Prolog
„Ich erinnerte mich noch ganz genau an den Tag, an dem meine unschuldigen großen Kinderaugen einem Luftballon hinterherblickten, der frei in den Himmel hinauf flog. Unser frisch gestrichenes Anwesen leuchtete in einem strahlenden Weiß auf und der Geruch der frischen Farbe, vermischte sie mit dem süßen Duft der Rosen, die ums Haus herum wuchsen. Der blaue Luftballon schaukelte sich sanft immer höher und ich bewunderte ihn dafür. Bewunderte ihn für seine Freiheit. Niemand konnte ihn festhalten, niemand konnte ihn aufhalten. Mit meinem Teddy, den ich als einzigen Freund immer bei mir trug, rannte ich los. Meine kleinen Sonntagsschühchen hasteten über den Kies unserer riesigen Einfahrt, während mir die laue Sommerbriese meine Haare sanft nach hinten strich.
Wieso konnte ich nicht so frei sein, wieso konnte ich nicht auch einfach wegfliegen? Ich wollte der Luftballon sein und nicht still und brav auf einem Stuhl sitzen, während Vater sein wichtiges Mittagessen hatte.
In weiter Ferne vernahm ich das wütende Klirren des Geschirrs, als man zu bemerken schien, dass ich nicht im Esszimmer auf den wichtigen Besuch wartete, doch ich heftete meine Augen nur in den strahlenden Himmel, auf den Ballon. Meine Hand streckte sich nach ihm aus, in der verzagten Hoffnung ihn doch noch zu erwischen, doch ich griff immer nur ins Leere. Verzweiflung machte sich in mir breit und ein Anflug von Angst packte mich, ihn doch nicht mehr zu erreichen. Mein Teddy fiel auf den Boden, während ich beide Arme ausstreckte. Ich wollte auch so frei sein. Ich wollte, dass er mich mitnahm.
Doch er tat es nicht. Er ließ mich zurück, als ich stolperte und mir schmerzhaft meine Knie aufschlug, während sich die Steinchen in meine weiche Haut bohrten. Tränen kullerten mein Gesicht hinunter, als ich meinem Ballon hinterherblickte. Doch es waren nicht die Tränen des Schmerzes. Es waren die Tränen des Verlustes. Ich hatte wirklich geglaubt, dass er mich mitnehmen könnte.
Jemand hob mich hoch und schrie mich an. Was ich denn da tat, wurde ich gefragt. Wie ich es wagen konnte, das Kleid zu beschmutzen, mich so zu verhalten. Eine harte Backpfeife war die Strafe, dann wurde ich unsanft zurück ins Haus gezogen, während ich den dumpfen Schmerz ignorierte und immer wieder einen Blick über die Schulter warf. Doch der Ballon war so gut wie nicht mehr zu sehen.“
Ich konnte nicht mehr genau sagen, wann mein Leben anfing ein dauerhafter Albtraum zu werden. Ich wusste nur, dass die Dunkelheit, die mich in den Momenten der völligen Einsamkeit und des Schmerzes, die ich später kennenlernte, immer tiefer zu ziehen schien, bis sie mich irgendwann noch vollständig verschlingen würde.
Doch war ich stark genug? Stark genug vielleicht selbst mein kleines Stückchen Freiheit zu erlangen,
bevor ich endgültig verloren war?
Kapitel 1:
Meine Hände zitterten, während ich aus meinem großen, eichenen Schrank alle Anziehsachen in die große Reisetasche stopfte, die ich in die Finger bekam, ohne darauf zu achten, was es war. Heiße Tränen tropften auf meine Hände, als ich verzweifelt versuchte meine Ersparnisse der letzten Jahre und ein kleines Fotobuch in die hinterste Ecke zu quetschen, die ich schon vorzeitig neben die Tasche auf mein Doppelbett, zum einpacken bereit gelegt hatte. Gerade wollte ich die Tasche schließen, als ich bemerkte, dass auf meiner geblümten Bettdecke ein Foto lag, dass vermutlich aus dem Album gefallen war. Meine Finger bebten als ich es erkannte und es hochhob, um es sehnsüchtig zu betrachten. Es war das einzige Foto, das ich von meiner Mutter hatte. Sie war eine hübsche Frau gewesen und schaute lachend in die Kamera. Ich sah ihr nicht im Geringsten ähnlich. Das einzige was ich von ihr hatte, waren die merkwürdigen Braungoldenen Augen, die jeden zu verwirren schienen. Energisch riss ich mich von dem Foto los und steckte es behutsam zurück in das Fotoalbum. Mein ganzer Körper zitterte und meine Sinne waren bis aufs Äußerste geschärft. Der digitale Wecker, auf meinem kleinen schwarzen Nachttisch, zeigte an, dass es halb drei morgens war, doch das hieß noch lange nichts für die Bewohner dieses Hauses. Sie befanden sich zurzeit immer noch in einer Besprechung, was für mich eine einmalige Gelegenheit war, abzuhauen. Meine neuen gefälschten Papiere, die ich von einem Angestellten hatte, befanden sich sicher verstaut in einer kleinen Handtasche, die ich bei mir trug. Der Angestellte wurde Tage später gefeuert, da er mit mir geredet hatte. In der kleinen Tasche befanden sich ebenfalls etwas Geld und der Teddy, der mich schon mein ganzes Leben lang begleitet und den ich auf den Namen Jasper getauft hatte. Mit einem Ratschen schloss sich der Reißverschluss der Tasche, die nun mein ganzes Leben beinhaltete. Einen Moment starrte ich sie versonnen an.
War es richtig, was ich tat? Alles zurück zulassen? Ihn zurück zulassen?
Vor meinem geistigen Auge trat das Bild eines hochgewachsenen, stattlichen Mannes auf, der mir aus seinen blauen, dichten wimpernumrahmten Augen freundlich zu lächelte. Doch gleich darauf änderte es sich zu einer wütenden Fratze mit Zornesfalten und geballten Fäusten.
Ein eisiger Schauer überfiel meinen Körper, als ich an ihn dachte. Hastig schüttelte ich ihn ab. Nein, es war definitiv richtig. Entschlossen griff ich nach den Henkeln und schwang sie mir über die Schulter. Ich musste gehen. Es war besser so. Richtig.
„Ich muss es tun“, flüsterte ich und meine Stimme klang merkwürdig dumpf in meinem kleinen Zimmer. Ich hatte Glück, dass er und ich uns kein Zimmer teilten.
Doch trotz alledem klopfte mein Herz so heftig, dass mir schlecht wurde, als ich mir meinen Fluchtplan zurück ins Gedächtnis rief.
Ich wusste das den Flur entlang, vor meinem Zimmer, kurz vor den riesigen pompösen Treppen, eine schmale Kleinere war, versteckt hinter einer unscheinbaren Tür. Es war die frühere Dienstbotentreppe, die schon seit Jahren unbenutzt mehrere Stockwerke nach unten in den Keller führte.
Diesen Keller hatten wir in eine Tiefgarage umfunktionieren lassen. Und genau dort wollte ich hin.
Leise schritt ich zur Tür und öffnete sie zögernd. Was ist wenn mich jemand erwischte? Die Strafe dafür war zu schrecklich, um sie sich jetzt auszumalen, also versuchte ich konzentriert zu bleiben und die Panik nach hinten in mein Bewusstsein zu schieben. Tief atmete ich ein, als sich der menschenleere Flur vor mir erstreckte. Ein letztes Mal blickte ich zurück in das Zimmer, in welchem ich mein gesamtes Leben verbracht hatte. Die orangenen Wände schienen mich sehnsuchtsvoll zu verabschieden.
Ich hatte Glück, dass der Flur mit einem dicken Teppich bedeckt war, sodass meine zögerlichen Schritte keinen Ton von sich gaben. Die vertäfelten Wände schienen mich in der Dunkelheit verstecken zu wollen und hätte ich mein ganzes Leben nicht hier verbracht, wäre ich bei dieser Schwärze schon längst orientierungslos verloren gewesen. Doch ich wusste ganz genau wo ich war. Die einzige Lichtquelle waren die riesigen Fenster, die etwas von den Strahlen der Gartenlampen hinein ließen, die sich über das gesamte Grundstück verteilten. Die Nächtliche Stille ließ mein nervöses Atmen viel zu laut erscheinen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich immer wieder ängstlich umsah, doch selbst wenn jemand hier wäre, hätte ich ihn in der Dunkelheit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erkennen können. Noch ein paar Schritte, dann erreichst du das Treppenhaus, machte ich mir Mut. Innerlich fragte ich mich, wie lange sie wohl brauchen würden um zu bemerken, dass ich fehlte. Nicht lange, so wusste ich. Die Zeit rann mir durch die Finger, wie heißer Sand. Ein leichtes lächeln stahl sich auf meine Züge, als ich den eingerosteten Knauf der schmalen Tür ausmachte, die von den holzverkleideten Wänden kaum zu unterscheiden war. Meine verschwitzte Hand legte sich auf den kühlen goldenen Knauf und drehte ihn. Nur schwerfällig und unter lautem quietschen ließ sich die Tür öffnen. Automatisch blieb ich stehen und horchte tief in die Nacht hinein, ob es jemand gehört hatte. Doch alles blieb ruhig. Trotzdem stand ich unter einer elektrischen Spannung und das Blut rauschte mir laut durch die Ohren. Etwas Licht fiel auf die Dienstbotentreppe und ich erkannte einen dicken abgenutzten Teppich, der die Stufen bedeckte. Spinnweben blitzten auf und hastig wandte ich mich wieder der Tür zu.
Ich musste einmal Tief einatmen um die verrostete Tür, wieder zu schließen.
Nun stand ich in absoluter Finsternis, da ich vergessen hatte zu schauen, wo sich der Lichtschalter befand. Hätte ich nicht solch eine beklemmende Angst gehabt, hätte ich mich selbst für meine eigene Dummheit verflucht. Es war um einiges Kälter hier, als im Flur und ein kühler Wind wehte hier hoch. Es roch nach Staub und Feuchte. Dieses Treppenhaus wurde nie wirklich renoviert, weshalb die Wände hier auch nur aus nacktem Beton bestanden.
Wenn man mich erwischte…
Gerade, als ich einen Schritt auf die verstaubte, schon längst nicht mehr benutzte Treppe setzte, fingen der Alarm und das Gebrüll an. Mein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es wie wild losgaloppierte.
„Sie ist weg!“, brüllte ein Mann über das Gekreische. Verdammt!
Automatisch presste ich mich enger an die harte Wand der Treppe, während ich die schnellen Schritte vernahm, die an der Tür vorbeirannten. Trotz der kühlen Wand im Rücken, brach mir der Schweiß aus und meine Gedanken rasten. Die Angst schnürte mir meine Kehle zu und meine Brust fühlte sich zerdrückt und bleiern an. Es fiel mir unglaublich schwer mich langsam von der Wand zu lösen.
Das vor kurzem noch stille Haus schien nun in hellem Aufruhr. Wenn sie mich fanden war ich geliefert. Meine zitternden Beine brachten sich langsam in Bewegung, ehe sie immer mehr Tempo aufnahmen und die Treppenstufen in der Dunkelheit herunter rasten. Obwohl meine Füße unsicher auf die knatschenden Stufen traten und meine Hände an der rauen Wand Orientierung suchten, hatte ich eine unglaubliche Geschwindigkeit drauf. Staub wirbelte auf und brachte mich fast zum Husten, während die Schreie im Haus immer lauter wurden. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich jemand an die alte verlassene Treppe erinnerte, an die ich nun mein Leben setzte. Ich war so schnell, dass mich bei der Wendeltreppe heftiger Schwindel erfasste. Nur noch ein paar Stufen, dann erreichte ich die Tür, die mich zu der Tiefgarage führte. Doch meine kleine Hoffnung wurde augenblicklich in nackte Panik verwandelt, als die dreckigen Lampen über mir, mit einem Flimmern zum Leben erwachten und ich seine Stimme hörte. Meine Verfolger mussten den Lichtschalter im Gegensatz zu mir gefunden haben.
„Schuhabdrücke im Staub! Sie ist hier!“
Dann wurde es erst recht ein Wettlauf gegen die Zeit. Obwohl meine Augen von dem plötzlichen Licht schmerzten, rannte ich blind weiter. Die Rufe und das Ächzen ihrer Schritte, das mich verfolgte, pumpte das Adrenalin durch meine Venen. Die schwere Tasche verlangsamte mich, doch ich brauchte sie! Seitenstiche plagten mich und der Gedanke daran, dass die Männer, die mich verfolgten, trainiert und ausgebildet waren, versetzte mich nur noch mehr in meine Angst. Wenn es drauf ankäme, wären sie um einiges schneller als ich. Doch vielleicht schaffte ich es ja, mit meinem Vorsprung?
„Cara! Bleib verdammt nochmal stehen! Was soll denn das?“, hörte ich seine Stimme durch das Treppenhaus schallen. Meine Nackenhärchen stellten sich auf und mein Körper fing an zu zittern. Ich musste entkommen!
Keuchend erblickte ich die Tür, welche mich zur Tiefgarage lassen würde, während sich ein erleichtertes Lächeln auf meine Züge schlich. Ich schloss meine zitternde Handfläche um den Knauf und drehte ihn, während das Poltern hinter mir immer näher rückte. Doch nichts geschah. Sie war verschlossen. Ich war erledigt.
Tränen der Verzweiflung sammelten sich in meinen Augen, während ich wie eine Irre daran rüttelte. Wieso war sie verschlossen?! Wieso?! Ich hämmerte verzweifelt gegen sie, während ich zu meiner Überraschung ein Knacken vernahm. Die Tür war alt. Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich Anlauf und rammte mich mit voller Wucht gegen die Tür. Ein weiteres lautes Knacken. Ich jaulte auf, als ein heftiger Schmerz durch meine Schulter fuhr, doch meine Verzweiflung ließ mich den Schmerz schon fast vergessen. Vielleicht war es möglich?
„Na Cara? Sackkasse, nicht wahr?“, hörte ich ihn schon viel zu nah. Er durfte mich nicht erwischen! Nein!
Ich sammelte all meine Energie und trat mit voller Wucht unterhalb des Knaufes. Holz brach und mit einem schrecklichen Quietschen, schwang die Tür auf, als hätte sie nie etwas anderes getan. Eine Sekunde der Verwunderung starrte ich auf mein Werk, ehe ich mich zusammenriss, meine Tasche erneut schulterte und in die Tiefgarage rannte. Hier waren die Neonröhren, die die nackten Betonwände zierten, zu jeder Tageszeit hell erleuchtet. Die Autos reihten sich dicht aneinander, während sie aussahen, als seien sie für irgendeine Show, schön hübsch nebeneinander geparkt. Es standen um die 20 Autos in Zweierreihen in der Tiefgarage. Ich hatte nie verstanden, warum man so viele Autos benötigte, doch jetzt nahm ich mir nicht die Zeit, mir Gedanken darum zu machen. Der Aufzug der am anderen Ende der Garage war, gab mir anhand der blinkenden Anzeige, die über der Aufzugstür hing, leuchtend preis, dass man schon auf den Weg hierhin war.
Die gesamte linke Wand nahm das graue elektronische Plastiktor ein, das sich von der Farbe in diesem Raum, nur durch die Autos ablöste.
Meine Schritte hallten laut auf dem Beton wieder, als ich zu dem Auto rannte, was ich mir für die Flucht ausgesucht hatte und dessen Schlüssel hoffentlich noch steckte.
„Du hast es erstaunlich weit geschafft, doch hier ist Schluss!“, bellte er ungehalten und ich vernahm das Klicken einer entsicherten Waffe, während ich mich auf den Boden warf, um nicht entdeckt zu werden. Ich konnte mir gut vorstellen wie er grade aussah. Seine kalten blauen Augen, die die Umgebung nach mir abscannten und sein spitzes Kinn, das er immer arrogant gereckt hatte, wenn etwas nicht so lief, wie er sich vorstellte. Und dazu gehörte definitiv diese Situation.
Das Blut rauschte mir in den Ohren und mein Herz klopfte so laut, dass ich dachte selbst er müsste es hören. Mich wunderte es, dass er allein war. Wo waren die anderen? Hilfe holen? Die Polizei alarmieren? Obwohl was wollte er denen schon erzählen? Das er mich gefangen hielt, ich fliehen und er mich mit einer Waffe aufhalten wollte?
Es entsetzte mich, dass er tatsächlich eine Waffe bei sich trug, obwohl ich wusste, dass er mich nie töten würde. Doch das ließ ja trotz alledem noch genügend Spielraum. Ich schluckte.
„Komm schon Cara, komm einfach her. Dir wird auch nichts passieren“, versuchte er es beruhigend, während ich ein Schnauben unterdrückte. Das sagte er mir mit einer entsicherten Knarre?!
Ich legte mich flach auf den Boden und versuchte ihn auszumachen. Seine Füße entdeckte ich ein paar Autos weiter. Er bewegte sich langsam vorwärts, schien mich zu suchen. Die Jeeps waren zu hoch, um über sie hinweg zu schauen und die schwarzgetönten Scheiben ließen auch keinen Blick hindurch. Aber ich konnte aus dieser Position nicht weg, da ich in der Nähe der Fahrertür bleiben musste und wenn er weiter ging, konnte er mich zwischen den Autos ausmachen. Er wusste es und ich wusste es. Es war alles nur eine Frage der Zeit. Meine Haare klebten mir unangenehm am verschwitzen Nacken und ich war so darauf bedacht keine Geräusche zu machen, dass ich mich zwingen musste, weiter zu atmen.
Der Boden war kalt. Drang durch mein dünnes Top und ließ mich frösteln.
„Warum tust du das Cara? Du weißt doch dass ich dich liebe!“
Seine Stimme klang fast schon verzweifelt. Doch ich gab nicht nach. Das was er mir antat hatte nichts mit Liebe zu tun. Das was ich ihm gegenüber empfand war nichts anderes als nackte Angst.
„Habe ich etwas falsch gemacht? Du kannst es mir ruhig sagen! Ich werde mich bessern!“
Schmerzerfüllt schloss ich die Augen, als ich an seine Worte dachte. Er hatte nie zugehört. Er konnte sich einfach nicht ändern. Das hier war der einzige Weg.
Er näherte sich mir. Erschrocken fuhr er herum, als die Aufzugstür sich mit einem hellen Ping öffnete und mehrere Männer aus seinem Gefolge laut heraus rückten. Das war meine Chance! Mit einem Satz sprang ich auf und öffnete die Autotür, während ich mich auf den Sitz schmiss, wie sich eine Ertrinkende an einem Treibgut klammern würde.
„Da!“, schrie einer gefolgt von vielen Flüchen und lauten Schritten. Unendliche Erleichterung überfiel mich, als ich den Schlüssel im Zündschloss des schwarzen Jeeps ausmachte. Er war noch da! Ich konnte es schaffen!
„Lass den Scheiß Cara!“, brüllte er und ich warf einen letzten Blick auf sein langes, schmales Gesicht mit den eingefallenen Wangen, den hohen Wangenknochen und vollen Lippen. Sein Ausdruck war wutverzerrt und sein sonst so sorgsam, zurückgekämmtes blondes Haar, stand wirr ab. Sein Anzugshemd war am Kragen geöffnet und seine Krawatte hatte er abgelegt.
Ich drückte auf den Knopf der Fernbedienung, die ich sorgsam vor Alex und seinen Gefolgsleuten versteckt hatte.
Quietschend gab ich Gas und fuhr dem sich öffnenden Tor entgegen, der Weg zu meiner Freiheit.
Wütendes Gebrüll erklang, als sie bemerkten, dass die Ersatzfernbedienung für das Tor, das sich in einem Regal, an der grauen Wand neben dem Aufzug befand, nicht funktionierte. Ich hatte Stunden vorher, die Batterien raus genommen. Zu diesem Zeitpunkt, konnte ich noch nicht fliehen, dar da noch Regelmäßig meine Anwesenheit überprüft wurde. Ich musste die Besprechung abwarten.
Schüsse hallten durch die Nacht und mit einem Krachen brach meine Heckscheibe in unendlich viele Splitter.
„Hört auf!“, brüllte er fast schon panisch. Er hatte Angst, dass ich umkam, dachte ich schon fast hämisch. Doch schon war ich durch das Tor gerast, bevor man mich noch anders aufhalten konnte.
„Frei wie ein Luftballon“, murmelte ich, als ich meine erste große Liebe stehen ließ und das Gefühl meiner ersten großen Freiheit genoss, während ich das Pedal komplett durchdrückte, um einen möglichst großen Abstand zu erreichen.
2. Kapitel
Detroit. Die Stadt der Hoffnungslosigkeit? Die Stadt, die immer brannte?
Auf jeden Fall war sie die Stadt ohne Geld. Langsam lenkte ich den VW Käfer, den ich an irgendeiner Tankstelle mit meinem Jeep getauscht hatte durch die dunklen Straßen. Sah wohl ganz nach einer Nacht im Auto aus, dachte ich müde, als ich vor einem verlassenen Haus parkte. Die gesamte Straße lag wie ausgestorben vor mir, da die Straßenlampen kaputt geworfen und trist hinterlassen worden waren und nur der Mond diese Trostlosigkeit in einen unwirklichen Glanz tauchen konnte.
Was habe ich mir nur dabei gedacht? Erschöpft ließ ich meinen Kopf auf das Lenkrad sinken. Ich wusste doch überhaupt nicht weiter und selbst wenn ich ein neues Auto hatte, hieß das nicht, dass sie mich nicht finden konnten. Dass er mich nicht finden konnte.
Ich fragte mich, ab wann der Zeitpunkt kam, an dem er so grausam zu mir wurde. Mir all die schrecklichen Dinge antat und mich meiner Freiheit beraubte. Dabei war er doch der schüchterne Junge, in den ich mich einst verliebt hatte!
Traurig schüttelte ich den Kopf, während sein strahlendes Gesicht von damals vor meinem geistigen Auge auftauchte.
Der Tag an dem wir uns kennen lernten…
Mein Vater meinte, er hätte einen neuen Sicherheitsbeauftragten eingestellt und dass er für sein Alter ein außergewöhnliches hohes Geschick und Talent, in diesem Bereich, aufwies. Doch etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Mein Vater würde niemals durchschnittlich gute Leute einstellen. Sie müssen gut sein. Die Besten.
Doch trotz alledem hatten mich diese Worte aus seinem Mund neugierig gemacht. Mein Vater lobte nie jemanden. Es war für ihn normal, perfekt auf seinem Gebiet zu sein, weshalb ich diese neue Person unbedingt kennen lernen wollte. Und so wartete ich auf den Tag, an dem er erscheinen würde. Gerade hatte ich das Sommerkleid angezogen, auf das mein Vater bestand, und betrat die Eingangshalle, da nach mir verlangt wurde, als ich ihn sah. Auf dem strahlend weißen Marmorboden stehend, wirkte er vollkommen surreal. Wie aus einer anderen Welt. Er war in einem Gespräch mit meinem Vater vertieft und bemerkte so nicht, wie ich dazu stieß. Er trug einen schwarzen Anzug und hatte die Hände tief in den Taschen vergraben, während seine blonden Locken einen starken Kontrast dazu abgaben. Seine strahlend blauen Augen leuchteten vor Interesse und Wissbegierde, während mein Vater ihm erklärte, was er von ihm erwartete. Er war um einiges größer als mein Vater, weshalb mein Vater zu ihm aufblicken musste.
Langsam trat ich näher an sie heran, meinen Blick stur auf den Boden gerichtet. Ich war eingeschüchtert von der Tatsache, dass er gerademal um die 16 war. Mit meinen 14 Jahren hatte ich kaum jemanden gleichaltrigen kennengelernt, da mein Vater es strikt verbot, dass ich alleine nach draußen ging, aus Sorge mir könnte etwas geschehen. Er hatte einen wichtigen Posten in der Politik und nicht wenige Feinde, weshalb Angriffe nicht selten vorkamen. Doch seine Kontrollsucht hatte sich ins Unermessliche gestiegen, als meine Mutter bei einem Attentat umkam. Seitdem konnte er mir nicht mehr richtig in die Augen sehen, da ich zu sehr aussah wie sie. Und so war ich an dieses Gebäude gebunden, als wäre ich eine Insassin. Ich wurde Zuhause unterrichtet und mir zuliebe wurde ein Tennisplatz auf dem Grundstück gebaut, damit ich nicht in einen Städtischen Verein musste. So war dieser Junge, der gerade mal zwei Jahre älter zu sein schien als ich, die einzige Person die meinem Alter am nächsten kam und somit automatisch jemand, mit dem ich vielleicht mehr Zeit verbringen konnte? Es wurde schnell langweilig alleine und so sehr ich Bücher auch liebte, aber manchmal brauchte man die Nähe von Menschen und er schien für mich der Anfang einer neuen Zeit. Einer besseren Zeit.
„Vater“, murmelte ich ohne ihn anzusehen, „Ihr habt nach mir verlangt?“
„Oh Cara“, sagte mein Vater erfreut und ich hob den Kopf um zu sehen, wie er mein Ohr anstarrte, „das hier ist Alex. Er arbeitet nun für mich.“
Ganz langsam wandte ich meinen Kopf dem Jungen zu, der mich so faszinierte. Er hatte mir die Hand hingestreckt, während er mich breit grinsend ansah und seine Augen funkelten, wie das Wasser in der strahlenden Sonne. Sein Anblick raubte mir für einen Moment den Atem, bis ich bemerkte, dass er mir immer noch die Hand hinhielt. Errötend griff ich nach ihr und nuschelte meinen Namen.
„Ich bin Alex! Ich hoffe doch wir werden uns gut verstehen!“, sagte er aufrichtig lächelnd, während ich verwundert darüber war, wie weich seine Hand war.
„Na jetzt hast du auch meine Tochter kennen gelernt“, meinte mein Vater wieder im geschäftsmäßigen Ton, „dann können wir ja jetzt in meinem Büro die Einzelheiten besprechen.“
Er ging vorraus, durchquerte die Eingangshalle zügig, während Alex mich noch einmal ansah und mir lachend über den Kopf strich.
„Du bist echt süß, wenn du rot wirst!“
Und dann ließ er mich stehen, beeilte sich meinen Vater einzuholen, während ich ihm verdattert hinterherblickte und nicht verhindern konnte, dass das Blut mir erneut ins Gesicht schoss.
„Alex“, murmelte ich.
Ich erinnerte mich an meinen Kindheitstraum, der davon handelte, dass mich ein Luftballon mitnehmen sollte. Vielleicht war er ja mein Luftballon? Vielleicht konnte Alex mein Stück Freiheit sein, nach dem ich mich so sehnte?
Später lernte ich, dass ich Alex nur hassen konnte, weil ich ihn einmal so sehr geliebt hatte. Hass können Menschen nur zu anderen Menschen empfinden, die ihnen mal etwas bedeutet haben. Der Grat zwischen Liebe und Hass ist sehr schmal, so lernte ich. Doch das war noch nicht zu diesem Zeitpunkt. Das war später.
Zusammengerollt auf dem Sitz wachte ich in meinem VW Käfer auf. Stimmengewirr hatte mich aus meinem Schlaf gerissen und müde öffnete ich die Augen. Ein Blick aus den Scheiben verriet mir, dass es immer noch mitten in der Nacht war und verwirrt fragte ich mich, was da los war.
„Ich versteh immer noch nicht warum ich mit euch primitiven Idioten hierher geschickt werden musste!“, fauchte eine junge Frauenstimme ungehalten.
„Ach und denkst du, mir passt das in den Kram mit Barbies böser Schwester um diese Uhrzeit die Nadel im Heuhaufen suchen zu gehen?“, kam die knurrende Antwort zurück.
„Du bist doch eh immer um diese Uhrzeit auf den Straßen!“
„Ja aber in angenehmerer Gesellschaft!“
Langsam richtete ich mich auf und versuchte aus der Scheibe einen Blick auf den Tumult da draußen zu erhaschen. Es dauerte nicht lange die beiden zu finden, da sie mit ihrem Geschrei wohl auch die schwerhörigste Großmutter ohne Hörgerät, auf sich aufmerksam gemacht hätten. Durch die Dunkelheit konnte ich nur erkennen, dass jemand an einem klapprigen Zaun lehnte und gelangweilt sein Skateboard mit dem Fuß hin und her schob, während jemand anderes mit verschränkten Armen vor ihm stand. Müde rieb ich mir die Augen und streckte meine versteiften Glieder.
Wer sind die und warum machten die so einen Lärm?
Gähnend versuchte ich mich wieder in eine halbwegs bequeme Schlafposition zu bewegen.
Vielleicht waren das einfach irgendwelche Ausreißer. Mich interessierten sie nicht.
Das Gespräch verlief in einem Murmeln weiter, das mich wieder dazu brachte fast einzuschlafen.
„Warum steht hier eigentlich ein Käfer?“, fragte das Mädchen wieder lauter, was mich genervt aufstöhnen ließ. Ich wollte doch nur meinen beschissenen Schlaf!
„Ein paar Häuser in dieser Straße sind noch bewohnt, vielleicht gehört das Auto dazu? Oder es hatte den Geist aufgegeben und man hat es hierhin gestellt? Was interessiert dich das denn überhaupt?“, fragte auch der Junge leicht säuerlich.
„Nun ja, wir warten darauf das sich diese magische Kraft zu erkennen gibt und ist das Auto nicht ein Zeichen dafür, dass die Person hier ist?“
Magische Kraft? Von was redeten die?
Doch bevor einer Antworten konnte fuhr eine tiefere Stimme dazwischen.
„Hättet ihr euer Date nicht irgendwann anders abhalten können? Ihr wisst wie der Auftragt lautet, also was steht ihr hier immernoch so rum?!“
„Smoke verdammte Scheiße, tauch nicht immer so aus dem Nichts auf!“, quietschte das Mädchen erschreckt auf. Smoke, was war das denn bitte für ein Name?
„Hey Smoke. Die magische Kraft hat sich noch nicht zuerkennen gegeben, aber das Auto hier kommt uns komisch vor.“
Und dann ging alles ganz schnell. Während das Mädchen und der Junge einen Streit darüber hatten, wer das Auto denn zuerst entdeckt hatte, richtete ich mich wieder auf, um aus der Scheibe einen Blick auf das Geschehen zu haben. Dabei blickte ich geradehinaus in das Gesicht eines Kerls mit unnatürlich grünen Augen, der sich über die Frontscheibe gebeugt hatte, um einen Blick ins Wageninnere zu werfen. Mein Herz setzte einen Schlag aus und ein erschrecktes Kreischen entkam meiner Kehle. Ich konnte nicht schnell genug die Tür zuhalten, da hatte er sie auch schon aufgerissen und versuchte mich aus dem Auto zu zerren. Große Hände packten mich um die Taille, doch ich strampelte und schrie, während ich versuchte auf den anderen Sitz zu klettern.
War das Alex Gefolge? Hatten sie mich gefunden?
Tränen der Angst stiegen mir in die Augen, während ich mich an den Innen Griff der Beifahrertür festkrallte, während der Mann immer noch feste an mir zog.
„Lass mich los!“, brüllte ich und versuchte ihm ins Gesicht zu treten.
„Vergiss es. Du bist mein Auftrag und Aufträge führe ich immer aus.“
Auftrag? Oh Gott, haben die einen Serienkiller auf mich gesetzt?
Mittlerweile versuchten die anderen beiden die Tür aufzubekommen, an der ich mich festklammerte. Meine Arme schmerzten von der Anstrengung, doch ich konnte nicht los lassen, durfte nicht loslassen!
„Jetzt reicht es mir aber!“, knurrte der große Kerl und drückte meine strampelnden Beine nach unten, während er sich mitten auf mich drauflegte. Das schwere Gewicht auf meinem Rücken führte dazu, dass ich kaum noch Luft holen konnte, doch das war nicht mein Problem. Mein Problem war der viel zu viele Körperkontakt. Meine Hände verkrampften sich um den Türgriff, mein Blick wurde leer und starr. Eine Abwehrreaktion meines Körpers. Mein Angreifer schien meine Wandlung zu bemerken, denn seine Hände waren gerade noch kurz davor, meine von dem Griff zu nehmen. Nun hielt er inne.
„Sag mal, lebst du noch?“
Die Panik die meinen Körper durchflutete, der bittere Geschmack der Angst auf meiner Zunge, dies alles machte es mir fast unmöglich zu antworten.
„Geh. Runter. Von. Mir“, keuchte ich, während ich das Zittern in der Stimme nicht verhindern konnte.
Einen Moment blieb es still und ich dachte schon, er würde weiter machen, als er einen Befehl bellte.
„Lion! Lady! Geht vom Auto weg, sie kommt mit!“
Mein Herz klopfte so laut, dass ich ihn fast nicht gehört hatte, doch die lähmende Angst machte es mir unmöglich eine schnippische Antwort darauf zu geben. Lion, Lady?
Das Rütteln an der Tür hatte aufgehört und langsam verschwand das Gewicht von mir und nahm den Schleier der Panik mit. Augenblicklich entspannte sich mein Körper und ich schloss die Augen um ein paar Mal tief ein- und auszuatmen. Dann krabbelte ich langsam auf den anderen Sitz zurück und stieg aus der immer noch geöffneten Tür aus, um meinen Angreifern ins Antlitz zu schauen.
Ein rothaariger Junge um die 18 Jahre stand Kaugummikauend und mit den Händen in der Jackentasche mit einem Bein auf seinem Skateboard und sah mich fast schon gelangweilt an, als ein überraschter Ausdruck auf seinem Gesicht auftauchte.
„Die sieht ja sogar ganz hübsch aus!“, stellte er verwundert fest.
„Halt die Klappe Lion, deine minderwertige Meinung interessiert hier niemanden“, ertönte eine helle Stimme neben ihm und langsam ließ ich meinen Blick zu dem Mädchen neben ihm wandern.
Großgewachsen, blond und viel zu viel Geschminkt. Das waren die ersten Dinge die mir auffielen. Vielleicht das Zweite. Das erste wäre wohl definitiv der feindselige Blick gewesen mit denen sie mich bedachte, als wäre ich ohne Ausnahme das scheußlichste Insekt auf diesem Planeten.
„Falls du Streit suchst, geh irgendwo anders hin, Lady. Lion und ich wollen nach der Sache hier einfach schleunigst ins Bett und legen definitiv keinen Wert darauf verbalen Dünnschiss auszutauschen.“
Überrascht fuhr ich herum, als ich die Stimme direkt hinter mir wahrnahm.
An dem Auto gelehnt stand ein Junge, der etwas älter zu sein schien als Lion. In eine Lederjacke stand er da und blickte hoch zu dem Mond, ohne uns allen eines Blickes zu würdigen. Er sah sehr groß aus und die Lederjacke spannte sich über sein breites Kreuz, während ich ein Tattoo an seinem Hals ausmachen konnte.
Eine unangenehme Stille breitete sich aus, während alle zu warten schienen, dass dieser Kerl die nächsten Anweisungen gab. Doch es kam nichts und langsam fühlte ich mich unwohl, da ich immer noch nicht wusste, wer diese Leute waren und was sie von mir wollten.
„Ähm“, räusperte ich mich und war mir sofort die Blicke von Lion und Lady bewusst, die mich durchbohrten. Ich sollte mich noch nicht zu schnell in Sicherheit wiegen, aber es beruhigte mich, dass sie noch keine Anstalten gemacht hatten mich festzunehmen.
„Ich weiß zwar nicht was ihr von mir wollt, aber ich bin mir ziemlich sicher euch noch nie in meinem Leben gesehen zu haben.“
Vielleicht half das ja, vielleicht suchten sie ja wirklich nach jemand anderem?
„Na und? Wir dich doch auch nicht!“, kam direkt die patzige Antwort von Lady, während ich langsam wütend wurde. Schienen diese Menschen überhaupt zu wissen, was sie hier taten?! Und wieso zum Teufel hatten die alle so merkwürdige Namen?!
„Ja und was wollt ihr dann von mir?!“, fragte ich mit unterdrückter Wut, während Lady ihr blondes Haar über die Schulter schwang und die Hände in die Hüfte stemmte.
„Was wir von dir wollen?! Nun, das müsstest du doch selbst wissen!“
„Oh ja, vielleicht frage ich deswegen ja auch!“, fauchte ich, da ich die Schnauze komplett voll hatte. Ich war übermüdet, wurde von meinem wahnsinnigen Ex-Freund gesucht und dann mitten in der Nacht von Vollidioten aus meinem Auto gezerrt!
„Gibt es hier noch irgendwen Kompetenten der mir diese Situation bitte erklären kann?“, fragte ich zornig und überging gelassen Lady, deren Kopf aussah, als müsse er gleich platzen.
„Wie kannst du es wagen, Verstoßene!“, kreischte sie und baute sich Funken sprühend vor mir auf, „sag uns jetzt gefälligst was du getan hast und aus welchem Magischen Clan du geschmissen wurdest!“
Verwirrt sah ich sie, ehe ich in schallendes Gelächter ausbrach. Ich lachte so lange, dass mir die Tränen in die Augen stiegen und ich Bauchschmerzen bekam, ehe ich mich langsam wieder aufrichtete, die Tränen aus den Augenwinkeln wischte und auf Lady zeigte.
„Ich hab’s! Ihr seid aus dem Irrenhaus ausgebrochen!“
Doch noch bevor sie antworten konnte, wurde ich hochgerissen und über eine Schulter geworfen.
Überrascht über diese plötzliche Nähe versteifte ich mich augenblicklich, doch schnell realisierte mein Körper, dass nichts passieren wird und ich fing an protestierend zu rufen.
„Lass mich runter!“
Was erlaubten die sich?!
„Mir reicht’s. Ich nehme sie einfach mit und wir sehen mal was Ryka sagt“, meinte der große Lederjackenträger.
„Das kannst du nicht machen Smoke!“, empörte sich Lady.
„Ich kann und ich werde.“
„Schätze mal, du kannst da nicht viel machen“, lachte Lion und somit wurde ich laut schreiend weg getragen von den einzigen Menschen die ich außerhalb von Alex, in meinem Alter kennen gelernt hatte. Kein guter Eindruck. Doch dies bestätigte mir nur, dass ich Menschen in meinem Alter nicht ausstehen konnte.
Irgendwie hatte ich eine Entführung von Jugendlichen nicht eingeplant.
3.Kapitel
„Das nennt man Entführung“, brummte ich, während ich auf meiner Reisetasche saß, umringt von jungen Menschen, die mich alle interessiert betrachteten.
Dieser Smoke hatte mich in ein herunter gekommenes Haus getragen, das von innen überraschend gut im Stande war. Während er mich an vielen Jungen und Mädchen vorbei trug, die in unserem Alter zu sein schienen und auf Bänken und Stühlen herumalberten, fragte ich mich, ob dies ein Waisenhaus für ältere Kinder war. Was sollte das?
Doch zu meiner Bestürzung hatte er mich einfach auf den Boden fallen lassen und neben mir meine Reisetasche hingeworfen. Wütend blickte ich auf, während die Jugendlichen ihre Aufmerksamkeit nun uns widmeten. Der Gesprächspegel im Raum sank so schnell, wie die Titanic, ebenso wie meine Laune.
„Was soll der Scheiß?“, knurrte ich, während ich nun das erste Mal Smoke richtig ins Gesicht sah. Die pendelnde Deckenbeleuchtung warf sein Gesicht in geheimnisvolle Schatten, während giftgrüne Augen mich belanglos anblickten. Seine riesige Gestalt ragte wie ein unheilvoller Schatten über mir auf, der in Lederjacke, zerrissener Jeans und Bikerboots steckte. Sein dunkelblondes Haar sah aus, als hätte er bis gerade noch geschlafen und der harte Zug um seinen Mund verriet mir, dass dies durchaus möglich wäre. Seine langen Wimpern warfen Schatten auf sein markantes Gesicht, sodass seine Augen wie ein gefährliches Glühen daraus leuchteten. Er sah aus wie ein Raubtier.
Ohne auf meine Aussage einzugehen, hob er die Hand und rief: „Die Tasche!“
Lion trat hinter ihm hervor und ich erkannte die unzähligen Sommersprossen auf seinem Gesicht, während er mich frech angrinste.
„Im Licht sieht sie sogar noch besser aus!“, meinte er feixend während er Smoke meine kleine Handtasche überreichte, in der meine Papiere und etwas Geld steckten.
Und nun saß ich hier, während Smoke von meinem gefälschten Ausweis aufblickte, um ihn mit mir zu vergleichen. Währenddessen ließ ich meinen Blick gelangweilt schweifen. Wir befanden uns in einem großen Raum, der mit unzähligen Sesseln, Kissen und Sitzgelegenheiten versehen war, dass er etwas Heimisches hatte. Die wahllos zusammen gewürfelten Möbel ergänzten sich durch mehrere übereinander geworfene Teppiche, einen massiven Holzschrank, sowie eine Kommode und einen riesigen Tisch, auf dem welche Karten spielten und Wetten abschlossen. In dem Raum befanden sich 7 Jungs und 3 Mädchen, die alle etwas Älter als ich zu sein schienen. Sie saßen entweder auf den Sesseln und unterhielten sich, oder hasteten wild beschäftigt quer durch den Raum um jemanden bestimmtes für ein kurzes Gespräch zur Seite zu ziehen. Die Wände des Raumes mussten schon mehrmals notdürftig mit Holz repariert werden und auch die Möbel wirkten ausgeblichen und alt. Die Jugendlichen selbst steckten in zerrissenen und geflickten Anziehsachen, während sie jedoch gesund und munter aussahen, als führten sie ein erfülltes und glückliches Leben. Ich lächelte sehnsüchtig bei dem Gedanken daran, wie Vertraut sie miteinander aussahen und dass ihnen vermutlich das das wichtigste war. Es war so anders zudem, was ich kannte. Um mich glücklich zu machen, überhäufte man mich mit Geschenken und Geld, als könnte man damit die Einsamkeit tief in mir lindern, den Drang nach Nähe und Freunden stillen. Ich hatte noch nie Freunde, ich kannte diese Welt nicht und sie stimmte mich traurig. Wieso konnten sie nur so glücklich sein, obwohl sie alle offensichtlich arm waren?
„Dein Name ist Neah Locksley, ist das korrekt?“, fragte Smoke, während ich einfach nur nickte, ohne den Blick von den Teenagern zu nehmen, die nicht annähernd so viel hatten wie ich und trotzdem mehr.
Ich registrierte ein Mädchen, dass immer wieder zu Smoke hinüberschielte, während sie sich mit ihrer Freundin unterhielt. Sie war recht klein für ihr Alter und ihre langes Kastanienfarbenes Haar hing wie ein Schleier an ihr herunter, während große Haselnussbraune Augen immer wieder sorgenvoll Smoke fixierten. Schien als bedeutete er hier jemandem was. Vielleicht ist er nur zu mir so ein Arsch, fragte ich mich, während ich das Mädchen betrachtete, das in einem veilchenfarbenen Kleid steckte, das mit unzähligen Schleifen geschmückt war, von denen manche schon recht ramponiert wirkten. Doch auch sie wirkte zufrieden.
Was hatten sie alle, was mir so fehlte?
„1,80m groß?“
„Mh“, beantwortete ich einfach Smoke’s bescheuerte Frage. Was interessierte ihn, wie groß ich war? „Goldene Augen?!“, fragte er eher sich selbst als mich und ehe ich antworten ich konnte, wurde ich herumgewirbelt und blickte tief in giftgrün, wobei mir auffiel, dass es gar kein giftgrün war. Es wirkte eher wie die schillernden smaragdfarbenen Schuppen einer Schlange. So eine Augenfarbe hatte ich mein ganzes Leben über noch nicht gesehen.
„Stimmt“, grummelte er und schob mich wieder von sich, während mir erst jetzt bewusst wurde, dass mich die Nähe gar nicht gestört hatte. Lag das daran, dass ich all meine Aufmerksamkeit seinen Augen geschenkt hatte?
„Und 18 Jahre alt?“, nahm er den Faden seiner Fragerei wieder auf.
Genervt rollte ich mit den Augen.
„Ja verdammt! Und nachdem du mich ja jetzt so gut kennst, kann ich ja wieder gehen“, meinte ich entnervt und machte Anstalt mich zu erheben.
„Vergiss es.“
Zwei schlichte Worte, die mich fast dazu brachten die Fassung zu verlieren. Mein ganzes Leben lang wurde ich eingesperrt und das werde ich nun nicht weiter fortführen!
Langsam hob ich den Kopf und sah ihm unbarmherzig ins Gesicht. Seine Augen blickten hart in meine, während seine Haare wild vom Kopf abstanden.
„Du hast nicht das Recht mich hier zu behalten.“
Er legte den Kopf schräg, während ich anfing zu zittern. Ich lasse das nicht zu! Hart biss ich die Zähne aufeinander, während sich meine Hände zu Fäusten zusammenzogen. Langsam schritt er auf mich zu, behielt meine Reaktion ganz genau im Auge. Bei jedem weiteren Schritt zuckte ich zusammen. Als er ganz dicht an mir dran stand, beugte er sich zu mir hinunter und flüsterte: „Ich wüsste nicht, was du dagegen tun könntest.“
Das klatschende Geräusch, als meine Handfläche seine Wange traf, hallte lauter wieder als ich dachte und auf einem Mal, verstummten alle Gespräche, während uns alle entsetzt betrachteten.
Ein hämisches Grinsen umspielte seine Züge, während er sich wieder etwas von mir entfernte und mich anblickte.
„Ich weiß zwar nicht wer du bist, aber deine Papiere sind definitiv nicht echt. Wovor läufst du weg?“
Ausdruckslos erwiderte ich den Blick, bevor ich jedoch etwas sagen konnte unterbrach eine barsche Stimme die Stille.
„Schluss jetzt!“
Mitten in der Eingangstür stand eine große Frau, gehüllt in einen langen Mantel, der ihre Gestalt spielerisch um malte. Ihr kurzes, aschfarbenes Haar fiel ihr störrisch ins Gesicht und ihr harter Blick ließ einem das Blut in den Adern gefrieren.
„Smoke! Ich verlange eine Erklärung für all das!“, befahl sie, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, während ihr Blick durch die Menge strich.
Smoke trat ein paar Schritte weg von mir, was mich erleichtert aufatmen ließ und wandte sich an die Frau.
„Ins Büro?“, fragte er gelassen wie ein Schuljunge der sich nur darauf freute den Ärger eines Lehrers zu bekommen. Kurz fixierten ihre dunklen Augen ihn.
„Da hast du verdammt Recht!“, knurrte sie und stampfte über die Teppiche, als würde sie es mit der ganzen Welt aufnehmen. Gerade schritt sie an mir vorbei, als sie plötzlich stehenblieb. Ich schluckte, während die Spannung mit Händen zu greifen war.
„Mich wundert es schon, was jemand wie du hier wohl zu suchen hat?“, flüsterte sie und meine Augen weiteten sich vor Schreck. Kannte sie mich? Wusste sie wer ich war? Doch ohne ein weiteres Wort zu verlieren schritt sie weiter, während Smoke ihr nachging, nicht ohne mir noch einmal einen undurchdringlichen Blick zugeworfen zu haben.
Ich fühlte mich verloren und fremd, während man mich inmitten dieser Verbundenheit stehen ließ. Um mich herum herrschte eine Vertrautheit, zu der ich offensichtlich nicht passte und so fragte ich mich, was man nun von mir erwartete. Die Jugendlichen alberten und lachten miteinander, als würden sie den Fremdkörper der nicht ins Bild passte nicht bemerken. Traurig schaute ich auf meine Designer Schuhspitzen und wunderte mich, warum ich nicht an Flucht dachte, warum ich keine Angst hatte? Lag es daran, dass man mir noch nichts getan hatte? Oder daran, dass hier alles so friedlich wirkte? Ich vermochte es nicht zu sagen.
„Hey du“, wurde ich von der Seite angesprochen und wandte mich überrascht um. Lion stand vor mir, sah fast schon betreten zu Boden und schabte unruhig mit seinem Fuß über den Teppich.
„Tut mir leid wie das alles grade für dich gelaufen ist“, murmelte er, bevor seine warmen Augen die meine fanden. Sprachlos sah ich ihn an, bevor mein Mund sich zu einem kleinen Lächeln verzog.
„Na ja, jetzt wo du dich ja schon mal so schlecht fühlst, könntest du mir ja mal erklären, wo ich bin“, sagte ich und nahm sein erleichtertes Grinsen war.
„Klar kann ich das! Ich kann dich auch rumführen!“, rief er begeistert, bevor er sich wieder beschämt durchs Haar fuhr, „vorausgesetzt du willst, natürlich.“
Ich nickte freudig, da ich Lion wirklich sympathisch fand und er mir vielleicht helfen konnte, Ordnung in das ganze Chaos zu bringen.
„Okay!“, rief er und klatschte begeistert in die Hände, „dann mal los!“
Er räusperte sich kurz und straffte die Schultern, während er mit gespielt näselnder Stimme fortfuhr: „Hier, junge Dame, sehen Sie den luxuriösen Gemeinschaftsraum der Warriors, wie wir uns so fein nennen. Hier halten die Lords und Ladys ihre konservativen und politisch korrekten Gespräche ab und messen ihre Wissensstände“, sagte er, während er eine ausschweifende Geste machte und ich lachte.
„Nun folgen Sie mir in den nächsten Raum“, meinte er mit einer Verbeugung und zeigte auf eine einfache Holztür.
„Hier dinieren die jungen Herrschaften“, begann er weiter mit seinem Rundgang und zeigte auf die vielen Tische und Stühle, die schon wie im Raum zuvor aussahen, als hätte man sie vor dem Müll gerettet. Fenster gaben den Blick auf die verlassene Straße preis und die Tapete blätterte von den Wänden, während es trotz alledem wie eine Zuflucht aussah. Der Raum war riesig und konnte geschätzte 50 Leute auf Stühlen beherbergen.
„Dürfte ich Sie kurz unterbrechen, Sir Lion?“, fragte ich galant und grinste mit Lion um die Wette, während er Mühe hatte seine Züge wieder unter eine höfliche Maske zu stecken. Unser Spiel machte mir Spaß, so unwirklich es auch zu sein schien.
„Aber sicher doch.“
„Was war dieses Gebäude früher? Die Räume wirken alle zu groß für ein normales Haus“, fragte ich, während ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ.
„Exzellente Frage! Eine Jugendherberge“, antwortete er, während ein trauriger Glanz in seine Augen schlich.
„Was ist los, Lion?“, fragte ich langsam. Energisch schüttelte er den Kopf.
„Wir kennen uns gerademal geschätzte fünf Minuten“, lachte er, jedoch bemerkte ich das gezwungene darin. Ich lächelte leicht.
„Ist schon gut. Du musst es mir nicht sagen.“
Eine unangenehme Stille machte sich im Raum breit.
„Du erinnerst mich an jemanden“, murmelte er und verwirrt drehte ich mich zu ihm um. Der Mond beleuchtete durch die Fenster sein Seitenprofil und traurig sah er mich an. Doch bevor ich etwas antworten konnte, wurde die Tür geöffnet.
Smoke trat ein und sah uns beide stirnrunzelnd an, ehe er sich ausdruckslos an mich wandte.
„Hätte ja nicht gedacht, dass du dich…mh, na wie soll ich es schöner ausdrücken? Dass du dich so schnell mit Lion anbandelst“, sagte er abfällig, während mein Kiefer kurz davor war auf den Boden zu krachen. Wut keimte in mir auf, während ich in funkelnde grüne Augen starrte, die meine Reaktion selbstgefällig mitverfolgten.
„Smoke ich glaub nicht, dass du die Situation richtig begriffen hast“, nahm Lion mich in Schutz, während er Smoke merkwürdig musterte.
„Ach nein? Was kann man denn da falsch verstehen? In einem dunklen, verlassenen Raum, der nur in Mondlicht getaucht ist? So nah beieinander? So vertraut?“, Smoke lachte harsch, wobei seine Augen so eisig wirkten, dass ich gefröstelt hätte, wäre da nicht die heiße Wut, die durch meinen Körper schoss.
„Lass es bleiben Lion. Anscheinend meint Mr. Unfehlbar ja über alles im Bilde zu sein. Lassen wir ihn doch einfach in diesem irrsinnigen Glauben“, schnaubte ich. Die Anspannung im Raum konnte man schon fast mit Händen greifen, als Smoke seinen Blick auf mich heftete, wie Gift. Ein Donnergrollen ertönte draußen und Lion zog scharf die Luft ein, während er besorgt Smoke musterte, der sich mit mir ein erbittertes Blickduell lieferte. Gold traf auf Smaragdgrün.
Ich las in seinem Blick pure Abscheu. Er las in meinem pure Abneigung. Draußen zuckten Blitze, die seine riesige Gestalt in machtvolle Schatten hüllte. Lion wandte sich unbehaglich hin und her, während ich das Knirschen von Smoke‘s mahlenden Zähnen vernahm und das Knacken meiner zusammengeballten Fäuste.
„Ich denke, ich sage Ryka mal Bescheid“, murmelte Lion entschuldigend, während er durch die Tür huschte, als entrinne er knapp dem Tod.
Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt, bis Smoke mit mörderischer Stimme die Stille spaltete, wie eine Axt einen Holzscheit.
„Ich trau dir nicht.“
Ich zuckte nicht einmal mit den Wimpern.
„Das verlangt auch niemand von dir“, gab ich genauso gefühlskalt zurück.
Regen klatschte wild gegen die Fenster.
„Gejagten sollte man niemals trauen.“
„Jägern sollte man nicht trauen.“
Schneeweiße Zähne blitzen in der Dunkelheit auf, als er freudlos grinste.
„Neah Locksley? Und dir ist echt nichts Besseres eingefallen?“
Schmerz durchzuckte meinen Körper, während ich daran dachte, woher dieser Name stammte.
„Du hast überhaupt keine Ahnung. Ich lass mir keine Tipps von jemanden geben, der Smoke heißt“, entgegnete ich eisig, während ich zu meiner Genugtuung auch ein kurzes schmerzhaftes Aufflackern in seinen Augen wahrnahm.
„Ich versteh nicht warum wir so etwas wie dich hierbehalten“, knurrte er.
„Wow, dann sind wir wohl mal einer Meinung. Aber nur um dich daran zu erinnern; du hast mich hierher geschleppt!“, fauchte ich.
Wind pfiff draußen und wirbelte Blätter auf.
„Übertreib es nicht, Kleine“, sagte er gefährlich leise, während er einen Schritt auf mich zukam.
„Übertreiben? Das war eine Erinnerung an die Realität!“, rief ich erbost, während er nur noch eine Handbreite von mir entfernt stand.
„Du hast keine Ahnung mit wem du dich anlegst“, flüsterte er mit deutlichem Zorn in der Stimme.
„War das etwa eine Drohung?“, fragte ich ruhig, während mein ganzer Körper unter Strom stand.
„Finde es doch heraus“, murmelte er, ehe er so schnell von mir weg war, dass er im nächsten Moment an der Wand lehnte, während fast im selben Augenblick die Tür aufgerissen wurde.
Ryka kam mit einem todbringenden Blick hinein und verdeutlichte sich kühl die Situation, ehe sie sich an Smoke wandte.
„Ich hoffe, du weißt was ich Dir gesagt habe“, sagte sie autoritär, als erwarte sie überhaupt keinen Wiederspruch.
„Natürlich weiß ich das!“, sagte Smoke mies gelaunt, ehe er sich von der Wand abstoß und mich einen geringschätzigen Blick würdigte, ehe er zur Tür hinaus schritt, nicht ohne noch einmal gesagt zu haben: „Aber es fällt mir mehr als schwer.“
Als die Tür hinter ihm ins Schloss knallte, sah mich Ryka durchdringend an. Musterte mich von Kopf bis Fuß.
„Ähm, ich bin Neah. Neah Locksley“, versuchte ich mich vorzustellen.
Ihr Blick huschte zurück zu meinen Augen, durchbohrte mich.
„Nein bist du nicht. Aber wenn du willst, nenne ich dich so“, sagte sie und wandte sich seufzend ab.
„Wir sollten in mein Büro gehen, denn das nächste Gespräch wird mehr als nur schwer.“
4. Kapitel
Das war ja wohl alles ein schlechter Scherz.
Sprachlos starrte ich die Frau vor mir an, die mir gerade ernsthaft sagen wollte, dass das hier das Heim von Kindern ist, die wegen ihrer magischen Fähigkeiten von der Regierung gejagt werden.
Ryka sah mich erwartungsvoll an, während sie ihre Hände auf ihren überfüllten Schreibtisch gefalten hatte.
„Es ist mittlerweile halb fünf morgens und ich will einfach nur noch schlafen“, grummelte ich und sah an ihr vorbei aus dem Fenster, indem immer noch schwärzeste Nacht herrschte. Der Regen und das Gewitter hatten anscheinend aufgehört.
„Soll ich es dir erst beweisen?“, fragte sie herausfordernd, während ich überrascht eine Augenbraue hob.
„Klar“, sagte ich gähnend und stockte im nächsten Augenblick. Ich konnte mich nicht mehr rühren.
Ich saß immer noch auf dem klapprigen Stuhl vor dem Schreibtisch, die Hand vor dem weit aufgerissenen Mund gehoben und mein Körper locker zurück gelehnt. Doch leider, konnte ich an dieser Position nichts ändern. Panik brach aus, während ich versuchte etwas zu sagen, dass genauso unmöglich war.
Was hatte sie getan? War das ein Trick? Was war das?!
„Ich sehe das Entsetzen in deinen Augen“, sagte sie und sah mich harsch an.
„Glaubst du mir jetzt?“, fragte sie, ehe sie mit der Hand wedelte und ich aus meiner Starre fiel und wild an mir herunter sah. Hatte sie mich irgendwie festgehalten? Hatte sie mir irgendwelche Mittel verabreicht?
Sprachlos sah ich sie an.
„Ich kann das immer und immer wieder tun“, sagte sie und im nächsten Moment war ich wieder zur Salzsäule erstarrt. Als sie mich wieder von ihrem Bann entließ, sah ich sie misstrauisch an. Magie? Gab es so etwas?
„Angenommen es gäbe Magie, was mache ich dann hier?“, fragte ich vorsichtig um nicht wieder bewegungsunfähig gemacht zu werden.
Die 25 Jährige Frau vor mir grinste schief, was sie noch gruseliger wirken ließ, als sie eh schon war.
„Magier entsenden vor ihrer Verwandlung, das heißt vor ihrer Entdeckung, eine starke magische Aura ab. Neumagiern fällt es zu Anfang sehr schwer sich zu beherrschen und mit der neuen Welt klar zu kommen und sind daher sehr gefährlich. Wir, die Warriors, haben es uns unter anderem zur Aufgabe gemacht diese Magier aufzuspüren und entweder zu erziehen oder zu eliminieren. Guck nicht so entsetzt, nicht jeder Neumagier hat gute Absichten und wir können es uns nicht leisten einen Wahnsinnigen auf die Welt loszulassen. Eine unserer jungen Magierinnen spürte heute Nacht eine enorme magische Aura sowie den Geruch der Verstoßenen. Verstoßene sind Magier, die aus ihrem Clan, ihrer Gruppe, hinaus geworfen wurden. Meistens handelt es sich darum um Machtgierige und Magiemissbrauchende Magier, die zum Beispiel unserem Clan schlechtes wollen. Um dies zu verhindern senden wir immer einen Trupp aus, der diesen Magier vernichtet. Doch eine Mischung aus beidem, einem Magier kurz vor der Verwandlung und einem Verstoßenen hatten wir noch nie und so standen dir wohl meine Leute etwas feindselig gegenüber, da sie nicht wussten mit wem sie es zu tun hatten.“
Meine Kinnlade klappte auf und wieder zu, ehe sich die Worte mühselig in mein Gehirn bannten. Ich erinnerte mich daran, wie das Mädchen mich Verstoßene nannte.
„Heißt das…heißt das ich stehe kurz vor meiner Verwandlung?!“, fragte ich entsetzt.
Langsam nickte Ryka.
„Vermutlich. Wir wissen noch nicht ganz, was an dir anders ist, deshalb haben wir ein Auge auf dich.“
Na super. Ich wollte das alles noch nicht recht begreifen. Müde rieb ich mir meine Augen.
„Du solltest jetzt besser schlafen gehen“, meinte Ryka, „Nummer 13 ist dein Zimmer. Einfach den Flur entlang und dann Rechts, dann kommst du zu den Zimmern.“
Nickend erhob ich mich, während mein Körper vor Müdigkeit taumelte.
„Ach und Hero?“, fragte sie beiläufig, wobei sie den Blick nicht von ihren Akten hob, „Versuch nicht zu fliehen ja?“
Verblüfft sah ich sie an, bevor sie doch den Kopf hob.
„Es würde nichts bringen. Der Schlüssel zu deinem Zimmer steckt bereits im Schloss.“
Dann senkte sie wieder den Kopf und gab mir somit ein eindeutiges Zeichen zu gehen.
Geistesabwesend durchschritt ich den dunklen Gang, auf der Suche nach meinem Zimmer. Ich war erst bei Zimmer 56, also hatte ich noch eine Weile zu laufen. Mein Schädel brummte und mein Magen knurrte, doch ich im Moment war alles was ich wollte Schlaf.
Die letzten Stunden waren verrückter gewesen, als ich mir meine ganze Flucht vorgestellt hatte. Ich wurde von Teenagern mitgenommen, die alle so verschieden zu sein schienen.
Da war Lady, die hochnäsige, die am Liebsten nichts mit mir zu tun hätte. Dann Lion der fröhliche, der manchmal nicht so fröhlich ist, wie er wirkt und dann ist da noch Smoke. Einer der schwierigsten Menschen, die mir je begegnet sind. Arrogant, zornig und zutiefst misstrauisch und gefährlich. Und was ist mit Ryka? Sie schien so etwas wie die Anführerin hier zu sein und dass selbst Smoke ihr gehorchte, musste schon was heißen. Beim Gedanken an ihre Magie fuhr mir ein Schauer über den Rücken. Magie? Stimmte es? Gab es das wirklich? Und wenn ja, was konnten dann die anderen? Und was war mit mir? Seufzend schleppte ich meinen müden Körper weiter.
„Judy Heartstorm“, unterbrach eine tiefe Stimme die Stille und führ einen Moment setzte mein Herz aus. Ich wusste wer hinter mir stand auch ohne mich umzudrehen. Judy Heartstorm, echote mein sadistisches Unterbewusstsein und rammte mir wieder ein Messer ins Herz.
„Sag mal schläfst du eigentlich nicht auch mal?“, flüsterte ich und versuchte die Tränen zu unterdrücken.
„Was weißt du über Judy?“, ignorierte Smoke meine Frage barsch.
Wütend kniff ich die Augen zusammen. Konnte dieser Kerl mich nicht einmal in Ruhe lassen?!
„Ich weiß nicht von wem du sprichst!“, keifte ich und überging den Schmerz in meinem Herzen.
„Ach nein?!“, rief Smoke zornig und riss mich grob am Arm zu ihm herum.
„Lass mich los!“, versuchte ich so ruhig wie möglich zu sagen, während er mich immer noch fest im Griff hielt.
„Du kennst Judy, ich weiß es!“, ignorierte er mich erneut und drückte mich noch enger an sich, sodass ich direkt in seine zornig funkelnden Augen blickte. Ich kannte diese Art von Zorn zu gut. Dieses verzweifelnde.„Smoke lass mich los“, hauchte ich, während die Angst meine Kehle zuschnürte und sich Tränen in meinen Augen sammelten.
„Hast du sie umgebracht verdammt?! Warst du an ihrem Tod beteiligt?!“, brüllte Smoke dem Zorn gänzlich verfallen, während er mich gegen die Wand stieß.
„Wie kommst du darauf?!“, rief ich aufgebracht, während ich versuchte aus seiner Reichweite zu kommen, doch er hatte schon die Arme seitlich von meinem Körper abgestützt und fixierte mich mit seinen Raubtieraugen. Erinnerungen kreuzten mein Bewusstsein, Bilder von früher. Grausame Bilder. Bilder die mich seelisch kaputt gemacht haben. Die Panik machte meinen Körper bewegungsunfähig und ich bemerkte kaum, wie mir die Tränen die Wangen runterrannen. Diese Nähe war zu viel für mich. Diese Wut, diese Aggressivität war zu viel für mich.
„Smoke…“, flüsterte ich ein letztes Mal.
Seine verschleierten Augen schienen sich zu lichten, die Wut wich der entsetzten Überraschung und mit einem Ruck wich er von mir zurück, doch da hatte meine letzte Kraft schon meinen Körper verlassen und ich sackte ohnmächtig zusammen, ohne zu merken wie er mich vor einem Sturz bewahrte...
Es war ein kalter Dezembertag und der Schnee bedeckte die ganze Landschaft wie glitzernde Zuckerwatte. Ich war 16 und hatte einen geheimen Shoppingausflug nur mit einem Bodyguard unternommen, weil ich Alex mit meinem Geschenk überraschen wollte. Wir waren nun seit knapp einem halben Jahr fest zusammen und ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt. Mein Vater hatte uns schon vor einem Jahr geschäftlich verlassen und schien auch nicht so schnell wiederzukommen, so wusste er noch nichts von meinem Glück. Thomson, der mich begleitende Bodyguard, fuhr gerade den Mercedes in die Garage und lächelte mich durch den Rückspiegel onkelhaft an, als er meine Ungeduld bemerkte. Ich wollte Alex unbedingt zeigen was ich extra für ihn gekauft hatte und rutschte deshalb schon die ganze Autofahrt zurück unruhig auf meinem Sitz hin und her.
„Sie können nun austeigen Miss“, sagte Thomson, obwohl ich mich schon längst abgeschnallt hatte und schon halb aus der Tür raus war. Thomson war wohl das, was mir einer Familie am nächsten kam. Er begleitete mich schon mein ganzes Leben und war da, wie es mein Vater nicht war. Ich mochte seine warmen grauen Augen und die Art wie sich die Fältchen um seine Augen bildeten, wenn er lächelte. Und lächeln tat er nur für mich!
„Danke Thomson!“, rief ich, als ich über den kahlen Boden der Tiefgarage hastete, das Geschenk fest an die Brust gepresst.
„Passen Sie auf, dass Sie nicht fallen!“, hörte ich ihn hinter mir herrufen, als ich die große Treppe nahm, anstatt auf den Aufzug zu warten. Ich konnte es kaum erwarten Alex mein Geschenk zu überreichen. Mindestens zwei Stufen auf einmal nehmend kam ich wenig später im gewünschten Stockwerk keuchend an. Seitenstiche plagten mich, doch ich rannte einfach weiter den Gang weiter entlang, rannte bis ich vor der robusten, eichenden Tür stand, hinter der sich Alex befinden müsste. Breit grinsend und ohne anzuklopfen, stürmte ich freudig in den Raum. Doch meine Miene gefror, als ich Alex eiskalten Gesichtsausdruck bemerkte, der mich in Eis zu verwandeln schien. Da war keine Liebe, keine Zuneigung. Da war nichts. Wie festgewurzelt stand ich in der Tür, die Klinke noch in der einen Hand, während ich Alex unsicher betrachtete, der hinter dem Schreibtisch wie mein Todeskomitee wirkte. Die Sonne, die durch die riesige Fensterfront hinter ihm schien, konnte diesem Raum keine Wärme schenken. Die Bücherwände verursachten bei mir ein Gefühl der Enge und mein Geschenk rutschte mir fast aus meiner verschwitzen Hand. Die Stille fraß sich in mein Gehirn und langsam kam ich wie ein scheues Tier einen weiteren Schritt hinein.
„Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht“, murmelte ich unsicher.
Seine Augen durchbohrten mich, spießten mich auf.
„Wo bist du gewesen?!“, donnerte er los und erschrocken zuckte ich zusammen.
„Ich…ich wollte dir unbedingt was kaufen“, versuchte ich mich zu verteidigen und hob das kleine Paket vor mich, wie ein Schutzschild. Ich hatte es doch nur gut gemeint!
Seine Augen verengten sich zu Schlitze.
„Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?!“, brüllte er erneut los und erhob sich mit einem Ruck. Angst durchfuhr meinen Körper.
„Oder hast du dich etwa mit jemandem getroffen?! Einem Verehrer?!“, der ganze Raum schien von seiner Lautstärke zu beben und Tränen traten mir von seinen Worten in die Augen.
„Nein! Nein, es gibt keinen anderen!“, schrie ich, „es sollte doch nur eine Überraschung sein!“
Verzweifelt trat ich weiter vor. Sein Körper bebte vor Zorn und seine Augen glühten unheilvoll.
„Ich glaub dir nicht“, hauchte er und schloss kurz schmerzvoll die Augen.
Mein Herz zog sich kurz zusammen. Plötzlich riss er die Augen wieder auf und war mit wenigen Schritten bei mir, während er mein Geschenk mit einem Ruck auf dem Boden warf und mir einen kräftigen Schubs gab.
„Es gibt jemand anderen nicht wahr?!“, seine Stimme verfiel der Hysterie, während ich versuchte nicht auf den Boden zu fallen. Ich wusste, dass das passieren würde, ich wusste es. Doch wenn man jemanden liebt, dann hofft man, dass es nicht mehr vorkommen wird. Das man sich ändern wird.
„Es gibt niemanden Alex! Ich liebe nur dich!“, meine Stimme brach, während ich in sein aufgebrachtes Gesicht sah.
„Lügnerin!“, keifte er und schlug mir mit seiner Faust ins Gesicht. Schmerzvoll schrie ich auf, als ich mit dem Kopf gegen das Bücherregal knallte. Blut lief mein Gesicht hinab und mein rechtes Auge schwoll pochend zu. Wenn man jemanden liebt, akzeptiert man seine Macken.
Ein knirschen ertönte, als er auf dem Weg zu mir auf das Geschenk trat.
„Hör auf Alex! Es stimmt was ich sage!“, versuchte ich ihn zu beruhigen, während ich den metallischen Geschmack des Bluts schmeckte.
„Warum liebst du mich nicht so sehr, wie ich dich liebe?! Warum musst mich immer so hintergehen?!“ Ein weiterer Schlag ins Gesicht.
In Momenten wie diesen fragte ich mich, wie ich es nicht vorher bemerken konnte. Wie ich diese wahnsinnige Seite an ihm nicht bemerken konnte. Hätte ich mich dann nicht in ihn verliebt? Wäre es dann nicht so weit gekommen? Doch ich wusste, dass ich schon verloren war, als ich ihn vor 2 Jahren das erste Mal sah.
Ich liebte Alex, doch was war, wenn dies aufhören würde? Würde ich ihn verlassen? Könnte ich dies überhaupt?
Liebe machte Menschen zu blinden Menschen.
5. Kapitel
Schreiend wachte ich auf und fuhr mit glühemden Gesicht hoch. Es war dunkel und roch nach Rauch. Ich schmeckte Salz auf meinen Lippen, während ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern. Der Streit mit Smoke! Ich ertastete eine Decke und ein Kissen, folglich musste ich in einem Bett liegen.
„Du wirst echt immer rätselhafter“, durchbrach Smoke die Stille und erschrocken durchsuchte ich den Raum nach ihm. Doch ich sah nichts außer der Schwärze und hin und wieder en aufglühen.
„Sag mal rauchst du?“, fragte ich entsetzt, ohne auf seine Frage einzugehen.
„Problem damit?“
„Es ist dunkel verdammt! Was ist wenn du das ganze Zimmer abfackelst?!“
Alarmiert richtete ich mich in dem Bett auf, bereit jederzeit weg zu rennen.
„Ruhig Blut Süße, ich kann im Dunkeln sehen.“
Bei dem Kerl wunderte mich echt nichts mehr.
„Was machst du hier? Und wie bin ich hier rein gekommen?“, fragte ich, um die großen Fragezeichen in meinem Kopf zu beantworten.
Ein Seufzen erklang, dann das Geräusch von ausstoßendem Qualm. Ich mochte den Geruch, obwohl ich sonst Raucher verabscheute. Doch dieser Rauch hatte etwas Wohliges.
„Du bist auf dem Flur zusammengeklappt und deshalb habe ich dich in dein Zimmer gebracht. Ich bin hier geblieben um darauf zu achten, dass du auch wieder aufwachst. Schließlich bist du ja noch ein Mensch und die sind ja bekanntlich besonders gebrechlich!“
Ich starrte das Glühen der Zigarette an, während ich versuchte Ruhe zu bewahren.
„Die Situation hast du ja wirklich schön beschrieben!“, fauchte ich, „wessen Schuld war das denn bitte alles?!“ „Hey! Du bist doch diejenige die ein großes Geheimnis um sich macht und irgendwelche traumatischen Körperkontakt Erfahrungen gemacht hat! Soll ich dich deswegen besonders behandeln?!“
Ich zuckte bei seinen wütenden Worten zusammen, während ich versuchte die Tränen zu unterdrücken.
„Sagt der Typ, der nur mich so bedrängt und es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht hat mich auf Schritt und Tritt zu verfolgen! Was erwartest du?! Das ich dir all meine Geheimnisse erzähle?!“
„Achso klar! Ich soll das merkwürdige Mädchen, dass ihre Identität verschleiert und Leute kennt, die sie besser nicht kennen sollte, einfach mit einer großen Familiären Umarmung begrüßen und sie fragen, ob wir nicht für immer Freunde sein können!“
Ich lachte freudlos.
„Ich habe dir nichts getan! Du hast mich doch so Aggressiv nach meiner Mutter gefragt!“
Eine Stille machte sich breit, in der nur unser lautes Atmen zu hören war, ehe die Zigarette mit einem Zischen erlosch. Ich vernahm Smokes Schritte, ehe er die Vorhänge mit einem groben Handgriff zur Seite riss. Sonnenlicht fiel in den Raum blendete mich, während ich blinzelt Smokes große Gestalt ausmachte. Er sah nachdenklich nach draußen, beachtete mich kein bisschen.
„Wow keine 24-Stunden hier und schon erfahre ich, dass du die Tochter der größten Magierin bist, die je gelebt hat. Deshalb wollte Ryka dich hierbehalten.“ Mit diesen Worten wandte er sich um, ohne mich anzublicken und verließ den Raum.
Es werden wohl nicht seine Worte sein, die mir ewig im Gedächtnis weilen werden, sondern eher der Gesichtsausdruck, mit denen er sie verwendete. Ausdruckslos und hart. Es schien wohl auch etwas zu geben, dass Smoke verletzte. Und genau das hatte mit meiner Mutter zu tun.
Mein Zimmer war nichts Besonderes. Abgeblichene gelbe Tapete und ein paar ramponierte Möbel. Ich hasste gelb. Seufzend lehnte ich mich auf meinem klapprigen Bett zurück und starrte auf meine Reisetasche, die ganz verloren auf den abgenutzten Holzboden wirkte. Vögel flogen an meinem Fenster vorbei und eine Spinne sponn sich ihren Weg von dem Tisch, der Mitten im Zimmer stand, zu dem Boden.
Hier sollte ich dringend mal sauber machen, dachte ich resigniert, als ich meinen Blick schweifen ließ. Wem das Zimmer wohl vorher gehört hatte? Immerhin roch die Bettwäsche frisch. Gähnend stand ich langsam auf und ließ mich neben meiner Tasche zu Boden sinken, ehe ich sie öffnete.
Geld und Kleidung wölbten sich der Öffnung entgegen. Teure Kleidung, die ich hier sicherlich nicht tragen konnte. Ein schlichtes orangefarbenes Kleid fiel mir in die Hände. Es hatte viele kleine Rüschen und Schleifen und automatisch musste ich an das Mädchen von gestern in dem Veilchenfarbenen Kleid denken. Vielleicht sollte ich es ihr schenken?
Ein klingeln riss mich aus den Gedanken und überrascht blickte ich auf. Was war das? Es schien von weiter her zu kommen und neugierig stand ich auf und öffnete die Tür, vor der schon Lion mit erhobener Hand stand und mich genauso verwirrt musterte, wie ich ihn.
Seine roten Haare lugten unter einer grauen Mütze hervor, während sein Körper in einer weiten tiefsitzenden Jeans und einer Sweatshirt Jacke steckte.
„Oh ähm hey“, sagte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht und kratzte sich, mit der gerade noch erhobenen Hand, am Kopf, „ich wollte gerade bei dir klopfen.“
Ich lachte.
„Was ist das für ein Geräusch?“, fragte ich, da das Klingeln immer noch nicht aufgehört hatte.
„Es läutet immer, wenn wir Essen kommen sollen. Doch da es noch nicht Zeit für das Essen ist, muss es wohl eine Versammlung sein“, sagte er schultern zuckend.
Lion schien wohl auch nicht genau zu wissen, was da vor sich ging und mit einem fragenden Gesichtsausdruck folgte ich ihm zum Speisesaal.
Die Feindselige Aura im Speisesaal erschlug Lion und mich, bei betreten fast. Eine eisige Stille herrschte, selbst bei der hohen Anzahl der versammelten Jugendlichen. Lion und ich traten durch die zweite Tür in den Speisesaal, die durch den Gang von den Zimmern schneller zu erreichen war, weshalb wir weit hinter den Rücken der erstarrten Jugendlichen standen und Mühe hatten, einen Blick nach vorne zu erhaschen. Doch was ich sah, verschlug mir die Sprache.
Ryka stand mit verschränkten Armen einer verhüllten Gestalt gegenüber, die zu meinem Schreck, eine Sense in der Hand hielt.
„Womit habe ich denn diese Ehre verdient?“, fragte sie trocken, ohne den Blick von der Gestalt abzuwenden. Die Jugendlichen hielten ehrfürchtig Abstand und einige verließen hastig den Raum, nicht wenige von ihnen hatten Tränen in den Augen.
„Die Inquisition ist auf der Suche nach jemanden und verlangt die völlige Unterstützung der Warriors“, erklang ein Flüstern, dass brüchig und alt klang. Trotz seiner Lautstärke schien es alldringend zu sein und brannte sich ins Hirn. Schauer überfielen meinen Rücken und automatisch wich ich einen Schritt zurück.
„Ich entsinne mich nicht daran, jemals ein Wunschkonzert gewesen zu sein“, antwortete Ryka belanglos, als würde ihr die gefährliche Ausstrahlung der Gestalt nicht auffallen.
„Sie wollen doch sicherlich das die Sicherheit ihrer kleinen Schützlinge auch weiter bestand hat, oder etwa nicht?“
Die Drohung war so klar, dass einige entsetzt zurückwichen. Ryka kniff ärgerlich das Gesicht zusammen und der mysteriöse Besucher wusste wohl, dass er sie am Haken hatte. Was hatte das alles zu bedeuten? „Verdammt!“, zischte Lion neben mir und verwirrt drehte ich mich zu ihm um. Seine gesamte Haltung war angespannt und seine zusammengeballten Fäuste bebten, während er stur auf das Spektakel blickte.
„Wer ist er?“, fragte ich, erschrocken von seinem inneren Aufruhr.
„Das ist ein Mitglied der Inquisition. Eine Gemeinschaft die es darauf absieht Magier wie uns spurlos aus dem Verkehr zu ziehen. Sie arbeiten im Auftrag der Regierung und sind sehr mächtig. Man könnte sagen sie sind die ausführende Gewalt der Regierung. Einige von uns hier haben schon Angehörige durch sie verloren“, presste er mühsam heraus und meine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Aber warum? Und wieso empfangt ihr ihn da trotz alledem?“
Ich verstand es nicht. Ich verstand dies alles nicht. Magie. Inquisition. Waren wir hier im Mittelalter?! Was war das für eine grausame Welt?!
„Nun du musst wissen, dass die Regierung gegen unsere Existenz ist, wenn wir nicht für sie arbeiten, da sie uns für eine zu große Gefahr halten. Doch selbst sie, können nicht einfach unschuldige Leben auslöschen und so sind es meist Intrigen, die uns zum Tode führen. Entweder sie wissen von deiner Magie und benötigen sie für sich selbst, dann nehmen sie dich einfach mit. Manchmal jedoch, entführen sie dich auch einfach. Verschwundene Magier sind nichts neues. Meist jedoch, jubeln sie dir Gesetzesbrüche unter, die du nicht begangen hast und verurteilen dich zu Tode. Gerüchte besagen, dass es auch nicht mehr lange dauern wird, bis es neue Gesetzesbeschlüsse geben wird die besagen, dass die Regierung uns auch einfach so aus dem Verkehr ziehen darf. Selbst jetzt, wenn deine Magie zu groß ist, kommen sie dich holen. Ryka gründete diese Zufluchtsstätte, nachdem ihre gesamte Familie vor ihren Augen gefoltert und umgebracht wurde. Doch selbst sie untersteht dem Gesetz und um uns keine Probleme zu bereiten, muss sie sich der Inquisition beugen.“
Langsam richtete ich meinen Blick wieder nach vorne und bemerkte, dass Ryka immer noch nicht geantwortet hatte, während mir Lions Worte durch den Kopf schwirrten.
In dieser Welt konnte niemand frei sein und trotzdem musste ich an die glücklichen Gesichter denken. Sie alle hatten vermutlich ihre Eltern verloren und trotzdem können sie lachen. Vielleicht war ich ja schwach, weil ich nicht die stärke besaß zu lachen? Vielleicht bedeutete Freiheit ja…
„Nach wem sucht Ihr?“, fragte Ryka zischend und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.
„Nach einer jungen Frau. Der Gemahlin unseres Herren. Cara Heartstorm.“
Ich konnte gerade noch so ein überraschtes auf keuchen unterdrücken, ehe ich mich umwandte und wegrannte. Mein Name. Diese gruselige Person suchte nach mir. Doch warum? Was hatte ich mit dieser Welt zu schaffen? Mein Herz klopfte viel zu laut, während ich die verlassenen Gänge blind entlanglief. Was hatte ich mit einer Inquisition zu schaffen?! Und was meinten die mit Gemahlin?! Jetzt hatte ich nicht nur Alex am Hals sondern auch noch andere Wahnsinnige. Schien ja immer besser zu werden…
Verzweiflung machte sich in mir breit und die Ungewissheit schnürte mir meine Kehle zu.
Was war, wenn sie mich fanden? Was war, wenn mein kleines bisschen bis jetzt erreicht Freiheit alles war, was ich je erreichen würde? Was hatte ich jemals falsch gemacht? Was hatte ich getan?!
Keuchend ließ ich mich auf allen viere auf den Boden fallen. War das Alex Schuld? Hatte er mir das alles eingebrockt?! Wieso konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Wieso konnte ich kein glückliches Leben führen?! Warum wurde ich so bestraft?!
Ein Schrei entfuhr meiner Kehle. Ein kleiner heiserer Schrei, während heiße Tränen auf meine Handrücken tropften. Wann hatte ich angefangen zu weinen? Für das was er mir alles angetan hatte, gehörte er bestraft, nicht ich! Ich hatte nie etwas Böses getan!
Ein weiterer verzweifelter Schrei entfuhr meiner Kehle, während mein ganzer Körper zitterte. Schluchzend krallte ich mich an den steinernen Boden. Die ganzen Demütigungen, die höhnischen Worte, die falschen Versprechen! Die Schmerzen, das Leid und die falsche Liebe!
„WARUM?!“, schrie ich schluchzend.
Eine große Hand strich meinen Rücken entlang, versuchte mich zu beruhigen, doch ich brach einfach weinend zusammen, hatte nicht mehr die Kraft mich zu halten.
„Scheint wohl, als teilten wir manches Leid“, murmelte eine Stimme und strich mir über den Kopf.
Ein Schluchzer war meine Antwort, worauf zwei starke Arme sich unter meinen Körper schoben und mich hoch hoben, um mich an eine breite Brust zu drücken.
„Jetzt komm schon Neah, wie soll ich dich hassen, wenn du so drauf bist?“, versuchte Smoke es mit einem aufgesetzten Scherz und ein ersticktes Lachen entfuhr mir.
Ich krallte mich kraftlos in seinem Hemd fest und drückte mein Gesicht fest gegen sein T-Shirt, zog tief seinen Geruch ein. Mir war es egal, dass er mir so nah war. Mir war es egal, dass es Smoke war und ich ihn eigentlich verabscheuen musste. Ich sehnte mich nur schon so lange nach einem Trost um mich festzuhalten, dass mir alles egal war, denn schon lange hatte sich niemand mir gegenüber so verhalten. Wie denn auch, ohne Freunde und Familie?
Das leichte Schaukeln seiner Schritte beruhigte mich und erschöpft lauschte ich seinem gleichmäßigen Herzschlag.
„Weißt du, du hast mich von Anfang an, an jemanden erinnert, der mir einst sehr wichtig war“, begann er leise und ich ahnte, dass er mir etwas erzählte, dass er kaum jemanden erzählte.
Vielleicht hatte er es noch nie jemanden erzählt?
„Es war wohl das erste und letzte Mal das ich mich verliebt hatte und dieses Mädchen war meine Welt“, er lachte rau, „ja selbst ich habe Gefühle.“
Ich lächelte leicht.
„Naja, das Mädchen war wohl etwas Besonderes, obwohl man das glaub ich über jeden sagt, den man liebt“, sinnierte er flüsternd, „ich hatte mir wirklich eine Zukunft vorgestellt…“
„Du hattest mich etwas an sie erinnert und das wollte ich wohl nicht“, gab er zu und ich spürte den Schmerz in seiner Stimme.
Eine Weile war es still, nur das Geräusch seiner Schritte war zu hören.
„Was war passiert?“, fragte ich schließlich heiser.
Sein Körper verhärtete sich um mich und ich hielt die Luft an. War ich zu weit gegangen? Hasste er mich wieder? Ich wollte diesen Moment nicht zerstören.
Doch gerade als ich dachte, er würde mir nicht antworten sagte er: „Sie wurde von der Inquisition umgebracht."
Bei dem Satz merkte ich nicht, dass ich schon längst aufgehört hatte zu weinen.
6. Kapitel
Das Badezimmer war klein, jedoch mit allem wichtigen ausgestattet und sauber. Eine große Dusche, eine Toilette, ein Waschbecken und ein kleiner Schrank. Mehr brauchte ich auch nicht, da ich Badewannen sowieso noch nie ausstehen konnte. Ich mochte das Gefühl nicht, im heißen Wasser vor mich her zu schrumpeln.
Smoke hatte mich zu meinem Zimmer getragen und mich dann vor der Zimmertür wortlos stehen gelassen. Es schien wohl nur ein kurzer Moment des Waffenstillstandes gewesen zu sein, doch er hatte mir viele neue Seiten gezeigt. Auch Smoke schien in seiner Vergangenheit viel zugestoßen zu sein und vielleicht steckte ja hinter seiner harten Schale, ein weicher Kern?
Seufzend drehte ich mich zum Spiegel um, der über dem Waschbecken hing. Ich sollte mir keine allzu großen Hoffnungen in Smokes guter Seite machen.
Mein Spiegelbild schaute mir erschöpft entgegen. Große Goldene Augen, die mit den Sternen um die Wette strahlten und eine etwas krumme Nase waren wohl das erste das mir immer wieder auffiel. Durch Alex verlief sie nicht mehr grade, sondern machte unten einen winzigen Schlenker nach rechts. Niemanden sonst schien so was aufzufallen, doch mir machte es immer wieder klar, dass ich ihn nie loswerde. Das er immer ein Teil von mir sein wird. Meine Lippen waren wohl etwas zu klein um weiblich zu wirken und meine langen braunen Haare zu widerspenstig um als elegant angesehen zu werden.
Warum sah man sich selbst immer kritischer? Hinterfragte alles, was andere an einem einfach hinnahmen?
Ich besaß kleine Sommersprossen um die Nase und meine Ohren waren spitzer als andere, weshalb ich als Kind immer dachte, ich sei eine Elfe. Doch eine Elfe war mit Sicherheit um einiges graziöser als ich es je sein werde. Ein grinsen stahl sich auf meine Züge und entpuppte schneeweiße Zähne, die auf den ersten Blick perfekt aussahen, doch auf den Zweiten erkannte man dass die Vorderzähne unterschiedlich lang waren. Es hatte mich nie gestört und mir wurde auch gesagt, dass das mich sympathischer aussehen lässt, doch selbst das war mir egal.
Alex wollte mich deswegen immer zu einem Zahnarzt schleppen, der diesen winzigen Makel behob, doch ich hatte mich stets gegen diesen Perfektionswahn gewehrt. Ich verstand nicht warum heutzutage alles passen musste, warum alles ausgebessert werden musste, bis es nichts mehr zum Verbessern gab. Es war schrecklich.
Langsam schälte ich mich aus meinem roten Top und der schwarzen Röhrenjeans und streifte mir die Chucks von den Füßen. Dann tapste ich Barfuß unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Der heiße Wasserstrahl entspannte meine Muskeln und es tat gut wieder sauber zu werden. Meine ganze Situation kam mir immer noch so unwirklich vor. Als wäre das alles nur ein verwirrender Traum ohne Bedeutung. Oder hatte er eine Bedeutung?
In der Ecke fand ich ein Stück Seife und ich begann meinen Körper damit zu schrubben. Mit dem Dreck, schienen auch die vergangenen Stunden zu verschwinden und im Abfluss hinunter gespült zu werden. Was bedeutete eigentlich frei zu sein?
Hieß es wirklich unabhängig und allein zu sein? Sich in den Himmel zu schwingen und sich von allem zu lösen? Alex konnte nie verstehen, warum ich wie ein Luftballon sein wollte.
„Man kann ihn doch an der Schnur festhalten“, hatte er gesagt.
„Ja aber wenn er dann endlich in den Himmel aufsteigt, dann steht das für sein Entkommen. Für seine gewonnene Freiheit“, hatte ich ihm geantwortet.
Er hatte nur die Stirn gerunzelt.
„Aber er lebt ja nicht für immer. Er zerplatzt auch irgendwann.“
„Davor hatte er das höchste Maß an Freiheit erlebt!“
Alex hatte mich nie verstanden und ich wusste auch nicht, ob mein Wunsch nicht einfach ein Irrglauben aus meiner Kindheit war. Vielleicht konnte ein Mensch niemals so sein?
Vielleicht war ein Mensch ständig an etwas gebunden?
Langsam stellte ich die Dusche aus und stieg hinaus in die kalte Welt. Frierend hüllte ich mich in ein Handtuch und verließ das Badezimmer.
Es müsste ungefähr Mittag sein und mein Magen begann schon zu rebellieren, verlangte nach Essen.
Meine Tasche stand immer noch so im Raum, wie ich sie verlassen hatte und gedankenverloren suchte ich mir etwas hinaus, was ich anziehen konnte. Da es Frühherbst war, war es noch nicht allzu kalt und so zog ich mir einen langen Pulli und eine Leggings an und kombinierte dies mit dunklen Keilabsatzschuhen aus der neuesten Herbstkollektion. Ich würde hier auffallen wie ein bunter Hund, doch andere Dinge hatte ich nicht eingepackt, besaß ich nicht. Ich schätze bei Alex war dies mein einziger Trost gewesen, mich herauszuputzen. Den ganzen Tag alleine Zuhause verbringen langweilte einen und so hatte ich wohl Zuflucht in der Mode gesucht. Ich musste hier unbedingt einkaufen gehen, um nicht ganz aus der Masse hier herauszustechen.
„Oh meine liebliche Blume. Du schönste aller Pflanzen. Zart und wunderschön! Der Stern auf Erden! Die-„
„Was zum Teufel?!“, unterbrach ich überrascht den Jungen im Türrahmen, der auf den Knien saß, ein Arm weit vor sich ausgestreckt, als präsentiere er dem Publikum gerade ein Schauspiel. Sein weiß-blondes Haar wellte sich bis zu den Schultern und seine Kleidung ähnelte der eines Kapitäns.
„Dein Körper ähnelt der einer bezaubernden Göttin. Wer bist du holde Maid? Gekommen um mir meine Jugend zu stehlen? Mein Herz?“, sinnierte er weiter, als wäre er der Protagonist eines Shakespeare Dramas.
„Ähm…Hallo?“, sagte ich und wedelte mit meiner Hand vor dem verträumten Gesicht des jungen Mannes herum, der zur Decke starrte, als wäre dort sein schmachtender Text abgebildet.
„Oh verzeiht mylady!“, rief er aus und heftete seinen Blick augenblicklich auf mein Gesicht und griff nach meiner Hand um ihr einen feuchten Kuss aufzudrücken.
„Ich bin der hoch angesehene Charles!“
Angewidert zog ich blitzschnell meine Hand zurück und wich einen Schritt nach hinten aus.
Was war das denn bitte für ein Kerl?
Doch bevor ich antworten konnte vernahm ich ein lautes splittern hinter mir und das laute Schreien Charles, ehe mir ein Tuch auf den Mund gepresst wurde und ich in einen tiefen Schlaf sank.
Als ich wieder zu mir kam, war er dunkel und es roch nach Alkohol. Mein Gehirn konnte die Worte des Stimmengewirrs um mich herum noch nicht richtig verstehen, dazu war es noch zu benebelt. Ich brauchte etwas, um zu begreifen, dass ich an einen Stuhl gefesselt war und angestrengt versuchte ich den Worten zu lauschen, um zu begreifen was ich hier suchte.
„Was sucht das Mädchen hier?! Wir wollten doch nur den Schleimbolzen!“, rief eine tiefe Stimme verärgert.
„Nun…das Mädchen war bei ihm Sir, wir wollten nicht das sie Alarm schlägt“, kam eine unsichere Stimme zurück.
„Ihr Idioten! Die Warriors werden an einen feindlichen Angriff denken und nicht an eine persönliche Rache!“, brüllte die erste Stimme los und ich zuckte erschrocken zusammen.
Augenblicklich wurde mir etwas vom Kopf gerissen und blinzelnd blickte ich in die Gesichter, mir völlig fremder Menschen, die neugierig einen Halbkreis um mich gebildet haben.
„Sie ist verwirrt“, hauchte eine hohe Stimme und ein kleines Mädchen trat mit leerem Blick aus der Schar, „sie weiß nicht wer wir sind und was wir wollen.“
Das Mädchen trug ein langärmliges weites Kleid und ihre schwarzen Locken fielen bis auf den Boden, während ich sie um die 8-Jahre schätzte. Das Mädchen bereitete mir Gänsehaut.
Ein großgewachsener Mann trat hervor, wobei sein langer Bart fröhlich auf und ab wippte.
„Hey, ich bin Walter. Wir sind die Tigers. Die Bandenfeinde der Warriors und es tut mir leid, dass du hier gerade auch mit im Boot sitzt, doch so ist das wohl in einer Gang“, lachte er schallend, wobei er sein Lückenhaftes Gebiss präsentierte.
Ich bin in einen Bandenkrieg geraten?!
7.Kapitel
Lady's Sicht:
Das neue Mädchen verwirrte mich. Ich mochte es nicht.
Desinteressiert blätterte ich in einem Hochglanzmagazin auf Smoke‘s Bett, während dieser sich auf dem Boden eine Zigarette drehte.
Doch die Träume dieses Mädchens verwirrten mich…
„Was hälst du eigentlich von der Neuen?“, fragte ich belanglos und sah mir ein Bild von einem Potthässlichen Model an. Wie schaffte es so was auf den Laufsteg?
„Sie riecht nach Ärger“, grummelte Smoke schon mit der Zigarette im Mundwinkel, während er in seinen Taschen nach seinem Feuerzeug kramte.
Der Grünäugige wich meiner Frage aus, ich wusste es und das bedeutete nur, dass er sich mit seiner Meinung ihr Gegenüber nicht sicher war. Wie ätzend.
„Ich kann sie nicht ausstehen“, sagte ich und lies mich nach hinten aufs Bett fallen.
Smoke hielt in seiner Bewegung inne und grinste mich an.
„Ich glaub da wären wir auch von alleine drauf gekommen. Außerdem, welches weibliche Wesen kannst du schon leiden?“
Da hatte er wohl Recht. Das weibliche Geschlecht nervte mich. Entweder waren sie so unsicher und mussten sich auf die Stärke der Männer verlassen, oder sie bildeten sich ein, dass sie es schaffte und versagten dann auf voller Linie. Ihre ständige Selbstkritik ging mir auf die Nerven, genauso wie das Mustern und Neiden der anderen. Schrecklich.
„Ihre Träume sind komisch. Ich weiß nicht was ich davon halten soll“, murmelte ich und legte das Magazin wieder vor meine Nase.
Überrascht nahm Smoke einen Zug seiner Zigarette und hob eine Augenbraue. Es kam nicht oft vor, dass mich die Träume der anderen so beschäftigten. Wenn man mit dieser Magie groß wurde, lernte man sich nur auf das wesentliche zu konzentrieren, doch ihre Sehnsüchte verfolgten mich, würden mich noch wahnsinnig machen.
„Was soll sie schon träumen? Von einem Traumprinzen vielleicht?“, meinte Smoke achselzuckend, doch ich ging nicht drauf ein.
„Nein, nichts dergleichen. Sie träumt von…Freiheit“, flüsterte ich fast schon ehrfürchtig.
Freiheit war ein großes Wort. Träumten wir nicht alle mal davon? Freiheit, was war das schon? Brauchte man es?
Smoke antwortete nicht, sondern betrachtete nur seine Zigarette, wie sie weiter brannte. Wir alle wünschten uns etwas Großes. Jeder hier. Doch Freiheit war kein häufig genannter Begriff. Eher so etwas wie eine neue Regierung. Keine Unterdrückung mehr, keine Angst.
„Was glaubst du, ist Freiheit?“, fragte ich leise und merkte, dass mir die Antwort unglaublich wichtig war.
Er griff nach dem Aschenbecher in seiner Nähe und zog ihn zu sich heran, ehe er abäscherte.
„Ich glaube, für jeden hat Freiheit eine andere Definition. Für mich bedeutet es frei zu handeln, das zu tun, was man für richtig hält.“
Ich dachte darüber nach. Das zu tun was man für richtig hielt? Tat ich das? War ich frei?
„Für mich bedeutet Freiheit, sich nicht den Zwang der Gesellschaft beugen zu müssen, sondern auch mal anders sein.“
Smoke nickte und pustete den Rauch in großen Ringen aus. Still schaute ich ihm eine Weile zu. Dem blonden jungen Mann mit den einzigartigen Augen. Er war derjenige, der mich damals im tiefsten Winter von der Straße geholt hatte, mir gezeigt hat, dass ich nicht alleine sein muss.
„Was es wohl für Lion bedeutet?“, sagte er breit lächelnd und ich grinste.
„Dieser Fresssack! Er sollte sich besser eine Frau fürs Leben suchen, bevor die Zeit sich rächen und er bald seine Zehnspitzen nicht mehr sehen wird. Ich wette auf kostenloses Essen!“
Smoke hustete lachend den Qualm aus.
„Ich halte dagegen! Und fett wird dieser Kerl glaub ich leider nie werden. Wie wäre es mit einem Lebenslangenvorrat an Mützen und Capes? Oder seine 100 Jungrauen? Nein, nein ich hab’s! Das Leben sollte eine einzige Skaterbahn werden! Er könnte und dürfte überall mit seinem Skateboard hin! Das wäre für ihn Freiheit.“
Ich kicherte, da ich es mir die Gedanken bildlich vorstellen konnte. Das strahlende Gesicht des Rotschopfes, bei dieser Idee. Doch dann kam mir ein trauriger Gedanke.
„Ich glaube nicht, dass Lion zu unbeschwert ist, wie wir immer annehmen“, murmelte ich, als ich mich an den Moment zurück erinnerte, als für Lion endgültig die Welt zusammenbrach. Als er schluchzend auf die Knie gesunken ist, ehe er sein Skateboard wütend auf den Boden zerschlagen hat. Die Tränen, die Schreie.
Ich musste nicht aufsehen um zu wissen, dass Smoke jegliches Schmunzeln wie aus dem Gesicht gewischt war. Dass er die Fäuste ballte und versuchte die Erinnerungen nicht über sich einbrechen zu lassen. Für Smoke war es ein unausgesprochenes Verbot darüber zu reden. Doch ich fand, irgendwann musste er sich dem stellen. Er fraß es schon viel zu lange in sich hinein.
„Na wie stellt sich denn Miss Rätselhaft die Freiheit vor? Eine Hüpfburg als Bett? Oder eine Rutsche in der Küche?“, fragte er mit einem bitteren Unterton, doch ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Mit Smoke befreundet zu sein hieß auch, seine harten Stimmungsschwankungen hinzunehmen und seine harschen Worte zu ignorieren.
„Sie will ein Ballon sein. Frei wie ein Luftballon“, antwortete ich neutral und beobachtete ganz genau Smoke’s Reaktion. Er schnaubte abfällig und zog immer noch wütend an seiner Zigarette. Ich seufzte.
„Glaubst du wir sind frei, Smoke?“
Langsam drückte er seine Zigarette aus und sah mir dann ins Gesicht.
„Ich denke schon. Das Warriors hat uns dies ermöglich, denn hier haben wir Menschen kennengelernt die für uns Freiheit bedeuten.“ Ein leichtes lächeln umspielte meine Lippen.
„Glaubst du das Mädchen wird diese Freiheit auch kennen lernen?“
Falls Smoke überrascht war, dass ich das fragte, ließ er es sich nicht anmerken.
„Ich hoffe es. Doch das können nicht wir entscheiden. Vielleicht wird sie lernen was es wirklich heißt frei zu sein. Vielleicht wird es ihr aber auch nicht gefallen und sie wird sich in ihre alten Träume verflüchtigen. Was es auch sein mag, der Weg dorthin könnte für uns alle durchaus interessant werden.“
Vielleicht wird sie verstehen, was wahre Freiheit bedeutet?
8. Kapitel
Wie konnte das alles nur passieren?!
Unruhig dribbelten Alex Finger auf dem Pult herum, während er auf die Antwort wartete.
Warum ist sie weggelaufen? Eine tiefe Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen. Er hatte sie doch immer gut behandelt! Klar hatte er seine Fehler gemacht, aber das war doch nur menschlich! Sie liebte ihn doch?! Wieso tat sie so etwas?! Wut durchflutete Alex und er hieß sie willkommen. Seine Kraft bebte in ihm und lechzte nach mehr. Sie brauchte SIE! Die Quelle seiner Energie! Verdammt, ihr durfte einfach nichts passieren!
Ein zögerliches Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken und ruckartig fuhr sein Kopf hoch.
„Herein!“, sagte er voller unterdrückter Ungeduld.
Raphael trat herein und schritt in seinen Anzug schnell nach vorne. Seine getönte Sonnenbrille verdeckte seine Augen und ausdruckslos stellte er sich aufrecht vor den Schreibtisch hin.
„Ja?“, fragte Alex mit einem Unterton in der Stimme, der keine Enttäuschungen duldete.
„Wir haben sie gefunden“, war die knappe Antwort, die Alex mit zutiefster Befriedigung füllte.
„Wann wird sie hier sein?“
„Aion holt sie ab.“
„Ausgezeichnet“, sagte Alex und lehnte sich mit einem breiten Grinsen zurück in den Sessel.
Bald schon konnte er die Regierung von seinen neuen Plänen überzeugen.
Bald schon wird die ganze Magische Welt unter seiner Macht stehen.
Und dann wird Cara an seiner Seite seien und nie wieder gehen wollen.
Killian's Sicht:
Ich stieß die Doppeltür grob auf. Der Zorn loderte in mir. Leckte sich an den Erinnerungen hoch, vernebelte mir die Sinne. Man könnte mich jähzornig nennen, jedoch herrschte in mir ein anderer Zorn als wie der von diesem Unruhestifter Smoke. Wir beide neigten zu schneller Wut, jedoch hatte jeder von uns seine ganz eigene Flamme. Während Smoke all das tat, wozu ihn der Zorn leitete, ließ ich ihn in mir drin. Solange bis er sich zu einem riesigen Feuer angesammelt hatte und mit einem riesigen Krachen ausbricht. Ich könnte nicht sagen, welche Art von uns beiden die bessere oder schlechtere war. Es waren einfach wir. Wobei es mich beschämte mit diesem Kerl in irgendeiner Art und Weise in Verbindung gezogen zu werden. Doch mein Zorn galt ausnahmsweise mal nicht ihm, sondern einem riesigen Vollpfosten aus seinem Clan, dieser Möchtegern Ansammlung von Nichtskönnern Magiern, der es tatsächlich gewagt hatte mich bloß zustellen.
Nachdem ich in die Bar trat blieb ich wie erstarrt stehen, während das Entsetzen meine Gesichtszüge einfror. Meine Vorfreude verlor sich in den großen Weiten der Fassungslosigkeit, während ich unseren Clan Treffpunkt betrachtete. Die Bar in der ich groß geworden war lag völlig zertrümmert vor mir, während aus manchen Bruchstücken Rauch hochquoll. Glas lag in Scherben auf den Boden und die Stühle und Tische waren alle umgekippt und kaputt geschlagen.
Meine Fußsohlen knirschten, als ich langsam einen Schritt vorging.
Was war hier bloß passiert?! Die Wut zerrte an den Fesseln der Bändigung. Ich konnte sie nicht raus lassen, nicht hier! War es der Rat? Oder sogar die Inquisition?! Wo waren Walter und die anderen?! Langsam schritt ich über die Trümmerhaufen meines Lebens, versuchte irgendjemanden ausfindig zu machen, fand jedoch niemanden. Das Monster in mir schrie und brüllte, versuchte mit allerhand die Kontrolle zu gewinnen. Zitternd ging ich in die Knie. Meine Gedanken rasten und meine Gefühle stolperten übereinander, in der Hast alles zu verstehen.
Ein Brüllen der Verzweiflung verließ meine Kehle und ein leises Knarren hinter mir, ließ mich erschreckt herumfahren. Bei dem Anblick von Smoke, der überrascht im Rahmen stehen blieb, durchriss mein inneres Tier fast die Stricke der Zurückhaltung, doch dann tauchte keine andere Person als Lady hinter Smoke auf und eine innere Ruhe durchflutete mich. Mit dem gleichen Ausdruckslosen Gesicht wie immer, stand ich auf und trat meiner Vergangenheit gegenüber. Wie lange war es her?
Die Gefühle schienen immer noch dieselben zu sein. Mein Blick stur auf Smoke gerichtet, versuchte ich alles andere auszublenden. Doch mein Unterbewusstsein hatte längst alles von Lady in sich aufgesaugt, quälte mich mit den Informationen.
Ihre schmale schlanke Figur steckte in ein paar enge Jeans und einem Top. Ihre langen glatten blonden Haare umspielten ihr Gesicht und ihre roten High-Heels machten es mir nicht einfacher sie nicht anzugucken und obwohl ich die ganze Zeit Smoke im Auge hatte, schien ich ihn gar nicht richtig wahrzunehmen. Es verwunderte mich, dass es so schien als hätte sie nie etwas verändert.
„Was machst du denn hier in der Stadt Killian?“, fragte mich Smoke mit tatsächlich so etwas wie Überraschung. Meine Augen huschten instinktiv zu Lady, doch sie sah so kühl aus, dass mich die Erinnerungen drohten wieder zu überschwemmen. Sie hatte sich immer noch nicht zurückverwandelt. War immer noch so, wie das letzte Mal unserer Begegnung.
„Was denn? Reichen 2 Jahre nicht?“, fragte ich und brachte ein schmales Lächeln auf die Lippen. Die Anspannung war mit Händen zu greifen und ich registrierte Smokes zunehmende Ungeduld.
Auch ich war nervös und nicht ganz bei der Sache. Mein Zuhause wurde zerstört und meine Familie war nicht aufzufinden. Doch dem Feind durfte ich dies nie klar machen.
„Wo ist das Mädchen?“, fragte Lady eisig und das erste Mal sah ich sie richtig an. Sah in ihr ausgemergeltes Gesicht, in ihre Freudlosen Augen. Es dauerte etwas bis ich begriff, was sie mich gerade gefragt hatte.
„Was für ein Mädchen?“
Und dann vernahm jeder von uns das Schreien, dass ich wohl nie ganz vergessen werde.
Ein Schreien, dass die grauenvollste Geschichte erzählte. Ein Schreien das durch den ganzen Körper fuhr und sich dort festverankerte, als ob es meinen ganzen Körper vergiften wollte.
9. Kapitel
Bevor die Panik in mir ganz übergreifen konnte, hatte Walter schon eilig die Seile abgenommen. Sie alle schienen zu bemerken, dass ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand, denn die Erinnerungen drohten mich mitzureißen.
Doch die hastenden Hände von Walter, die versuchten mich loszubinden, machten es nur noch schlimmer.
„Stopp!“, hauchte das Mädchen mit einer klaren alles durchschneidender Stimme und winkte Walter ab von mir. Mein Atem verlangsamte sich etwas und mein Herzschlag schien sich etwas zu beruhigen, während ich immer die gleichen Worte murmelte.
„Sie tun mir nichts, sie tun mir nichts…“
Ich spürte die verwirrten Blicke der anderen auf mir, spürte wie sie sich immer unwohler fühlten.
Das kleine Mädchen trat näher auf mich zu und hob die Hände im Zeichen dafür, dass sie mir nichts tun wird. Ich fühlte mich wie ein in die enge getriebenes Tier.
„Ich werde dir jetzt die Seile ganz langsam abnehmen, dafür werde ich dich etwas berühren“, flüsterte sie und ich nickte stumm, während ich die Zähne fest aufeinander biss.
Bei den Berührungen des Mädchens zuckte ich etwas zusammen, merkte jedoch schnell, dass ich keine Angst hatte. Vielleicht weil sie ein kleines Mädchen war und kein ausgewachsener Mann?
Ich spürte, wie die Stricke von mir abfielen und hob erst jetzt den Blick auf die kleine Schar von Leuten, die geduldig gewartet hatten.
Walter sah mich mitleidig an und eine verschleierte Frau trat auf ihn zu, um ihn etwas ins Ohr zuflüstern, dass seine Züge ins Entsetzen formte. Die fast schwarzen Augen streiften mich kurz mit Bedacht und auch das kleine Mädchen trat einen Schritt zurück. Dich bevor ich Fragen konnte was los war, spürte ich etwas anderes.
Kennt ihr diese schleichende Vorahnung, die euch kurz vorher überfällt uns sich in euer Bewusstsein gräbt, nur um euch zu versichern, dass es bereits zu spät ist?
Mein Atem stockte, mein Herz setzte einen Schlag aus und meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das kleine Mädchen fuhr herum und wollte etwas sagen, doch dann war es schon zu spät.
Die Wandseite mit der Tür wurde mit einem riesigen Krachen eingerissen und Holz und Splitter regneten auf uns ein. Die verschleierte Frau, wurde von der Tür getroffen und flog nach hinten. Wie in einem einstudierten Tanz begaben sich die anderen sofort in Position, während Walter Befehle durch die Gegend brüllte. In meinen Ohren erklang ein lautes Rauschen und ich bemerkte kaum, wie mich das kleine Mädchen vom Stuhl zerrte. War es Alex? Hatte er mich gefunden? Mein Körper war starr vor Angst, doch das Mädchen zog mich hinter die Theke und bedeutete mir, mich hier zu verstecken, während ich mich nur klein wie eine Kugel machte und meinen zitternden Körper versuchte unter Kontrolle zu bekommen. Was passierte jetzt? Wird er sehr sauer auf mich sein? Ein keuchen riss mich aus meinen Gedanken und langsam hob ich den Kopf. Die verschleierte Frau war durch die Theke gekracht, Holz lag schwer auf ihr und Blut floss ihr über ihr Gesicht. Ihr Chèche-Turban, der nur ihre dunklen Augen freigelassen hatte, war ihr vom Kopf gerutscht und entblößte ihr erschreckend junges Gesicht. Sie schien ungefähr in meinem Alter zu sein. Ihre dunkle Haut war bedeckt mit Staub und ihre Augen waren vor Schmerz geschlossen. Entsetzt sah ich sie an. Es war meine Schuld. Wenn das Alex war, war es meine Schuld! Langsam erwachte ich aus meiner Starre. Ich konnte hier nicht bloß sitzen bleiben und den Menschen beim Sterben zugucken! Langsam kroch ich auf sie zu. Aus dem Loch, das sie in der Theke hinterlassen hatte, konnte ich einen Blick auf das Geschehene werfen und was ich sah, verschlug mir den Atem. Aus der Staub-und Schuttwolke kam eine riesige Gestalt hervor, dessen Präsenz einem eine Gänsehaut verschaffte. Ein Mann aus der Gruppe von Walter feuerte einen Blitz ab und erschrocken sah ich ihn. War das Magie? Also stimmte es wirklich…oder? Der gezackte Blitz prallte an der riesigen verhüllten Gestalt ab wie ein Wattebausch. Zuckend ging der Blitz zu Boden und verpuffte dort in einer elektrischen Wolke.
„Unzerstörbar“, murmelte das Mädchen neben mir plötzlich und hob zäh ein Augenlied.
„Was?“, flüsterte ich verwirrt.
„Er…ist…unzerstörbar. Das ist…seine Magie“, sagte sie keuchend und schloss angestrengt wieder die Augen. Geschockt bemerkte ich das Blut, dass aus ihrem Oberteil floss. Wo war sie denn noch verletzt?
„Kannst du die Magie der anderen erkennen? Ist das deine Magie?“, fragte ich erstaunt, während ich zwanghaft versuchte nicht auf das Schauspiel vor mir zu achten. Es bereitete mir nur Panik und bei der Vorstellung so jemanden ausgesetzt zu sein, wurde mir schlecht.
Sie nickte langsam und ihre Gesichtszüge verhärteten sich, als ich angestrengt versuchte sie ganz hinter die Theke zu ziehen, aus dem Blickwinkel von diesem Kerl.
Ein weiteres Krachen ertönte und irgendetwas knallte gegen eine Wand. Ich wollte nicht daran denken, dass es sich wie ein erschlaffender Körper angehört hatte.
„Wo ist Cara?“, fragte eine unglaublich tiefe gruselige Stimme und erstarrt hielt ich inne.
Er meinte mich! MICH! Also ist es einer von Alex Männern? Aber Magie? Was hatte Alex mit Magie zu tun?!
Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln, doch ich zog das Mädchen weiter unter den Achseln schwerfällig weiter hinter die Theke. Ein Beben ertönte, dann Schreie. Staub rieselte von der Decke auf mich hinab und der Lärm im Raum übertönte mein angestrengtes Schnaufen.
„Wer bist du?!“, schrie eine andere Stimme und wurde nach einem weiteren Krachen augenblicklich leise. Über die Theke flog eine schmale Gestalt und prallte von dem Schrank ab, ehe sie auf mich drauf fiel. Erschrocken schrie ich auf, doch dann erkannte ich das kindliche Gesicht und die langen Locken.
Mühselig hob sie ein zugeschwollenes Augen und sah mich an.
„Du musst fliehen“, flüsterte sie und hustete. Ich sah sie entsetzt an und die Tränen fingen an zu fließen. Was soll diese ganze Scheiße?! Warum passierte das?!
Ich schüttelte energisch den Kopf.
„Ich kann euch doch nicht alleine lassen! Das ist doch meine Schuld!“, ein verzweifeltes Schluchzen entrang sich meiner Kehle.
Eine zitternde kleine Hand legte sich an mein Gesicht.
„Du musst!“, hauchte das kleine Mädchen eindringlich und ich fragte mich, wie man in dem Alter nur so erwachsen wirkten konnte.
„Du bist unsere Zukunft!“, murmelte sie und sackte zusammen.
War sie Ohnmächtig geworden?! Sie war nicht tot oder?! Ein heiserer Schrei verließ meine Kehle. Ich verstand nicht, was hier passierte, verstand diese Welt nicht.
Ein Gurgeln ließ mich herumfahren, das Indische Mädchen spuckte Blut und sah mich aus großen Augen an. Dann hob sie die Hand und zeigte auf etwas in den Boden.
Ich erkannte einen Umriss. War das eine Luke?
„Wenn du jetzt nicht fliehst, war alles umsonst“, sagte sie leise und versuchte zu lächeln.
Warum taten diese Menschen das für mich? Kraftlos kroch ich zur Luke. Sollte ich ihnen ihren Wunsch erfüllen? Vielleicht half es ja, wenn ich mich ergab? Doch ich wusste, dass ich das nicht konnte. Ich konnte nicht zurück zu dem Menschen, der mir die Hölle zeigte.
Tastend versuchte ich einen Griff zu finden, während der Krach um mich herum zu explodieren schien. Ich griff in eine kleine Kerbe und hob unter aller Anstrengung die Klappe hoch. Dreck fiel in das Loch hinab und pure Finsternis schien mich zu erwarten. Ich wandte mich dem Mädchen zu.
„Wir schaffen es auch hier raus“, flüsterte sie und dann hob sie die Hand, als würde sie vor mir salutieren. Entschlossen, dass ich sie nicht das letzte Mal sah, sprang ich in die Dunkelheit, während ich über mir das Zuschlagen der Luke vernahm.
Habt ihr euch jemals gejagt gefühlt? Habt ihr jemals die Angst gespürt, dass ihr euch schon vorstellen konntet wie die Finger des Jägers nach euch griffen, euch fest umschlingen und euch eure Freiheit rauben? Eure Nerven bis zum Zerreißen gespannt? Nur euer Herzschlag und euer Keuchen waren zu hören? Eure Vorstellungen und Einbildungen, er wäre schon nah, machten euch verrückt und die tatsächlichen Geräusche zwangen euch fast in die Knie? Die Übelkeit und die überwältigende Verzweiflung? Ihr konntet schon den Geschmack des Verlierens auf der Zunge schmecken und euer Körper fühlte sich ganz taub an, während ihr einfach nur ranntet. Ranntet, als könntet ihr immer weiter laufen!
Als ich in die Tiefe gestürzt war, konnte ich nichts sehen, nur die Angst trieb mich in der Dunkelheit voran. Ich ertastete Spinnfäden und vernahm das Scharen von Kleintieren. Ich wusste nicht wo ich war und wie ich heraus kam. Ich wusste nur, dass ich vorwärts musste. Einige Male riss mich mein Stolpern zu Boden, doch der Schmerz erreichte meinen Körper nicht, denn alles schrie nach Flucht. Die Tatsache, dass ich hier unten blind war, ließ mich fast zusammensacken. Doch ich konnte nicht aufgeben. Meine Sinne waren bis aufs äußerste Geschärft und mit einem Mal vernahm ich keinen Laut mehr von Oben. Mein Keuchen war so laut, dass ich es nicht mehr aushielt und es dauerte keine Minute dann drang ein Lichtstrahl durch den Keller.
„Hier musst du sein!“, schallte die tiefe Stimme hierhinein und mit einem Krachen wurde die Luke geschlossen und der Boden erbebte, als etwas auf ihm zu landen kam. Erstarrt hielt ich inne. Er war hier! Er war hier, er war hier! Mir wurde schwindelig vor Angst und die Panik ließ mich fast ohnmächtig werden.
Ich vernahm seine lauten Bewegungen, hörte seinen Atem.
„Wo bist du?“
Langsam setzte ich weiter einen Fuß vor den Anderen, während die Tränen über mein Gesicht rannen, mir die Luft zum Atmen nahmen. Wieso konnte Alex mich nicht in Ruhe lassen?!
Krampfhaft versuchte ich meinen hektischen Atem zu unterdrücken, doch das machte alles nur noch schlimmer.
„Ich kann dich hören“, vernahm ich seine Stimme schon viel zu nah.
Ich konnte schon fast spüren wie sein heißer Atem mir in den Nacken blies, wie ich verloren hatte. Mit einem Satz rannte ich los. Die Erde verschluckte meine Schritte größtenteils, doch die Geräusche von umfallenden Gegenständen als ich sie umstieß, konnte ich nicht verhindern.
Ich vernahm meinen Verfolger ebenfalls losrennen und zudem wusste ich nicht, ob nicht irgendwo eine Wand kam. Denn dann wäre das Spiel vorbei.
Als ich die Lichtschlitze erblickte, die mir wie die Hoffnung vorkamen, beschleunigte ich meine Schritte noch weiter. Wenn hier Licht war bedeutete das, dass hinter dieser Holzwand die Freiheit war. Feste haute ich dagegen, doch sie gab nicht nach, nur Splitter bohrten sich in meine Handflächen.
„Ich kann dich vor dem Licht sehen!“, rief die Stimme hinter mir und Schweiß brach mir aus. Ich musste hier raus.
Neben mir vernahm ich das Geräusch von knabbernden Nagetieren. Mäuse huschten durch kleine Lücken am Boden durch die Wände. Sie musste das Holz wohl unten angeknabbert haben.
Doch ich war keine kleine Maus, die da unten durchkriechen konnte!
Wütend trat ich gegen die Wand, ein knacken ertönte. Überrascht sah ich nach unten. Das Holz sah untenschon angefressen und instabil aus.
„Ich bin gleich da!“
Panisch trat ich immer und immer wieder unten gegen das Holz, ohne auf den Schmerz und die Splitter zu achten, die sich in meine Haut bohrten. Ein Bruchstück knackte aus der Wand hinaus, möglicherweise groß genug, damit ich da durch passte.
Hastig warf ich mich auf den Boden, streckte die Arme zuerst durch das Loch und zog meinen Kopf durch. Ich blickte auf eine weite grüne Wiese, doch ich konnte keine Zeit an meine Umgebung verschwenden. Meine Hände griffen nach dem Gras und mühselig versuchte ich mich herauszuziehen. Das Holz schabte an meinem Körper entlang, riss meine Kleidung auf. Schmerzhaft biss ich meinen Kiefer zusammen. Ich konnte jetzt nicht aufgeben!
Ein Schrei entfuhr meiner Kehle, als Hände nach meinen Beinen griffen und mich zurückzogen.
Er hatte mich gefunden! Feste grub ich meine Hände in die Erde, während das spitze Holz meine Haut auf schabte. Ich würde nicht zurückgehen, wollte nicht zurück!
Ich rutschte immer weiter zurück, versuchte nach ihm zu treten, doch dadurch stach das Holz noch mehr auf mich ein. Ich schrie vor Schmerz, vor Angst und vor Anstrengung und dann fiel ich wieder in tiefe Erinnerungen.
Ich wollte nicht mehr. Konnte nicht mehr. Dieses Jahr der Beziehung zerstörte mich immer mehr. Irgendwann wird nichts mehr von der ursprünglichen Cara übrig bleiben. Nur eine Hülle, mit der Alex endlich so umspringen konnte, wie er wollte. Liebe war doch nichts weiter als ein Wille der Natur uns fortzupflanzen. Es hatte nichts mit dem zu tun, was wir in den Filmen gesehen bekommen, was wir in den Büchern lesen. Liebe war nicht gut, Liebe war schrecklich.
Kraftlos stand ich auf. Seit längerem schon, verweigerte ich möglichst viele Mahlzeiten. Es tat gut über irgendetwas bestimmen zu können, wozu mich Alex nicht zwingen konnte. Er hatte mir eh schon alles genommen. Thomson wurde noch am selben Tag, an dem Alex mich wegen meines Geschenkes zusammenschlug, gefeuert. Mein Geschenk, ein gläserner Bilderrahmen mit einem Bild von Alex und mir, war nachdem Alex draufgetreten war, nur noch ein Scherbenhaufen. Blutend und weinend hatte ich versucht die Scherben wieder zusammenzufügen, nachdem Alex mich in Ruhe gelassen hatte. Doch der Bilderrahmen mit unseren strahlenden Gesichtern, war nicht mehr zu retten. Vielleicht hätte ich schon damals aufgeben sollen. Aufgeben sollen jemanden zu lieben, der ein Monster war.
Ich streckte meine Hände nach dem Knauf der Kommode aus und öffnete die Schublade. Ganz oben auf einem Stapel Anziehsachen lag das zerknitterte Bild. Das Bild, das ich ihn hatte schenken wollen. Es war an einem Tag aufgenommen worden, kurz bevor wir zusammenkamen. Alex hatte nicht in die Kamera geschaut, er hatte mich lachend angeblickt und mir mit einer Hand meine Haare zerzaust, während ich breitgrinsend in die Kamera geschaut habe. Alles hatte sich verändert. Er hatte sich verändert. Wann war er so geworden?
Es war einfach passiert. Von einem Tag auf den anderen wurde aus dem liebenswerten Alex jemand, der mich unbedingt unter seiner Kontrolle wissen musste. Doch ich wusste es nun genau. Diesen Alex liebte ich nicht mehr. Diesen Alex wollte ich nicht und ich musste es ihm sagen, denn so konnte ich nicht weiter machen.
Rückblickend gesehen, hätte ich es wissen müssen, hätte wissen müssen, was passieren würde.
Doch ich steckte wohl noch immer voller Naivität, voller Glauben an den alten Alex tief im Inneren des Neuen. Ich bereute diesen Tag, denn es war der Tag, an dem alles noch schlimmer wurde.
Entschlossen es heute zu beenden stand ich auf und schritt aus meinem Zimmer heraus. Ich verlor nicht viele Gedanken darüber, wie er reagieren würde, da ich dachte er könnte eh nichts dagegen machen. Als ich an seinem Büro anklopfte, überfiel mich aber schon eine dunkle Vorahnung. Was wäre, wenn er es nicht akzeptieren würde? Ich schüttelte energisch den Kopf. Er musste es akzeptieren!
Auf sein barsches Herein, trat ich in sein Büro. Er blickte kurz auf und sah mich verwundert an, als er mich erkannte. Ich wusste was er sah. Ein viel zu dünnes Mädchen in einem teuren Kleid, das ihn außergewöhnlich entschlossen ansah.
Ich hingegen sah einen jungen Mann, dessen kalten Augen keinerlei Gefühlsregung duldeten und dessen strenge Erscheinung alle einzuschüchtern vermag. Ich schluckte den Kloß runter, der sich langsam in meinem Hals gebildet hatte und trat mutig weiter auf den Schreibtisch zu.
„Wir müssen reden“, sagte ich, ohne mich von seinen nun verhärtenden Gesichtszügen ablenken zu lassen.
Als keine Antwort von ihm erfolgte, sondern nur ein abwartendes Schweigen, redete ich weiter.
„Ich denke nicht, dass das zwischen uns funktioniert“, sagte ich hastig, als würde es Schmerzen die Worte noch länger in mir drin zu behalten. Gespannt beobachtete ich seine Reaktion, während mein Herz anfing wie wild zu schlagen.
Die Hände, die auf den Schreibtisch lagen, ballten sich zu Fäusten und seine Augen schienen Eisstränge zu sprühen.
„Wiederhol das nochmal“, flüsterte er unheilvoll, während ich den Drang unterdrückte einen Schritt zurückzuweichen.
„Ich…“, fing ich an zu stottern, „ich…liebe dich nicht mehr“, hauchte ich. Es fühlte sich falsch an. Alles in dieser Situation fühlte sich falsch an. Die Angst drohte mich in seine Fänge zu ziehen und hingegen meinen Erwartungen durchflutete mich keine Erleichterung nach endlicher Aussprache dieser Worte. Eine Welle der Panik schien mich eher zu erfassen. Die Stimmung schien auf das ablösende Zerreißen zu warten, während ich mich wie ein Tier fühlte, dass mitten in den Lauf eines Gewehres blickte.
„Was?!“, kam es erst leise von ihm, dann schien er sich zu sammeln.
„WAS?!“, das Brüllen durchfuhr das ganze Haus, schien in jeden Winkel zu sickern und auch die kleinsten Kerben auszufüllen. Was hatte ich getan? Ich zuckte zusammen, als sein Stuhl umfiel, während er ruckartig aufstand. Langsam wich ich zurück.
„Du kannst das nicht mit mir beenden Cara!“, schrie er, während die Wut aus seinen Augen sprach. Der Wahnsinn schien ihn ihm erweckt zu sein, als er anfing grobmechanisch auf mich zuzukommen. Ich erkannte kein Bewusstsein in seinem Gesicht, erkannte nur unglaubliche Panik.
Panik? Bei ihm?
Ein Schluchzen erklang aus seinem Mund und entsetzt sah ich ihn an.
„Ich kann doch nichts ohne dich! Ich brauche dich!“
Die Angst vor diesem mir unbekannten Alex wuchs in mir und ich sah das Abwechselnde Schillern in seinen Augen, als schwanke er zwischen Wut und Trauer.
„Ich kann aber nicht mehr mit dir! Du machst mich kaputt!“, sagte ich ruhig, während alles in mir nach Flucht schrie.
„Ich mache dich kaputt?! Ich tue doch alles für dich! Ich liebe dich doch!“, seine Verzweiflung beunruhigte mich mehr, als alles andere.
Ich wollte hier raus, dieser unkontrollierte Alex, ließ alle Alarmglocken in mir läuten.
„Das hat nichts mehr mit Liebe zu tun!“, stieß ich hervor, bei dem Gedanken daran, in ständiger Angst vor ihm Leben zu müssen.
Erstarrt blieb er stehen. Sein Blondes, sonst immer achtsam zurück gekämmtes Haar schien wirr und ohne Halt. Seine kühle Fassade fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus im Wind. Schweiß stand auf seiner Stirn und seine Augen waren im bloßen Entsetzen geweitet, sein Mund im stummen Schrei verzogen. Der starke Mann fiel auf die Knie, unfähig noch länger aufrecht stehen zu bleiben. Er machte mir Angst. Unglaubliche Angst. Was tat ein Wahnsinniger als nächstes?
Wie betäubt schwankte ich rückwärts, während sich dieses Bild der puren Verzweiflung in meine Netzhaut brannte. Trotz seiner jetzigen Schwäche sagte mir etwas, dass ich in großer Gefahr steckte. Die Vorahnung packte mein Herz in seine eisige Hand und zerdrückte es, sodass ich kaum noch Luft bekam. Mit einem Ruck drehte ich mich um und rannte. Verließ sein Büro, während mich seine erklingenden Schreie verfolgten. Wo sollte ich nur hin?! Meine stolpernden Schritte brachten mich letztendlich zurück in mein Zimmer, wo ich keuchend die Tür mit zitternden Fingern verschloss. Doch ich vernahm schon stampfende aufgebrachte Schritte auf dem Weg zu mir. Hastig suchte ich ein Versteck. Unter dem Bett? Hinter dem Schreibtisch? Die Tränen sammelten sich schon in meinen Augen, als ich das alles durchdringende Klopfen vernahm. Laut und unnachgiebig.
Alles drehte sich in meinem Kopf. Mein hastiger Atem war viel zu laut. Viel zu heftig.
Ein Krachen ertönte, als die Tür standhalten musste. Warum passiert so etwas mir?
Wird er mich schlagen? Wird er mir wehtun? Ich dachte ich könnte es beenden…
Schwindelig stolperte ich zu meinem Kleiderschrank und kletterte hinein, während ich die Türen leise schloss. Die Kleidung beengte mich und mein Herz schien mir so laut, wie ein Staubsauger an einem Sonntagmorgen. Zu laut.
Der kleine Schlitz zwischen den beiden Flügeltüren war alles wodurch ich einen Blick in mein Zimmer werfen konnte. Splitter flogen durch das Zimmer, als er die Tür eintrat und wie ein wildes Tier in mein Zimmer stürmte. Die Krawatte war gelockert, die Hemdärmel hochgekrempelt.
„Wo steckst du?!“, brüllte er und es war, als schien die Wut den Kampf gewonnen zu haben. Ich presste mich an die hinterste Wand des Schrankes und drückte mir die Hände auf den Mund um mein angstvolles Keuchen zu unterdrücken. Er trat wütend gegen mein Bett, warf meine Sachen vom Schreibtisch und scannte jede Versteckmöglichkeit nach mir ab.
„Warum kommst du nicht heraus?! Wir können darüber reden!“, sagte er, während ich den Wahnsinngen Glanz in seinen Augen bemerkte. Wieso half mir niemand?
„Weißt du Cara“, begann er zu ruhig, während er sich langsam zum Schrank umwandte, „du hast wohl vergessen, dass ich dich sehr gut kenne. Wo hat sich die kleine Cara von früher immer versteckt?“
Dann trafen seine großen Pupillen die meine. Panisch versuchte ich irgendeine Waffe zu ertasten, während er langsam auf den Schrank zu taumelte.
„Im Schrank, nicht wahr? Wie oft hast du mir diese Geschichten wohl erzählt?“
Ich erblickte einen leeren Bügelhaken. Vielleicht konnte ich…
Langsam streckte ich mich und lächelte schwach, als ich ihn fast erreichte. Ich konnte es schaffen! Ich konnte…
Die Kleiderschranktüren wurden hart aufgestoßen und eine Hand umklammerte meinen Hals und riss mich mit einem Ruck aus meinem Versteck hervor. Ich schrie vor Schmerz auf, als mein Kopf gegen mein Bett knallte.
Der Raum drehte sich vor meinen Augen und der metallische Geschmack von Blut bereitete sich in meinem Mund aus.
„Dachtest du wirklich du könntest mir entkommen?“, brüllte Alex und zog mich an meinen Haaren hoch, während ich um mich schlug und versuchte mich seinen stählernen Griff zu entziehen.
„Lass mich los!“, hauchte ich vor Schmerz, während ich das Gefühl hatte, dass er mir alle Haare auf einmal vom Kopf reißen würde.
Grob schubste er mich aufs Bett, wo ich versuchte mich zu einer sicheren Kugel einzurollen. Flucht war zwecklos, dass wusste ich aus eigener Erfahrung. Die Tränen rannen über mein Gesicht, während ich mich fragte, womit ich das verdient hatte.
„Weißt du was Cara? Ich hätte niemals gedacht, dass es soweit kommen würde, aber anscheinend muss ich meine Liebe vor dir beweisen!“
Da war er wieder. Dieser verzweifelte Ton in seiner Stimme.
Ich vergrub mein Gesicht in der Decke, wollte ihn nicht ansehen, wünschte mich ganz weit weg.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“, sagte er erneut wütend und riss meine Arme von meinem Körper. Nun lag ich auf meinem Rücken, die Arme weit über mir schmerzhaft gestreckt, während ich Alex, der sich direkt über mich gebeugt hatte, ins Gesicht sehen musste. Sein Ausdruck wurde weicher, als er meine Tränen sah, doch er umfasste meine Beiden Handgelenke nur mit einer Hand, während er mit der anderen über mein Gesicht strich. Wild warf ich meinen Kopf hin und her, versuchte seiner Hand zu entkommen, während er sich langsam auf meine Beine legte, sie ebenfalls zum Stillstand zwang.
„Wieso liebst du mich nicht mehr?“, fragte er mit unendlicher Trauer, als er grob mein Gesicht umfasste. Diese ganzen Gesten passten nicht zusammen!
Was tat er hier mit mir?! Wieso ich…
„Weil du ein Monster bist!“, schrie ich, froh ihm doch noch wiedersetzen zu können.
Ich erkannte die offensichtliche Verleugnung in seinem Gesicht. Er würde meine Worte nie begreifen.
„Schweig still“, brüllte er und schlug mir hart ins Gesicht. Tränen verschleierten meine Sicht, eine mir bekannte Taubheit erfüllte meinen Körper. Sie kam immer, wenn es so begann.
Er ließ los von mir, doch ich bemerkte es kaum. Wieso passierte so etwas mir? Was hatte ich falsch gemacht? Hatte ich keine wahre Liebe verdient, keine schöne Liebe? Weinend krallte ich mich in die Decke. Warum…warum nur?
Erschrocken fuhr ich hoch, als Alex plötzlich sein Knie zwischen meine Beine geschoben hatte. Er wollte doch nicht? Ein panischer Blick nach unten verriet mir, dass er keine Hose mehr trug und die Krawatte abgelegt hatte. Was?! NEIN!
„Ich nehme mir jetzt das, was du mir nie geben wolltest“, flüsterte er, während er unheilvoll über mir aufragte.
Bevor er irgendetwas tun konnte fing ich an zu schreien. Schrie nach Hilfe, versuchte aus dieser Situation herauszukommen, doch er lachte nur.
„Wer soll dich hören? Hier sind nur die Männer, die unter meiner Gewalt stehen und sonst ist hier niemand.“
Doch ich schrie einfach weiter, wollte nicht, dass es so endete.
Mit einem Ruck presste er mir ein Kissen auf mein Gesicht, versuchte meine Schreie zu ersticken.
„Kannst du nicht ruhe geben?“, zischte er, während ich verzweifelt versuchte das Kissen von meinem Gesicht zu nehmen. Doch er war zu stark.
Ich achtete nicht darauf wie er mein Kleid hochschob, achtete nicht darauf wie meine Unterwäsche mit einem Ratschen nachgab, ich bemerkte nur, wie ich das Gefühl hatte langsam und qualvoll zu ersticken. Das Gewicht von meinem Gesicht verschwand und erleichtert registrierte ich, wie ich das Kissen abschütteln konnte, wieder frei atmen konnte. Doch im nächsten Moment wurde ich an beiden Armen nach oben geschoben, während etwas mich festband.
„Lass mich los!“, schrie ich, als ich erkannte, dass er mich mit seiner Krawatte an dem Bettgestell gefesselt hatte. Schutzlos lag ich da, versucht mit den Beinen nach ihm zu treten, meiner ersten großen Liebe weh zu tun. Doch er griff nur wütend nach ihnen, spreizte sie und drängte sich dazwischen. Seine blonden Locken, die ich immer für Engelsgleich hielt standen wie wild ab, hatten überhaupt nichts mehr himmlisches, während aus seinen einst wunderschönen blauen Augen nur jeglicher Glanz verschwunden war. Dies war nicht Alex. Dies war eine mir völlig fremde Person.
Er streifte sich langsam seine Boxershorts runter und sah mir dabei fast diabolisch in die Augen. Ein Schluchzen entfuhr mir, während er sich zu mir herunter beugte und mir einen Kuss aufzwang.
„Ich liebe dich“, flüsterte er. Haltlos rollten die Tränen mein Gesicht hinab.
Ich wollte das nicht. Wieso tat er das alles? Wieso…Was habe ich falsch gemacht! War er meine Schuld mich in den falschen Jungen verliebt zu haben?
„Du gehörst mir Cara, nur mir! Vergiss das nicht!“
Dann drang er mit einem Ruck in mich ein, während ich einen gellenden Schrei verlauten ließ.
„Du gehörst mir.“
Damit begann ich einen weiteren Schritt in die Hölle hinab, die er mir zeigte…
10. Kapitel
Der Schrei stammte aus einer anderen Welt. Er nahm begriff von mir, verwandelte mein Innerstes in Eis, während er mir die grausamen Geschichten der Zeit zuflüsterte. Dieser Schrei konnte nur von einer Person stammen, die so sehr litt, dass sie alles mit sich riss. Lady und ich waren wie versteinert, während Smoke als erstes die Fassung zurück erlangte und nach draußen rannte. Doch mich hielten immer noch die Nachwehen des Klangs des Schreckens zurück.
Meine Augen konnten nicht anders als unruhig umher zu zucken und die Zerstörung von dem zu Erkennen, was einst mein Zuhause war. Dunkelrote Spuren, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, befleckten den Boden und Bruchstücke, während ich mich fragte, was zum Teufel hier eigentlich los war.
Meine Innere Verwirrung stärkte die Bestie in mir, als nur noch der Gedanke in mir hegte, wo sie waren. Meine Freunde, meine Familie. Der Schrei hatte mich beängstigt, weckte den Gedanken in meinem Inneren Monster, mich zu beschützen. Eine erneute Wut entfachte sich in mir. Ganz langsam sog es die letzten Reste der Starre weg, fraß meine Zurückhaltung und leckte an meinen Gedanken der Tat. Ich hatte nur noch diese Bar und die Menschen, die sie bewohnten. WO WAREN SIE?!
Das Gefühl haltlos zu fallen, brachte mich dazu taumelnd in den vollkommen zerstörten Bereich zu gehen. Waren sie vielleicht hier noch irgendwo? Konnte mir irgendjemand sagen, was los war? Den Schrei hatte ich schon längst vergessen, nur das Gefühl der schutzlosen Zurücklassung benebelte meine Gedanken, während die Wut das Monster nährte.
Wer war das?! Dieser Gedanke schallte durch meinen Körper, nahm jede Faser meines Bewusstseins ein. Krallen stießen aus Fleisch, Fänge drückten gegen meine Lippen und ein gefährliches Knurren tönte aus meinem Mund. Ich war meinem Gefühlschaos vollkommen ergeben. Wie ein gehetztes Tier fing ich an den Raum zu erkunden, Trümmer aufzuheben und wegzuwerfen. Unter jedem Bruchstück das ich aufhob und nichts fand, sammelte sich meine Wut. Wo war meine Familie?
Fell spross auf meinem Körper, meine Sicht flimmerte zu einem Rot.
„Killian“, sagte eine weiche Stimme, ehe ich eine sanfte Berührung auf meinem Arm spürte.
Langsam drehte ich mich um, fixierte das Mädchen, dass einmal meine Welt war…und es vermutlich immer noch ist.
Das erste Mal seit Jahren blickte sie mir ins Gesicht, direkt in meine Augen.
„Nicht Lady! Ich bin gefährlich!“, sagte die unmenschlich Tiefe Stimme meines Bösen Inneres, während ich ängstlich zurückwich.
Doch sie sah mich einfach nur weiterhin in die Augen und trat einen Schritt auf mich zu.
„Das war das erste Mal, dass ich dein Fell berührt habe“, flüsterte sie und zu meinem Entsetzen erkannte ich das Schimmern von Tränen in ihren Augen.
Das zwischen uns war schon so lange kaputt, dass ich nie verstand, warum es nie zu ende war.
Ein schwerer Kloß legte sich in meinen Hals, während ich ihre blauen Augen sah und mich fragte, warum wir nicht einfach normale Menschen hätten sein können.
„Tu mir das nicht an, Lady“, sagte ich voller Leid, als meinen Innerstes unter ihrem Blick zerriss, wie das Herz unter der ersten bitteren Enttäuschung.
Die Stimmung flatterte sanft, wie das leichte Flügelschlagen von Schmetterlingen. Es war mit ihr immer noch wie damals. Alt hätten zwei Teile einer Seele endlich zusammengefunden.
Ihre großen verletzlichen Augen wanderten über meinen halbverwandelten, so verhassten Körper. Ich wünschte ich hätte die Vergangenheit ändern können, ein Happy End schreiben können.
Doch für uns wird es dies nie geben. Das wussten wir beide.
Gerade als sie den Mund öffnete, um etwas zusagen, erklang eine Ohrenbetäubende Explosion. Die Wucht schlug uns brutal zur Seite, während Lady mit einem schmerzhaften Aufschrei gegen einen Pfeiler geworfen wurde. Das Dach ächzte und wackelte, Staub wirbelte auf. Ich wusste nicht mehr, wie ich es geschafft hatte so schnell vom Boden aufzustehen. Doch innerhalb weniger Sekunden warf ich mich auf ihren Ohnmächtigen zierlichen Körper, während der Rest der Bar mit einem lauten Krachen einstürzte.
Mein Zuhause gab es nicht mehr. Meine Familie verschwunden. Und meine große Liebe schon längst verloren.
Dumpfe Dunkelheit hüllte mich in wohlig warme Wärme.
11.Kapitel
Ich hatte lange gebraucht, um auch nur annähernd hinter dem zu kommen, was wirklich hinter Alex steckte. Und selbst jetzt, nachdem ich das Grauen ins Antlitz geblickt hatte, war ich mir immer noch im Unklaren über sein wahres Ich.
Die Liebe meines Lebens war ein Mensch, den ich eigentlich gar nicht kannte.
Wieso hatte ich mich nie gewundert, dass er noch so jung war und doch schon von meinem Vater eingestellt wurde? Wieso hatte ich mich nie gefragt, was mit seiner Familie war?
Natürlich gab es da die ein oder anderen Andeutenden Fragen in diese Richtung, doch wurden sie jedes Mal so niederschmettert abgewiesen, dass ich es aufgab weiter zu stochern.
Ich dachte es sei ein Thema, dem sich Alex mir später anvertrauen würde. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, dass er perfekt war. Das alles richtig war, was er tat. Er war mein blondgelockter Engel. Alles was ich jemals brauchte. Doch dann nach dem schmerzlichen Auseinander leben, nach seinen täglichen Übergriffen war alles anders. Ich durchschaute seine Lügen, erkannte sein zerstörtes Ich und trauerte dem hinterher, was einst gewesen war. Doch was war passiert? In seinen Augen blickte mir nicht mehr das glitzernde Meer entgegen, sondern gefrorene Gletscher, die nichts mehr von der einstigen Liebe durchließen. Die Zeit nachdem seine erste Misshandlung an mir stattfand, war eine Zeit der Kälte und der Abneigung. Ich hasste ihn.
Ich hasste es wie er trotz meiner triefenden Abscheu vor ihm, alles tat um den Schein des Harmonierenden Lebens zu wahren. An den gemeinsamen Mahlzeiten zu denen ich gezwungen wurde, sprach ich kein Wort mit ihm, während er mir stets munter von seinem Tag erzählte und von den Dingen, die er zu tun hatte. Das Haus durfte ich nicht mehr verlassen und auch die Angestellten mussten mich ignorieren. Meine einzige Möglichkeit zu Kontakt war Alex.
Ist es nicht merkwürdig?
Lange hatte ich alles hingenommen wie er war. Doch was war mit meinem Vater?
Was war mit der Polizei? Wieso konnte mir niemand helfen?!
Und dann…als ich es herausfand, war die einzige Möglichkeit zur Rettung nur ich selbst.
Mein Körper stand in Flammen. Langsam von außen nach innen, verbrannte mich eine Hitze, während ich mit den Stricken meiner Bewusstlosigkeit kämpfte. Es fühlte sich an, als würde Schicht um Schicht meines Fleisches wegbrennen. Ich wollte Schreien, ich wollte um mich schlagen. Doch kein Ton verklang in meinen Ohren, keine Bewegung nahm ich wahr. Ich war gefangen in meiner eigenen Finsternis, die mich immer tiefer mit sich riss, ohne Rücksicht auf meine Schmerzen.
Was war das?
Jede Faser meines Körpers brüllte auf, während das Höllenfeuer mich langsam verbrannte.
Es gab kein Entrinnen, keine Möglichkeit sich zu wehren. Schutzlos war ich den Flammen ausgesetzt, die ich nicht sehen, nur spüren konnte. Sie labten sich an meinem Leid, ergötzen sich an meinen Qualen und leckten sich an meinem Körper hoch. Und dann ganz plötzlich, als sie mein Innerstes ertasteten, verwandelte sich das Feuer in Eis, das so kalt war, dass sich mein Körper in einer Starre befand. Er fror mich von Innen heraus ein. Durchfuhr meine Adern und streckte seine eiskalten Hände nach meinen Organen aus, um sie schmerzhaft zu zerquetschen. Es durchdrang meine Knochen ließen sie bersten und meine verbrannte Haut zerreißen.
Kaum ein klarer Gedanke, verließ mein Gehirn, alles schrie nur nach dem Pein.
Es war, als würde ich in einen Tiefen Ozean geworfen werden, während Gewichte an meinen Füßen für kein Entrinnen sorgten. Egal wie sehr ich auch strampelte und ruderte, meine Lungen füllten sich trotzdem mit dem dunklen Wasser.
Ich wollte sterben. Mein Körper zerfiel unter den Einflüssen des Eises und des Feuers, während mein Geist wimmernd um Gnade bettelte.
Langsam durchdrang ein Leuchten die Finsternis, spendete Geborgenheit und nahm den Schmerz von mir.
Meine ganze Umgebung schien in einem strahlenden Weiß zu erstrahlen und all meine Gedanken, an die vergangenen Grausamkeiten mit sich zu reißen.
Mein Bewusstsein kehrte zu dem Körper zurück, der auf diesem leuchtenden Weiß stand.
„Wo bin ich?“, fragte ich und wunderte mich selbst darüber, meine Stimme zu hören.
Augenblicklich blickte ich an mir herunter, erkannte jedoch nur meinen nackten Körper, der keine Spuren von der Folter trug. Was sollte das?
Eine Schneeweiße Gestalt trat aus der Umgebung heraus, löste sich aus ihr wie ein Schatten.
Ich erkannte nur das weiße Gewand, der Rest war in einem zu grellem Leuchten getaucht.
„Du hast die Pforten der Magie beschritten“, flüsterte die Gestalt mit Feengleicher Stimme und kam immer weiter auf mich zu.
Was bedeutet das? Doch bevor ich sie laut fragen konnte, sprach sie weiter.
„Auf dich wird eine Zeit der Verzweiflung und Schmerzes zukommen. Ein großes Schicksal erwartet dich, doch wenn du an dich und deine Freunde glaubst, wird dein großer Traum nicht nur für dich möglich sein.“
Sie hob langsam den Arm und berührte mich sanft an meiner Stirn. Diese Federleichte Berührung übermittelte mir ein Wissen, dass mich in die Knie gehen ließ.
Es gab die Magie. Daran gab es nun keinen Zweifel mehr. Ich konnte es nicht mehr leugnen.
Und ich war ein großer Bestandteil davon.
Mit einem schnappenden Atemzug, öffnete ich die Augen.
Ich brauchte etwas, um in der nur vom Mondlicht getauchten Umgebung, etwas zu erkennen. Ich lag in einem Bett und blickte geradeaus auf alte Robuste Holzschränke, deren Vitrinen überfüllt waren mit Fläschchen und Gefäßen. Ein beißender Geruch nach Desinfektionsmittel hing in der Luft, der meine Härchen nach oben sträuben ließ. Langsam wandte ich meinen Blick nach Rechts zu der Fensterfront aus der mich der Mond hell beschien. Während ich den Blick weiter schweifen ließ erkannte ich noch weitere Betten, die jedoch leer zu sein schienen. Ich befand mich in einem Krankenzimmer. Doch wo war ich und wie war ich hierher gekommen?
Mein Kopf schmerzte, bei dem Versuch sich krampfhaft zu erinnern. War ich denn verletzt?
Hastig schlug ich die Bettdecke beiseite und sog scharf die Luft ein, als ich meinen bandagierten Körper ausmachte. Oh scheiße.
Brust abwärts steckte ich in einem dicken Verband, durch den schon manche Blutflecke gedrungen waren. Was war nur passiert?!
Ein leises Schnarchen riss mich aus meinen Gedanken und überrascht machte ich eine Person, neben meinem Bett, auf dem Boden aus.
Lion lag dort, dass rote Haar lugte unter einer Wollmütze heraus und sein Gesicht war von schlafender Entspannung gezeichnet. Leicht lächelte ich, da er vermutlich auf mein Aufwachen gewartet hat und ein warmes Gefühl erfasste mich. Es war schön zu wissen, hier nicht jedem egal zu sein. Leise seufzend wandte ich mich wieder ab. Das hieß also, ich war bei den Warriors.
Seltsamerweise beruhigte mich der Gedanke, obwohl ich nicht ganz wusste, warum. Doch wie war ich ins Krankenzimmer gekommen und was hatte mein wirrer Traum zu bedeuten?
Unruhig richtete ich mich im Bett auf. Ich konnte hier nicht mehr liegen bleiben!
Langsam schwang ich meine Beine aus dem Bett und meine nackten Füße trafen auf den kalten Holzboden. Kühle Luft um wirbelte meinen Körper und setzte ihm eine Gänsehaut auf. Wo waren meine Anziehsachen? Ich konnte hier doch nicht nur in Verbänden und Unterhose rumlaufen?
Fröstelnd schlang ich meine Arme um meinen Körper und versuchte taumelnd ein paar Schritte zu gehen. Meine Beine zitterten, als hätten sie seit Jahren keinen Schritt mehr vor den anderen gesetzt und mein Körper schmerzte unter den Verbänden. Sachte versuchte ich den Raum zu durchqueren, wobei ich darauf achtete, Lion zu umrunden. Ich spürte meine warmen Haare auf dem Rücken und fragte mich, wann sie wohl zuletzt eine Bürste gesehen hatten.
Neben der Tür stand ein Stuhl auf dem sich ordentlich gefaltete Anziehsachen befanden, die nicht mir gehörten. Eine graue Jogginghose und ein schwarzes, enges Top. Schwach klammerte ich mich an der Lehne fest und versuchte mein Gleichgewicht zu halten, während sich alles drehte.
Reiß dich zusammen!, stauchte ich mein Innerstes zusammen.
Was war nur los?
Langsam beruhigte sich mein Körper und zögerlich griff ich nach dem Top, um es mir über zu streifen. Das Oberteil drückte etwas gegen meine Wunden, jedoch nicht so sehr, dass es schmerzte. Mir die Jogginghose anzuziehen, gestaltete sich da etwas schwieriger. Ich konnte mich nicht wirklich beugen, da dies zu großen Schmerzen in meinem Bauchbereich mit sich brachte, sodass ich mit Hilfe der sitzenden Position auf dem Stuhl in meisterlichen Akrobatischen Übungen es irgendwie doch schaffte, sie hochzuziehen. Nur zu gut, dass Lion noch schlief, dachte ich völlig außer Atem und total verschwitzt. Ich traute mich nicht die Verbände abzunehmen, aus Angst zu sehen, wie schlimm es möglicherweise sein konnte. Im Ungewissen zu leben, bereitete mir da schon mehr Freude.
Noch ein paar Mal atmete ich tief ein und aus, dann streckte ich die Hand nach der Kupfertürklinke aus, öffnete sie und schritt in den menschenleeren Flur hinaus.
In dem Teil der Herberge war ich noch nie und wusste deshalb auch nicht, wie ich zu meinem Zimmer finden konnte. Eichentür an Eichentür reihte sich den Gang entlang wurde nur ab und zu von einem Fenster unterbrochen, während ich mich fragte wie viele Räumlichkeiten dieses Gebäude noch hatte. Mein Schwindel war abgeklungen, jedoch fühlte ich mich noch immer recht schwächlich, während ich den breiten Gang entlang tapste. Nur mein Atem und meine Füße auf dem Holz, waren zuhören. Ab und zu, zog ein kalter Wind durch die Gänge, der mich frösteln ließ.
Gerade ging ich um eine Ecke, als ich flackerndes Licht aus einer halbgeöffneten Tür ausmachen konnte. Neugierig steuerte ich den Raum an und drückte die Tür auf, als mir vor Überraschung der Mund offen stand.
Ich befand mich in einer großen Bibliothek. Links und Rechts befanden sich hohe Bücherregale, zwischen denen sich kleine Gänge säumten. Geradeaus in der Mitte des Raumes befand sich ein großer robuster Holztisch, der aussah als würde er dort schon seit Jahrhunderten stehen. Alte Bücher und vergilbte Blätter stapelten sich auf ihm und mittendrauf stand eine dicke Kerze, die die Schatten an den Wänden tanzen ließ.
Wegen meiner Begeisterung für Bücher, war dies hier, das Paradies. Ein verzaubertes Lächeln stahl sich auf meine Züge und verträumt trat ich auf den Tisch zu, während ich mich begeistert zu allen Seiten umsah. Als ich vor dem Tisch stand und meinen Blick über ihm Schweifen ließ, erstarrte plötzlich alles in mir zu Eis und mein lächeln gefror.
Ich blickte auf ein Buch hinab, das ich so lange verschollen geglaubt hatte. Was machte es hier? Wieso hatten sie es?!
Meine Gedanken rasten und mein Mund wurde ganz trocken, während ich meine bebenden Hände nach dem verstaubten Kinderbuch ausstreckte. Liebevoll strich ich die dicke Staubschicht von dem Dunkelblauen Einband und blickte auf den silbernen Titel hinab, unter dem ein kleines Mädchen, mit riesigen goldenen Augen zu sehen war. Hero.
„Solltest du nicht auf der Krankenstation liegen?“, fragte mich plötzlich eine Stimme ungehalten und ich riss mich somit aus meinen Gedanken.
Erschrocken fuhr ich herum und erblickte Smoke, der neben der Tür an der Wand lehnte und mich aus gefährlich schimmernden Augen ansah. Mein Herz raste, während ich das Buch fest an meine Brust presste. Wieso brachte er mich so aus der Fassung?
Langsam kam er auf mich zu und mit jedem Schritt, wuchs meine Innere Anspannung. Sein Blick schien mich zu taxieren und der harte Zug um seinen Mund erinnerte mich daran, wie wenig er mich leiden konnte.
Durch das weiße enge T-Shirt schienen seine Baumstammartigen Muskeln fast heraus zu platzen und zum Ersten Mal, viel mir der große Unterschied zwischen ihm und Alex auf, während ich wieder den Ansatz eines Tattoos an seinem Hals ausmachte.
Alex war groß und hatte eine Sehnige Statur. Seine Muskeln waren fein definiert und sein Körper war frei von jeglichen Tattoos, da er sie abstoßen fand. Er hatte die Haare immer ordentlich nach hinten gegeelt und auch seine Kleidung war immer passend für einen harten Geschäftsmann. Smoke hingegen war riesig. Seine Muskeln strotzten nur vor Kraft, als hätte er sie sich durch schwere Körperliche Arbeit angeeignet. Ich könnte mich problemlos hinter ihn stellen, ohne das mich auch nur jemand erahnen würde. Seine Haare sahen immer so aus, als wäre er grade erst mit seinem Betthäschen fertig geworden und sein Kleidungsstil war alles andere als ordentlich.
Und obwohl Smoke das komplette Gegenteil von Vertrauenswürdig aussah, fühlte ich mich bei ihm wohler, als ich es je bei Alex getan hatte. Es schien, als würde ich genau wissen was ich von Smoke hätte, während Alex einen gar unerreichbaren Eindruck gemacht hatte. Genauso war es mit Lion. Er war mir vom Ersten Augenblick an sympathisch gewesen, als könnte ich ihm Vertrauen.
Wieso war mir das bei Alex nie aufgefallen?
„Was für ein Buch hast du da?“, ich spürte den warmen Atem mitten in meinem Gesicht und überrascht zuckte ich zusammen, als Smoke direkt vor mir stand. Unwohl trat ich einen Schritt zurück und sah selbstsicher zu ihm hoch.
Seine Lippen zogen sich zu einem schmalen Grinsen und die Kerze hüllte sein Gesicht in einzelne Schatten.
„Das ist meins“, sagte ich, als sei es das selbstverständlichste der Welt.
Kurze Irritation huschte über Smoke’s Gesicht, doch er hatte sich schnell wieder gefasst.
„Du kannst hier nicht einfach rein spazieren und Bücher als dein Eigen bezeichnen!“, erklärte er, als würde er mit einem Kleinkind sprechen.
Wut keimte in mir auf.
„Ach ehrlich?“, meinte ich sarkastisch und hob das Buch so hoch, dass er den Titel sehen konnte, „dieses Buch hatte meine Mutter für mich geschrieben und jetzt will ich wissen, was es hier macht!“, fauchte ich und drückte es schnell wieder an meine Brust, bevor Smoke es mir wegnehmen konnte.
Eine Stille, die jeden positiven Gedanken im Keim erstickte, machte sich breit und ich sah in Smokes zusehends verwirrtes Gesicht hoch.
„Das hatte sie für dich geschrieben?“, fragte er langsam und es schien, als würde er versuchen schmerzende Emotionen zu unterdrücken.
Ganz langsam erinnerte ich mich wieder an etwas. Zähflüssig wie Honig drang die Erinnerung wieder in mein Bewusstsein.
„Du kanntest sie doch, nicht wahr?“, flüsterte ich, als ich mich daran erinnerte, wie er mich im Flur bedrängt hatte.
Seine Augen wurden kalt und ausdruckslos, als er mich ansah, jedoch nichts erwiderte.
„Mein Vater meinte immer, sie sei wegen einem politischen Attentat ums Leben gekommen“, sprach meine Stimme schleppend weiter, als wären die Worte eine zu große Last, um sie alleine zu tragen, „doch…das ist nicht wahr, stimmt’s?“, fragte ich nun energischer und trat wieder einen Schritt auf ihn zu, versuchte etwas in seinen leeren Augen zu lesen.
„Wieso antwortest du nicht, verdammt!“, brüllte ich und versuchte ihn mit einer Hand energisch zurück zu schubsen, während ich mit der anderen immer noch das Buch umklammerte. Er rührte sich kein Stück.
Meine Mutter war immer für mich da gewesen, war immer meine schützende Zuflucht gewesen. Wieso wurde ich nur so belogen?
„Wieso hatte mein Vater gelogen?! Ist er etwa auch tot, meldet er sich deswegen nicht mehr?!“, schrie ich und lies das Buch fallen, während ich nun beide Hände gegen seine breite Brust stemmte. Doch es war zwecklos, als würde ich versuchen einen Felsbrocken zu verschieben.
Die Wut und die Verzweiflung flossen durch meine Adern, ließen mich rasend werden.
Alles woran ich geglaubt hatte, wurde mir in wenigen Tagen aus den Fingern gerissen. Ich hatte nichts mehr. Nichts, außer dem Wissen, dass die Menschen die mir am Meisten bedeutet haben, mich nur hintergangen hatten.
„Dein Vater meldet sich nicht mehr?“, fragte Smoke nun deutlich verwundert, doch ich stemmte mich weiter gegen ihn, so albern es auch war.
Von meinem Vater hatte ich seit Zwei Jahren nichts mehr gehört und Alex hatte auch jede Kontaktaufnahme meinerseits erfolgreich zunichte gemacht. Es war traurig, wie ich erst jetzt bemerkte, dass ich die ganze Zeit nur von ihm manipuliert wurde.
„Antworte mir gefälligst Smoke, was ist mit meiner Mutter?!“, brüllte ich weiter und sah wutentbrannt zu ihm auf. Warum war sie eine Magierin?
Seine grünen Augen blickten tief in die meine, während ein paar Strähnen seines Haars ihm ins Gesicht fielen.
„Sie ist tot, dass ist alles was du wissen musst“, sagte er ruhig und hob den Blick wieder, als wäre ich nicht sonderlich ernst zunehmend. Ein unbedeutender jemand, den man leicht abspeisen konnte.
Bittere Enttäuschung keimte in mir auf, vergiftete meinen Körper, während die Wut unter meiner Haut brodelte. Meine Augen funkelten und einen Moment hielt ich Inne.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Ich fühlte mich an, als stände ich kurz vor einer Explosion.
„Du mieses Arschloch“, fluchte ich los und schlug ihm so unerwartet heftig gegen die Brust, dass er überrascht einen Schritt zurück taumelte. Voller Zorn trat ich noch einen Schritt auf ihn zu.
„Du hast mich in deine Scheiß Welt gebracht, ohne mich überhaupt aufzuklären! Mein ganzer Oberkörper ist übersäht mit Wunden und du besitzt noch nicht einmal die Anstalt mich über den Tod meiner Mutter aufzuklären! Stattdessen tust du so, als würde dir die ganze Welt gehören und als hättest du das Recht darüber zu urteilen, was ich wissen darf und was nicht!“, die aufgeladene Atmosphäre um uns herum bemerkte ich in meiner grenzenlosen Wut nicht und erneut schlug ich ihm kräftig gegen die Brust.
Nun sah ich auch den flammenden Zorn in seinen Augen aufblitzen.
„Wag es nicht mich noch einmal zu schlagen. Du hast doch keine Ahnung“, zischte er und hielt grob mein Handgelenk fest, als ich noch einmal zuschlagen wollte.
„Woran liegt das wohl!“, fauchte ich, während er mich zurück zu dem Tisch drängte.
„Was willst du hören Neah?! Falls das überhaupt dein Name ist!“, brüllte auch er und baute sich bedrohlich vor mir auf, „willst du wirklich hören, dass deine Mutter ein Opfer der Inquisition war, weil sie sich der Regierung nicht anschließen wollte! Das sie dich verlassen hat, damit sie sich um die kleinen hilflosen Kinder in dieser Welt kümmern konnte! Willst du das wirklich hören!“
Eine eiserne Hand legte sich um mein Herz und zerdrückte es schmerzhaft, während jegliche Wut mit einem Schlag von mir wich. Ich wurde von meiner Mutter absichtlich verlassen.
Traurig wandte ich den Blick ab und blickte auf den Boden, um nach dem Kinderbuch zu suchen. Als ich es wenige Meter von mir ausmachte, schritt ich mit hängenden Schultern zu ihm und hob es auf. Ich konnte Smoke nicht in die Augen blicken.
„Mein richtiger Name ist Cara Heartstorm“, sagte ich und durchbrach damit die quälende Stille.
Smoke erwiderte nichts. Ich spürte nur seine mächtige Anwesenheit hinter mir.
„Ich habe mich Neah Locksley genannt, weil das Mädchen aus der Geschichte meiner Mutter so hieß. Die Geschichte handelt von einem kleinen Mädchen, das ihren Träumen und Sehnsüchten hinterherjagt, um sie zu verwirklichen. Sie war ihr eigener Held und wartete nicht auf einen Helden in Strumphosen, der ihr half", lachte ich freudlos, „sie half sich selbst. Und naja. Ich wollte wohl auch so jemand sein. Jemand der sich nicht auf andere verließ, um das zu bekommen, was er will. Deshalb heiße ich nun Neah Locksley. Es symbolisiert mir auch irgendwie einen Neuanfang. Fernab von all der schlimmen Vergangenheit“, murmelte ich.
Ich wusste immer noch nicht, warum ich ihm das sagte. Vielleicht damit diese Barriere des Mistrauens zwischen uns endlich gebrochen wurde, vielleicht auch, weil ich mich jemanden anvertrauen wollte. Ich konnte es nicht genau sagen.
Smoke räusperte sich leicht hinter mir und langsam drehte ich mich und blickte hoch in das Gesicht von jemanden, den ich doch eigentlich kaum kannte.
„Ich glaube, ich sollte dir wirklich mehr von unserer Welt erzählen und warum du auf der Krankenstation lagst“, sagte er, wobei seine langen Wimpern, Schatten auf seine markanten Züge warfen.
Vor Überraschung weiteten sich meine Augen etwas.
„Ja also, die Welt der Magier besitzt einen Rat, der die volle Entscheidungsgewalt über uns besitzt. Er bestraft die, die gegen die Regeln verstoßen, schreibt neue Gesetze und sollte im Großen und Ganzen verhindern, dass unsere Existenz zu den Menschen gelangt“, begann er, während er sich Armeverschränkend an den Tisch lehnte.
„Sollte?“, fragte ich und hob eine Augenbraue.
Er nickte und seine Züge wurden Ernst.
„Unter dem Rat befinden sich neue Machthaber. Die Gesetze wurden geändert und Schulen zur Ausbildung unser Kräfte für die Kampftechnik wurden gegründet. Man beginnt so langsam…die Menschheit zu unterwerfen“, sagte er und sah mich ernst an.
Erschrocken starrte ich ihn an.
„Was?!“
Er nickte.
„Die Gesetze verbieten die Beziehung zwischen Mensch und Magier. Kinder aus diesen Verhältnissen sind ebenfalls strickt untersagt. Die Regierung will nur Reinrassige. Alle die nicht dem Rat angehören, müssen wenigstens ihre Gesetze befolgen und wenn sie gegen ihr tuen sind, kommt die Inquisition und räumt sie aus dem Weg. Solche kleine Organisationen wie wir, stehen ebenfalls auf der Schwelle zum Existenzverlust. Da wir die Verbannten aufnehmen, die die ihre Familie an die Inquisition verloren haben, sind wir ein Symbol der Andersdenkenden. Normalerweise müssten wir auf ihre Schule geschickt werden und die Erwachsenen müssten sich dem Rat anschließen. Der Rat will nämlich alle wichtigen Magier unter sich wissen, damit es zu keinen Aufständen kommen kann. Sie unterdrücken uns und dagegen sind wir Machtlos. Selbst wenn du gegen keine Gesetze verstößt, reicht allein ihr Wissen gegen dich, dass du gegen ihr Gedankengut bist, dass sie dich auch so holen kommen. Der einzige Grund warum wir noch hier sind ist, dass sie Druckmittel gegen uns haben und wir ihnen dafür Informationen liefern, oder die Drecksarbeit erledigen, die sie nicht machen wollen. Wie zum Beispiel die Verstoßenen, die die wegen ihrem Machtwahnsinn aus ihrem Clan geworfen wurden, eliminieren. Oder eben Neumagier ausfindig machen. Der Rat kann sich somit darauf verlassen unsere volle Unterstützung zu haben, was jedoch eine andere Sache wäre, hätten sie uns unterworfen.“
Oh Gott. Zu mehr wahren meine wirren Gedanken zunächst nicht fähig. Was eine schlimme Welt.
„Und seit wann geht das so? Und wie knechten die Magier die Menschen?“, fragte ich ehrfürchtig.
Müde fuhr sich Smoke durch sein wirres dunkelblondes Haar.
„Sie gliedern sich in ihre Gesellschaft ein und benutzen dabei ihre Magie. Manipulieren die Menschen, lassen sie in Angst vor uns Leben. Und das geht seit ungefähr seit 10 Jahren so.“
Seit 10 Jahren…
„Aber das geht doch nicht! Gibt es keine andere Möglichkeit?“, fragte ich hoffnungsvoll und trat einen Schritt auf Smoke zu.
Er sah mich durchdringend an, ehe er müde seufzte: "Was erwartest du? Eine mysteriöse Prophezeiung? Eine geheimnissvolle Zukunftsvision?", er sah mich hoffnungslos an, "nein, selbst an sowas banales können wir nicht glauben."
„Da wäre es ja wahrscheinlicher wenn der Rat für ne kurze Ballettaufführung hier vorbeikommt“, grummelte ich und sah Smokes Mundwinkel leicht zucken.
Die Kerze flackerte weiter munter vor sich hin, während eine bleierne Müdigkeit sich auf meine Glieder legte.
„Und wie bin ich ins Krankenzimmer gekommen?“, fragte ich und unterdrückte ein Gähnen, obwohl alles in mir nach der Antwort forderte.
Augenblicklich versteifte sich Smoke und eine leicht Panik erfasste mich, als er wieder diesen abweisenden Blick auflegte.
„Du wurdest von irgendwem verfolgt und hast dich daraufhin verwandelt“, war die knappe Antwort.
Verfolgt? Bemüht versuchte ich mich zurückzuerinnern und wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als die Erinnerung wie ein Messer durch mein Bewusstsein fuhr.
Der fragwürdige Junge Charles, dann die Entführung durch eine andere Bande. Der Mann, der alles auf der Suche nach mir zerstört hatte. Das Blut, die Schreie.
Ein Keuchen entfuhr mir und meine Knie schüttelten so sehr, dass ich fast zu Boden ging.
„Neah!“, hörte ich Smokes sorgenvolle Stimme, doch ich nahm es kaum wahr, sah nur die Abfolge der Geschehnisse vor meinem geistigen Auge. Die Flucht, meine furchtbare Angst und die Ungewissheit des erwischt Werdens.
Die Panik zurück zu Alex zu müssen!
Ein heftiges Schütteln riss mich aus meinen Erinnerungen und aus glasigen Augen sah ich Smokes Gesicht, das mich entsetzt ansah. Seine grünen Augen schimmerten verschiedenfarbig und seine grade schlanke Nase, schien perfekt in sein kantiges Gesicht zu passen.
Sorgte er sich ernsthaft um mich?
Ich versuchte ein kleines Lächeln, das mir jedoch mehr als nur missglückte.
„Tut mir leid, ich hatte mich nur grade wieder erinnert“, sagte ich und versuchte krampfhaft wieder auf die Beine zu kommen, doch Smoke griff schon nach meinen Armen und zog mich Mühelos wieder nach Oben.
„Wer ist Charles?“, fragte ich und spürte die geringe Distanz zwischen uns.
Er stand so dicht vor mir, dass ich seinen Geruch nach Leder, Rauch, Sonnenstrahlen und Regen wahrnahm. Wieso roch er nach Regen und Sonnenstrahlen?
Ich liebte den Geruch nach frischem Regen, doch ich kannte keinen Menschen der selbst danach roch, wenn er nicht gerade durch ein strömendes Unwetter gelaufen war.
„Charles ist ein etwas sonderbares Mitglied der Warriors. Er jagt jedem Rockzipfel nach und bekommt deshalb wohl auch die ein oder anderen Probleme“, antwortete er mir rauer Stimme, während ich noch immer auf seine breite Brust starrte. Seine Hände hielten mich immer noch an meinen Armen fest, da meine Beine immer noch leicht zitterten, jedoch empfand ich diese Berührung als sehr merkwürdig. Sollte ich nicht Angst haben? Scheuten sich Vergewaltigungsopfer nicht vor Körperkontakt? Oder war es, weil ich wusste, dass Smoke mir nichts tun würde?
„Warum?“, hakte er noch und riss mich somit aus meinen Gedanken.
Ich schaute zu ihm auf, wobei ich meinen Kopf in den Nacken legen musste und fragte mich insgeheim wie groß er sein mag, da ich mit meiner Körpergröße für eine Frau recht groß war.
„Er erschien in meinem Zimmer kurz bevor ich von dieser anderen Bande entführt wurde“, erzählte ich die Wahrheit und sah, wie er die Zähne fest zusammenbiss.
„Killian, dieser Idiot!“, zischte er und ließ mich ruckartig los, sodass ich fast das Gleichgewicht verlor. Irritiert sah ich ihn an.
„Wer ist Killian?“, fragte ich, während Smoke zornig auf und ab ging.
„Dieser beschissene Vollidiot! Wie konnte er dich mit entführen lassen! Manchmal geht seine Eifersucht echt durch mit seinem Spatzenhirn! Ich sollte ihm zu Weihnachten einen Stressball kaufen. Wie konnte er es nur verantworten, dass du da mit kamst!“, fluchte Smoke weiter, ohne auf mich zu achten.
„Wer ist Killian?!“, rief ich jetzt lauter und versuchte ihn aus seiner Schimpftirade herauszureißen.
Es schien zu klappen, denn ruckartig hielt er inne.
„Jemand, dem Lady sehr wichtig ist. Und vermutlich hatte sich Charles an Lady rangeschmissen, oder rangeschleimt wie er es mit seinen gruseligen Psalmen zu pflegen mag und Killian hat es vermutlich herausgefunden. Wie alles was rund um Lady geschieht. Und dem Stalker ist dann vermutlich ne Sicherung durchgebrannt“, beschwerte sich Smoke weiter und lehnte sich erneut an den schweren Tisch an, während er genervt seinen Daumen und Zeigefinger an seinen Nasenrücken legte.
Ich schien die Beziehung zwischen Lady und Killian nicht ganz zu durchblicken, doch es wirkte wie etwas, dass wohl eine längere Geschichte beinhaltet.
„Wer war eigentlich der Mann, der dich gejagt hat?“, fragte er plötzlich ganz leise und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.
Ich öffnete den Mund, nur um ihn daraufhin wieder zu schließen.
Nein, ich war noch nicht bereit ihm von Alex zu erzählen. Definitiv nicht.
Ich spürte seinen Blick auf mir, während ich auf meine nackten Füße hinabblickte.
Der Äußere Rand meiner Zehnen lief schon blau an und erst jetzt bemerkte ich, dass meine Füße schon ganz taub waren.
„Ich weiß es nicht“, hauchte ich, unfähig den Blick zu heben.
Die elektrisierende Spannung die im Raum herrschte war fast mit Händen zu greifen und ich wusste, dass er mir nicht glaubte. Jedenfalls nicht direkt.
„Irgendwann musst du mit der vollen Wahrheit herausrücken“, sagte er kalt und ich zuckte unter seinem schneidenden Tonfall zurück.
„Mein Vertrauen ist nicht unbegrenzt“, fuhr er fort und ich spürte, wie er sich erhob. Seine Dominante Aura näherte sich mir. Stur hielt ich meinen Blick auf den Boden gerichtet.
„Bei deiner Verwandlung, zu der du seltsamerweise noch keine Fragen gestellt hast, hast du eine Explosion losgelassen, die nicht nur dich, sondern auch Lady und Killian verletzt hat“, sprach er mit seiner rauen Stimme weiter und erschrocken hob ich den Kopf.
Ich war Schuld an einer Explosion?
Es war beeindruckend wie schnell die Stimmung zwischen uns wieder schwankte. In einem Moment dachte ich, wir könnten sowas wie Freunde werden und im nächsten schleuderte er mir seine ganze Abneigung entgegen.
„Nette Fähigkeiten hast du übrigens“, sprach er weiter und so langsam dämmerte es mir, worauf er hinaus wollte.
„Unterstellst du mir grade, dass die Explosion Absicht war?“, flüsterte ich ungläubig, während ich seinem Raubtierblick begegnete.
Er striff um mich herum, beobachtete mich. Ich ignorierte die Schauer, die über meinen Körper rieselten und ballte die Hände zu Fäusten.
„Wer weiß? Du wirst von mysteriösen Menschen gejagt Hero. Vielleicht wolltest du nur ihn loswerden, aber es war die auch egal, ob die anderen drauf gehen?“
Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich schmerzhaft in meinem Hals gebildet hat und versucht nicht in Tränen auszubrechen.
Wieso war es nur so schwer, dass Menschen mich mochten? „Das ergibt doch gar keinen Sinn Smoke!“, rief ich laut und trat erzürnt auf ihn zu.
Wie konnte er mir nur sowas unterstellen!
Mittlerweile war er direkt vor mir, vor dem Tisch, stehen geblieben.
„Ich kenne dich nicht. Vielleicht wurdest du auch von dem Rat geschickt?“, sagte er und fuhr sich nervös durch die Haare.
War das sein Ernst?
Tränen sammelten sich in meinen Augen. War ich eigentlich überall unerwünscht oder verhasst?
„Ihr habt mich hierhin geschleppt, ich wollte das doch gar nicht. Und unterstell mir ja nicht, dass das zu meinem Plan gehört! Das ist doch krank Smoke!“, schrie ich und unterdrückte den Drang meinen Tränen freien Lauf zu lassen.
Fast schon schmerzhaft schloss Smoke die Augen und atmete tief durch.
„Du hast Recht. Tut mir leid. Wir haben nur so viele durch die Inquisition verloren, dass Vertrauen eine hart zu erkämpfende Gunst geworden ist“, sagte er leise und öffnete die Augen, um mir gequält ins Gesicht zu sehen.
Er hob unsicher die Hand, um mir vermutlich tröstend über den Kopf zu streichen, doch ich schlug seine Hand beiseite.
„Wag es ja nicht mich jetzt anzufassen!“, fauchte ich, obwohl Smoke mir wohl wieder einen einmaligen Blick hinter seiner harten Fassade gewährte.
Durch meinen Schlag zurück, geriet Smoke leicht ins taumeln und stieß leicht gegen den Tisch.
Doch diese kleine Bewegung reichte aus, um die auf Bücherstapeln thronende Kerze hinunterzustürzen. Mit einem dumpfen Aufprall landete die Kerze auf einem Bücherstapel, der direkt Feuer fing.
In der Ersten Sekunde starrte ich einfach nur entsetzt auf die knisternden Flammen, während Smoke sich schon fluchend sein T-Shirt über den Kopf riss und versuchte auf das Feuer einzuschlagen, dass sich schnell ausbreitete. Im nächsten Moment hatte ich mich gefasst und riss alles vom Tisch, das noch nicht in Berührung mit den Flammen kam, um zu verhindern, dass sich das Feuer ausbreitete. Mein Herz raste, während ich Smoke dabei zusah, wie er die Flammen dimmte und letztendlich auch besiegte. Es war nur ein kleines, noch ungefährliches Feuer, gewesen, doch das ganze Adrenalin brach plötzlich in mir aus, als hätte ich soeben nicht Sekunden, sondern Stunden durchgestanden.
Schluchzend rollten mir die Tränen über das Gesicht und ich grinste selbst, über diese lächerliche Reaktion, jedoch konnte ich die nächsten Schluchzer nicht unterdrücken. Mein Körper war ausgelaugt und erschöpft und die letzten Tage brachen mit einem Mal über mich hinein.
Qualm hing in der Luft und durch meinen Tränenschleier sah ich Smoke auf mich zukommen. Zielstrebig nahm er mich fest in seine Arme und weinend drückte ich mein feuchtes Gesicht an seine vom Feuer erhitzte Brust. Sein Geruch beruhigte mich und, während er seine breiten Arme um mich schlang, sodass ich fast an seiner Brust verloren ging, fühlte ich mich das Erste Mal seit Jahren wieder geborgen. Nach einer Zeit drückte ich mich schniefend von ihm und lächelte ihn unter versiegenden Tränen unsicher an.
„Tut mir leid wegen meiner Reaktion“, sagte ich beschämt und kam mir auf einmal unendlich dumm vor.
Smoke grinste schief, was mein Herz schneller schlagen ließ.
„Ach ich nehme es einfach als Freudentränen hin, dass ich in einer tragischen Wendung, doch noch mein Shirt ausgezogen habe“, sagte er und ich lachte.
Hastig wischte ich mir die letzte Tränenspur weg, während ich bemerkte, dass das Tattoo über seinen ganzen Körper ging. In einem Wirrwarr aus harten Linien war es über seinen ganzen Oberkörper gezeichnet, ließ sogar seine Arme nicht aus. Ausgehend kam es von einer Stelle, das durch ein Narbengeschwür gezeichnet war und auf seiner linken Brusthälfte lag, knapp neben seinem Herzen. Und es sah aus wie der Biss eines riesigen Tieres.
„Das ist kein Tattoo“, stellte Smoke meine Gedanken klar, während seine Stimme so fern schien. Das Blut rauschte mir in den Ohren.
„Das stammt von dem Biss des Dämons, den du hier siehst“, raunte er und zeigte dabei auf das Narbengeschwür.
12. Kapitel
„Von einem Dämon?“, stammelte ich, während mir die Bilder aus verschiedenen Horrorfilmen durch die Gedanken rasten. Entsetzt sah ich ihn an und wich einen Schritt zurück.
Doch bevor er auch nur antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen.
„Smoke! Neah ist-„, Lion stolperte in den Raum hinein und sein gehetztes Gesicht glättete sich, als er mich erkannte, „da bist du ja! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“, sagte er mit einem erleichterten Grinsen und kam langsam auf mich zu.
Lion hatte sehr grobe Gesichtszüge, wie mir nun auffiel. Die aufgehende Sonne von draußen, warfen ihre roten und goldenen Strahlen durch die dreckigen Fenster in den Raum und beleuchteten Lions braune Mandelförmige Augen, die mich freudig musterten. Seine breite Nase verlieh ihm ein verschmitztes Aussehen, was von seinem wirren Rotschopf noch unterstrichen wurde.
Ich bemerkte nicht, wie Smoke sich von mir entfernte, als Lion auf uns zukam.
„Ist alles okay mit dir? Obwohl du keine ernsthaften Verletzungen hast, sahen sie doch trotzdem ganz schön schmerzhaft aus“, sagte er und eine Spur von Sorge schlich sich in seine Augen.
Ich konnte nicht verhindern, wie sich ein glückliches Lächeln auf meine Züge schloss. Es war ein unbekanntes schönes Gefühl, wenn sich jemand um einen sorgte.
Kurz vor mir blieb er stehen und sah sich misstrauisch um.
„Wieso riecht es hier nach Rauch?“, fragte er verwirrt und ein nervöses Kichern entfuhr mir.
Ich glaube nicht, dass ich ihm sagen sollte, dass ich das Erste mal hier in der Bibliothek schon kurz davor war, alles abzufackeln.
„Neah hat mich unbeabsichtigt gegen den Tisch gestoßen und dabei ist die Kerze umgefallen“, sagte Smoke und ich warf ihm einen bösen Blick zu, den er ignorierte.
„Oh das solltet ihr Ryka besser nicht erzählen“, sagte Lion nachdenklich, ehe er sich wieder mir zuwandte, „also wir geht’s dir?“, sagte er und ich grinste bei seiner Sprunghaften Art.
„Ganz gut. Also ein paar Bewegungen schmerzen, aber sonst ist alles in Ordnung“, antwortete ich mit einem Hauch von schlechtem Gewissen, bei dem Gedanken daran, dass ich anscheinend eine Explosion losgelassen habe. Wie auch immer.
„Warte noch etwas, dann lässt sicherlich das Schmerzmittel nach“, meinte Smoke und nun war es an Lion, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen.
Und da war es wieder. Die vertraute Art mit der ich und Smoke vor wenigen Minuten noch miteinander umgegangen waren, war gänzlich verschwunden.
„Wieso hast du eigentlich auf dem Boden geschlafen?“, fragte ich, um die merkwürdige Stimmung zu durchbrechen.
Lion fand sein Grinsen wieder und kratzte sich am Kopf.
„Nun ja, ich habe ziemlich lange gewartet, bis du wach geworden bist und Ryka verbietet es uns in den Betten für Patienten zu schlafen“, sagte er und zog seine Wollmütze zurecht.
Aber deshalb gleich auf den Boden schlafen? Hat er sich solche Sorgen um mich gemacht?
„Ach, weshalb ich eigentlich hier bin Smoke!“, sagte Lion wieder Ernst und wandte sich zu Smoke um, der auf der Kante des Tisches saß und gelangweilt in einem Buch blätterte.
Mein Blick wurde förmlich von dem Narbengeschwür angezogen.
Ich musst ihn darauf dringend nochmal ansprechen, nahm ich mir fest vor.
„Deiner Begeisterung nach zu urteilen, hast du einen neuen Stand auf deinem Skateboard erlernt und kannst es gar nicht erwarten, mir den in aller Herrgottsfrühe zu zeigen?“, riet Smoke und blätterte desinteressiert weiter.
„Oh ja stimmt, da gibt es tatsächlich was Neues“, schweifte Lion ab, eher er sich wieder zusammenriss und Smoke aufgeregt anstarrte, „Nein! Darum geht es gar nicht! Wir beide haben einen neuen Auftrag!“
Augenblicklich ließ Smoke das Buch sinken und ein hinterhältiges Grinsen stahl sich auf seine Züge, dass nichts Gutes verheißen konnte.
„Auftrag?“, fragte ich und erinnerte mich dunkel, was Smoke bei unserer ersten Begegnung zu mir gesagt hatte.
„Ja“, sagte Lion nickend, während Smoke schon voller Elan vom Tisch sprang.
„Aufträge erhalten wir meistens von der Regierung oder eben von privaten Magiern. Von den privaten Magiern bekommen wir ein gutes Sümmchen Geld. Von diesem Geld finanzieren sich die Warriors. Die Hälfte müssen wir abgeben, den Rest dürfen wir selbst behalten“, erklärte Lion hastig, als Smoke schon an ihm vorbei zu Tür schritt.
„Kommst du jetzt, oder was ist los, Lion?“, fragte Smoke, als wäre ich gar nicht da.
Verärgert sah ich ihn an, doch er bemerkte es nicht, da er nur Lion anschaute.
„Tschau Neah“, sagte Lion und winkte mir noch zu, ehe er zur Tür hastete und mich allein in der Bibliothek stehen ließ.
„Diese Idioten“, fluchte ich, während ich den ewig langen Gang entlang tapste, auf der Suche nach meinem Zimmer. Mein knurrender Magen und meine vertrocknete Kehle, schrien nach Nahrung und Wasser, doch da mir niemand gezeigt hatte wo die Küche war, konnte ich nur nach meinem Zimmer suchen.
„Sie hätten mir wenigstens sagen können, wo es lang geht!“, schimpfte ich und schritt an den Fenstern vorbei, die einen Blick auf die aufgegangene Sonne preisgaben. Ich war schon unglaublich erleichtert, als ich die Ersten Zimmernummern ausmachte. Also war ich zumindest schon einmal im richtigen Gang. Halleluja.
Die Jugendherberge schien wie ausgestorben, da ich keinen Ton vernahm, bis auf mein eigenes Fluchen und das Knarzen meiner Schritte auf dem alten Holzboden.
Ich bog grade wieder um eine Ecke, als ich erleichtert meine Zimmernummer ausmachte. Automatisch beschleunigten sich meine Schritte, als ich plötzlich in eine tiefe Kuhle trat und umknickte. Schreiend hüpfte ich auf einem Bein zur grün gestrichenen Wand, als ich mir meinen schmerzenden Knöchel ansah.
„Du solltest hier nicht Barfuß rumlaufen. Der alte Boden kann manchmal echt tückisch sein“, sagte eine ausdruckslose Stimme und überrascht blickte ich hoch.
Gegenüber von mir stand Lady im Türrahmen und sah mich ungerührt an.
Ihr langes, schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen sah mich aus blaugrauen, stark mit Schminke betonten Augen an.
Ihre blonden Haare hatte sie Heute zu einem strengen Zopf geflochten, der ihr feines Gesicht noch mehr betonte.
Da ich es nicht mehr ertrug ihr in ihre gefühlskalten Augen zu blicken, die die Farbe von tristem Gestein trugen, starrte ich auf ihr Pailletten besetztes schwarzes Top, dass ihren mageren Körper perfekt betonte. Wie konnte man nur so dünn sein?
„Ja danke für den Tipp“, grummelte ich und ließ meinen Fuß langsam sinken, um testweise leicht mit ihm aufzutreten. Mein Gesicht verzog sich etwas vor Schmerz, doch es war erträglich.
„Du solltest morgens nicht so laut sein“, fuhr sie fort, „es gibt hier auch welche, die noch länger schlafen wollen.“
Erstarrt blieb ich stehen. War das gerade ihr ernst?! Blöde Kuh!
„Ja meinem Fuß geht es gut, danke der Nachfrage!“, fauchte ich und reckte das Kinn herausfordernd.
Einem Moment blinzelte sie verwirrt, doch dann erschien ein kühles Lächeln auf ihren Zügen, dass mir eisige Schauer über den Rücken jagte.
„Was denn, willst du gleich wieder irgendwelche Explosionen losschicken und alles zerstören?“, fragte sie zuckersüß und mit Beklemmung erinnerte ich mich, dass Smoke meinte, Lady sei auch verletzt worden. Hastig ließ ich meinen Blick über sie gleiten, erkannte jedoch keine Verletzungen, oder Verbände. Ein fast erleichtertes Ausatmen entglitt mir.
„Keine Sorge, ich hatte nur ne Gehirnerschütterung und ein paar blaue Flecken am Rücken“, sagte sie, als sie meinen Blick bemerkte, „du solltest dir mehr Sorgen um Killian und seine Familie machen.“
„Seine Familie“, fragte ich verwirrt und sie seufzte genervt.
„Seine Bande!“
Mit einem Schrecken dachte ich an all das Blut und meine Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Geht es ihnen gut?“, fragte ich panisch und Lady sah mich abschätzend an.
„Walter konnte die Meisten retten, doch manche waren schon in der Bar tot. Er besitzt die Magie der Teleportation und kann viele mitnehmen. Jedoch nur die, die schon Magier sind, weshalb er dich zurücklassen musste“, sagte sie leise und eine eiserne Hand legte sich um mein Herz. Manche waren gestorben….wegen mir. Alles wegen mir…
Das kleine Mädchen? Das verschleierte, dass die Magie der anderen erkennen konnte? Lebten sie noch?!
Mein ganzer Körper fühlte sich auf einmal so kalt und schwach an.
Alex? Wieso tat er mir das an?! Wieso…
Ein Gedanke schoss plötzlich durch meinen Körper und setzte sich dort fest, verankerte sich.
Alex…Alex war ein Magier, oder hatte zu mindestens mit der Welt der Magie zu tun. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und machte mir unglaubliche Angst.
„Hey Neah“, eine Hand wedelte vor meinem Gesicht herum und erschrocken blickte ich auf. Lady stand vor mir und hatte anscheinend versucht mich aus meinen Gedanken zu reißen.
„Ist der Kerl entkommen? Der Kerl, der uns angegriffen hat?“, fragte ich mit einem Zittern in der Stimme, während ich meinen Blick auf ihr Gesicht heftete.
Lange sah sie mich an, ehe sie zögernd nickte.
Tränen der Panik und der Angst traten in meine Augen. Was ist, wenn mich hier fand?! Jeden Moment hier rein kam und mich mitnahm?!
„Aber keine Sorge Neah!“, sagte sie und versuchte beruhigend zu lächeln, was ihr mehr als nur misslang, „solange du bei mir bist, kann dir der Kerl nichts tun!“
Wie konnte man nur so zuversichtlich sein?
„Aber…er ist unzerstörbar und du kannst mich ja noch nicht mal leiden“, sagte ich und versuchte meinen zitternden Körper unter Kontrolle zu bekommen.
Ihre Knallroten Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen.
„Weißt du, man muss ihn nicht gleich töten, um ihn aufzuhalten“, sagte sie geheimnisvoll, „außerdem bist du jetzt ein Mitglied der Warriors. Du wirst von jemandem gejagt und wir gewähren dir Unterschlupf. So läuft das hier. Und ich habe von deiner Magie gehört und so jemanden können wir nicht der Regierung überlassen! Zudem musst du auch noch deine neuen Fähigkeiten trainieren!“, meinte sie schon fast feierlich, während meine Gedanken immer noch um meine Verfolger und den Tod der anderen kreisten.
Mein Magenknurren durchbrach die Stille und Lady lachte. Sie lachte? War sie nicht vorhin noch die Bilderbuchzicke?
„Sei froh, dass Lion außer Haus ist, sonst könnte ich dir vermutlich kein Frühstück machen. Dieser Fresssack verschlingt einfach alles!“
Ich bemerkte Ladys Bemühungen. Die Art wie sie versuchte ein ungezwungenes Gespräch zu führen, fühlte sich falsch und aufgesetzt an.
Die Küche war tatsächlich nicht weit entfernt gewesen. Durch den Speisesaal, den Lion mir schon gezeigt hatte und dann einfach durch die rechte Tür. Ich war überrascht gewesen, wie sauber und modern die Küche war. Sie war so riesig und wirkte wie eine Küche aus einem Restaurant. Alles war verchromt und es gab mehrere Herde und Arbeitsflächen.
An einem kleinen wackligen Tisch, vor dieser metallenen Landschaft, saß ich auf einem kleinen Hocker neben der Tür und beobachtete Lady, wie sie geschickt Pfannkuchen machte.
„…und es ist echt schwer, hier immer noch an das zu kommen, was man will“, erzählte sie und ich erkannte das krampfhafte Lächeln um ihre Mundwinkel.
„Du musst das nicht tun“, unterbrach ich ihren Redefluss und überrascht sah sie mich an.
„Was meinst du?“, fragte sie ehrlich verwirrt und ich blickte stur auf die bunte Tischdecke, während ich mit ein paar losen Fäden spielte.
„Ich weiß ganz genau, dass du mich nicht leiden kannst, dann musst du nicht so tun als wären wir enge Freunde“, murmelte ich, ohne sie anzusehen.
Einen Moment blieb es still, nur das Zischen der Pfanne war zu hören und der Duft von gebratenem Fett hing in der Luft. Mein Magen knurrte zustimmend.
Dann erklang ein tiefes Seufzen und ich blickte auf, um Lady dabei zu beobachten, wie sie Teig in die Pfanne goss.
„Weiß du, jeder hier hat so viel Leid erfahren, dass uns das alles irgendwie zusammen geschweißt hat. Ich kenne Smoke und Lion schon so gut wie mein ganzes Leben und wir waren immer dieses Dreiergespann. Klar hatten wir unsere Differenzen“, sie lacht freudlos auf, „aber es waren immer nur wir Drei.“ Sie hielt einen Moment inne, um den Pfannkuchen zu wenden. Qualm hing in der Luft, gefüllt mit dem Duft der Pfannkuchen. Das letzte Mal, dass Jemand Pfannkuchen für mich gemacht hatte, war mein 15. Geburtstag gewesen.
„Und dann bist du auf einmal du. Ich halte mich generell von Mädchen fern. Ich glaub, ich war sogar noch nie richtig mit einem befreundet“, sie hob den fertigen Pfannkuchen auf einen Teller und goss neuen Teig in die zischende Pfanne.
Nachdenklich blickte ich wieder auf die bunte Tischdecke. Ich hatte noch nie überhaupt einen Freund gehabt.
„Ich auch nicht“, warf ich plötzlich ein und hob den Blick um den ihren zu begegnen.
„Du bist auch so ein Rätsel“, flüsterte sie, ehe sie den Kopf schüttelte, wobei ihr Zopf hin und her schwang.
„Was ich eigentlich sagen will ist, dass wir gar nichts über dich wissen! Zudem scheinst du Lion und Smoke ziemlich abzulenken und eine weitere Enttäuschungen will ich ihnen ersparen“, sagte sie und sah mir fest in die Augen, wobei sie aussahen wie das harte Meer, dass im Unwetter gegen die Brandung schlug.
Ich wandte den Blick ab. Sie hatte ja Recht. Wie sollte man mir vertrauen, wenn ich von wahnsinnigen Magiern gejagt werde?
„Ich weiß eigentlich nicht wirklich, wer mich jagt“, flüsterte ich und starrte auf meine Finger, die sich krampfhaft in einander falteten. Ich wusste wirklich nicht, wer dieser Mann gewesen war und was Alex mit der Welt der Magie zu tun hat.
„Also. Irgendwie ja schon. Aber diesen Kerl in der Bar kannte ich ehrlich nicht“, versuchte ich ihr mitzuteilen, während sie mit zwei Tellern hinter dem Herd herkam und mir einen dampfenden Teller vor die Nase setzte.
Langsam nahm ich das kühle Besteck in die Hand, das sie dazu gelegt hatte und schnitt meinen Pfannkuchen, um ihn mir hastig in den Mund zu stopfen. War das lecker! „Ich hab noch mehr“, sagte Lady, als sie meinen Heißhunger zu bemerken schien. Ich nickte geistesabwesend, während ich mich vollkommen auf mein Essen konzentrierte.
Ich bemerkte wie sie aufstand, reagierte jedoch nicht. Erst als sie vor mir etwas auf den Tisch stellte, blickte ich auf.
Eine Flasche Wasser, ein Glas und der Pfannkuchenteller standen vor mir, während ich ihr dankbar in ihr feines Gesicht sah.
„Wieso habt ihr eigentlich alle so…merkwürdige Namen?“, fragte ich, als ich mir Wasser in mein Glas schüttete.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie Menschen getroffen, die Lion, Lady, oder Smoke hießen! Wobei ich generell noch nicht viele Menschen getroffen hatte…
„Das sind nicht unsere wirklichen Namen“, lachte Lady und neugierig sah ich sie an, während ich das Glas in einem Zug leer trank. Meine trockene Kehle dankte es mir.
„Nennen wir es jugendlichen Leichtsinn. Alles wirkte irgendwie einfacher, wenn wir uns solche Namen zulegten, wie sie in Jugendlichen Banden anzutreffen sind. Es stand wohl auch irgendwie für einen Neuanfang. Für eine Vergangenheit, die wir hinter uns lassen wollten. So wie du dich vermutlich Neah nennst“, sagte sie und ich konnte das gut nachvollziehen.
„Wie bist du auf Lady gekommen?“, fragte ich weiter und biss in meinen dritten Pfannkuchen.
Unergründlich sah sie mich an. Ihre roten Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich zusammen und ihre Kiefermuskeln stachen hart hervor.
Langsam ließ ich die Gabel sinken.
„Du musst mir das nicht sagen“, meinte ich, während mir der leere Ausdruck in ihren Augen nicht geheuer wurde. Jeder von uns hatte wohl Geheimnisse.
Doch bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, wurde mit unglaublicher Wucht die Küchentür aufgerissen, sodass ich mich vor Schreck an meinem Pfannkuchen verschluckte.
Ein Junge, den ich noch nie gesehen hatte, trat vollkommen neben der Spur ein. Hustend sah ich ihn an, bevor ich mir mit zitternden Fingern das Glas neu füllte und hastig runter kippte.
„Was ist los?“, fragte Lady alarmiert, während ich einmal erleichtert durchatmete, bevor ich mich wieder zu dem Jungen wandte. Seine fast schwarze Haut stand im starken Kontrast zu seinen raspelkurzen blondgefärbten Haaren. Sein breites Gesicht war markant geschnitten und endete in einem stumpfen Kinn. In seiner flachen Nase funkelte ein silbernes Septum auf und seine großen, dunklen Augen waren von dichten Wimpern umrahmt.
„Diese beschissene Regierung!“, brachte er vollkommen außer Atem hervor und ich war erstaunt über seine angenehm tiefe Stimme.
„Was hat sie getan?!“, fragte Lady mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
„Alle…alle Magier in den Banden unter 18 müssen in die, von der Regierung vorgesehenen, Schulen“, presste er zwischen seinen vor Wut bebenden Lippen hervor. Die Warriors…bekommen ihre Mitglieder weggerissen? Automatisch dachte ich an das kleine Mädchen in der anderen Bande. Waren sie nicht alle, eine große Familie?
Eine bleierne Stille legte sich über die Küche. Von draußen war reger Tumult zu hören. Schreie, eilige Schritte, klägliches Weinen. Sie alle schienen es zu wissen.
„W-wie viele sind das von den Warriors?“, fragte ich leise, als hätte ich Angst mit lauter Stimme irgendetwas kaputt zu machen.
„Fast alle“, antwortete mir der mir unbekannte Junge, während Lady mich im stummen Entsetzen ansah. Fast alle…
„Ungefähr 50, wenn ich mich nicht irre“, sagte er tonlos und dann hing erneut die Stille über uns. Versuchte uns herunterzuziehen und in ein Becken voller Leid zu werfen.
Doch wer weiß, vielleicht befanden wir uns schon längst dort?
„Was ist mit den Halbmagischen Kindern?“, hauchte Lady, während ich mich mit riesigen Entsetzten daran erinnerte, das Smoke meinte, dass Kinder zwischen Mensch und Magier verboten seien…
Eine unglaubliche Welle der Übelkeit ergriff mich und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus.
„Sie dürfen hier bleiben“, antwortete der Junge zögernd, bevor er langsam hinzufügte, „vorerst.“
Was passiert dann mit ihnen?! Was passiert mit Menschen, die von dem Gesetz als verboten gellten?! Grausame Bilder zogen an meinen Augen vorbei und mit einem Ruck erhob ich mich. Der Tisch geriet ins Wackeln und ganz wie in Zeitlupe fiel das Glas hinunter und zerbrach dort in tausende kleine Scherben. Für einen Augenblick starrten alle einfach nur auf den Boden.
„Was passiert dann mit ihnen?“, ich konnte den hysterischen Klang in meiner Stimme nicht ganz unterdrücken, während ich vor den Jungen trat, der mich unergründlich ansah, „was passiert dann mit ihnen?!“
„Die Meisten werden vermutlich sterben.“
Es fühlte sich an, als hätte mir jemand in den Magen getreten. Doch es war nicht die Stimme des Jungen die geantwortet hatte. Langsam drehte ich mich und blickte in Rykas spitzes Gesicht. Ihre grauen Augen sahen mich entschlossen an.
„Sie werden vermutlich sterben“, wiederholte sie mit einer unendlichen Traurigkeit in der Stimme.
„Und es gibt nichts, was wir dagegen tun können. Es sei denn der Rat wird keine Gesetze in diese Richtung erlassen“, doch den letzten Satz sprach sie mit solch einer Hoffnungslosigkeit aus, dass selbst ich nicht daran glaubte.
Ich konnte nicht anders, ich musste hier raus. Ohne ein Wort zu sagen, eilte ich an Ryka vorbei und stieß die Tür zu dem Speisesaal auf, nur im vollkommenen Chaos zu stehen.
Ich hatte so was in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Kinder schrien, lagen auf den Boden und weinten, versuchten sich gegenseitig zu trösten um verzweifelt zu verzagen. Kuscheltiere wurden eng an den Körper gepresst, Ältere versuchten die Kinder zu beruhigen, doch sie alle weinten selbst. Wie viele waren hier 17, an der Grenze zu 18 und mussten gehen? Wie viele hatten ihr gesamtes Leben hier verbracht und wie viele…ja wie viele wussten, dass sie bald dem sicheren Tod ins Angesicht blicken konnten?
Wankend verließ ich den Raum. Ich ertrug das ganze Leid nicht mehr. Eine Mischung aus Verzweiflung, Trauer und Wut beherrschte meinen Körper und Tränen verwischten meine Sicht, während ich den Flur betrat, der wie ausgestorben vor mir lag. Die grüne Tapete wirkte noch recht neu. Wer weiß, vielleicht wurde sie ja auf Wunsch eines Kindes so gestrichen?
Ein kleines Schluchzen riss mich aus den Gedanken und ich blickte mich um.
Wer sollte denn hier im Flur sein?
Auf den Boden vor einer Tür hockte ein Mädchen und schien zu warten. Ihre goldenen Locken reichten ihr bis etwas über die Schultern und ihr eindeutig zu großes Blümchenkleid, streifte fast den Boden. Sie hatte den Kopf vornüber gebeugt und schien auf den Boden zu starren, doch ich sah die Tropfen, die auf den Boden fielen.
Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen, als ich auf das Mädchen zuging, dass an der gegenüberliegenden Tür vor meiner hockte und mich noch nicht zu bemerken schien.
Ich versuchte ein nettes Lächeln aufzusetzen, ehe ich sie ansprach und hoffte, dass es nicht allzu gruselig aussah.
„Auf wen wartest du?“, fragte ich und ging etwas in die Hocke, um mit ihr ungefähr auf einer Höhe zu sein.
Als sie den Blick hob, stockte mir der Atem. Ein strahlendes Blau und ein milchiges trüb, sahen mich an und ich unterdrückte den Impuls, sie fest in meine Arme zu schließen.
Auf ihrer kleinen Stupsnase hatten sich die Tränen gesammelt, um vereinzelt hinab zu fallen.
„I-ich wollte zu Smoke“, sagte sie und sah mich aus ihren großen Augen an.
„Was wolltest du denn von ihm?“, fragte ich freundlich.
Sie senkte den Blick und ein erneutes Schluchzen war zu hören.
„E-er hat gesagt, d-dass i-ich nie wieder zu d-denen muss!“, weinte sie und die gesamte kindliche Verletzung schwang in ihrer Stimme mit.
„Zu denen?“, hakte ich nach, obwohl ich ganz genau wusste, von wem sie redete.
„Der Rat! Er hat meine Mami und meinen Papi umgebracht und mir Mr. Harry genommen!“, schluchzte sie und alles in mir zog sich zusammen.
„Mr. Harry?“, haucht ich, während sich die Tränen schon wieder einen Weg nach draußen bannen wollten.
„Mein Plüschschwein!“
Langsam reichte ich ihr meine zitternde Hand und sie sah überrascht auf.
„Du kannst solange zu mir, bis Smoke wieder da ist“, sagte ich und sah sie beruhigend an.
Langsam streckte sie ihre kleine Hand nach meiner aus und griff zaghaft nach ihr. „Wer bist du denn?“, fragte sie, als ich uns beide auf die Beine zog.
„Neah und du?“
Langsam traten wir auf meine Zimmertür zu und ich war erstaunt darüber, wie zierlich ihre kleine Hand war.
„Liliane, aber jeder nennt mich Lilly!“, sagte sie und klang sogar schon fast wieder fröhlich.
„Lilly“, murmelte ich und öffnete Zimmer Nummer 13.
Welche Rolle spielten Kinder in dieser Welt? Und wie kamen sie zu den Warriors?
„Ach du scheiße“, entrutschte es mir, als ich den Scherbenhaufen meines Zimmers sah.
Auch Lilly schien wie erstarrt, als sie das Chaos sah.
Das Fenster war komplett zerstört und die Scherben waren überall auf dem Boden verteilt. Mein offener Koffer lag halb unter dem Bett und all meine Anziehsachen, waren quer in dem kleinen Raum verteilt.
Das musste wohl bei meiner Entführung passiert sein. Na super.
„Was ist passiert?“, fragte Lilly entsetzt, während sie ängstlich näher zu mir rückte.
Ich seufzte und kratzte mich am Kopf.
„Meinst du Smoke’s Zimmer ist aufgeschlossen?“, wich ich ihrer Frage aus und war mir ziemlich sicher, dass das nicht die richtige Unterkunft für ein Kind ist und das ich ihr definitiv nicht erzählen konnte, dass ich ausversehen entführt wurde.
Ich blickte zu ihr hinunter und sie sah mich aus großen Augen an.
„Er ist aber nicht da! Ich habe geklopft und er hat nicht aufgemacht!“, sagte sie entrüstet und ich seufzte erneut.
„Wir dürfen doch sicherlich in seinem Zimmer auf ihn warten?“
Sie schien zu überlegen.
„Doch ich glaube, dass ist okay“, sagte sie und nickte dann bestätigend.
Ich lächelte erleichtert und hoffte, Smoke würde mir dafür nicht später den Kopf abreißen.
13. Kapitel
Ich wusste nicht was ich erwartet hatte. Aber definitiv nicht…das!
Gegenüber der Tür war ein großes Fenster, vor dem sich ein breiter Fenstersims befand, auf dem sich nichts weiter als eine Zigarettenschachtel, ein Feuerzeug und ein Aschebecher befanden. In der Mitte des Zimmers befand sich ein leerer, runder Holzsofatisch und links an der Wand neben dem Fenster befand sich ein großes, altes Doppelbett. Sonst war da nur noch eine Kommode an der rechten Seite.
Etwas hilflos stand ich mitten im Raum, während Lilly auf das ungemachte Bett sprang und ein Kissen fest an ihre Brust zog. Der Raum roch nach Rauch, Regen und Leder. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen nackten Armen aus und fröstelnd schlang ich die Arme um mich, während ich versuchte, etwas Persönliches in diesem tristen Zimmer zu finden.
„Woher kennst du Smoke?“, fragte ich, obwohl ich mir denken konnte, dass hier wohl jeder jeden kannte. Schließlich wohnten sie ja alle unter einem Dache. Lilly ging auf meinen erbärmlichen Versuch ein Gespräch anzufangen, mit trauriger Stimme ein und verwirrt drehte ich mich wieder zu ihr um.
„Er hat mich vor der Regierung gerettet. Sie wollten mich auch umbringen“, flüsterte sie und große Tränen kullerten erneut aus ihren riesigen Augen.
„Was?!“, rief ich entsetzt und trat mit wenigen Schritten auf das Bett zu, um sie fest gegen mich zu drücken.
Es fühlte sich etwas befremdlich an, da ich in meinem ganzen Leben noch nie jemanden getröstet hatte, jedoch merkte ich, wie sie sich langsam entspannte.
„Weißt du ich habe auch ein Plüschtier, dass dich sicherlich gerne kennenlerne möchte“, sagte ich leise.
„Ja?“, schniefte sie gegen meine Brust und ich strich ihr beruhigend über den Rücken.
„Natürlich! Möchtest du ihn sehen?“, fragte ich und spürte ihr kräftiges Nicken an meinem Körper.
Langsam löste ich mich von ihr und strich ihr eine nasse Locke aus ihrem Gesicht.
„Ich bin gleich wieder da, ja?“, sagte ich und sie nickte erneut.
„Gut“, meinte ich lächelnd und drehte mich zur Tür um, während ich hoffte, Jasper in den Tiefen des Chaos zu finden.
Schnell durchquerte ich den Raum, öffnete die Tür und huschte aus dem kargen Raum. Die grünen Wände, des immer noch leeren Flures hießen mich willkommen. Warum war Smokes Zimmer so…einsam? Lebte er nicht schon unglaublich viele Jahre hier?
Kopfschüttelnd trat ich in mein Zimmer ein und besah mir noch einmal zweifelnd das Chaos.
Vorsichtig, um ja nicht mit meinen nackten Füßen auf die Scherben zu treten, machte ich mich erstmal auf die Suche nach Schuhen. Neben einem Bettpfosten und unter einem Sommerkleid, fand ich meine roten Chucks, die ich mir auch sofort anzog.
„So und jetzt den Rest“, murmelte ich und zog meinen Koffer unter dem Bett hervor. Die Scherben knirschten und fielen klimpernd zu Boden. Nachdem ich den Koffer auf mein Bett gehievt hatte, fing ich an meine wild verteilten Sachen, einzusammeln und sie von den Scherben zu befreien, bevor ich sie zurück in den Koffer warf. Und tatsächlich fand ich Jasper unter einem meiner spitzen BHs, aus glücklicheren Zeiten und einer zerfetzten Jeans. Glücklich hielt ich meinen roten Teddy hoch und erleichtert nahm ich wahr, dass er unbeschädigt war.
„Ein süßer Teddy ist das“, sagte jemand hinter mir und kicherte.
Erschrocken drehte ich mich um und erblickte ein Mädchen, das neben meinem Koffer auf dem Bett saß und ihre Beine baumeln ließ. Irgendwoher kannte ich dieses Mädchen.
Sie hatte ihre großen Haselnussbraunen Augen auf meinen Teddy gerichtet und ihr Kastanienfarbendes Haar, umrahmte ihr dünnes Gesicht. Sie hatte schmale Lippen und ein herzförmiges, freundliches Gesicht.
Der Groschen fiel bei mir, als ich ihr abgewetztes Veilchenfarbendes Kleid sah.
Sie war das Mädchen, das mir am Ersten Abend hier aufgefallen war! Ich hatte überlegt, ihr ein Kleid von mir zu schenken…
„Ähm, ja danke“, sagte ich und sah sie etwas skeptische an. Was machte sie hier?
Überrascht huschten ihre großen Augen zu mir und sahen mich mit blanken Entsetzen an. Unsicherheit befiel mich, als ich ihren Blick sah.
„Was ist?“, fragte ich und sah mich ängstlich um. War hier jemand?
„Du…du siehst mich?“, flüsterte sie, während ihre Augen mich immer noch aufgerissen anstarrten.
Was hatte die denn für ein Problem? „Jaaaa“, sagte ich gedehnt und fragte mich, was als nächstes kam. Ein überraschter Ausruf darüber, dass ich sie verstand und sprechen konnte?
„Das ist…ja…unglaublich!“, rief sie euphorisch und klatschte fröhlich in die Hände.
Okay…sie sah aus wie 16. Aber vielleicht war sie auch 10 und einfach etwas zurückgeblieben?
Bevor ich auch nur die Chance hatte, diesem komischen Mädchen zu antworten, sprang sie hastig auf.
„Das muss ich Ellen erzählen!“, sagte sie aufgeregt und sprang an mir vorbei, aus der offenen Tür hinaus.
Wer war Ellen? Und was war das für ein Mädchen?!
Verwirrt drückte ich Jasper fester an mich und fragte mich, wo zum Teufel ich hier eigentlich gelandet war.
Als ich zurück in Smokes Zimmer ging, lag Lilly zusammengerollt auf dem Bett und schlief friedlich vor sich hin. Ihre goldenen Locken, lagen wie ein Fächer um ihr Gesicht und leicht lächelnd trat ich auf sie zu, um ihr Jasper an die Seite zu legen. Nachdenklich blickte ich auf das Kind hinab. Wann war es her, dass ich jemals so friedlich geschlafen hatte? Wie lange ist es her, seitdem ich mich so richtig sicher gefühlt hatte? Obwohl…stutzend hielt ich inne. Fühlte ich mich nicht hier sicher? War ich hier nicht beruhigt?
Das Stampfen von vielen Füßen riss mich aus meinen Gedanken und verwirrt fragte ich mich, was da draußen los war. Neugierig schritt ich zurück und öffnete sie. Auf den Flur liefen viele Erwachsene her, Stimmengewirr umhüllt mich und verwundert starrte ich die vielen Menschen an. Sie alle blickten stur nach vorne, unterhielten sich nur knapp und leise mit ihren Nachbarn und würdigten mich keines Blickes.
„Neah!“, rief mich eine Stimme und ich erkannte Lady, die mit besorgter Miene auf mich zukam.
Hinter ihr stand wieder der Junge, den ich heute Morgen schon kennen gelernt hatte.
„Was ist hier los?“, fragte ich und ließ meinen Blick über die Menschen schweifen, die an uns vorbeigingen. Ernste Mienen, straffe Haltungen.
Um Lilly nicht zu wecken, trat ich ganz auf den Gang und schloss die Tür hinter mir.
„Eine Besprechung. Die jüngeren wurden auf ihre Zimmer geschickt. Das hier sind auch Mitglieder aus den anderen Banden“, sagte sie und sah mir fest in die Augen.
„Du solltest denk ich mal auch kommen“, ergänzte sie und der Junge hinter ihr nickte bestätigend.
„Das hier ist eine ernste Sache“, sagte er mit seiner tiefen Stimme und sah sich um.
Eine nie enden wollender Strom zog an uns vorbei.
„Was ist mit Smoke und Lion?“, fragte ich und konnte den Anflug von Angst nicht verhindern. Seit wann war ich ein so wichtiger Bestandteil hier von?
Seit wann interessierte es mich?
Lady sah mich ausdrucklos an, während der Junge erneut das Wort ergriff.
„Wir können nur hoffen, dass sie bald wieder kommen“, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Eine plötzliche Welle der Panik erfasste mich. Mein Herz fing an zu rasen und entsetzt wechselte mein Blick zwischen Lady und dem Jungen hin und her.
„Wie meinst du das? Wir können nur hoffen?!“
„Ja. Die Truppen der Regierung kontrollieren in Moment alles in der Magier Welt. Wenn sie Smoke erwischen-„
„Kimball!“, fuhr Lady ihn an und er erwiderte ausdruckslos ihren bösen Blick, während ich mich fragte, warum Lady ihn unterbrochen hatte. Wieso durfte ich es nicht wissen? Unergründlich sah sie mich an und wandte den Blick ab, während sie sagte, „Wir sind schon spät dran, alle sind schon da.“
Und mit diesen Worten ging sie vor und ließ mich mit Kimball stehen, der mich keines Blickes würdigte.
Wir waren tatsächlich die Letzten.
Die Bibliothek war bis zum bersten voll. Kimball, Lady und ich standen halb im Türrahmen und konnten nur schwer Ryka ausmachen, die hinter dem großen Tisch stand und um der alle einen Halbkreis gebildet hatten. Um was genau ging es überhaupt in dieser Besprechung?
Das Gemurmel endete, als Ryka das Wort erhob.
„Wie ihr alle wisst haben wir uns versammelt, um über die neuen Gesetze der Regierung zu reden“, begann sie ruhig und ließ ihre Worte etwas wirken.
Zustimmung und Nicken signalisierten ihr fort zu fahren.
„Hier werden wir nun besprechen, wie wir damit umgehen wollen“, sprach sie laut und deutlich weiter.
„Zum Henker mit der Regierung!“, brüllte ein Mann und viele stimmten mit ein.
„Gestürzt gehört sie!“, rief eine Frau.
Die zu Anfangs ruhige Stimmung kippte jäh in eine aggressiv geladene Atmosphäre.
„Sie können uns nicht unsere Kinder wegnehmen! Wir sind alle eine Familie!“
„Was soll denn aus denen werde?! Die werden dort nie akzeptiert!“
„Dann können wir sie ja gleich den Löwen zum Fraß vorwerfen!“
„Die Scorpions werden die Jüngeren nicht abgeben!“
„Riverlee ebenfalls nicht!“
Die Stimmen und das Gebrüll überlagerten sich, sodass es nur noch schwer war, etwas zu verstehen. Erhitzte Gemüter fingen an, sich gegenseitig anzuschreien.
„Ach als ob Riverlee etwas tun würde! Ihr seid doch schwache Feiglinge!“
„Verflucht“, murmelte Lady neben, „wenn sie so weiter machen, wird hier jemand noch seine Kontrolle über seine Kräfte verlieren.“
Die Stimmung, die sich immer mehr aufzuladen schien, schien wirklich kurz vor der Explosion zu stehen.
„Ruhe!“, brüllte Ryka und ihre gesamte Autorität durchflutete den Raum, brachte die Aufmüpfigen zum schweigen und unterdrückte die aufgehetzte Atmosphäre.
Ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um ihr zorniges Gesicht zu erkennen.
„Anstatt eure Wut an euren Verbündeten auszulassen, solltet ihr eure Energie besser auf eine Lösung steuern!“, sagte sie deutlich verärgert, als würde sie kleine Kinder tadeln.
Kimball nickte neben mir bestätigend.
Kein Ton war nach ihren Worten zu hören, alle rissen sich zusammen und ich war schwer beeindruckt von Raykas Macht.
„So, nachdem ihr euch alle wieder ein bekommen habt, können wir jetzt ja Vorschläge sammeln. Und bitte, ohne euch anzuschreien“, sprach sie nun deutlich ruhiger.
Es war von Anfang an zu bemerken, wie viele für eine radikale Methode waren. Nur wenige wollten die Angelegenheit versuchen friedlich zu klären und ich bemerkte zum Ersten Mal richtig, wie unterdrückt sie alle gelebt haben. Welche Wut sich in ihn allen gesammelt hatte.
„Ich habe meine Schwester sterben gesehen, weil sie keine Magie besaß! Ich werde diese Dreckssäcke nicht ungeschoren davon kommen lassen!“
„Denkst du nicht, dass ich nicht auch jemanden verloren habe?! Doch trotzdem können wir nicht einfach all unsere Geschütze auffahren!“
„Da sieht man es mal wieder, welche Feiglinge hier unter uns sind!“
Es schienen erneut Welten aufeinander zu prallen und beunruhigt trat ich ein paar Schritte zurück.
„Hach, die Banden haben sich echt nicht verändert“, zwitscherte eine Stimme neben mir vergnügt und überrascht sah ich das Mädchen in dem Veilchenfarbenden Kleid erneut.
Sie lehnte an der Wand, ein paar Schritte von mir entfernt und blickte fröhlich zu der Deckenbeleuchtung hinauf, als würde sie dort irgendetwas Interessantes sehen.
„Ich denke nicht, dass hier dran überhaupt etwas witzig ist“, meinte ich verstimmt und sah sie abwertend an. Was ist bloß los mit ihr?
Nun traf ihr Blick den Meinen und sie legte Überlegend den Kopf schief.
„Du hast es immer noch nicht begriffen, oder?“, fragte sie und diesmal lag kein Funke der Fröhlichkeit in ihrer Stimme.
„Was soll ich nicht begriffen haben?“, fragte ich sie verwirrt und dann erschien wieder das Lächeln auf ihren Zügen. Doch es hatte etwas Trauriges.
„Hast du das Foto in Smokes Zimmer gesehen?“
Ich schüttelte den Kopf, während ich immer noch nicht recht begriff, was sie mir sagen will.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sowas in Smokes Zimmer sein soll“, erwiderte ich.
„Das was nicht in Smokes Zimmer sein soll?“, kam es kalt hinter mir zurück.
Ein Blick über die Schulter verriet mir, dass Kimball mich mit seinen dunklen Augen regelrecht durchbohrte.
„Ähm…ein Foto“, sagte ich vollkommen verunsichert von seinem Blick.
Misstrauisch zog er die Augenbrauen zusammen.
„Doch da steht eins. Wieso?“
Warum sah er mich an, als sei mir nicht zu trauen? Nervös trat ich noch einen Schritt von ihm zurück.
„Weil ich nicht glauben konnte, dass das eins steht“, sagte ich, während mir total heiß wurde.
„Doch. Ihm hat viel an Fenna gelegen“, sagte er und sah mich immer noch abwartend an, als würde ich mich jeden Moment in ein fünfbeiniges Monster verwandeln und alles und jeden fressen, nachdem ich herausgefunden habe, dass Smoke ein Foto in seinem Zimmer hatte.
„Fenna?“, wagte ich trotz alledem noch eine Frage. Wer war Fenna? Und wer hätte Smoke so viel bedeuten können, dass er der einzige persönliche Gegenstand in seinem Zimmer war?
Und was war mit ihr passiert?
„Ja. Fenna. Ich schätze man könnte sagen, sie sei sowas wie seine nicht biologische Schwester gewesen. Sie starb vor ein paar Jahren“, antwortete Kimball mir vollkommen ausdruckslos.
Ich erstarrte. Sie starb? Seine Schwester? Ein tiefer Stich in meinem Herzen, ließ mich die Luft anhalten. Was er wohl alles schon erlebt haben musste…
Smoke, der immer so einen unnahbaren Eindruck gemacht hatte, bekam plötzlich ein ganz neues Bild vor meinem Inneren Auge.
„Jaaa. Das war echt kein schöner Tod. Ich hätte mir was Besseres vorstellen können. Auf einer Blümchenwiese zu sterben, hätte ich cool gefunden“, plapperte die Stimme hinter mir wieder fröhlich los. Ein eisiger Schauer überfiel meinen Körper, während ich mich wie in Zeitlupe umdrehte.
Eine dunkle Vorahnung beschlich mich, legte seine eisigen Hände wie eine Schlinge um meinen Hals. Jederzeit bereit zuzudrücken.
Ich sah sie an. Sie sah mich an. Und etwas lag in ihrem Blick. Fast so etwas wie Genugtuung gepaart mit Trauer.
Mein Atmen fiel mir schwer und alles schien zu verschwinden. Es gab nur noch sie und mich. Nur die Ungewissheit trennte uns, wie eine unüberwindbare Mauer.
Ich bekam nicht mehr mit, wie Kimball etwas zu mir sagte, ich starrte nur noch diese Mauer an.
Was wäre wenn…
Ja was? Was will ich mich hier eigentlich einreden? Nein, es kann nicht sein. Oder?
Es kostete mich unglaubliche Überwindung nach vorne zu gehen. Einen Schritt vor den anderen zu setzen. Mein gesamter Körper zitterte, als würde er eine unglaubliche Kraft aufbringen. Ich stemmte mich gegen meinen Inneren Widerstand. Ich musste es wissen.
Das Mädchen grinste mich an, als würde sie sehen, mit was ich zu kämpfen hatte.
Ich hob meinen Arm. Nur noch ein Stück…
Als meine Hand durch ihren Körper durchglitt, als wäre sie nichts als Luft, fing ich an zu schreien.
Selbst ihr aufgebrachtes: „Hey! Das ist unhöflich! Ich darf ja wohl bitten, ich tatsch dich ja auch nicht so an!“, konnte mich nicht davon abhalten, all meine Angst hinaus zu schreien.
„Willst du mit mir darüber reden?“, fragte Lady, als wir draußen auf dem Bordstein saßen und sie an ihrer Zigarette zog.
Die Sonne ging gerade wieder unter und tauchte die umliegenden, leer stehenden Gebäude in rote, orangene und rosafarbene Strahlen. Der Wind wirbelte meine langen Haare nach hinten und trug den Duft nach bevorstehendem Regen mit sich, während mit der Qualm von Ladys Zigarette entgegenwehte.
„Ich hätte dich nicht als Rauchertyp eingeschätzt“, sagte ich und ließ ihre Frage leer in der Luft hängen.
Der harte Bordstein drückte seine kleinen Steinchen unangenehm in meinen Hintern und auch die eisige Luft, ließ mich trotz dem Pulli, den mir Lady gegeben hatte, frösteln.
Die Besprechung wurde unterbrochen, nachdem ich meinen kleinen Aussetzer gehabt hatte. Viele schoben es auf traumatische Erfahrungen und meinten es sei sicher schwer, dass alles noch einmal zu hören. Nur wenige gaben gehässige Sprüche, doch Ryka, Lady und Kimball konnte ich nichts vormachen. Sie wussten, dass ich erst seit kurzem ein Teil hiervon war. Lady hatte angeboten mit mir rauszugehen, sodass die Versammlung in Ruhe weiter gehen konnte und Ryka hatte zugestimmt, nachdem sie mich prüfend angesehen hatte. Ihr war ich definitiv eine Antwort schuldig.
Das Mädchen…Fenna…war kichernd verschwunden, nachdem ich bemerkt hatte, dass durch mich meinen Schrei alle angestarrt haben und ich Rot angelaufen war.
„Bin ich eigentlich auch nicht“, antwortete sie und starrte versonnen auf ihre Schuhspitzen, „ich mache das nur zwischendurch. Vermutlich um diese komische Leere in mir zu füllen“, murmelte sie und irritiert sah ich sie an.
„Eine Leere?“
Sie nickte geistesabwesend und ließ den grauen Qualm aus ihren Mund entfliehen. Eine blonde Strähne hatte sich aus ihren strengen Zopf gelöst und hing ihr lose in ihrem feinen Gesicht.
„Dort wo die Liebe einst war, ist jetzt eine gähnende Leere, die verlangt gefüttert zu werden“, flüsterte sie, ohne mich anzusehen.
Dort wo die Liebe einst war…
Fühlte ich mich leer, nachdem meine Liebe zu Alex verschwunden war? Nein, dass würde ich nicht sagen. Ich fühlte mich immer noch unterdrückt und verfolgt. Was ich auch war.
Oder hatte sie es anders gemeint?
„Und deine Leere verlangt Zigaretten?“, sagte ich leicht grinsend und erkannte ebenfalls ein Lächeln auf ihren Zügen.
„Im Moment schon“, sagte sie, ehe sie ohne ihr Lächeln hinzufügte, „und vielleicht noch die Antwort auf meine Frage.“
Mein grinsen verschwand und ich rupfte aus der kaputten Straße einzelne Grashalme, um meine Gedanken zu sortieren.
Ich glaube nicht, dass sie mit einer Antwort gerechnet hatte, als ich langsam sagte: „Ich kann es selbst noch nicht ganz glauben, aber“, ich holte tief Luft und schloss meine Augen, „diese Fenna…die nicht biologische Schwester von Smoke…ich kann sie sehen“, flüsterte ich und öffnete die Augen um Lady groß anzusehen. Verwirrung schlich sich in ihren Blick, doch sie schwieg, schien zu überlegen was ich ihr sagen wollte.
„Aber Neah. Fenna ist tot“, sagte sie immer noch verständnislos.
„Ich weiß“, sagte ich und hatte das Gefühl eine Bombe fallen gelassen zu haben.
Einen Moment blieb es still, ehe Lady mit einem Satz auf die Beine sprang.
„WAS?!“, schrie sie und ließ vor Schreck ihre Zigarette fallen.
Ich zuckte mit den Schultern und sah zu ihr hoch.
„Sag das nicht mir, ich bin die Letzte die das versteht.“
Undurchdringlich sah sie mich an.
„Konntest du das schon vor deiner Verwandlung?“, fragte sie und es schien, als wäre ihr die Antwort unglaublich wichtig.
„Ähm. Ja ich glaube schon. Ich habe sie schon bemerkt, als ihr mich hierhin geschleppt habt“, sagte ich und Lady schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund, ehe sie wild auf und ab ging und, „das ist schlecht, das ist sehr schlecht“, wie ein Mantra vor sich her murmelte.
Angst erfasste mich und hastig sprang auch ich auf die Beine. Was war los? „Warum ich das schlecht?“, fragte ich zaghaft, als hätte ich Angst vor der Antwort.
Ruckartig hielt sie inne und sah mich ernst an.
„Weil es nicht viele Möglichkeiten gibt, warum du diese Art der Magie beherrscht.“
Wäre ja auch zu einfach, wenn du einfach weiter reden würdest, damit ich es auch verstehe! „Und die wären?“, ich konnte meine Ungeduld kaum zügeln.
Sie sah mich nur kurz an, ehe sie wieder anfing auf und ab zu gehen, was mich total nervös machte.
„Naja. Entweder dies ist einfach deine Magie, aber ich weiß, dass das nicht der Fall ist. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass du einer der seltenen Fälle bist, die zwei Fähigkeiten besitzen, oder und ich hoffe, dass das nicht der Fall ist“, sagte sie und hielt Inne, um mich lange anzusehen.
„Oder was?! Wenn du nicht gleich weiter redest, erwürge ich dich!“, knurrte ich ungehalten. So wie sie es darstellte ging es um Leben und Tod!
„Oder du bist eine Unicus. Und wenn das der Fall sein sollte, hat dich ein Mitglied des Rates gefunden und sich mit deinen Kräften verbunden. Und sollte dies wirklich wahr sein, bist du sowas von am Arsch. Dann sind wir alle am Arsch. Weil derjenige wird dich finden, um sich das zurückzuholen, was ihm zusteht. Koste es was es wolle.“
14. Kapitel
„Smoke. Du hattest schon viele dumme Ideen. Aber das hier“, sagte Lion und breitete die Arme aus, als würde er das ganze Haus umfassen wollen, vor dem sie standen, „das hier ist die vermutlich dümmste Idee, auf die du je gekommen bist“, schnaubte er und sah den Grünäugigen aus seinen entsetzten Augen an, als wollte er versuchen bis in seine Seele zu blicken, um da nach dem irrsinnigen Wahnsinn zu suchen, der Smoke dazu antrieb.
Smoke wusste, dass er Recht hatte. Er wusste auch, dass ihnen sein Plan das Leben kosten könnte. Aber er musste es wissen!
Und so standen sie hier, vor einem total heruntergekommenen Haus in der East-Side Detroits. Müll belagerte die kaputte Straße und nicht einmal die Gangs, die ihr Unwesen in jedem Viertel trieben, ließen sich hier blicken. Ein paar leerstehende Häuser in der Straße, wurden vielleicht noch als kurzzeitiger Unterschlupf, oder als Ort für einen knappen Drogendeal benutzt, aber sonst war jegliches Leben hier gewichen. Der Windschiefe Holzzaun hatte nur noch so wenige Latten, dass man sie an einer Hand abzählen konnte und der kleine Vorgarten war von wuchernden Pflanzen und Unkraut eingenommen. Das Zweistöckige Haus sah aus, als würde es jeden Moment zusammenbrechen. Die Fenster waren eingeworfen, die Tür halb aus den Angeln gerissen. Die ehemals rote Farbe war abgeblättert und abgebleicht.
Die Luft schmeckte nach Rauch, von weiter entfernten brennenden Häusern und den Zigaretten von zu jungen Kindern. Das war noch so eine Sache mit Detroit. Die Stadt war so verarmt, dass es zu wenige Feuerwehren gab. Hinzu kam die hohe Brandstiftung, die es der Stadt nicht einfacher machte.
Doch Smoke war hier aufgewachsen. Er kannte fast jede Gang, er wusste wer gefährlich war und wer nicht, doch das war alles schon lange her. So lange, dass er sich fragte, ob man ihn schon vergessen hatte. Den Kerl, der alle auseinander genommen hatte. Selbst ohne seine magischen Fähigkeiten, war er ein sehr ernstzunehmender Gegner.
Ein gefährliches Lächeln stahl sich auf seine geschwungenen Lippen, als er Lion ansah. Instinktiv schluckte Lion. Er wusste was es bedeutete. Nicht zum ersten Mal fragte der Rotschopf sich, was seinen besten Freund nur immer dazu antrieb, sich in halsbrecherischen Situationen zu begeben und diese auch noch in den vollsten Zügen zu genießen.
„Ach. Nur weil es der Bibliothekar ist, heißt das doch noch lange nicht, dass er nicht auch mal einen guten Tag haben kann, um zwei außerordentlich charismatische Jugendliche auf ein nettes Tässchen Tee einzuladen“, meinte Smoke gutgelaunt und rieb sich die Hände, während Lion kreidebleich wurde.
„Nu der Bibliothekar? Nur der Bibliothekar?!“, fragte Lion hysterisch und trat einen aufgewühlten Schritt auf seinen besten Freund zu, um ihn vorwurfsvoll anzugucken.
„Dieser Kerl“, sagte Lion laut und sah Smoke fest in die Augen, während er auf das brüchige Haus zeigte, „hasst Menschen! Da kannst du auch die Queen sein!“
Doch Smoke sah nur fröhlich zurück auf das Haus, als wäre er ein 7-Jähriges Mädchen und da drin würde ihr heiß ersehntes Einhorn stehen.
„Hörst du mir überhaupt zu!“, rief Lion erbost, doch er wusste selbst, dass es keinen Zweck hatte. Wenn Smoke einmal eine Auseinandersetzung witterte, war er kaum noch zu zügeln. Wie ein Vampir, der Blut geleckt hatte. Gut, dass diese kleinen Scheißer längst ausgestorben waren…
„Die Queen ist ja auch nicht sonderlich beeindruckend“, murmelte Smoke und suchte in seiner abgewetzten Lederjacke nach seiner Zigarettenpackung.
Er bemerkte dabei nicht, wie Lion aussah, als würde er kurz vor einer Explosion stehen, ehe er seine Augen schloss und mehrfach versuchte ruhig tief ein und auszuatmen.
„Warum sind wir eigentlich hier? Ich dachte, wir hätten einen Auftrag?“, fragte Lion und öffnete seine Augen, als er seine alte Gelassenheit wieder fand.
Smoke drehte sich zu ihm um, während er mit der Kippe im rechten Mundwinkel, seine Packung wieder verstaute.
„Ryka meinte, wir sollten hier mal etwas über Neahs Kräfte herausfinden“, nuschelte er, wobei die Kippe auf und ab wippte. Smokes Fröhlichkeit verschwand und der Misstrauische Zug in seinen Augen, war wieder zu lesen. Wenn er etwas herausfand, was ihm nicht gefiel, würde Neah noch so einiges bevorstehen. Smoke war kein Mensch, der einfach so etwas hinnahm.
Sollte Neah eine große Gefahr darstellen, würde er nicht zögern und seine Bande beschützen. So war es immer und so würde es auch bleiben. Selbst wenn Neah einen Inneren Beschützerinstinkt in ihn weckte, den er selbst nicht verstand.
„Ich mag sie“, warf Lion ein, als er bemerkte wie sein Freund immer mehr abdriftete. Er wusste in welche Richtung die Gedanken von Smoke gingen und obwohl Smoke nur das Richtige tun wollte, so wusste Lion, würde er nie glücklich werden. Seit dem das mit Kate passiert war, ließ sich Smoke auf nichts mehr ein und es schien fast so, als würde er es auch lieber vorziehen all seine Gefühle ins Jenseits zu verbannen, als für jemanden wieder etwas zu empfinden. Doch wer war er schon, um darüber urteilen zu können? Schließlich war er auch nicht besser.
„Mag sie lieber nicht zu sehr. Du weißt doch, wie viele Verräter es gibt“, grummelte Smoke und zog an seiner Zigarette. Er blickte wieder zum Haus und pustete unwirsch den Rauch aus.
„Ich kenne keinen!“, antwortete Lion und konnte den trotzigen Ton in seiner Stimme nicht unterdrücken. Er mochte es nicht, wie Smoke über Neah sprach, als sei sie etwas Niederträchtiges.
Und es stimmte, dass er keinen Verräter kannte. Die Warriors hatten nie das Pech solch eine Erfahrung zu machen.
Smoke warf ihm einen eisigen Blick zu und es schien fast, als würde die seltsamen grünen Schuppen in seinen Augen sich gefährlich Bewegen. Wäre Lion ein normaler Mensch, so wäre er instinktiv einen Schritt zurückgewichen, da Smokes Augen einen gar schon wilden Eindruck machten. Eine Giftschlange jederzeit bereit, zuzubeißen. Doch Lion wusste, wie es um Smoke stand und das es schon Ewigkeiten her war, dass er seine Beherrschung verloren hatte.
Bevor Smoke eine Antwort auf Lions Aussage geben konnte, vibrierte es in Smokes Hosentasche. Er verabscheute Handys. Abgesehen von der Tatsache, dass sie total unbrauchbar in Orcus, der Welt der Magie waren, gingen sie zudem bei jeglichen Kontakt mit den mythischen Kräften kaputt und man konnte nie seine Ruhe haben!
Doch Ryka hatte darauf bestanden das Smoke sein kaum benutztes Handy mitnahm. Aber wer zum Teufel rief ihn an? Es fing ja schon mit dem lästigen Gedudel an, dass sich doch kein Mensch länger als ein paar Sekunden antuen konnte.
Wütend pfefferte er seine Zigarette auf den Boden und schob seine Hand in die Tasche seiner zerfetzten Jeans um das vibrierende und dudelnde Mistding hinaus zu holen, dass die ruhige Atmosphäre durchschnitten hatte, wie ein schreiendes Baby im Kinosaal.
Er ignorierte Lions wissendes Grinsen über seinen Handyhass und drückte auf den grünen Hörer, ohne vorher genau nachgeschaut zu haben, wer ihn belästigte.
„Ja?“, knurrte er genervt in den Hörer. Fehlte nur noch, dass sich der Bibliothekar dieses Spektakel genüsslich ansah.
„Smoky, Honey“, schnurrte ihm eine nur allzu bekannte Stimme in den Hörer. Ein weiterer Grund, warum er die technische Erfindung hasste.
Lion, dessen Grinsen vermutlich bis zur Antarktis reichte, nachdem er ebenfalls die Stimme erkannt hatte, versuchte angestrengt auf den Boden zu gucken, nachdem Smoke ihn mit einem bösen Blick bedacht hatte.
„Hey Sandra“, antwortete er kühl und verfluchte sich innerlich, nicht auf das Display geachtet zu haben. Lion gab einen glucksenden Laut von sich.
Was wollte sie von ihm? Sie waren Geschichte, dass hatte er ihr doch klar gemacht! Was wollte also die Informantin der Warriors?
„Ich habe mich gefragt, ob du heute vielleicht etwas Zeit für mich hättest?“, säuselte sie und versuchte ihrer Stimme einen unschuldigen Klang zu verleihen, weil sie dachte, dass man ihr dann schwerer Wiederstehen konnte. Doch er hasste diese Art. Es gab ihm immer das Gefühl ein Pädophiler zu sein, wenn sie die kindliche Masche versuchte.
Wieso nochmal genau hatte er was mit ihr angefangen? Sie war ja noch nicht einmal wirklich sein Typ. Klar, sah sie unglaublich gut aus. Und auch die Tatsache, dass sie um die Welt der Magie wusste, hatte alles einfacher gemacht, aber ihre anstrengende Art war kaum auszuhalten.
Sie wussten beide, dass es nur was Lockeres zwischen ihnen war, doch sie hatte es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht, ihn auch noch zu ihrem kleinen Hündchen zu bekommen, wie sie es mit allen Männern tat. Das es mit ihm nicht funktionierte, saß in ihr wie ein Stachel im Fleisch.
„Nein, tut mir leid dich enttäuschen zu müssen. Aber es gibt noch Leute, die Aufgaben zu erledigen haben“, antwortete er ungehalten in einem Ton, der nur allzu klar machte, dass ihm überhaupt nichts leid tat.
Er hatte das mit ihr vor Monaten beendet, nachdem sie das mit Kate herausgefunden und einen riesigen Aufstand gemacht hatte. Sie hatte nicht einsehen wollen, dass sie nur eine kleine Ablenkung war. Nicht großes. Ach ja, fiel es Smoke nebensächlich wieder ein, das war der Grund, warum er überhaupt was mit ihr angefangen hatte! Eine Ablenkung!
Einen Moment schien es Still an der anderen Leitung und Smoke fragte sich schon, ob sie einfach das Telefon stehen gelassen und gegangen war, doch dann erklang ihre barsche Stimme: „Die Regierung ist auf der Suche nach dir, Sohn des Dämons!“
Wie erstarrt hielt Smoke das Handy am Ohr, als sie die letzten Worte aussprach. Das Tuten nahm er gar nicht mehr richtig wahr. „Verflucht!“, brüllte er verärgert und umschloss das Handy in seiner geballten Faust. Wie hatte Sandra das herausgefunden? Wie konnte die Regierung wissen, dass er am Leben war?!
Er vernahm das Zischen in seinem Inneren und unterdrückte die Wut, die an seiner Beherrschung knabberte.
„Smoke“, erklang Lions Stimme vorsichtig hinter ihm.
Doch Smoke ignorierte Lion und versuchte seine immer viel zu schnell aufkommende Wut, wieder tief nach hinten, in sein Bewusstsein zu schieben.
„Ähm Smoke?“, fragte Lion, diesmal eindringlicher.
Die Wut war ein ständiger Begleiter von Smoke. Ein Teil den er nie los wurde und auch nie loswerden würde.
„Smoke!“, kam jetzt nun die fast panische Stimme hinter ihm.
Hatte Lion eine Spinne gesehen, oder was belangte so sehr seine Aufmerksamkeit?! „Was?!“, antwortete Smoke genervt, während er sich umdrehte und mitten in den Lauf einer abgesägten Flinte blickte.
Ach. Das war Lions Problem.
„Ich hoffe es gibt Plätzchen“, meinte Smoke nüchtern, als er dem Bibliothekar in sein altes, verrunzeltes Gesicht sah und seinen bohrenden Blick, unter der verschmutzten Augenbinde, fest auf sich spürte.
15. Kapitel
Adrian Santos liebte sein Leben in Orcus. Er folgte der Regierung blind und vertrat alles, wofür sie stand. Schließlich wollte sie ja nur das Beste für die Magier. Das sagte zu mindestens sein Schulleiter und der hatte immer Recht.
Adrian faltete gerade seine Bettdecke, da Theodore gleich die Jungen aus dem ersten Flügel abholen und zum Unterricht pferchen würde. Theodore hatte den höchsten Rang in dem Ersten Flügel und somit das Sagen über die Jungen dort. Er kam jeden Morgen rein um sie zu wecken, verließ sie wieder, damit sie sich fertig machen konnten und kam dann erneut wieder, um sie zum morgendlichen Frühsport abzuholen. Alle in diesem Flügel mussten im gehorchen und im Falle eines Fehlers, jede Strafe kommentarlos hinnehmen.
Die Bloodlines, eine Akademie des Rates, war in vier Sektoren eingeteilt, welche ebenfalls in vier Stufen eingeteilt worden war. Der erste Sektor war der Heilungssektor. Hier waren die Schüler, deren Kräfte sich auf das Heilen bezogen. Der zweite Sektor war der Sektor für den Nahkampf, der dritte Sektor für den Fernkampf und der vierte Sektor war der Unterstützungssektor. Dort befanden sich diejenigen deren Fähigkeiten sich nicht direkt auf den Kampf bezogen. Sie konnten zum Beispiel Gedankenlesen, oder die Taktik der Gegner innerhalb weniger Sekunden erkennen. Sie waren dazu da, den Kämpfern der anderen Sektoren ihre Informationen zu vermitteln und sie so in einem Kampf zu unterstützen. Jeder dieser Sektoren war wiederum in vier Stufen eingeteilt. Im der vierten Stufe befanden sich die Anfänger, in der dritten die Fortgeschrittenen, in der zweiten die Könner und in der ersten Stufe die Profis. Erst ab Stufe zwei wurde man mit allen Sektoren, die sich auf dergleichen Stufen befanden, in denselben Flügel untergebracht. Das sollte die Teamfähigkeit und das Zusammenspiel der Kameraden fördern.
Adrian war ein ausgezeichneter Kämpfer des Nahkampfsektors. Da er sich im ersten Flügel befand, war er Schüler der ersten Stufe und arbeitete mit den Schülern des anderen Sektors zusammen.
Es befanden sich nur Jungen auf der Schule, da die Regierung die Mädchen auf Schulen schickte, wo sie lernten eine gute Hausfrau und Mutter zu sein. Adrian fand das gut. Schließlich musste ja für die Nachkommen gesorgt werden, die die Magierlinie aufrechterhalten sollte. So hatte er es im Unterricht gelernt, so war es richtig.
„Ey Adrian“, sprach ihn einer seiner Zimmergenossen an und fragend drehte sich Adrian in seine Richtung. Es war Marc. Er war im Unterstützungssektor und einer der wenigen, die Adrian wirklich leiden konnte. Klar sie waren alle eine Einheit, aber außerhalb des Trainings hatte er nur wirklichen Bezug zu Marc. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sie beide still jeden Befehl hinnahmen und ihn perfekt ausführten. Sie hinterfragten nichts, aber unterstützten die Reden der Ranghöchsten auch nicht mit lautem Grölen.
Marc trug schon seine schwarze Uniform. Es war eine enganliegende Hose aus dünnem, elastischem Leder und ein dazu passendes langärmliges Oberteil. Es war ihre Kampf- und Sportmontur. Vorne auf der Brust war die jeweilige Stufe und der Sektor mit rotem Garn eingestickt worden und auf dem Rücken war das Wappen der Schule zu sehen. Ein Falke mit ausgebreiteten Schwingen und einer Maus in den Klauen.
„Was gibt’s?“, antwortete Adrian und legte seine gefaltete Decke auf sein Bett.
„Heute kommen die ersten aus den Banden. Theodore hat mir gesagt, dass wir beide mit Veith und Greg die Neuankömmlinge in ihre Sektoren einteilen sollen“, sagte Marc ausdruckslos und sah Adrian aus seinen grauen Augen gleichgültig an.
Innerlich seufzte Adrian. Veith und Greg waren Bandenhasser. Adrian musste zusehen, dass die Einteilung nicht in einer vollkommenen Katastrophe ausartet, schließlich sollen auch die Mitglieder einer Bande hier ein neues richtiges Leben beginnen. Er war der Meinung, dass man auch ihnen eine Chance lassen soll, schließlich wurden sie von ihren Bandenältesten sicherlich nur manipuliert. Wer wollte denn schon ein Leben in einer Bande führen, wenn man so ein gutes Leben in Orcus haben konnte?
Wieso hatten die Bande überhaupt jemals ein Leben außerhalb angefangen? Hier war doch alles was man brauchte! Eine gute Regierung und glückliche Menschen. Die Zeitung berichtete schließlich ja nur positives, somit kann es negatives hier gar nicht geben. Davon war Adrian überzeugt. Sein Vater war ein hoch angesehenes Tier in der Magierpolitik und hatte ihm schon als kleinen Jungen früh eingetrichtert, dass hier alles perfekt war.
Adrian nickte Marc zu und war sich sicher, dass auch Marc über die Problematik mit Greg und Veith bescheid wusste.
„Dann lass uns gehen“, sagte Adrian und straffte die Schultern. Die anderen Jungen im Zimmer waren immer noch damit beschäftigt, sich gähnend ihre Uniformen anzuziehen und verschlafen ihre Betten zu machen.
Er folgte dem gleichgroßen Jungen nach draußen und fragte sich, was Marc wohl über die Banden dachte. Sie waren ein verhasstes Volk unter den Magiern und nicht wenigen nannten sie Rebellen, weil sie sich nie vollkommen der Regierung angeschlossen haben. Ein Rebell zu sein, bedeutete alleine zu sein. Adrian verstand nicht, wie man sich nur so gegen das Richtige wehren konnte. Die Regierung brachte ihre Mitglieder doch nur in die Schulen, damit sie lernen und ihre Kräfte wachsen können. Was war also so schlimm daran?
Der längliche Flur war noch leer, denn alle im ersten Flügel befanden sich noch auf ihren Zimmern.
„Sag mal Marc?“, sprach Adrian den Braunhaarigen an. Wie jeder hier, hatte er auch er kurzgeschorenes Haar.
„Ja?“, fragte Marc, ohne sein Tempo zu verlangsamen.
„Was denkst du über die Banden?“
Adrian sah ihn nicht an, als er die Frage stellte. Er blickte nach vorne, dort hin, wo sie hin liefen.
„Sie zerstören das System und bringen nur Unruhen und Ärger. Würden sie sich in unserer Welt richtig etablieren, wären wir eine Einheit. Eine Nation“, zitierte Marc schon fast Wort für Wort aus dem Unterricht, „jedoch glaube ich, dass wenn sie sehen, wie es hier läuft und wie wir zusammenhalten, endlich von ihrer vollkommen hirnlosen Idee ablassen, sich gegen uns zu stellen. Schließlich sind wir alle Magier und müssen zusammenhalten! Vor allem gegen den durchtriebenen Menschen“, fügte Marc noch mit fester Stimme hinzu und Adrian nickte zustimmend.
Sie hatten im Unterricht gelernt, wie unfähig der Mensch war und das es besser wäre, wenn die Magier den unbeholfenen Menschen helfen würden. Säßen die Magier in den Führungspositionen der Welt, wäre alles besser. Sie waren eine untergeordnete Rasse und konnten froh sein, dass sich die Magier noch verdeckt hielten.
Sie bogen um die Ecke und steuerten auf eine riesige metallbeschlagene Tür zu. Es war die Tür zum Empfangsraum.
„Hoffentlich sind wir vor Greg und Veith da“, murmelte Adrian, bevor er die Tür schwungvoll öffnete.
Der erste Blick verriet schon, dass sie nicht vor Veith und Greg da waren.
Die Gruppe Neuankömmlinge waren mit den blitzenden Handschellen, die jegliches aufkommen von Magie unterband, in eine Ecke gedrängt worden. Die Jüngsten unter ihnen weinten, die Ältesten hatten sich schützend vor die Kleinen gestellt. Vor ihnen standen Veith und Greg mit geballten Fäusten und sahen hämisch ihre Gegenüber ins Gesicht.
„Ihr seid doch nur Abschaum! Ich verstehe nicht, wie wir sowas wie euch überhaupt noch aufnehmen! Zu dem Bandendreck gehört ihr!“, schimpfte Veith und spuckte vor die Füßen eines Älteren, der vor Wut zu beben schien.
„Sind unter euch Verbannte? Blutsverseucher? Halb Mensch, halb Magier? “, knurrte Greg drohend und bedachte jeden mit einem durchdringenden Blick, „Schwuchteln können sich auch gerne für die Abreibung melden!“
Adrian sah mit Entsetzen auf das Geschehen vor ihm. Was taten sie da?
„Genug!“, durchschnitt Marc kalt die quälende Atmosphäre und überrascht fuhren Greg und Veith herum.
„Was tut ihr da?!“, brüllte Marc mit einer Wut, die Adrian nicht von dem ruhigen Jungen kannte.
Greg zog seine schwarzen dichten Augenbrauen zusammen, während Veith seine starken Arme abwehrend vor der Brust verschränkte.
„Wonach sieht es denn aus?! Wir weisen den Neuankömmlingen“, Veith betonte das Wort absichtlich abwertend, „nur ihren Platz zu. Willst du etwa, dass die sich in unser schönes System fressen wie Parasiten? Verbannte und Blutsverseucher haben in meinen Augen hier nichts zu suchen! Wenn wir ihre Familie schon der Inquisition ausgeliefert haben, sind sie sicherlich auch nicht ganz unschuldig! Und Blutsverseucher sollen eh von dieser Weltkarte verschwinden, genauso wie Schwuchteln. Sie zerstören unsere Rasse und können keine wertvollen Nachkommen hervorbringen“, verteidigte Veith sich und Greg grunzte zustimmend.
„Die Blutverseucher, wie du sie so schön nennst“, begann Marc mit zusammengepressten Zähnen, „sind noch in ihren Banden. Sie werden hier nicht hinkommen. Und zu welcher sexuellen Richtung unsere Neuankömmlinge geneigt sind, geht dich gar nichts an!“
Adrian sah Marc verwirrt an. Homosexuell zu sein, war ein Verbot an der Bloodlines, also durfte Veith sehr wohl fragen. Adrian hatte sich nie gefragt, ob es falsch, oder richtig war, so etwas zu verbieten. Vielleicht, war es wirklich falsch? Die plötzliche Aufgebrachtheit seines Freundes, irritierte Adrian.
Auch Veith wich einen Schritt zurück, ehe ein boshaftes Glänzen in seinen Augen erschien.
„Sag bloß, der stille Marcilein ist selbst eine Schwuchtel?“, sagte er ganz langsam, eher er und Greg in schallendes Gelächter ausbrachen. Entsetzt sah Adrian sie an. Wie konnten sie nur so etwas behaupten?!
Ein merkwürdiges Prickeln neben ihm, ließ seinen Kopf drehen. Marcs magische Aura sammelten sich um ihn und der blanke Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Adrian musste schnell etwas tun, sonst würde etwas Schreckliches passieren.
„Hey Leute! Hört auf solche geschmacklosen Witze zu reißen! Lasst uns uns lieber um die Neuen kümmern“, versuchte Adrian verzweifelt die Stimmung zu lockern, als er die gefährlichen Blicke sah, die Veith und Marc austauschten. Die Spannung zwischen ihnen schien zu brodeln und sollte es zu einem Kampf kommen, wusste Adrian nicht, was er tun sollte.
„Aber wenn es doch stimmt“, sagte Veith und fixierte Marc wie ein Raubtier, das seiner Beute auflauerte. Auch Greg sah etwas hilflos zu Adrian. Veith war aus dem Nahkampfsektor und besaß die Kraft genau zu wissen, wo deine Schwachpunkte lagen. Er griff sie auch gezielt an und konnte einen mit wenigen Handgriffen vollkommen außer Gefecht setzen. Marc hingegen war aus dem Unterstützungssektor. Er war ein ausgeklügelter Taktiker, würde jedoch in einem magischen Direktkampf gegen Veith verlieren, obwohl er ein großer Kämpfer war.
„Nimm das zurück“, zischte Marc und Adrian wusste ganz genau, dass Veith Marc alles brechen würde, wenn er die Chance dazu hätte.
„Du sagst das doch nur, weil dein Dad deswegen von der Inquisition umgelegt wurde“, setzte Marc noch hinzu und in der nächsten Sekunde, schien die Welt stehen zu bleiben.
Adrian hatte keine Zeit über diese Aussage überrascht zu sein, doch er wusste, was er zu tun hatte.
Bildmaterialien: Das Cover ist von irishxcoffee
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme das Buch meiner Beta-Leserin Killjoy, die ihre Zeit damit verschwendet mir in den Arsch zu treten und mir echt unglaublich hilft!
Danke :)