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Kapitel 1



„Mum, wieso können wir nicht schon heute fahren?“, drängelte ich.
„Weil wir erst morgen gehen“, antwortete meine Mutter gelassen. Ich verzog das Gesicht und rannte wieder in mein Zimmer. Bis morgen war es noch eine Ewigkeit. Ich klappte meinen Laptop auf und loggte mich bei Facebook ein. Kath war on.

Benja: Hey Kath
Kathleen: Hey Benny
Kathleen: gg?
Benja: Nein, ich will endlich mein Pferd haben.
Kathleen: Kann ich verstehen
Kathleen: Sorry, muss off, Mike ist hier!
Kathleen: BB Süsse!
Benja: BB

War das denn zu fassen? Seit einem Monat war sie nun mit Mike zusammen und sie hatte nur noch für ihn Zeit. Nicht mehr für mich. Für ihre aller beste Freundin.
Mein Name, Benja, ist sicher das schlimmste auf der ganzen Welt. Deshalb sagen mir alle Benny oder Ben. Ich finde den Namen voll bescheuert und wollte schon meinem Namen ändern lassen. Aber meine Eltern habe gesagt, wenn ich meinen Namen nicht ändern lasse, dann bekomme ich ein Pferd. Ein Pferd ist viel besser als dieser bescheuerte Name und deshalb habe ich eingeschlagen. Was sollte ich denn sonst machen? Meinen Namen kann ich immer noch ändern, wenn er mir zu sehr auf den Geist geht. Zumindest, sobald ich 18 bin.
Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass schon elf Uhr abends war. Ich zog mein Nachthemd an und liess mich ins Bett sinken. Wie sah wohl mein Traumpferd aus? Langsam schlief ich ein und träumte von meinem Pferd. Ein schönes Pferd. Muskulös und elegant. Treue Augen und eine weiche Nase.

Der verhasste Wecker weckte mich, als ich gerade mit meinem Traumpferd auf einen Sprung zugaloppierte. Ich liebte das Springreiten und ritt, wenn ich durfte, bei einer Springstunde auf dem Gestüt Alderberg mit. Dort hatten sie mir schon eine Boxe zurecht gemacht und warteten gespannt auf mein Pferd. Dabei wusste niemand, ob ich überhaupt eines finden würde.
Ich kaute auf einem Toast herum, dabei ass ich gar nicht. Ich war viel zu aufgeregt. Meine Mutter sagte, ich solle Reitkleidung anziehen, weil ich wahrscheinlich einige Pferde probe reiten müsse.
Ich zog meine Reithosen und Reitstiefel an. Ein einfaches T-Shirt und meine Reitjacke. Ich kämmte meine rotbraunen Haare und schaute mich im Spiegel an. Meine grünen Augen blickten zurück. Ich war doch ziemlich schön, auch wenn mein Name alles wieder kaputt machte, wie ich fand. Was sollte es. Nicht, dass ich mich selbst loben wollte, aber alle Mädchen aus meiner Klasse sagten auch immer, dass ich die Hübscheste sei. Ausserdem bin ich gertenschlank und sehr athletisch. Ich mache neben dem Reiten Jazz und Volleyball.
„Liebling, kommst du?“, rief meine Mutter von unten.
„Gleich!“, rief ich zurück und blickte mich noch ein letztes Mal im Spiegel an. „Benja Thomson! Du bist das glücklichste Kind auf Erden!“, sagte ich mir und lief dann schnell die Treppe hinunter, um in den blauen VW von meinem Vater zu springen. Meine ältere Schwester kam auch mit. Sie war schon achtzehn und hatte einen Freund, lebte aber noch bei uns und wollte Reitlehrerin werden. Von ihr hatte ich die Grundlagen des Springens gelernt, und sie hatte mich auch schon öfters unterrichtet. Ich liebte meine Schwester und war froh sie dabei zu haben. Mein kleiner Bruder musste zu meiner Oma, da dieser nur im Weg war.
Meine Schwester war noch hübscher als ich. Sie schminkte sich aber auch. Das könnte ich auch machen aber ich hatte mich am liebsten natürlich. Vielleicht würde mich mit Schminke auch so schön aussehen wie meine Schwester. Vielleicht, aber erst wollte mich mein Pferd. Alles andere war vorläufig egal.
Auf dem Hof erwartete man uns schon. Wir stiegen aus und wurden auch gleich von einem älteren Mann mit Glatze und einem gut aussehenden Jungen, etwa in meinem Alter, begrüsst.
„Herzlich Willkommen auf dem Gestüt Grünenburg. Ich bin Jon“, sagte der Junge und lächelte mich an.
„Es gefällt mir hier“, antwortete ich und lächelte zurück.
„Du musst Benja Thomson sein!“, sagte der kahlköpfige Mann freundlich. „Hier entlang geht es zu den Ställen. Ich habe dir schon einige passende Pferde ausgesucht“.
Ich folgte den beiden in den Pferdestall. Von links und rechts blickten mich neugierige Pferde an. Alles Top Hannoveraner.
„Das ist Rainbow. Sie ist fertig ausgebildet. Gestern wurde sie neun Jahre alt. Nicht einfach zu reiten, aber wenn es drauf an kommt kannst du dich voll auf sie verlassen“. Jon stellte mir dir hübsch Rappstute vor. Ich kraulte ihr die Stirn und beobachtete sie eingehend.
„Das hier, ist Top Secret. Er ist erst sechs und muss noch viel lernen und er ist nicht kastriert. Sein Reiter muss wissen was er will sonst macht er seine eigenen Regeln“. Top Secret. Ein wundervolles Pferd. Kastanienbraun mit einer Blesse.
„Delicius, neun Jahre. Sie hatte schon ein Fohlen. Eignet sich für Springen so wie Dressur und Military“, stellte mit Jon vor.
„Und was ist das für ein hübsches Tier?“, fragte meine Schwester dazwischen. Jon zögerte einen Moment.
„Das ist JP. Ein Dreijähriger. Er hat die besten Abstammungen die man zurzeit haben kann doch er ist wild und niemand kann ihn reiten“, erklärte er.
„Ich möchte ihn gerne probe reiten“, sagte ich schnell und trat an JPs Boxentür. Der weisse Hengst stupste mich sachte an und ich strich ihm über die Stirn.
„Los Jon. Auf was wartest du? Bring der Lady den Sattel. Sie soll sich selbst überzeugen dass er eine Bestie ist“, befahl Herr Grünenburg, der Besitzer des Stalles.
Jon gehorchte und brachte eine Springsattel und einen Zaum. Meine Hände begannen zu schwitzen als ich den Sattel auf JPs Rücken legte. Er blickte mich erwartungsvoll an und öffnete seine Zähne als ich ihm die Trense anlegte.
Ich schloss alle Riemen und gurtete nach. Geistesabwesend führte ich ihn aus seinem Stall. Es gab nur noch uns zwei!
Auf dem grossen Reitplatz angekommen legte ich mir meine Reitkappe an, gurtete nochmals nach und zog mich hoch in JPs Sattel.
Ein leichter Schenkeldruck genügte um den Schimmel in Bewegung zu setzten. Er hatte einen weichen, flotten Schritt und lies sich ohne weiteres versammeln. Ich machte erst Schenckelweichen. Tadellos, wie es jedes Spitzendressurpferd gekonnt hätte.
Schulterherein und Kruppeherein waren gar kein Thema und er führte auch das Schenkelweichen im Trab perfekt aus.
Ich wagte es, ihn anzugaloppieren. Weich ging er in die schnelle Gangart über. Es schien so als ob er einfach alles könne. Seine Galoppsprünge waren regelmässig und auch auf kleinen Volten lies er sich nicht aus der Ruhe bringen.
Ein kleines Hindernis, vielleicht einen halben Meter hoch, fiel mir ins Auge. Ich nahm die Zügel etwas auf und führte ihn darauf zu.
Er behielt sein Tempo bei und im nächsten Augenblick flogen wir über den Sprung. Mit geröteten Wangen kehrte ich zurück zu meinen Zuschauer.
„Er ist fantastisch!“, rief ich übermütig und JP wieherte zustimmend.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug dachte ich, es sei ein Traum. Doch als ich mich aufrichtete und auf die Pinnwand starrte und dort JPs Kaufvertrag sah entfuhr mir ein Jubelschrei.
Ich sprang aus dem Bett und zog mich an während ich mein Zimmer begutachtete.
An den Wänden hingen Bilder von all den Ponies und Pferden die ich in meinem ganzen Leben geritten hatte. Die musste ich nun durch JPs Bilder ersetzten.
Die Wände selbst waren in einem hellen Blauton gestrichen. Die Farbe passte sicher super zu JPs Fell. Ein mittelbrauner Holzschrank stand neben dem modernen Tisch. Auf diesem Tisch stand mein einjähriger Delllaptop. Natürlich war er schwarz.
Mein Bett stand in der Nähe vom meinem Fenster und gegenüber von meinem Bett hing die Pinnwand mit JPs Kaufvertrag, umrammt mit Fotos von Kath und mir.
Wie vermisste ich die alte Kath. Mit ihren schwarzen Locken und den safirblauen Augen.

Ich lehnte gerade mein Rad an die Wand des Pferdestalles als der schwarze Kombi von Kaths Vater auf den Hof fuhr. Sie sprang heraus und Mike folgte ihr.
Innerlich stöhnte ich auf, doch liess ich mir nichts anmerken. Nirgends war man mehr vor Kath sicher und immer, wirklich immer nahm sie Mike mit.
Unsere gemeinsamen Ausritte waren nun vorbei. Ich führte JP aus seiner Boxe und begann ihn zu putzen.
„Ich wusste nicht, dass Benny den Pferd putzt!“, hörte ich Mike hinter mir sagen. Ich wirbelte herum. Meine Augen funkelten Kath wütend an.
„JP ist mein Pferd und sicher nicht deines! Nie würde ich ihn dir geben! Was fällt dir eigentlich ein ihn als dein Eigentum abzuschreiben?“, schrie ich sie wütend an. Das war zu viel.
Kath wurde knallrot und sie begann herumzustottern. Ich fiel ihr ins Wort.
„Wir waren mal beste Freundinnen! Seit du mit Mike zusammen bist interessierst du dich nicht mehr für mich und dann verbreitest du noch solche Lügen?“, meine Stimme war leise doch wirkungsvoll. Kath viel schluchzend auf ihre Knie.
„Du warst einfach der Star in der Klasse, siehst toll aus und jetzt hast du auch noch dieses tolle Pferd. Ich habe nichts und als Mike mir sagte er stehe voll auf dich ist das Fass halt übergelaufen. Ich habe viele Sachen gesagt die gar nicht stimmen und gestern hat Mike JP gesehen und in so toll gefunden das ich halt gesagt habe das er mir gehört. Ich hatte nicht gerechnet das du vielleicht auch noch dein Pferd besuchen willst und dann ist es hallt passiert…“, sie schluckte krampfhaft und stand wieder auf.
„Das hätte ich nicht von dir erwartet! Du kleines Miststück!“, zischte Mike sie an und lies sie auf dem Hof stehen. Ich starrte sie einfach an.
„Das hätte ich ebenfalls nicht von dir erwartet“, sagte ich leise. Ich füllte mich verraten und wandte mich wieder JP zu. Einige Leute standen um uns herum und warfen Kathleen böse Blicke zu.
Ich sattelte JP. Mir viel auf das alles Lederzeug neu war doch die Satteldecke und Gamaschen waren alt und abgenutzt. Ich werde ihm neue Sachen kaufen müssen.
Ich führte JP auf die Reitbahn und zog meine Reitkappe an. JP stampfte unruhig mit dem Huf als ich aufstieg. Er wusste genau, dass ich mit meinen Gedanken bei Kath und nicht bei ihm war.
Ich trieb ihn sanft mit den Schenkeln. Er schüttelte unwillig den Kopf und schnaubte. Wenn ich mich nicht bald auf ihn konsentrieren würde, würde ich noch zum Stallclown werden.
Nochmals drückte ich sanfte die Schenkel zusammen und diesmal lief er artig los. Ich hatte einige Stangen auf den Boden gelegt und ritt ihn nun am langen Zügel darüber.


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Tag der Veröffentlichung: 17.11.2009

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