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Gestern noch sah ich aus dem Fenster in den Garten. Der goldbraune Herbst verblasste langsam unter den glänzenden Eiskristallen des herannahenden Winters.
Bald wird es wieder soweit sein.
Bald wird der Garten wieder im weißen Schneekleid schimmern. Im Haus wird es süß nach Plätzchen duften. Weihnachtslieder werden fröhlich in den Herzen der Menschen erklingen und für eine kurze Zeit wird sich die Welt im Taumel der fünften Jahreszeit im gleichen Rhythmus drehen...gar tänzeln. Bald.

Doch freuen kann ich mich nicht, denn ich werde alleine sein. Er fehlt mir mit jedem Atemzug und mein Herz blutet, wenn ich sein Foto betrachte. Er war nicht sonderlich attraktiv oder aufregend. Er war wie ich und deshalb das einzig Echte in meinem Leben. Als er ging, ließ er mich mit dieser Welt allein und ich hoffte jeden Abend meine Augen ein letztes Mal schließen zu dürfen. Und an jedem Morgen wurde ich enttäuscht. Und mit jedem neuen Morgen spürte ich, dass ich ihm folgen werde.
Bald wird es wieder soweit sein. Bald werde ich ihn wiedersehen.

Heute schaue ich wieder aus dem Fenster. Das Salz meiner Tränen trocknet auf meiner Haut, während ich mit diesen Worten ein weißes Blatt verziere.
Niemand weiß, was geschehen war. Niemand kannte ihn. Die Leere, die er hinterließ, reicht dennoch für die Ewigkeit eines ganzen Lebens. Er war dieses Gefühl, das mir die Kraft zum Weitermachen gab; das Elixier, das meinen Körper mit diesem Pochen nährte. Er war dieser eine Gedanke, der einfach alles in mir einnahm, mich leitete, mich trug, mich atmen ließ. Er war meine Liebe, meine Seele. Und jetzt ist er fort. Schaue...höre ich jetzt in mich, dann ist da nichts mehr. Ich bin leer...wie eine ausgehöhlte Frucht...fleischlos, ohne Samen, ohne Geschmack, faulend, sterbend. Er hat alles mitgenommen.

Ich zittere, während meine leeren Augen trocken aus dem Fenster starren. Es hat geschneit und allmählich bedeckt der Schnee geräuschlos die Wiese vor meinem Fenster. Ich wusste, dass ich bereit war, als das kalte Weiß die letzten Atemzüge des Herbstes unter sich begrub.
Ein letztes Mal schloss ich meine Augen. Sie füllten sich und endlich fühlte ich wieder etwas, das mich nicht sofort von innen heraus zerriss: Vorfreude.

Niemand wird den Schuss hören. Jetzt ist es soweit.
Lächelnd spüre ich den kühlen Stahl auf meiner Haut und schreibe meinen letzten Satz...

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Texte: copyrights by kellerkind
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2009

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