

Die ersten Versuche der Männer die Tür zu öffnen waren erfolglos und wie im Wahn tippte der Hacker Zeile um Zeile in die Konsole und betete zum Pizzagott, dies möge glücklich für ihn ausgehen. Er merkte, wie sie energischer versuchten, das Hindernis das zwischen ihnen stand zu durchbrechen und die Schweißperlen rannen ihm den Nacken hinab. Er hörte bereits die ersten Holzfasern splittern und just in diesem Moment war der Vorgang vervollständigt. Hastig riss er den USB-Stick heraus und schlug seine Hand auf die Entertaste.

Dann gab die Tür mit einem letzten, kläglichen Widerstand nach und mit ihr der Bürostuhl, hastig marschierten die Männer ins Zimmer, wo sie doch nicht das vorfanden, was sie sich erhofft hatten. Rauch vernebelte ihre Sicht und blockierte ihre Atemwege.Langsam, aber beständig sank einer nach dem Anderen zu Boden. „Schlaft schön“, murmelte Simon freudig, der er es gerade noch geschafft hatte, seine Gasmaske aufzuziehen.

Mit einem Sprint erreichte er seinen persönlichen Fahrstuhl – anscheinend war keiner dieses Spezialkommandos Fahrstuhlmechaniker, welch glücklicher Zufall. „Weißer Adler an Maulwurf“, ertönte es aus Simons Rucksack, als dieser gerade die richtigen Tasten gedrückt hatte. Wenig begeistert holte er das Walkie-Talkie aus seiner Tasche und drückte den Sprechknopf. „Simon an Vollidiot, alles ist glatt gegangen“, brummte er. „Ich weiß gar nicht, was du gegen meine Namen hast“, hörte er einen beleidigten Thomas an der anderen Leitung. „Sie kommen von dir, da kann nichts Vernünftiges bei rum kommen“, neckte er ihn und grinste in sich hinein.

„Aber deine Verkleidung war doch auch meine Idee“, versuchte sich der Mann durch das kleine Gerät zu rechtfertigen. „DAS nimmst du als Verteidigung? Das einzige was ich von diesem Aufzug bekomme, sind Mordgedanken“, knurrte Simon. „Nicht alle meine Ideen sind schlecht“, schluchzte sein Freund täuschend echt und ihm blieb nichts anderes übrig, als nachzugeben. „Die Gasbomben waren tatsächlich eine gute Idee“, lenkte er ein und der Fahrstuhl blieb stehen.

Von dem Ort an dem Simon nun ausstieg, wussten wohl nur die Wenigsten, vermutlich nicht mal Isabella, denn ein Bordell gab es hier nicht. Die Türen öffneten sich und gaben den Blick frei auf eine weitläufige Tunnelpassage, die spärlich durch Leuchtstoffröhren erleuchtet war, welche sich in Spinnennetzen versteckten. Zügigen Schrittes ging Simon durch dieses Labyrinth und stieß schlussendlich auf den schwarzen Van, in dem Thomas auf ihn wartete. Mit einem Satz war er eingestiegen. Kopfschüttelnd sah er zu seinem Freund, der noch immer vor sich hin schmollte.

Erleichtert sah er aus dem Fenster, als sich der Wagen in Bewegung setzte und betrachtete dieses Tunnelnetz genauer. Es war eine Verbindung verschiedener Gebäude, wenn er es richtig verstanden hatte, um bei Falle eines Anschlages Polizei schneller an den Ort des Geschehens und gefährdete Personen schnell fort zu bringen. Bei diesen Person zählten natürlich nur Menschen mit einem Jahresgehalt über 200.000€ als gefährdet.

Schmunzelnd warf er einen letzten Blick auf die Gänge, als sie das Tageslicht erreichten, was in seinen Augen brannte. Vielleicht war der Begriff „Maulwurf“ ja doch ganz treffend. Was Thomas mit „Weißer Adler“ hatte, wusste Simon aber trotzdem nicht.

 

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 19.03.2015

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