So eine Zugfahrt ist der beste Ort um Beobachtungen zu machen. Um Menschen zu beurteilen, kritisieren und an ihnen herum zu stänkern. Das wertet das Selbstbewusstsein enorm auf. Genau heute ist so ein Tag, an dem ich das bitternötig habe. Es ist wieder einmal 6:55 Uhr. Ich hasse ihn. Ich hasse die Art und Weise wie er mich aus dem Schlaf holt. Ich hasse diese Penetranz. Ich hasse meinen Wecker! Wohl oder übel tapse ich vom Schlafzimmer Richtung Badezimmer und beginn mein morgendliches Ritual. Dabei muss ich niemanden erzählen, wie schwer einem die ach so nötigen Dinge, morgens um 6:55 Uhr fallen. Nichts des zu Trotz – es bleibt ja keine andere Wahl – denn schließlich will auch ich, dass eines Tages etwas aus mir wird. Hat mir meine Mutter ja auch oft genug in Erinnerung gerufen.
Die letzten 500m musste ich, wie fast jeden Morgen, etwas zackiger in Richtung Bahnhof gehen, um nicht zu sagen rennen. Angekommen und fast von der Zugtüre zerquetscht, ergatterte ich noch einen „Logenplatz“, wo man die ein- und aussteigenden Leute perfekt beobachten konnte. Erstes Opfer – die Business Lady in knallrot mit einem Ausschnitt der mehr sehen lies, als auch ihr lieb war. Sie hatte heute sicherlich noch was mit ihren Geschäftspartnern vor oder musste ihren Chef bei Laune halten. Dann kam da noch ein junger, recht gut aussehender und sportlicher Typ, der eine Arroganz an den Tag brachte, dass mir mein Frühstück fast wieder hoch kam. Gleich neben mir platzierte sich der typische ewige Student, der sich wahrscheinlich gerade am überlegen war, welches Studium er als nächstes in Angriff nehmen soll. Gegenüber war das ach so glückliche Ehepaar – doch es war wie vermutet alles nur Fassade – denn kaum war die Ehefrau ausgestiegen, war auch schon der Ehering des Mannes in der Manteltasche verschwunden. Zwei etwa achtjährige Jungs betraten soeben das Abteil. Den ganzen Weg lang ging es darum, wer größer, besser, stärker, wichtiger und schlauer ist.
Leben wir nicht in einer verrückten Welt? Ist es nicht irre wozu Leute in Laufe ihres Lebens fähig sind? Unglaublich was Menschen bewegen, erreichen und zerstören…
Wir lesen und hören täglich von Katastrophen, guten und schlechten Ereignissen, Promis die ihr Leben im Griff haben oder auch nicht und versuchen den Tag irgendwie erträglich zu machen. Sei es mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Es wird über Politiker, Schauspieler, Musiker, Topmodels und denen die es noch werden wollen, berichtet. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, auch zu dieser Riege zu zählen. Auf Wolke sieben neben all den Popstars zu schweben. Allerdings nur dann, wenn es um die positiven Seiten geht, denn keiner will all die Probleme die so ein Leben mit sich bringt, wahrnehmen.
Menschen sind menschlich. Menschen sind ein Individuum. Ein Individuum, das um alles in der Welt versucht, das Beste aus sich und der Umwelt herauszuholen und oft dabei nicht merkt, dass er es zerstört. Doch ist das das wozu wir geschaffen wurden? Wollen wir das Menschen im Reichtum schwimmen und nicht wissen, wo und wie sie das Geld loswerden? Und auf der anderen Seite verhungern täglich Kinder und Erwachsene, weil Essen oder medizinische Mittel rar sind. Und dann gibt es Leute wie mich, für die morgens das größte Problem ist, das Klingeln des Weckers zu bewältigen.
Tag der Veröffentlichung: 02.10.2009
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