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Vorwort

 

 

 

Are you my god,

And I am your slave?

Or I am God,

And you better been dead?

~To Hell with Hallelujah~

Mephistopheles

Manson

Prolog

 

Wütend zerrte ich meine Kette über den Kopf und warf sie in die Ecke. Es war so frustrierend. Vor drei Jahren hatte ich meine Band >>Black Poets<< gegründet, und seitdem war ich kein Stück weiter gekommen. Wir reisten von Staat zu Staat, nur um ein paar Auftritte in irgendwelchen Clubs zu ergattern und bei jedem Auftritt hatte ich die Hoffnung, dass uns jemand von einer Plattenfirma entdeckte. Doch bis jetzt war das genauso erfolgslos wie unsere Bewerbungen an verschiedene Plattenfirmen. Aber ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Heute waren wir in Los Angeles, und hatten in einer Absteige namens >Sixt< gespielt. Das Publikum war spärlich gewesen, der Applaus kam eher aus Mitleid, als aus Begeisterung.

Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Schnaubend fuhr ich mir mit den Fingern durch meine dichte, schwarze Haarmähne und blickte mich suchend um. Nur zu gerne würde ich meinen Frust an etwas oder jemanden auslassen, aber mir war bewusst, dass dies die Situation auch nicht verbessern würde.

Fast genauso sauer wie ich kam mein zweiter Gitarrist, Jack, in den Aufenthaltsraum gestolpert. Abgesehen von mir war er mit Abstand eines der exentrischen Mitglieder der Band. Er hatte seine schwarzen Haare halb blau gefärbt und sah allzu oft aus wie eine wilde Mischung aus Animefigur und bösartigem Rockstar.

Kopfschüttelnd ließ er sich auf die ramponierte Couch fallen und griff nach der halb leeren Wodkaflasche. Wie immer folgte unsere Bassistin Jen ihn auf Schritt und Tritt. Sie war eher unscheibar. Klein, dünn, langweiliges Gesicht, und ihre Oberweite war nicht so groß, dass es irgendwie ihr Aussehen aufpeppen konnte. Aber an ihrem Instrument war sie die Beste, und ich würde sie auch nicht mehr gehen lassen. Sie setzte sich neben Jack und legte ihm tröstend die Hand auf den Arm.

Lachend schob Terry die Tür auf und kam ins Zimmer gehüpft. Mein Drummer war ein unverbesserlicher Optimist. Er war ständig am Lachen und sah in jeder Situation das Beste. Sandblonde Haare fielen ihm in die Augen und er warf mir die Arme um den Hals.

"Ich fand den Auftritt gut. Du warst klasse, Mephi!" Seine fröhliche Laune heiterte mich ein wenig auf, und ich schob ihn grinsend ein Stück zur Seite.

"Danke. Du warst auch super. Und diesmal hast du deine Sticks nicht verloren!" Terry kicherte und sprang förmlich zur Couch hinüber und setzte sich neben Jen. Aber keiner von uns war so ein Blickfang wie mein erster Gitarrist, Chris.

Er war groß, beinahe zwei Meter maß er, und hatte engelsgleich gelockte, blonde Haare. Und dazu besaß er auch noch zwei saphirfarbende Augen, zu denen noch kein Mädchen hatte nein sagen können. Als damit auch das letzte Mitglied meiner Band da war, ging ich zu meiner Sporttasche, die in einer verlassenen Ecke stand, und angelte eine große Flasche Jack Daniels zwischen den Klamotten hervor. Heute würde ich mich endlich mal wieder besaufen und für ein paar Stunden vergessen, dass mir ständig der Erfolg vor der Nase weglief. Chris schien das gleiche zu denken, denn er schnappte Jack die Wodkaflasche aus der Hand und nahm einen tiefen Zug.

Ich versuchte währenddessen, den Verschluss von meiner Flasche zu schrauben, was gar nicht so einfach war. Gerade, als ich aufgeben und den Flaschenhals abschlagen wollte, gab es ein leises Klacken, und ich konnte den Verschluss abschrauben. Zufrieden stürzte ich das Zeug hinunter und hörte erst auf, als ein gutes Viertel der Flasche vernichtet war.

Ein wenig fröhlicher setzte ich mich auf die überfüllte Couch und trank weiter.

"Ich weiß nicht, warum wir keinen Erfolg haben", rief ich plötzlich und stellte die Flasche härter als beabsichtigt auf den niedrigen Tisch.

Chris neben mir zuckte die Schultern und lehnte sich lässig zurück. "Der Erfolg wird schon noch kommen."

Ich stieß ein ungläubiges Schnauben aus und zog die Flasche wieder zu mir heran.

"Wenn wir alle so aussehen würden wie du, wäre klar, dass wir Erfolg hätten."

In Chris' Augen blitzte so etwas wie eine Idee auf, aber es war so schnell vorbei, dass ich dachte, ich hätte es mir nur eingebildet.

Ich vernichtete fast die gesamte Flasche, bevor ich mehr als betrunken aufstand. Mitleidig schaute Terry mich an, und Jen sprang sofort auf die Füße.

"Soll ich dir helfen?"

Ich schüttelte nur verneinend den Kopf, denn ich hatte die unbestimmte Befürchtung, dass ich auf den Boden kotzen würde, sobald ich den Mund aufmachte. Schwankend taumelte ich an den Gitarrenständern vorbei auf die Tür zu. Ich brauchte ein paar Anläufe, um die Türklinke auch wirklich zu finden und herunterzudrücken. Die Luft draußen war eisig und biss förmlich in meine Haut. Ein wenig zitternd senkte ich den Kopf und stapfte die überfüllte Straße hinunter. Und von diesem Moment an wusste ich nichts mehr.

1.Kapitel

 

Mein Schädel dröhnte, als wolle er jeden Moment in tausend Einzelteile zerspringen. Kopfschmerzen waren für mich nicht das Schlimmste an einem Kater. Die Schmerzen bekam man mit Eiswasser oder einem Schnaps in den Griff. Ich hasste das Gefühl, eine getragene Sportsocke im Mund zu haben. Stöhnend hielt ich mir die Hände über die Augen und drehte mich auf die Seite. Ich hatte keine Ahnung, was gestern passiert war. Ich wusste nur noch, wie ich aus dem Aufenthaltsraum des >Sixt< gestolpert war, und von da an war alles schwarz. Etwas Spitzes stach in meine Wange und ich öffnete verwirrt die Augen.

In meinem Blickfeld war ein Haufen Äste. Irritiert stemmte ich mich auf die Knie hoch und blickte mich um. Entsetzt stellte ich fest, dass ich keineswegs den Weg zurück ins Hotelzimmer gefunden hatte, sondern inmitten von einem Haufen abgeschnittener Ästen gelandet war. Neben mir führte ein kleiner Abhang nach oben. Wahrscheinlich war ich betrunken in einen Straßengraben gefallen. Fragt sich nur noch, warum ich aus der Stadt gelaufen war.

Schwankend kam ich auf die Füße und versuchte mir erst einmal die Erde von den Händen zu wischen. Meine Mühe wurde damit belohnt, dass der Dreck sich nur noch mehr verteilte, und ich gab es erstmal auf. Mühsam kletterte ich den Graben hoch und blickte mich erneut um. Vor mir erstreckte sich ein Feld von ordentlichen, gepflegten Gräbern. Mein Magen rutschte in die Gegend meiner Kniekehlen.

Warum zum gottverdammten Teufel war ich auf einem Friedhof? Verwirrt rieb ich mir den Hals. Ich spürte einen leichten Stich an der Stelle, an der sich meine Finger befanden. Konfus schüttelte ich den Kopf und ging nach vorne. Ich wollte nur noch zurück ins Hotel, ein Glas Eiswasser trinken und mich aufs Ohr hauen.

Der Friedhof lag ein gutes Stück abseits der Stadt. Es war ein verdammt warmer Tag, und schon nach ein paar Metern begann ich zu schwitzen. In diesem Moment schwor ich mir, mich nie wieder dermaßen zu betrinken. Ich brauchte zwei Stunden, um das schäbige Hotel zu erreichen, in dem wir wohnten. Die Fassade blätterte ab, und es fehlten einige Buchstaben am Namenszug. An der Rezeption war auch wie sonst immer keiner. Gähnend stand ich vor der Aufzugtür und drückte auf den Rufknopf.

Fünf Minuten wartete ich vergeblich. Es war irgendwie klar gewesen, dass der Aufzug nicht funktionierte. Auf alle Absteigen dieser Welt fluchend nahm ich die Treppe in den dritten Stock. Die Tür war nur angelehnt, und ich seufzte innerlich auf. Ich konnte mein Bett förmlich riechen. Ich war gerade erst durch die Tür getreten, als etwas Kleines auf mich zusprang und mich stürmisch umarmte.

Verwirrt stolperte ich einen Schritt zurück.

"Oh Mephisto. Wo warst du denn solange? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!"

Ungelenk täschelte ich Jens Rücken und blickte mich um. Auf dem ramponierten Bett saßen Jack und Terry und sahen mich besorgt an. Den Einzigen, den ich nicht sah, war Chris.

"Mir gehts gut, keine Sorge, Jen. Wieso so lange? Ich war doch nur ein paar Stunden weg. Die Sonne geht doch schon wieder auf."

Jen ließ mich endlich los und schaute mich mit großen Augen an.

"Du warst drei Tage lang weg, Mephisto. Wir haben dich nirgendwo gefunden. Was ist mit dir passiert? Wie siehst du eigentlich aus?"

Verwirrt fuhr ich mir mit den Fingern durchs Haar und ging an Jen vorbei zum Bett. Jack packte mich am Arm und zog mich neben sich auf die Matratze.

"Drei Tage? Und ihr verarscht mich nicht?"

Diesmal antwortete Terry, während Jen sich auf eines der drei Sitzkissen am Boden setzte.

"Wir würden dich doch nie verarschen, Mephi. Du warst drei Tage lang weg. Wir sind fast krank vor Sorge geworden. Chris ist noch unterwegs und sucht dich. Und Jen hat Recht. Wie siehst du aus? Wo warst du denn?"

"Ich hab keine Ahnung, Leute. Ich bin eben aufgewacht und sofort hier hin gelaufen. Ich muss ins Bad." Ohne auf eine Antwort zu warten, stand ich auf und ging in das kleine Badezimmer, dass direkt an mein Schlafzimmer angrenzte. Vereinzelte Fliesen waren zu Boden gefallen, irgendjemand hatte den Handtuchhalter abgeschraubt und die Steckdose hing beinahe am Boden. Jetzt wollte ich endlich wissen, was sie alle meinten mit:>Wie siehst du denn aus?<.

Ich stellte mich vor den großen Spiegel. Feine Risse zogen sich über das Glas, und hier und da fehlten ein paar Scherben. Aber ich konnte mich noch gut erkennen.

Meine Jeans war zerrißen und mit Erde beschmiert, mein T- Shirt sah auch nicht besser aus. Alles in allem sah ich ziemlich zerschlagen aus. Zweige und Blätter hingen in meinem Haar, ich war blass wie ein Betttuch, die Augenringe reichten mir fast bis zu den Knien. Was ich brauchte, war eine heiße Dusche. Vielleicht fiel mir dann ein, was ich die letzten Tage gemacht hatte.

Etwas ungeschickt befreite ich mich von meinen Klamotten und kletterte in die schmale Duschkabine. Hoffnungsvoll drehte ich das warme Wasser auf und wartete. Zuerst kam gar nichts, doch plötzlich rumorte es und ein Strahl braunes Wasser schoß hervor. Krachend schlug der Duschkopf auf den Kabinenboden auf und die braune Brühe spritzte durch die Gegend. Fluchend drehte ich das Wasser ab und hob den Duschkopf auf. Vorsichtshalber hielt ich das Ding weit genug von mir weg, um im Falle eines Falles nicht mit der Brühe in Berührung zu kommen. Langsam drehte ich das Wasser erneut auf und diesmal kam klares Wasser. Erleichtert hielt ich mir behilfsmäßig den Duschkopf über den Kopf und versuchte, den Dreck loszuwerden. Mit Mühe bekam ich die Zweige aus meinem Haar. Überall hatte ich kleine Schnittwunden, Schrammen und Blutergüsse. Zuerst fiel es mir nicht auf, doch dann sah ich plötzlich, wie die Wunden sich schloßen. Mit wachsendem Interesse sah ich zu, wie die Blutergüsse und blaue Flecken blasser wurden und schließlich ganz verschwanden. Schnitte und Schrammen verheilten sekundenschnell und alles, was zurückblieb, war schneeweiße Haut. Verwirrt drehte ich das Wasser ab, kletterte aus der Dusche und begutachtete mich erneut im Spiegel.

Alle kleinen Wunden waren vollkommen verschwunden, ebenso wie meine Augenringe. Ich trat näher an den Spiegel heran und fuhr mir erneut mit der Hand durchs Haar. Plötzlich erinnerte ich mich an das Stechen an meinem Hals. Langsam drehte ich den Kopf und schob mir das Haar über die Schulter. Genau dort, wo meine Halsschlagader war, befanden sich zwei Löcher. Entsetzt drückte ich mit den Fingern auf die Löcher und spürte erneut einen stechenden Schmerz. Was war in den letzten drei Tagen nur passiert? Verzweifelt legte ich die Hände hinter meinen Kopf und schaute mir selbst in die Augen. Und da sah ich etwas, was mich wirklich umhaute. Ich hatte normalerweise goldene Augen, was mir immer eine gewisse Aufmerksamkeit einbrachte. Meine schönen, goldenen Augen waren verschwunden. Nun waren sie dunkelbraun, beinahe schwarz. Erst dachte ich noch, dass ich mir im Vollrausch Kontaktlinsen zugelegt hatte, doch nichts. Meine Augen waren wirklich dunkelbraun. Und in diesem Moment der Erkenntnis tat ich etwas, was ich noch nie gemacht hatte: ich fiel in Ohnmacht.

 

Eine Hand traf mich hart auf der Wange und ich riss die Augen auf. Prüfend schaute Jack mich an, hob dann den Kopf und rief:"Er ist wieder wach!" Ich hörte Jen im Hintergrund schluchzen, als ich mich aufsetzte. Zuerst wusste ich nicht, was ich auf dem Boden zu suchen hatte, doch dann fiel mir alles wieder ein. Zeitgleich fiel mir auch noch ein, dass ich keine Klamotten trug.

"Krieg ich bitte ein Handtuch?", fragte ich etwas verschämt. Grinsend hielt Terry mir ein weißes Tuch hin, und ich wickelte es mir notdürftig um die Hüften. Jen stand in der Badezimmertür und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Herzerweichend schluchzte sie und ihre Schultern zitterten heftig.

"Jen, gehst du bitte raus und setzt dich irgendwohin? Ich muss mich anziehen."

Ich wollte nicht unhöflich sein, aber ich wollte nur noch frische Kleidung anziehen und mir darüber klar werden, was mit mir geschehen war. Jen schluchzte noch lauter und stürmte aus dem Badezimmer.

"Sei nicht so gemein. Sie macht sich nur Sorgen." Jack half mir auf die Beine und warf mir einen leicht angepissten Blick zu.

Ich enthielt mich einer Antwort und suchte im kleinen Schrank des Badezimmers nach Kleidung. Ich fand halbwegs frische Sachen und zog mich so schnell wie möglich an. Jedem würde wohl klar sein, was passiert war, wenn man mit zwei Löchern im Hals aufwachte. Entweder Vampire waren real, und ich war von einem angefallen worden, oder irgendein Irrer mit Vampirzähnen hatte mich gebissen. Aber das erklärte nicht, warum meine Wunden plötzlich verheilt waren.

Ich wusste, wenn ich Jack oder Terry von meinem Verdacht erzählen würde, würden sie vermuten, ich hätte mir nur eine amtliche Ladung Koks reingezogen und halluzinierte jetzt.

Ich ging zu Jen ins Wohnzimmer.

"Komm Kleines, alles ist gut. Geh in dein Zimmer und schlaf dich aus." Tröstend strich ich ihr übers Haar und half ihr auf. Ich war todmüde und wollte unbedingt schlafen. Aber mit den anderen im Zimmer ging das schlecht. Jack verstand mich wohl, denn er packte Terry am Arm und zerrte ihn aus meinem Zimmer. Zitternd stand Jen vor meiner Tür.

"Pass auf dich auf, ja, Mephisto?"

Ich schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

"Sicher doch. Ich pass doch immer auf."

Nachdem Jen sich umgedreht hatte, schloss ich die Tür und taumelte zum Bett hinüber. Wie erschlagen fiel ich ins Bett und pennte augenblicklich ein.

Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als ein brennender Schmerz an meinem Arm mich aufweckte. Blinzelnd öffnete ich die Augen und hob den Kopf. Sonnenlicht fiel in den Raum und tauchte meinen Arm in helles Licht. Brandblasen bildeten sich auf meiner Haut und rasende Schmerzen tobten in mir. Jaulend riss ich den Arm zurück und drückte ihn zitternd an meine Brust. Mit Mühe hielt ich aufsteigende Tränen zurück. Ich war müde, ich war kaputt, ich hatte noch immer rasende Kopfschmerzen und war zu allem Übel anscheinend auch noch ein Vampir.

Blieb nur noch die Frage, wann ich Hunger auf Blut bekam.

2. Kapitel

 

Leise fluchend wickelte ich einen Verband um die verbrannte Stelle an meinem Arm. Auch wenn ich es kaum glauben konnte, hatte ich doch die Befürchtung, dass die Sache mit dem Vampir wahr war. Testweise musterte ich mich mal wieder im Spiegel. Meine Augen waren zwar wieder golden, aber trotzdem war die Farbe doch anders. Fast so intensiv wie die Saphiraugen von Chris.

Plötzlich klopfte es an der Tür und ich zuckte erschrocken zusammen. Stöhnend schlurfte ich ins Schlafzimmer, wich dem schmalen Lichstreifen aus, der durch die Vorhänge fiel und öffnete die Tür. Vor mir standen Jack, Jen und Terry, jeder eine Tüte vom Bäcker in den Händen. Jetzt konnte ich wenigstens austesten, ob ich auch noch normales Essen zu mir nehmen konnte.

"Kommt rein, aber lasst die Vorhänge zu. Ich habe mörderische Kopfschmerzen."

Keiner fragte nach dem Grund für meine Kopfschmerzen. Wahrscheinlich dachten sie, es wäre noch ein Kater. Diesmal setzte ich mich in eines der Sitzkissen und sank augenblicklich fast bis zum Boden ein. Die anderen quetschten sich ans Fußende des Bettes.

"Hier, dein Lieblingsbeagle. Mit Käse überbacken wie immer."

Wäre die Sache mit dem Vampir nicht, würde ich mich jetzt wirklich freuen. Das nagende Gefühl von Hunger beschlich mich schon eine ganze Zeit lang.

Jack warf mir eine kleine Tüte zu und geschickt fing ich sie auf. Fahrig zerrte ich den Beagle halb aus der Tüte und biss hungrig ein großes Stück davon ab. Testweise kaute ich ein paar Mal. Zuerst war ich so froh, normal essen zu können, und das ich kein Vampir war, dass mir der Geschmack nicht auffiel. Doch dann bemerkte ich es: es schmeckte wie Asche. Würgend spuckte ich das Zeug wieder in meine Hand und ließ es in die Tüte fallen.

Grummelnd lehnte ich mich zurück und kniff die Augen zusammen. Warum musste mein Leben auch immer wieder in die komplett falsche Richtung verlaufen?

Mürrisch beobachtete ich die anderen, wie sie sich leise unterhielten und ihr Frühstück verputzten.

"Warum isst du nicht, Mephisto?"

Fragend blickte Jen mich an und kam zu mir herrüber. Vorsichtig ließ sie sich in das Sitzkissen neben mir fallen und legte eine Hand auf meinen Arm.

"Ich hab keinen Hunger." Das war zwar eine große Lüge, aber sie sollte sich ja nicht noch wegen mir ihren Kopf zerbrechen. Mein Blick fiel auf ihren Hals und ich stöhnte innerlich auf. Das nagende Gefühl von Hunger verstärkte sich und langsam fand ich keine Erklärungen mehr für mein seltsames Verhalten. Etwas Spitzes stach in meine Unterlippe und ich wandte den Kopf zur Seite. Auf dem Boden lag noch eine Spiegelscherbe und ich hob sie vorsichtig auf. Testweise bleckte ich die Zähne und fing innerlich an zu Schreien vor Frustration. Meine Eckzähne hatten sich verformt, waren länger und spitzer geworden und kratzten an meiner Unterlippe herum.

"Mephisto, was ist mit dir?", fragte Jen und legte eine Hand auf meinen Rücken. Seufzend drehte ich mich wieder um und verzog die Lippen zu einem Lächeln.

"Ich hab nur Kopfschmerzen, Jen. Der Kater, du weißt schon Keinen Grund zur Sorge."

Zum ersten Mal stieg mir Jens Geruch in die Nase. Sie roch nach Vanilleeis und Honig, und ich roch noch etwas, was ich nicht wirklich einordnen konnte, aber es schien irgendwas Süßes zu sein.

"Was hast du denn da am Arm?" Ich warf Terry einen vernichtenden Blick zu. Jetzt sahen auch die beiden anderen den Verband, den ich notdürftig um meinen Arm geschlungen hatte.

"Nichts, nur etwas aufgekratzt. Wahrscheinlich Bettwanzen."

Jegliche Farbe wich aus Terrys Gesicht, und er stand vorsichtig auf. Wenn es um Insekten und alle möglichen Krabbeltiere ging, war er ganz empfindlich. Jack verdrehte gekonnt die Augen und aß seelenruhig weiter.

"Wo ist eigentlich Chris?" Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, dass mein erster Gitarrist fehlte.

Ratlos zuckten die anderen mit den Schultern und Jack nuschelte um einen Bissen Brötchen herum: "Ist dich wahrscheinlich suchen."

Das alles war doch zu komisch. Ich lag drei Tage auf einem Friedhof, wachte als Vampir auf und mein Gitarrist fehlte.

Ob ihm vielleicht auch etwas passiert war? Sobald die Sonne sich verzogen hatte würde ich mich auf die Suche nach Chris machen. Nicht das er schwer verletzt oder sogar tot war. Ich ließ das belanglose Geplapper der anderen ungehört an mir vorrüberziehen, und kaute auf meiner Unterlippe herum. Endlich verschwand die Sonne hinter den Häusern und die anderen erhoben sich, um schlafen zu gehen.

"Morgen früh reisen wir ab. Ganz früh, also schlaft euch aus." Ich setzte die fröhlichste Miene auf, die ich momentan zu Stande brachte. Terry und Jack schlugen mir gleichzeitg auf die Schulter und schubsten sich gegenseitig, als sie aus der Tür gingen. Jen umarmte mich kurz, warf mir noch einen mitleidigen Blick zu und folgten den anderen Beiden.

So schnell ich konnte sprintete ich ins Badezimmer, duschte kurz und suchte mir die unauffälligsten Klamotten raus, die ich besaß. So leise wie möglich öffnete ich die Tür und schlich in den Hotelzimmerflur. Klackend fiel die Tür hinter mir ins Schloss, und ich lauschte angestrengt. Keiner meiner Bandkollegen schien gehört zu haben, dass ich mich rausschlich. Auf Zehenspizen huschte ich den Gang hinunter zu den Aufzügen. Ich drückte ein paar Mal auf den Rufknopf, doch nicht passierte.

"Dämmliches Mistteil", fluchte ich leise und verpasste der Aufzugtür einen Tritt. Leider zeigte der Tritt keine Wirkung, und ich musste wohl oder übel die Treppe nehmen. Bei jedem Schritt knarchzte die Treppe lautstark und ich war mir sicher, dass man meilenweit hören konnte, dass jemand hier runter ging.

Die Rezeption war noch immer verlassen und ich fragte mich, ob jemals wieder einer hinter dem staubigen Thresen stehen würde. Zügig schritt ich über den abgewetzten Teppich und lief auf die Straße hinaus. Draußen war es noch warm, und kein Wind wehte. Trotzdem schlug ich den Kragen meiner Jacke hoch und wandte mich nach rechts. Ich würde zuerst in der Bar nachsehen, in die Chris hier am liebsten ging.

Ich war gerade mal zwei Blocks weit gekommen, als ich den Unfall auf der Straße sah. Ein Krankenwagen war anscheinend in einen PKW gerauscht und hatte seine halbe Ladung über die Straße und den Bürgersteig verteilt. Polizisten standen an der Unfallstelle und die umstehenden Passanten rißen sich die herumliegende Medizin unter den Nagel. Direkt vor mir lag eine unbeschädigte Blutkonserve.

Plötzlich kam mir die Idee, wie ich austesten konnte, ob ich wirklich Hunger auf Blut hatte und damit eindeutig ein Vampir war. Ich schaute mich um. Keiner achtete auf mich, und ich beugte mich langsam nach untern und steckte die Konserve unter meine Jacke. So unauffällig wie möglich ging ich weiter und bog um die nächste Straßenecke. Am Straßenrand stand eine dieser Werbebänken, an denen man auf den Bus wartete. Vorsichtig setzte ich mich auf die Bank und schaute mich noch einmal um. Weit und breit war keiner zu sehen. Diese Straße war sowieso immer verlassen. Bedächtig zog ich den Blutbeutel unter meiner Jacke hervor und musterte ihn nachdenklich. Sehr appetitlich sah das Blut nicht gerade aus. Mit den Zähnen riss ich eine Ecke des Plastikbeutels ab und schnupperte an der Öffnung. Ein metallisch- süßer Geruch stieg mir in die Nase und ein schmerzhaftes Ziehen machte sich an meinen Eckzähnen bemerkbar.

Ich spuckte die Plastikecke aus und kniff die Augen zusammen. Nur weil ich es probieren wollte, musste ich es ja nicht unbedingt sehen. Jeden einzelnen Muskel im Körper verkrampft nahm ich einen kleinen Schluck von meiner >Beute<. So schlecht wie ich gedacht hatte, schmeckte es gar nicht. Mit einem seltsamen Gefühl der Euphorie kippte ich den Blutbeutel wie ein Glas Bier herunter und warf die leere Packung in den Mülleimer. Schwankend stand ich auf und machte mich auf den Rückweg. Für dem Moment war Chris vergessen. Ich fühlte mich wie besoffen und mein Kopf war seltsam wattig.

Mit Mühe und Not kam ich noch ins Hotel. Diesmal ließ ich den Aufzug in Ruhe und taumelte die Treppe hinauf. Kichernd schloss ich meine Tür auf und trat in mein eigenes Zimmer. Zuerst bemerkte ich den Gast, den ich hatte nicht. Kopfschüttelnd warf ich meine Jacke auf den Boden und hob den Kopf. Auf meinem Bett saß Chris und musterte mich mit einem wirklich seltsamen Blick.

Perplex starrte ich meinen Gitarristen an. Und dann fauchte ich los: "Wo zum Teufel warst du! Ich habe mir Sorgen gemacht, kannst du dir das vorstellen?"

Unbekümmert zuckte Chris mit den Schultern und musterte mich.

"Mir ist doch nichts geschehen. Warum kommst du überhaupt so spät wieder? Es ist mitten in der Nacht."

Ich zuckte nur mit den Schultern.

"Darf ich nicht mehr ausgehen? Ich war spazieren, wenn dus genau wissen willst."

Mein Gitarrist ließ den Kopf hängen und nickte ein paar Mal.

"Gut. Ich habe mir nur Sorgen gemacht. Ich geh schlafen", brummte er und stand auf. Er wollte sich wortlos an mir vorbeidrängen, aber ich packte ihn am Arm.

"Komm schon Chris. Du warst zwei Tage länger weg als ich. Und morgen reisen wir ab. Ist doch klar, dass wir uns da Sorgen machen Chris, wenn du nicht da bist."

Er nickte kurz und versuchte mir ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Das misslang ihm mehr als gründlich, und ich stieß ein hämisches Lachen aus.

"Das musst du noch üben. So siehst du aus wie ein Breitmaulfrosch."

Chris stimmte in mein Lachen mit aus und schüttelte leicht den Kopf.

"Du hast eine Fantasie, Mephi." Ganz kurz drückte er mich an sich, zerdrückte mir fast die Rippen und war dann aus meinem Zimmer verschwunden. Verwirrt stand ich halb geduckt da und blickte mich um. Aber so war Chris. Schneller verschwunden als der Wind. Ratlos zuckte ich die Schultern und ging ins Badezimmer. Ich wollte mir die Zähne putzen, um den elendigen Blutmundgeruch loszuwerden.

Während ich mir wie ein Verrückter die Zähne schrubbte, dachte ich angestrengt nach. Ich war mir sicher, dass ich auf dem Friedhof von einem gottverdammten Vampir angefallen wurde und mich jetzt selbst zu den blutsaugenden Monstern zählen konnte.

Aber vielleicht konnte man aus meiner Situation irgendwie Profit schlagen. Schließlich gab es unzählige Teenager, die auf diesen ganzen Vampirkram abfuhren.

"Dumm nur, dass ich nicht in der Sonne leuchte", nuschelte ich um meine Zahnbürste herum und spuckte ins Waschbecken. Ich traute mich nicht, dass Wasser aus dem Wasserhahn auch nur in den Mund zu nehmen. Grunzend packte ich die Bierflasche, die auf der Kommode stand und spülte mir mit dem warmen Bier den Mund aus. Lieber roch ich aus dem Mund als hätte ich einen Kasten Bier intus, als das jeder im Umkreis merkte, dass ich mir einen Beutel Blut hinter die Binde gekippt hatte.

Ich war nicht mal ansatzweise müde, also öffnete ich das schmale Fenster und kletterte auf die Feuerleiter hinaus.

Das altersschwache Metall knirschte dumpf und ich machte mir ernsthafte Sorgen, dass ich vom dritten Stock aus auf den Boden klatschte. Sterben würde ich wahrscheinlich aber sowieso nicht. Langsam erklomm ich die Leiter nach oben. Bei jedem Schritt wackelte die Leiter heftiger und schlug gegen die Hauswand. Kalter Schweiß bildete sich in meinem Nacken, und ich hastete die restlichen Stufen hoch. Geschickt zog ich mich aufs Dach hinauf und warf die Beine über die Abgrenzung.

Kühler Wind zupfte an meinem Haar, als ich auf die gegenüberliegende Seite des Dachs zuging. Mein Kopf schien so vollgestopft mit Gedanken zu sein, dass ich Angst hatte, dass mir der Schädel platzte, wenn ich auch nur noch einen Gedanken aufnehmen musste.

In aller Frühe würden wir aufbrechen und zur nächsten Stadt fahren, und von dort aus immer weiter. Vielleicht gab es irgendwo noch einen, der wusste was man gegen das Vampirproblem machen konnte.

Impressum

Texte: Mephistopheles Manson
Bildmaterialien: Cover von Ena Hell (http://www.bookrix.de/-fo18ecb2616aa25/)
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die Songparts und das Vorwort in diesem Buch stammen aus der Feder von Mephisto Manson (meiner Wenigkeit) und der gleichnamigen Band.

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