Vielen Dank für die tolle Geschichte "Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab" an Sam McBratney als Schriftsteller und an Anita Jeram, die das ganze sehr schön illustriert hat.
...bis zum Mond und wieder zurück!
Es ist mitten in der Nacht, als der kleine Hase aufwacht. Durch die Dunkelheit kann er in seinem Bau nicht viel sehen, doch er weiß, dass etwas bei ihm ist. Es ist das Monster.
Das Monster, das ihn jede Nacht besucht, das ihn kennt und genau weiß was er tut, was er denkt.
Jeden Abend, bevor der kleine Hase sich in sein Nest legt, hört er das Monster lachen.
Jede Nacht wird der kleine Hase wach, denn er riecht den Atem des Monsters.
Das Monster stellt ihm Fragen, auf die er keine Antwort hat. Ziemlich viele Fragen. Nimmt ihm seinen Schlaf und raubt ihm seine Kraft. Es findet sein Gewissen und fängt an daran zu nagen. Der kleine Hase ist dagegen machtlos. Er kann nichts machen. Gar nichts.
In dieser Nacht denkt der kleine Hase wieder an seinen großen Hasen, den er vor sieben Jahreszeiten verloren hat. Der große Hase hatte immer eine Antwort auf jede Frage und er konnte es so erklären, dass der kleine Hase es verstand. "Ich hab ihn verloren, meinen besten Freund", flüstert der kleine Hase, "aber ich werde ihn suchen und wiederfinden!" Mit diesem Gedanken schläft er in der Morgendämmerung ein.
Lange Zeit zum Schlafen hat der kleine Hase nicht, denn das Gezwitscher der Vögel in dem Baum über seinem Bau hat ihn geweckt. Verschlafen erinnert sich der kleine Hase an sein Versprechen gegenüber sich selbst. Angetrieben von der Hoffnung den großen Hasen wiederzufinden ging er raus aus seinem Bau. Doch ihn quälen Fragen und Zweifel: "Wird der große Hase mir überhaupt nach so langer Zeit noch zuhören? Und will er überhaupt, dass ich ihn wiederfinde?" Und so schreibt der kleine Hase ihm einen Brief, den er ihm geben will, wenn die Zweifel Realität werden.
Nachdem er den Brief geschrieben hat, rollt er ihn ein und verstaut ihn in seinem Rucksack: "Jetzt kann es los gehen!"
Und so zieht er durch den Wald, in dem er lebt. Er hoppelt über die Felder, an denen er den großen Hasen zuletzt gesehen hat und er ist auch dort, wo sie sich kennen lernten. An diesem Ort bleibt er traurig stehen und seufzt: "Wenn ich vor Jahreszeiten nicht so dumm gewesen wäre..." Der kleine Hase würde es nie zugeben, doch er vermisst den großen Hasen arg.
Nach einiger Zeit zieht er weiter, über Wiesen und Felder, die ihm selbst fremd waren. Doch er muss ihn finden, wohin der Weg ihn auch bringen würde. "Ich werde nicht umkehren, bis ich ihn gefunden habe!", denkt der kleine Hase immer wieder.
Die Tage werden immer kurzer und verregneter. Die Nächte immer länger und kälter. Das Monster hatte von Nacht zu Nacht immer mehr Zeit den kleinen Hasen mit Fragen zu quälen und sich in seinem Gewissen einzunisten. Immer mehr Zweifel kommen auf. Sie nagen an der zarten Seele des kleinen Hasen: "War es die richtige Entscheidung?"
Er ist nicht in seinem Bau und hat kein Nest, das ihm Geborgenheit geben konnte. Jede Nacht verbringt er unter einem anderen Baum, in einem anderen Blätternest. "Ich darf jetzt nicht aufgeben. Ich bin schon so weit gelaufen", ist der letzte Gedanke, bevor der kleine Hase einschläft. Eingekuschelt in einen Haufen von Blättern, die ihm Schutz vor der Kälte und der Nässe geben sollen.
Der kleine Hase lief unermütlich weiter. Immer weiter. Die Bäume werden kahl, die Felder weiß. Seit nun schon zwei Jahreszeiten sucht der kleine Hase. Erfolglos. Immer mehr begann die Hoffnung zu schwinden. Er ist sich nicht mehr sicher, ob er den großen Hasen jemals wieder finden würde. Felder, die er nicht kennt, Wälder, die ihm Angst machen und andere Tiere, die ihn nur wenig beachten. Der kleine Hase kommt sich verloren vor...
Auf den Wiesen blühen einige wenige Blumen. Das Weiß ist fort. Die Sonne lächelte den kleinen Hasen an, als er seinen großen Hasen endlich wieder sieht. Der kleine Hase versteckt sich hinter einem Baum, der nur wenige Blätter hat. Er hat Angst auf den großen Hasen zuzugehen, denn dieser ist nicht allein. Bei ihm ist ein anderes Tier. "Er ist glücklich", flüstert der kleine Hase traurig, "ich möchte ihn nicht traurig machen."
Enttäuscht hoppelt der kleine Hase weg. Nach Hause. Doch auf dem Weg verläuft er sich oft. Er weiß nicht mehr, wo sein Zuhause ist. Weit war er gelaufen. Über Felder, Wiesen und Brücken, durch Wälder und Täler, die er nicht kannte. Immer herzwärts. Dem kleinen Hasenherz hinterher. Es wies den richtigen Weg. Doch nun ist das Gefühl weg und der kleine Hase fühlt sich leer: "Wie soll ich denn nur so mein Nest wieder finden?" Er bleibt unter einem Baum stehen.
"Kann ich dir hefen?" - der kleine Hase erschreckt sich. "Ich weiß nicht", stammelt er. Vor ihm steht ein anderer Hase und lächelt: "Was ist denn los?" "Ich habe mich verlaufen. Und nun weiß ich nicht mehr, wie ich nach Hause komme", sagt der kleine Hase mit Tränen in den Augen. Verwundert schaut der andere Hase ihn an: "Aber wie bist du denn hier hin gekommen?" Und so erzählt der kleine Hase ihm von seinem Zuhause, seiner Reise, der Suche nach dem großen Hasen und auch von dem Monster, das ihn jede Nacht besucht. "Es ist schon spät, gleich wird es dunkel werden. Möchtest du in meinem Bau übernachten?", fragt der andere Hase ihn. Dankend nimmt er das Angebot an.
Der kleine Hase verweilt einige Zeit bei dem anderen Hasen. Sie reden viel, freunden sich an. Er mag den anderen Hasen und findet es toll, bei ihm, nicht allein zu sein. Er fühlt sich geborgen. Doch die Sehnsucht nach seinem Zuhause packt ihn immer wieder. Und so gibt er nach und macht sich auf den Weg. "Wenn du die drei Felder entlang läufst, immer dem großen Feuerball im Himmel entgegen, kommst du auf die große Wiese. Von der aus ist es nicht mehr weit bis in den Wald, in dem dein Bau ist", hat der andere Hase ihm immer wieder gesagt, bevor er gegangen war. Bevor er ging, versprach er ihm ihn bald wieder besuchen zu kommen.
Die große Wiese ist weiß. Der kleine Hase hat sie kaum erkannt. Und auch sein Wald ist nicht mehr so schön, wie er ihn zurück gelassen hatte. Der Baum über seinem Bau war kahl. Doch sein Bau ist wie immer. Nichts hat sich verändert. Das Nest ist immer noch das kuscheligste, das er sich vorstellen kann. Der kleine Hase ist glücklich wieder Zuhause zu sein.
Als der kleine Hase seinen Rucksack auspackt, entdeckt er den Brief, den er an den großen Hasen geschrieben hatte. Mit Tränen in den Augen laß er ihn:
Mein geliebter großer Hase,
ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, denn es ist viel passiert in den letzten Jahreszeiten. Wenn du diesen Brief liest, bin ich durch die Felder, Wiesen und Wälder gezogen, um dich zu finden. Und ich werde dich gefunden haben. Ich wusste nicht, ob du mit mir reden wirst, deshalb habe ich diesen Brief geschrieben.
Vor vielen Jahreszeiten habe ich einen dummen Fehler gemacht und dich verloren. Gold gegen Staub getauscht. Ich weiß, dass es ein unverzeihlicher Fehler ist, doch ich möchte dir erklären, warum es so gekommen ist. Mein kleines Hasenherz hatte es nicht immer leicht mit uns. Aus Angst vor Schmerzen hat es eine Mauer aufgebaut, Steinchen für Steinchen. Und dabei dich immer weiter weggeschupst. Zuflucht gesucht. Überall, nur nicht bei dir.
Tagsüber gewinne ich jeden Tag einen Krieg in meiner Welt. Aber abends, Zuhause, alleine - da habe ich Angst. Jede Nacht quält mich ein Monster mit Fragen, die ich nicht beantworten kann. Die schlimmste der Fragen ist "Warum?" - immer wieder hallt es in meinem Kopf. Doch ist weiß es nicht.
Ich habe dich gesucht, um eine Antwort zu bekommen. Denn du konntest mir die Welt immer so erklären, sodass ich sie verstand. Ohne dabei die schonungslose Realität zu verbergen.
Es werden noch viele Jahreszeiten vergehen, bis ich mir diesen Fehler selbst verzeihen werde. Doch ich hoffe, dass du in dieser Zeit glücklich bist!
...bis zum Mond und wieder zurück, vergiss' das nicht.
In Liebe,
dein kleiner Hase
Eine Träne läuft über die Wange des kleinen Hasen...
In Erinnerung an die Freundschaft, trotz vieler Täler.
In Erinnerung an die Liebe, trotz vieler Abgründe.
In Erinnerung an die Enttäuschung, die allzeit bereit ist.
In Erinnerung an die Trauer, die immer Bestand hat.
In Erinnerung an den Hass, der berechtigt ist.
Texte: Kepptn
Bildmaterialien: Anita Jeram
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2013
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