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A Girl Next Door Story

Für alle,

die dieses eine Mädchen oder diesen einen Jungen lieben.

 

 

 

Der Herbstwind peitschte mir die Tropfen ins Gesicht und ich musste die ganze Zeit blinzeln. Fast wäre ich auf ein paar nassen Blättern ausgerutscht, doch ich konnte mich noch an einer Straßenlaterne festhalten. Ich sah die Straßenbahn in der Station einfahren und rannte los. Keine Sekunde zu spät schlüpfte ich in die überfüllte Bahn und die Türen schlossen sich hinter mir.

Ich hielt mich an einer Stange fest und atmete tief durch. Lächelnd erinnerte ich mich daran, wie ich zum ersten Mal mit der Redaktion der örtlichen Zeitung als Ziel in diese Bahn gestiegen war. Damals hatte mir mein Einstellungsgespräch mit dem Chefredakteur gegenübergestanden und ich war furchtbar aufgeregt gewesen. Es war schon immer mein Traum gewesen Journalistin zu werden und vor ein paar Monaten hatte ich ihn verwirklicht.

Vier Stationen später stieg ich wieder aus und drängelte mich durch die wartenden Menschen an der Haltestelle.

Es regnete noch heftiger als eben und meine Haare klebten mir am Gesicht. Na super, da hatten die Kollegen bestimmt wieder was zu lachen. Mein Magen knurrte, aber mein Frühstück war nur noch zehn Meter entfernt.

Schwungvoll öffnete ich die Tür der Bäckerei und trat ein. Die Wärme umfing mich augenblicklich und ich strich mir etwas außer Atem die Haare aus den Augen. Während ich meinen Geldbeutel aus der Jackentasche kramte, stellte ich mich an und überlegte was ich mir kaufen sollte. Das tat ich jeden Morgen und dann lief es doch immer auf das gleiche heraus, ein Schoko-Croissant.

„Das Übliche, Melanie?“, fragte mich die Bäckerin.

Ich lächelte sie zerstreut an und nickte. Sie reichte mir die Tüte und ich zahlte. Im Umdrehen zog ich das Croissant schon aus der Tüte, was ein Fehler war, da ich den Mann, der hinter stand völlig übersah und gegen ihn prallte.

„Oh verdammt!“, fluchte ich, als sich mein Croissant in den Tod stürzte und auf dem Boden landete.

„Tut mir leid“, sagte der Mann erschrocken. „Ich kauf Ihnen ein neues.“

„Was? Nein, nein“, beeilte ich mich zu sagen. „Schon okay, ich hab nicht aufgepasst, ich bin immer so schusselig, war mein Fehler…“

„Mel? Mel, bist du das?“

Ich wandte den Blick von meinem unglücklich verendeten Croissant ab und sah auf. Der Mann, der das unschuldige Gebäckstück getötet hatte, war etwas größer als ich, hatte braune Haare und war eher schmal gebaut. Seine Augen waren von einem so sanften Braun, wie ich es erst bei einer einzigen Person gesehen hatte und das war schon zehn Jahre her. Mein Herz setzte für einen Schlag aus.

„Ben?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern.

„Du bist größer geworden, seit dem letzten Mal“, sagte er leise und lächelte. Wie ich dieses Lächeln geliebt hatte.

„Damals war ich fünfzehn.“ Konnte das sein? War das wirklich mein Ben, der hier vor mir stand?

„Hier wollen noch andere Leute bestellen!“, rief jemand aufgebracht neben uns und riss uns zurück in die Wirklichkeit. Wir stolperten auf die Seite und Ben sah zu den kleinen Tischen am Fenster.

„Hast du Zeit für einen Kaffee?“

„Ja! Also nein, ich meine…“ Verdammt, ich war nicht mehr der kleine, verliebte Teenager von damals. Ich war eine erwachsene Frau mit einem Beruf und einer eigenen Wohnung. Und trotzdem brachte ich keinen anständigen Satz heraus.

„Ich hab Zeit“, sagte ich schließlich und Ben lächelte erleichtert.

„Seit wann bist du wieder hier?“, fragte ich als wir uns gesetzt hatten.

Ben und ich kannten uns schon seit ich denken konnte und wahrscheinlich noch ein paar Jahre länger. Wir waren Nachbarn gewesen, hatten uns als Kinder einen Sandkasten geteilt, waren zusammen eingeschult worden und waren die besten Freunde gewesen. Doch dann, kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag war er mit seiner Familie weggezogen und ich hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Bis jetzt.

„Erst seit zwei Tagen. Wie geht’s dir? Was machst du so?“

Ich erzählte Ben alles was seit jenem Tag passiert war und danach erzählte er genauso viel und es stellte sich heraus, dass er geschäftlich hier her versetzt worden war und länger bleiben würde.

„Meine Güte. Ich war damals total in dich verliebt“, seufzte ich und Ben lachte.

„Mein Herz hattest du schon in der Tasche als du mir als Dreijährige deine Sandschaufel geliehen hast.“

Ich stimmte in sein Lachen mit ein. 

„Eigentlich wollte ich dich damit abwerfen, weil du so rumgeplärrt hast.“

„Ich habe dich so vermisst.“ Jetzt war Ben wieder ernst.

„Du hättest anrufen können.“ Ich war damals total verletzt gewesen, weil Ben sich nie gemeldet hatte.

„Ja, ich weiß. Aber ich war jung und dumm und als ich endlich zum Hörer greifen wollte, hatten wir deine Nummer nicht mehr.“

„Hm.“ Ich stützte meinen Kopf in die Hände.

Kurz herrschte Stille, dann fragte er: „Und wie sieht’s familientechnisch bei dir aus?“

„Oh, ähm ich bin nicht… also, ich habe keine Kinder oder so und bin Single.“ Ich lachte nervös. „Und du?“

„Verheiratet mit einem Kind im Anmarsch.“

Oha. Kurz war ich wie vor den Kopf gestoßen und starrte ihn perplex an, doch ich hatte mich schnell wieder gefangen.

„Das freut mich für dich.“ Das tat es tatsächlich. Ben sah verdammt glücklich aus und auch wenn ich unerklärlicher Weise ein Stechen in der Brust spürte, wenn ich an seine Frau dachte, freute mich das.

„Ist sie hier? Also, in der Stadt?“

„Ja, wir haben uns ein Haus gekauft. In der Wilhelm-Busch-Straße, du weißt schon, da bei…“

„Jaja, ich weiß. Und, wie ist sie so?“

„Unglaublich. Ich hätte nie gedacht, dass es die große Liebe gibt, aber sie ist es. Und ich kann nicht glauben, dass du Single sein sollst“, lachte er und ich senkte den Blick.

Ich sah auf meine Uhr und erschrak.

„Oh verdammt. Ach du Schande, wir sitzen hier ja schon seit einer Stunde! Oh Gott, ich komme viel zu spät. Es tut mir leid, ich muss los.“

Ich stand auf und stieß fast den Stuhl um.

„Wow, ich hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht. Naja, also dann.“

„Also dann.“

Ben stand auch auf und umarmte mich zum Abschied.

„Es hat mich gefreut dich wieder zu sehen, Mel. Sehen wir uns wieder?“

„Mich auch. Unbedingt, ich muss die Frau sehen, die es geschafft hat, dich an sich zu binden!“, grinste ich eine Spur zu enthusiastisch.

Ich kramte in meiner Tasche und zog mein Notizbuch hervor. Ich riss eine Seite heraus und schrieb meine Telefonnummer darauf.

„Diesmal ruf ich wirklich an“, meinte er und nahm den Zettel.

„Ich erwarte deinen Anruf sehnsüchtig.“ Ich zwinkerte ihm zu und verließ die

Bäckerei.

Es hatte aufgehört zu regnen, doch etwas tropfte unaufhörlich auf meine Wangen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr an Ben gedacht und jetzt hatte er plötzlich vor mir gestanden, meine erste große Liebe, verheiratet und Fast-Vater. Es tat weh, obwohl es das nicht tun sollte. Ben und ich waren nie wirklich zusammen gewesen, er hatte mich nie wirklich geliebt. Denn für ihn war ich immer das Mädchen von nebenan gewesen.

 

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 02.01.2014

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