Hallo ihr Lieben,
Danke, dass ihr euch dafür entschieden habt dieses Buch zu lesen! Ich freue mich über Kommentare und respektvolle, gut gemeinte Kritik und selbstverständlich über jedes Herzchen.
Jetzt zur Warnung:
Die Protagonistin dieser Geschichte ist Spanierin, also sind die ein oder anderen Sätze auf spanisch. Jeder ist aber dahinter nochmal in Klammern auf Deutsch übersetzt.
ICH GARANTIERE NICHT FÜR DIE RICHTIGKEIT!
Als ich dieses Buch angefangen habe, hatte ich Spanisch noch in der Schule. Mittlerweile habe ich nur noch ein kleines bisschen von Grammatik und Vokabular im Kopf, sodass mir das Internet geholfen hat. Wenn ihr selber Spanisch könnt (Muttersprachler oder fleißiger Schüler) könnt ihr mich gerne verbessern, aber ich denke in nächster Zeit überarbeite ich noch nichts.
Jetzt bleibt mir nur noch euch viel Spaß zu wünschen! <3
"Mira?", ruft Ida aus der Küche.
"Was ist denn?", genervt schließe ich die letzten Knöpfe meiner Bluse.
"Du solltest dich beeilen. Am ersten Tag zu spät zu kommen ist kein guter Start!"
"Dios mío. Ich kenne meinen Boss nicht mal. Er wird es verkraften können 5 Minuten auf mich zu warten." (Mein Gott.) Ich schnaube.
"Du wirst ihn allein mit deinem spanischen Temperament in den Wahnsinn treiben. Mach dich nicht sofort unbeliebt", versucht meine beste Freundin auf mich einzureden.
Ich antworte gar nicht erst darauf, sondern beginne mich zu schminken. Meine Haut ist gebräunt und meine Augen haben die Farbe von Zartbitterschokolade. Auch mein Haar ist dunkel. Meine wilden schwarzen Locken habe ich hochgesteckt und meinen Seitenpony geordnet. Ich bin schlank und mittelgroß, ziemlich durchschnittlich, wie ich finde. Aber Ida ist der Meinung ich bin eine typische spanische Schönheit.
Kurze Zeit später stehe ich neben ihr in der Küche und nehme mir meine Kaffeetasse.
"Hier. Ich habe dir einen Bagel mitgebracht. Du kannst ihn im Auto essen. Wir müssen jetzt los.", sie drückt mir eine Tüte in die Hand und scheucht mich in den Flur. Ich kann gerade noch meinen Mantel überziehen und die Tasche nehmen, als sie mich schon aus der Wohnung schubst.
"Tranquilo. Ich möchte gerne heile ankommen." (Ruhig.) Ängstlich kralle ich mich in den Sitz, als Ida mit Vollgas anfährt.
Durch ihre rasante Fahrweise stehe ich pünktlich vor dem Gebäude, in dem ich scheinbar ab jetzt arbeiten werde. Entschlossen betrete ich die Empfangshalle und stelle mich der freundlichen Empfangsdame vor. Sie schickt mich in den 5. Stock. Nervös steige ich in den Fahrstuhl und streiche meine verschwitzten Hände an meinem Kostüm ab. "Mira, tranquilizas. Du schaffst das schon!", (Mira, beruhig dich.) rede ich auf mich ein.
Oben angekommen erwartet mich bereits eine Frau. Sie ist genauso groß wie ich, hat leuchtend grüne Augen und eine braune Kurzhaarfrisur. Ein beiges Kostüm schmiegt sich eng an ihren Körper. Sie ist mit einem Wort zu beschreiben: Elegant!
"Guten morgen. Ich bin Clara Stark. Und sie sind Mira Sánchez Martín, richtig?", fragt sie mich.
"Ja, aber sie können mich ruhig duzen. Ich bin Mira", freundlich reiche ich ihr meine Hand.
"Clara. So, ich werde dir jetzt dein Büro zeigen. Mr. Norris kommt in einer halben Stunde. Solange werde ich dich einarbeiten." Sie führt mich durch eine Tür zu einem weiteren Flur, direkt in mein zukünftiges Büro.
Der Raum ist groß und besitzt eine große Fensterfront. Eine Wand ist aus grünem, beleuchteten Glas und gibt dem ganzen einen gemütlichen Touch. Ein weißer Schreibtisch mit einer Glasplatte steht vor der Fensterfront. Darauf befindet sich ein Laptop, ein paar Akten und Zettel, alles akribisch geordnet.
Mein Schreibtisch sieht genauso aus, aber es befindet sich nur ein Laptop darauf. Daneben stehen Regale und Schränke.
Clara erklärt mir die Programme, mit denen ich ab jetzt alles organisiere und macht mir meine Aufgaben klar. Sie ist wirklich gut im Erklären und ich scheinbar im Verstehen, denn wir sind recht schnell fertig. Sie ist 39 Jahre alt und laut ihr schon "ein alter Hase" in dem Bereich.
"Wo arbeitest du denn?", frage ich sie zwischendurch.
"Ich arbeite im Büro gegenüber. Ich hab den gleichen Job wie du, nur bei Mister Stark, den zweiten Manager.", erklärt sie und deutet zur Tür.
"Heißt du nicht auch Stark mit Nachnamen? Seid ihr verwandt?", hake ich nach.
"Nein, aber seit fast neun Jahren verheiratet. Wir haben uns vor 12 Jahren kennen und lieben gelernt. Ich mag es für meinen Mann zu arbeiten, das Arbeitsklima ist super.", sie lacht und ich stimme mit ein.
Nachdem sie mehrfach auf ihre Armbanduhr geblickt hat, richtet sie sich schließlich auf.
"Mr. Norris wird gleich hier sein. Ich muss zurück in mein Büro", sagt sie.
Sie flüchtet beinahe aus dem Raum und ich sehe ihr erstaunt nach. Keine Ahnung, was jetzt auf einmal los ist. Wir haben uns gut verstanden!
Kopfschüttelnd mache ich mich wieder an die Arbeit und probiere noch das ein oder andere Computerprogramm aus.
Als sich die Tür öffnet springe ich erschrocken auf. Ein Mann tritt ein und ich schlucke einmal trocken.
"¡Cielos!", (Ach du lieber Himmel!)entkommt es mir. Dieser Gott vor mir ist von Kopf bis Fuß perfekt. Er ist groß und sehr muskulös, soweit ich das unter seinem schwarzen Anzug erkennen kann. Seine Augen funkeln dunkelblau und seine braunen Haare sind sehr stylish nach oben gegelt. Normalerweise stehe ich überhaupt nicht auf Undercuts, aber ihm steht er super.
Seinem Aussehen zu folge ist er nur etwas älter als ich. Wie hat er es nur geschafft so früh Manager einer so großen Firma zu werden?
"Haben sie jetzt genug gestarrt?! Sie sind nicht zum Vergnügen hier, also machen sie sich an die Arbeit", reißt er mich aus meinen Gedanken und ich zucke fast erschrocken zusammen. Seine Stimme ist tief und wohlklingend, aber sehr aggressiv.
Was hat der denn für ein Problem? Jetzt weiß ich, warum Clara so schnell geflüchtet ist.
"Guten Morgen, Mr. Norris. Mein Name ist Mira Sánchez Martín, ich bin ihre neue Sekretärin", stelle ich mich trotzdem vor.
"Ich habe keine Zeit für unnötiges Gerede. Ich wurde bereits informiert. Reden sie nur das Wichtigste und arbeiten sie zuverlässig. Ansonsten sehe ich mich gezwungen eine neue Sekretärin einzustellen", sagt er herablassend und setzt sich an seinen Schreibtisch.
Ungläubig über so viel Arroganz lasse ich mich auf meinen Stuhl sinken. So habe ich mir das alles bestimmt nicht vorgestellt!
Eine neue Nachricht wird auf meinem Laptop angezeigt und ich öffne sie überrascht.
Mit einem Blick auf den Absender erkenne ich, dass sie von meinem neuen Boss ist und runzle die Stirn.
In der Nachricht teilt er mir die Aufgaben für den heutigen Tag, sowie alle Termine für diese Woche mit. Bei der Menge kann ich nur ungläubig schlucken.
Matthias Norris ist höchstens Mitte 30 und Manager einer riesigen Firma und scheinbar so begehrt, dass ich mich frage, ob er überhaupt ein Privatleben hat.
Seine Arbeitszeiten beginnen um 9 Uhr und enden oftmals erst weit nach 20 Uhr, während ich bereits um 18 Uhr Feierabend mache.
Doch mir fällt auf, dass er, trotz seiner vielen Termine, donnerstags, freitags und samstags spät kommt und früh geht. Die restlichen Stunden macht er aber mit der Menge an Überstunden an den anderen Tagen wieder wett. Anscheinend kann er es sich leisten kürzer zu treten. Ein komischer Gedanken, immerhin ist er noch so jung.
Um nicht gleich am ersten Tag gefeuert zu werden arbeite ich sorgfältig alle Aufgaben ab und bin so versunken, dass ich nicht auf die Uhrzeit achte. Meine Mittagspause wäre eigentlich um 13 Uhr gewesen, doch als ich auf die Uhr blicke ist es schon fast 15 Uhr. Kaum habe ich das bemerkt fällt mir auch auf wie groß mein Hunger mittlerweile ist. Ich strecke mich erst einmal und stehe dann auf.
"Was haben sie vor?", überrascht drehe ich mich zu dem Braunhaarigen um, der mich verständnislos anblickt.
"Ich hole meine Mittagspause nach", erkläre ich und gehe auf die Tür zu.
"Ihre Mittagspause war bereits vor 2 Stunden. Sie haben zu arbeiten. Nächstes Mal sollten sie besser auf die Zeit achten", fährt er mich an und ich bleibe stehen.
"Soll das heißen ich darf keine Mittagspause machen?", hake ich verärgert nach. Er nickt nur und widmet sich wieder seinem Laptop.
"Ich werde nächstes Mal auf die Zeit achten, aber jetzt werde ich gehen. Diese Pause steht mir zu!"
Er sieht wieder hoch und funkelt mich wütend an. Bevor er jedoch noch ein Wort sagen kann, habe ich mich schon umgedreht und stolziere aus dem Büro.
In der Nähe der Firma entdecke ich ein kleines Restaurant und genehmige mir die lang ersehnte Mahlzeit.
20 Minuten später bin ich bereits auf dem Weg zurück ins Büro, da ich meinen Chef sicherlich schon genug provoziert habe mit meinem Abgang.
Innerlich wappne ich mich schonmal gegen eine Schimpftirade, doch als ich den Raum betrete, ist er leer.
Auf meinem Laptop erkenne ich, dass er scheinbar zu einem Termin musste und atme erleichtert aus. Er wird wohl erst in einer Stunde wieder auftauchen.
Gerade als ich ein Telefonat mit einem Kunden führe, öffnet sich die Tür und Mr. Norris kommt wieder. Anstatt zu seinem Schreibtisch zu gehen, bleibt er vor mir stehen. Damit ist meine Schonfrist wohl vorbei.
"Natürlich, Ms. Larson. Vielen Dank für die Terminverschiebung. Mr. Norris wird dann morgen um 12 Uhr für Mr. Peters da sein. Auf Wiederhören", verabschiede ich mich und lege auf.
Gespannt sehe ich meinen Boss an.
"Ich mag es nicht, wenn mir widersprochen wird. Halten sie sich an die Regeln und achten sie selber darauf, dass der Zeitplan eingehalten wird. Ich habe keine Lust auf Verzögerungen oder Probleme, nur weil sie beschlossen haben 2 Stunden später Mittagspause zu machen. Der Zeitplan hat einen bestimmten Sinn und hier muss alles perfekt laufen, wenn ich zu einem Termin muss. In Zukunft werden sie immer erreichbar sein." Seine Augen verdunkeln sich und er stiert mich angriffslustig an.
"Es tut mir Leid und es wird nicht wieder vorkommen. Aber ich habe ein Recht auf meine Mittagspause. Die große Menge an Aufgaben wollte ich erstmal beseitigen, damit ich danach ihre Termine koordinieren kann, dabei habe ich die Zeit aus den Augen verloren", versuche ich im klar zu machen.
"Sind sie überfordert, Ms. Sánchez?"
"Nein! Ich habe fleißig gearbeitet! Daraus können sie mir doch jetzt keinen Strick drehen."
"Sie sollten jetzt weiterarbeiten. Das nächste Mal gibt es eine Abmahnung, also sorgen sie einfach dafür, dass das nie wieder vorkommt." Emotionslos geht er an mir vorbei zurück an die Arbeit.
"¡Cabrón!", (Arschloch!) zische ich und arbeite ebenfalls weiter.
Am Abend komme ich erschöpft nach Hause.
Kaum betrete ich die Wohnung klingelt auch schon mein Telefon.
"Sánchez Martín.", melde ich mich.
"Und wie war der erste Tag?", will Ida aufgeregt wissen.
"Naja, abgesehen davon, dass mein Chef ein arrogantes Arschloch ist und ich heute beinahe eine Kündigung und eine Abmahnung bekommen hätte, war es toll", antworte ich sarkastisch.
"Was hast du denn gemacht?", höre ich die Stimme meines besten Freundes Maximilian. Er und Ida sind ein Paar und verbringen scheinbar auch heute ihren Abend zusammen.
"Ich habe gar nichts gemacht. Das erste Mal wollte er mir kündigen, weil ich mich vorgestellt habe und er kein unnötiges Gerede will. Das zweite Mal hat es ihm nicht gepasst, dass ich 2 Stunden später Pause gemacht habe, als in meinem Dienstplan steht", rechtfertige ich mich.
"Ach, das wird schon. Vielleicht ist er ganz nett, wenn ihr euch erstmal etwas aneinander gewöhnt habt", versucht Ida mich zu besänftigen.
"Eher friert die Hölle zu."
Wir reden noch ein bisschen, bis ich mich von den beiden verabschiede mit der Begründung, dass ich totmüde bin. Und so falle ich kurz darauf erschlagen ins Bett.
Die nächsten Tage und Wochen verändert sich fast gar nichts. Clara und ich verstehen uns ganz gut und sie übernimmt zwischendurch die ein oder andere Aufgabe, damit ich mal kurz Pause machen kann. Mr. Norris ist genau so ein Arschloch wie am ersten Tag. Er halst mir so viel Arbeit auf, dass ich am liebsten alles hinschmeißen würde. Aber ich brauche das Geld dringend.
Jeden Donnerstag verschwindet er früher und kommt Freitag und Samstag später zur Arbeit. Mich würde schon interessieren, was er in der Zeit macht, aber bei seiner schlechten Laune verkneife ich es mir zu fragen.
Nach meiner Probezeit habe ich dann endlich meinen ersten freien Tag. Ida und ich nutzen den Samstagmittag zum shoppen und schlendern entspannt durch die Einkaufsstraßen.
Plötzlich erkenne ich ein bekanntes Gesicht zwischen den Passanten und kann ein genervtes Stöhnen nicht unterdrücken.
"Was ist denn los?", fragt meine beste Freundin irritiert.
"Dahinten kommt mein Boss. Der braunhaarige Mann in dem dunkelgrauen Anzug.", ich deute auf ihn.
"Oh mein Gott, sieht der heiß aus! Ich glaube ich schmelze", theatralisch fächert sie sich Luft zu.
"¡Lo que faltaba! Er sieht vielleicht gut aus, aber er ist immer noch das Arschloch, das mir mein Leben erschwert! Komm mal wieder runter", (Das hat mir gerade noch gefehlt!) fahre ich sie an.
"Also hättest du mir vorher gesagt, wie gut er aussieht, hätte ich dir geraten einfache eine Affäre mit ihm anzufangen. Dann wäre bestimmt keine aggressive Anspannung in eurem Büro!", grinst sie frech.
Ich verdrehe schnaubend die Augen. Eine Affäre mit dem größten Vollidioten der Erde? ¡Nunca! (Niemals!)
Mein Boss kommt immer näher und scheinbar hat auch er mich entdeckt. Zügig geht er durch die Menschenmasse und wirkt dabei so emotionslos, dass mir ein kalter Schauer den Rücken hinab läuft.
"Guten Tag", grüßt der Braunhaarige mich mit einem Nicken und ich starre ihn perplex an. Hat er mich gerade wirklich freiwillig gegrüßt?
"Guten Tag, Mr. Norris", antworte ich schnell und ziehe Ida weiter, die stehen geblieben ist, um ihn anzustarren.
"Oh Mann, ihn würde ich bestimmt nicht von der Bettkante stoßen." Sie leckt sich genießerisch über die Lippen und ich gebe ihr einen Klaps auf den Arm.
"Lass das nicht Max hören. Sonst kommt er noch und verprügelt meinen Boss. Obwohl ich eigentlich nicht wirklich etwas dagegen hätte", grinse ich.
"Ach, Max sollte seine Eifersucht endlich mal unter Kontrolle bekommen. Nach fast 4 Jahren Beziehung kann man ja wohl etwas Vertrauen erwarten", schnaubt sie.
"Naja, wenn du ständig solche Kommentare abgibst, musst du dich auch nicht wundern", ich schubse sie leicht.
"Hey, was soll denn da heißen?! Gucken ist ja wohl erlaubt, solange ich weiß, wo ich hingehöre. Und zwar zu Max, daran wird sich auch nichts ändern", beteuert sie.
"Dann ist ja gut."
"Im Übrigen hat es geklappt."
"Was hat geklappt?", frage ich verwirrt. Meine Gedanken sind immer noch bei diesem Widerling, der mich gerade wahrhaftig höflich behandelt hat.
"Max und ich haben unsere Chefs überzeugt. Wir werden ein halbes Jahr durch die Welt reisen", freut sie sich.
"Echt? Wow, herzlichen Glückwunsch! Ich werde euch so sehr vermissen", seufze ich und drücke sie fest an mich.
"Wir dich auch. Aber wir schreiben dir ganz viele Postkarten und wir können telefonieren." Sie erwidert meine Umarmung.
"Aber das ist nicht dasselbe"
"Ich bin mir sicher dein Chef kann dich auf andere Gedanken bringen", feixt sie augenzwinkernd.
"Nein, danke. Da bin ich lieber alleine!"
"Aber du könntest doch..."
"Auf keinen Fall. Ich lasse mich doch nicht auf so einen Kotzbrocken ein. Außerdem hat er alles andere als Interesse an mir gezeigt."
Ida versucht noch ein paar Mal mich zu überzeugen, doch ich bleibe standhaft.
"Ms. Sánchez?", erschrocken sehe ich auf. Mr. Norris steht vor mir. Seine Augen ziehen mich mal wieder in ihren Bann.
"Ja?"
"Heute Abend steht ein Geschäftsessen an und ich muss sie bitten mich zu begleiten", kommt er gleich zur Sache. Heute ist Freitag und ich hatte vor mit Max und Ida auszugehen bevor sie morgen fliegen, aber ich denke die beiden freuen sich auch über einen letzten entspannten Abend zu zweit.
"Okay", antworte ich zögerlich.
"Sehr schön. Ich hole sie heute Abend um 20 Uhr bei ihnen zu Hause ab. Ihre Adresse steht in den Akten. Mrs. Stark hat ihnen ein Kleid besorgt. Sie können es gleich mitnehmen." Er reicht mir einen blauen Karton.
"Danke", ein wenig perplex nehme ich ihn entgegen.
"Wir sehen uns dann um 20 Uhr", verabschiedet er sich und verlässt das Büro. Überrascht sitze ich noch immer an meinem Schreibtisch. Was war denn das? Mr. Norris war beinahe schon nett.
***
Das Kleid ist knielang und dunkelrot. Die Farbe passt einfach perfekt zu meinen Haare, die ich nur etwas nach hinten gesteckt habe. Bonito, beschließe ich nach einem prüfenden Blick in meinen Badspiegel. (Hübsch)
Kurze Zeit später klingelt es schon an der Tür und ich ziehe mir, trotz des sommerlichen Wetters, meinen Mantel über und nehme meine Handtasche, bevor ich mich zu Mr. Norris Auto begebe.
Ganz Gentleman steigt er aus seinem Bugatti Veyron Grand Sport in Grey Carbon. Ein unglaublich schönes und teures Auto.
Der Braunhaarige trägt wieder einen Anzug, diesmal in schwarz und ein weißes Hemd, mit einer schwarzen Krawatte. Seine Haare sind ordentlich zurechtgemacht und er duftet unglaublich männlich. Ein Hauch von Apfel weht mir entgegen.
Mein Boss hält mir die Tür auf und reißt mich somit aus meinen schmachtenden Gedanken. Obwohl ich Pumps anhabe, ist er immer noch einen halben Kopf größer.
"Guten Abend", begrüßt er mich und ich nicke ihm zu.
Der Innenraum ist weiß gehalten und da das Dach offen ist, kann ich nur hoffen, dass meine Frisur hält.
"Wir sollten uns ab jetzt mit den Vornamen ansprechen. Es wird sich nicht geduzt. Das macht man bei einem Geschäftessen so", erklärt er während der Fahrt.
"In Ordnung. Ich bin Mira."
"Matthias."
Danach herrscht Schweigen. Dieser Mann macht mich verrückt! Erst ist er herablassend, arrogant und unausstehlich und plötzlich mutiert er zum Gentleman und ist... nett.
Immer noch verwirrt steige ich schließlich aus dem Auto. Wir haben vor einem kleinen luxuriösen Restaurant gehalten. Mr. No... Matthias hält mir seinen Arm hin und ich hake mich ein.
Er führt mich durch den Raum bis in eine hintere Ecke. Dort sitzen bereits 2 Männer und eine Frau an einem gedeckten Tisch.
"Matt", die Frau springt erfreut auf und drängt mich zur Seite, um meinen Boss zu umarmen. Meiner Meinung nach drückt sie ihn einen Moment länger als nötig. Sie sieht aus wie eine Barbie. Groß, zierlich, blaue Augen, blonde schulterlange Haare.
Auch die Männer stehen auf und umarmen ihn. Dann deutet Matthias auf mich.
"Das ist meine neue Sekretärin."
"Mira Sánchez Martín", stelle ich mich vor und reiche dem ersten Mann die Hand.
Er ist so alt und so groß wie mein Boss, muskulös, hat hellbraune, warme Augen und blonde Locken.
"Mira?", perplex starren wir uns an.
"Michael, was machst du denn hier?"
"Ich lebe schon seit Jahren hier. Aber was tust du in North Carolina?", will er verwundert wissen und zieht mich in eine innige Umarmung.
"Ich bin vor zwei Jahren hierher gezogen. Increíble, das wir uns hier wiedersehen." (Unglaublich,)
Michael Wayne. Er war vor über zwölf Jahren mein deutscher Austauschschüler. Über ein Jahr hat er bei uns gewohnt und ist sowas wie mein großer Bruder geworden. Vier Jahre später traf ich ihn in Frankfurt. Ein Jahr lang war wieder alles beim Alten, bis ich wegzog. Ab und zu haben wir telefoniert, aber fünf Jahre sind eine lange Zeit und so hatte unser Kontakt leider ziemlich gelitten.
Der zweite Mann ist ein paar Jahre älter als Michael, etwas kleiner, hat eine normale Figur, blaue Augen und schwarze, etwas längere Locken.
"Mein Name ist Leonard Peters. Leo", er reicht mir freundlich die Hand.
"Thea Larson", erklingt wieder die Stimme der Frau, diesmal herablassend. Nur widerwillig reicht sie mir die Hand.
Mit Thea und auch Leo habe ich schon ab und zu telefoniert. Und ich weiß, dass Matthias und Michael sich des Öfteren auch privat treffen und scheinbar gute Freunde sind. Aber niemals hätte ich gedacht, dass es sich um den Michael handelt.
"Wollen wir uns setzten?", Matthias legt seine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich zum Tisch, bevor er mir den Stuhl zurechtrückt. Er nimmt mir meinen Mantel ab und ich spüre genau wie sein Blick langsam an mir herunter gleitet. Seine Augen verdunkeln sich und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen ihm gefällt außerordentlich gut, was er sieht. Unglaublich, dieser Mann!
Auch alle anderen setzen sich.
"Wo ist denn deine Sekretärin, Michael?", will mein Boss wissen.
"Hat gekündigt. Gott sei Dank. Diese alte Schreckschraube war ja nicht mehr auszuhalten. Und wo hast du Mira aufgestöbert? Vielleicht gibt es ja noch mehr heiße Geräte, da würde ich nicht Nein sagen." Er grinst zweideutig.
"Danke. Ich habe mich beworben, aber ich fürchte ich bin ein Einzelstück", auch ich grinse. Michael und ich lieben es uns gegenseitig zu necken und Späße zu machen. Nach so langer Zeit sind wir immer noch die gleichen! Naja, zumindest in dieser Hinsicht.
"Schade, aber du kannst gerne bei mir anfangen, wenn du keine Lust mehr auf meinen miesepetrigen Kumpel hast", schlägt er vor und ich lächle ihn einfach nur an.
Während wir uns ein wenig necken und herumalbern, amüsiert sich Leo sehr darüber, im Gegensatz zu Thea und Matthias. Thea ist eher angewidert und Matthias versucht seinen besten Freund mit Blicken zu töten, wovon der sich nicht beeindrucken lässt.
"Können wir jetzt bestellen?", knurrt der Miesepeter. Bei dem Spitznamen muss ich kurz grinsen, was er mit einem ärgerlichen Blick quittiert. Also nicke ich schnell.
Das Essen war sehr lecker und Matthias hat sich mit der Zeit auch wieder entspannt. Die geschäftlichen Themen werden bereits 2 Stunden lang und breit diskutiert.
Langsam werde ich wirklich müde und muss ein Gähnen unterdrücken. Mein Boss scheint es bemerkt zu haben und sieht auf seine Uhr. Scheinbar hat er es auch eilig nach Hause zu kommen. Wir verabschieden uns.
"Soll ich dich nach Hause fahren, Mira?", fragt Michael hoffnungsvoll. Bevor ich den Mund aufmachen kann, hat Matthias schon geantwortet.
"Nicht nötig. Ich fahre sie, Michael."
"Schade. Wir sehen uns morgen, Mira. Und du hast meine Nummer. Bis dann", er umarmt mich.
"Bis bald, machista", (Macho) grinse ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
Leo und Thea reiche ich einfach nur die Hand. Mein Boss hilft mir wieder in meinen Mantel und zusammen steigen wir in sein Auto. Müde lehne ich meinen Kopf gegen die Scheibe.
"Michael ist ein Aufreißer", sagt Matthias plötzlich. Verwirrt sehe ich ihn an. Was will er mir bitte damit sagen?
"Er hat jede Woche ne Neue, Beziehungen sind nicht sein Ding. Er spielt gerne, verarscht Frauen und trotzdem fliegen sie auf ihn. Was ist so toll an ihm? Ist das eine masochistische Selbstverstümmelungstechnik, sich auf den unzuverlässigen, unehrlichen Player einzulassen?", will er wütend wissen und sieht kurz zu mir.
"Wir bilden uns gerne ein, die Richtige zu sein. Diejenige, die den unzuverlässigen, unehrlichen Player zähmt und zu einem besseren Mann macht", antworte ich ehrlich. Er schnaubt nur.
"Wollen Sie das auch?"
"Was?"
"Michael zähmen und zu einem besseren Mann machen?" Seine Worte klingen spöttisch.
"Wir kennen uns schon seit Jahren, ich weiß alles von ihm. Aber ich bin auch kein Beziehungstyp. Und was zwischen ihm und mir läuft ist meine Privatsache."
Die restliche Fahrt lang herrscht wieder Schweigen. Ich döse vor mich hin und denke darüber nach, was Matthias mit seinen Fragen bezweckt hat, während auch er über irgendetwas grübelt.
"Bis morgen und vielen Dank, Matthias", sage ich beim Aussteigen.
Mit einem Nicken nimmt er es hin und murmelt eine Verabschiedung, bevor ich die Autotür schließe und er davon fährt.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, habe ich leichte Kopfschmerzen. Weil ich gestern noch so lange mit Matthias unterwegs war, darf ich heute eine Stunde später anfangen.
Michael klingelt an der Tür und ich lasse ihn rein. Wir wollen zusammen frühstücken und dann nimmt er mich mit in die Firma, weil er einen Termin mit dem Miesepeter hat.
"Morgen, du kleine Löwin. Hier, der Umschlag lag vor deiner Tür", er nimmt mich kurz in den Arm und überreicht mir seinen Fund. Augenblicklich kriecht die Angst in mir hoch und ich nehme ihn mit zitternden Fingern an. Langsam lasse ich mich in der Küche auf einen Stuhl sinken und sehe den Umschlag an.
Er ist wieder da! Der Gedanke beherrscht meinen Kopf und lässt mich alles andere vergessen. Ich dachte ich wäre ihn endlich los. 2 Jahre habe ich jetzt schon nichts mehr von ihm gehört, nachdem ich aus Bahía Blanca weg- und hier her, nach Wilmington (North Carolina), gezogen bin.
Ich öffne den Umschlag und kippe den Inhalt neben mich auf den Tisch.
Es sind 5 Fotos und ein Brief. Das erste Bild zeigt mich, wie ich in Unterwäsche im Bad meiner Wohnung stehe. Ein weiteres, auf dem ich am Schreibtisch im Büro arbeite. Er ist mir schon wieder so nah gewesen und ich habe nichts davon bemerkt. Tränen sammeln sich in meinen Augenwinkeln, doch ich wische sie trotzig weg und sehe mir die anderen Fotos an.
Das nächste ist von Matthias und mir im Auto. Dann eins von ihm und mir im Restaurant, als er die Hand auf meinen Rücken gelegt hat. Es sieht nach einer sehr vertrauten Geste aus. Sicherlich hält er uns für ein Paar.
Auf dem letzten Bild gebe ich Michael einen Kuss auf die Wange.
Nur die letzten drei Bilder sind von gestern Abend. Also beobachtet er mich schon länger. Ich würde am liebsten meine Wut herausschreien! ¡Cochino! (Schwein!)
Der Brief springt mir wieder ins Auge und ich lese ihn durch.
Hallo, meine Schöne
Du hast mich sicherlich vermisst, aber keine Angst ich bleibe für immer bei dir.
Aber bis wir wieder zusammen sein können, musst du noch einiges regeln. Diese Männer gefallen mir nicht und du weißt, was passiert, wenn mir etwas nicht gefällt.
Wenn einer von ihnen dir zu Nahe kommt, bringe ich ihn um. Du weißt, dass ich das tun werde! Und wenn du auf die Idee kommst irgendjemandem hiervon zu erzählen, dann wird dein restliches Leben bei mir nicht sehr angenehm für dich werden
Ich liebe dich, aber teilen ist keine meiner Stärken!
Bald sind wir wieder vereint!!!
In Liebe,
Mauro
Ich bin sprachlos. Ich weiß einfach nicht was hier gerade passiert.
Eben war mein Leben noch in Ordnung und in wenigen Minuten ist alles wieder zusammengebrochen. Er ist wieder da! Er hat mich gefunden! Er wird mich nicht mehr abhauen lassen. Seit ich 20 bin ziehe ich ständig um. 7 Jahre lang habe ich es nicht geschafft ihm zu entkommen.
Mit meinen Eltern habe ich in Ávila, einer Stadt in Spanien gelebt. Dort habe ich Mauricio Ramirez Torres auch kennen gelernt. Als ich mit 18 unsere Beziehung beendet habe, konnte er es nicht akzeptieren. Er hat mir nachgestellt, mir mehr als eine eifersüchtige Szene gemacht und meine Freunde über mich ausgefragt.
Irgendwann hat er mich geschlagen für alles, was ihm nicht gepasst hat und da ich keinesfalls zur Polizei wollte, bin ich umgezogen.
In Frankfurt konnte ich endlich meine angefangene Ausbildung zur Managerassistentin beenden. Ich habe ein Jahr sorgenfrei leben können. Ich dachte wirklich er hat es endlich akzeptiert und damit abgeschlossen. Ich wollte nicht wahrhaben, wie krank er war und anscheinend immer noch ist. Er kam wieder.
Ein halbes Jahr habe ich es noch in Deutschland ausgehalten, bis ich nach Bath in England zog. Auch dort konnte ich mir ein neues Leben aufbauen. Doch auch dort fand mich Mauricio bereits nach einem Jahr und stalkte mich weiter.
Wieder ließ ich es ein halbes Jahr über mir ergehen, bis er meinen letzten Freund beinahe zu Tode prügelte und ich beschloss nicht noch mehr unschuldige Menschen mit rein zu ziehen.
Also zog ich nach Bahía Blanca (Argentinien). Nicht einmal meinen Eltern erzählte ich von meinem neuen Aufenthaltsort, damit er mich nicht über sie finden könnte. Es dauerte diesmal auch beinahe 2 Jahre bis er mich wirklich gefunden hatte. Ein Jahr lang lebte ich von meinen Ersparnissen und traute mich nicht ohne Verkleidung vor die Tür. Meine Wohnung mietete ich unter falschem Namen. Mit der Zeit hatte ich mich davon überzeugt endlich in Sicherheit zu sein. Um meine angehäuften Schulden zu bezahlen, ging ich wieder arbeiten. Ich ging wieder mit Männern aus. Wurde unvorsichtiger.
Als er mich gefunden hatte war ich am Boden zerstört. Ich beschloss endlich zur Polizei zu gehen. Ihnen gab ich alle Informationen, Briefe, Fotos. Endlich hatte ich wieder Hoffnung.
Doch Mauricio war unauffindbar. Es war, als hätte er nie existiert. Die Polizei fand rein gar nichts über ihn. Niemand konnte mir helfen. Ich war am Ende. Dachte an Selbstmord. Und das obwohl ich immer von mir dachte ich wäre eine starke Frau und nicht leicht unterzukriegen.
Ida und Max hatte ich in Bath, während ihres Urlaubs kennen gelernt. Es war ihr erster Urlaub als Paar und Tim, mein damaliger Freund, und ich hatten sehr schöne Doppeldates mit ihnen.
Die beiden überzeugten mich schließlich zu ihnen, nach Wilmington, zu ziehen. Wenn ich mal wieder die Hoffnung auf ein sorgenfreies Leben aufgegeben hatte, waren sie da, um mich wieder aufzubauen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Aber das meiste habe ich alleine geschafft und darauf bin ich auch sehr stolz. Ich habe mich sogar getraut wieder meinen richtigen Namen anzunehmen, auch wenn Mauricio mich dadurch wahrscheinlich schneller finden kann.
"Mira, geht es dir gut?"
Immer noch geschockt bemerke ich, dass Michael die Fotos und den Brief entdeckt hat und alles sorgfältig betrachtet.
"Wer ist Mauro?", will er alarmiert wissen. Auch wenn ich eigentlich niemand mehr in diese Angelegenheit reinziehen wollte überwinde ich mich. Ich berichte ihm von meinem Stalker.
"Dieses Schwein! Und wie kommt er in deine Wohnung? Du brauchst unbedingt ein Überwachungssystem."
"Wovon soll ich das bezahlen? Meine Schulden sind noch lange nicht abbezahlt und ich muss mich von Matthias fern halten. Also kann ich Überstunden auch vergessen", erschöpft lasse ich meinen Kopf in meine Hände sinken.
"Mach dir keine Gedanken um das Geld, ich werde dir so viel geben, wie du brauchst", erklärt er großzügig.
"¡Michael, deja el mundo correr! Das ist wirklich nett von dir, aber in meiner kleinen Wohnung nützt mir eine Überwachung gar nichts. In diesem Haus ist ein ständiger Betrieb. Von den Balkonen der anderen Bewohner kann man leicht auf meinen und dann in meine Wohnung. Die Tür und die Fenster kann man bestimmt leicht aufbrechen. Die letzten Male ist mir auch nichts anderes übrig geblieben, als umzuziehen. Es hat keinen Sinn dafür soviel Geld auszugeben." (lass es gut sein!)
"Ich lasse nicht zu, dass du wegen diesem Perversen wieder in ein anderes Land ziehen musst! Ich habe meine kleine Schwester, doch gerade erst wieder gefunden. Was hältst du davon zu mir zu ziehen? Ich habe ein großes Haus, nur für mich alleine. Mein Überwachungssystem ist ausgezeichnet."
"Michael, ich weiß nicht. Ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen in Gefahr begibst", wehre ich ab.
"Mira, ich liebe dich. Ich könnte es mir selbst nicht verzeihen, wenn ich dir deinen Willen lasse und du dann wieder in die Fänge von diesem Mauricio gerätst. Von mir aus wohnst du erstmal ein paar Tage bei mir und dann entscheidest du, wohin du willst. Deine Wohnung behältst du solange", schlägt er vor und ich nicke ergeben.
"Na siehst du. Dann pack jetzt deine Sachen."
Nur eine halbe Stunde später stehe ich mit meiner Reisetasche vor seinem Haus und staune. Es ist wirklich schön. Er öffnet die Haustür und ich fühle mich sofort wohl.
Direkt vor mir ist das offene Wohnzimmer, bestehend aus einem Sofa, zwei Sesseln und einem Fernseher. Dahinter befindet sich rechts in der Ecke noch ein Kamin, davor ein kuscheliges Bärenfell und noch ein kleines Sofa. Rechts von mir führt eine Treppe nach oben, doch Michael zieht mich nach links weiter. Hinter der Tür befindet sich eine offene Küche. Sie ist in weiß und hellem Holz gehalten. An der Kücheninsel kann man gleichzeitig essen und sie gibt einem das Gefühl in einer Bar zu sein. Daneben sehe ich ein kleines Badezimmer. Durch das Wohnzimmer hindurch treten wir auf die Terasse. Zwei Sessel und ein Tisch und sogar ein paar Blumentöpfe kann ich erkennen. Von der Terrasse herunter führen zwei Stufen, eine rechts und eine direkt vor mir. Sie enden auf einer weiteren Terrasse mit Liegestühlen, die um den Pool herum angeordnet sind. Der restliche Garten, bestehend aus grünem Gras, ist klein, aber reicht trotzdem aus.
"Komm, ich zeig dir das Obergeschoss." Michael zieht mich wieder nach drinnen und auf die Treppe, bis wir in einem großen Flur stehen. Auch hier ist ein Sofa vor die Fensterfront, die den Garten zeigt, gestellt worden. Rechts befindet sich das Gästezimmer, welches ich bewohnen werde. Ein großes Bett steht vor dem Fenster, gegenüber davon ein riesiger Schrank.
Ich lasse meine Reisetasche hier stehen und betrete einen Raum auf der linken Seite. Dort befindet sich das Bad. Es gibt zwar keine Badewanne, dafür aber eine luxuriöse Regendusche. Neben dem Bad ist Michaels Schlafzimmer, das genauso aussieht wie meins. Rechts davon hat er sein Arbeitszimmer. Rechts davon steht ein Schaukelstuhl vor der zweiten Fensterfront und ich sehe nach draußen zum Pool, der träge in der Sonne glitzert.
"Gefällt es dir?"
"Es ist wunderschön hier. Danke, Michael", ich umarme ihn kurz.
"Ich bin noch verabredet, aber wenn irgendetwas ist, kannst du mich jederzeit anrufen, okay?" Mein bester Freund sieht mich eindringlich an.
"Alles klar. Was hast du denn vor?", will ich neugierig wissen.
"Ich hab vor ein paar Tagen eine Kellnerin kennengelernt und gehe jetzt mit ihr Mittag essen", erklärt er schmunzelnd. Mr. Norris hatte schon Recht, als er meinte Michael wäre ein Player.
Er geht und ich laufe in mein neues Zimmer, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Ich muss mich jetzt einfach ablenken, Grübeleien führen doch zu nichts.
Außerdem begleite ich meinen Boss seit dem Geschäftsessen des Öfteren zu Geschäftsterminen. Seine Partner sind alle freundlich und ich komme gut mit ihnen zurecht. Matthias selbst ist wieder so arrogant, herablassend und unausstehlich wie am Anfang, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Aber gerade um ihn nicht weiter zu provozieren, muss ich mich absolut professionell verhalten und meinen Exfreund aus meinen Gedanken verbannen.
***
"Mira, wir müssen zu einem Termin", überfällt der Miesepeter mich.
"Es ist kein Termin eingetragen. Außerdem ist heute Donnerstag. Sie haben in einer halben Stunde Feierabend", protestiere ich.
"Deswegen müssen sie auch mitkommen. Ich habe keine Zeit für Diskussionen! Es muss so schnell wie möglich gehen!", sagt er nachdrücklich. Seufzend erhebe ich mich schließlich.
Wir gehen zusammen zu seinem Auto und kommen kurz darauf vor einem hohen Gebäude an.
"Der Kunde ist Spanier und sie werden das Gespräch führen. Ich kann zwar auch ein wenig Spanisch, aber mit ihnen wird der Deal hoffentlich zügig über die Bühne gehen", erklärt er.
Mal wieder fragt er nicht nach meiner Meinung, sondern gibt nur Anweisungen, die ich einzuhalten habe.
Nichtsahnend folge ich ihm in einen hellen Besprechungsraum. Er gibt mir einen Zettel mit seinen Notizen und erklärt mir, was ich zu tun habe.
Dann geht die Tür auf und ich erstarre in der Bewegung. Nein!
Matthias steht auf und reicht dem Mann die Hand.
"¡Buenos días! Me llamo Matthias Norris y mi secretaria se llama Mira Sánchez Martín. Gracías, para tú tiempo", (Guten Tag. Mein Name ist M. N. und meine Sekretärin heißt M.S.M. Danke für ihre Zeit.) begrüßt er meinen Exfreund freundlich.
"Hola, Señor Norris. Soy Mauricio Ramirez Torres. Hola, Señora Sánchez Martín", grüßt er zurück und gibt mir einen Handkuss. Angewidert entreiße ich sie ihm.
"¿Mauro, qué piensas hacer con él?", (Mauro, was hast du mit ihm vor?) frage ich ihn.
"¡Calla, Mira! Sólo una palabra y tú amante tiene dolores", (Sei still, Mira! Nur ein Wort und dein Liebhaber wird Schmerzen haben) warnt er mich.
"¡Increíble! Matthias no es mi amante. ¡Gilipollas!", (Unglaublich! M. ist nicht mein Liebhaber. Vollidiot!) beschimpfe ich ihn, bevor ich mich wieder setze.
"Amo tú temperamento", (Ich liebe dein Temperament) schnurrt er amüsiert und ich schnaube verächtlich.
Mein Boss sieht uns mit großen Augen an, scheinbar hat er nichts verstanden. Zumindest hoffe ich das.
"Er liebt dein Temperament? Was ist hier los, Mira?", hakt er direkt im Flüsterton nach. Er kneift bedrohlich seine Augen zusammen. ¡Mierda! (Scheiße!) Er hat es doch verstanden.
"Mauricio und ich kennen uns flüchtig. Nicht so wichtig", beschwichtige ich ihn.
Während dem Gespräch muss ich mich wirklich zusammenreißen nicht auf meinen Exfreund loszugehen. Er grinst mal anzüglich, mal arrogant, lässt sexistische Bemerkungen fallen und treibt mich mit seinem scheinheiligen Getue auf die Palme.
Meine Angst vor ihm ist großer Wut gewichen und die lasse ich ihn auch spüren.
"¿Está interesado en hacer negocios con "Stark & Norris" verdaderamente?", (Bist du wirklich an einem Geschäft mit "S&N" interessiert?) will ich nach 20 Minuten wissen.
"¡Claro en caso de que hagáis una oferta ventajosa!", (Klar, wenn ihr ein vorteilhaftes Angebot macht.)
Also führe ich die Verhandlung weiter, bis plötzlich Matthias Handy klingelt. Er verabscheidet sich kurz, um auf dem Gang zu telefonieren.
"¿Te gusta mi regalo?" (Gefällt dir mein Geschenk?) Ich weiß sofort, dass er auf den Umschlag anspielt.
"¡Déjalo ya! Nosotros relación amorosa se acaba", (Lass es endlich sein! Unsere Beziehung ist zu Ende) sage ich wütend und springe auf.
"¿Te quieres callar? Soy el hombre adecuado para ti. ¡Sigue así! Entonces tu amante se muere ahora mismo", (Wirst du wohl still sein? Ich bin der Richtige für dich. Mach nur so weiter! Dann stirbt dein Liebhaber jetzt gleich) droht der Dreckssack und gibt mir eine schallende Ohrfeige.
Geschockt von der Wucht sinke ich wieder auf den Stuhl zurück und halte mir schweigend meine brennende Wange.
"¿Te has portado como es debido? ¡No! ¡Chínchate! Te amo, pero ya no lo tolero más", (Warst du brav? Nein! Das hast du davon! Ich liebe dich, aber ich lasse das nicht länger durchgehen) schreit er mich an.
Mir laufen stumm Tränen über das Gesicht, doch ich traue mich nicht auch nur einen Laut von mir zu geben.
Als ich Schritte vor der Tür höre, wische ich schnell die Tränen weg und setze eine emotionslose Miene auf. Die rote Wange verstecke ich unter meinen Haaren.
"Mira, wir müssen los. Es ist ein Notfall." Matthias kommt hereingestürmt.
Mauricio hat ihn verstanden und verabschiedet sich von uns. So schnell ich kann verlasse ich den Raum und eile mit meinem Boss zu seinem Auto.
"Wir sind da. Kommen Sie mit und stellen Sie keine Fragen", reißt mich der Miesepeter ungestüm aus meinen Gedanken. Als ich aussteige, blicke ich mich verwundert um. Was will er denn in einem Kindergarten? Ist er etwa Vater? Clara hat mir erzählt, dass er 31 Jahre alt ist und somit durchaus bereits Vater sein könnte. Aber ich habe noch nie etwas von einer Frau oder einem Kind in Verbindung mit ihm gehört.
Schweigend folge ich ihm in eine Gruppe und bleibe in der Tür stehen.
Einige Kinder spielen mit Bausteinen, andere malen an einem großen Tisch. Eine pummelige Erzieherin, um die 50 Jahre, kommt sofort angelaufen und redet auf Matthias ein. Er nickt ein paar Mal und geht dann mit der Frau zu einer Sofaecke. Ich erkenne ein kleines blondes Mädchen, die auf einem Sofa liegt. Sie hat Wadenwickel und einen Waschlappen auf der Stirn.
Mein Boss hockt sich vor sie und streicht ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Sofort legt die Kleine ihre Arme um seinen Hals und lässt sich von ihm hochheben.
Er verabschiedet sich von der Erzieherin, die die Waschlappen einsammelt und ihm einen Rucksack in die Hand drückt. Dann geht er mit dem Mädchen in den Vorraum. Ich folge ihm und setze mich auf eine Bank neben die beiden.
Ich erkenn den fiebrigen Glanz in ihren Augen.
"So, mein Schatz. Nur noch die Jacke und die Schuhe, dann können wir los." Sanft streicht er ihr übers Haar und nimmt eine rote Jacke vom Haken, die er ihr anzieht.
"Ich bin müde", murmelt sie.
Bei den Schuhen wird es schwieriger, weil die Kleine immer wieder nach vorne sackt und Matthias sie festhalten muss.
"Warte, halten Sie sie fest. Ich ziehe ihr die Schuhe an", biete ich an und hocke mich vor sie.
In Nullkommanichts ist sie fertig und wir gehen zurück zum Auto.
"Ich muss den Kindersitz aus dem Kofferraum holen", erklärt Matthias und gibt mir das kleine Mädchen auf den Arm.
Ich trete unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Ein fremdes Kind im Arm zu halten ist sehr ungewohnt. Das kleine Mädchen umklammert mich fester mit ihren zierlichen Armen und Beinen und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Ganz vorsichtig wippe ich ein wenig hin und her.
Und dann kommt mir das Schlaflied in den Kopf, welches mir meine Eltern früher immer vorgesungen haben und ich beginne zu singen:
"Tonto el que no entienda...
Cuenta una leyenda...
Que una hembra gitana
conjuró a la luna hasta el amanecer.
Llorando pedía, al llegar el día,
desposar un calé.
"Tendrás a tu hombre piel morena."
desde el cielo habló la luna llena
"Pero a cambio quiero
el hijo primero
que le engendres a él.
Que quien su hijo inmola
para no estar sola
poco le iba a querer."
Luna quieres ser madre
y no encuentras querer
que te haga mujer.
Dime luna de plata,
¿Qué pretendes hacer
con un niño de piel?
-Hijo de la luna-
De padre canela nació un niño
blanco como el lomo de un armiño
con los ojos grises
en vez de aceituna
niño albino de luna
"Maldita su estampa
este hijo es de un payo
y yo no me lo callo."
Luna quieres ser madre
y no encuentras querer
que te haga mujer.
Dime luna de plata,
¿Qué pretendes hacer
con un niño de piel?
-Hijo de la luna-
Gitano al creerse deshonrado
se fue a su mujer cuchillo en mano.
"¿De quién es el hijo?
me has engañao fijo."
y de muerte la hirió
luego se hizo al monte
con el niño en brazos
y allí le abandono
Luna quieres ser madre
y no encuentras querer
que te haga mujer.
Dime luna de plata,
¿Qué pretendes hacer
con un niño de piel?
-Hijo de la luna-
y en las noches que haya luna llena
será porque el niño esté de buenas
y si el niño llora
menguará la luna
para hacerle una cuna
y si el niño llora
menguará la luna
para hacerle una cuna."
Ich habe unbewusst meine Augen geschlossen und als ich sie wieder öffne, steht Matthias am Auto gelehnt und beobachtet mich. Verlegen senke ich den Blick und gehe ein paar Schritte auf ihn zu, damit er die Kleine wieder auf seinen Arm nehmen kann.
"Du kannst sie gerne schonmal anschnallen, ich muss kurz telefonieren."
"Okay...", verwundert sehe ich ihm nach, wie er sich ein paar Schritte entfernt und sein Handy aus der Hosentasche zieht.
"Na dann mal los!" Entschlossen trete ich an die geöffnete Autotür und löse vorsichtig die Arme des Mädchen aus meinem Nacken. Sie sitzt zwar im Sitz, aber ich habe keine Ahnung, wie man die Gurte festmacht. Nach etlichen Versuchen habe ich es endlich geschafft.
"Hay que saber salir del paso", (Man muss sich zu helfen wissen.) grinse ich zufrieden und streiche ihr über den Kopf, bevor ich die Tür schließe.
Der Miesepeter kommt wieder und steigt ein, ich tue es ihm gleich.
Kaum sind wir angeschnallt fängt das Mädchen an zu weinen und wir drehen uns zu ihr um.
"Es tut so weh!", schluchzt sie.
"Ich weiß, Süße. Wir sind bald da, okay? Du kannst dich gleich hinlegen, Elli, wir müssen nur noch eben in die Apotheke." Matthias Stimme klingt plötzlich unglaublich weich.
"Es tut mir Leid, Mira. Wäre es sehr schlimm, wenn ich sie erstmal mit zu mir nehme? Noch bei ihnen vorbei zu fahren wäre ein ziemlich langer Umweg und ich möchte, dass Elena so schnell wie möglich ins Bett kommt." Er sieht mich verzweifelt an.
"Kein Problem", beschließe ich und er wirft mir einen dankbaren Blick zu, bevor er losfährt.
Elena schluchzt leise vor sich hin und ich drehe mich immer wieder besorgt um. Hoffentlich hat sie nichts Schlimmes.
"Willst du... ich meine, wollen Sie nicht mit ihr zum Arzt?", stottere ich.
"Das ist nicht das erste Mal, dass sie Fieber hat. Ich hab mittlerweile schon Übung. Ich brauche nur den Fiebersaft aus der Apotheke und morgen geht es ihr schon wieder besser. Elena ist immer ein wenig quengelig, wenn sie krank ist."
Als wir an der Apotheke ankommen, springt er aus dem Wagen und beeilt sich den Saft zu kaufen. Ich kann nicht mehr einfach zusehen, wie Elena weint und klettere deswegen nach hinten, zu ihr, auf die Rückbank.
Mit einer Hand streiche ich über ihren Kopf und versuche sie zu beruhigen.
"Hast du etwas zu trinken für sie?", frage ich Matthias, als er wiederkommt. Aus dem Kofferraum holt er eine Saftflasche und reicht sie mir. Vorsichtig gebe ich der Kleinen die Flasche in die Hand und sie trinkt gierig daraus.
Matthias fährt wieder an und sieht ab und zu durch den Rückspiegel zu uns.
Nach wenigen Minuten kommen wir in eine Gegend, in der ich mittlerweile öfter bin. Ein paar Straßen von Michaels- und jetzt auch meinem- zu Hause hält er vor einem großen Einfamilienhaus.
Es ist groß, rechteckig und komplett in hellem Holz gehalten. Rechts neben der Tür befindet sich ein großes Fenster, im 1. Stock gibt es drei davon.
"Kommen Sie?", reißt mich Matthias aus meinen Gedanken. Er schließt bereits mit Elena auf dem Arm die Hautür auf. Ich bringe nur ein Nicken zustande und gehe ihm hinterher.
Im Flur legt er den Rucksack in eine Ecke und zieht Elena ihre Schuhe aus, um sie in einen Schrank zu stellen. Sie zieht währenddessen ihre Jacke aus und reicht sie ihm. Mal wieder fällt mir auf, wie ordentlich er ist und ich bin gespannt, wie es im restlichen Haus aussieht.
Auch ich hänge meine Jacke auf und gebe meinem Boss meine Schuhe, die ebenfalls in den Schrank wandern.
Als Elena wieder anfängt zu quengeln, nimmt er sie an die Hand und die beiden gehen durch den Flur in eine offene Küche.
Rechts befindet sich eine Treppe, die die beiden hoch laufen. Weil ich verlegen stehen bleibe, wirft Matthias mir einen auffordernden Blick zu, bis ich ihnen folge.
Oben kommen wir wieder in einen kleinen Flur. Eine Tür links, eine geradeaus und zwei rechts gehen davon ab. Wir betreten Elenas Zimmer durch die zweite Tür rechts.
Alle Wände sind in einem hellen Orangeton gestrichen. An der gegenüberliegenden Wand steht ein großes Bett, mit weicher Bettwäsche in rot, orange und gelb. Einige Kuscheltiere sind darauf verteilt.
Ansonsten sind noch ein Schrank, allerlei Spielzeug in Kisten und ein großer kuscheliger Teppich im Zimmer.
Matthias trägt seine Tochter zum Bett und deckt sie fürsorglich zu.
"So, Süße, hier ist noch der Saft und dann geht es dir ganz bald wieder besser", sagt er und füllt etwas von der Medizin auf einen kleinen Löffel und hält ihn Elena hin. Widerwillig schluckt sie schließlich den Saft und schüttelt sich.
"Bäääh", macht sie angeekelt.
"Wo ist das Bad?", frage ich Matthias, der mich erst irritiert ansieht und dann auf die Tür, gegenüber der Treppe, deutet. Ich gehe hinein und sehe mich um. Rechts neben der Tür ist eine Dusche, dahinter eine Badewanne. Links befindet sich die Toilette und davor ein Waschbecken. Ich öffne den Schrank darunter und hole einen Waschlappen und zwei kleine Handtücher heraus. Den Waschlappen tunke ich in lauwarmes Wasser, die Handtücher in kaltes. Nachdem ich alles nochmal ausgewrungen habe gehe ich wieder in Elenas Zimmer.
Matthias sitzt mit einem Buch auf der Bettkante und will ihr wohl gerade etwas vorlesen.
Schüchtern halte ich ihm die Tücher hin, doch er scheint nicht zu verstehen. Also lege ich der Kleinen den Waschlappen auf die Stirn und wickle die Handtücher um ihre Wanden.
"Danke, ich bin sofort fertig", meint mein Boss und liest ihr aus dem Buch vor.
Ich gehe wieder aus dem Zimmer, diesmal blicke ich aber nach links und entdecke eine große Fensterfront, wie bei Michael. Auch hier steht ein Sofa. Rechts ist noch ein Raum, aber ich will nicht herumschnüffeln und gehe deswegen wieder ins Erdgeschoss.
Unten angekommen sehe ich mir die Küche genauer an. Sie ist modern, aber man sieht, dass hier wirklich oft gekocht wird.
Komisch, das hätte ich von Matthias gar nicht erwartet. Aber er hat mich heute sowieso des Öfteren überrascht. Nie hat jemand ein Wort über ein Kind verloren und an der Garderobe hing keine einzige Frauenjacke. Ob er alleinerziehend ist?
Um mich von meinen Grübelein abzulenken gehe ich nach rechts, an einem Esstisch vorbei in das Wohnzimmer. Anders als erwartet ist es hier nicht ordentlich und modern oder klassisch. Die beiden Sofas (Gegenüberliegende Wand und rechts) sind beige, aber die Kissen darauf haben verschiedene Größen, Farben und Muster, sodass alles zusammengewürfelt aussieht. Der Sessel (links) ist grün und ebenfalls voller bunter Kissen. In der Mitte liegt ein gemusterter Teppich, der irgendwie zu dem Farbenchaos passt. Darauf steht ein Glastisch mit einer Blumenvase darauf, darin einfache Gartenblumen. An der rechten Wand hängt ein moderner Flatscreen, darunter ein beiger Schrank mit bunten Möbelknöpfen.
Links ist ein großes Fenster, aus dem man auf die Terrasse sehen kann. Ein buntes Blumenbeet wurde dort gepflanzt.
"Das haben Elena und ich zusammen angelegt", erklärt Matthias, der plötzlich hinter mir aufgetaucht ist.
"Madre mía." (Oh mein Gott.) Erschrocken zucke ich zusammen.
"Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken."
"Schon gut", winke ich ab und sehe wieder aus dem Fenster.
"Woher haben Sie denn das?", er deutet auf meine Wange. ¡Qué mierda! (So ein Mist!) Er hat es bemerkt.
"Was meinen Sie?", stelle ich mich dumm und sehe ihn unschuldig an.
"Sie haben eine ganz schön rote Wange", besorgt mustert er mein restliches Gesicht. Ich bete, dass er meine roten Augen nicht auch noch bemerkt. Er sieht mir eine Zeit lang nachdenklich in die Augen und ich bin mir sicher er hat es bemerkt, doch er sagt nichts.
"Ein kleiner dummer Unfall", beschwichtige ich ihn, doch er glaubt mir nicht.
"Wurden Sie geschlagen?", fragt er gerade heraus.
"Ähm...", ich bin kurz sprachlos, doch er scheint zu verstehen.
"Wer hat Sie geschlagen?", will er wissen. Seine Stimme hat einen leicht zornigen Unterton bekommen, welcher mich erschrocken die Augen aufreißen lässt.
"Niemand", versuche ich ihn nochmal abzuwimmeln, doch er macht einen Schritt auf mich zu und legt sanft seine Hand an meine Wange. Vorsichtig streicht er darüber und ich zucke zusammen. Die ganze Zeit habe ich nicht mehr daran gedacht und mich völlig auf das kleine Mädchen konzentriert, aber jetzt spüre ich das schmerzhafte Brennen zurückkehren.
"Setzen Sie sich, ich hole ihnen etwas zum Kühlen. Wissen Sie was, wir sollten uns duzen. Ich bin Matt", sagt er plötzlich freundlich und lächelt mich an. Unsicher lächle ich zurück und nicke. Dann lasse ich mich auf das gemütliche Sofa sinken und atme tief durch. Die Begegnung mit Mauricio hat mir mehr zugesetzt, als ich zugeben möchte und ich fühle ide Wut kleiner werden, während die Verzweiflung und Angst sich in den Vordergrund drängen.
Sekunden später steht Matt mit einem Kühlkissen eingewickelt in ein Küchenhandtuch vor mich. Fürsorglich geht er vor mir in die Hocke und legt das kleine Päckchen langsam an meine Wange. Wieder zucke ich kurz zurück, reiße mich dann aber zusammen und halte es dann selber. Matt geht wieder einen Schritt von mir weg, setzt sich in den Sessel und betrachtet mich nachdenklich.
"Darf ich dir eine Frage stellen?" Matt nickt vorsichtig.
"Warum hat bis jetzt niemand erwähnt, dass du eine Tochter hast. Es geht zwar niemanden etwas an, aber normalerweise bekommt immer irgendjemand etwas mit und verbreitet zumindest Gerüchte", veruche ich zu erklären.
"Ich habe keine Tochter. Elena ist die Tochter meines Bruders Frederik. Sie wohnt montags bis mittwochs bei ihm, donnerstags und freitags bei mir. Samstagmorgen ist sie dann noch hier und ich bringe sie dann vor der Arbeit zu meiner Mutter. Und sonntags ist Familientag."
Überrascht sehe ich ihn an.
"Und... warum... lebt sie nicht die ganze Woche bei ihrem Vater?", hake ich vorsichtig nach. Matts Gesicht wird augenblicklich verschlossener.
"Mein Bruder ist alleinerziehender Vater, wenn Elli bei mir ist kann er den ganzen Tag arbeiten. Er möchte ihr gerne auch mal schöne Reisen ermöglichen und das Geld dafür will er selber verdienen."
Die Ausrede lasse ich einfach mal durchgehen, da er scheinbar nicht mehr dazu sagen möchte.
"Vielen Dank, dass du mir geholfen hast", durchbricht mein Boss die Stille.
"Kein Problem, ich hoffe es geht Elena bald besser", entgegne ich. Matt betrachtet mich noch eine Zeit lang, bis er schließlich wieder aufsteht.
"Soll ich dich nach Hause fahren?", fragt er.
"Nein, schon gut. Kümmere dich lieber um Elena. Ich wohne zur Zeit bei Michael, also kann ich auch die paar Minuten laufen."
"Ich rufe Michael an, dann kann er dich abholen." Ich sehe ihm irritiert nach, als er das Wohnzimmer verlässt. Ich hab doch gesagt ich kann laufen. Warum will er dann Michael anrufen?
"Michael ist gleich hier, ich werde nochmal nach Elena sehen", sagt Matt ein paar Minuten später und verschwindet direkt wieder. Me va a volver loco. (Er macht mich noch verrückt.)
Also bleibe ich auf dem Sofa sitzen und nutze die Zeit, um über Mauricio nachzudenken. Ich habe langsam wirklich keine Kraft mehr. Seit sieben Jahren verfolgt er mich durch die ganze Welt. Er taucht immer dann auf, wenn ich am wenigsten mit ihm rechne. Wenn ich denke, dass es endlich überstanden ist. Max und Ida haben ihre eigenen Probleme, sie können nicht mein Leben lang auf mich aufpassen und stützen. Auch Michael hat das nicht verdient. Aber ich kann nicht anders, als ihn einzuweihen. Er ist momentan der Einzige, der mir helfen kann. Es ist unglaublich, was er alles für mich tut. Seit knapp 2 Wochen wohne ich jetzt bei ihm und er lässt mich nicht mehr aus den Augen. Sein Überwachungs- und Alarmsystem hat er komplett erneuert.
Und all das nur für mich!
Schon lange habe ich mich nicht mehr so akzeptiert und geliebt gefühlt, auch wenn wir nur Freunde sind.
Die Türklingel ertönt und ich höre den Miesepeter öffnen, während ich das Kühlkissen auf den Tresen in der Küche lege.
Unbemerkt gehe ich in den Flur und ziehe meine Jacke an. Matt und Michael streiten sich. Scheinbar über mich, denn, obwohl sie leise reden, vernehme ich meinen Namen.
"Mira", ertappt drehe ich mich zu meinen besten Freund, der mich besorgt mustert und natürlich gleich meine geschwollene Wange entdeckt. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und ich beeile mich meine Schuhe anzuziehen. Das wird ein Gespräch geben!
"Gute Besserung an Elena. Und danke für das Kühlkissen. Bis morgen", rufe ich meinen Boss über die Schulter zu, während Michael und ich zum Auto gehen.
Kaum sitzen wir fängt er auch schon an.
"Was ist passiert, Mira? Und denk gar nicht dran mich anzulügen. Matt hat mir erzählt, dass du was von Unfall gesagt hast. Ich musste ihm erstmal davon überzeugen, dass ich dich ganz bestimmt nicht geschlagen habe und er sich keine Gedanken darum machen soll. Wer hat dich geschlagen?" Seine Stimme wird immer lauter und wütender. Unwillkürlich mach ich mich klein.
"Mauricio", sage ich kleinlaut und meine Augen fangen verdächtig an zu glitzern.
"Wie bitte?!", Michael legt eine Vollbremsung hin und bugsiert uns in eine Parklücke. Erschrocken sehe ich ihn an.
"Das ist nicht dein Ernst. Wo?"
"Er hat sich als Geschäftspartner ausgegeben. Matt weiß nichts davon, er soll auch nichts erfahren, bitte Michael. Ich möchte nicht noch mehr Leute da mit rein ziehen", bitte ich ihn. Eigentlich möchte ich vor allem Matt beschützen. Aber nur, weil er sich um seine kleine Nichte kümmern muss und ich nicht will, dass der Kleinen etwas passiert. Zumindest rede ich mir ein, dass das der Hauptgrund ist.
"Wie kann Mauricio dich denn bei einem Geschäftstermin geschlagen haben? Matt war doch dabei, oder nicht?", verwirrt sieht er mich an. Wut und Besorgnis glitzern in seinen Augen.
"Ja, aber er musste kurz telefonieren und dann hat Mauricio Andeutungen gemacht. Er hat mir gedroht und weil ich nicht so wollte, wie er hat er mich geschlagen. Er hat gesagt, er bringt Matt um und dass ich es verdient habe", weine ich.
Michael zieht mich in seine Arme und streicht mir sanft über den Kopf.
"Keine Angst, kleine Löwin. Ich pass auf dich auf. Das wird er nicht nochmal wagen. Matt kommt schon klar und du kannst erst recht nichts dafür. Dieses kranke Schwein mach ich fertig!"
"Le estoy obligado porque estas a disposición de mi de siempre", (Ich bin dir zu Dank verpflichtet, weil du schon immer für mich da bist) sage ich und kuschle mich an seine warme Brust.
Nach einigen Minuten löst er sich langsam von mir und streicht die Tränen weg.
"Wir fahren jetzt erstmal nach Hause und machen uns einen entspannten Tag."
***
"Ich hab hier ne Postkarte für dich", er steckt den Kopf durch meine Zimmertür und hält die Karte in der Hand.
Mein Zimmer haben wir mit bunten Accessoires ein wenig aufgepeppt. Neben dem Bett und dem Schrank, der gerade Mal halb voll ist, steht noch eine Kommode und ein gemütlicher Sessel im Raum. Beides habe ich aus meiner alten Wohnung mitgenommen, welche bereits gekündigt ist. Meine restlichen Möbel und Klamotten stehen in Michaels zweiter Garage. Scheinbar hatten die vorherigen Hausbesitzer zwei Autos gehabt, also hatte mein bester Freund kurzerhand vorgeschlagen die verstaubte Garage zu entrumpeln, da er ein paar Möbel der Leute darin untergebracht hatte. Darunter ein antiker Schreibtisch aus dunklem Holz, der neben Michaels in dessen Büro stand.
"Mira?", holt er mich aus meinen Gedanken.
"Ähm, ja klar. Die ist bestimmt von Ida und Max." Ich springe vom Bett und betrachte das Bild eines wunderschönen Sees mit Bergen im Hintergrund.
Zufrieden verschwindet Michael wieder mit dem Befehl mich in fünf Minuten im Wohnzimmer zum Film gucken einzufinden.
Abwesend nicke ich und drehe dann die Karte. Auf der Rückseite schreiben die beiden, dass ihre Anreise überraschenderweise ohne Zwischenfälle ablief und Max in einem kleinen Restaurant Arbeit gefunden hat. Ida und Max sind einfach Workaholics. Anstatt wie jeder andere ein halbes Jahr Urlaub zu machen, machen sie ein halbes Work-and-Travel Jahr.
Die Postkarte wurde in Cuenca, Azuay abgestempelt und die Briefmarke zeigt die Flagge von Ecuador.
Als ich Treppe runterkomme bemerke ich sofort den Duft von frischem Popcorn. Davon angelockt lasse ich mich neben meinen besten Freund auf die Couch fallen und stecke mir ein paar in den Mund.
"Schmeckt es?", fragt er amüsiert, als ich genüsslich stöhne. Mit vollem Mund nicke ich.
"Sag mal, was ist denn da zwischen dir und Matt?", grinsend sieht er mich an.
"Nichts", antworte ich etwas zu schnell. Michaels Grinsen wird breiter.
"Ihr saht ziemlich vertraut aus. Und die tödlichen Blicke von ihm haben mehr als bewiesen, dass er dich nicht gehen lassen wollte. Schon gar nicht mit mir."
"Worüber habt ihr euch gestritten?"
"Er wollte nicht, dass ich dir das Herz breche. Und er war sauer, dass du bei mir eingezogen bist, ohne dass er davon erfahren hat."
"Warum solltest du mir das Herz brechen? Und was geht es ihn an, bei wem ich wohne?" Die Verwirrung steht mir ins Gesicht geschrieben.
"Mira, Matt mag dich. Und zwar sehr. Aber er dachte, dass wir eine Beziehung führen und du deswegen zu mir gezogen bist. Er war doch auch schon beim Essen damals so eifersüchtig. Ich wollte ihm erklären, dass wir nur Freunde sind, uns lieben wie Geschwister. Aber der Miesepeter glaubt natürlich nur, was er will."
Matt mag mich? Und er ist eifersüchtig auf Michael?
"Er war ganz und gar nicht glücklich darüber, dass du bei mir lebst. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass dein Exfreund ein Stalker ist. Also habe ich ihm gesagt, dass du den Mietpreis nicht mehr zahlen konntest und wir spontan eine WG gründen wollten."
"Ist das dein Ernst? Hättest du dir nicht etwas anderes einfallen lassen können?", ich sehe ihn ungläubig an.
"Tut mir Leid, aber du weißt, wie schlecht ich lügen kann. Ich musste so nah an der Wahrheit bleiben, wie möglich."
"Na klar, das ist ja sehr nah an der Wahrheit", raunze ich kopfschüttelnd.
Am nächsten Morgen bin ich alles andere als gewillt aufzustehen. Am Liebsten würde ich den ganzen Tag in meinem Bett verbringen. Matt wird mich hundertprozentig auf gestern ansprechen.
Außerdem tut meine Wange immer noch weh. Ich habe das Gefühl mein ganzes Gesicht ist geschwollen und blau. Ein Blick in den Spiegel zeigt, dass wenigstens nur meine Wange betroffen ist. Mit einer gefühlten Tonne Make-up versuche ich es zu überschminken, aber besonders schmerzfrei gelingt mir das nicht.
Eine halbe Stunde später betrete ich dann schlecht gelaunt und mit brennender Wange mein Büro. Verwundert bemerke ich, dass Matt nicht da ist. "Quizá llegará tarde a trabajo", (Vielleicht kommt er später zur Arbeit) denke ich. Erfreut fange ich an die ersten Akten durchzuarbeiten.
Als er aber auch vier Stunden später nicht auftaucht, beschließe ich Clara in der Mittagspause zu fragen.
"Hast du etwas von Matt gehört?", will ich von ihr wissen.
"Hat er dich denn nicht angerufen?", verwundert sieht sie mich an, während sie sich ein Stück Kuchen in den Mund schiebt. Irritiert schüttle ich den Kopf.
"Eigentlich ist er immer zuverlässig. Also ich weiß nur von Tobi, dass er aus familiären Gründen nicht kommt", erklärt sie. "Sag mal seit wann nennst du ihn eigentlich Matt?"
"Familiäre Gründe? Er hat mir gestern das Du angeboten."
"Wirklich? Das kommt selten vor, merk dir das!", zweideutig zwinkert sie mir zu. "Vor allem bei einem Geschäftstermin..."
"Naja, das war nicht wirklich beim Geschäftstermin. Wir haben seine Nichte vom Kindergarten abgeholt... sie ist krank... dann bin ich noch mit zu ihm gefahren... und wir haben geredet. Da hat es sich einfach ergeben."
Claras Aufschrei lässt mich erschrocken zusammenzucken.
"Einfach ergeben? Erzähl mir doch nichts, Mira! Oh mein Gott, du warst bei ihm zu Hause. Und du hast ein Familienmitglied kennen gelernt. Als hättet ihr nur geredet. Oh mein Gott, du hast was mit Matthias Norris!"
"Nein!", unterbreche ich sie schnell. "Ich habe ihm nur geholfen seine kleine Nichte zu pflegen und dann haben wir wirklich nur geredet. Ich habe ganz bestimmt nichts mit meinem Chef!"
Clara zwinkert mir verschwörerisch zu und ich verdrehe die Augen.
"Vielleicht ist er nicht gekommen, weil er sich um Elena kümmert", überlege ich und wechsle damit das Thema. Wobei, eigentlich sprechen wir immer noch über das gleiche.
"Elena?"
"Seine Nichte. Hoy probablemente iré a su casa y traeré medicamentos para su sobrina.", (Wahrscheinlich fahre ich heute zu ihm und bringe Medikamente für seine Nichte mit.) überlege ich. Das übersetze ich Clara aber lieber nicht, da sie sofort wieder etwas Falsches denken würde.
Nach Feierabend und einem Abstecher in die Apotheke mache ich mich auf den Weg zu Matt. Ich bin ein wenig aufgeregt, als ich auf die Klingel drücke.
Komisch, heute morgen hätte ich alles getan, um ihm aus dem Weg zu gehen und jetzt fahre ich auch noch zu ihm nach Hause.
Matt öffnet die Tür und ich sehe ihn erschrocken an. Er sieht schrecklich aus! Naja, eigentlich stimmt das nicht. Er ist immer überdurchschnittlich attraktiv, sogar jetzt. Denn der Miesepeter ist unübersehbar krank. Tiefe Augenringe, ein fiebriger Glanz in den Augen, Schweißperlen auf der Stirn.
"Was tust du hier?", reißt mich seine träge und raue Stimme aus meinen Gedanken.
"Ähm, also... du warst ja heute nicht bei der Arbeit... und Clara meinte etwas von familiären Gründen. Ich dachte... ich komm mal vorbei, ... weil...ähm... ich wollte sehen, ob alles ok ist. Und ich habe Medikamente gegen Fieber dabei!", peinlich berührt halte ich ihm die Tüte hin.
"Danke. Willst du reinkommen?" Perplex starre ich ihn an und nicke dann.
Im Flur lege ich meine Tasche, Jacke und Schuhe ab und räume alles ein. Ich habe seinen Ordnungstick nicht vergessen.
"Elena sitzt im Wohnzimmer." Mit diesen Worten führt der fiebrige Miesepeter mich durch das Haus. Auf dem Sofa sitzt die Kleine, der es scheinbar schon besser geht und sieht sich eine Kindersendung an.
Überrascht sieht sie auf, als ich den Raum betrete.
"Ist das die Frau, die mir gestern vorgesungen hat?", will sie wissen und Matt nickt.
Flink steht die Kleine auf und hält mir die Hand hin.
"Ich bin Elena", verlegen lächelt sie.
"Ich bin Mira. Scheint, als geht es dir schon wieder besser. Ich wollte dir eigentlich ein wenig Medizin vorbei bringen, aber die hat dein Onkel wohl nötiger als du."
"Ich hab ihn ersteckt", stolz grinst sie.
"Angesteckt", korrigiert Matt sie und lässt sich ächzend auf das Sofa fallen. Elena krabbelt dazu und kuschelt sich an ihn. Definitiv ein schönes Blid.
Matt klopft neben sich, um mir zu zeigen, dass ich mich setzten soll.
Also tue ich ihm den Gefallen und wir sehen uns einige Minuten schweigend die Sendung an. Plötzlich legt er den Kopf auf meine Schulter und lehnt sich ein wenig mehr an mich. Ich bin etwas erschrocken, aber es ist nicht unangenehm, deswegen lasse ich ihn gewähren.
"Soll ich Tee kochen? Dann kann ich dir auch gleich die richtigen Medikamente raussuchen", biete ich etwas später an, um nicht unnütz herum zu sitzen.
"Wenn du das möchtest." Der Miesepeter hat seine Augen geschlossen und ich bin mir nicht sicher, ob er mir wirklich zugehört hat.
Trotzdem gehe ich in die Küche und mache mich auf die Suche nach Tassen.
"Onkel Matt mag dich." Erschrocken drehe ich mich zu Elena um, die hinter mir aufgetaucht ist.
"Ich mag ihn auch. Das ist auch gut so, sonst könnten wir ja nicht täglich zusammen arbeiten."
"Er hat noch nie eine Frau hier gehabt, wenn ich da war." Ernst sieht sie mich an. Unbehaglich drehe ich mich weg.
"Magst du mir helfen?", lenke ich ab. Die kleine Maus nickt und ich hebe sie auf die Anrichte.
"Hier ist eine Tasse, kannst du den Teebeutel da rein legen?" Gewissenhaft macht sie sich an die Arbeit, während ich das Wasser aufsetze.
"Gefällt es dir so oft bei Matt zu sein?", frage ich.
"Es ist super hier. Er ist immer lieb und ich darf sogar manchmal länger aufbleiben. Und er geht ganz oft mit mir in den Zoo und ins Schwimmbad und in den Freizeitpark. Letzte Woche waren wir sogar in einem Museum mit ganz vielen Unterwassertieren. Fische und Haie und ich hab sogar einen Delfin gesehen", schwärmt sie und ich lächele.
"Ich finde Matti ist der tollste Onkel auf der Welt, aber Papa sagt er ist oft einsam. Matti arbeitet immer und sonst fährt er zu Oma oder zu mir und Papa. Papa sagt es ist schade, dass Matti noch keine Frau gefunden hat", erzählt sie weiter.
"Irgendwann findet er bestimmt eine ganze liebe Frau, da bin ich mir sicher." Ich streiche ihr über den Kopf.
"Vielleicht ja so eine wie dich. Und die kann mir dann auch vorsingen", grinst sie und ich lache.
"Ja, vielleicht."
Mit einer Tasse Tee und den Tabletten gehen wir zurück ins Wohnzimmer. Im Eingang bleibe ich stehen und bedeute Elenea leise zu sein.
Matt liegt in eine Decke gewickelt auf dem Sofa und schläft. Dabei sieht er unheimlich süß und, unglaublich aber wahr, heiß aus. Denn an einer Stelle ist sein Oberteil verrutscht und man hat freie Sicht auf einen Teil seines trainierten Oberkörpers.
Zusammen schleichen wir uns zu ihm und ich stelle alles auf dem Wohnzimmertisch ab. Elena krabbelt wieder auf das Sofa und ich knie mich vor Matt.
Während ich seinen Namen sage, rüttle ich an seinem Arm. Stöhnend öffnet er seine Augen und reibt sich über sein Gesicht.
"Ich hab einen Tee für dich. Und hier sind die Tabletten." Ich zeige auf den Tisch und er richtet sich langsam auf. Mein verschlafener Chef nimmt die Tasse in die Hand und trinkt einen Schluck. Genüsslich stöhnt er auf.
"Der schmeckt ja richtig gut. Was ist das?", will er wissen.
"Holunderblütentee, hilft am Besten bei Fieber, meinte die Apothekerin. Magst du jetzt die Tabletten nehmen? Ich denke danach wird es dir bald um einiges besser gehen."
Er tut was ich sage und lehnt sich danach wieder zurück. Auch ich setzte mich wieder auf das Sofa und sehe mir mit Elena weiter die Sendung an, während Matt vor sich hin döst.
"Komm, Elli. Ich bring dich ins Bett. Dein Onkel sollte noch etwas schlafen", beschließe ich. Matt ist bereits vor einer Stunde eingeschlafen. Ein wenig merkwürdig ist diese Situation schon. Ich sitze auf dem Sofa, im Haus meines Chefs, pflege ihn gesund und schaue mit seiner Nichte Fernsehen. Es ist als wären wir eine Familie und das erschreckt mich. Mit einem kuschelsüchtigen und vor allem anschmiegsamen Miesepeter kann ich einfach nicht umgehen. Matt ist mein Chef, noch dazu ein nicht besonders freundlicher. Er sieht gut aus und er hat seine netten Momente, aber er ist eben mein Chef und jegliche Gefühle für ihn, die über Freundschaft hinaus gehen, sind vollkommen unangebracht.
Solange ich mich aber rein freundschaftlich verhalte ist alles in Ordnung.
Die Kleine steht ohne zu Murren auf und gibt ihrem Onkel einen Kuss auf die Wange. Ich mache den Fernseher aus und gehe hinter ihr her die Treppe hoch. Im Badezimmer macht sie sich fertig und ich warte in ihrem Zimmer auf sie.
"Kannst du nochmal für mich singen?", bittet sie mich, als sie im Bett liegt.
"Das selbe Lied?" Sie nickt fröhlich.
"Dann kuschle dich mal schön in dein Bett", sage ich und decke sie richtig zu. Dann beginne ich das Lied Hijo de la Luna nochmal zu singen.
Ein paar Minuten später ist die Kleine eingeschlafen. Ich streiche ihr nochmal übers Haar und schließe dann leise die Tür hinter mir.
Unten angekommen nehme ich die leere Tasse vom Wohnzimmertisch.
"Was machst du?" Erschrocken drehe ich mich um. Matt sieht mich verschlafen an.
"Ich... ich hab Elena ins Bett gebracht. Und jetzt räume ich noch eben auf." Schon wieder erwische ich mich beim Stottern. No sé qué me pasa. (Ich weiß nicht, was mit mir los ist.) Normalerweise bin ich eine sehr selbstbewusste Person.
"Danke, aber du musst hier nicht noch aufräumen. Du hast schon genug getan. Du solltest lieber nach Hause gehen, du musst morgen arbeiten."
"Nein, nein. Kein Problem, ich mach das eben." Schnell gehe ich in die Küche und stelle die Tasse in die Spüle.
"Mira", ruft Matt aus dem Wohnzimmer. Ich seufze und gehe zurück. Eigentlich wollte ich einfach nur kurz aufräumen und dann nach Hause. Dieser neue Matt ist mir nicht ganz geheuer, ich sollte mich lieber von ihm fern halten. Das wäre zumindest besser für meine Gefühle.
"Mach eine Pause. Du musst hier überhaupt nichts tun. Soweit ich weiß hast du heute gearbeitet und dann deine restliche Freizeit hier verbracht, um dich um Elena und mich zu kümmern. Das war sehr nett von dir." Er bedeutet mir, mich zu setzen.
"Das habe ich wirklich gerne gemacht. Elena ist ein sehr liebes Kind und wirklich gut erzogen. Warum hast du eigentlich niemandem Bescheid gesagt? Deinem Bruder oder deiner Mutter oder so? Elena kann sich ja wohl kaum um dich kümmern und ohne Hilfe wärst du noch wochenlang krank."
"Ich wollte keine Umstände machen. Frederik arbeitet und meine Mutter hat uns das ganze Wochenende an der Backe. Sie beschwert sich jedes Mal, wenn sie mich mal wieder pflegen muss. Sie meint ich soll mir eine Frau dafür suchen." Sein letzter Satz ist nur noch genuschelt und man kann ihm ansehen, wie peinlich ihm das ist.
"Wie geht es deiner Wange?", fragt er plötzlich.
"Es geht schon. Morgen sieht man es bestimmt nicht mehr."
"Es geht mir nicht darum, ob man es sieht, sondern wie es dir damit geht." Er lehnt sich ein wenig vor und streicht meine Haare zur Seite.
"Es sieht schon besser aus. Ich habe oben Salbe, soll ich sie dir holen?", bietet er an. Dankbar nicke ich und kurze Zeit später kommt er wieder. Sanft streicht er ein wenig von der kühlenden Creme auf meine Wange. Obwohl er vorsichtig ist, fühlen sich die Berührungen wirklich komisch an. Er hält in der Bewegung inne und sieht mir in die Augen. Fast unbemerkt kommen unsere Köpfe sich näher und ich kann seine Lippen schon beinahe auf meinen spüren.
"Matti! Kannst du kommen? Onkel Matti!"
Elenas Rufe lassen uns auseinander schrecken. Erschrocken starren wir uns an.
"Willst du nicht zu ihr gehen?", frage ich leise.
"Ähm, doch klar." Er springt auf und geht nach oben.
"Mierda", (Scheiße) fluche ich leise. Vor ein paar Stunden war ich noch fest davon überzeugt nur freundschaftliche Gefühle für den Miesepeter zu empfinden, aber ich habe mich scheinbar selbst belogen.
Ich habe mich in meinen Chef verknallt!
Nachdem Matt eine Weile verschwunden blieb habe ich mich auf den Weg nach Hause gemacht. Jetzt liege ich übermüdet in meinem Bett und kann einfach nicht einschlafen. Ständig geht mir der fast-Kuss im Kopf herum. Warum bin ich auch so unglaublich dumm und verknalle mich in meinen Chef? Ich kann es einfach nicht mehr leugnen: ich, Mira Sánchez Martín, habe mich rettungslos in den Miesepeter verliebt.
***
Beinahe zu spät komme ich im Büro an. Ich muss mich zwingen meine Augen offen zu halten.
"Rufen sie nochmal an, wenn sie die Probleme beseitigt haben!", schreit der Miesepeter rum, als ich die Tür öffne. Erschrocken zucke ich zurück. Scheinbar hat er heute schlechte Laune.
Was macht er eigentlich hier? Sonst kommt er samstags doch erst um 16:00Uhr.
Lautlos lasse ich mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken und fahre meinen Computer hoch.
"Sie sind zu spät!", donnert er gleich weiter.
"Entschuldigung, kommt nicht wieder vor", sage ich schnell. Seit wann siezt er mich wieder?
"Hoffentlich"
Ich beschließe lieber den Mund zu halten, bevor er richtig ausrastet. Gestern war alles schön und er war unglaublich lieb und wir hätten uns sogar beinahe geküsst. Wahrscheinlich fragt er sich, wie er fast so etwas Dummes tun konnte. Oder er hat das im Fieberwahn getan. ¡Eso sólo le puede pasar a mí! (Das kann auch nur mir passieren!)
Stillschweigend arbeite ich vor mich hin, immer darauf bedacht meinen Boss nicht aufzuregen. Sein schwerer Atem beginnt mich aber nach einiger Zeit zu stören. Vorsichtig drehe ich mich um. Matt hat seinen Kopf in den Nacken gelegt und die Arme um seinen zitternden Körper geschlungen.
"Alles in Ordnung?", frage ich leise.
"Natürlich", knurrt er mit geschlossenen Augen.
"Solltest du nicht lieber zu Hause im Bett liegen und dich auskurieren?" Er reißt die Augen auf und geht mit schnellen Schritten auf mich zu. Bedrohlich lehnt er sich vor und platziert seine Hände links und rechts auf meinen Armlehnen.
"Du machst mir keine Vorschriften, verstanden?", sein heißer Atem streift mein Gesicht und ich bekomme eine Gänsehaut. Seine Augen funkeln gleichzeitig gefährlich und fiebrig. Langsam nicke ich.
"Gut" Schnell dreht er sich wieder weg und lässt sich an seinem Schreibtisch nieder. Mit einem bitteren Gesichtsausdruck nimmt er seine Arbeit wieder auf. Geschafft lehne ich mich zurück.
***
Pünktlich um 13:00Uhr stehe ich auf, um meine Mittagspause abzuhalten. Als ich mich umdrehe, bemerke ich, dass der Miesepeter eingeschlafen ist. Aus einem Nebenraum hole ich eine Decke und lege sie ihm vorsichtig über. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn und er zittert noch immer.
Als ich eine Stunde später das Büro betrete liegt er unverändert da. Auch wenn er heute mal wieder seinem Ruf als Miesepeter gerecht wird, kann ich ihn einfach nicht so leiden lassen. Aber warum? Eigentlich hätte er es verdient, so wie er sich mir gegenüber verhält.
Weil er sich um ein Kind zu kümmern hat, rede ich mir ein.
Mit einer Tasse Tee aus der Mitarbeiterküche schleiche ich mich zu ihm. Wieder komme ich nicht umhin ihn zu betrachten. Sein Gesicht ist unglaublich schön. Wohlgeformte Augenbrauen, lange, dichte Wimpern, eine große Nase, sinnliche Lippen und markante Gesichtszüge. Am schönsten sind aber zweifellos seine dunkelblauen Augen.
Und diese schlägt er plötzlich auf. Überrascht quieke ich auf und mache einen Schritt zurück.
"Ähm...äh...", stottere ich. "Ich hab einen Tee für dich." Matt sieht ziemlich erschöpft aus, als er mir die Tasse aus der Hand nimmt.
"Danke", seine Stimme klingt heiser.
"Ich weiß, du willst nicht, dass ich dir etwas vorschreibe. Aber du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen."
"Zu Hause kann ich nur schlafen und wie du siehst kann ich das auch hier. Außerdem habe ich noch genug Arbeit zu tun. Elena ist heute Morgen schon von meiner Mutter abgeholt worden. Die Zeit muss ich für die Firma nutzen."
Er ist zwar immer noch stur, aber wenigstens lässt er mit sich reden und ist wieder etwas freundlicher.
"Du musst erstmal wieder gesund werden. Es bringt nichts, wenn du heute dein Arbeitspensum schaffst und dann die ganze nächste Woche flach liegst." Der Miesepeter seufzt laut.
"Soll ich deine Mutter anrufen? Also...ich meine...Sie könnte sich um dich kümmern und dir die Medikamente geben, die ich gestern mitgebracht habe."
"Nein!", ruft er sofort. "Nein, danke. Meine Mutter kommt mit irgendwelchen selbstgemachten Hausmitteln, die einem den Hals wegätzen", fährt er ruhiger fort. "Außerdem wird sie mir ständig auf die Nerven gehen, warum ich keine Frau habe, die diese Aufgabe übernimmt", den Satz murmelt er nur leise vor sich hin, aber ich höre ihn trotzdem.
"Hier zu bleiben ist aber auch keine Lösung. Bitte fahr nach Hause. Ich kümmere mich um deine Arbeit und mache soviel ich kann", schlage ich vor.
"In Ordung", gibt er sich geschlagen, obwohl er nicht aussieht, als wäre er zufrieden.
"Soll ich nachher nochmal vorbei kommen?", frage ich leise. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken Matt den ganzen Tag alleine und krank zu wissen. Er sieht mich überrascht an.
"Du?"
"Ja, ich weiß ja jetzt über die Dosierung der Medikamente Bescheid und so." Warum rede ich nur immer so einen Scheiß, wenn er da ist?! Ich spüre wie ich erröte. ¡Joder! (Verdammt noch mal!)
"Das wäre nett." Wie bitte?! Ich dachte jetzt hält er mir einen Vortag, wie ich mich als seine Angestellte zu verhalten habe.
"Ja klar. Dann komme ich nach Feierabend bei dir vorbei. Gute Besserung!", unbehaglich gehe ich schnell zurück zu meinem Schreibtisch.
Ächzend steht Matt auf, kramt in seiner Tasche herum und geht dann zur Tür.
"Bis später", sagt er noch und verschwindet dann.
Verwirrt bleibe ich im Büro zurück.
***
Nervös stehe ich vor seiner Haustür. Es ist wie ein Deja-vu; jedes Mal das gleiche.
Doch ich straffe meine Schultern und drücke auf die Klingel. Sekunden später öffnet sie sich. Aber nicht Matt steht da...
"Guten Abend"
"Ähm..Hallo", schüchtern lächle ich.
"Kann ich ihnen helfen?"
"Ja...eigentlich wollte ich zu Matt...ähm zu Mr. Norris meine ich." Die Frau zieht eine Augenbraue hoch.
"Einen Moment bitte." Und schon verschwindet sie ihm Haus.
No entiendo nada. (Ich verstehe gar nichts.)
Kurze Zeit später kommt sie freudestrahlend wieder.
"Kommen sie rein, Mira." Überrascht folge ich ihrer Einladung.
"Mein Name ist Angelina Norris, ich bin Matts Mutter. Schön sie endlich kennen zu lernen." Ich reiche ihr überfordert meine Hand.
"Mira Sánchez Martín", stelle ich mich vor. Danach stelle ich meine Schuhe in den Schrank und hänge meine Jacke auf. Von Mal zu Mal wird es weniger komisch das zu tun. Als ich mich wieder umdrehe, sieht Mrs. Norris mich mit leuchtenden Augen an.
"Matt ist oben. Sie kennen sicherlich den Weg." Unbehaglich nicke ich und ihr Lächeln wird noch etwas strahlender.
Sie sieht dem Miesepeter wirklich ähnlich. Die gleichen Augen und braunen Haare. Ihre sind glatt und etwas länger als bis zur Schulter.
Schnell gehe ich die Stufen hoch. Im Flur bleibe ich kurz stehen, folge dann aber den Hustern. Die Tür zu Matts Schlafzimmer ist nur angelehnt und ich klopfe kurz an, bevor ich reingehe. Mein Boss liegt in einem großen Bett und hat die Decke bis unter sein Kinn gezogen. Eine Tasse Tee und mehrere Tablettenschachteln liegen auf dem Nachtschrank.
"Hey", begrüße ich ihn leise.
"Hallo, Mira. Wo ist meine Mutter?", will er wissen.
"Ich glaube sie wollte unten bleiben." Er nickt und wir schweigen eine Weile.
"Du musst nicht mitten in Raum herumstehen. Setz dich." Er deutet neben sich und ich lasse mich auf dem Bettrand nieder.
"Wie geht es dir?", frage ich.
"Besser. Wahrscheinlich hattest du Recht. Es war eine gute Idee mich auszuruhen."
"Matti", seine Mutter betritt das Zimmer und wir sehen erschrocken hoch. Hinter ihr taucht Elena auf und läuft direkt zu mir.
"Mira", ruft sie und umarmt mich.
"Mein Schatz, wir fahren jetzt los. Elli muss langsam Abendbrot essen und dann ins Bett. Du kurierst dich erstmal aus. Wenn du morgen wieder fit bist, kannst du vorbei kommen. Du darfst auch gerne Mira mitbringen." Sie zwinkert ihm zu. Der Miesepeter verdreht die Augen und stöhnt gequält.
"Tschüss, Onkel Matt", Elena löst sich von mir, klettert auf das Bett und gibt ihm ein Kuss auf die Stirn. Er drückt sie an sich, bis sie wieder zu mir kommt, um sich auch von mir zu verabschieden. Währenddessen streicht Mrs. Norris ihrem Sohn über die Haare und flüstert ihm etwas ins Ohr.
"Mama", sagt er entsetzt und schiebt sie von sich.
"Ich hab dich auch lieb, mein Kind", lächelnd kommt sie zu mir und ich stehe schnell auf. Anstatt mir die Hand zu geben, nimmt sie mich überschwänglich in den Arm.
"Auf Wiedersehen, Mira. Ich würde mich freuen, wenn du Matt mal zu uns begleiten würdest."
"Ähm, ja, mal sehen. Schönen Abend noch, Mrs. Norris." Zögernd trete ich einen Schritt zurück.
"Nenn mich Angelina. Na dann, vielleicht bis morgen. Kümmre dich gut um ihn." Zwinkernd verlässt sie mit ihrer Enkelin das Zimmer.
"Peinlich", murmelt mein Boss in sein Kissen.
"Ach, ich finde deine Mutter sehr nett", sage ich grinsend.
"Ich hoffe, du willst mich nicht verarschen. Ich bin immer noch dein Vorgesetzter." Sein Lächeln nimmt den Worten die Schärfe.
"Niemals", lache ich und auch er stimmt mit ein, obwohl es bei ihm eher ein Husten wird. Endlich zeigt er seine gute Seite. Gestern konnte ich zwar schon einen kleinen Blick darauf erhaschen, doch sein Verhalten heute Morgen hat alles wieder zunichte gemacht. Entweder ist er aufgetaut oder es liegt an den Medikamenten. Apropos...
"Soll ich dir die Tabletten geben?", frage ich, als er aufgehört hat zu röcheln. Er nickt erschöpft. In der Küche besorge ich ihm ein Glas Wasser und lege ihm die Medikamente in die Hand. Nachdem er sie genommen und mit einem Schluck Wasser heruntergespült hat, lehnt er sich geschafft in die Kissen zurück. Unbehaglich sitze ich wieder neben ihm und sehe Matt beim Dösen zu.
"Ich mache mich wieder auf den Weg", verabschiede ich mich schließlich. Aber bevor ich aufstehen kann, greift der Miesepeter nach meiner Hand.
"Nein, bleib hier. Bitte", flüstert er. Mit seiner Hand zieht er mich zu sich herunter, bis ich neben ihm liege und mein Rücken an seine Brust gepresst ist. Erschrocken bleibe ich starr liegen.
"Entspann dich", haucht er in meinen Nacken und ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper. Der Apfelduft, der ihn wie immer umgibt, vernebelt meine Sinne.
"Matt, du bist mein Chef. Das hier ist nicht richtig", flüstere ich vorsichtig zurück.
"Fühlt es sich für dich falsch an?", will er sanft wissen.
Ich horche in mich hinein. Es ist komisch, neben ihm im Bett zu liegen, seinen warmen Atem im Nacken zu spüren und ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch zu haben. Aber nicht falsch.
"Nein", hauche ich lächelnd.
"Siehst du", mit diesen Worten schlingt er einen Arm um mich und zieht mich näher.
"Vergiss für ein paar Minuten, dass ich dein Chef bin. Stell dir vor, wir wären Freunde."
"Sind wir das?" Ich halte den Atem an. Mal wieder war mein Mund schneller, als meine Gedanken und die Röte breitet sich auf meinen Wangen aus.
"Vielleicht sind wir sogar mehr als das." Er dreht mich zu sich um und wir sehen uns in die Augen. Seine funkeln noch immer ein wenig fiebrig. Mit einer Hand streichelt er meine Wange. Ich kann seinen Atem an meinem Mund spüren.
"Hazlo", (Tu es doch) denke ich ungeduldig. Langsam lehne ich mich zu ihm.
"Ich kann mich einfach nicht mehr zusammenreißen", beichtet er und schließt die Lücke zwischen unseren Gesichtern. Als unsere Lippen sich treffen, wird das Kribbeln in meinem Bauch zu einer Explosion. Ich kann die Glückshormone durch meinen Körper fließen spüren.
Der Kuss wird immer leidenschaftlicher und drücke mich enger an Matt. Seine Hand streicht über meinen Rücken und vergräbt sie dann in meinen Haaren. Blitzschnell dreht er uns, sodass ich auf ihm liege. Als ich meine Hüfte langsam kreisen lasse, stöhnt er.
Ich kann kaum glauben, dass das alles hier wirklich passiert. Meine geheimsten Wünsche und Träume erfüllen sich gerade und scheinbar empfindet Matt etwas für mich.
Sehnsüchtig ziehe ich ihm das Shirt über den Kopf und fahre mit meinen Fingern über seine warme, verschwitzte Brust. Seine Hände fahren unter mein Shirt und seine Berührungen lösen einmal mehr ein Kribbeln in mir aus.
"Ich will dich. Ich habe so lange darauf gewartet", stöhnt er in Ekstase. Ich keuche auf und ab dem Moment kreist kein einziger Gedanke mehr in meinem Kopf. Er ist alles was ich höre, sehe, rieche, spüre, schmecke.
Eine Hand streicht über meine Wange. Ich fühle mich so wohl und glücklich wie lange nicht mehr und will den Moment noch etwas genießen, deswegen öffne ich meine Augen nicht. Ich liege auf dem Rücken, Matt rechts neben mir und ich kann die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster scheinen, auf meiner Haut spüren.
Die Erinnerung an gestern Abend lässt mich strahlen. Matt und ich haben nicht nur einmal miteinander geschlafen. Ich wurde noch nie so gut befriedigt.
Matts Finger streichen von meiner Wange zu meinen Lippen. Gespannt halte ich den Atem an. Als nichts weiter passiert, drehe ich mich in seine Richtung und öffne die Augen. Seine funkeln in dem gewohnten dunkelblau.
"Guten Morgen" Seine Morgenstimme klingt tief und heiser. Ein Kribbeln durchfährt mich. Seine Finger streichen weiter über meine Unterlippe.
"Morgen", flüstere ich. Er lächelt und ich spüre ein erneutes Kribbeln in meinem Bauch. Estoy perdidamente enamorado. (Ich bin unsterblich verliebt.) Mein Blick wandert zu seinen Lippen.
"Hast du gut geschlafen?", fragt er grinsend. Ich kann nur wie hypnotisiert nicken und lehne mich gegen ihn, sodass er auf dem Rücken liegt und ich auf ihm. Langsam nähere ich mich seinem Gesicht kurz bevor sich unsere Lippen berühren, stoppe ich aber. Der Miesepeter sieht jetzt ebenfalls sehnsüchtig auf meinen Mund und schließt die Lücke zwischen uns. Trotzdem zucke ich nochmal kurz vorher weg und provoziere ihn mit einem spöttischen Grinsen. In Sekunden liegen seine Hände an meinen Wangen und zieht meinen Kopf zu ihm. Der Kuss ist ungeduldig und fordernd.
"So könnte ich jeden Morgen aufwachen", sage ich grinsend.
***
"Wie geht es dir?", will ich wissen, als wir in der Küche sitzen.
"Viel besser", antwortet Matt und reicht mir meine Kaffeetasse. Bevor er sich jedoch abwenden kann, nehme ich sein Gesicht in meine Hände und betrachte ihn genau. Seine Augen snd nicht mehr fiebrig und auch seine Stirn fühlt sich nicht mehr heiß an. Zufrieden lasse ich ihn wieder los und er gibt mir amüsiert einen Kuss auf die Nasenspitze.
"Zufrieden, Frau Doktor?" Ich nicke grinsend.
"Fahren wir dann heute zu deiner Mutter?", hake ich nach. Der Miesepeter sieht unentschlossen aus.
"Meine Mutter wird dir auf die Nerven gehen."
"Mach dir keine Sorgen. Damit werde ich schon fertig."
"Du kennst meine Mutter nicht. Sie wird dich nicht aus den Augen lassen und dich ausfragen."
"Du hast doch nur Angst, dass sie mir peinliche Geschichten über dich erzählen könnte."
"Ich weiß einfach nicht, ob das eine so gute Idee ist. Ich bin dein Chef und meine Mutter wird es nicht gut finden, dass ich mit meiner Angestellten schlafe." Ungläubig sehe ich ihn an.
"Ist das dein Ernst? Sie wird es nicht gut finden, dass du mit deiner Angestellten schläfst?" Er zuckt mit den Schultern. Ich bekomme Kopfschmerzen und mein Herz pocht unnatürlich laut in meiner Brust. Eben war noch alles super und jetzt?
"Weißt du was, dann mache ich es dir einfacher. Das Ganze wird nie wieder passieren, also, kein Grund deine Mutter zu verärgern", schreie ich ihn an und springe auf.
"Jetzt zick hier nicht so rum. Das war doch gar nicht...", sagt er genervt.
"Ich geb dir gleich zickig, du Arschloch. ¡Vete a tomar por culo!", (Leck mich am Arsch!/Du kannst mich mal!) wütend schnappe ich mir Schuhe und Jacke und laufe raus. Ich stampfe nach Hause und knalle die Haustür hinter mir zu.
***
"Mira?", ruft Michael aus der Küche.
"Nein!", motze ich, lasse mein Zeug im Flur liegen und laufe in mein Zimmer. Dort werfe ich mich auf mein Bett und vergrabe mein Gesicht im Kissen und schreie aggressiv auf. Mit meinen Fäusten schlage ich neben mir in die Matratze.
"¡Vaya rollo! ¡Gilipollas! ¡Bastardo!", (So ein Scheiß! Arsch! Bastard!) schreie ich. Plötzlich hält jemand meine Handgelenke fest.
"Hey, kleine Löwin. Was ist denn los? Wo kommst du her?", will Michael wissen. Langsam drehe ich mich zu ihm um.
"Bei deinem Arschlochfreund war ich." Fragend sieht er mich an. Ich seufze.
"Ich war gestern Abend bei Matt, weil er krank war. Dort hab ich seine Mutter kennen gelernt. Sie meinte, dass wir heute gerne vorbei kommen könnten. Naja, und als sie weg war...also Matt und ich...wir sind uns näher gekommen", verlegen betrachte ich meine Hände.
"Was genau heißt, ihr seid euch näher gekommen?"
"Wir haben miteinander geschlafen", flüstere ich. Michael stöhnt ungläubig auf.
"Heute morgen war ja noch alles gut. Wir haben uns dann beim Frühstück darüber unterhalten, ob wir seine Mutter besuchen, und weißt du was er gesagt hat? Er meint, dass seine Mutter es nicht gut finden würde, wenn sie erfährt, dass er mit seiner Angestellten schläft. Ich meine, als was sieht er mich? Als One-night-stand? Als Affäre?", unzufrieden lasse ich mich wieder zurück ins Kissen fallen.
"Was machst du nur immer für Sachen? Ich war mir sicher, dass er dich mag. Er war wirklich eifersüchtig, als er dachte, dass wir zusammen wären. Ich denke, er wusste einfach nicht was er sagen soll. Er meinte das bestimmt nicht so", beruhigt er mich und streicht mir über den Arm.
"Warum passiert immer mir so ein Mist?" Tränen fangen an zu laufen. Kaum habe ich mich verliebt und denke, dass meine Träume wahr werden ist es schon wieder vorbei.
Michael legt sich neben mich und nimmt mich in den Arm. Leise schluchze ich an seiner Schulter. Ein paar Minuten später beruhige ich mich langsam und bin zu einer neuen Erkenntnis gekommen.
"Vielleicht ist es besser so. Immerhin hätte ich ihn in Gefahr gebracht, wenn ich mit ihm zusammen gekommen wäre. Aber er scheint ja sowieso nicht an einer Beziehung mit mir interessiert zu sein."
"Mira, mach dich nicht fertig. Er ist ein Blödmann und verdammt dumm, wenn er dich nicht will. Entweder er sieht seinen Fehler ein oder du hakst ihn ab und vergisst ihn."
"Wie soll denn das gehen? Er ist mein Boss."
"Das kriegen wir schon hin."
Am nächsten Tag beschließe ich einfach so zu tun, als wäre nichts passiert.
Aber bereits nach einer Stunde mit Matt in einem Raum halte ich es nicht mehr aus. Wir schweigen uns konsequent an und werfen nur ab und zu einen verstohlenen Blick zu. Wenn sich unsere Blicke dabei zufällig begegnen, sehen wir uns nur wütend an.
"Mira, kommst du mal eben rüber?", rettet Clara mich schließlich. Sofort stehe ich auf und will ihr aus dem Raum folgen.
"Du bist noch nicht fertig. Setz dich hin", keift Matt, ohne aufzublicken. Fassungslos starre ich ihn an. Das Ganze kommt mir vor wie ein Déjà-vu. Scheinbar sind wir wieder am Anfang.
"Clara braucht meine Hilfe. Ich bin gleich zurück und kümmere mich um meine anderen Aufgaben."
"Setz dich hin"
"Ich werde jetzt gehen, Matt."
"Ich sagte: Setz dich hin!", schreit er jetzt und blickt endlich auf.
Kopfschüttelnd wende ich mich ab. Während ich den Raum verlasse sehe ich ihn nochmal enttäuscht an. Er ist sauer auf mich, obwohl es anders herum eher angebracht wäre. Vielleicht habe ich gestern überreagiert, aber das gibt ihm nicht das Recht mich so zu behandeln.
"Mira, ist alles in Ordnung? Warum ist er denn so schlecht drauf?", hakt meine Kollegin verwundert nach. Sie ist sichtlich erschrocken über seinen Ausbruch.
"Wir hatten einen Streit", sage ich nur und setze mich neben sie an ihren Schreibtisch.
"Einen Streit?", fragend sieht sie mich an. Seufzend erkläre ich ihr die Situation, denn wir sind immerhin Freundinnen und möglicherweise weiß sie was zu tun ist. Sie kennt Matt um einiges länger als ich.
"Ich hab total überreagiert, oder ? Ich hab mich blöd verhalten und jetzt ist er sauer", seufze ich.
"Wow, ich wusste, dass da was läuft", lächelt sie. Dan grübelt sie einen Moment, bevor ihre Augen plötzlich anfangen zu leuchten. "Ich habe eine Idee. Provokation" Geheimnisvoll lächelt sie mich an.
"Provokation?", verständnislos zucke ich mit den Schultern.
"Du widersetzt dich doch auch seinen Anweisungen, also weißt du wie es geht. Jetzt musst du das Ganze nur sexy gestalten." Komplett verwirrt sehe ich sie an. ¿De qué habla? (Wovon redet sie?)
"Zieh kurze Sachen an, spiele an deinem Ausschnitt, fahre dir durch die Haare, über die Lippen... Du weißt doch wohl, wie man einen Mann heiß macht?!"
"Bist du dir sicher, dass das klappt? Ich bin doch keine Schlampe und ich bin mir sicher, dass er genau das nach der Aktion denken wird."
"Mach dir keine Gedanken, wenn es nicht funktioniert kannst du es immer noch anders probieren."
***
Claras Rat im Hinterkopf sitze ich also wieder im Büro und kaue nervös auf meiner Unterlippe, anstatt zu arbeiten. Matt ignoriert mich jetzt komplett und ich bin mir sicher, dass ihr Plan so nicht klappen wird.
"Matt", räuspere ich mich, doch er arbeitet wieter, ohne mit der Wimper zu zucken. "Es tut mir Leid, dass ich einfach gegangen bin. Ich möchte keinen Streit auf der Arbeit, also müssen wir uns beide zusammenreißen." Wieder nichts. ¡Será capaz! (Der Typ ist echt dreist!)
Ich versuche es nicht noch einmal, sondern konzentriere mich wieder auf meine Arbeit. Zumindest bis ich wieder seine Blicke auf mir spüre.
Langsam fahre ich mir über das Dekolleté und spiele mit meiner Bluse. Doch der Miesepeter sieht gelangweilt wieder weg. Es bringt doch nichts. Frustriert lehne ich mich zurück und lasse den Kopf in den Nacken fallen. Dann besinne ich mich aber und schreibe weiter an dem angefangenen Dokument.
Nach wenigen Stunden bin ich bei meiner letzten Mail angekommen. Danach kann ich endlich Feierabend machen und muss Matt nicht länger ertragen. Müde strecke ich mich, wobei meine Bluse hochrutscht. Sofort kleben Matts Augen auf dem freien Stückchen Haut, welches zu sehen ist. Mit der Zunge fährt er sich unbewusst über die Lippen.
Mutig durch seine Reaktion schiebe ich unauffällig meinen Rock höher. Als er wieder zu mir sieht überschlage ich meine Beine, wobei er noch höher rutscht. Matts Blick gleitet über meine Beine und er schluckt schwer, ehe er sich kopfschüttelnd wieder abwendet.
Ay, es lässt ihn nicht kalt. (Oh mein Gott) Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren!
Um wirklich sicher zu sein fahre ich mir mit der Zunge über die Lippen, bevor ich mit meinen Händen meinen Nacken massiere und sie dann zu meinem Gesicht fahren lasse. Schließlich streiche ich mir hauchzart über die Lippen.
Als ich zum Miesepeter schaue, rutscht er unbehaglich auf seinem Stuhl herum und ich reiße erschrocken die Augen auf. Auch wenn ich nicht viel getan habe ist er unübersehbar erregt. Eine kleine Beule zeichnet sich durch seine Hose ab und ich spüre wie ich grinse. Scheinbar hat diese Aktion wirklich etwas bewirkt.
Immer noch lächelnd schicke ich die Mail ab und fahre den Computer herunter. Langsam stehe ich auf und ziehe mir meine Jacke über.
"Ich gehe jetzt", informiere ich meinen Boss, ehe ich mich provokant nach unten beuge, um meine Handtasche aufzuheben. Dabei strecke ich ihm meinen Hintern direkt entgegen.
Unschuldig lächelnd drehe ich mich um, fahre aber erschrocken zurück, weil der Miesepeter plötzlich direkt vor mir steht.
Er packt meine Hüfte und drängt mich gegen den Schreibtisch.
"Was bezweckst du? Willst du mich scharf machen? Herzlichen Glückwunsch, das hast du geschafft!", knurrt er mit rauer Stimme. Ich zucke nur mit den Schultern und sehe ihn weiter an. Nervös kaue ich auf meinen Lippen. Doch Sekunden später liegen Matts auf meinen. Sanft, aber leidenschaftlich küsst er mich und hebt mich ein wenig an, um mich auf der Tischplatte wieder abzusetzen.
Er stellt sich zwischen meine Beine und zieht mich so nah an sich, dass ich seine Erregung deutlich spüren kann.
Auch, wenn der letzte Sex nicht allzu lange her ist, merke ich, wie meine Sehnsucht erfüllt wird. Als hätte ich Ewigkeiten darauf gewartet. Seine Lippen machen süchtig!
Doch schließlich stoppe ich ihn.
"Matt, warte. Ich möchte das erstmal klären." Er stöhnt genervt auf und beginnt auf meinem Hals zarte Küsse zu verteilen.
"Matt, ich meine das Ernst", bestimmt schiebe ich ihn von mir, "Wir können nicht einfach weitermachen, wo wir Sonntag aufgehört haben."
"Was willst du von mir?", fragt er direkt und starrt mich eindringlich an.
"Du schüchterst mich nicht ein. Du bist vielleicht mein Chef, aber ich lasse mich nicht von dir herumschubsen. Mir hat der Sex gefallen und ich mag dich. Jetzt möchte ich wissen, wie es bei dir aussieht!"
"Der Sex war toll", murmelt er.
"Und?", frage ich mit hochgezogener Augenbraue.
"Ich habe keine Ahnung, wie ich für dich fühle. Du bist scharf und du kümmerst dich um mich und sogar um Elli. Du lässt dich nicht unterkriegen und es ist unglaublich heiß, wenn du mir Contra gibst. Aber ich werde dir jetzt sicher nicht ein glückliches gemeinsames Leben, eine harmonische Ehe und hundert Kinder versprechen. Ich bin kein Typ für die ewige Liebe."
"Matt, das verlange ich auch nicht. Ich möchte lediglich wissen, als was du mich siehst? Was bin ich für dich? Ein heißer One-night-Stand? Eine Affäre? Eine Angestellte, die du ab und zu vögelst?"
"Jetzt hör auf darauf herumzureiten. Reite lieber auf mir", sagt er augenzwinkernd. So gerne ich mit ihm lachen würde, müssen wir diese Sache erst einmal klären.
"Matt, hör jetzt auf! Ich möchte das klären, die Situation wird dadurch nicht besser", fahre ich ihn wütend an. Es war doch klar, dass er wieder ablenkt.
"Ist ja okay. Du bist kein One-night-Stand, sonst würden wir doch nicht schon wieder herummachen. Und das mit der Angestellten war nur blöd dahingesagt. Ich mag dich und ich will dich näher kennenlernen. Und ich schlafe gerne mit dir. Können wir nicht einfach gucken worauf es hinausläuft, als uns in eine Beziehung zu zwängen, die niemanden glücklich macht?"
"Wenn du das möchtest."
"Ich habe gerne meine Freiheit, aber von mir aus machen wir ein paar Regeln. Vielleicht wird es dann irgendwann eine Beziehung. Damit sind wir beide zufrieden, oder?"
"Okay", stimme ich lächelnd zu, "Erstens, es gibt keine anderen. Du bist der Einzige den ich küsse, anfasse und mit dem ich schlafe, während der Deal läuft. Das gilt anders herum genauso."
"Dann brauchst du viel Ausdauer", grinst er und ich schubse ihn kichernd weg.
"Zweitens, es gibt keine Kontrolle. Du wirst mich nicht fragen mit wem ich wann, wo und wie unterwegs bin. Du wirst nicht mein Handy oder meinen Terminkalender durchstöbern. Anders herum genauso."
"Das würde ich nicht machen. Damit haben wir Eifersucht schonmal ausgeschlossen. Und wie machen wir es auf der Arbeit? Treten wir als Paar auf oder nur professionell?", frage ich.
"Im Büro ist niemand außer uns, also können wir tun und lassen, was wir wollen. Aber bei Geschäftsterminen sind wir nur Chef und Angestellte", erklärt er nach kurzem Überlegen. "Und jetzt machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben", grinst er und küsst mich.
Der Sex mit ihm war einfach unbeschreiblich. Nur langsam beginne ich wieder klarer zu werden und sehe mich erschrocken um.
"Was ist, wenn uns jemand gehört hat?"
"Mira beruhige dich. Was wir in unserem Büro tun, geht niemanden etwas an." Lächelnd zieht er mich an seine nackte Brust und ich seufze. Seine Hand streichelt sanft mein Haar, als ich ihm einen Kuss auf die Brustmuskeln drücke. Dann schiebe ich ihn von mir und hebe meine Kleidung vom Boden.
Ein Klopfen an der Tür lässt mich aufschrecken.
"Moment", rufe ich. Panisch fauche ich etwas leiser: "Matt, jetzt zieh dich endlich an."
Während er amüsiert lacht und in Seelenruhe seine Hose und sein Hemd überstreift, prüfe ich mit einem Blick in meine Spiegelung im Fenster mein Aussehen. Abgesehen von meinen hoffnungslos verstrubbelten Haaren und dem leichten Schweißfilm auf meiner Haut sehe ich ganz annehmbar aus. Dafür, dass ich gerade ziemlich wilden Sex hatte.
Trotz der merkwürdigen Situation muss ich bei dem Gedanken grinsen.
"Mr. Norris?", dringt die Stimme von Clara durch die Tür und ich öffne sie schnell.
Meine Freundin wirft mir ein Zwinkern zu, nachdem sie meinen Chef und mich kurz gemustert hat.
Genervt stelle ich fest, dass Matt noch immer dabei ist seine Hemdenknöpfe zu schließen. Aber er sieht nicht so aus, als würde es ihn stören, dass Clara genau weiß, was in der letzten Stunde hier gelaufen ist.
"Mr. Norris, ich soll ihnen ausrichten, dass Tobias gerne ein Projekt mit Ihnen besprechen möchte." "Jetzt", fügt sie an, als der Miesepeter keine Anstalten macht zu verschwinden.
"Okay, danke. Ich komme sofort."
"Wollen wir Mittagessen gehen, Mira?", fragt Clara und sieht mich durchdringend an. Ich kann mir vorstellen, dass sie darauf brennt zu erfahren, was genau Matt und ich getan haben.
"Ähm, ja klar", nervös lächle ich sie an.
"Super, in 5 Minuten am Aufzug", sagt sie noch und verschwindet aus dem Büro.
"Ich dachte wir wollten es nicht gleich öffentlich machen?!", zische ich.
"Was kann ich dafür, wenn du sofort die Tür aufreißt?" Ganz entspannt steht Matt da und grinst mich an.
"Komm schon, Mira. Was ist so schlimm daran, dass Clara es weiß? Sie ist deine Freundin", beruhigend zieht er mich erneut an seine Brust und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. Es ist erstaunlich, wie schnell dieser Mann mich wieder runterbringen kann.
"Ich muss jetzt los, tesoro", (Schatz) sage ich um einiges entspannter. "Clara wartet auf die Einzelheiten der letzten Stunde." Augenverdrehend nehme ich meine Tasche und gehe zur Tür. Doch bevor ich gehe, überlege ich es mir anders und küsse Matt nochmal kurz.
***
"Ich wusste, dass es funktioniert", meint Clara triumphierend und beißt von ihrem Käsebrötchen ab.
"Eigentlich war ich mir nicht so sicher. Er hat am Anfang überhaupt nicht reagiert."
"Und dann?", fragt sie mit vollem Mund.
"Er hat mich geküsst, aber ich habe ihm klar gemacht, dass ich erstmal reden möchte. Wir haben einen Deal ausgehandelt", erkläre ich.
"Moment, er wollte Sex, aber du hast ihn zum Reden genötigt?", lacht sie amüsiert. Ich zucke nur siegessicher mit den Schultern.
"Und was für einen Deal habt ihr gemacht?"
"Einfach ein paar Regeln, wie wir zueinander stehen. Aber wir sind nicht zusammen, wir haben nur hin und wieder Sex." Clara schüttelt enttäuscht den Kopf.
"Mira, bist du dir sicher, dass du damit klar kommst? Ich weiß, dass du dich in Matthias verliebt hast."
"Versuch bitte einfach mich zu verstehen. Ich mag Matt, vielleicht liebe ich ihn sogar. Aber er kann mir nicht mehr als das geben, also nehme ich, was ich kriegen kann." Mit der Hand streiche ich mir ein Locke aus dem Gesicht und sehe Clara eindringlich an. Sie seufzt schwer.
"In Ordnung, ich werde mich nicht einmischen. Ich hoffe für dich, dass er erkennt, dass er sich auch liebt."
"Danke, Clara", lächle ich.
***
Glücklich komme ich am Abend nach Hause und bereite das Abendessen zu. Nebenbei singe ich zu den Songs im Radio und decke den Tisch.
Vor ein paar Tagen ist wieder eine Postkarte von Ida und Max gekommen, die mittlerweile in Ghana sind. Ich habe mit ihr telefoniert und sie hat sich unglaublich über die Entwicklung zwischen Matt und mir gefreut. Von Mauricio habe ich ihr erstmal nichts erzählt, sie hat sicherlich genug zu tun. Da muss sie sich nicht noch Sorgen um mich machen. Außerdem hat er sich ja seit dem Geschäftsessen nicht mehr gemeldet.
"Ich bin zu Hause", ruft Michael und wenige Sekunden später ist er dem Geruch des Essens in die Küche gefolgt.
"Hallo, kleine Löwin", er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und sieht dann in die Pfanne.
"Mhmmm, spanisches Essen. Das riecht wirklich lecker. Wann können wir essen?"
"Jetzt", lache ich und er hält mir ungeduldig seinen Teller hin.
Wir reden über dies und das, während wir die Empanadas verschlingen.
"Michael, ich muss dir was erzählen", fange ich lächelnd an. ¡Siento una gran felicidad! (Ich fühle großes Glück!) Überrascht sieht mein bester Freund mich an.
"Ich habe mit Matt geredet und den Streit geklärt."
"Na geht doch. Seid ihr jetzt endlich zusammen?", fragt er.
"Nein, wir haben eine kleine Vereinbarung. Wir verhalten uns vielleicht wie ein Paar, aber wir haben Regeln, damit niemand sich unwohl oder eingeengt fühlt." Diesen Deal zu erklären ist wirklich schwierig, ihn auszuführen hoffentlich nicht.
"Warum könnt ihr euch nicht einfach eure Gefühle eingestehen?", murmelt Michael genervt. "Und du denkst das klappt?"
"Wahrscheinlich versteht es niemand, aber für uns ist das die beste Lösung", mache ich deutlich. Es nervt mich, dass scheinbar jeder denkt, dass wir es nicht schaffen werden. Gerade deswegen will ich noch mehr, dass es klappt.
Michael nimmt meine Hand uns sieht mir tief in die Augen. Seine hellbraune Iris lässt mich an einen Welpen denken und ich kann ihm einfach nicht böse sein.
"Es tut mir Leid, du bist stark und du weißt, was du tust." Ich nicke bestätigend. Ja, ich weiß genau, was ich tue.
***
Mein Handyklingeln reißt mich aus meinem Schlaf. Müde taste ich nach dem Ding und nehme den Anruf an.
"Ja", melde ich mich.
"Hey Schönheit", sagt Matt und ich sitze aufrecht im Bett.
"Matt... Warum rufst du an?", verwundert sehe ich auf den Wecker, der 23Uhr anzeigt.
"Ich steh vor Michaels Haus. Nimm dir Sachen für morgen mit und komm raus", weist er mich an, ehe er auflegt. Seufzend nehme ich eine Sporttasche und packe ein paar Dinge ein. Im Flur ziehe ich Schuhe und Jacke an. Dann trete ich so leise wie möglich aus dem Haus und gehe zu Matts Auto.
Er drückt mir eine kurzen Kuss auf den Mund und fährt los.
"Ich hoffe das läuft jetzt nicht immer so", sage ich und lehne mich an das Fenster. Langsam verfliegt jedoch meine Müdigkeit.
"Ich hab dir gesagt, was auf dich zukommt. Du willst meine Gelüste befriedigen, also musst du auch 24 Stunden am Tag dazu bereit sein."
"Davon träumst du", murmle ich kopfschüttelnd. Bei ihm zu Hause angekommen laufe ich direkt hoch in sein Schlafzimmer und lege mich ins Bett. Matt kommt hinterher und zieht sich aus, während er mich beobachtet. Bei seinem halbnackten Anblick verschwindet meine Müdigkeit augenblicklich.
"Jetzt mach", sage ich ungeduldig, weil auch ich meine Lust nicht mehr unterdrücken kann. Sein Körper lässt mich nicht kalt.
Langsam legt der Miesepeter sich über mich und beginnt mich zu küssen.
Ich gebe Matt die Unterlagen, die er unterschreiben muss. Doch bevor ich zu meinem Schreibtisch zurückgehen kann, packt er mich am Handgelenk und zieht mich auf seinen Schoß.
"Hab ich dir schon gesagt, wie heiß du heute aussiehst, Liebling?" Der Kosename lässt mich ihn überrascht mustern. Ein so liebevolles Wort passt nicht zu seiner sonstigen Redensart. Aber gerade deswegen macht es mich noch glücklicher.
"Ja, ungefähr hundert Mal", lächle ich und gebe ihm einen langen Kuss.
"Komm heute Abend zu mir. Ich hab eine Überraschung für dich", verkündet er.
"Eine Überraschung?", aufgeregt sehe ich ihn an.
Seit fast zwei Wochen läuft unsere Abmachung jetzt schon. Und es funktioniert einwandfrei. Meine Freunde sind zwar immer noch skeptisch, aber mit jedem Tag werden auch sie überzeugter, dass ich eine gute Entscheidung getroffen habe.
Matt und ich haben uns bei der Arbeit gesehen und drei Nächte habe ich bei ihm übernachtet. Wir haben beschlossen nicht permanent aufeinander zu hocken, auch wenn es mich nicht wirklich gestört hätte.
"Also, kommst du?", reißt der Miesepeter mich aus meinen Gedanken.
"Klar, ich kann es kaum erwarten", grinse ich und streiche ihm durchs Haar. "Im Übrigen siehst du auch nicht schlecht aus."
Lachend stehe ich von seinem Schoß auf und setze mich diesmal wirklich zurück auf meinen Bürostuhl.
"Vielen Dank auch. Vielleicht sollte ich mir das mit der Überraschung nochmal überlegen", droht er spielerisch.
Frech strecke ich ihm die Zunge raus: "Dann bekommst du eine Woche keinen Sex mehr."
In wenigen Augenblicken steht Matt über mir und stützt seine Arme neben mir auf die Stuhllehnen.
"Wage es nicht mir zu drohen, Liebling. Du spielst mit dem Feuer." Sein Mund wandert zu meinem Hals und er leckt mit seiner Zunge über meine empfindliche Stelle an meiner Pulsader.
Mir entfährt ein Keuchen und ich ziehe ihn an seinem Hemdkragen näher an mich heran. Meine Augen schließe ich genießerisch, während Matt leichte Küsse und Bisse an meinem Hals verteilt.
***
Am Abend stehe ich summend unter der Dusche und wasche mir den Schaum aus meinen lockigen Haaren.
Ich schlinge mir ein flauschiges blaues Handtuch um, als mein Handy brummend eine SMS ankündigt.
»Hey Liebling, pack dir eine Tasche für das ganze Wochenende und vergiss deinen Bikini nicht. Wir sehen uns um 21:00Uhr bei mir«, verkündet mein Handy und ich bleibe einen Moment verwirrt stehen.
Soll ich übers Wochenende bei Matt bleiben? Warum hat er mir nicht früher Bescheid gesagt? Wie soll ich denn in einer halben Stunde alles fertig haben? Esto me vuelve loco. (Das macht mich wahnsinnig.)
Gestresst laufe ich in mein Schlafzimmer und hole meine kleine schwarze Reisetasche vom Schrank. Ich ziehe mir schwarze Unterwäsche und darüber ein weißes Langarmshirt und eine graue Jogginghose an.
In meine Tasche werfe ich wahllos ein paar Oberteile, Hosen und Kleider. Dazu kommen Unterwäsche, Socken, Schlafsachen und mein Kulturbeutel. Fast vergesse ich meinen Bikini, packe ihn aber in letzter Sekunde noch ein.
Völlig außer Atem komme ich in meinen schwarzen Chucks, meiner schwarzen Lederjacke und der Reisetasche über dem Arm vor Matts Haus an. Aufgeregt klingle ich an der Tür.
"Hallo Mira", begrüßt mich überraschenderweise Elena. Sie macht mir die Tür auf und zieht mich an einer Hand direkt in die Küche.
"Onkel Matt hat gesagt wir sollen hier auf ihn warten", erklärt sie und klettert auf einen der Stühle.
"Wie waren die Tage bei Matt?", frage ich sie und sofort beginnt sie aufgeregt von einem Pool im Garten und selbstgemachtem Erdbeereis zu berichten.
"Hey, Mira" Matt taucht plötzlich hinter mir auf und grinst mich an. Er geht zu Elena und streicht ihr über den Kopf.
"Hast du deinen Rucksack unten?", will er von ihr wissen und sie nickt. "Super, dann hol ihn her und wir bringen dich zu Oma, in Ordnung?"
Elena springt auf uns läuft ins Wohnzimmer. Matt kommt auf mich zu und gibt mir einen Kuss. Mit den Händen streicht er an meinen Seiten entlang.
"Bereit für deine Überraschung, Liebling?"
"Klar", erwidere ich. Matts Nichte kommt wieder und hält einen Rucksack in ihrer Hand. Mein Chef nimmt sowohl ihren Rucksack, als auch meine Tasche und schiebt Elena und mich aus der Haustür.
Im Kofferraum liegt auch eine Tasche von ihm und ich sehe ihn verwundert an: "Fahren wir weg?"
"Ja, aber erst liefern wir Elli bei meiner Mutter ab", erzählt er und schnallt sie an. Überfordert setzte ich mich auf den Beifahrersitz.
Elenas Gebrabbel unterhält uns auf der Fahrt, aber nachdem sie ausgestiegen ist, herrscht erst einmal Schweigen.
"Wohin fahren wir?", frage ich ihn.
"Liebling, kennst du die Definition einer Überraschung?", er sieht mich liebevoll an und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel.
"Und wie lange fahren wir dann noch?" Ungeduldig sehe ich ihn an. Doch er schüttelt nur lachend den Kopf.
Seufzend nehme ich seine Hand auf meinem Knie und hauche ihm einen Kuss darauf. Im nächsten Moment lasse ich sie wieder los und erinnere mich daran, dass Matt und ich nur einen Deal haben.
"Was ist los?", fragt er, verwundert wegen meinem Verhalten.
"Nichts", lüge ich und drehe mich zum Fenster. Er darf nicht erfahren, dass ich mehr für ihn empfinde. Dann wäre unsere Abmachung beendet und ich muss mich tagelang mit meinem Liebeskummer herumschlagen. Eine egoistische Denkweise, aber ich finde, ich habe mal wieder etwas Glück verdient.
"Mira, lass die Spielchen! Was ist los mit dir?", genervt stöhnt er auf, als ich nicht antworte. "Was stört dich plötzlich?"
"Que pelmazo, ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen", (Was für eine Nervensäge) antworte ich aufgebracht.
"Was meinst du damit?", verständnislos blickt der Miesepeter kurz zu mir rüber, während er das Auto durch den Verkehr steuert.
"Ich weiß, dass wir nur eine Abmachung haben und keine Beziehung führen, aber manchmal fühlt es sich so an und ich tue Dinge, die zu vertraut sind", versuche ich meine Gefühle zu beschreiben.
"Mira, jetzt beruhig dich. Wir haben diesen Deal gemacht, weil wir uns mögen und guten Sex haben. Wenn dir danach ist zärtliche Dinge zu tun, dann tue es. Ich werde dir sagen, wenn du zu weit gehst oder ich mich unwohl fühle." Er streichelt sanft meine Wange.
Beruhigt kuschle ich mich gegen seine Handfläche.
"Ich möchte nicht, dass unsere Abmachung aufhört, nur weil ich mich nicht zusammenreißen konnte."
"Wir wollten beide Befriedigung. Wenn du kuscheln, tiefsinnige Gespräche führen oder sowas möchtest dann darfst du das gerne tun, auch wenn ich nicht wirklich ein Fan davon bin. Ich habe dir mein Wort gegeben und du erfüllst mir umgekehrt doch auch meine Wünsche."
Seine Worte lösen ein Kribbeln in meinem Bauch aus. Er ist so liebevoll zu mir und gibt mir das Gefühl mich für nichts schlecht fühlen zu müssen. Aber er wird nicht erfahren, dass ich mich in ihn verliebt habe. Ich weiß auch so, dass er meine Gefühle nicht erwidert.
Zwei Stunden später kommen wir auf einem Parkplatz mitten im Wald an. Staunend steige ich aus und betrachte das Haus vor mir. Es ist nicht übertrieben groß, aber eine beachtliche Waldhütte.
Matt kommt mit unseren Taschen und öffnet mir die Tür. Gespannt betrete ich das Wohnzimmer. Mein Blick fällt auf einen Kamin auf der rechten Seite. Davor liegt ein großer kuschliger Teppich. Durch eine Terrassentür kommt man auf die Veranda. Unter dem Fenster steht eine graue Couch, daneben befindet sich ein Esstisch.
Mein Chef führt mich nach links in die angrenzende Holzküche. Darin auch eine Treppe, die ins Obergeschoss führt, die Matt gerade erklimmt.
Ich gehe ihm hinterher und wir kommen durch die rechte der drei Türen im Flur in ein modernes Schlafzimmer in grau und braun. Unverzüglich lasse ich mich auf das weiche Bett fallen.
"Gefällt es dir hier?", fragt Matt lächelnd und beugt sich über mich.
"Es ist wunderschön", antworte ich versonnen und drücke ihm einen langen Kuss auf den Mund.
Dieses Wochenende wird wunderschön, da bin ich mir sicher.
"Wollen wir Schlafen gehen? Wir haben morgen noch was vor", meint Matt gähnend. No me extraña, er ist ja auch mehrere Sunden Auto gefahren. (Kein Wunder)
Ich nicke und gehe zu meiner Reisetasche, um meine Shorts und das Top zum Schlafen herauszuholen.
Auch Matt steht vom Bett auf und zeigt mir das Bad gegenüber der Treppe.
Es ist klein, aber eine Badewanne, eine Toilette, ein Waschbecken und ein Schrank haben darin Platz. Während ich mich umziehe, steigt der Miesepeter unter die Dusche.
Den ein oder anderen Blick kann ich mir nicht verkneifen.
Ich stehe schließlich vor dem Spiegel und putze meine Zähne. Matt kommt aus der Dusche, nur mit einem Handtuch um die Hüfte. Ich drehe mich zu ihm und lehne mich gegen das Waschbecken. Er stellt sich vor mich und legt seine Hände an meine Seiten.
"Ich schätze in diesem Aufzug wirst du heute Nacht nicht zum Schlafen kommen", grinst er.
Ich nehme die Zahnbürste aus dem Mund und spucke aus. Ganz langsam wasche ich mir den Mund und lege die Bürste weg. "Das sagt der Richtige", erwidere ich dann mit einem Blick auf das Handtuch.
Ich schmiege mich an seine warme Brust und gebe ihm einen Kuss. Mein Körper steht in Flammen, als er mich überall berührt und streichelt.
Ohne Umwege gehen wir zurück ins Schlafzimmer und ich drücke ihn auf das Bett, bevor ich auf seinen Schoß klettere.
***
Am nächsten Morgen schlage ich ausgeruht die Augen auf und kuschle mich nochmal in die Bettdecke. Mit einem Blick neben mich stelle ich fest, dass Matt schon aufgestanden sein muss.
Langsam stehe ich auf, strecke mich und nehme mir dann ein Sommerkleid aus meinem Koffer. Im Bad ziehe ich mich an, putze meine Zähne und wasche mir kurz mein Gesicht. Unten angekommen kann ich Matt jedoch auch nicht entdecken.
Mit einer Tasse Kaffee in der Hand trete ich nach draußen auf die Terrasse. Die Sonne scheint mir durch die Bäume direkt ins Gesicht. Ich bleibe einen Moment stehen und genieße das herrliche Wetter.
Den Geräuschen folgend gehe ich einen kleinen Weg entlang, der mich auf eine kleine Lichtung führt.
Hier ist Matt gerade dabei, nur in kurzer Trainingshose bekleidet, Sport zu treiben. Ich habe mich schon gefragt wie er es neben der Arbeit und Elena schafft seinen Körper zu trainieren.
Er macht Liegestütze und ich sehe ihm unbemerkt zu.
Schweiß rinnt über seine angespannten Muskeln und sein trainierter Rücken lässt mich hart schlucken.
Als er mich bemerkt grinst er wissend, denn ihm ist natürlich mein Starren nicht entgangen.
"Guten Morgen, Liebling", sagt er und gibt mir einen Kuss. Angeheizt von seinem Auftritt vertiefe ich den Kuss und ziehe ihn näher.
Nachdem wir uns atemlos voneinander gelöst haben, gehen wir zurück ins Haus und frühstücken.
"Was genau hast du eigentlich heute geplant?", will ich von ihm wissen.
"Wir gehen schwimmen", antwortet er augenzwinkernd.
Er schickt mich hoch, um mir meinen Bikini anzuziehen und ich bin wenige Minuten später mit einem Handtuch wieder unten. Matt nimmt meine Hand und wir schlendern durch den Wald. Es ist ruhig, bis auf das Zwitschern der Vögel und die Luft ist frisch.
"Es ist so schön hier", seufze ich.
"Ich komme so oft her, wie ich kann. Dieser Ort strahlt so viel Ruhe aus. Es ist schön nach einer so anstrengenden Arbeitswoche hier zu sein." Mein Chef lächelt zufrieden und legt den Arm um meine Schulter, während wir das Rauschen der Blätter und die Wärme der Sonne genießen.
Nur wenige Minuten später kommen wir an einen See, umgeben von Pflanzen und Felsen. Ich bleibe erstaunt stehen und kann es nicht erwarten in den See zu springen. Deswegen werfe ich mein Handtuch neben mich auf den weichen Moosteppich und bin mit wenigen Schritten am Ufer.
Vorsichtig setze ich einen Fuß in das kühlende Nass, um die Wassertemperatur zu fühlen. Auch wenn ich im ersten Moment fröstelnd zurückzucken möchte, mache ich noch einen Schritt und begebe mich bis zur Hüfte in den See. Schnell gewöhne ich mich an die Kälte und lasse mich ganz hinein gleiten. Mit einigen Schwimmzügen bewege ich mich auf die gegenüberliegende Seite. Dort befinden sich große Steine, die aus dem Wasser ragen.
Auf einen Kleineren setze ich mich, sodass nur mein Oberkörper zu sehen ist.
Als neben mir ein Kopf auftaucht erschrecke ich mich ordentlich und rutsche beinahe vom Stein, hätte der Fremde nicht reflexartig die Arme um mich geschlungen. Ich sehe auf und bemerke, dass es nur Matt ist, der sich angeschlichen hat. In meiner Faszination für diesen Ort habe ich ihn völlig vergessen und grinse ihn jetzt begeistert an.
"Es wird ja immer besser. An deiner Stelle würde ich auch viel Zeit hier verbringen." Er rutscht hinter mich auf den Stein und legt seine Arme um mich.
"Soll ich dir sagen, was diesen Ort noch schöner macht?", flüstert er sanft in mein Ohr und wartet nicht auf meine Antwort. "Du"
Geschmeichelt lehne ich mich gegen seine Brust, die trotz der Kälte des Wassers erstaunlich warm ist. Mit einer Hand fahre ich seine Finger, die auf meinem Bauch liegen nach und starre auf die Wasseroberfläche.
"Die anderen haben behauptet wir würden es nicht schaffen", murmle ich gedankenverloren.
"Was?", fragt Matt und malt Muster auf meine Haut, während er leichte Küsse auf meiner Schulter verteilt, die mich erschaudern lassen. Seine andere Hand streicht mein Haar aus meinem Nacken, um kurz darauf auch darauf heiße Küsse zu hauchen.
"Sie dachten wir könnten uns nicht an den Deal halten und würden unglücklich sein", antworte ich, ohne meine Gefühle für ihn zu erwähnen. Er lockert den Griff um mich und dreht meinen Kopf ein wenig zu ihm.
"Bist du unglücklich?" Seine Frage lässt mich ihn verwundert ansehen.
"Natürlich nicht", sage ich bestimmt. "Du?"
"Gerade bin ich sehr glücklich", lächelt er und küsst mich auf den Mund. Ich drehe mich ganz zu ihm um und schlinge meine Arme um seinen Nacken. Seine Hände beginnen meinen Po zu kneten und ich stöhne in seinen Mund. Seine Erektion drückt sich gegen meine Bikinihose und ich lasse meine Hand in seiner Badehose verschwinden, woraufhin Matts Stöhnen lauter wird.
"Ich will dich", keucht er und entledigt mich meines Bikinis.
Etwas später sitzen wir, in unsere Handtücher gehüllt, am Ufer.
"Komm schon, noch einmal", bettle ich Matt an, der auf seinem Rücken in der Sonne liegt. Sein braunes Haar ist fast trocken und liegt ungeordnet auf seinem Kopf. Auch wenn der geschniegelte und gestriegelte Büro-Matt mich sehr reizt, sieht er in diesem lockeren Alltags-Look noch besser aus.
Um nicht zu sabbern, stehe ich auf und halte ihm meine Hand hin.
"Na los, du Fettsack. Noch eine Runde schwimmen und dann können wir zurück", sage ich mit einem Blick auf den Himmel. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, ist es bereits Nachmittag.
"Wenn du dann endlich aufhörst zu nerven", sagt er geschlagen und steht auf. Mit mir an der Hand begibt er sich wieder ins Wasser und ich halte mich an seinen Schultern fest.
"Ich dachte du wolltest schwimmen?"
"Du schaffst das schon, mein starker Held", lache ich und lasse mich von ihm mitziehen.
"Jaja, erst ein Fettsack, jetzt ein starker Held..." Er schwimmt wieder zur steinigen Seite, bis er an der Felswand angekommen ist. Ein kleiner Wasserfall fließt dort.
"Kletter rauf" Er deutet auf einige Steine, die wie übereinander gestapelt daliegen. Unsicher sehe ich ihn an, klettere dann aber doch auf einen Vorsprung, ehe ich mich etwas höher auf einen Fels stelle. Auch wenn ich natürlich etwas abseits des Wasserfalls stehe ist es sehr rutschig auf dem bewachsenen Untergrund.Matt kommt mir gekonnt hinterher. Es scheint, als habe er das schon hunderte Male getan.
"Ich war früher oft mit Freunden hier und wir haben uns mit rasanten Stunts in die Fluten geworfen", bestätigt er meine Vermutung großspurig. Ohne lange zu Überlegen macht er einen Salto in den See. Erschrocken, aber beeindruckt sehe ich ihm nach.
Ich muss lachen, als er auftaucht und sich wie ein Model die Haare aus dem Gesicht streicht. Er bleibt einige Sekunden in der Pose, bevor er zu mir herauf grinst.
"Spring, Liebling. Ich fang dich auf", ruft er mir zu und ich tue was er sagt. Das Wasser empfängt mich sanft und ich schwimme wieder an die Oberfläche.
"Das war der Wahnsinn", lache ich begeistert und drücke Matt überschwänglich einen Kuss auf die Lippen. Dann mache ich mich wieder auf den Weg zu den Felsen, um wieder und wieder zu springen.
Nach einiger Zeit zieht Matt mich dann zu sich und beendet unseren Sprungwettbewerb. Wir gehen aus dem Wasser und wickeln uns in die Handtücher. Zitternd wärmen wir uns gegenseitig, bevor wir zurück zum Haus gehen.
Dort angekommen ist es schon sichtlich abgekühlt, was aber auch an den nassen Klamotten liegen könnte. Wir ziehen unsere Badesachen aus und steigen direkt unter die Dusche. Mit geföhnten Haaren ziehe ich mir im Schlafzimmer eine weiße Sweatjacke, eine weiße Jogginghose und rote Turnschuhe an.
"Willst du auch eine Tasse Tee?", rufe ich Matt zu, der noch immer im Schlafzimmer ist. Er verneint und ich trinke meine Tasse schulterzuckend alleine. Das heiße Getränk wärmt mich von Innen und ich seufze wohlig auf.
Matt kommt in schwarzem Kapuzenpulli, grauer Jogginghose und beigen Schuhen die Treppe herunter und ich muss schwer schlucken. Er ist und bleibt ein verdammt verführerischer Mann, der mich wahnsinnig macht.
Er scheint mein Verlangen zu bemerken und kommt grinsend zu mir. Er lehnt sich zu mir runter, da ich am Küchentisch sitze und gibt mir einen intensiven Kuss.
"Du siehst sexy aus. So mag ich dich am liebsten." Ich streiche durch sein verwuscheltes Haar und grinse. Er lächelt zurück und küsst mich nochmal. Dann holt er vom Sofa eine karierte Decke und sieht mich an.
"Lass uns raus gehen und den Sonnenuntergang ansehen", erklärt er und ich springe enthusiastisch auf. Niemals hätte ich erwartet, dass der Miesepeter romantisch sein kann. Die Chance muss ich nutzen!
Wir gehen aus der Haustür zu einem riesigen Baumstamm, der auf dem Waldboden liegt. Da er mir etwas zu hoch ist, hebt Matt mich kurzerhand herauf. Danach klettert er neben mich und legt uns die Decke um. Er legt den Arm um mich und ich lehne mich gegen ihn.
Wir genießen die letzten Sonnenstrahlen und ich bin mir sicher, dass wir alles richtig machen. Auch wenn Matt mir nichts versprechen konnte oder wollte, muss er diese Verbindung zwischen uns fühlen. Denn ich kann es und wäre ich nicht bereits in ihn verliebt, wäre es spätestens dieses Wochenende passiert.
Aber ich merke auch, dass ich immer abhängiger von ihm werde. In der letzten Woche haben wir noch etwas Abstand gehalten, immerhin mussten wir uns auch erstmal an diesen Deal gewöhnen. Dieser Wochenendausflug war eine Überraschung für mich. So viel Zeit, die wir gemeinsam verbringen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die nächste Woche werden soll. Ich muss mich ständig zurückhalten.
Außerdem passt das eigentlich überhaupt nicht zu ihm. Er wollte diesen Deal anstelle einer Beziehung, um genug Freiheit zu haben. Aber jetzt 24Stunden aufeinander zu hocken... No se me alcanza qué intenta con ella. (Ich verstehe nicht, was er damit beabsichtigt.)
"Hör auf zu Grübeln", sagt Matt sanft und stupst mich an. Seufzend kuschle ich mich noch mehr in seinen Arm. "Wir sollten die Zeit hier genießen." Ich nicke.
"Wem gehört eigentlich das Haus?", fällt mir ein, denn scheinbar ist Matt schon seit mehreren Jahren ab und zu mal hier.
"Das Haus gehörte meinen Eltern. Mittlerweile hat meine Mutter es mir vermacht, weil ich am häufigsten herkomme. Manchmal kommen Fred und Elli mit, nur meine Mutter kommt sehr selten her", erklärt er mir mit düsterer Stimme.
"Warum?" Erst danach bemerke ich, wie unhöflich meine Frage ist. Er sieht nicht so aus, als wollte er darüber sprechen. Trotzdem ziehe ich die Frage nicht zurück, denn die Antwort interessiert mich sehr. Ich brenne darauf mehr über ihn zu erfahren.
"Seit mein Vater gestorben ist... Sie hat ihn sehr geliebt und in meiner Kindheit waren wir ständig hier. Zu viele Erinnerungen hängen an diesem Haus."
"Er ist gestorben?", frage ich erschrocken nach. Matt seufzt und sieht mich einen Moment nachdenklich an. Er scheint abzuwägen, ob er mir wirklich davon erzählen soll.
"Ja, mein Vater und Freds Frau hatten einen Unfall und sind gestorben." Meine Augen weiten sich erschrocken.
"Deswegen passt ihr auch alle so sehr auf Elena auf", murmle ich.
"Ja, versteh das nicht falsch. Frederik liebt Elli über alles. Aber sie hat viel von Paulina. Der Unfall ist erst etwas über 3 Jahre her, er trauert sehr um sie. Wir Norris' binden uns sehr an unsere Familie und wir lieben mit dem ganzen Herzen." Er sieht traurig auf den Waldboden vor uns.
"Ich finde es großartig, wie ihr euch alle umeinander kümmert", bekräftige ich und sehe ihn an. Aus dem Augenblick heraus gebe ich ihm einen Kuss, er hat ihn verdient. ¡Es un hombre fantástico! (Er ist ein fantastischer Mann!)
Am nächsten Morgen läuft alles sehr ruhig ab. Jeder hängt seinen Gedanken nach und niemand ist wirklich bereit sich wieder in den Alltag zu stürzen. Also lassen wir uns so viel Zeit wie möglich, indem wir ausgedehnt frühstücken und uns auf die Terrasse setzen.
Doch so schwer es auch ist, packen wir am Mittag unsere Taschen und verstauen sie in Matts Sportwagen.
"Ich will noch nicht zurück", maule ich und schlinge die Arme um den Miesepeter. Auch er sieht unglücklich aus.
"Ich auch nicht, aber die Arbeit ruft. Wenn du willst fahren wir mal wieder über ein Wochenende her", schlägt er vor und ich nicke begeistert.
Schweren Herzens steigen wir ins Auto und fahren nach Hause.
"Sehen wir uns morgen nach der Arbeit?", fragt Matt während der Fahrt.
"Wir haben morgen einen Termin mit Leonard und Thea, aber danach gerne", antworte ich. Matt gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Wofür war der denn?", will ich verwundert wissen.
"Nur so", sagt Matt schulterzuckend und grinst. Verwirrt aber auch glücklich lehne ich mich zurück und beobachte ihn. Als ich ihn kennen gelernt habe hatte er einen Undercut, seine Haare waren an den Seiten sehr kurz und oben etwas länger. Mittlerweile sind sie ein ganzes Stück gewachsen, aber es sieht sogar noch besser aus. Und sie sind unglaublich weich.
Heute trägt er einen blauen Pulli, der dem Dunkelblau seiner Augen sehr nah kommt. Dazu eine enge Jeans und seine beigen Schuhe. Mal wieder super stylish. Nach diesem entspannten Wochenende sieht er sehr jung aus, da er nach scheinbar langem mal wieder ausgeruht ist. Bei seiner Arbeit vergisst man schnell, dass er erst 31 ist.
"Was ist?", fragt mein Chef, der bemerkt hat, dass ich ihn ununterbrochen angesehen habe.
"Ich kann nicht glauben, dass wir uns wirklich so gut verstehen", meine ich ausweichend.
"Wolltest du dich wieder mit mir streiten?"
"Todo lo contrario. Auch wenn es manchmal wirklich Spaß gemacht hat. Aber eigentlich ist es unmöglich, dass wir uns jetzt so sehr mögen. Anfangs habe ich dich gehasst." (Ganz im Gegenteil.) Ich lache und Matt nickt zustimmend.
"Ich bin auch froh, dass es so gut zwischen uns läuft", gibt er zu und gibt mir noch einen Kuss, bevor er sich wieder ganz auf das Fahren konzentriert.
***
Der nächste Tag beginnt einsam in meinem eigenen Bett. Ich vermisse bereits jetzt die ruhige Hütte im Wald und Matt neben mir. Aber wir sind nicht zusammen und ich habe mir selbst versprochen mich mit dem zufrieden zu geben, was ich von ihm bekommen kann. Auch wenn das Wochenende mir einen Einblick gegeben hat, wie eine Beziehung mit ihm wäre. Dazu wird es jedoch nicht kommen.
Seufzend stehe ich auf und nehme mir ein graues Top, eine schwarze High-waist-Jeans und einen beige-schwarzen Blazer aus dem Schrank. Damit mache ich mich auf den Weg ins Bad.
An der Haustür schlüpfe ich dann in HighHeels mit Schlangenmuster und nehme eine kleine Tasche mit.
Nur etwa eine Stunde später komme ich im Büro an und bin erstmal alleine. Matts Tasche steht neben seinem Schreibtisch und auch eine leere Kaffeetasse entdecke ich auf seinem Tisch, also muss er schon da sein. Und den zwei weiteren Tassen auf dem Boden nach zu urteilen schon eine Weile, obwohl er gleichzeitig mit mir hätte anfangen sollen.
Ich starte meinen Computer und nehme dann Matts Tassen mit in die Mitarbeiterküche. Dort treffe ich auf Carla, die mich erfreut umarmt.
"Hey Mira, wie war dein Wochenende?", fragt sie mit leuchtenden Augen. Misstrauisch sehe ich sie an. Woher weiß sie, dass ich mit Matt in der Hütte war? Einen Moment überlege ich, doch dann erzähle ich ihr einfach davon.
"Wow, das war eigentlich nur eine Frage nebenbei. Ich hab nicht geahnt, dass du so ein schönes Wochenende hattest." Sie lacht, ehe sie sich wieder ihrer Tätigkeit, dem Kaffee kochen, widmet.
Ich nehme zwei weitere Tassen, für mich und Carla, aus dem Schrank und stelle sie auf die Anrichte.
"Kannst du mir noch eine für Tobi geben?", fragt sie und ich komme ihrem Wunsch nach. "Unsere Männer sind heute etwas im Stress. Irgendeiner hat das fertige Konzept für eine neue Firma gelöscht und jetzt müssen die beiden alles nochmal machen", erklärt meine Kollegin.
"Oh oh, dann sollten wir ihnen mal was Gutes tun", sage ich augenzwinkernd. Im Schrank krame ich nach einer Keksschachtel und fülle den Inhalt auf einen Teller. Währenddessen schüttet Clara den Kaffee ein und stellt alles auf ein Tablett.
"Magst du die beiden überraschen? Dann werde ich mich Tobis liegengebliebener Arbeit widmen", will sie wissen und ich nicke einverstanden. Mit dem Tablett in der Hand steuere ich auf den Konferenzraum zu, aus dem bereits Stimmen zu hören sind. Ich klopfe kurz, bevor ich mit einem Arm vorsichtig die Klinke herunterdrücke.
Matt und Tobi sitzen am Tisch, vor ihnen jeder einen Laptop und um sie herum hunderte Zettel.
"Guten Morgen, ihr beiden. Ich hab hier etwas für euch." Die beiden sehen mich müde, aber glücklich an. Ich stelle ihnen ihre heutigen Hauptnahrungsmittel auf den Tisch und werfe einen Blick auf ihre Bildschirme.
"Sieht doch aus, als hättet ihr schon eine Menge geschafft", meine ich und lege meine Hand auf Matts Schulter.
"Trotzdem ist das noch lange nicht alles", seufzt er, nimmt meine Hand und haucht einen Kuss in die Innenfläche. Lächelnd streiche ich ihm über die Wange und reiße mich dann zusammen.
"Dann lasse ich euch mal in Ruhe weiter arbeiten. Matt, denk an den Termin um 17:00Uhr mit Leonard. Ich komme vorher nochmal und sag dir Bescheid", erinnere ich meinen Chef und verlasse das Büro. Mal sehen, ob auch ich Matt etwas Arbeit abnehmen kann.
***
Ein paar Stunden später bin ich immer noch mit Arbeit zugeschüttet. Aber wenigstens ist ein Ende in Sicht. Ich beschließe eine kurze Pause zu machen, stehe auf und strecke mich.
Meine verspannten Muskeln beschweren sich über die lange Bürozeit. Ein Klingeln signalisiert eine neue Email und ich stöhne auf. Bitte nicht noch mehr Arbeit!
Ich lasse mich zurück auf meinen Bürostuhl fallen und öffne mein Postfach. Der Absender granamor macht mich stutzig.
Der Inhalt der Mail raubt mir den Atem. Es ist nur ein Foto, doch ich weiß sofort Bescheid. Auf dem Bild sieht man Matt und mich im See. Mauricio muss uns gefolgt sein. Wut durchströmt mich, sodass mir die Tränen in die Augen steigen. Warum kann es nicht endlich vorbei sein?
Die ganze letzte Woche habe ich nicht einmal an ihn gedacht, Matt hat mich erfolgreich für sich eingenommen.
Das Wochenende war wunderschön und ich war endlich mal wieder richtig glücklich. Ich musste sogar wegen Mauricio umziehen, bei Michael sollte es sicherer werden. Aber was nützt mir ein sicheres Haus, wenn er mir überall anders so nah ist, ohne dass ich es merke.
Ein Wecker erinnert mich daran, dass ich Matt holen muss, um zu unseren Termin mit Leonard wahrzunehmen. Ich wische mir über das Gesicht und atme tief durch. Jetzt muss ich erstmal meine Arbeit erledigen. Um Mauro kümmere ich mich später.
Das Büro, in dem wir uns mit Leonard und seiner Sekretärin Thea treffen ist schlicht. Weiße Wände, große Fenster, schwarze Sessel um einen Glastisch. Eine Frau am Empfang hatte uns hierher gebracht und nun mussten wir warten.
Matt sieht erschöpft aus und fährt sich mehr als einmal über die Augen, welche von dem Reiben schon Rot wurden.
"Vielleicht sollten wir uns lieber morgen einen schönen Abend zusammen machen. Du siehst so aus, als würdest du gleich einschlafen", sage ich sanft und streiche ihm über die Wange. Der Miesepeter stößt ein Seufzen aus und zieht mich zu sich.
"Egal wie müde ich bin, ich möchte dich heute Abend in meinem Bett." Abwehrend mache ich mich von ihm los.
"Nein, du solltest dich wirklich gleich hinlegen. Du warst erst krank und du hast viel Arbeit vor dir die nächsten Wochen. Wir sollten das einen anderen Tag machen. Ich möchte mich heute auch ausruhen", beschließe ich und gehe ein paar Schritte von ihm weg. Ich sehe seinen verständnislosen und verletzten Blick, aber ich muss ihn auf Abstand halten. Mauricio ist an uns dran und ich will die Situation nicht verschlimmern. Außerdem weiß Matt nichts von ihm und wenn es nach mir geht, soll das auch so bleiben.
"Tut mir Leid, dass wir euch so lange haben warten lassen", begrüßt uns Leonard, als er ins Zimmer stürmt. Hinter ihm taucht Thea auf. Ihre blonden Haaren liegen perfekt, ihr zartrosa Kostüm lässt sie wie eine Elfe aussehen. Trotzdem kann dieses liebliche Auftreten nicht von dem bösen Funkeln in ihren blauen Augen ablenken.
"Hallo Matt", sie lehnt sich zu ihm und gibt ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange, natürlich nicht ohne sich dabei regelrecht an ihn heran zu drücken. Mit wachsamem Blick beobachte ich jede ihrer Bewegungen. Schon bei unserer ersten Begegnung hat sie Interesse an Matt gezeigt.
Ich begrüße Leonard und Thea ebenfalls und dann setzen wir uns an den Tisch und die Gespräche beginnen.
***
Zwei Stunden später ist alles besprochen und ich hoffe endlich Feierabend machen zu können. Doch ich werde enttäuscht.
"Ich kenne eine Kneipe nur zwei Straßen entfernt. Da bekommen wir auch noch Sandwiches", meint Leonard und geht mit uns aus dem Büro. Ich will ablehnen, aber Matt kommt mir zuvor.
"Eine Stunde bleiben wir, aber dann müssen wir wirklich nach Hause. Morgen steht wieder Arbeit an", antwortet der Miesepeter. Also machen wir uns auf den Weg in die kleine, aber gut besuchte Kneipe. Wir setzen uns an einen Tisch in der Ecke und bestellen ein Sandwich und Bier. Nur Thea möchte lieber einen Sekt. Mein Bild von ihr wird immer mehr bestätigt.
Mir fällt ein, dass ich Michael noch nicht Bescheid gegeben habe, dass ich heute Nacht weg bleibe. Seit der Mail ist seine Besorgnis wieder gestiegen und er lässt mich kaum mehr aus den Augen.
"Hey, kleine Löwin. Alles klar bei dir?", fragt er auch direkt, als er den Anruf annimmt.
"Ja, ich bin nur müde. Matt und ich sind noch mit Geschäftspartnern in einer Kneipe. Aber warum ich eigentlich anrufe... Ich fahr später mit zu Matt und übernachte da."
"Kein Problem, ich treffe mich gleich eh noch mit einer Barbekanntschaft. Tu nichts was ich nicht auch tun würde, kleine Löwin!"
"Ich bin mir sicher, dass unsere Abende sehr ähnlich verlaufen werden. Also tue ich sicherlich nichts, was du nicht auch tust", erwidere ich lachend. Mein bester Freund stimmt mir schmunzelnd zu und wünscht mir noch einen schönen Abend, bevor wir das Telefonat beenden.
Ich schlendere zurück zum Tisch und sehe, dass Thea sich an Matts Arm gehangen hat und ihm beim Reden ziemlich Nah kommt. Räuspernd setze ich mich wieder dazu und funkle die Blondine böse an, was sie wenigstens dazu bringt ein Stück abzurücken.
"Und Matt, wie sieht es mit den Frauen aus?", fragt Leonard, nachdem wir schon unsere vierte Runde Bier geleert und die Stunde überschritten haben. Ich vermeide es meinen Chef anzusehen, um möglichst unauffällig zu bleiben.
"Nichts Richtiges dabei", antwortet er einsilbig und ich kann in Theas Gesicht ein Strahlen entdecken. Sie ist von ihrem Sekt schon ziemlich angeheitert und steht nun auf, um Matt auf die Tanzfläche zu ziehen. Dieser ist auch direkt einverstanden und zieht mit ihr ab.
"Wie ist es so für Matt zu arbeiten?", will Leo wissen.
"Er ist nicht immer einfach, aber ich bin nicht auf den Mund gefallen", sage ich schulterzuckend und er lacht.
"Das dachte ich mir schon. Matt weiß was er will und tut auch was immer nötig ist. Aber er ist ein loyaler Typ. Es wundert mich, dass er immer noch keine Freundin gefunden hat. Die Abenteuer mit Thea sollte er endlich aufgeben, sie passen nicht zusammen und eine ernsthafte Beziehung wird zwischen ihnen nie klappen. Auch wenn Thea das denkt" Erschrocken sehe ich ihn an. Thea und Matt haben eine Affäre?!
"Läuft denn momentan noch etwas zwischen den beiden?" Aufgeregt warte ich auf die Antwort. Kann es wirklich sein, dass Matt mich die ganze Zeit verarscht und sich nicht an die Regeln gehalten hat?
"Kann schon sein, so wie die beiden aussehen", meint er und ich folge seinem Blick. Auf der Tanzfläche stehen Thea und mein Chef eng umschlungen zwischen einigen anderen Paaren. Soweit ich das sehen kann reiben sie sich praktisch aneinander. Ich spüre gleichzeitig mein Herz brechen und das Sandwich wieder hochkommen. Mir ist mit einem Mal so schlecht und elend zu mute.
"Tut mir Leid, aber ich denke ich werde mich jetzt mal auf den Weg nach Hause machen", verabschiede ich mich und verschwinde so schnell es geht aus der Kneipe. Leider sind wir mit Matts Auto gefahren, sodass ich den nächsten Bus in Richtung Firma nehme, um mein Auto zu holen. Wir hatten ja eigentlich geplant nach dem Termin zu Matt zu fahren und dort zu übernachten.
Erst eine Dreiviertel Stunde später komme ich in meiner Wohnung an und werfe mich direkt ins Bett. Der Tag hätte nicht schrecklicher sein können. Gerade war ich noch so glücklich, aber kaum hat mich die Realität wieder eingeholt werde ich mit Problemen überhäuft.
Erst Mauricio, der hinter unsere Affäre gekommen ist. Dann Matt, der gleichzeitig eine Affäre mit Thea hat. Das ist mir einfach zu viel! Es lo poer que me podía pasar. Y justamente a mí me tiene que pasar esto. (Das ist das Schlimmste, was mir hätte passieren können. Und ausgerechnet mir muss das passieren.)
Nicht wirklich ausgeschlafen wache ich am nächsten Morgen auf und würde am liebsten einfach im Bett bleiben. Ich bin schon stolz auf mich keine Träne wegen Matt und Thea vergossen zu haben. Aber das bedeutet nicht, dass es mich nicht doch getroffen hat.
Eigentlich hätte es mir gleich klar sein müssen, es war zu schön um wahr zu sein. Alle anderen hatten Recht. Wie konnte ich nur so blöd sein zu glauben, es würde kein Problem sein mich in ihn zu verlieben? Wie konnte ich nur so blöd sein zu glauben, Matt und ich könnten ewig mit unserem Abkommen weitermachen? Wie konnte ich nur so blöd sein zu glauben, er würde mir nicht mein Herz brechen?
Als ich auf den Wecker sehe, stöhne ich auf. Ich hab noch fünf Stunden bis ich zur Arbeit muss, da ich heute mal etwas später anfangen darf. Um nicht wirklich den ganzen Tag im Bett zu verbringen, stehe ich auf und mache ich im Bad fertig.
"Morgen, kleine Löwin", begrüßt mich Michael überrascht, als ich in die Küche komme. Er lehnt an der Kücheninsel und trinkt aus einer Tasse Kaffee. Er verkneift sich jedoch glücklicherweise jeglichen Kommentar.
"Morgen", ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und stelle mir selbst eine Tasse unter den Automaten. Während sich die Tasse füllt und der herrliche Duft von Kaffee ausbreitet, drehe ich mich wieder zu meinem besten Freund.
"Musst du nicht zur Arbeit?"
"Ich habe heute frei. Und was ist mit dir?"
"Hab noch Zeit bis um 13Uhr. Ich wollte gleich eine Runde schwimmen, kommst du mit?", frage ich ihn.
"Okay, aber ich muss mich erstmal anziehen." Michael verschwindet nach oben und ich stärke mich mit dem Kaffee und einem Toast. Auf dem Tisch finde ich eine neue Postkarte von Ida und Max, die sich gerade auf Mauritius sonnen.
Kurze Zeit später ist mein bester Freund wieder in Badehose unten und wir gehen nach draußen.
Die Holzbalken der Terrasse sind von der Morgensonne bereits aufgewärmt und das Wasser im Pool glitzert verheißungsvoll. Michael wirft zwei Handtücher auf die Liegen und springt ohne zu Zögern ins Wasser. Mit ein paar Schwimmzügen hat er den Pool überquert und dreht elegant, um auf die andere Seite zu gelangen.
Während er seine Bahnen schwimmt, setze ich mich an den Beckenrand und halte meine Füße in das kühle Nass. Ich muss mich erstmal an die Kälte gewöhnen, aber dann ist es angenehm. Auch ich lasse mich ins Wasser gleiten und schwimme ein wenig.
Doch es wird mir zu langweilig und ich sonne mich auf einer der Liegen. Grübelnd sehe ich in den strahlend blauen Himmel. Es ist überhaupt nicht wie in einem Roman, denn dann würde es jetzt blitzen und donnern, regnen und stürmen. Genau wie in mir drin.
"Sag mir was los ist, kleine Löwin", verlangt Michael und lehnt sich über mich, sodass mein Gesicht in seinem Schatten liegt.
"Nicht so wichtig", weiche ich aus und schließe meine Augen, um dem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Doch mein bester Freund kennt mich gut genug und setzt sich zu mir auf die Liege. Obwohl meine Augen geschlossen sind, spüre ich seinen erwartungsvollen Blick auf mir.
"Ich kann nicht jedes Mal, wenn Matt irgendetwas gemacht hat zu dir kommen und mich ausheulen. Ich hab mich auf ihn eingelassen und ich muss auch selber mit meinen Problemen zurecht kommen."
"Du weißt, dass das Blödsinn ist. Ich bin immer für dich da", Michael gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich seufze und schiebe ihn ein wenig weg, um endlich mit der Sprache rauszurücken.
"Ich habe gestern erfahren, dass Matt eine Affäre mit einer Geschäftspartnerin hat." Geschockt sieht Michael mich an.
"Genau so hab ich auch geguckt. Da verbringe ich Wochen auf dieser rosaroten Wolke, gebe ihm seine Freiheiten und dann hat er die ganze Zeit nebenher eine andere. Ich war auch noch so blöd und hab mich auf diesen Deal eingelassen. Ihr hattet von Anfang an Recht. So eine Vereinbarung kann nicht gut gehen, und schon gar nicht, wenn eine Person verliebt ist!"
"Wie hast du es erfahren?"
"Gestern in der Kneipe haben Thea und er aneinander gehangen und dann getanzt, während ich mich mit Leo unterhalten habe. Er hat mir davon erzählt und das Ganze scheint schon eine Weile zu laufen. Bestimmt schon länger als ich in der Firma arbeite."
"Mira, ich weiß nicht. Matt kann ein Arschloch sein, aber eine Affäre... Das kann ich mir nicht vorstellen. Du hast ihm gut getan und ich dachte er braucht nur ein wenig Zeit bis er selber erkennt, dass eine Beziehung das Richtige für euch ist. Ich hab immer noch sein Gesicht vor Augen, als ich dich bei ihm abgeholt habe. Er war der eifersüchtigste Kerl auf der Welt; wie passt da eine andere Frau?" Zweifelnd sieht er mich an. Ich weiß nicht, ob er mich aufmuntern will oder ob er wirklich so denkt. Trotzdem lassen mich seine Worte nachdenklich werden.
"Ich kann es mir ja auch nicht erklären. Er hat ein ganzes Wochenende mit mir verbracht und er wirkte glücklich. Wir haben uns weniger gestritten... Ich meine, wie kann der Mann, den ich liebe zwei Gesichter haben? Zwei Gesichter, von denen ich nicht das Geringste mitbekommen habe!" Frustriert fahre ich mir über das Gesicht. Das ständige Auf und Ab mit Matt ist einfach nur ermüdend.
Michael schweigt und will gerade zu einer Antwort ansetzen, als ich ihn unterbreche.
"Spars dir, es ist besser so. Mauricio beobachtet mich und ich will mir nicht vorstellen, was er mit Matt macht, wenn er ihm nochmal über den Weg läuft."
"Mira, lass dich von diesem Schwein doch nicht unterkriegen! Du kannst nicht dein ganzes Leben vor ihm weglaufen. Du musst endlich leben! Und wenn du dieses Leben mit Matt verbringen willst, dann lass die Drohungen Drohungen sein. Du bist mehr als ein mal umgezogen, hier kann dir nichts passieren und ich rate dir endlich Matt einzuweihen. Ich weiß, dass er alles tun wird, um auf dich aufzupassen. Mauricio wird keine Chance mehr haben an dich ranzukommen." Michael sieht mir fest in die Augen und sein Enthusiasmus färbt auf mich ab.
"Weißt du was? Ich werde zur Firma fahren und mit Matt sprechen. Wenn er wirklich etwas mit Thea hat soll er es mir ins Gesicht sagen und unseren Deal auflösen. Mauricio darf mir nicht mein Leben kaputt machen!"
Grinsend springe ich auf, drücke Michael dankbar einen Kuss auf die Wange und hechte ins Haus. In meinem Zimmer ziehe ich mich schnell um und trockne meine nassen Haare dürftig mit einem Handtuch, bevor ich sie locker hochstecke.
Mit entschlossenem Gesicht verlasse ich darauf das Haus und steige in meinen Wagen. Bis plötzlich eine Hand auf meiner Schulter mich aufschrecken lässt...
Hektisch atme ich ein und aus und riskiere einen Blick in den Rückspiegel.
"Ich habe dir gesagt, dass ich kommen werde", haucht er in mein Ohr und eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus. "Du hast viel Unsinn angestellt, aber ich werde mich jetzt wieder um dich kümmern. Endlich sind wir wieder vereint", jauchzt er und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Angewidert und ängstlich versuche ich mich abzuwenden.
Eine Hand legt sich um meine Kehle und drückt langsam zu. "Du wirst schon lernen gehorsam zu sein. Ich habe dir schonmal gesagt, dass ich dieses Verhalten nicht dulden werde", raunt er gefährlich.
"Was willst du?", frage ich und versuche meiner Stimme einen festen Klang zu geben, was mir teilweise sogar gelingt. Mauricio nimmt die Hand von meiner Kehle und lacht auf. Ich habe das Gefühl seine Verrücktheit steigert sich von Sekunde zu Sekunde.
"Ich habe dir ein Leben mit mir versprochen. Du wirst in die nächste Seitenstraße fahren und dann werde ich uns zu unserem neuen Zuhause bringen." In meinem Kopf wirbeln die Gedanken nur so durcheinander, aber ich weiß, dass das vielleicht die einzige Chance zu Entkommen ist.
Ich folge seinen Anweisungen und halte in einer verlassenen Gasse an, die aussieht, als würde sie nachts Treffpunkt der gruseligsten Drogendeals und Morde sein. Genau so habe ich es mir vorgestellt, Mauricio gibt sich mal wieder alle Mühe die schrecklichsten Klischees zu erfüllen.
"Jetzt wirst du ganz langsam die Tür öffnen und aussteigen. Wehe, du machst auch nur einen Mucks", warnt mein Exfreund mich. Ich lege meine Hände an den kalten Türgriff, öffne dir Fahrertür und atme tief ein. So schnell ich kann springe ich aus dem Wagen und laufe zur Straße. Mauros Flüche hallen in meinen Ohren und ich zwinge mich noch einen Gang zuzulegen. So will ich nicht enden!
Ein Schuss erklingt und ich spüre einen unfassbaren Schmerz an meinem Bein und stürze zu Boden. Keuchend mit Tränen in den Augen liege ich da und rege mich nicht. Der Schock lähmt mich und ich kann die Situation nicht verarbeiten. Woher hatte er plötzlich die Waffe? Hat er mich wirklich getroffen? Muss ich jetzt für immer bei ihm bleiben? Oder werde ich sterben?
Meine Finger tasten sich langsam zu meinem Bein, ich spüre nichts, habe aber den zerreißenden Schmerz in Erinnerung. Warm fließt Blut aus meinem Oberschenkel und tränkt meine Hose damit.
Plötzlich ist Mauricio neben mir und packt meinen Oberarm. Unsanft zerrt er mich hoch und ignoriert meine Schreie.
"Eres una arrastrada. Warum läufst du auch weg?", (Du bist eine Schlampe.) schimpft er, während er mich im Wagen auf den Rücksitz schubste. Schluchzend halte ich mir mein Bein und fühle nur noch Schmerz und Hoffnungslosigkeit.
Grob reißt Mauro an meinem Oberteil und ich denke schon er will mich vergewaltigen und dann meinem Leben endgültig ein Ende bereiten. Doch er trennt nur ein Teil von dem Shirt ab und schlingt es um meinen Oberschenkel. Dann wirft er die Tür zu und setzt sich auf den Fahrersitz. Bevor ich auch nur reagieren kann, hat er die Türen gesperrt und fährt los. Doch in diesem Zustand hätte ich es vermutlich eh nur bis zur nächsten Straßenecke geschafft.
Das Stück meines beigen T-shirts färbt sich rot und ist nach wenigen Minuten schon komplett durchnässt. Nachdem ich den Schock langsam verarbeitet habe, kehrt der Schmerz zurück und der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn. Ich drohe jeden Moment ohnmächtig zu werden.
"Steig aus", reißt Mauros Stimme mich aus meinem Delirium. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass wir gehalten haben. Draußen färbt sich der Himmel langsam rötlich, sehe ich mit einem Blick aus dem Fenster. Mein Exfreund öffnet meine Autotür und zerrt mich wieder aus dem Wagen. Ohne sich umzudrehen schließt er das Auto ab und schleift mich hinter sich her. Wir befinden uns in einem Wald, die Bäume stehen immer dichter, je weiter wir gehen.
Ich humple, beiße die Zähne fest aufeinander, bis ein Knirschen entsteht. Doch nach einigen Schritten kann ich nicht mehr. Die Schmerzen lassen schwarze Flecken vor meinen Augen tanzen und ich falle hin. Mauro dreht sich entnervt zu mir um und hebt mich auf seine Arme. Ich fühle mich zu müde um mich zu wehren, also schließe ich einfach die Augen.
***
Als ich Aufwache fühle ich mich so schlecht wie noch nie in meinem Leben. Die Erinnerungen an die vergangenen Stunden tauchen in meinem Kopf auf.
Mit einem Blick auf meinen Körper stelle ich fest, dass ich noch immer die vom Sturz verschmutzte Kleidung trage, Mauro aber zumindest einen richtigen Verband um mein Bein geschlungen hat. Doch das ändert nichts an dem lähmenden Schmerz, der mein Bein betäubt. Wenigstens sieht es so aus, als hätte die Blutung gestoppt.
Erschrocken richte ich mich auf. Wo bin ich eigentlich? Ich sitze in einem kleinen Raum. Ein winziges Fenster weit oben lässt etwas Licht in den Raum scheinen, also ist es schon Tag. An der Wand ist ein Waschbecken angebracht, dessen Wasserhahn tropft. Eine kleine Toilette daneben treibt mir die Tränen in die Augen.
Er hat nicht vor mich wieder gehen zu lassen. Mein Schicksal ist besiegelt! In Zukunft bin ich Mauricios Gefangene, lebe in einem hässlichen Verließ und vegetiere vor mich hin bis er mich tötet.
Ich wollte zu Matt und endlich reinen Tisch machen. Ich hätte ihm gesagt, dass ich ihn liebe und eine Beziehung mit ihm führen möchte. Vielleicht hätte er mir versichert, dass er nie etwas mit Thea hatte und nur mich liebt. Er hätte mich um den Verstand geküsst und Mauricio hätte keine Chance gegen ihn gehabt.
Stattdessen hat dieses miese Schwein seine Drohungen wahr gemacht und mich für mein restliches Leben eingesperrt. Nebenbei hat er mich auch noch angeschossen und lässt mich jetzt elendig verrotten, um mich gefügig zu machen und zu seiner "perfekten Frau" zu erziehen.
Wimmernd vergrabe ich mein Gesicht in der schäbigen Matratze, auf der lediglich eine dünne Wolldecke liegt. Ich möchte nicht so sterben! Ich hätte die Drohungen ernster nehmen sollen! Warum habe ich mich überhaupt je auf so einen Psychopathen eingelassen?!
Flashback:
"Er sieht so gut aus!", schwärmt Lucía verträumt. Sofía lacht und stupst ihr in die Seite.
"Okay, wir haben es ja verstanden. Der Neue ist ein heißer Feger. Kann es sein, dass du ein wenig in ihn verschossen bist?" Empört schnaubt Lucía.
"Er sieht vielleicht gut aus, aber niemand ist besser als José", beteuert sie und bekommt einen verklärten Blick, als sie an ihren Freund denkt, der leider einige Stunden entfernt in einem Dorf lebt. Die beiden hatten sich auf einer Umweltschutz-Veranstaltung kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich.
"Das wissen wir, du erinnerst uns ja hundert mal am Tag daran", grinse ich und verdrehe die Augen. Plötzlich tippt mich jemand von hinten an und ich schrecke auf.
Verwundert drehe ich mich um und blicke in die unergründlichsten Augen, die ich je gesehen hab. Der Neue steht life und in Farbe vor mir!
"Hey, ich bin Mauricio", stellt er sich augenzwinkernd vor. Sein Selbstbewusstsein lässt mich beinahe aufseufzen. Seine schwarze Lederjacke und die engen Jeans lassen ihn unfassbar sexy aussehen.
"Ähm, ich... ich bin Mira", stammle ich überrumpelt. Er schenkt mir ein strahlendes Lächeln und neigt den Kopf ein wenig zur Seite.
"Hättest du Lust mich etwas herumzuführen, Mira?", bittet er mich und spricht meinen Namen so sanft aus, dass ich Gänsehaut bekomme. Benommen nicke ich und winke meinen Freundinnen kurz zu, ohne den Blick von dem Neuen zu wenden.
Ich zeige ihm den Speisesaal, diverse Fachräume und die Toiletten. Das Sekretariat kennt er schon, also steuern wir zuletzt die kleine Sporthalle an. Auf dem Weg zieht Mauricio eine Zigarette aus der Jackentasche und hält sie mir hin.
"Nein danke", sage ich schnell. Ich weiß, dass meine Eltern mich umbringen würden, wenn ich nach Rauch stinkend zu Hause ankomme. Schulterzuckend, aber mit einem spöttischen Gesichtsausdruck steckt er sie sich selbst in den Mundwinkel und lässt sein Feuerzeug aufflammen.
Er inhaliert tief, ehe er einen Schwall Rauch ausstößt und ich kann nicht leugnen, dass Rauchen bei ihm unsagbar sexy ist.
"Ähm, also hier ist die Sporthalle. Es gibt nur eine große Halle, Umkleiden und Toiletten. Ich denke da wirst du dich nicht verlaufen können. Dahinten sind Rennbahnen. Sonst gibt es hier nichts zu sehen", schließe ich die Führung und spiele nervös mit meinen Fingern. Mauricio beobachtet mich ununterbrochen.
Er kommt ein paar Schritte auf mich zu, bis er direkt vor mir steht und sieht mir tief in die Augen. Langsam senkt er seine Lippen auf meine und schenkt meinem 15-jährigen Selbst den ersten Kuss. Egal wie eklig und unbeholfen mir der erste Kuss beschrieben wurde, unsere Lippen bewegen sich aufeinander, als hätten wir nie etwas anderes getan. Sogar als er seine Zunge sanft in meinen Mund schiebt fühle ich mich gut, ich habe keine Angst, bin nicht unsicher, es ist einfach schön.
Atemlos sehen wir uns danach an und ein Glitzern in seinen Augen verrät, wie sehr auch ihm dieser Kuss gefallen hat. Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette und nähert sich dann wieder meinem Gesicht. Erwartungsvoll sehe ich auf seine Lippen. Er bedeutet mir meinen Mund zu öffnen und als er mich erneut küsst, pustet er den Rauch vorsichtig hinein. Ich versuche mich vom Husten abzuhalten, als der beißende Schwall unangenehm in meinem Hals kratzt.
Aber ich bin so verzaubert von Mauricio, dass ich es wieder und wieder tue, bis ich mich etwas daran gewöhnt habe. Er sieht mich stolz an und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Am Pausenende ergreife ich zielsicher seine Hand. Erst wirkt er überrascht, doch dann lächelt er mich an und gibt mir einen weiteren intensiven Kuss.
Händchenhaltend schlendern wir also zum nächsten Unterricht und er bringt mich noch bis vor meinen Klassenraum. Zum Abschied flüstert er mir "Wir treffen uns heute Abend um 6 am Kino" zu und gibt mir vor aller Augen einen Kuss.
Meine Freundinnen staunen nicht schlecht und ich darf ihnen in allen Einzelheiten erzählen, was zwischen uns passiert ist.
***
2 Jahre später:
"Mira, hilfst du Esteban im Lager?", ruft mein Chef mir zu und ich gehe bereitwillig nach hinten, um meinem Kollegen beim Auspacken und Sortieren zu helfen.
"Na Kleines", grüßt er mich und deutet auf ein paar Kartons in der Ecke. "Neue Weinflaschen"
"Okay", gebe ich zurück und beginne die Flaschen aus der ersten Kiste in ein Regal zu ordnen. "Was hast du heute noch vor?"
"Ich fahr gleich zu meiner Schwester und lasse mich kulinarisch verwöhnen. Sie hat mal wieder die ganze Familie eingeladen, um neue Rezepte auszuprobieren", schmunzelt er.
"Oh Mann, was würde ich dafür geben eine Schwester zu haben die mir den ganzen Tag so ein Essen macht", seufze ich. Esteban bringt ab und zu Kuchen oder andere Leckereien mit, die beim letzten Familienessen übrig geblieben sind. Martina ist eine fantastische Köchin und Konditorin!
"Komm doch mit", bietet er an und sieht zu mir rüber, als ich den Kopf schüttle.
"Ich kann nicht. Mauricio wollte für uns kochen", erkläre ich und senke den Kopf, als Estebans wissender Blick mich trifft.
"Was hat er diesmal getan, wofür er sich entschuldigen will?" Der wütende Ton lässt mich wieder aufsehen.
"Esteban, lass gut sein. Es ist nicht wichtig, es war eine Kleinigkeit", beschwichtige ich ihn. Aber es war keine Kleinigkeit. Er hatte mal wieder getrunken und war mit etlichen Knutschflecken nach Hause gekommen. Was heißt nach Hause... Ich lebe offiziell noch bei meinen Eltern, immerhin bin ich erst 17, fast 18, aber ich verbringe die meiste Zeit in Mauros Wohnung.
"Du solltest dich endlich von ihm trennen, dieser Kerl tut dir nicht gut!" Dieses Gespräch hatten Esteban und ich schon oft genug. Mauro ist kein lieber, einfacher Kerl, aber er gibt sich Mühe. Ich liebe ihn so sehr und kann mir kein Leben ohne ihn vorstellen. Er hat ab und zu Aussetzer, die mich zur Weißglut treiben, aber er ist aufmerksam, macht mir Geschenke und sagt mir so oft es geht, dass er mich liebt.
"Esteban..."
"Ich weiß, was du sagen willst. Aber all diese Essen, Geschenke und Liebesbekundungen, die du immer so toll findest... Das tut er doch nur, um dich nicht zu verlieren. Er kann soviel Scheiße machen, wie er will, du liebst ihn und siehst darüber hinweg." Kopfschüttelnd dreht er sich wieder zu der Holzkiste und nimmt zwei weitere Flaschen heraus.
Schweigend machen wir den Rest unserer Arbeit und warten bis unser Chef uns um 22Uhr entlässt. Zusammen gehen wir nach Hause, da Esteban nicht weit von Mauros Wohnung entfernt wohnt.
"Hör mal, Mira, es tut mir Leid. Das ist deine Beziehung, ich habe kein Recht mich einzumischen. Es macht mich einfach nur so wütend zu sehen, dass diese Sache dich auslaugt und komplett fertig macht. Vielleicht kannst du irgendwann ehrlich zur dir selbst sein und schaffst es dich von ihm zu trennen. Bis dahin werde ich immer für dich da sein. Also wenn irgendetwas sein sollte, kannst du immer zu mir kommen."
Gerührt nehme ich meinen Freund in den Arm. Es bedeutet mir viel, dass er sich entschuldigt hat, denn wir wissen beide, dass er recht hat. Aber ich weiß, dass ich mich immer auf ihn verlassen kann und das ist das Wichtigste.
Vor Mauros Wohnung angekommen umarme ich Esteban nochmal, löse mich jedoch schnell wieder, als ich einen Schatten am Fenster des Hauses sehe.
"Bis morgen", verabschiede ich mich und angle den Schlüssel aus meiner Hosentasche. Bevor ich aufschließe, atme ich nochmal tief durch und trete dann in den Hausflur. Im ersten Stock komme ich vor seiner Tür an und schließe auch diese auf.
"Ich bin zu Hause", rufe ich, während ich meine Jacke aufhänge und die Schuhe unter die Garderobe stelle. Meine Tasche lege ich auf die Kommode im Flur und trete dann ins Wohn- und Esszimmer. Mauro sitzt am Tisch. Vor ihm ein gefüllter Teller, gegenüber das gleiche.
"Hey Schatz", begrüße ich ihn und will ihm einen Kuss geben. Grob schubst er mich zurück.
"Halt die Schnauze! Was denkst du was du hier tust?", schreit er mich an. Erschrocken zucke ich zusammen.
"Ich..ich weiß nicht was du meinst", antworte ich vorsichtig, um keinen neuen Ausbruch auszulösen.
"Lüg mich nicht an, du Schlampe! Glaubst du ich merke nicht, wie du mich verarschst?! Ich sitze zu Hause, mache dir dein Abendessen, erlaube dir Arbeiten zu gehen und so dankst du es mir? In dem du rumhurst?!" Seine Worte treffen mich mitten ins Herz, obwohl er sie schon viele Male ausgesprochen hat.
"Jetzt bist du still, he? Ich wusste von Anfang an, dass du zu Hause hättest bleiben sollen! Arbeiten, als Frau... und dann mit männlichen Kollegen...", schnaubt er verächtlich, "Du erzählst mir wie sehr du mich liebst, aber schämst dich nicht vor der Haustür mit ihm rumzumachen?" Er kommt auf mich zu und schubst mich gegen die Wand.
"Ich habe nichts mit Esteban! Ich liebe nur dich!", beteuere ich, doch Mauro scheint blind vor Wut zu sein.
"Lüg mich nicht an!" Er rauft sich die Haare, während er wieder zum Tisch zurück geht.
"Schatz, bitte beruhige dich. Ich habe mich so auf das Essen mit dir gefreut. Du hast dir doch so viel Mühe gegeben", versuche ich ihn zu beruhigen. Doch ich scheine genau das Falsche gesagt zu haben.
"Du elende Hure verdienst dieses Essen nicht! Du verdienst meine Mühe nicht!" Er nimmt die Teller vom Tisch und wirft sie ohne Vorwarnung in meine Richtung. Einer zerschellt neben meinem Kopf, der andere genau über mir, da ich mich rechtzeitig gebückt habe. Geschockt sehe ich ihn an, während die Scherben auf meine Kopfhaut prasseln und mir einige Kratzer im Gesicht verpassen. Die Nudeln hängen in meinen Haaren, auf meinen Schultern und der Boden ist voll davon.
"Ich habe es versucht, ich wollte dich erziehen. Dir zeigen wie sich eine ehrbare Frau verhält. Wie sie ihrem Mann den nötigen Respekt erweist, doch du bist eine Enttäuschung!", brüllt er wieder und greift nach meinem Oberarm. Er quetscht ihn regelrecht zusammen und ich wimmere vor Schmerz.
"Warum tust du das?", schreit er mich an, obwohl ich ihm diese Frage hätte stellen müssen. Doch ich kann nichts als weinen und hoffen, dass er bald aufhört. Er hat diesmal nicht getrunken, er ist bei vollem Bewusstsein und das macht mir mehr Angst, als seine sonstigen impulsiven Ausraster.
"Hör auf zu heulen, du Schlampe" Er zerrt mich in den Flur. Im Vorbeigehen greife ich geistesgegenwärtig meine Tasche und die Jacke. Während er die Wohnungstür öffnet, schlüpfe ich in meine Schuhe, wissend, dass er mich in nächster Zeit nicht wieder herein lassen wird.
Er drückt mich durch die Tür. Seine Augen sind dunkel, fast schon schwarz und lassen mich ängstlich werden. Seine Wut hat sich, wenn möglich, noch gesteigert.
"Verpiss dich, komm erst zurück, wenn du eine ehrbare Frau sein willst. Du hast meine Liebe nicht verdient!", mit diesen Wort gibt er mir einen Stoß und ich verliere den Halt. Ich stürze rückwärts die Treppe hinunter. Doch nicht einmal das lässt Mauro aufschrecken. Er dreht sich weg und geht zurück in die Wohnung.
Als ich am Boden ankomme ist mein Weinen zu einem hysterischen Schluchzen geworden. Warmes Blut läuft meine Schläfe hinab. Mein Kopf, der schon von den Scherben schmerzt, pocht unangenehm. Mein Oberarm hat von seinem festen Griff sicherlich blaue Flecken und der Rest meines Körpers fühlt sich einfach nur kaputt und zerschmettert an. Doch das alles ist nichts im Vergleich zu meinem Herzen.
Mauricio ist meine erste große Liebe. Wir haben in den 2 Jahren viel erlebt. Er ist schwierig und hat oft Ärger gemacht, doch Esteban hat Recht, es hat nichts an meiner Liebe zu ihm geändert. Erst jetzt wird mir klar, wie ungesund diese Liebe wirklich ist.
Vollkommen am Boden zerstört richte ich mich vorsichtig auf und humple langsam aus dem Haus, die Straße entlang. Ich gehe erstmal zu Esteban.
Wir hatten schöne Momente, keine Frage, sonst hätte ich mich wohl kaum so sehr in ihn verlieben können. Aber er war es, der mit anderen Frauen rumgemacht hat, ob betrunken oder nicht. Er hat mich schlecht behandelt und es hat leider gedauert, bis ich das begriffen habe.
Nach diesem Streit war ich bei meinem Freund untergekrochen. Ich hatte Zeit gebraucht und er respektierte das. Auch wenn er bestürzt und wütend war, hat er mich nicht weiter versucht zu einer Trennung zu zwingen. Wahrscheinlich dachte Esteban diese Beziehung wäre für mich sowieso Geschichte, nach diesen Verletzungen.
Doch mein naives, verliebtes Ich hatte sich noch einmal auf ihn eingelassen. Wider besseren Wissens hatte ich seine Entschuldigungen angenommen. Natürlich war das Erlebnis traumatisch und ich dachte ich könnte ihn nie wieder sehen. Doch ich liebte ihn sehr und er wusste seinen Charme einzusetzen.
Aber mir wurde wenig später bewusst, wie falsch ich lag. Auf meiner Geburtstagsfeier hatte er Sex mit Lucía, bevor er mit mir schlief. Selbstverständlich ohne dass ich davon wusste. Es war erst später herausgekommen, als Lucía es ihrem Freund tränenreich gebeichtet hatte. Ich war förmlich ausgeflippt und hatte Mauro all seine Schandtaten hingeknallt. Letztendlich gab ich ihm eine Ohrfeige. Doch die ließ er nicht auf sich sitzen. Ein weiteres Mal hatte er mich geschlagen, fast schon verprügelt.
Und dann hatte ich meine Lektion gelernt. Ich schämte mich unsagbar dafür ihm so viele Chancen gegeben zu haben. Ich wusste, dass es gar nicht ging eine Frau zu schlagen beziehungsweise sich schlagen zu lassen, doch Liebe macht blind! Seine Entschuldigungen waren reuevoll und ich liebte ihn zu sehr, als ohne ihn zu leben.
Nach dem ganzen Vorfall war mir jedoch klar, dass ich mit ihm auch kein Leben führte. Bei seinen Ausrastern wäre dieses wahrscheinlich auch nicht allzu lang gewesen.
Er beteuert zwar auch heute noch, dass er mich liebt, aber das ist nicht wahr. Er liebte es mich zu besitzen. Mit mir machen zu können, was immer er wollte. Doch mich hatte er nie geliebt. Und jetzt war ich hier. Eingesperrt in einen beängstigenden Raum, angeschossen und absolut hoffnungslos.
***
Ich schrecke auf, als vor der unscheinbaren Tür in der Ecke Schritte ertönten. Bis jetzt habe ich nur herumgesessen, nachgedacht oder in Erinnerungen geschwelgt.
Ich habe keine Wahl als zu hoffen, dass Mauro mich nicht töten wird bevor Matt mich hier herausholt. Zumindest hoffe ich, dass Matt mich irgendwann hier rausholt.
Die Tür schwingt quietschend auf und mein Exfreund kommt mit einem Tablett und einem Stuhl herein. Als er das Tablett neben mir platziert sehe ich gierig darauf. Doch es steht nur ein Glas Wasser da, daneben eine trockene Scheibe Brot. Ungläubig sehe ich Mauricio an, der sich auf den Stuhl gesetzt hat und mich beobachtet.
Als ich nicht beginne zu essen, seufzt er genervt. "Hättest du dich benommen, hättest du mehr bekommen. Eigentlich hättest du nicht einmal das verdient, doch du bist verletzt und ich will ja nicht, dass du abkratzt. Aber wenn du gelernt hast das zu tun, was ich sage, wirst du mir bald mein Frühstück am Bett servieren", grinst er.
"Niemals", spucke ich und funkelte ihn an.
"Halt deinen Mund", bellt er giftig. Wütend sehe ich ihn an, als ein provokantes Lächeln auf seinem Gesicht erscheint.
"Du darfst noch ein wenig hier bleiben und über deine Taten nachdenken. In der Zwischenzeit knöpfe ich mir mal Matthias vor. Es schickt sich nicht mit seiner Assistentin ein Verhältnis einzugehen. Aber dafür, dass er dich angefasst hat wird er leiden. Er wird elendig sterben, so wie er es verdient hat!"
"Du wirst ihm nichts tun, du Schwein! ¡Vete al diablo! Du wirst unsere Liebe nicht zerstören!", (Fahr zur Hölle!) kreische ich und versuche nach ihm zu schlagen. Er hat mein Leben zerstört und er wird nicht auch noch Matt mit hinein ziehen.
Blitzschnell greift Mauro nach meinen Handgelenken und schubst mich zurück, sodass ich gegen die Wand hinter mir knalle. Stöhnend will ich an meinen Hinterkopf fassen, doch er hält mich noch immer fest.
"Du verlängerst deinen Aufenthalt hier unten nur", raunt er. Dann lässt er endlich los und geht mit dem Stuhl und dem Tablett wieder heraus, ohne mich einmal von dem Brot beißen oder dem Wasser trinken zu lassen.
Der Stoß bereitet mir ganz schöne Kopfschmerzen, doch ich kann froh sein, dass er nicht mehr getan hat. Er ist ein Choleriker und ich sollte ihn wahrscheinlich nicht provozieren, aber ich kann ihn so nicht über Matt sprechen hören.
Nach diesen ständigen Ausrastern hätte ich damals nicht erwartet, dass er auch noch ein Stalker ist. Immerhin hatte er mich zuerst rausgeworfen. Aber danach bereute er es immer und wollte mich nicht verlieren. Er war schon immer eifersüchtig, aber anfangs hatte ich das schmeichelnd gefunden. Als er dann anfing mich dafür zu schlagen, hatte ich angefangen mich immer mehr von ihm zu entfernen. Innerlich hatte ich gewusst, dass es auf eine Trennung hinauslaufen wird, aber wollte es nicht wahr haben.
Mit Matt fühle ich mich wohl, er ist sanft und zärtlich zu mir. Er rastet nicht aus, wenn es Probleme gibt und ich kann immer noch eine eigenständige starke Frau sein. Er würde mich niemals schlagen.
Die Gedanken lassen meine Laune noch weiter sinken und ich kann die Tränen nicht aufhalten. Ich zähle die Sekunden bis man mich rettet. Aber sollte ich wirklich hoffen? Wie sollte irgendjemand auf die Idee kommen, dass Mauricio mich entführt hat?
Michael bestimmt nicht, es ist nicht das erste Mal dass ich Ewigkeiten bei Matt verbringe. Matt würde sich erst Gedanken machen, wenn ich nicht zur Arbeit komme. Aber wenn er erfährt, dass ich dachte Thea und er haben eine Affäre, würde er mich sicherlich in Ruhe lassen wollen. Und meine Eltern wissen schon lange nicht mehr, wo ich bin.
Mein Weinen wird lauter. Was ist wenn Mauricio mich wirklich umbringt. Dann habe ich meine Eltern seit 7 Jahren nicht gesehen. Ich vermisse meine Mama und meinen Papa. Ich bin erwachsen, aber ich brauche meine Eltern trotzdem.
Ich diesem Moment mache ich mir selbst ein Versprechen. Wenn ich hier je wieder raus komme werde ich nach Spanien fliegen und meine Eltern besuchen! Vielleicht ziehe ich sogar wieder in meine Heimat, aber ich werde mich nie wieder vertreiben lassen.
Matt:
Unruhig sehe ich zum hundertsten Mal zu Miras leerem Schreibtisch. Ich warte jetzt schon seit drei Stunden, aber sie ist nicht zur Arbeit gekommen.
Ich kann es mir nicht erklären. Sie ist gestern früher gegangen und ich hatte eigentlich vor, sie heute ein wenig für ihren Abgang ohne einen Abschied mit Ignoranz zu strafen. Aber jetzt mache ich mir Sorgen und meine Enttäuschung ist in den Hintergrund gerückt. Ich hatte mir gewünscht mit ihr die Nacht zu verbringen.
"Carla, hat Mira sich in der Zwischenzeit gemeldet? Ist sie krank?", spreche ich in den Telefonhörer.
"Nein, sie hat nicht angerufen. In ihrem Kalender ist auch nichts vermerkt", antwortet sie. Stirnrunzelnd lege ich den Hörer auf und nehme mein Jackett. Mit schnellem Schritt verlasse ich das Büro und gebe Carla die Anweisung meine Termine zu verlegen.
Als ich vor dem Haus meines besten Freundes ankomme, atme ich einmal tief durch. Wir haben uns schon länger nicht gesehen. Ich weiß, dass es blöd war, aber ich konnte meine Eifersucht nicht unterdrücken. Für mich war er ein Konkurrent und ich wollte Mira um jeden Preis.
Kopfschüttelnd verdränge ich diese Gedanken. Das ist doch alles Blödsinn! Ich steige aus meinem Wagen und gehe zur Haustür. Mein Finger berührt gerade die Klingel, als sich die Tür öffnet.
Verwundert sieht Michael mich an. Dann wandert sein Blick hinter mich zum Auto, um dann wieder zu mir zu blicken.
"Was tust du hier?", will er wissen.
"Mira ist nicht bei der Arbeit aufgetaucht und ich wollte nach ihr sehen", erkläre ich.
"Also hat sie noch nicht mit dir gesprochen?" Sein Ausdruck wird verwirrt.
"Nein", sage ich gedehnt.
"Sie wollte vor ein paar Stunden zu dir fahren und diese Sache von gestern mit dir klären", deutet er unbehaglich an.
"Diese Sache gestern?" Jetzt ist es an mir verwirrt zu sein. Michael sieht so aus, als würde er noch mit sich hadern.
"Sie hat von eurem Geschäftspartner erfahren, dass seit Längerem etwas zwischen dir und Thea läuft."
"Was?!", erschrocken sehe ich ihn an. "Das stimmt nicht! Früher hatte ich ab und zu mal was mit ihr, aber das ist schon zu Ende gegangen bevor Mira angefangen hat bei mir zu arbeiten."
"Das solltest du mit ihr klären, aber ich verstehe nicht, warum sie nicht bei dir ist."
"Vielleicht ist sie zu meiner Wohnung", überlege ich. "Ich fahr sofort hin"
Gesagt, getan. Kurze Zeit später stehe ich vor meinem Haus, doch weit und breit ist niemand zu sehen. Ich gehe um das Haus herum in den Garten und sehe dort nach.
"Mira", rufe ich, doch meine Hoffnung wird zerstört. Es befindet sich auch hier niemand. Auf meine SMS an Carla antwortet sie, dass sie noch immer keine Nachricht von Mira und sie auch nicht gesehen hat.
Ich wähle Miras Nummer. Obwohl ich sie heute morgen schon angerufen habe und sie nicht erreichen konnte, will ich die Hoffnung noch nicht aufgeben. Aber auch jetzt meldet sich nur die Mailbox.
Unruhig gehe ich auf der Straße auf und ab. Hier stimmt etwas nicht. Ich kenne Mira und wenn sie etwas vor hat, dann zieht sie das auch durch. Sie ist weder bei der Arbeit noch bei mir zu Hause. Und bei Michael ist sie auch nicht, also hat sie sich nicht plötzlich umentschieden später mit mir zu sprechen.
Ich muss unbedingt herausfinden, was los ist.
***
Mira:
Mein Kopf dröhnt, als ich meine Augen das nächste Mal öffne. Ich muss eingeschlafen sein. Das Kratzen in meinem Hals bringt mich um.
Langsam richte ich mich auf und werfe einen Blick auf mein Bein. Ich versuche den Schmerz so gut es geht zu verdrängen, aber es scheint als hätte ich im Schlaf unbequem gelegen. Ein wenig Rot schimmert durch den weißen Verband.
Trotzdem raffe ich mich auf und humple zum Waschbecken. Ich strecke meine Zunge gierig zum Wasser, welches träge aus dem verrosteten Hahn fließt.
Ich schrecke hoch, als die Tür zur Abstellkammer aufgestoßen wird. Mauricio kommt mit einem irren Lächeln auf mich zu. Ich weiche ein Stück zurück an die Wand doch er kniet sich vor mich, sodass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt ist.
"Ich habe eine Überraschung für dich, amorcito", grinst er und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Angewidert rücke ich noch weiter von ihm ab.
"Was für eine Überraschung?", will ich misstrauisch wissen.
"Ich habe ein wenig herumtelefoniert und meine Beziehungen spielen lassen. Wir werden heiraten und zurück nach Spanien gehen", sagt er, als wäre es das Schönste in seinem Leben. Für mich ist es der Tiefpunkt. Der absolute Tiefpunkt.
Ich habe mich damit abgefunden hier gefangen zu sein. Ich habe mir vorgestellt, wie ich eines Tages unbemerkt verschwinde. Vielleicht wenn er schläft oder wenn er denkt ich putze, koche oder tue sonst etwas, was er mir befohlen hat. Ich würde so tun, als könnte er mir vertrauen und dann, wenn er es am wenigsten erwartet, würde ich abhauen.
Aber ihn heiraten?! Diese Bindung wird schwer zu lösen sein.
Ich erinnere mich, dass es eine Trennungszeit von 12 Monaten gibt und ich kenne Mauricio gut genug, dass er niemals zulassen würde, dass ich gehe. Egal wie glaubwürdig ich von seinen Drohungen und der Entführung berichten würde, er findet dennoch einen Weg, um alle auf seine Seite zu ziehen.
Wahrscheinlich würde ich es nicht einmal nach 12 Monaten schaffen die Scheidung bei einem Richter durchzubringen. Und wenn wir erstmal in Spanien sind, kann Matt mich nicht mehr finden. Michael werde ich nie wieder sehen und jegliche Chance auf Rettung ist dahin.
¡Me cago en la mierda! (Verdammte Scheiße!) Das hier ist mein Ende. Ich muss einen Mann heiraten, den ich am meisten auf der ganzen Welt hasse. Ich muss mein Leben mit einem gewalttätigen Ehemann verbringen. Ich muss in Spanien eingesperrt in Mauricios Haus leben. Ich muss mich für immer von der Liebe meines Lebens und dem besten Freund... Bruder verabschieden. Und ich konnte Matt nicht einmal meine wahren Gefühle offenbaren.
"Du hast keine andere Wahl, cariño. Ich habe dir gesagt, dass ich diesen Matthias töten werde. Wenn du die Papiere nicht unterschreibst, wird genau das geschehen. Wenn doch überlege ich es mir nochmal und belasse es vielleicht bei einer Prügelei."
In diesem einen Moment zerbricht mein ganzes hart erarbeitetes Leben in tausend Scherben. Und diese Scherben bringen sicher kein Glück!
Matt:
Nachdem ich weiter sinnlos durch die Gegend gefahren und Freunde und Bekannte von Mira, zumindest die, die ich kenne, angerufen habe, fahre ich zurück zu Michaels Haus, doch niemand öffnet.
Genervt setze ich mich zurück in mein Auto und warte auf ihn. Zwanzig Minuten später kommt er mit Einkaufstüten wieder. Ich springe aus dem Auto und er sieht mich erschrocken an.
"Sie ist nicht da, ich hab überall nachgesehen und rumtelefoniert. Aber sie ist verschwunden."
"Komm rein", Michael schließt die Haustür auf und schiebt mich ins Wohnzimmer. Wir setzen uns auf das Sofa und ich sehe wie mein bester Freund sich bedrückt die Hände reibt. Es scheint als habe er eine Idee, aber seinem Gesichtsausdruck nach keine angenehme.
"Was ist los, Michael?"
"Hat Mira dir schonmal etwas von Mauricio erzählt?", fragt er mich. Einen Moment denke ich darüber nach, schüttle dann aber bestimmt den Kopf. "Du bist ihm schonmal begegnet. Er hat sich als Kunde vorgestellt, Mauricio Ramirez Torres."
"Ich erinnere mich" Ich sehe den großen, dunkelhaarigen Mann vor mir. Seine Augen hatten ein gefährliches Funkeln und ich weiß noch, dass Mira bei dem Geschäftstermin ziemlich durch den Wind war.
"Der Typ ist ihr Exfreund. Ein ziemlich unangenehmer Kerl. Es ist nur eine Vermutung, aber ich denke er hat etwas mit ihrem Verschwinden zu tun."
"Wie kommst du darauf? Und was meinst du mit 'unangenehmer Typ'?" Meine Nerven sind gespannt. Ich spüre wie es in meinem Magen zu rumoren beginnt.
"Er ist gewalttätig und er hat ihr in letzter Zeit immer wieder Drohungen geschickt."
"Was?", ich kann nicht fassen, was er mir gerade erzählt. Aber jetzt kann ich mir ja denken, von wem sie die Ohrfeige hatte. Die Wut in meinem Inneren steigt und ich habe gerade wirklich Lust jemandem eine reinzuhauen.
"Wieso hat sie mir nichts gesagt? Warum droht er ihr?"
"Er will sie um jeden Preis zurück und er hat gedroht dir etwas anzutun. Sie wollte dich vermutlich nicht belasten."
"Und warum denkst du, dass er Schuld an ihrem Verschwinden ist? Du willst mir doch nicht sagen, dass du die ganze Zeit davon wusstest und sie nicht beschützt hast vor diesem Irren?!"
"Was glaubst du warum sie bei mir wohnt? Ich hab alle Sicherheitssysteme erneuert und so gut wie möglich auf sie aufgepasst. Sie hat mir nur erzählt, dass er was gegen dich hat. Ich weiß nichts genaues darüber."
Seufzend vergräbt er das Gesicht in seinen Händen: "Ich hätte besser auf sie aufpassen sollen."
"Wir wissen doch noch nicht mal mit Sicherheit, dass dieser Mauricio was damit zu tun hat", versuche ich ihn ein bisschen zu beruhigen. Obwohl es in mir drinnen anders aussieht. Ich mache mir Sorgen, unglaubliche Sorgen.
"Ich fühle es, Matt. Wir müssen etwas tun!" Kurz entschlossen holt er sein Handy aus der Tasche. "Guten Tag, Michael Wayne hier. Ich möchte eine Entführung melden"
***
Mira:
Mauricio hatte mich kurz nach seiner Offenbarung wieder alleine gelassen. Doch egal wie schrecklich diese Nachricht war, ich wollte mich davon nicht unterkriegen lassen. Ich hatte die Tränen erfolgreich bekämpft und alle Möglichkeiten zu entkommen durchgespielt. Aus diesem Zimmer konnte ich unmöglich ausbrechen. Also musste ich warten, bis Mauricio mich zu "unserer Hochzeit" bringen würde.
Es sind wahrscheinlich ein paar Stunden vergangen, als die Tür ein weiteres Mal aufgeht und mir eine junge, hübsche Frau gegenübersteht.
"Was tust du hier?", frage ich entgeistert. Die Gedanken begannen in meinem Kopf durcheinander zu wirbeln und ich kann einfach keine Verbindung herstellen.
"Ich bringe dich zu deiner Hochzeit", verkündet Thea und zerrt mich von der Matratze hoch. Sie sieht makellos aus, wie immer. Ein beiges Kostüm schmeichelt ihrer Figur und ihre Haare sind kunstvoll hochgesteckt.
Das Klacken ihrer Pumps hallt laut in meinen Ohren wieder, während sie mich durch einen dunklen Flur in ein Badezimmer schleppt.
Mein Blick fällt in den großen Spiegel. Mein ehemals beiges T-shirt ist abgerissen und voll von Erde, Staub und anderen dunklen Flecken, die ich nicht zu identifizieren vermag. Meine Hose ist am Oberschenkel blutdurchtränkt, doch es ist getrocknetes Blut, sodass sie ganz steif ist. Auch sie ist voller Dreck.
Als mein Blick auf mein Gesicht fällt, halte ich erschrocken die Luft an. An meinem Hals sind leichte Würgemale zu erkennen und meine Haare sind hoffnungslos verfilzt. An meinem Hinterkopf ist eine Platzwunde, die meine dunklen Strähnen verkleben. Ich habe Augenringe und bin bleich, wie ein Geist.
"Du musst unbedingt duschen", verkündet Thea naserümpfend und zieht mir mein Oberteil über den Kopf. Bevor sie weiter machen kann, beginne ich mich selbst zu entkleiden. In meiner Unterwäsche schubst sie mich in eine beengende Dusche.
"Du hast fünf Minuten", ruft Thea mir zu, ehe sie den Vorhang schließt. Mit zitternden Händen drehe ich das Wasser auf und warte bis es eine angenehme Temperatur hat. Ich spüre wie meine steifen Glieder sich langsam entspannen. Das Wasser brennt an meinem Oberschenkel, doch ich beiße so gut es geht die Zähne zusammen. Ich kann nicht einmal hinsehen, sonst würde ich vermutlich in die Dusche kotzen.
"Noch drei Minuten", höre ich Theas Stimme. Schnell greife ich nach einem Duschgel auf der Ablage und beginne mich einzuseifen. Meine Gedanken rasen immer noch. Wie kann ich entkommen? Warum hilft Thea Mauricio? Was zum Teufel ist hier los?!
Pünktlich drei Minuten später reißt die verrückte Frau den Vorhang wieder zur Seite und ich kann gerade noch das Wasser abstellen, ehe sie mir ein Handtuch hinwirft. Vorsichtig trockne ich mich ab.
Sie zieht mich weiter auf einen Hocker und holt Kamm und Fön aus einem kleinen Schrank an der Wand. Sie bürstet mir das Haar so grob, dass ich einige Male aufschreie vor Schmerzen. Doch sie kommentiert das nur mit einem genervten Stöhnen.
"Hör auf zu heulen, Schlampe. Hättest du dich von Matt fern gehalten, wäre es gar nicht so weit gekommen." Darum geht es ihr also. Sie ist eifersüchtig, weil ich was mit Matt habe. Aber ich dachte sie hat auch eine Affäre mit ihm. Oder will sie ihn einfach für sich alleine? Als hätte sie meine Gedanken gelesen fährt sie fort.
"Es war alles perfekt. Wir haben uns geliebt, verstehst du?! Aber dann tauchst du auf und klimperst ein paar Mal mit deinen Wimpern, sodass mein Mann dir verfällt. Aber da hast du die Rechnung ohne mich gemacht. Du wirst ihn niemals bekommen. Wenn du erstmal wieder in Spanien bist und der arme Matt eine Postkarte von Mauricios neuer Ehefrau bekommt, werde ich da sein und ihn trösten. Er wird erkennen, dass ich die einzig Wahre für ihn bin!"
Während ihrer Erzählung hat sie den Fön abgeschaltet und beginnt nun meine Haare brutal zu einer Frisur zu drehen. Ich atme erleichtert auf, als sie endlich die letzte Haarnadel hineingeschoben hat, denn ein paar hat sie gefährlich nah an meiner Platzwunde festgesteckt.
Sie holt einen kleinen Koffer hervor und fängt an mich ein wenig zu schminken. Ihre Bewegungen sind routiniert und so ist sie schnell fertig. Aus dem Schrank zieht sie außerdem eine neue Verbandsrolle und wirft sie mir in den Schoß.
"Jetzt nur noch das Kleid", murmelt sie und geht aus dem Bad. Währenddessen versuche ich meinen Oberschenkel so gut es geht zu verbinden, ohne mir die Wunde genauer anzusehen. Blut ist nicht gerade förderlich für mein Bewusstsein. Trotzdem fällt mir auf wie geschwollen und rot die Haut ist.
Thea kommt wieder herein, in der Hand ein langes, schwarzes Kleid aus Spitze, traditionell spanisch natürlich. Es ist schön, aber der Anlass lässt es zu meinem Alptraum werden. Wenigstens ist schwarz auch die Farbe der Trauer. Ungeschickt erhebe ich mich und lasse es mir von Thea anziehen. Egal wie wenig mir diese Hochzeit gefällt, ich muss Matt beschützen!
Die Mantilla (eine Art Schleier)wiegt schwer auf meinem Kopf. Das Kleid schnürt mir die Brust zu und Thea hat noch eine extra breite Kette um meinen Hals gelegt um die Würgemale zu verdecken, nachdem sie sie gründlich überschminkt hat. Ebenso wie die blauen Flecken auf meinen unbedeckten Armen.
Mein Kopf fühlt sich heiß an, meine Gedanken entgleiten mir immer wieder und ich schwanke zwischen Schwitzen und Frieren. Diese Situation schafft mich mehr als ich erwartet habe und ich lehne mich auf der Matratze zurück, um mich kurz auszuruhen.
Ich sitze wieder alleine in der Kammer und soll auf Mauricio warten, er hole mich gleich ab. Dann führen wir zur Kirche. Es fühlt sich an als wäre ich am Ende meines Lebens angekommen. Alles Wünsche, Träume und Hoffnungen sind weg. Denn nichts davon werde ich je erfüllen können.
Mein Leben wird an Mauricios Seite enden. Als seine Ehefrau.
Die Tränen laufen lautlos über meine Wangen und ich sehe Matts Gesicht vor mir. Er ist meine wahre Liebe, ihn sollte ich jetzt heiraten. Man könnte es fast Ironie des Schicksals nennen. Ich werde genau an dem Tag entführt, an dem ich Matt alles erklären und meine Liebe gestehen möchte.
Jetzt wird er es nie erfahren. Die Postkarte, die Thea erwähnt hat, wird alles was je zwischen uns war beenden. Nie wieder werde ich in seine dunkelblauen Augen sehen, nie wieder seine weiche Haut berühren, nie wieder seine Lippen küssen. Mein Weinen verwandelt sich in hysterische Schluchzer.
Ich will nicht, dass es vorbei ist! ¡Jódete! (Zum Teufel mit dir!) Du wirst mein Leben nicht zerstören, Mauricio!
Matt:
Das Warten macht mich wahnsinnig! Seit Stunden sitzen Michael und ich auf der Polizeiwache. Mein bester Freund hat die ganze Geschichte über Mira und ihren Exfreund erzählt und ich könnte Kotzen bei dem Gedanken, dass sie jetzt bei diesem Schwein ist und ich sie nicht beschützen kann.
Die Polizisten haben erstmal alles abgetan und uns verkündet, dass sie den Spuren nachgehen werden. Aber Mira sei nunmal eine erwachsene Frau und nur weil sie sich nicht meldet, müsse sie nicht gleich entführt worden sein.
Nachdem ich dem Polizisten dafür fast eine reingehauen hätte, haben sich ein paar Kollegen daran gemacht diesen Mauricio zu überprüfen. In der Zeit sollten wir uns hinsetzen und warten.
Mein Fuß tippt unaufhörlich auf den Boden, meine Hand balle ich immer wieder zu Faust, um dann wieder meine Hände zu kneten. Als einer der Beamten seine Kollegen heran winkt, springe ich auf und stelle mich hinter seinen Schreibtisch.
"Hey, setzen Sie sich wieder. Wir erledigen das hier schon", schimpft einer, doch ich starre unbeirrt auf den Bildschirm.
Eine Akte ist geöffnet und zeigt das Bild dieses Perversen. Doch sein Name lautet Rico Rámirez, nicht Mauricio Rámirez Torres.
"Das ist er!", sage ich sicher und lese sein Vorstrafenregister. Einige Anzeigen wegen Körperverletzung, eine wegen sexuellen Missbrauchs. Doch es scheint als wäre er nie vor Gericht gewesen.
Die Wut in meinem Bauch steigt, ich stelle mir vor, wie Mira gefesselt in seinem Bett liegt und er sie mit seinen schmierigen Händen berührt. Gerade noch rechtzeitig kann ich die gegenüberliegende Klotür aufstoßen und erbreche mich in die Toilette.
Schwer atmend hocke ich vor der Kloschüssel und versuche die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu verbannen. Die Hilflosigkeit lässt mich aufschluchzen und ich wünschte ich hätte ihr von meinen Gefühlen erzählt. So viel Zeit haben wir mit unnötigen Streitereien vergeudet. Vielleicht wäre sie dann heute Nacht bei mir gewesen und dieses Schwein hätte keine Chance gehabt sie zu entführen.
Aber die Wahrheit über seine Gefühle bemerkt man immer erst, wenn es schon (fast) zu spät ist.
"Mister Norris, wir haben eine Anzeige von einer Mira Sánchez Martín gegen Mauricio Rámirez Torres gefunden. Darin erzählt sie eine ähnliche Geschichte, wie ihr Begleiter eben. Die Anzeige wurde jedoch zurückgezogen, da ein Mann mit diesem Namen nicht in der Datenbank ist. Aber wir haben eine Adresse des Mannes auf dem Foto. Ein Team fährt gleich hin und spricht mit ihm. Falls er ihre Lebensgefährtin wirklich entführt haben sollte, bekommen wir das raus", versucht mich einer der Polizisten zu beruhigen. Aber es hilft nicht. Einfach nur mit ihm zu Reden wird doch nichts bringen!
"Danke", sage ich trotzdem, erhebe mich und wasche mir den Mund gründlich aus. Ich gehe zurück in den Flur, in dem mein bester Freund schon ungeduldig wartet.
"Komm, wir fahren erstmal nach Hause", verkündet er.
"Wie bitte?! Ich fahre doch jetzt nicht nach Hause, die Polizei hat endlich eine Spur, ich will Mira finden und so schnell wie möglich zu ihr."
"Beruhige dich, Matt. Die melden sich, wenn sie was haben. Bis dahin sollten wir nach Hause und uns ausruhen", beschwichtigt er mich. Bevor ich noch einen Ton sagen kann, hat Michael mich schon am Arm gepackt und zieht mich mit nach draußen.
"Hey", protestiere ich und reiße mich los, "Spinnst du, Mann?!"
"Jetzt mach nicht so ein Theater. Wir setzen uns jetzt ins Auto und fahren zu dieser Adresse. Ich hab sie gehört, als die Polizisten sie über Funk weitergegeben haben. Los jetzt, oder willst du Mira noch länger warten lassen?" Michael öffnet die Beifahrertür und gibt eine Adresse in mein Navi ein. Der Weg soll ein halbe Stunde dauern und ich weiß schon jetzt, dass ich alle Verkehrsregeln über Bord werfen werde, um auch nur eine Minute früher da zu sein.
Mira:
Mauricio betrachtet mich lüstern in dem schwarzen Kleid. Das Dekolleté ist beinahe durchsichtig und er lässt seine Augen eine ganze Zeit dort verweilen. Reflexartig schlinge ich die Arme um mich, versuche meinen Körper vor seinen ekelhaften Blicken zu schützen. Doch ich erreiche damit das Gegenteil, denn er kommt zu mir, zieht mich hoch und fährt mit seinen Händen an meinen Seiten entlang.
"Du siehst wunderschön aus, mi vida" (mein Leben), haucht er in mein Ohr und eine Gänsehaut überzieht meinen Körper. Seine eine Hand bleibt auf meiner Hüfte liegen, während die andere zu meinen Brüsten fährt. Kurz bevor er sie berühren kann, schubse ich ihn weg und lege wieder die Arme um mich.
"Weißt du was? Ab jetzt hab ich genug Zeit dir Gehorsam beizubringen. Du kannst dich wehren so viel du willst, es wird dir nichts nützen", lacht er schadenfroh und packt meinen Arm. Seine Hand wandert hoch und drückt unangenehm meine Brust. Er zieht mich aus dem Zimmer und bringt mich nach draußen. Das Sonnenlicht blendet mich und ich atme erstmal tief ein und aus.
Mein Exfreund schlägt mir ungeniert auf den Hinter und lacht als ich verschreckt zucke. Mein Kopf pocht protestierend und Tränen steigen wieder in mir hoch, doch mein Stolz lässt nicht zu, dass ich vor ihm weine.
Er schiebt mich ein Stück weiter zu einem silbernen Auto und hält mir die Tür auf. Sobald ich eingestiegen bin, setzt er sich neben mich und der Wagen fährt los.
Den ganzen Weg über Schweigen wir; was sagt man denn auch seinem Stalker, der in absehbarer Zeit sein Ehemann sein wird?! Meine Gedanken kreisen um Matt, denn nur er lässt mich etwas besser fühlen. Aber ich weiß, dass ich keine Chance habe. Entweder ich heirate Mauricio und Matt kommt über mich hinweg oder ich weigere mich Mauricio zu heiraten und Matt stirbt.
Da fällt mir die Entscheidung nicht allzu schwer.
Nach einer Stunde fahren wir auf einen großen Hof vor einer Kirche. Sie ist klein und sieht aus, als falle sie jeden Moment in sich zusammen. Aber Mauricio scheint begeistert zu sein und springt sofort aus dem Auto, um mir dann wieder die Tür aufzuhalten. Seine zuvorkommende Art ist perfekt inszeniert, sodass kein Außenstehender bemerken würde, wie er wirklich drauf ist.
Schwerfällig steige ich aus und mein Bein schmerzt schlimmer als je zuvor. Wimmernd sinke ich auf den Boden und halte mir mein Bein. Stöhnend und mit wütendem Blick kniet sich Mauricio zu mir herunter.
"Mach jetzt kein Theater. Meine Leute sind überall und es kostet mich nur einen Anruf deinen Geliebten umzubringen", zischt er mir zu.
"Mein Bein", schluchze ich und raffe das Kleid ein wenig, um meinen Oberschenkel zu betrachten. Dickes Rotes Blut, gemischt mit Eiter zeichnet sich unter dem sporadischen Verband ab. Zitternd starre ich den roten Strich, der oberhalb der Wunde verläuft. Sieht nicht so eine Blutvergiftung aus?, schießt es mir durch den Kopf. Doch im gleichen Moment wird mir bewusst, dass es vielleicht genau das Richtige ist. Ich werde Mauricio jetzt heiraten und bald an der Blutvergiftung sterben. Dann muss ich nicht mein Leben in Gefangenschaft mit einem gewalttätigen Mann verbringen.
Im nächsten Moment zucke ich erschrocken zusammen. Was denke ich denn da?! Sterben löst meine Probleme bestimmt nicht. Und auch wenn es mich von Mauricio erlösen würde, erstens sehe ich Matt dann nie wieder und zweitens scheint es mir kein angenehmer Tod zu sein.
Aber von Mauricio tot geprügelt zu werden ist besser? Meine Gedanken scheinen mich zu verhöhnen.
"Du wirst mich jetzt heiraten, darum kümmern wir uns später", meint er nur genervt und zieht mich wieder hoch. Doch ich schaffe es nicht mich zu halten und er hebt mich kurzentschlossen hoch. Ich ziehe zischend die Luft ein, denn diese Bewegung verstärkt meine Schmerzen nur noch. Ich schließe für einen Moment die Augen und hoffe, dass es einfach bald vorbei ist.
Ich spüre, wie mein Exfreund mich zu den altem Gebäude trägt und mir ein muffiger Geruch entgegenschlägt. Langsam öffne ich wieder meine Augen und vor mir öffnet ein fremder Mann die Tür zum Innenraum der Kirche. Die Bänke sind mit Blumen geschmückt und in den ersten Reihen sitzen Menschen. Ein paar bekannte Gesichter, größtenteils Fremde.
Mauricio betritt mit mir auf dem Arm die Kirche und er lehnt sich ein wenig zu mir runter. "Lächle", raunt er bedrohlich. Lächelt mich dann aber strahlend an. Ich gebe mein Bestes ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln aufzusetzen. Zur Tarnung gibt er mir einen Kuss auf die Wange und ich höre das verträumte Aufseufzen einiger Frauen, als wir an den vorderen Bankreihen vorbei gehen.
Mauricio setzt mich vor dem Altar ab und schiebt mir einen Stuhl zu, auf den ich mich erschöpft sinken lasse. Mein Kopf dröhnt immer noch und ich reibe mir mit den Händen über die Arme, um sie zu wärmen.
Der Pfarrer beginnt mit seiner Rede, die ich wie im Delirium erlebe. Nach alter spanischer Tradition übergibt Mauricio mir ein Säckchen mit 13 Goldmünzen. Fast hätte ich laut aufgelacht, denn um mich kümmern wird er sich in der Ehe sicher nicht, wie es der Beutel eigentlich ausdrücken soll.
Als der Pfarrer nach einer halben Ewigkeit die entscheidende Frage stellt und Mauricio mit "Ja" antwortet und seine Unterschrift auf das Dokument setzt, will ich am liebsten wegrennen.
Aber noch bevor mir die gleiche Frage gestellt wird, reißt jemand die Tür auf.
Matt:
Mit dem Auto verfolgen wir jetzt schon unzählige Minuten den silbernen Wagen. Wir kamen gerade bei der Adresse an, als ein Mann einstieg und das Auto losfuhr. Da es zweifelsfrei Mauricio war, der in das Auto stieg waren wir an ihm dran geblieben.
"Ich werde ihn jetzt von der Straße holen. Vielleicht stirbt er dann wenigstens bei dem Unfall", murmle ich vor mich hin.
"Bist du verrückt?!", Michael starrt mich entgeistert an. "Du wirst gar nichts tun, außer weiter brav hinter ihnen her zu fahren. Was ist, wenn Mira in diesem Auto sitzt und stirbt, nur weil du nicht nachdenkst? Abgesehen davon möchte auch ich noch ein bisschen weiterleben!"
Seufzend fahre ich mir übers Gesicht. "Ja, ich weiß. Tut mir Leid, ich bin einfach durch den Wind", erkläre ich. Die Sorge um Mira lässt mich durchdrehen. Ich liebe sie so sehr, dass es mir den Atem nimmt und ich würde am liebsten sofort aus diesem Wagen springen und sie da herausholen.
"Scheiße, wo sind sie hin?", fragt Michael und reckt sich, um über die anderen Autos auf der Kreuzung zu schauen. Auch ich richte mich auf, doch ich entdecke das silberne Fahrzeug nicht.
Ich möchte heulen vor Frust! Das kann doch alles nicht wahr sein!
Michael zückt das Handy und ruft ein weiteres Mal bei der Polizei an. Einem zuständigen Beamten erklärt er, dass wir Mauricio gefolgt sind und wo wir ihn genau verloren haben. Er behauptet gesehen zu haben, wie Mauricio Mira ins Auto gezerrt hat, um diese untätigen Penner endlich zum Handeln zu bringen. Ich bin meinem besten Freund unglaublich dankbar, ohne ihn würde ich es nicht durchstehen!
Der Polizist verspricht, dass er jemanden losschickt und eine Handyortung veranlasst. Aber das könne noch etwas dauern. Wir sollten endlich nach Hause fahren und die Polizei ihre Arbeit machen lassen. Verzweifelt schlage ich auf das Lenkrad und atme tief durch.
"Egal, wir suchen sie weiter. Ich kann nicht noch länger warten!" Ich trete das Gaspedal durch und fahre geradeaus weiter. Die Straße hat glücklicherweise keine Nebenstraßen und wir können alles gut überblicken. Doch das silberne Auto entdecken wir nicht.
"So schnell wie du fährst hätten wir sie längst einholen müssen. Dreh um, lass uns in der anderen Straße alles absuchen", meint mein bester Freund und ich wende den Wagen. Ich biege nach links ab und schon von Weitem erkennen wir ein silbernes Fahrzeug vor der kleine Kirche am Ende der langen Straße.
Was wollen sie denn da? Ich versteh es nicht. Er entführt sie und fährt dann (mit ihr) zu einer Kirche?
"Was soll das?", frage ich Michael, der blass nach vorne starrt.
"Ich hab da so eine Idee, aber die wird dir nicht gefallen", murmelt er, während er schon wieder die Nummer der Wache wählt.
Michael und ich stehen ungeduldig auf dem Hof. Die Polizisten seien in wenigen Minuten da, hatte der Beamte am Telefon versprochen und uns eine Standpauke über unser unvorsichtiges Verhalten gehalten. Ich hatte den Anruf einfach beendet und jetzt müssen wir schon wieder warten. Sekündlich wandert mein Blick auf meine Armbanduhr, mein Magen schmerzt bei dem Gedanke, dass Mira gerade in dieser Kirche ist. Und wenn Michael mit seiner Vermutung Recht hat, wird sie ihn gleich heiraten.
"Ich kann nicht mehr warten, ich muss diese Hochzeit verhindern und sie da raus holen!" Ohne auf meinen besten Freund zu achten laufe ich zur vermoderten Holztür und stemme sie auf. Michael taucht hinter mir auf und zusammen betreten wir den Innenraum.
Alles was ich sehe ist Mira, die zusammengesunken auf einem Stuhl vor dem Altar sitzt und mich aus zusammengekniffenen Augen mustert. Neben ihr steht Mauricio, der aussieht, als würde er gleich vor Wut explodieren.
Er kommt mir entgegen, doch seine Faust habe ich kommen sehen und halte ihn rechtzeitig fest. Dann schlage ich ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Mein zweiter Schlag trifft ihn im Magen und er geht ächzend zu Boden.
Zwei Kerle, scheinbar Hochzeitsgäste, kommen angelaufen und wollen sich ebenfalls mit mir prügeln. Michael tritt dem einen entgegen und hält ihn davon ab auf mich loszugehen. Wie aufs Stichwort kommen ein paar Polizisten herein und nehmen sich der aggressiven Gäste an.
Ohne weiter Notiz von ihnen zu nehmen, renne ich nach vorne zu Mira, die ihre Augen geschlossen hat und zitternd da sitzt.
"Hey Liebling", flüstere ich und nehme sie erleichtert in den Arm. Sie stößt ein Wimmern aus und ich halte sie wieder ein wenig von mir weg. Ihre Wangen sind rot und der Schweiß steht ihr auf der Stirn, ihre Atmung geht flach und schnell. "Mira", sage ich jetzt etwas lauter, doch sie öffnet ihre Augen immer noch nicht.
"Rufen Sie einen Krankenwagen", schreie ich den Leuten zu, ehe ich mich wieder zu ihr lehne und sie auf den Arm nehme. "Was ist passiert, Liebling? Bitte rede mit mir", flehe ich. Die Hilflosigkeit kriecht in mir hoch und ich vergrabe meine Nase in ihrer Halsbeuge. Ihr Duft ist betörend, aber der schwarze Stoff des Kleides ist ein herber Kontrast zu ihrer blassen Haut.
Ihr Lippen sind spröde, trotzdem muss ich sie einfach küssen. Ich habe sie so sehr vermisst und jetzt ist sie endlich wieder bei mir. Aber sie reagiert nicht auf den Kuss, murmelt nur unverständlich vor sich hin.
Mit ihr auf dem Arm verlasse ich die Kirche. Die Gäste stehen alle zusammen und werden von Beamten befragt. Andere werden gerade in Handschellen zu dem Polizeiautos gebracht. Auch Mauricio ist dabei und ich hoffe er wird für lange Zeit im Gefängnis schmoren.
"Mira", höre ich Michael erschrocken rufen und bleibe stehen. Mein bester Freund kommt auf uns zu gelaufen und betrachtet sorgenvoll ihren zierlichen Körper.
"Bein", haucht sie, gefolgt von einem weiteren Wimmern. Sofort trage ich sie zu meinem Auto, Michael macht die Tür auf und ich lege sie vorsichtig auf die Rückbank.
"Ich weiß nicht was sie hat. Sie reagiert nicht, hat Fieber und zittert unablässig", erkläre ich Michael verzweifelt und schiebe langsam das Kleid ihre Beine hoch. Doch ich kann nichts entdecken. Bis ich am rechten Oberschenkel einen durchtränkten Verband sehe, der einen üblen Geruch verströmt.
Schwer atmend lehne ich mich gegen den Wagen und schlage wütend auf das Dach. Das darf doch nicht wahr sein! Ich habe sie doch gerade erst wieder! Und ich hab ihr noch nicht gesagt, was ich für sie empfinde!
Der Krankenwagen fährt auf den Hof und Michael ruft ihn zu uns. Mira wird auf eine Trage geschnallt und in das Wageninnere geschoben.
"Komm Matt, wir fahren hinter ihnen her ins Krankenhaus", mein bester Freund zieht mich zu meinem Auto, doch er erkennt meine Lage und steigt selbst auf den Fahrersitz. Schweigend sitze ich neben ihm. Mein Hals wird von Sekunde zu Sekunde enger und ich kann die Tränen einfach nicht mehr aufhalten. Ich hätte diesen Wi**er töten sollen! Meine wunderschöne, freche Mira liegt in diesem Krankenwagen und kämpft vielleicht um ihr Leben!
Michael legt mir eine Hand auf die Schulter und legt noch einen Gang zu. Kurz nach dem Krankenwagen kommen wir am Krankenhaus an. Ich renne hinein und eine Schwester sagt mir ich solle im Wartezimmer platz nehmen, während Mira behandelt wird.
***
Stunde um Stunde vergeht bis ein Arzt auf uns zu kommt. Michael schläft neben mir und ich stupse ihn an, bis er hochfährt und den Mann ebenfalls entdeckt.
"Sie gehören zu Mira Sánchez Martín? Darf ich fragen in welcher Beziehung sie zueinander stehen?", fragt der Mann und mustert uns eindringlich. Ich weiß, dass er nur Familienangehörigen Informationen geben darf, aber ein wenig Schwindeln ist in meiner Situation wohl zu verkraften.
"Matthias Norris, ich bin ihr Verlobter. Der Rest ihrer Familie lebt in Spanien", erkläre ich deshalb. Er nickt nachdenklich.
"Ich bin ein Freund von ihr", gibt Michael zu, doch der Arzt geht nicht weiter darauf ein.
"In Ordnung, Miss Sánchez Martín hat aufgrund der infizierten Schussverletzung eine schwere Blutvergiftung, die medikamentös behandelt wird. Wir haben sie an einige Geräte angeschlossen, um ihre Organfunktionen zu unterstützen. Dazu gehört auch die Beatmung. Es musste kein Gewebe entfernt werden, trotzdem wird es einige Zeit brauchen, bis sie wieder richtig gesund ist. Außerdem hat sie mehrere Blutergüsse und eine Platzwunde am Hinterkopf", diagnostiziert er. Ich atme tief durch, sie ist nicht gestorben und es wird ihr besser gehen.
Schusswunde, hallt es in meinem Kopf. Wie ist das passiert? Hat dieses Schwein sie etwa angeschossen?! Ich verstehe einfach gar nichts mehr. Ich muss endlich zu ihr.
"Wann können wir zu ihr?", will ich wissen.
"Miss Sánchez Martín liegt noch auf der Intensivstation. Sie ist zwar ansprechbar, aber ich denke sie sollten bis morgen mit dem Besuch warten. Sie braucht viel Ruhe", antwortet der Arzt.
"Bitte, ich möchte sie sehen. Ich habe sie heute fast verloren, ich kann nicht gehen, bevor ich sie einmal gesehen habe und mich versichert habe, dass es ihr gut geht. Kann ich nur für ein paar Minuten zu ihr?", bitte ich ihn inständig. Nach einigem Zögern nickt er und nennt mir ihre Zimmernummer.
Ich muss mir einen Schutzkittel überziehen und meine Hände desinfizieren, bevor ich den Raum betreten darf. Ihr kleiner Körper in diesem weißen Bett, mit den Schläuchen drum herum lässt mich stocken. Es geht ihr schlecht; das muss mir klar sein.
Trotz des beängstigenden Anblicks zwinge ich mich die paar Schritte zu ihrem Bett zu machen. Ich nehme ihre Hand und streiche vorsichtig darüber. Fast augenblicklich flattern ihre Augenlider und sie sieht mich aus schokobraunen Augen an.
"Hallo Liebling", lächle ich. Überraschung steht in ihrem Blick.
"Was machst du hier?", fragt sie mit kratziger Stimme. Ich nehme die Wasserflasche vom Tisch neben ihr und fülle etwas in einen Becher. Ich reiche ihr das Wasser, aber ihre Hände sind zu zittrig, um den Becher zu halten. Also halte ich den Becher, während sie in gierigen Schlücken ihren Hals kühlt.
"Ich lasse dich nie wieder alleine", verkünde ich dann und nehme wieder ihre Hand. Ihr Blick wandert zu unseren ineinander verschlungenen Fingern.
"Wo ist Mauro?", fällt ihr plötzlich ein und ihr Atmen geht schneller. Ein Gerät beginnt zu piepen uns sie greift sich an den Hals. Erschrocken halte ich sie fest.
"Beruhige dich, Liebling. Er wurde verhaftet. Er wird dir nie wieder etwas tun", verspreche ich und lege meine Hand an ihre Wange. Sie beruhigt sich etwas und lehnt sich erschöpft in ihrem Kissen zurück. Ich lege mich neben sie in das kleine Bett.
"Soll ich dich schlafen lassen?", frage ich sie und streiche ihr durchs dunkle Haar. Doch sie schüttelt den Kopf.
"Du hast mich gerettet", murmelt sie. "Ich hab an dich gedacht", sagt sie dann zusammenhanglos. "Ich hab gewusst, dass du mich rettest. Er wollte mich zwingen ihn zu heiraten", schluchzt sie verzweifelt und rollt sich auf meine Seite. Ihre tränenden Augen sehen mich flehend an und ich ziehe sie behutsam an meine Brust.
"Du musst ihn nicht heiraten. Es ist vorbei. Ich bin hier, Mira. Ich werde dich beschützen. Tut mir Leid, dass ich nicht früher da war", raune ich in ihr Ohr und lege mein Kinn auf ihren Scheitel.
"Er hat gesagt er bringt dich um, wenn ich ihn nicht heirate", weint sie weiter.
"Was hat er mit dir gemacht?" Ich muss es einfach wissen, mein Blick wandert zu ihrem Bein, welches unter der Bettdecke versteckt liegt.
"Ich wollte zu dir fahren. Ich war sauer, weil Leo mir erzählt hat du hast eine Affäre mit Thea. Dann kam plötzlich...", sie stockt, "er.. Ich wollte weglaufen und dann hat er geschossen. Es ging so schnell. Er hat mich in sein Haus gebracht und mich in einer kleinen Kammer eingesperrt. Wenn ich nicht gehorchen wollte, ist er grob geworden... Und er wollte mich anfassen..." Sie schluchzt wieder und vergräbt ihr Gesicht an meiner Brust. Mein Blut kocht. Dieser Perverse hat sie angefasst...
"Thea steckt da auch mit drin. Sie kam um mich für die Hochzeit vorzubereiten", sagt Mira plötzlich.
"Thea? Leos Sekretärin Thea? Warum?", frage ich verständnislos. Was hat sie mit Miras Exfreund zu tun?
"Sie will dich. Und da war ich ihr im Weg, also hat sie ihm geholfen. Er wollte mich heiraten und dann zurück nach Spanien bringen. Thea hätte dich getröstet und du wärst wieder mit ihr zusammen gekommen", spricht sie Theas Plan aus.
"Das ist doch totaler Blödsinn. Zwischen ihr und mir läuft schon ewig nichts mehr. Und ich liebe dich, egal wo du bist. Sie hätte mich nie über dich hinweg trösten können", sage ich standhaft. Zu spät fällt mir auf, was ich da gerade gesagt habe.
"Du liebst mich?", mit großen Augen sieht Mira mich an. Mein Herz beginnt aufgeregt zu pochen. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit!
Mira:
"Ja Mira, ich liebe dich. Anfangs habe ich dich einfach begehrt, aber während unserem Deal habe ich Gefühle für dich entwickelt. Ich habe versucht sie zu unterdrücken, aber es hat nicht funktioniert. Ich bin fast durchgedreht, als Michael mir von deinem Exfreund erzählt hat. Wir haben dich überall gesucht und ich ich dachte ich hätte dich verloren, als du in den Krankenwagen geladen wurdest." Sein Blick sucht meinen und es scheint als versuche er meine Gedanken zu lesen.
"Ich liebe dich auch", sage ich schlicht und lehne mich vor um ihn zu küssen. So lange habe ich darauf gewartet und hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Hier, in seinen Armen, meine Lippen auf seinen; genau hier gehöre ich hin!
Seine Hand zieht mich enger an ihn und ich verschlinge ihn beinahe mit meinen Küssen. Mein Herz hämmert wie verrückt in meiner Brust. Und über diese Glücksgefühle fallen wir schließlich in einen traumlosen Schlaf, denn unser Traum hat sich gerade erfüllt.
***
Ein Räuspern reißt mich aus meinem Schlaf. Instinktiv kuschle ich mich enger an Matts warmen Körper. Ich atme seinen Geruch tief ein und döse weiter vor mich hin.
"Guten Morgen", spricht eine männliche Stimme und ich komme ruckartig hoch. Mein Arzt steht mit verschränkten Armen im Zimmer und sieht ganz und gar nicht zufrieden aus. Neben mir regt sich langsam Matt und fährt sich gähnend durch die hoffnungslos verstrubbelten Haare.
"Haben Sie mir nicht gestern versprochen nur ein paar Minuten bei ihr zu verbringen und ihr dann Ruhe zu gönnen?" Der ältere Mann kneift seine Augen zusammen.
"Tut mir Leid, aber ich konnte sie einfach nicht alleine lassen", meint Matt und sieht dabei alles andere als schuldbewusst aus. Er lehnt sich zu mir rüber und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich aus dem Bett schwingt.
"Ich muss unbedingt mit den Schwestern sprechen, es ist inakzeptabel so etwas durchgehen zu lassen", murmelt der Doktor vor sich hin. Dann besinnt er sich und scheucht meinen Miesepeter aus dem Raum, um ein paar Untersuchungen zu machen. Schließlich lässt er mich auf die Normalstation verlegen.
Matt kommt ein paar Stunden später mit einer Tasche von mir, frisch geduscht und umgezogen durch die Tür. Sein Geruch nach Apfel strömt mir sofort in die Nase und ich strecke meine Arme nach ihm aus.
"Hey, Liebling. Ich hab noch jemanden mitgebracht", sagt er nachdem er mir einen Kuss auf die Lippen gedrückt hat. Hinter ihm taucht Michael auf und schubst meinen Freund zur Seite um mich in seine Arme zu schließen.
"Wie geht es dir, kleine Löwin?", will er besorgt wissen und lässt seinen Blick prüfend über mich wandern.
"Es geht mir schon viel besser. Der Arzt war auch zufrieden bei den Untersuchungen. Die Medikamente schlagen gut an." Er seufzt erleichtert und streicht mir über den Kopf. Dann zieht er sich einen Stuhl an mein Bett, während Matt sich auf meine Bettkante setzt und meine Hand hält.
Die Beiden verbringen die nächsten Tage immer wieder zusammen oder abwechselnd bei mir. Sie gehen nur, wenn ich ihre Besorgnis nicht mehr aushalte und einfach mal in Ruhe schlafen will. Matt verbringt trotzdem jede Nacht bei mir, musste aber in ein Beistellbett umziehen. Der Arzt hat ihn dazu gezwungen mir meinen Freiraum zu lassen, um schnell gesund zu werden.
Zwei Wochen später kann ich endlich nach Hause, nachdem Matt dem Arzt versprochen hat auf mich aufzupassen. Er nimmt meine Tasche und hält mir seine Hand hin. Zusammen verlassen wir das Krankenhaus und gehen zu Matts Wagen. Michael muss heute leider arbeiten, hat aber versprochen heute Abend mit uns zu feiern.
"Wo willst du denn hin?", frage ich verwirrt. Matt fährt auf direktem Weg zu sich, nicht zu Michael.
"Du bleibst erstmal bei mir. Du hast doch gehört, ich soll auf dich aufpassen", meint er augenzwinkernd und legt seine Hand auf mein Knie. "Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen."
Kurze Zeit später lasse ich mich auf sein Sofa fallen. Mein Bein lege ich auf dem Couchtisch ab, die Anstrengung verschwindet und ich fühle mich, als wäre ich endlich angekommen.
"Was ist eigentlich mit Elena? Du warst doch ständig bei mir im Krankenhaus", fällt mir ein.
"Sie war die ganze Woche bei meinem Bruder und im Notfall ist meine Mutter ja noch da. Sie liebt es die Kleine um sich herum zu haben, sie hält sie jung", lacht mein Freund und setzt sich neben mich. Er legt mir seinen Arm um die Schulter.
"Du solltest deine Familie nicht vernachlässigen", murmle ich an seiner Brust. Er legt sein Kinn auf meinen Kopf und gibt mir einen kurzen Kuss auf den Scheitel.
"Hab ich nicht. Alle verstehen, dass ich mich um dich kümmern will. Aber meine Mutter drängt eh schon die ganze Zeit darauf dich wiederzusehen. Wenn du möchtest können wir am Wochenende zum Familienessen gehen", schlägt er vor. Ich lehne mich zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen.
"Im Ernst? Ja! Ja, sehr gerne", antworte ich begeistert und küsse ihn. Endlich lässt er mich seine Familie kennenlernen.
"Ich bin froh, dass wir alles auf die Reihe bekommen haben. Vor ein paar Wochen hätte ich nicht erwartet, dass wir wirklich zusammen kommen. Ich war in dich verliebt, aber ich dachte nicht, dass du genauso fühlst."
Sein Griff um mich wird stärker und er vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren, ehe er tief einatmet. "Ich auch, Liebling. Aber ich brauchte einfach länger um zu erkennen, wie viel du mir wirklich bedeutest. Ich bin froh, dass ich es dir überhaupt sagen konnte", fügt er leise hinzu.
Ich lege meine Hand an seine Wange und gebe ihm einen sanften Kuss. "Ich liebe dich!" Er erwidert meine Worte und zieht mich dann vorsichtig zu sich, darauf bedacht meinen Oberschenkel nicht zu belasten.
***
In der nächsten Woche beginnt alles wieder langsam in geregelten Bahnen zu verlaufen. Ich fange wieder an zumindest halbtags zu arbeiten und mein Bein verheilt gut. Trotzdem hat sich alles verändert.
Obwohl ich nur ein paar Tage bei Matt bleiben wollte, bin ich komplett eingezogen. Wir haben meine Sachen bei Michael abgeholt und die alte Wohnung, in die ich ursprünglich irgendwann zurück wollte, gekündigt.
Matt kümmert sich rührend um mich. Unsere Beziehung ist noch inniger und ich liebe es, ihn endlich als meinen Freund vorstellen zu dürfen.
Wir verstehen uns so gut, dass es fast schon unwirklich ist, nachdem wir am Anfang nur gestritten haben.
"Liebling, kommst du runter? Wir müssen jetzt los", ruft der Miesepeter von unten. Ich werfe noch einen letzten Blick in den Spiegel und laufe dann die Treppe runter.
"Nimmst du mich so mit?", frage ich grinsend und er dreht sich zu mir.
"Du siehst toll aus", antwortet er strahlend und gibt mir einen innigen Kuss. Danach reicht er mir meine Jacke und wir verlassen das Haus. Wir gehen heute zum Familienessen und mein Magen kribbelt bereits vor Aufregung. Hoffentlich mögen sie mich alle.
Matts Mutter habe ich ja schon kennengelernt, aber sie weiß jetzt von Mauricio. Vielleicht hat das ihre Meinung über mich geändert. Und Frederik habe ich noch nie gesehen. Aber am meisten freue ich mich auf Elena. Sie ist so ein süßes kleine Mädchen!
Mein Freund scheint meine Unruhe zu bemerken und legt seine Hand beruhigend auf meine. "Mach dir keine Gedanken. Sie werden dich alle lieben. Elena hast du eh schon um den Finger gewickelt und meine Mutter war auch begeistert von dir."
Zwanzig Minuten später halten wir vor einem kleinen Reihenhaus. Sobald wir aus dem Auto steigen, wird die Haustür aufgerissen und Angelina steht strahlend im Türrahmen.
Sie nimmt erst ihren Sohn, dann mich stürmisch in die Arme und führt uns durch den Flur in ein helles Wohnzimmer. Auf dem Sofa sitzt ein Mann, der unfassbare Ähnlichkeit mit Matt hat. Neben ihm springt Elena auf und läuft sofort in die Arme ihres Onkels.
"Hallo, ich bin Frederik", stellt sich der Mann vor und hält mir die Hand hin.
"Mira, freut mich", sage ich lächelnd. Zwei Arme schließen sich um mein Bein und ich gehe in die Hocke um Elli zu umarmen. Währenddessen umarmen sich auch die Brüder.
Angelina ruft uns an den Tisch und macht jedem ein Stück Lasange auf den Teller.
"Ich hoffe dir schmeckt das Essen, Mira. Ich bin eigentlich eine Niete im Kochen, also erwarte nicht zu viel", lacht Matts Mutter und die Brüder werfen sich wissende Blicke zu.
Unauffälig mustere ich das Gericht, kann aber nichts Ungwöhnliches feststellen. Es riecht auch nicht unangenehm.
Ich sehe zu Matt, der gerade mit Frederik Schere, Stein, Papier spielt. Verwundert kneife ich die Augen zusammen. ¿Qué es lo que pasa aquí? (Was wird hier gespielt?)
Der jüngere Bruder stöhnt genervt, als er verliert, nimmt dann aber mutig seine Gabel und probiert das Essen. Alle anderen sehen ihn erwartungsvoll an.
Matt beginnt zu husten und schüttet beinahe sein Wasserglas aus, als er danach greift.
"Oh je, das war wohl nichts. Dabei habe ich diesmal wirklich alles genau nach Anleitung gemacht!" Missmutig sitzt Angelina da.
"Das ist doch kein Problem. Ich könnte uns eben etwas Anderes machen, wenn das für dich in Ordnung ist?" Ich sehe Matts Mutter erwartungsvoll an. Ihr Gesicht erhellt sich.
"Das würdest du tun? Das ist sehr nett von dir. Es tut mir wirklich unendlich Leid dir solche Umstände zu bereiten", sagt sie, doch ich winke ab. Angelina steht auf und führt mich in eine Küche im Landhaus-Stil.
Nachdem wir einmal alle Zutaten durchgegangen sind, die sie im Haus hat, entscheide ich mich für eine Paprika-Puten-Reis-Pfanne.
Ich fange also mit dem Fleisch an, während sie Paprika, Zwiebeln und Knoblauch zerkleinert.
"Wie geht es dir?", will die Brünette wissen, ohne von dem Schneidebrett hochzusehen.
"Besser, die Schmerzen in meinem Bein werden immer weniger und Matt kümmert sich gut um mich."
"Das hoffe ich doch, immerhin habe ich ihn so erzogen." Ich stimme in ihr Lachen mit ein. "Und wie geht es dir Innerlich? Ich weiß nicht viel, aber mein Sohn hat von einem gewalttätigen Exfreund gesprochen, der dich schon einige Jahre verfolgt." Ich halte inne und atme tief durch. In den letzten Wochen habe ich es vermieden an Mauricio zu denken.
"Ja, mein Exfreund hat mich über 7 Jahre gestalkt. Er wollte nicht akzeptieren, dass ich unsere Beziehung beendet habe. Es war schrecklich bei ihm, aber... ich habe es überstanden. Matt hat mich da rausgeholt. Ich lasse das jetzt hinter mir und fange mit ihm ein neues Leben an." Angelina hat sich zu mir gedreht und nimmt jetzt meine Hand.
"Du hast es verdient glücklich zu werden. Ich könnte mir keine bessere Freundin für meinen Sohn wünschen. Ich habe schon bei unserer ersten Begegnung gewusst, dass aus euch etwas Großes wird. Du bist die Eine, das weiß ich." Ein Tränen rollt meine Wange hinunter und ich nehme meine Schwiegermutter in spe in den Arm.
***
"Was habt ihr denn so lange gemacht?", will mein Freund wissen, als wir wieder ins Wohnzimmer kommen. Er legt seine Hand an meine Hüfte und zieht mich zu sich.
"Frauengespräche geführt", grinse ich und gebe ihm einen Kuss, den er leidenschaftlich erwidert. Frederik kommt mit Elena an der Hand und sie setzen sich wieder an den Esstisch. Alle bekommen ihre Teller wieder von Angelina gefüllt. Diesmal probiert sie aber selbst zuerst. Sie beginnt zu grinsen.
"Das schmeckt super, Mira." Auch Frederik wird neugierig und isst etwas.
"Mira, du bist engagiert. Ich danke dir für dieses himmlische Essen", grinst er. Ich bedanke mich lachend. Die tun ja so, als hätte ich ein Wunder vollbracht.
"Wie läuft das denn sonst? Versuchst du dich jede Woche an neuen Rezepten?", frage ich Angelina. Matt neben mir beginnt zu lachen.
"Oh Gott, nein! Sonst bestellen wir immer etwas." Erschrocken sehe ich ihn an. Die drei ernähren sich schon seit Ewigkeiten von Fertiggerichten und Lieferdiensten?! Das werde ich ändern. Ich nehme mir fest vor zu den Familienessen in nächster Zeit immer frisch zu kochen. Naja, zumindest wenn Matt mich nochmal mitnimmt.
-4 Monate später-
"Hasta mañana, Mamá. Saluda a Papá de nuestra parte", (Bis morgen, Mama. Grüß Papa von uns) verabschiede ich mich am Telefon.
Ich habe den Kontakt mittlerweile wieder aufgebaut, immerhin habe ich nichts mehr zu befürchten. Meine Eltern waren überglücklich endlich von mir zu hören und wollten Matt so schnell wie möglich kennenlernen.
Schließlich haben der Miesepeter und ich beschlossen in Ávila ein Ferienhaus zu kaufen. Ich habe meine Heimat und meine Eltern so sehr vermisst, dass ich gar nicht zurück wollte, als wir zu Besuch nach Spanien geflogen sind.
Es war absolut die richtige Entscheidung. Jetzt können wir so oft wir wollen herkommen, ohne dass Matt seine Firma aufgeben muss. Bueno, nos lo podemos permitir siempre. (Naja, das können wir uns nicht immer leisten.) Ich arbeite immer noch bei ihm und so sind unsere Arbeitszeiten aufeinander abgestimmt.
Das einzige Problem ist, dass wir wirklich fast 24 Stunden aufeinander hocken. Wir stehen morgens zusammen auf, arbeiten zusammen und gehen zusammen schlafen.
Da kann man sich schonmal auf die Nerven gehen.
"Und was sagt deine Mutter?", will mein Freund wissen, als er in die Küche kommt.
"Sie freut sich auf uns. Ich glaub sie treibt Papa schon in den Wahnsinn. Sie kocht schon den ganzen Tag und richtet das Gästezimmer her. Ihr ist es wichtig einen guten Eindruck zu hinterlassen", lache ich. Das ist typisch meine Mutter.
"Ist das Essen schon fertig?"
"Noch zwei Minuten. Deckst du schonmal den Tisch?" Matt lässt sie wieder runter und ich halte den beiden 3 Schüsseln hin. Während er das Geschirr hinstellt, rühre ich den Eintopf um bis mein Telefon klingelt.
"Mira Sánchez Martín", melde ich mich.
"Hey, Süße"
"Na, du Abenteurerin. Wo seid ihr?", frage ich Ida.
"Wir sind am Flughafen. Morgen kommen wir in Ávila an."
"Super, Matts Familie kommt auch morgen. Wann landet ihr?"
"Um 13Uhr"
"Das passt perfekt, 2 Stunden später landet der Rest. Dann fahren wir gleich zu unserem Haus, damit ihr euch frisch machen könnt. Nachher holen wir Angel, Fred und Elli ab und fahren zu meinen Eltern."
"Das klingt gut. Wir sehen uns dann morgen, Süße", verabschiedet sie sich.
"Bis morgen, ihr beiden. Guten Flug" Max bedankt und verabschiedet sich ebenfalls im Hintergrund.
***
"Bienvenido", (Herzlich Willkommen) strahlt meine Mama. Sie stellt sich allen vor und drückt die Fremden herzlich. Mein Vater dagegen begnügt sich damit ihnen die Hand zu geben.
Aber meinen Freund und mich knuddelt auch er durch. Er kann mich nicht oft genug umarmen, seit ich wieder da bin.
"¡Adelante!", (Herein!) meint er grinsend und schiebt uns in das Esszimmer.
Angelina scheint ganz entzückt von dem fröhlichen Empfang und verschwindet mit meiner Mama in der Küche, um das Essen zu holen.
Elli dagegen ist etwas eingeschüchtert und klammert sich an die Hand ihres Vaters.
"Soll ich euch das Gästezimmer zeigen?", frage ich die beiden. Auf Frederiks Nicken hin, schnappt er sich das Gepäck und folgt mir die Treppe rauf.
Im Obergeschoss öffne ich zwei Türen.
"Das hier ist das Gästezimmer. Daneben mein altes Kinderzimmer. Ich denke mal du wirst mit Elli ins Gästezimmer und Angel ins Kinderzimmer gehen. Gegenüber befindet sich das Bad", erkläre ich.
Matts großer Bruder stellt die Taschen ab und sieht sich kurz in dem Zimmer um.
"Es ist schön hier zu sein", lächelt er besonnen. "Elli ist froh mal wieder Urlaub zu machen."
"Ich bin auch froh, dass ihr da seid!" Ich nehme ihn in den Arm und zusammen gehen wir zurück in das Esszimmer.
Angelina und meine Mutter sitzen bereits und die Vorspeise Sopa de ajo ist angerichtet. Hungrig fallen wir darüber her. Kurz darauf folgt, ganz traditionell, Paella.
Da meine Eltern nur bruchstückhaft Deutsch können, muss ich immer wieder übersetzen. Irgendwann steigen wir auf Englisch um. Trotzdem verstehen sich alle super.
Elli schläft ein und Fred bittet mich sie ins Bett zu legen. Also nehme ich die Kleine auf den Arm und Decke sie im Gästezimmer zu.
Als ich wieder nach unten komme, kommt Matt auch gerade wieder herein.
"Wo warst du?", frage ich ihn und lege meine Arme um seinen Hals. Seine dunkelblauen Augen strahlen mich unverwandt an.
"Ich hab nur nachgesehen was es zum Nachtisch gibt." Er lehnt sich zu mir runter und gibt mir einen Kuss. Gemeinsam setzen wir uns wieder und ich sehe gebannt zu meiner Mutter, die mir als erstes den Teller mit der Ponche segoviano (Marzipan-Biskuittorte) reicht. Der süße Duft strömt sofort in meine Nase und mir läuft das Wasser im Munde zusammen.
Ich nehme meine Gabel und schiebe mir das erste Stück Kuchen in den Mund noch bevor alle ihr Dessert bekommen haben. Der Geschmack breitet sich in meinem Mund aus und ich stöhne genüsslich.
"Me gusta mucho, Mamá. ¡És muy rico!" (Das schmeckt mir gut, Mama. Es ist sehr lecker!) Sie grinst erfreut. Während ich noch ein Stück esse, bemerke ich, dass Matt neben mir nur in der Torte herumstochert. Verwundert beobachte ich ihn. Gerade war doch noch alles in Ordnung.
"Ist alles okay? Schmeckt es dir nicht?", frage ich ihn leise, doch er schüttelt den Kopf und lächelt mich beruhigend an. Ich lasse es gut sein und mache mich weiter über mein Lieblingsgericht her, als ich plötzlich auf etwas Hartes beiße.
"Au!" Etwas Metallisches ist in meinem Mund und ich nehme es in die Hand.
Erschrocken starre ich den kleinen silbernen Gegenstand an und weiß nicht, was ich tun soll. Ein wunderschöner Ring mit einfachem Stein liegt in meiner Handfläche!
"Mira", fängt Matt an und mein Blick wandert sofort zu ihm. "Wir haben am Anfang nur gestritten und haben es nicht einmal geschafft friedlich zusammen zu arbeiten. Aber dein Feuer hat mich so fasziniert, dass wir das einzig Richtige getan haben", er wirft einen kleinen Seitenblick zu unseren Familien. Klar, dass er das jetzt besser nicht ausspricht. "Unsere Beziehung war nicht immer einfach, ich habe mich dagegen gesträubt meine Freiheiten aufzugeben. Aber du hast mich trotzdem unbemerkt immer mehr dazu gebracht, dich zu lieben. Das ist mir erst klar geworden, als ich dich schon fast verloren hatte und das tut mir unglaublich Leid. Diese paar Tage waren die schlimmsten in meinem Leben und ich möchte dich nie wieder verlieren. Deswegen..."
Der Miesepeter steht von seinem Stuhl auf und kniet sich vor mich. Tränen fließen still über meine Wangen und ich kann ihm nur verzaubert in seine wunderschönen Augen sehen.
"...Deswegen möchte ich dich hier und heute, vor unseren Familien fragen, ob du meine Frau werden möchtest." Er sieht mich glücklich, aber auch ein wenig verunsichert an.
"Ja! Ja, ich möchte deine Frau werden", sage ich mich zittriger Stimme und er strahlt mich mit dem glücklichsten Lächeln an, was ich je gesehen habe. Er nimmt den Ring aus meiner Hand und schiebt ihn mir auf meinen Ringfinger, ehe er aufsteht und mich umarmt. Im nächsten Moment wirbelt er mich herum und legt seine Lippen fest auf meine. Mein Hände streicheln seine Wangen und ich kann nicht glauben, dass das gerade wirklich passiert ist!
Als Matt mich wieder los lässt, nimmt Ida mich sofort in den Arm. Dann betrachtet sie mit mir zusammen den Ring.
"Der ist wunderschön. Ich bin froh, dass er es endlich begriffen hat. Ich wusste doch schon von Anfang an, dass das was wird zwischen euch!" Dann sieht sie strafend zu ihrem Freund. "Siehst du, sogar die beiden sind verlobt. Denkst du nicht es wäre angebracht auch mir endlich einen Antrag zu machen?", fragt sie halb scherzend. Ich weiß, dass sie es sich wirklich wünscht, aber Max ist nunmal ein Gewohnheitstier.
"Mach dir keine Gedanken, Schatz. Du kommst auch noch dran", lächelt er nachsichtig und gibt ihr einen Kuss. Auch er beglückwünscht mich. Im nächsten Moment werden meine Freunde jedoch von meinen Eltern zur Seite gedrängt, dich mich überschwänglich herzen und küssen. Meine Mutter plappert direkt von einer großen Hochzeit und vielen Enkelkindern. Lächelnd nehme ich das alles hin, auch wenn wir uns mit Kindern definitiv noch Zeit lassen werden, will ich die Freude meiner Mutter nicht zügeln.
Mein Blick wandert zu Matt, der zwischen seinem Bruder und seiner Mutter steht und Elli auf dem Arm hält. Auch er sieht mich an und schenkt mir ein umwerfendes Lächeln. Ich gehe zu ihm herüber und gebe ihm noch einen Kuss, einfach weil ich sicher gehen muss, dass das alles gerade wirklich passiert.
"Alles Gute, Mira. Ich bin sicher, es gibt keine bessere Schwiegertochter als dich", grinst Angelina und drückt mich an ihre Brust. Auch Fred umarmt mich mit einem geheimnisvollen Lächeln und mir fällt unser Gespräch von vorhin ein. Vielleicht wusste er was sein Bruder vorhat...
"Bleibst du jetzt bei Onkel Matti?", fragt Elli, als der Miesepeter seinen Arm um mich legt und ich mich an seine Seite kuschle.
"Ja", antworte ich und sehe meinen Verlobten an. "Für immer"
Tag der Veröffentlichung: 03.01.2016
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