Hallöchen ihr Lieben,
da es sich bei "Heimatlos" um mein erstes Buch handelt, hoffe ich natürlich auf ganze viele Rückmeldungen, Kommentare und vielleicht auch das ein oder andere Herzchen. Danke dafür!
Vielen Dank auch an meine Betaleserinnen ERROR1.3 und M<3
So, jetzt viel Spaß mit dem ersten Teil!!!
Flora_Loreley
1.
Einzelne Sonnenstrahlen fallen durch die hellen Vorhänge und tauchen mein Schlafzimmer in ein warmes Licht. Blinzelnd versuche ich die Uhrzeit auf meinem Wecker zu erkennen.
Genau in diesem Moment erklingt der Weckton und seufzend stelle ich ihn ab. Verschlafen schäle ich mich aus meiner warmen Bettdecke und schlurfe ins Bad.
Nach einer erfrischenden Dusche fühle ich mich gleich viel besser, ziehe mich schnell an und gehe in die Küche, um Kaffee zu kochen.
„Morgen“, erklingt die verschlafene Stimme meines besten Freundes und Mitbewohners Jayden in der Küchentür.
„Guten Morgen, Schlafmütze. Kaffee?“, frage ich ihn grinsend. Er nickt, fährt sich einmal durch seine kinnlangen dunkelbraunen Haare und während er in Richtung Bad schlurft, kann ich ihn etwas von „So gute Laune am Montag Morgen ist doch nicht normal!“ murmeln hören.
Ich decke den Frühstückstisch und stelle die dampfenden Tassen dazu.
Kurz nachdem ich mich an den Tisch gesetzt und mir ein Marmeladenbrot geschmiert habe, kommt Jayden dazu.
„Wann musst du heute anfangen?“, er sieht mich deutlich wacher an.
„Erst um 13Uhr. Marko hat sich schon über meine ganzen Überstunden beschwert!“, lache ich.
„Ach quatsch, der ist froh, dass er eine so tolle Sekretärin Schrägstrich Assistentin hat. Ohne dich wäre er doch komplett aufgeschmissen.“, stimmt Jay mit ein.
„Und wie sieht es mit dir aus?“
„Ich werde auch von allen geliebt und stets gebraucht.“, grinst er und seine blauen Augen, die einen Tick dunkler sind, als meine Eigenen, funkeln vergnügt.
„Du weißt was ich meine!“, ich schüttle lachend den Kopf.
„Also ich hab heute frei.“, triumphierend beißt er in sein Brötchen.
Ich stöhne genervt: „Das ist so unfair. Ich hätte auch Koch werden sollen.“
„Pah, ohne meine Nachhilfe könntest du immer noch nur die einfachsten Gerichte zubereiten.“, sagt Jay lachend.
Gespielt beleidigt äffe ich ihn nach und strecke ihm die Zunge raus.
Nach einem Blick auf die Uhr stehe ich schweren Herzens auf und verabschiede mich mit einem „Ich muss jetzt mal los. Vor der Arbeit darf ich nämlich noch die Farben kaufen, die du zum Streichen wolltest! Wegen dir, Faulpelz, muss ich mich dann beeilen zur Arbeit zu kommen. Ich werde nämlich gebraucht und bin schwer zu ersetzen, im Gegensatz zu dir. Ich hoffe du machst dich währenddessen nützlich. Die Wohnung könnte mal wieder gesaugt werden und kochen könntest du ja auch.“
Mit einem koketten Augenaufschlag drehe ich mich um, hole meine Tasche und öffne die Wohnungstür. „Bis später, Darling.“, rufe ich Jay noch zu und schließe schnell die Tür hinter mir. Kichernd springe ich die Treppenstufen runter und halte der älteren Nachbarin Frau Gerald die Eingangstür auf.
„Na du bist aber gut gelaunt heute.“, lächelt Frau Gerald. Ein erfreuter Ausdruck tritt auf ihr Gesicht.
„Es ist doch auch ein herrlicher Morgen.“, ich deute auf die Sonne, die schon jetzt einen warmen Tag verspricht.
Auf dem Weg zu meinem Auto genieße ich die Sonnenstrahlen und atme tief die frische Luft ein. Genau deswegen wollte ich etwas ländlicher wohnen, dafür nehme ich auch gerne 20 Minuten mehr Fahrtzeit auf mich.
Jay, der die Vorliebe für Natur und ländlichen Charme mit mir teilt, hatte sich schon vor drei Jahren die Wohnung in Carboa gemietet und als ich vor zwei Jahren verzweifelt vor seiner Tür stand, wurde aus einer vorübergehenden Bleibe eine Wohngemeinschaft.
Noch heute bin ich ihm mehr als dankbar für alles, was er für mich getan hat und ich habe es nie bereut mit ihm zusammen zu leben.
***
Im Baumarkt entscheide ich mich mit einem Blick auf die riesige Farbauswahl sofort dafür einen Mitarbeiter anzusprechen und hoffe, dass er mir dabei helfen kann.
Der Einzige, den ich weit und breit entdecken kann, zieht mich schon von Weitem mit seinen Blicken aus und ich stöhne innerlich genervt auf.
Mit einem Macholächeln auf den Lippen fährt er sich durch sein gegeltes Haar und denkt scheinbar, dass diese Geste ihn unwiderstehlich macht.
Auch wenn mich sein offensichtliches Interesse stört versuche ich freundlich zu sein.
Kurz erkläre ich ihm, dass ich vorhabe den Flur und das Wohnzimmer meiner Wohnung zu streichen. Er zeigt mir ein paar rosa und lila Farben und versucht mich davon zu überzeugen, dass die Farben total modern sind und perfekt in einen Frauenhaushalt passen.
Als mir sein Getue wirklich auf die Nerven geht erkläre ich ihm, dass ich mit meinem Freund zusammenwohne. Jay ist zwar nicht "mein" Freund, aber diese Notlüge verfehlt seine Wirkung nicht.
Der, eben noch überfreundliche, Baumarktmitarbeiter wirkt plötzlich uninteressiert und genervt. Wenigstens hört er auf zu flirten. Er zeigt mir noch ein paar Farben, die laut ihm sehr beliebt sind und ich entscheide mich schließlich für ein Hellgrün für das Wohnzimmer. Im Flur möchte ich lieber eine Tapete und nachdem er auch hier lieblos ein paar Muster aus dem Regal zieht deute ich auf eine halbhohe, bunt gestreifte Tapetenrolle. Er hilft mir noch die richtige Menge an Farbe und Tapetenrollen zu finden und schließlich bezahle ich an der Kasse und schleppe die Einkäufe zu meinem Auto.
Erschöpft mache ich mich auf den Weg zur Arbeit.
***
Als sich die Fahrstuhltür zu meinem Büro öffnet, steht Marko, mein Chef, schon nervös zappelnd vor meinem Schreibtisch.
Er ist 60, normal groß und hat graue kurze Haare. Mit dem kleinen Wohlfühlbäuchlein und den warmen braunen Knopfaugen erinnert er an einen Teddybären.
„Amanda, Gott sei Dank. Ich brauche unbedingt deine Hilfe...“, ruft er erleichtert, als er mich entdeckt und schneller als ich gucken kann bin ich schon mitten drin in neuen Aufträgen.
Ich verbringe den ganzen Nachmittag damit allerlei Termine zu planen und mir Kundenwünsche zu notieren.
„Amanda Thompson, was machst du noch hier?!“, reißt mich Marko irgendwann verärgert aus meiner Arbeit und ich zucke erschrocken zusammen.
„Du hast seit über 30Minuten Feierabend! Wie willst du denn deine ganzen Überstunden abarbeiten, wenn du nicht mal selber merkst wann du Feierabend hast und dann wieder länger bleibst?!“, vorwurfsvoll sieht er mich an.
„Ok ok, ich bin eh gerade fertig. Wir sehen uns morgen.“, sage ich und fahre meinen Laptop herunter. Zufrieden nickt er und verabschiedet sich im Gehen von mir.
Kopfschüttelnd sehe ich ihm hinterher und schnappe mir schließlich meine Tasche.
Im Fahrstuhl lehne ich mich an die Wand und schließe für einen kurzen Moment müde meine Augen.
Seufzend öffne ich sie wieder als das "Pling" des Fahrstuhls ertönt und sich die Türen öffnen.
Ich lasse mich auf den Fahrersitz meines Auto fallen und beeile mich nach Hause zu kommen.
2.
Vor der Haustür angekommen sauge ich die frische Luft, genau wie heute Morgen, tief in meine Lunge. Hungrig steige ich die Treppe hoch und schließe die Tür auf.
Aus der Küche höre ich das Klappern der Töpfe. Scheinbar hat Jay mich noch nicht bemerkt. Nachdem ich meine Tasche abgestellt und die Schuhe ausgezogen habe schleiche ich in die Küche.
„Buh“, hauche ich in Jays rechtes Ohr.
„Aaah“, schreit er auf und dreht sich mit erhobenem Kochlöffel blitzschnell zu mir um. Ich lache los. „Geht's noch?! Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen!“, beschwert er sich.
„Wolltest...wolltest du...mich damit...“, ich deute mit der einen Hand auf den Kochlöffel und halte mir mit der anderen den Bauch, „schlagen?“ Irritiert folgt er meinem Blick und scheint erst jetzt zu bemerken, dass er den Kochlöffel immer noch fest umklammert drohend vor sich hält. Er stimmt in mein Lachen ein.
„So jetzt ist aber gut. Ich hab Putenfilet in Kruste mit gefüllten Nudeln gemacht.“, er zwinkert mir zu. Ich lecke mir vorfreudig über die Lippen und versuche an ihm vorbei in die Töpfe zu sehen. Da er aber, im Gegensatz zu mir, über 1.80 Meter groß und ziemlich muskulös ist, kann er mich geschickt davon abhalten und schiebt mich in Richtung Küchenschränke.
„Du kannst ja schon mal den Tisch decken. Das Essen ist in fünf Minuten fertig.“, sagt er und wendet sich wieder den Töpfen zu, während ich Teller, Besteck und Gläser auf den Tisch stelle.
„Ich hab übrigens die Post hochgeholt. Sie liegt im Flur auf der Kommode.“, fällt Jay ein.
„Hast du auch gesaugt?“, frage ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. Ertappt sieht er mich an. „Mann Jay, ich habe Samstag geputzt. Du hast mit deinen Kumpels alles nach fünf Minuten wieder dreckig gemacht und ich soll jetzt nochmal putzen?!“, fahre ich ihn an.
„Ich machs nach dem Essen, okay?“, schlägt er mit Hundeblick vor. Einen bösen Blick werfe ich ihm noch zu, bevor ich mich umdrehe und im Flur die Post hole.
Ich lege die Briefe auf den Tisch und Jay füllt unsere Teller.
Er ist mein bester Freund und weiß, wie er mich um den Finger wickeln kann und so bin ich ihm auch nicht lange böse.
Während dem Essen erzähle ich ihm kurz von dem Mann im Baumarkt und Jay amüsiert sich köstlich.
„Rob wartet pünktlich um 19:30Uhr auf uns.“, erinnere ich Jay an das geplante Treffen mit unserem gemeinsamen Kumpel und Nachbarn.
„Jaja, er wartet eigentlich nur auf dich. Er wünscht sich doch, dass ich nicht mitkomme, damit er sich an dich ranmachen kann.“, sagt Jay nur. Ich winke genervt ab. Diese Diskussion hatten wir schon hundertmal. Jay ist felsenfest davon überzeugt, dass Rob schon seit seinem Einzug vor ein paar Monaten auf mich steht.
„Du kennst meine Meinung dazu. Ich bin kein Beziehungstyp.“, erkläre ich.
„Du willst keiner sein. Aber du darfst diese Sache nicht dein Leben bestimmen lassen. Versuch es doch einfach mit Rob, vielleicht ist er ja der Richtige!“, beharrt Jay.
Als er merkt, dass mit mir nicht zu reden ist seufzt er ergeben und fängt ein neues Thema an.
„Zeig mal die Briefe her.“
Ich nehme den Stapel in die Hand und sortiere die Briefe. Ein paar gebe ich Jay und zwei sind an mich adressiert.
Der erste ist eine Rechnung für eine Autoreparatur und ich muss kurz lächeln, als ich den Preis sehe. Mit ein bisschen Geflirte habe ich den Automechaniker überzeugt den Preis zu senken.
Der andere Brief sieht edel aus. Vorsichtig ziehe ich eine rosa Karte heraus.
„Das ist eine Einladung zur Taufe meiner Nichte!“, quietsche ich glücklich.
„Die kleine Liliana wird getauft?“, erfreut sieht Jay mich an.
„Ich glaub wir haben sie das letzte mal gesehen, als Dan und Josy uns drei Monate nach der Geburt mit ihr besucht haben.“, überlege ich und Jay nickt.
„Das ist jetzt aber auch schon über vier Monate her. Wann findet sie denn statt?“
Ich werfe einen weiteren Blick in die Karte.
„In zwei Wochen.“, sage ich und im nächsten Moment sehe ich wo die Taufe sein soll.
„Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Ich werde absagen. Ich lass mir irgendeine Ausrede einfallen. Nie wieder gehe ich nach Mitara!“, beschließe ich verärgert und schlage bekräftigend mit meiner Hand auf den Tisch.
Auch Jay wirft einen Blick in die Karte und nimmt dann meine Hand.
„Amy, ich weiß, dass dir das ganz und gar nicht passt, aber sie ist deine Nichte. Und Dan und Josy haben schon als sie hier waren immer wieder betont wie sehr sie sich über deinen Besuch freuen würden. Pete vermisst dich bestimmt auch.“
„Mein Vater kann mich ja einfach hier besuchen, wenn er mich vermisst. Und Liliana kann ich noch oft genug sehen.“
„Wir besprechen das morgen. Schlaf erst mal eine Nacht drüber und entscheide dich dann. Voreilige Entscheidungen werden zu 99% bereut.“
„Wir müssen uns jetzt fertig machen. Und du musst noch saugen!“, sage ich nachdrücklich und räume meinen Teller in die Spülmaschine, während mich Jays besorgter Blick verfolgt.
„Das Essen war Super lecker.“, sage ich versöhnlich, gehe in mein Schlafzimmer und lasse mich auf mein Bett fallen.
Ich will wirklich unter keinen Umständen in meine alte Heimatstadt fahren. Die Erinnerungen prasseln auf mich ein und ich habe das Gefühl von ihnen begraben zu werden. Ich wollte nie wieder schwach sein! Ich wollte nie wieder an ihn denken!
Aber es ist zu spät, die Einladung hat die Wunden wieder aufgerissen.
Eine Träne rollt meine Wange hinab. Eine zweite folgt. Leise weine ich vor mich hin. Plötzlich senkt sich die Matratze neben mir. Ich rieche den vertrauten Jay-Geruch und Sekunden später spüre ich seine Hand, mit der er sanft die Tränen wegwischt.
Ich schluchze einmal kurz auf und drehe mich in seine Richtung. Mein Kopf liegt auf seiner Brust, er hält mich einfach fest. Wir brauchen keine Worte. Ich lausche seinem gleichmäßigen Herzschlag, der eine beruhigende Wirkung auf mich hat.
Nach ein paar Minuten, in denen meine Tränen versiegt sind, löse ich mich langsam von ihm.
Er setzt sich auf und streicht mit über den Kopf.
"Du solltest dich fertig machen. Oder soll ich Rob absagen?", fragt er fürsorglich. Ich schüttle den Kopf und stehe auf. Er tut es mir gleich und gibt mir noch einen kurzen tröstlichen Kuss auf die Stirn.
3.
Ich drehe mich vor dem Spiegel hin und her. Aus meinem Schrank habe ich eine Jeans, ein weißes T-Shirt und eine leichte braune Lederjacke gezogen. Mein Make up habe ich nur so weit aufgefrischt, dass man mir nicht ansieht, dass ich geweint habe. Meine glatten hellbraunen Haare fallen mir weich über den Rücken bis zu meiner Taille.
Als ich aus meinem Zimmer komme stehen die Farbeimer und Tapetenrollen im Flur. Die hätte ich beinahe vergessen, aber gut, dass Jay sie schon geholt hat.
Ich gehe ein paar Schritte weiter und kann ihn sehen, wie er gerade erfolglos versucht das Stromkabel aus den Staubsauger zu ziehen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Genau in dem Moment sieht Jay auf und bemerkt mich. Ein kleines erleichtertes Lächeln tritt auf sein Gesicht.
„Kannst du mir bitte helfen?“, fragt er verzweifelt.
Ich gehe auf ihn zu und mache ihm kopfschüttelnd den Staubsauger an.
„Bei dir sieht das so leicht aus, aber bei mir funktioniert nichts. Der Staubsauger macht nie das was ich will!“, beschwert Jay sich.
Ich lache und deute auf meine Armbanduhr, um ihm zu zeigen, dass wir uns beeilen müssen.
Im Flur ziehe ich mir meine Ballerinas an und verstaue Handy, Schlüssel und Portemonnaie in einer Umhängetasche.
Kurze Zeit später ist Jay fertig und zieht sich seine Turnschuhe an.
Auch er trägt eine Jeans und ein einfarbiges T-Shirt. Dieses lässt seinen muskulösen Oberkörper erahnen.
Gemeinsam laufen wir die Treppe runter und klingeln eine Etage tiefer bei R. Emery.
„Hey ihr Beiden“, begrüßt Rob uns sofort nachdem er die Tür geöffnet hat.
Er hat blonde Locken, die ihm ein jugendliches Aussehen verleihen und, wie Jay, einen Dreitagebart. Seine Augen sind hellbraun und er ist zwar nicht so muskulös wie mein bester Freund, aber schon trainiert.
Jay und er machen einen Handschlag und danach zieht Rob mich in eine Umarmung, die meiner Meinung nach einen Moment zu lange dauert.
Über seine Schulter kann ich Jay sehen, der mir eindeutige Blicke zu wirft. Ich verdrehe kurz meine Augen und dann lässt Rob mich auch schon wieder los.
Zu dritt steigen wir in seinen BMW, auf den er mächtig stolz ist. Er ist Architekt und hat seine ersten Gehälter für das Auto gespart.
Wir unterhalten uns über alles mögliche und kommen gut gelaunt am Kino an.
Wir besorgen die Tickets, Popcorn und Cola und gehen damit in den Kinosaal.
Ich sitze zwischen Jay und Rob und kann während des Filmes nicht aufhören zu lachen.
Das liegt zum einen an der wirklich amüsanten Komödie, die wir ausgesucht haben, aber auch an den witzigen Kommentaren meiner beiden Begleiter.
Plötzlich spüre ich, wie Rob den Arm um mich legt und mich näher zu sich zieht.
„Du bist wunderschön, wenn du lachst!“, flüstert er mir ins Ohr.
Was war das denn? Wie kann er das sehen, es ist stockdunkel hier?
Irritiert beschließe ich vorerst nichts zu sagen. Eigentlich finde ich seine Berührungen auch nicht wirklich unangenehm. Er hat schon öfter den Arm um mich gelegt, mir ins Ohr geflüstert, einen Kuss auf die Wange oder Stirn gegeben... Aber das war alles freundschaftlich gemeint.
Vielleicht hat Jay ja doch Recht, überlege ich.
Ab dem Zeitpunkt fällt es mir zunehmend schwerer mich auf den Film zu konzentrieren.
Als das Licht wieder angeht und alle aufstehen und aus dem Saal strömen, atme ich erleichtert aus.
Aber das Schicksal meint es heute nicht gut mit mir, denn Jay will unbedingt aufs Klo und ich stehe alleine mit Rob vor dem Kino. Nervös spiele ich mit meinen Händen.
Rob legt zwei Finger unter mein Kinn und zwingt mich somit ihn anzusehen. Er lächelt und reflexartig lächle ich zurück. Doch er scheint dieses Lächeln völlig falsch zu verstehen, denn er lehnt sich vor und küsst mich unvermittelt.
Ich bin so überrumpelt, dass ich erst einmal nicht reagiere. Er ist auch wirklich kein schlechter Küsser, aber als mir die Situation bewusst wird, schiebe ich ihn sanft aber bestimmt von mir.
Rob scheint das jedoch nicht mal zu bemerken, denn er strahlt mich glücklich an.
„Amy, würdest du am Samstag mit mir ausgehen?“, fragt er plötzlich.
„Ähm...also...äh“, stottere ich. Nein! Sag einfach nein!, schreit meine innere Stimme.
Doch ich sehe das hoffnungsvolle Funkeln in seinen braunen Augen.
„Okay...“, sage ich schließlich zögernd, während ich in Gedanken meinen Kopf gegen eine Wand donnere. Warum hab ich nicht einfach abgelehnt?!
Aber jetzt ist es eh zu spät und Rob sieht aus als würde er vor Glück platzen.
Naja, so schlecht hast du es mit ihm ja nicht getroffen: Er ist attraktiv, erfolgreicher Architekt und wirklich nett, versuche ich mir einzureden. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße!, sagt meine innere Stimme und ich seufze gequält.
In dem Moment kommt auch Jay wieder und wir fahren nach Hause. Vor Robs Haustür bleibe ich nervös stehen. Hoffentlich küsst er mich nicht wieder! Jay würde mich auslachen, denke ich verzweifelt. Doch Rob gibt mir nur einen Kuss auf die Wange und flüstert mir ins Ohr: „Ich hol dich Samstag um 20:00Uhr ab und dann gehen wir Essen, also zieh dir was Schickes an.“
Leicht nicke ich und gehe schon die Treppe rauf.
„Alles klar?“, fragt Jay mich, als er hinter mir zum Stehen kommt, während ich die Wohnungstür aufschließe.
Als wir in Flur stehen, drehe ich mich verzweifelt zu ihm um.
„Warte, ich glaub das dauert länger. Wir machen uns jetzt erstmal fertig und dann kommst du gleich in mein Bett und erzählst mir alles. Du hast schon lange nicht mehr in meinem Bett geschlafen.“, er zwinkert mir verführerisch zu und obwohl ich gerade ziemlich verzweifelt bin, muss ich grinsen.
Jay und ich waren vor zwei Jahren ein Paar, doch schon nach einem Monat hatten wir festgestellt, dass wir nur tiefere Freundschaft füreinander empfinden und so hatten wir unsere, in den letzten Jahren wirklich tolle, Freundschaft nicht zerstören wollen.
Er hatte sich damals so fürsorglich um mich gekümmert, als es mir schlecht ging, sodass wir unsere Gefühle fälschlicherweise für Liebe gehalten haben.
Wie Jay es vorgeschlagen hat, machen wir uns beide erstmal fertig und keine zwanzig Minuten später schlüpfe ich zu Jay unter die Bettdecke. Er sieht mich abwartend an und seufzend erzähle ich ihm was passiert ist.
„Er hat dich echt geküsst? Der hat es aber eilig. Aber aus der Nummer mit dem Date kommst du wohl nicht mehr raus. Das heißt jedoch nicht, dass du alles mit dir machen lassen musst. Ihr könnt doch einfach essen gehen und wenn er dir zu Nahe kommt, sagst du ihm klipp und klar, dass du das nicht willst.“, rät er mir.
„Wahrscheinlich ist das am besten!“, stimme ich ihm zu.
„So, ich denke, dass war genug Aufregung für einen Tag. Denk nochmal darüber nach, ob du nicht doch zur Taufe deiner Nichte möchtest.“, er gibt mir einen Kuss auf den Kopf und erschöpft kuschle ich mich an ihn.
„Okay“, flüstere ich, bevor ich einschlafe.
***
„Nein, lass mich!“, schreie ich. Blitzartig werde ich aus meinem Albtraum gerissen. Mein Atem geht schnell und hektisch, die Tränen rinnen unaufhörlich meine Wangen hinab.
„Hey Süße, ganz ruhig. Ich bin da. Alles wird gut. Ich bin immer da.“, höre ich Jay wie ein Mantra wiederholen. Er hält mich im Arm und streicht mir beruhigend über den Rücken.
Eigentlich haben die Albträume schon vor einem halben Jahr aufgehört. Doch mit den Erinnerungen sind natürlich auch sie wieder da.
Mir schießen die Bilder von ihm in den Kopf. Und dann von ihr. Mal sehe ich sie einzeln, mal zusammen. Der Verrat sitzt noch immer so unglaublich tief.
Und noch ein Gefühl ist wieder aufgetaucht. Die Einsamkeit, die ich dachte erfolgreich verdrängt zu haben. Doch jetzt kommt sie mit einem Schlag zurück und ich kuschele mich verzweifelt näher an Jay.
Erschöpft schlafe ich irgendwann eng an ihn geschmiegt ein.
4.
Jays Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Ich stöhne auf, denn ich hätte eindeutig noch ein paar Stunden gebrauchen können.
„Jaaaay“, quengle ich, als es immer weiter klingelt. Ich kann ein Grummeln hören und kurz darauf schlägt Jay verschlafen nach dem Wecker.
Bevor ich aufstehe und ins Bad schlurfe, gebe ich Jay noch einen Kuss auf die stoppelige Wange.
Erst in der Küche sehe ich ihn wieder. Er macht mir gerade ein Marmeladenbrot und ich trinke erstmal einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
„Ich mach dir sogar schon dein Frühstück. Da musst du mir nicht auch noch den Kaffee wegtrinken.“, schimpft er.
„Die Frau, die dich später abkriegt, wird dein Hausfrauenqualitäten lieben.“, grinse ich und schnappe mir das Brot, um genüsslich hineinzubeißen.
„Hast du dich schon entschieden, ob du zur Taufe fährst?“, fragt Jay vorsichtig. Sofort verschlechtert sich meine Laune.
„Nein.“
„Amy, du kannst nicht ewig weglaufen. Liliana ist deine Nichte und Dan dein Bruder! Wenn du ehrlich bist, würdest du dir von Dan in dieser Situation auch wünschen, dass er kommt.“, versucht er mich zu überreden. Ich habe keine Lust auf eine weitere Diskussion und nicke einfach.
„Wir werden darüber nachher nochmal sprechen. Du musst jetzt los, die Arbeit ruft.“
Mit einem Blick auf die Uhr sehe ich, dass er Recht hat und springe auf.
***
Ich beeile mich zur Arbeit zu kommen und bin auch gerade noch rechtzeitig da.
Heute muss ich eine Präsentation vorbereiten und ich verbringe den ganzen Tag damit. Zwischendurch lenken mich allerhand Telefonate und Kundenwünsche davon ab und irgendwann bin ich wirklich gestresst. Und davon werde ich aggressiv.
„So eine Scheiße!“, fluche ich, als auch zum wiederholten Male nichts klappt, wie es soll.
„Amanda, ganz ruhig. Kann ich dir behilflich sein?“, fragt Marko freundlich und kann mir tatsächlich weiterhelfen.
„Na siehst du, war doch gar nicht so schwer. Ich glaube, der Urlaub ab nächster Woche wird dir gut tun.“, lächelt er.
„Danke, ich hoffe doch, dass mir ein wenig Entspannung hilft.“, seufze ich.
„Komm, Amanda, geh nach Hause. Den Rest schaffen wir noch morgen vor der Präsentation. Ruh dich aus, dann kann nichts schief gehen.“, beschließt mein Chef gutmütig und ich nicke dankbar.
***
Also sitze ich kurz darauf erschöpft im Auto. Zu Hause angekommen freut sich Jay über mein verfrühtes Auftauchen und wir essen wieder gemütlich zusammen.
„Dan hat vorhin angerufen. Er wartet auf deinen Rückruf.“, erzählt Jay, als wir den Geschirrspüler einräumen.
Was soll ich davon halten? Ich freue mich, mal wieder mit meinem Bruder zu telefonieren, aber ich weiß auch, dass er mich überreden will zu kommen.
Schließlich greife ich nach dem Telefon und setzte mich neben Jay auf das Sofa. Ich brauche jetzt seine mentale Unterstützung.
Während er sich also leise irgendeine Sendung ansieht, wähle ich mit zitternden Fingern die Nummer meines Bruders.
„Josephine Thompson“, erklingt die Stimme seiner Freundin.
„Hey Josy, hier ist Amy. Kannst du mir bitte Dan geben?“, frage ich schüchtern.
„Amy! Es ist schön deine Stimme mal wieder zu hören. Dan wartet schon ganz ungeduldig auf deinen Anruf. Moment, ich ruf ihn eben.“, sagt sie erfreut. Ich atme tief durch.
„Daniel Thompson“, höre ich die tiefe Stimme meines Bruders am Telefon.
„Dan, ich bin's, Amy. Jay hat gesagt, du hättest vorhin angerufen.“, erkläre ich.
„Ich hab dich vermisst, kleine Schwester. Ja, ich wollte etwas mit dir besprechen. Hast du die Einladung zur Taufe bekommen?“, fragt er.
„Ja, hab ich.“, antworte ich und seufze innerlich. Hab ich es mir doch gedacht.
„Amy, wir möchten, dass du früher kommst. Du würdest uns einen großen Gefallen tun, wir brauchen Hilfe bei den Vorbereitungen. Und wir wollen dich als Patentante.“, eröffnet er mir.
Ich schnappe nach Luft.
„Ich...Ich fühle mich geehrt, aber...aber was heißt...früher?“, stammle ich.
„Jay hat mir gesagt, dass du nächste Woche Urlaub hast. Also könntest du doch Montag kommen. Dad würde sich auch freuen. Und Josy hofft auch darauf, dass du kommst.“, sagt Dan. Ich werfe Jay einen bösen Blick zu.
„Dan, ich weiß nicht. Es gibt soviel zu tun. Wir wollten die Wohnung streichen und außerdem mit Freunden ausgehen...“, versuche ich abzuwehren.
„Amy, sind dir diese Dinge wichtiger als deine eigene Familie? Wann hast du Lilly das letzte mal gesehen? Vor vier Monaten?“, appelliert Dan an mein schlechtes Gewissen. Er weiß genau, dass ich nicht damit umgehen kann, wenn jemand sauer auf mich ist. Schließlich gebe ich mir einen Ruck.
„Ich weiß...Okay, dann komme ich Montag.“, sage ich und habe das Gefühl, dass ich diese Entscheidung noch bereuen werde.
„Und Jay kommt auch mit. Er freut sich schon sehr darauf euch zu sehen.“, füge ich noch schnell hinzu. Jay dreht ruckartig seinen Kopf zu mir und sieht mich entgeistert an. Ich bespreche noch kurz die Einzelheiten mit Dan und lege dann auf.
„Warum soll ich denn jetzt mitkommen?“, will Jay verärgert wissen.
„Erstens, mein lieber Jay, hast du meinem Bruder von meinem Urlaub erzählt und zweitens brauche ich dich da. Alleine gehe ich unter. Dan und Josy freuen sich auch dich mal wiederzusehen.“, erkläre ich ihm. Er seufzt und wendet sich wieder dem Fernseher zu.
Ich bin wirklich froh, dass Jay mitkommt. Mit ihm fühle ich mich um einiges sicherer, aber vor den Erinnerungen kann auch er mich nicht schützen.
5.
Die Tage ziehen an mir vorbei. Die Präsentation läuft gut und Marko ist sehr zufrieden mit mir.
Und schon ist Samstagabend.
Ich verabschiede mich von Marko und er wünscht mir viel Spaß im Urlaub.
Im Auto fällt mir ein, dass ich ja heute mit Rob ausgehe und allein bei dem Gedanken wird mir ein wenig schlecht.
Ich habe ihm vermutlich falsche Hoffnungen gemacht und es graut mir davor, dies später klarstellen zu müssen.
Jay ist auch nicht da, weil er samstags lange arbeiten muss und ich kann mich nicht einmal von meinem besten Freund beruhigen lassen.
Unschlüssig stehe ich eine halbe Stunde später vor dem Schrank. Rob meinte, ich soll etwas Schickes anziehen. Aber ich will keinesfalls overdressed sein. Also ziehe ich ein paar der Kleider aus meinem Schrank und probiere sie an.
Etwas Freizügiges möchte ich keinesfalls anziehen, um Rob noch mehr Hoffnungen zu machen.
Schließlich ziehe ich ein schlichtes knielanges Kleid in lila an. Der Ausschnitt ist hoch und mit einer schwarzen langen Kette peppe ich das ganze etwas auf.
Dazu ziehe ich schwarze Pumps an. Keine Sekunde zu spät klingelt es an der Wohnungstür und ich schnappe mir im Vorbeigehen noch meine Clutch und öffne Rob die Tür.
„Wow, du siehst toll aus.“, sagt er verträumt und ich bedanke mich.
Auch er hat sich in Schale geworfen und trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und sogar eine Krawatte.
Mit seinem Auto fahren wir in ein nahe gelegenes Restaurant und ich bin froh wenigstens auf vertrautem Terrain zu sein.
Er bestellt zwei Gläser Rotwein und auch wenn ich normalerweise nur selten Wein trinke, weil der Geschmack nicht ganz meins ist, sage ich nichts.
Auch als er mein Gericht aussucht lasse ich es stumm über mich ergehen.
Er erzählt mir von seiner Arbeit und wir tauschen allerlei Anekdoten aus. Wir verstehen uns, wie immer, gut und wären da nicht diese kleinen Berührungen seinerseits, wäre es ein gemütliches Essen unter Freunden.
Als die Gerichte kommen muss ich zugeben, dass er einen guten Geschmack hat, denn es ist köstlich.
Eine Zeit lang herrscht gefräßiges Schweigen.
Nach dem Essen bestehe ich auf getrennte Rechnungen, um mein schlechtes Gewissen nicht noch zu verstärken und wir gehen noch ein wenig spazieren.
Er führt mich eine kleine Seitenstraße entlang und schon stehen wir in einem wunderschönen Park.
Staunend sehe ich mich um. In der Mitte ist ein kleiner Teich und die Seerosen darauf schimmern rosa im Licht der langsam untergehenden Sonne.
Der Park ist gesäumt von hohen Bäumen und es ist einfach unglaublich schön.
„Es kommt mir vor wie eine andere Welt.“, flüstere ich.
„Stimmt. Ein magischer Ort.“, flüstert Rob zurück.
Langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung und frage leise: „Warum flüstern wir?“
Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und er zuckt mit den Schultern. Wir brechen beide in Gelächter aus.
„Deine Augen funkeln, dein Mund verzieht sich und du bekommst so süße Lachfältchen. Ich könnte dich den ganzen Tag ansehen, wenn du lachst.“, sagt er plötzlich und legt eine Hand an meine Wange. Unbehaglich sehe ich ihn an.
Sein Gesicht kommt näher, aber bevor er mich wieder küssen kann schiebe ich ihn leicht weg.
„Rob, ich mag dich wirklich sehr, aber ich bin nicht in dich verliebt. Wir haben eine so tolle Freundschaft und ich möchte sie einfach nicht gefährden. Denkst du wir können einfach weiter befreundet bleiben?“, frage ich ihn sanft.
Das Funkeln in seinen Augen wird augenblicklich von einem verletzten Ausdruck ersetzt und er tritt einen Schritt zurück. Unsicher fährt er sich durch die blonden Locken. Ich sehe ihn bittend an.
„Amy, ich weiß nicht ob ich das kann. Ich habe mich wirklich in dich verliebt. Gib mir ein bisschen Zeit.“, sagt er schließlich.
„Ich gebe dir alle Zeit der Welt. Du bist mir wichtig, ich möchte dich als Freund nicht verlieren!“, mache ich nochmal deutlich.
„Wollen wir wieder zurück?“, frage ich vorsichtig und als er nickt gehen wir den ganzen Weg wieder zurück.
Im Auto schweigen wir und ich traue mich nicht die Stille zu durchbrechen.
Vor unserem Haus angekommen steige ich schnell aus dem Auto aus und gehe vor ihm her die Treppe hoch.
Zögernd bleibe ich vor seiner Wohnungstür stehen und drehe mich zu ihm um.
„Melde dich bei mir, wenn du soweit bist.“, sage ich und gebe ihm eine Kuss auf die Wange. Ohne eine Antwort abzuwarten gehe ich die Treppe zu meiner Wohnung hoch.
Ich schließe die Tür auf und lehne mich innen dagegen.
„Amy?“, ruft Jay aus dem Wohnzimmer.
„Bin zu Hause.“, rufe ich zurück und gehe erst mal in mein Schlafzimmer und ziehe das Kleid aus.
Aus dem Schrank ziehe ich eine Shorts und ein Top und im Bad schminke ich mich ab und putze meine Zähne.
Danach lasse ich mich neben Jay auf das Sofa fallen und lege meinen Kopf in seinen Schoß. Er streicht mir übers Haar und wartet, dass ich von alleine anfange zu erzählen. Und das tue ich auch.
„Du hast gut reagiert. Wärest du nicht ehrlich zu ihm gewesen, hätte euch das auch nicht weiter gebracht. Ab übermorgen sind wir erst einmal weg und dann könnt ihr das ganze nochmal besprechen, nachdem etwas Zeit vergangen ist. Er kann in Ruhe erkennen, dass aus euch beiden nichts geworden wäre.“, sagt er abschließend und ich muss ihm Recht geben.
6.
Es ist Montag Morgen und ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt. Ich war schon früh wach und habe mir erst einmal ein ausgedehntes Bad gegönnt.
Beim Frühstück konnte ich nur ein halbes Brötchen runter würgen und das auch nur, weil Jay mich gezwungen hat.
„Jaaaaay!“, schreie ich durch die Wohnung und Sekunden später steht er im Türrahmen meines Schlafzimmers.
„Was ist los?“, fragt er besorgt und ich deute auf meinen Kleiderschrank.
„Ich weiß nicht was ich anziehen soll.“, beklage ich mich.
„Frauen! Du schreist das ganze Haus zusammen, weil du nicht weißt, welches von deinen hundert Oberteilen du anziehen sollst?!“, fragt er kopfschüttelnd. „Zieh etwas bequemes an, wir werden lange fliegen. Eine Jogginghose und ein Shirt reichen vollkommen. Ich hab dich schon ganz anders gesehen.“, sagt er zwinkernd und ich werfe ihm ein Shirt hinterher.
Aber letztendlich höre ich auf ihn und ziehe eine graue weite Jogginghose an und ein schlichtes rotes T-Shirt.
Mein Koffer ist fast fertig und ich schmeiße noch zwei Kostüme und einen Kulturbeutel dazu.
Unsere Kleidung für die Taufe wollen Jay und ich erst in Mitara kaufen.
Mit dem Koffer und einer Umhängetasche trete ich in den Flur und ziehe meine Turnschuhe und Kapuzenjacke an.
Auch Jay kommt mit seinem Koffer in den Flur. Er trägt ebenfalls eine Jogginghose und einen schwarzen Kapuzenpulli.
Einen Rucksack hängt über seiner Schulter.
„Bereit?“, fragt er mich und ich nicke zögerlich. Ich nehme ihm seinen Rucksack ab und er trägt unsere beiden Koffer.
***
In einem Taxi fahren wir zum Flughafen und nachdem wir unser Gepäck aufgegeben haben, machen wir uns auf den Weg zur Sicherheitskontrolle.
Die Schlange, die sich mittlerweile gebildet hat, wird immer länger und es geht nur langsam voran.
Doch auch das bringen Jay und ich ohne Zwischenfälle hinter uns.
Da wir noch etwas Zeit haben, bis wir ins Flugzeug müssen, beschließen wir ein wenig Bummeln zu gehen.
Gemeinsam schlendern wir an den Schaufenstern vorbei, bleiben hier und da stehen, um uns Etwas genauer anzusehen und entscheiden schließlich, dass wir Pete, Dan, Josy und Lilly eine Kleinigkeit mitbringen müssen.
Jay macht sich auf die Suche nach den passenden Mitbringseln für meinen Vater und meinen Bruder, während ich erstmal weiter schlendere. In einem Schaufenster entdecke ich schließlich eine wunderschöne silberne Kette mit einem Engelsflügel. In der oberen rechten Ecke befindet sich ein kleiner blauer Edelstein.
Ich kaufe diese Kette einmal in der normalen Größe und bitte den Verkäufer dann, einen weiteren Anhänger an eine silberne Kinderkette zu hängen.
Um ein kleines Vermögen ärmer, aber definitiv zufrieden verlasse ich den Laden und mache mich auf die Suche nach Jay.
Für meinen Dad hat er einen goldenen Kugelschreiber gefunden, in den er seinen Namen eingravieren lässt. Mein Bruder bekommt von uns eine Box mit verschiedenen Whiskeysorten, denn schon früher war Dan überzeugt, dass jeder, der ein "echter Mann" sein will, Whiskey trinken muss.
***
Nach unserer Shoppingtour lassen wir uns auf die Sitze in der Wartehalle sinken und Jay versucht mich mit allerlei Geschichten von meiner Nervosität abzulenken.
Aber als wir schließlich im Flieger sitzen würde ich am liebsten sofort wieder aussteigen. Zum wiederholten Male frage ich mich, wie dumm ich gewesen bin zuzusagen. Ich kann mich nicht erinnern, welcher Teufel mich in dem Moment geritten hat, aber ich könnte vor Verzweiflung heulen.
Der Flug von Carboa nach Mitara dauert 6 Stunden, also habe ich genug Zeit über alle möglichen Horrorszenarien mit den zwei Menschen nachzudenken, die ich am meisten hasse.
Früher hast du sie über alles geliebt, erinnert mich meine innere Stimme. Aber an einem Tag ist aus dieser Liebe mit einem Schlag purer Hass geworden. Aber nicht nur Hass auf die beiden. Auch Hass auf Andere, die anscheinend etwas bemerkten, mir aber nur mitleidige Blicke zugeworfen haben und mich ansonsten im Dunkeln haben tappen lassen. Und auch Hass auf mich selbst, weil ich so naiv und dumm war. Weil ich mich, das erste Mal in meinem Leben, nicht auf meinen Instinkt verlassen habe. Weil ich zugelassen habe, dass aus mir ein Opfer geworden ist.
Doch es sind drei Jahre vergangen und mit Jays Hilfe ist aus dem bemitleidenswerten Opfer wieder eine starke selbstbewusste Frau geworden.
Ich sehe zu Jay rüber und muss lächeln. Ohne ihn wäre ich daran zugrunde gegangen. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich hoffe ihm alles, was er für mich getan hat, irgendwann zurückgeben zu können.
Als hätte er meine Gedanken gehört, wendet er seinen Kopf zu mir und lächelt mich an. Er legt einen Arm um meine Schulter und seufzend lege ich meinen Kopf auf seine Schulter.
„Danke.“, flüstere ich. Mehr brauche ich nicht zu sagen, denn er weiß genau was ich meine und drückt mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn.
***
„Aufwachen, Schlafmütze. Wir sind gleich da.“, weckt mich Jay. Blinzelnd öffne ich meine Augen und muss mich erst einmal orientieren. Ich habe gar nicht bemerkt, wie ich eingeschlafen bin, aber die Erholung hat mir nach der letzten schlaflosen Nacht gefehlt.
7.
Kurze Zeit später steigen wir aus dem Flugzeug und stellen uns an das Gepäckband. Fast ganz zum Schluss kommen unsere Koffer und so machen Jay und ich uns mit unserem Gepäck auf den Weg zur Ankunftshalle.
Kaum treten wir aus der Schiebetür höre ich schon Josy aufgeregt unsere Namen rufen. Als ich in ihre Richtung blicke muss ich grinsen. Da steht die kleine Familie meines großen Bruders und ich bemerke, dass ich Dan, Josy und Liliana wirklich vermisst habe.
Daniel ist mit seinen 1,90 Metern ein wahrer Riese. Er trägt noch seinen Anzug, scheinbar kommt er gerade von der Arbeit, und soweit ich das beurteilen kann ist er auch recht muskulös. Seine kurzen Haare sind hellbraun seine Augen blau, genau wie meine, mit denen er mich jetzt erfreut anstrahlt. Seine Freundin ist ein ganz kleines Stück größer als ich. Ihre dunklen Locken fallen weich bis zu ihrer Taille und sie besitzt braune Augen, die mich jedes Mal an Schokolade erinnern.
Ich lasse meine Tasche und Jays Rucksack fallen und schmeiße mich in Josys ausgebreitete Arme.
Wir hüpfen aufgeregt herum und sie will mich gar nicht mehr loslassen.
„Hallo? Hier sind noch zwei, die sich sehr über deine Ankunft freuen!“, beschwert sich Dan und ich schlinge lachend meine Arme um ihn. Auch er legt seine Arme um mich, hebt mich hoch und wirbelt mich einmal im Kreis herum.
Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange, als er mich absetzt und trete dann an den Kinderwagen heran.
„Na Lilly, erkennst du deine Tante noch wieder?“, frage ich grinsend und streiche mit meinem Zeigefinger über ihre Wange.
Mit ihren winzigen Fingern greift sie danach und quietscht vergnügt.
Nachdem Jay Josy und Dan ebenfalls begrüßt hat, tritt er neben mich und streicht Lilly über ihr Köpfchen.
„Wow, ist die groß geworden.“, bemerkt er andächtig.
„Ist ja auch lange her, seit ihr sie das letzte Mal gesehen habt.“, sagt Dan mit einem vorwurfsvollen Blick in meine Richtung.
„Wollen wir los?“, wechsle ich das Thema und Jay und Dan tragen die Koffer zum Ausgang, während ich meine Tasche und den Rucksack wieder aufhebe und Josy folge, die den Kinderwagen schiebt.
Als wir das Gepäck im Familienvan meines Bruders verstaut haben steigen wir alle ein und plaudern munter drauf los.
Diese ungezwungene entspannte, aber deutlich familiäre Atmosphäre hat mir gefehlt und obwohl ich bis eben noch große Zweifel hatte, bin ich froh hergekommen zu sein.
Nach zwanzig Minuten kommen wir am Haus der kleinen Familie meines Bruders an.
Da ich das letzte Mal vor zwei Jahren hier war, habe ich das Haus noch nie gesehen und ich muss sagen, es gefällt mir sehr gut. Es ist ein typisches gelbes Schwedenhäuschen.
In Mitara hat fast jeder so ein Haus und es war schon immer mein Traum in einem in der Nähe des Lake Tara zu wohnen.
Das Haus hat 2 Etagen und direkt über der Haustür ist ein Balkon, der von weißen Balken getragen wird.
Das Thompson-Haus, denke ich verschmitzt.
Josy schließt die Haustür auf und führt mich erstmal herum.
Wir treten in einen kleinen Flur. Die linke Tür führt in die Küche und die rechte in ein modernes Bad. Gegenüber der Haustür befindet sich das offene Wohn- und Esszimmer.
Die Treppe links, am Ende des Flurs führt in den 1. Stock. Ich folge meiner Schwägerin in Spe die Treppe hinauf und stehe wieder in einem Flur. Links befindet sich noch ein Bad, rechts Josys und Dans gemütliches Schlafzimmer. Der Balkon gehört dazu.
Dann führt Josy mich weiter links an der Treppe vorbei und ich erkenne, dass der Flur hier weiterführt. Auch hier gibt es nur zwei gegenüberliegende Türen.
Josy öffnet die Rechte: „Das ist unser Gäste- und für die nächste Zeit euer Schlafzimmer. Ich hoffe es ist nicht schlimm, dass Jay und du hier zusammen schlafen müsst. Sonst kann auch einer das Sofa...“ „Ach quatsch. Das macht uns nichts. Hast du das Zimmer eingerichtet?“, frage ich begeistert. Verlegen nickt sie und ich sehe sie bewundernd an.
Ich hatte keine Ahnung, dass sie so gut im Umgang mit Farben ist. Alles ist aufeinander abgestimmt und sogar die Möbel passen perfekt dazu. Das Bett ist wohl der dominante Part der Einrichtung und lädt zum Schlafen und Faulenzen ein.
Der ganze Raum strahlt Wärme und Gemütlichkeit aus.
„Gegenüber ist Lillys Kinderzimmer. In euren Nachttischen sind Ohrstöpsel, wenn ihr ruhig schlafen wollt. Sie schreit in letzter Zeit mal wieder gerne das ganze Haus zusammen.“, erklärt Josy grinsend und öffnet die Tür auf der anderen Seite des Flurs.
Auf der Außenseite der Tür ist "Liliana" in bunten Holzbuchstaben angebracht.
Ein Kinderbett, ein gemütlicher Sessel, ein Wickeltisch und ein Schrank in weiß mit bunten Farbakzenten befinden sich im Zimmer. Auf dem Boden liegt eine großer flauschiger Teppich und ein paar Kisten mit Spielzeug stehen in einer Ecke.
Das Mobile, welches ich Lilly vor vier Monaten geschenkt habe, hängt über ihrem Bett. An einer Wand hängen mehrere Fotos. Ich erkenne Josy und Dan, meinen Dad, alte Freunde und sogar ein Foto von Jay, Lilly und mir ist dabei.
Es rührt mich, dass sie es wirklich angebracht haben. Aber gleichzeitig macht es mir deutlich, wie sehr ich sie aus meinem Leben ausgeschlossen haben, während ich zu ihrem doch deutlich sichtbar gehöre.
„Josy? Amy?“, höre ich Dans Stimme von unten und wir beenden unsere Hausbesichtigung.
„Lilly hat Hunger. Und ich denke Jay und Amy sind nach der langen Reise auch ziemlich hungrig.“, sagt Dan, als wir unten ankommen und reicht Josy Lilly.
„Ich werde eben Lilly stillen und du kannst uns ja das Essen in den Backofen schieben, was ich vorhin extra schon vorbereitet habe.“, Josy gibt Dan einen Kuss und schiebt ihn dann streng in Richtung Küche. Mit ihrer Tochter auf dem Arm geht sie die Treppe hoch.
„Wo soll ich denn jetzt die Koffer hintragen?“, fragt Jay mich und ich gehe vor ihm her in den ersten Stock und halte ihm die Zimmertür auf.
„Schön hier. Und wir kommen wieder in den Genuss zusammen in einem Bett zu schlafen.“, grinst Jay und sieht sich um.
Ich grinse zurück und fange an die Kleidung aus meinem Koffer in den Schrank zu räumen. Jay tut es mir gleich und keine viertel Stunde später sind unsere Koffer leer und wir schließen die Schranktüren.
„Boah, jetzt hab ich wirklich Hunger. Denkst du Dan ist schon fertig?“, fragend sieht mein bester Freund mich an.
„Lass es uns herausfinden. Wer als letzter unten ist, ist ein Loser!“, grinse ich und renne den Flur entlang, die Treppe runter und in die Küche.
Schlitternd komme ich zum Stehen und rufe zufrieden:"Erste, du Loser!"
„Du gemeines Biest! Dafür bekommst du ne Abreibung.“, Jay kommt gemein lachend in die Küche und fängt an mich zu kitzeln.
„Nein...Stopp...ich...kann nicht mehr“, japse ich und liege schon fast auf dem Boden.
„Ihr habt euch nicht verändert.“, kopfschüttelnd betrachtet Dan uns und greift schließlich ein: „Genug jetzt, ihr beiden. Hier, deckt schon mal den Tisch.“ Er deutet auf ein paar Teller, Besteck und Gläser, die schon bereit stehen.
„Verstanden, Sir.“, Jay salutiert.
Nach Luft ringend richte ich mich wieder auf und fange an das Besteck auf dem Tisch zu verteilen. Auch Jay macht sich nützlich, aber immer wenn er neben mir steht pikst er mir wieder in die Seite, was einen Schlag meinerseits zur Folge hat. Diese entspannte Stimmung ist herrlich und ich blühe auf.
Gerade als Josy die Treppe wieder runter kommt bringt Dan den Nudelauflauf aus der Küche.
„Lilly schläft.“, berichtet uns Josy und setzt sich an den Tisch. Auch wir nehmen Platz und unterhalten uns kurz darauf angeregt über Gott und die Welt.
In einer ruhigen Minute sehe ich auf die Uhr und erschrecke mich. Es ist beinahe neun und ich merke, wie müde ich eigentlich von der langen Reise bin.
Als ich ein Gähnen nicht mehr unterdrücken kann, grinst Dan mich wissend an: „Ich denke für dich ist jetzt Schluss, du schläfst ja beinahe im Sitzen.“
„Ich bring dich besser mal ins Bett. Außerdem hab ich mir auch etwas Schlaf verdient.“, sagt Jay und steht auf.
Ich will das Geschirr in die Küche räumen, doch Josy winkt ab: „Lass nur. Ich mach das gleich.“
Ich nicke dankbar und warte bis Jay neben mir ist. Meine Augenlider werden schwer und ich muss mich zusammenreißen nicht auf der Stelle einzuschlafen.
„Du bist ja völlig hinüber.“, bemerkt Jay kopfschüttelnd und hebt mich hoch. Erschöpft lege ich meine Stirn auf seine Schulter und winke Josy und Dan zu, die uns eine gute Nacht wünschen.
Wie durch Watte merke ich, dass ich auf dem Bett abgelegt werde. Neben mir senkt sich die Matratze, aber davon bekomme ich schon nichts mehr mit, weil ich tief und fest schlafe.
8.
Ein Klopfen an der Zimmertür reißt mich aus dem Schlaf.
„Ja?“, frage ich müde und setze mich auf.
„Morgen, ihr Beiden. Das Frühstück ist gleich fertig. Wir sind nachmittags bei Dad eingeladen. Ich muss jetzt aber erstmal Geld verdienen.“, begrüßt uns Dan gut gelaunt. Ich lasse mich grummelnd wieder in die weichen Kissen fallen.
„Jaja, wir kommen gleich.“, murmelt Jay neben mir. Wir sind beide Morgenmuffel und brauchen immer einen Moment zum wach werden.
Schließlich überwinde ich mich doch und schleife Jay mit mir die Treppe runter.
Josy sitzt ebenfalls im Schlafanzug am Tisch. Lilly sitzt im Hochstuhl neben ihr.
„Dan ist schon los, aber wir können in Ruhe frühstücken.“, erklärt meine Schwägerin in Spe und zeigt auf den gedeckten Tisch.
Während wir essen, frage ich sie nach dem geplanten Treffen mit meinem Dad.
„Pete hat sich sehr gefreut zu hören, dass du kommst und will dich unbedingt sehen.“, erklärt sie.
„Ich auch.“, gebe ich wahrheitsgemäß zu.
„Was haltet ihr davon, wenn wir, bevor wir zu Pete gehen, gleich eine Runde durch den Ort drehen?“, schlägt Josy vor. Auch wenn es mir davor graut, alte Bekannte zu treffen, stimme ich zu.
Also machen Jay und ich uns fertig und stehen eine Stunde später mit Josy und Lilly vor dem Haus.
***
Da ich die kleine Maus wirklich lange nicht gesehen habe, überlässt Josy mir das Kinderwagen schieben.
Wir schlagen den Weg nach rechts ein und ich kann schon von Weitem ein, mir unbekanntes, Restaurant erkennen. Auf meine Frage hin erklärt Josy, dass Susanne, die Mutter ihrer besten Freundin Leonie, es erst vor kurzem eröffnet hat.
Die Straße macht eine Linkskurve und schon biegen wir nach rechts ab.
Mein Atem stockt. Diese Straße kenne ich mehr als gut. Als mein Kopf sich automatisch nach rechts wendet, sehe ich zwei vertraute Häuser neben einander.
Das linke Haus war bis vor zwei Jahren noch das Zuhause von meinem Exfreund Thomas und mir und das andere Gebäude ist seine Fahrschule.
Übelkeit steigt in mir auf.
Bevor ich von meinen Gefühlen übermannt werden kann wende ich den Blick ab und gehe in zügigem Schritt weiter die Straße entlang.
Josy und Jay haben meinen Gefühlsumschwung natürlich bemerkt, sagen aber nichts, sondern eilen mir nach. An der nächsten Kreuzung bleibe ich stehen und sehe mich um.
„Susanne und Edgar haben mittlerweile ihr Haus neben der Kirche fertig gebaut.“, erzählt Josy und deutet nach rechts. Edgar ist der Pfarrer von Mitara und er hat mich sowohl getauft, als auch konfirmiert.
„Die Schule, den Kindergarten dahinter und die Uni solltest du ja noch kennen.“, fährt sie fort und deutet auf die zwei erkennbaren, riesigen Gebäudekomplexe vor mir und ich nicke. Erinnerungen von Thomas, damals liebevoll Tommy genannt, und mir im Kindergarten und auf dem Schulhof kommen hoch.
Wir kannten uns unser ganzes Leben und jeder Stein dieser Stadt erinnert mich an ihn, als wollte sie mich quälen.
Ich wusste, dass es eine blöde Idee war herzukommen und doch konnte ich nicht nein sagen.
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und gehe Jay und Josy hinterher, die bereits nach links in eine andere Straße gegangen sind.
„...Kino, in dem Dan und ich uns kennen gelernt haben. Dahinter ist das Theater und der kleine Bahnhof. Und dieses riesige Gebäude ist das Amtsgericht.“, kann ich sie erklären hören.
Sie deutet dabei an einer Weggabelung nach rechts und zieht Jay dann aber nach links weiter.
„An das Kino kann ich mich nicht erinnern, aber den Bahnhof kenne ich von meinen beiden Besuchen.“, überlegt er.
Wir haben uns in Carboa kennen gelernt, als Evelyn, meine damalige beste Freundin und ich, einen gemeinsamen Urlaub dort verbracht haben.
Wir waren Essen gegangen und mehr als begeistert von den leckeren Gerichten. Leicht angetrunken von dem Rotwein, den wir dazu getrunken hatten, wollten wir den Koch persönlich loben.
Jay hatte sich sehr über unsere Begeisterung gefreut und uns in einen Club eingeladen.
Dort hatten wir drei viel Spaß, doch Eve seilte sich schnell von uns ab und so verbrachten Jay und ich die Nacht überwiegend allein und verabredeten uns noch ein paar Mal.
Danach war ich hin und wieder Mal zu ihm gefahren. Anfangs hatte er ständig mit mir geflirtet, aber nachdem ich ihm von meiner glücklich Beziehung mit Tommy erzählt hatte war eine großartige Freundschaft entstanden.
Und auch er hatte mich zwei Mal in Mitara besucht. Daher kannte er sowohl meinen Dad, Dan und Josy, als auch Tommy und Eve.
„Hier ist das Café meiner besten Freundin Leonie. Wollen wir ihr kurz Hallo sagen?“, fragt Josy gut gelaunt und hält uns die Tür auf.
Also gehen wir vier ins Café und ich erkenne die große Schönheit auf den ersten Blick wieder.
„Hey Josy. Was machst du denn hier und wo hast du Lilly gelassen?“, fragt Leonie, ohne uns zu bemerken. Sie umarmt Josy und sieht dann zu uns.
„Amy!“, ruft sie begeistert und drückt mich an sich.
„Dich hab ich ja ewig nicht gesehen. Und wer ist dein gut aussehender Begleiter?“, fragt sie charmant und strahlt Jay an.
„Ich bin Jayden Parker. Aber Jay reicht.“, grinst er und streckt ihr seine Hand entgegen.
Sie zieht ihn ebenfalls in eine Umarmung und stellt sich mit gekonntem Augenaufschlag vor: „Ich bin Leonie Collins. Aber Leo reicht.“ Sie zwinkert ihm zu und Jay scheint etwas überfordert von ihrer direkten Art.
„Mach dir keine Gedanken, sie ist immer so. Aber erstens bist du 25 und somit 2 Jahre jünger als sie, was überhaupt nicht ihrem Beuteschema entspricht und zweitens ist sie vergeben.“, beruhigt Josy ihn.
„Was heißt du bist vergeben? Wer ist denn der mysteriöse Mann, der es mit dir aushält?“, frage ich grinsend.
„Du wirst es nicht glauben, aber es ist Ben.“, lächelt sie verliebt.
„Ben?! Das glaub ich jetzt nicht! Du und Ben?! Wow.“, ich muss den Gedanken erstmal verdauen.
Ben und sein Zwillingsbruder Matt, eigentlich Benjamin und Matthew, sind Dans beste Freunde und ich kenne die beiden schon ewig.
Aber auch wenn es mich mehr als überrascht, dass Ben und Leo zusammen sind muss ich zugeben, dass sie charakterlich gut zusammen passen.
„Du kennst doch sicher auch noch Matt? Er wird Patenonkel von Lilly. Ihr dürft euch die Verantwortung also teilen.“, erzählt Josy begeistert.
„Wirklich? Dann muss ich ihn unbedingt bald besuchen.“, sage ich erfreut.
„So wir müssen jetzt weiter. Wir wollten noch einen Abstecher zu Ty in die Praxis machen. Wir sehen uns.“, verabschiedet sich Josy und wir umarmen Leo nochmal zum Abschied, der wir versprechen müssen bald nochmal ins Café zu kommen. Ein Stück weiter kommen wir an der Querstraße an, die wieder zum Thompson-Haus führt. Aber wir gehen weiter geradeaus und auf der Ecke steht die Arztpraxis von Leos Bruder Tyler, den ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen habe.
Er war auch ein Kumpel von Dan, obwohl mein Bruder zwei Jahre jünger ist. Zwei Jahre bevor ich nach Carboa zog, ging Ty ins Ausland, um dort sein Studium zu beenden und ein praktisches Jahr in einem Entwicklungsland zu absolvieren.
***
„Wenn wir Glück haben hat Ty ein wenig Zeit für uns.“, sagte Josy und führte uns zur Anmeldung.
„Hey Em. Ich hab hier eine alte Freundin von Ty mitgebracht. Denkst du er hat kurz Zeit?“, fragt sie eine Schwarzhaarige Frau, die ihre sanften Locken zu einem Zopf gebunden hat.
Als sie aufsieht bemerke ich ihre strahlend grünen Augen und habe das Gefühl sie zu kennen.
„Ich denke ein paar Minuten wird er für euch haben.“, lächelt sie und führt uns in ein Sprechzimmer.
„Setzt euch, ich hole ihn eben.“, sagt sie freundlich und verschwindet wieder.
„Em? Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber ich kann sie nicht zuordnen.“, überlege ich.
„Ich glaub sie war eine Klasse über dir. Ein kleiner Naturwissenschaftsfreak, aber sehr beliebt. Ihr Vater Andrew leitet die Bank. Ich glaube ihre Eltern sind mit Pete befreundet.“, erklärt Josy und ich erinnere mich wieder: „Stimmt. Drew und Clara. Und sie hat einen Bruder, der im Ausland lebt. Von dem hat sie oft erzählt.“
„Er lebt mittlerweile hier, aber du wirst ihn noch kennen lernen.“, sagt Josy.
Bevor ich nachhaken kann, öffnet sich die Tür und Ty kommt rein.
„Amy? Bist du das? Oh Mann, bist du groß geworden.“, grinst er und umarmt mich fest.
"Naja, es hält sich in Grenzen. Aber das letzte Mal, als du mich gesehen hast war ich 19.", erinnere ich ihn.
„Wirklich? Dann bist du jetzt 23 oder 24, stimmt's?“, fragt er.
„Seit kurzem 24. Und du, alter Mann, bist schon 30.“, grinse ich.
„Autsch!“, er greift sich gespielt getroffen ans Herz.
Ich lache und er nimmt erst Josy in den Arm und streicht über Lillys Köpfchen. Dann stellen sich Jay und er vor.
„Ach ja, "ein Freund"...“, sagt Ty mit hochgezogener Augenbraue in meine Richtung.
Ich verdrehe nur die Augen und Frage ihn im Gegenzug: „Wie siehts denn bei dir aus? Ist dein Beruf immer noch ein Frauenmagnet?“
„Na klar. Aber mir reicht meine Frau voll und ganz. Sie heißt Olivia und hat sich nach drei Jahren Beziehung dazu erbarmt mich zu heiraten. Glaub mir, diese Frau macht mich glücklicher, als alles andere und ich hätte sie auch schon nach einem Jahr geheiratet. Du warst nicht mehr hier, aber ich hätte dich gerne auf meiner Hochzeit dabei gehabt.“, erklärt er stolz.
„Oh Ty, ich freu mich so für dich! Ich wünschte ich hätte dabei sein können. Hoffentlich stellst du sie mir bald vor.“, sage ich begeistert und drücke ihn nochmal.
„Klar, wenn du willst können wir morgen in Nicks Kneipe gehen. Findet ihr so schnell einen Babysitter, Josy?“, fragt er, als wäre alles schon abgeklärt.
„Ich kann gleich mal Pete fragen, der macht das bestimmt gerne.“, überlegt Josy.
„Müssen wir in Nicks Kneipe gehen? Wir finden doch bestimmt noch was anderes.“, sage ich flehend. „Ach Amy, komm schon. Du musst zugeben, dass die Kneipe am besten ist und Nick und Maggie werden Augen machen, wenn sie dich sehen!“, sagt er begeistert.
Doch genau das macht mir Sorgen. Früher war ich ständig dort und habe neben der Schule in der Kneipe gejobbt. Aber Nick und Maggie, die Besitzer, sind Tommys Eltern. Ich hab die beiden wirklich gern und sie sind sozusagen meine zweiten Eltern, aber ich habe sie seit der Trennung von Tommy nicht mehr gesehen.
Sie werden ihm sicherlich erzählen, dass ich in der Stadt bin und dann geht alles wieder von vorne los.
Ich möchte Tommy nie wieder sehen!
„Ich muss jetzt weiter arbeiten. Da draußen warten noch ne Menge Patienten auf mich. Es war schön dich wieder zu sehen. Bis morgen.“, verabschiedet er sich und auch er umarmt uns nochmal zum Abschied.
„Ich bin da.“, flüstert Jay mir zu und nimmt meine Hand auf dem Weg nach draußen. Er weiß wie ich mich fühle und ich bin ihm dankbar dafür, dass er so ein toller Freund ist.
„Ich denke, jetzt können wir uns langsam auf den Weg zu Pete machen. Er hat sich extra den halben Tag frei genommen. Aber Dan kommt auch direkt in einer Stunde von der Kanzlei zu ihm.“, erklärt Josy und wir gehen die Straße weiter.
„Das hier ist die Bank von Ems Vater, oder?“, frage ich und deute nach rechts.
„Genau. Und daneben ist das Haus von Andrew und Clarissa. Aber das weißt du sicherlich noch.“, antwortet sie. Ich nicke. Direkt daneben ist die Kanzlei meines Vaters. Thompson und Partner. Sein ganzer Stolz. Er ist Rechtsanwalt, genau wie Dan.
Soweit ich weiß, arbeitet außer den beiden noch ein Joshua dort, den ich aber nur aus Erzählungen kenne, da er erst nach meinem Umzug angefangen hat.
Die Kanzlei läuft, laut meinem Dad, ziemlich gut und er hat nicht nur Kunden aus Mitara. Sein Ruf ist mehr als gut und in der Umgebung kennt jeder den erfolgreichen Staranwalt. Mein Bruder tritt in seine Fußstapfen und auch er hat bereits einen guten Ruf. Ich falle dabei etwas raus, denn ich habe eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement gemacht. Als ich sie angefangen habe, bin ich aber auch noch davon ausgegangen in Tommys Fahrschule zu arbeiten. Er hat sehr gut verdient und so musste ich mir keine Gedanken machen.
In Carboa war ich mehr als froh, dass Marko mir direkt nach der Ausbildung eine Festanstellung angeboten hat. Er ist Architekt und brauchte damals dringend jemanden der Sekretärin und Assistentin in einem war.
9.
Als ich aufsehe, stehen wir schon vor dem kleinen Haus meines Dads, welches an seine Kanzlei grenzt.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass meine Mom am Anfang gar nicht begeistert war. Sie war der Meinung, dass man Arbeit und Privates strikt trennen sollte und hatte bereits geahnt, dass mein Dad, durch die nicht vorhandene räumliche Trennung, viel zu viel arbeiten wird.
Als Versöhnung hatte er sie das ganze Haus nach ihren Wünschen gestalten lassen und es kommt mir so vor, als würde sie gleich im Vorgarten stehen und mit meinem Dad über die richtige Anordnung der Blumen in den Beeten diskutieren.
Doch meine Mom starb vor 5 Jahren. Ich war gerade 18 geworden und es war mehr als hart mit ihrem Verlust klar zu kommen. Doch anders als in anderen Familien hatte der Verlust meiner Mom Dad, Dan und mich zusammen geschweißt und jeder war für den anderen da gewesen.
Josy klingelt und Sekunden später öffnet mein Dad die Tür. Er sieht genauso aus, wie in meines Erinnerung.
Er ist groß und breit, seine Augen sind blau. Obwohl das Strahlen darin nach dem Tod meiner Mom weniger wurde ist es nie ganz erloschen. Seine Haare sind etwas grauer geworden, aber die kurze Frisur ist geblieben. Sein Bart ist sorgfältig abrasiert.
Als er mich erblickt glitzern Tränen in seinen Augen und ich werfe mich in seine Arme.
Seine Statur erinnert an einen Schrank und in seinen Armen kam ich mir schon immer beschützt vor. Das hat sich nicht verändert. Auch mir laufen Tränen die Wangen herunter.
„Oh Daddy! Ich hab dich so sehr vermisst.“, schluchze ich an seiner Brust.
Er schnieft leicht und sagt dann mit seiner tiefen rauen Stimme: „Ich dich auch, mein Schatz. Ich dich auch.“
Nach einer gefühlten Ewigkeit löse ich mich von ihm und wische meine Tränen beiseite, während Dad Josy und Jay begrüßt. Er hebt Lilly aus dem Kinderwagen und sie öffnet ihre Augen. Den ganzen Weg über hat sie tief und fest geschlafen, doch jetzt greift sie lächelnd nach der Nase meines Dads und er drückt sie lachend an sich. Mit einer Hand hält er Lilly und mit der anderen zieht er mich ins Haus und auf das gemütliche Sofa im Wohnzimmer.
Ich sehe mich um und bemerke, dass alles genauso aussieht, wie ich es in Erinnerung habe. Als wäre ich nie weg gewesen, denke ich seufzend.
Jay trägt den Kinderwagen in den Flur und setzte sich dann mit Josy zu uns.
Mein Dad will unbedingt wissen, wie es mir ergangen ist, obwohl wir in den letzten Jahren natürlich oft telefoniert haben.
Als ich ihm das sagen winkt er direkt ab: „Das kann man ja wohl nicht vergleichen! Ich will alles bis ins kleinste Detail wissen.“ Und so erzähle ich ihm von der Wohnung, meiner Freundschaft zu Jay und ein paar anderen Freunden, meiner Ausbildung und meinem Job bei Marko.
„Du hast dir dein eigenes Leben aufgebaut und du wirkst sehr glücklich. So ungern ich es auch sage, vielleicht war dieser Abstecher nach Carboa nötig.“, sagt er schließlich.
„Dad, so sehr du dich auch dagegen sträubst es zu glauben. Es ist nicht nur ein Abstecher. Ich lebe dort und ich werde auch weiterhin dort leben.“, versuche ich ihm klar zu machen.
„Na das werden wir nochmal sehen.“, murmelt er und drückt mich nochmal an sich.
Er unterhält sich auch mit Jay, den er scheinbar noch in guter Erinnerung hat.
Während Josy und ich mit Lilly spielen, höre ich wie er sich bei Jay dafür bedankt, was er für mich getan hat und ich muss lächeln. Nach zwei Jahren, in denen ich den Kontakt zu meiner Familie aufs niedrigste reduziert habe, sind sie mir nicht böse, sondern lassen alles so normal erscheinen, als wäre nie etwas gewesen. Auch wenn dem ganz und gar nicht so ist, genieße ich den Augenblick.
Als Dan kommt, setzen wir uns alle an den großen Esstisch und mein Dad geht in die Küche, um das vorbereitete Essen zuzubereiten. Jay hilft ihm dabei und ich freue mich, dass die beiden sich noch so gut verstehen.
„Bereust du es hergekommen zu sein?“, fragt Josy in meine Gedanke hinein.
Erschrocken sehe ich sie an und überlege einen Moment bevor ich ehrlich antworte: „Nein. Ich bin froh euch alle wieder zu sehen. Die nächsten Tage werden anstrengend und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die erste Begegnung nach der ganzen Zeit mit Thomas und Evelyn sein wird, aber momentan überwiegt die Freude bei meiner Familie zu sein.“
„Wir sind auch froh, dass du hier bist. Wenn ich Dan sehe, wie er dich so stolz und glücklich ansieht, bin ich mir sicher, dass das die einzig richtige Entscheidung war, dich zu überreden.“, sagt sie lächelnd und sieht Dan zärtlich an, der mit Lilly auf dem Teppich liegt und herumalbert.
„Ist es sehr schlimm, dass wir morgen zu Nick und Maggie gehen?“, fragt Josy weiter.
„Naja, ich weiß nicht wie sie auf mich reagieren werden. Es weiß hier ja niemand was passiert ist und sie können sicher nicht verstehen warum ich gegangen bin.“, versuche ich zu erklären.
„Mach dir darüber keine Gedanken, Amy. Du warst immer wie eine Tochter für die beiden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sauer auf dich sind, weil du nicht mehr mit Tommy zusammen bist. Wir sind morgen ja alle da und wenn es dir zuviel wird, musst du nur bescheid sagen. Ich weiß zwar auch nicht was passiert ist, aber du wirst gute Gründe gehabt haben. Vielleicht bist du ja irgendwann so weit und erzählst es uns. Aber wir sind immer für dich da, egal was passiert. Vergiss das nicht!“, redet sie beruhigend auf mich ein und ich drücke sie fest an mich und bedanke mich leise bei ihr.
„Essen!“, ruft mein Dad in dem Moment und bringt mit Jay allerhand Töpfe und Schalen zum Tisch.
„Hast du das gekocht, Dad?“, frage ich überrascht und er nickt stolz.
„Marinierte Putensteaks auf Reis“, erklärt er stolz und füllt jedem etwas auf den Teller.
„Mhm, lecker.“, schmatzt Dan genüsslich und Josy schlägt ihm leicht gegen die Schulter.
„Man redet nicht mit vollem Mund und hör auf zu schmatzen, bevor unsere Tochter sich das irgendwann mal von dir abgucken kann!“, schimpft sie leise und Dan drückt ihr schmunzelnd einen Kuss auf die Wange. Seufzend fängt auch sie an zu essen und wir müssen Dan recht geben. Das Essen schmeckt super.
***
„Pete, bevor ich es vergesse, kannst du morgen Abend auf Lilly aufpassen?“, fragt Josy beim Abräumen.
„Sicher, kein Problem.“, sagt er freudestrahlend. Dan sieht Josy fragend an.
„Ty und Olli wollen sich morgen mit uns vieren in Nicks Kneipe treffen.“, erklärt sie. Dan sieht erstaunt zu mir und ich zucke nur mit dem Schultern.
Mit einem Glas Rotwein setzten wir uns aufs Sofa und unterhalten uns noch weiter. Schließlich kommt das Gespräch auf die Taufe und ich höre interessiert zu. Lilly soll von Edgar in der Kirche getauft werden. Danach wollen wir alle zu Susanne ins Restaurant.
„Su war sofort begeistert von der Idee und hat schon mit der Planung angefangen. Ed hat uns vorgeschlagen, dass wir die Taufe vormittags machen, damit wir zum Mittagessen bei Su sein können.“, erzählt Josy begeistert.
„Was ist mit dem Taufkleid?“
„Das hab ich schon fertig genäht.“, antwortet sie und grinst verlegen, als ich sie überrascht ansehe.
„Ja, und es ist unglaublich schön geworden!“, ergänzt Dan und gibt ihr einen Kuss. Lächelnd betrachte ich die beiden, die auch nach fast sieben Jahren Beziehung genauso verliebt sind wie am ersten Tag.
Das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe und noch vor drei Jahren habe ich mich an Ziel meiner Träume gesehen. Ich habe gedacht, genau den Menschen in Tommy gefunden zu haben den Josy und Dan im jeweils anderen gefunden haben. Doch ich habe mich geirrt und jetzt bin ich 24, Single und laut einigen Bekanntschaften beziehungsgestört. Aber wie soll man eine glückliche Beziehung anfangen, wenn man verlernt hat zu Vertrauen? Wie soll man sich wieder voll und ganz auf einen anderen Menschen einlassen, wenn die Angst vor dem Verrat schlimmer ist, als alles andere? Wie soll man überhaupt wieder daran glauben, dass irgendwo die große Liebe auf einen wartet? Für andere gibt es sie, wie man an Dan und Josy sieht, aber ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass mir auch so ein Glück gebührt.
„Die Geschenke!“, ruft Jay plötzlich und sieht mich an. Ich ziehe die Päckchen aus meiner Tasche und verteile sie.
„Das haben wir euch mitgebracht.“, lächle ich.
„Oh, wie schön! Dan, legst du mir die um?“, fragt Josy ehrfürchtig und hält ihrem Freund die Kette hin. Er schließt den Verschluss im Nacken und nimmt die zweite und macht sie um Lillys Hals, die vergnügt damit spielt.
„Die sind wunderschön! Danke!“, strahlt Josy uns an und gibt Jay und mir einen Kuss auf die Wange.
„Vielen Dank auch von mir. Das wird ab jetzt mein Kuli für die wichtigen Unterschriften.“, grinst mein Dad.
Als Dan sein Geschenk ausgepackt hat, lacht er los.
„Daran erinnerst du dich noch?“, fragt er und hält eine der Whiskeyflaschen hoch.
„Na klar! Du bist doch jetzt ein Daddy, also musst du auch ein richtiger Mann sein!“, grinse ich und auch er bedankt sich.
Das Wiedersehen mit meinem Vater war toll, aber wir müssen uns langsam wieder auf den Weg machen.
Zum Haus von Dan, Josy und Lilly müssen wir die Straße bis zum Ende gehen und dann nach links. Am Ende der Straße bleibe ich stehen und sehe begeistert auf das Haus vor mir. Das Schwedenhäuschen ist zweistöckig, sehr breit und in einem dunkelrot gestrichen. Die Fenster und Balken strahlen sogar im Dunkeln der Nacht weiß. Wie bei dem Thompson-Haus ist ein großer Balkon über der Haustür.
„Amy“, ruft Jay nach mir und ich beeile mich zu den anderen aufzuholen, die bereits um die Ecke verschwunden und fast da sind.
10.
Als ich am nächsten Morgen aufwache ist noch alles ruhig. Nachdem ich erfolglos versucht habe noch etwas zu schlafen, stehe ich auf und ziehe eine Hotpants und ein Top an, um joggen zu gehen.
Zu Hause mache ich das ab und zu, wenn ich Lust habe, aber es gibt auch keine richtige schöne Laufstrecke. Hier ist der See und neben dem linken Nachbarhaus ist ein Weg der zum Lake Tara führt. Früher bin ich diese Strecke jeden Morgen gejoggt.
Mit meinen Laufschuhen in der Hand schleiche ich leise nach unten. Dort ziehe ich die Schuhe an und mache mir einen Zopf, bevor ich in die kühle Morgenluft trete.
In normalem Tempo gehe ich den Weg zum See runter und fange dort an mich zu dehnen. Dann beginne ich in gemächlichem Tempo. Ich habe immer noch Übung und steigere mein Tempo deswegen kontinuierlich, bis ich meinen perfekten Laufrythmus gefunden habe.
Der See, der heute ruhig daliegt, hat eine beruhigende Wirkung auf mich. Ab und zu weht ein leichter Wind, der die grünen Blätter an den Bäumen rascheln lässt und meinen erhitzten Körper in unregelmäßigen Abständen abkühlt.
Ein Jogger läuft in beständigem Rhythmus ein Stück vor mir. Er hat schwarze Haare, ist groß und seine Muskeln sind deutlich zu erkennen. Er ist kein Bodybuilder-Typ, aber trotzdem kann man ihm seine Kraft und Stärke schon von weitem ansehen.
Eine Zeit lang beobachte ich den ziemlich attraktiven Mann vor mir, bis er schließlich sein Tempo steigert und aus meinem Blickfeld sprintet.
Verschwitzt, aber glücklich laufe ich die letzten Meter bis zum Thompson-Haus und komme genau in dem Moment an, in dem Dan das Haus verlässt.
„Hey Schwesterherz, wie ich sehe bist du immer noch begeisterte Joggerin. Ich muss los, sonst bekommt Dad einen Anfall.“, grinst er und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er, ganz sportlich, zur Kanzlei läuft.
Im Haus hole ich mir eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und trinke diese erstmal aus.
„Oh, du warst joggen.“, stellt Josy fest, die hinter mir die Küche betreten hat.
„Ich wusste gar nicht, dass du das noch machst. Ich wollte das Frühstück vorbereiten. Du kannst ja solange duschen gehen., schlägt sie vor und ich nicke.
Erschöpft gehe ich die Treppe hoch und dusche erst Mal entspannt.
Als ich zum Frühstück komme, sitzt Jay schon mit einem Brot in der Hand am Tisch.
„Na, hast du dich ausgepowert?“, will er wissen als er mich entdeckt. Ich nicke nur und greife auch nach einem Brötchen.
Josy kommt mit Lilly rein und setzt sich zu uns.
„Amy, könntest du zu Su gehen und mit ihr nochmal die Planung für das Essen durchgehen? Und dich Jay, würde ich gerne in die Stadt mitnehmen. Ich muss Dans Anzug abholen und ich hab gehört, dass du auch noch einen brauchst.“, fragt sie uns. Wir nicken zeitgleich.
„Super. Su erwartet dich in einer Stunde im Restaurant. Wir fahren jetzt gleich los, Jay.“
Also sitze ich eine Stunde später bei Su im Restaurant, die ebenfalls begeistert war mich zu sehen. „Also wir müssen noch über das Essen und die Dekoration sprechen. Alles weitere ist ja schon geklärt.“, sagt Su geschäftsmäßig.
„Josy hätte gerne ein Buffet, dann kann jeder essen worauf er Lust hat. Ich denke zwei Hauptgericht sind okay. Dazu dann verschiedene Beilagen und nicht zu vergessen das Dessert. Da reichen auch zwei Varianten. Und die Getränke kann sich ja jeder selbst bestellen.“, erkläre ich und Su schreibt eifrig mit.
„Jay macht zu solchen feierlichen Anlässen oft Lavendel-Mousse mit Cassis-Soße und Zuckermelone. Das ist auf jeder Feier der Renner!“, schlage ich vor.
Su sieht mich verwirrt an.
„Jay, mein bester Freund, ist Koch. Er ist mit mir hergekommen.“, erkläre ich grinsend.
„Wirklich? Das ist ja toll. Ich brauche dringend einen Koch, weil mein eigentlicher Küchenchef leider verhindert ist. Vielleicht hätte er Lust mir bei dem Essen zu helfen?“, fragt sie mich begeistert. „Ähm...Also wenn du ihn brauchst, macht er das bestimmt sehr gerne. Ruf ihn doch am besten an.“, rate ich ihr und kurz darauf läuft sie mit dem Telefon am Ohr durch das Restaurant.
Gelangweilt sitze ich am Tisch und spiele mit einer Serviette, als die Türklingel läutet und einen neuen Gast ankündigt.
Ich sehe hoch und begegne ihrem Blick.
Sie steht erstarrt in der Tür und sieht mich erschrocken an.
Ich sitze genauso erstarrt da und gucke sie an.
Ihre Lippen bewegen sich, doch ich bin so überrascht, dass ich erst nach ein paar Sekunden verstehe, dass sie meinen Namen flüstert.
Sie macht ein paar Schritte auf mich zu, plötzlich ist es ganz leicht mich zu bewegen.
Ich springe auf, renne an ihr vorbei aus der Tür und in Richtung Thompson-Haus. Doch ich habe keinen Schlüssel und niemand ist zu Hause, also renne ich weiter in Richtung Kanzlei.
Ich reiße die Tür auf, stolpere hinein. Erst jetzt bemerke ich, dass meine Wangen nass sind und als ich mit der Hand darüber fahre, sehe ich meine Tränen.
Im Zimmer, welches normalerweise voller Klienten ist, sitzt nur eine ältere Frau, die mich erschrocken ansieht. Zitternd lasse ich mich auf einen Stuhl fallen und verdecke mein Gesicht mit meinen Händen. „Kindchen, geht es dir nicht gut? Hast du Schmerzen? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, fragt eine Stimme neben mir und ich vermute, dass es die ältere Frau ist. Ohne mein Gesicht zu heben, schüttle ich den Kopf und schluchze weiter.
Warum musste mir Evelyn gerade jetzt über den Weg laufen? Der Tag hatte so schön angefangen. Meinen Namen aus ihrem Mund zu hören, war wie ein Schlag ins Gesicht. Genauso hat sie auch damals reagiert. Ich war früher von der Uni nach Hause gekommen und hatte Essen für Tommy und mich mitgebracht, da er um diese Zeit Mittagspause hatte. Mit der Tüte in der Hand hatte ich ahnungslos die Tür zu unserem Haus geöffnet. Ich hörte komische Geräusche aus dem Schlafzimmer und lief besorgt ins Zimmer. Was mich da erwartete, hätte ich nie gedacht. Eve, meine beste Freundin, und Tommy hatten in meinem Schlafzimmer, in meinem Bett Sex. Beide hatten mich erst nicht bemerkt und einfach weiter gemacht während ich erstarrt in der Tür stand. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Kein bisschen Sauerstoff drang in meine Luftröhre und ich schnappte immer wieder verzweifelt nach Luft. Tommy hatte mich dann bemerkt und mich erschrocken angesehen. Als Eve sein Gesicht sah, drehte sie sich um und schlug die Hände vor den Mund. Auch da hatte sie meinen Namen geflüstert, wie eben im Restaurant. Tommy wollte aufstehen und auf mich zugehen, doch ich hatte nur „Nein, lass mich!“ geschrieen und war aus der Wohnung gerannt.
In der Nähe des Sees stand eine alte Hütte, in der wir als Kinder oft gespielt hatten und ich hatte dort einfach gesessen und geweint, bis keine Tränen mehr kamen. Irgendwann war ich so ausgelaugt eingeschlafen. Doch nach ein paar Stunden war ich wieder aufgewacht. Diese Szene hatte sich in meinen Traum geschlichen und ich war aufgestanden, mit dem festen Plan mich rettungslos zu betrinken. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder die Kneipe von Tommys Eltern oder die Disco. Ich entschied mich für die Disco und Matt, der Türsteher im Club war, ließ mich rein. Ben, der Barkeeper, hatte mir mit einem Blick auf mein verweintes Gesicht einen Wodka eingeschüttet und irgendwann hatte ich ihm erzählt was passiert war. Ben reagierte aber ganz anders, als ich erwartet hatte.
„Ehrlich gesagt, habe ich die beiden schon öfter zusammen bei euch gesehen. Aber ich wusste ja nicht, wann genau du Uni hast. Ich dachte, sie wollte dich besuchen. Ich hab schon ein paar Mal gehört, dass sie sich auch geküsst und befummelt haben sollen, aber ich wusste ja nichts mit Sicherheit.“, erzählte Ben mir. Nachdem ich ihn angeschrieen hatte, weil er mir nie ein Sterbenswörtchen gesagt hat, musste er mir hoch und heilig versprechen, dass er es niemandem sagt. Als der Morgen anbrach und der Club geschlossen wurde ist Ben mit mir wieder "nach Hause". Tommy hatte auf dem Sofa gesessen. Die Haare in alle Richtungen abstehend, tiefe Augenringe im Gesicht. Er war sofort aufgesprungen, als ich die Tür geöffnet hatte.
„Amy, Gott sei dank. Es tut mir so Leid. Bitte verzeih mir. Es war ein einmaliger Ausrutscher, das wird nie wieder passieren. Ich liebe dich über alles!“, flehte er und wollte meine Hand in seine nehmen. Ich entriss sie ihm und sah ihn unendlich enttäuscht und wütend an.
„Es war keine einmalige Sache. Ich werde dir das nie verzeihen können. Ich nehme jetzt meine Sachen und verschwinde hier. Ben ist der Einzige, der etwas davon weiß. Er wird nichts sagen und es sollte auch in deinem Interesse sein, dass niemand davon erfährt.“, teilte ich ihm mit und packte meine Habseligkeiten in einen Koffer und eine Reisetasche, während Ben Tommy von mir fernhielt. Dieser flehte mich an zu bleiben, er entschuldigte sich tausendmal, doch ich konnte ihn nicht ertragen. Mit einem Schlag hatte er nicht nur unsere vierjährige Beziehung, sondern auch unsere lebenslange Freundschaft zerstört.
Das Gepäck in der Hand, floh ich aus dem Haus und Ben brachte mich zum Bahnhof. Mit meinem gesparten Geld kaufte ich mir ein Flugticket nach Carboa und zog bei Jay ein. Von dort meldete ich mich bei meiner Familie, ohne ihnen jemals von dem Grund zu erzählen. Tommy und Eve versuchten unzählige Male mich zu erreichen, aber da sie keine Adresse hatten, sondern nur meine Handynummer, wechselte ich diese schließlich und sie kamen gar nicht mehr an mich ran.
Und jetzt musste die Frau, der ich so sehr vertraut hatte und die dieses Vertrauen schamlos ausgenutzt hatte, auftauchen und all diese Gefühle wieder hochbringen.
***
Eine Hand tätschelt unbeholfen meinen Rücken.
„Hallo? Frau Jenkins?“, ruft die Frau und steht auf.
„Ja?“, fragt eine weibliche, deutlich jüngere Stimme, die mir bekannt vorkommt, gehetzt.
„Ähm...“, macht die ältere Frau und schon erklingt die andere Stimme wieder, diesmal ungläubig: „Amy? Oh mein Gott, was ist denn los?“
Langsam hebe ich meinen Kopf und sehe in Lindas Gesicht. Sie war früher in meiner Klasse und eine lockere Freundin gewesen. Am Rande erinnere ich mich, dass mein Vater erzählt hatte, dass er sie als Sekretärin angestellt hat.
Ich kann nicht antworten, nur weiter schluchzen. Plötzlich öffnet sich eine Tür auf der linken Seite und ein unbekannter Mann verabschiedet einen Klienten. Als sein Blick auf mich fällt, reißt er erschrocken die Augen auf und kommt auf mich zu.
„Gott, was ist passiert?“, fragt er und schlingt beruhigend die Arme um mich. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter und weine weiter. Auch Linda und die Frau können nur überfordert mit den Schultern zucken. Nach kurzer Zeit hebt er mich hoch und trägt mich weg.
Er ist vollkommen fremd, aber in dem Moment ist mir das egal. Seine Nähe tut mir unbeschreiblich gut und ich schmiege mich an ihn.
Wir stehen in einem Flur und ich kann drei Türen sehen. Auf der einen Tür kann ich verschwommen J. Bennett & W. O'Connor erkennen, auf der nächsten Tür stehen die Namen meines Dads und meines Bruders. Der letzte ist der Besprechungsraum, an den kann ich mich noch gut erinnern. Wenn ich die beiden besucht habe, saßen wir oft dort und jetzt steuert der Mann auf genau die Tür zu. Ich kann nicht aufhören zu weinen und das Atmen fällt mir immer schwerer. Ich habe wieder das Gefühl keine Luft zu bekommen.
„Beruhig dich bitte.“, redet er sanft auf mich ein.
Ich schnappe verzweifelt nach Luft. Ich spüre schon das Gefühl des Erstickens.
„Was ist passiert?“, fragt ein fremder Mann panisch und breitet Sekunden später eine Decke über mich aus und erst jetzt bemerke ich, dass ich unkontrolliert zittere.
„Ganz ruhig atmen. Tief ein und aus. Konzentriere dich nur auf deine Atmung!“, spricht der Unbekannte mit sanfter Stimme auf mich ein.
„Stell dir vor, wie der Sauerstoff durch deine Luftröhre in die Brust und in deinen Bauch fließt.“ Ich schließe meine Augen und tue was er sagt.
Langsam beruhige ich mich und bekomme wieder besser Luft.
Er lässt sich mit mir auf einen Stuhl fallen.
„Oh Gott, ich dachte du erstickst!“, flüstert der Mann besorgt und zieht mich noch näher an sich. Ich kuschle mich an seine Brust.
Ich sehe mich um und entdecke den anderen fremden Mann, der besorgt in meine Richtung schaut. Er hat blonde Haare, die er ordentlich zur Seite gegelt hat und blaue Augen.
Dann sehe ich den Mann an, auf dessen Schoß ich sitze. Jetzt kann ich ihn richtig mustern und erkenne den Jogger vom See wieder. Seine grünen Augen fesseln mich.
Beide Männer sind überdurchschnittlich attraktiv.
„Geht's wieder?“, fragt der Jogger besorgt.
Ich nicke und flüstre ein einfaches „Danke“, welches er ebenfalls nickend hinnimmt.
„Willst du erzählen was passiert ist?“, fragt er sanft und streicht mir die immer noch laufenden Tränen weg.
Ich schüttle stumm den Kopf, er seufzt und wiegt mich ein bisschen hin und her bis keine Träne mehr fließt.
„Ich bin übrigens William O'Connor. Will.“, sagt er, während er mich wieder auf die Beine stellt und mir die Decke umwickelt.
„Amanda Thompson. Amy.“, sage ich mit brüchiger Stimme.
„Ich weiß, dein Dad hat Fotos von dir im Büro.“
Er hebt mich wieder hoch und ich lege automatisch meine Arme um seinen Nacken.
„Ich kann alleine laufen.“, nuschle ich, bin aber eigentlich froh, dass er mich trägt, weil ich mir nicht sicher bin, ob meine Beine mich halten würden. Will schweigt und trägt mich in den ersten Raum. Dort setzt er mich auf einem Schreibtisch ab. Am anderen Tisch sitzt der Blonde von eben. Ich habe nichtmal bemerkt, wie er den Raum verlassen hat.
„Ich bin Joshua Bennett. Kannst mich Josh nennen. Und du bist Amanda Thompson, stimmt's?“,fragt er und kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu.
Ich schüttle sie und antworte: „Ja, ich bin Amy.“
Will nimmt sein Handy, tippt eine Nummer ein und wartet.
„Hallo Pete, hier ist Will. Deine Tochter ist gerade in der Kanzlei aufgetaucht, hat geweint und bekam dann eine Panikattacke. Sie erholt sich jetzt langsam. Soll ich sie zu dir bringen?“, fragt er offensichtlich meinen Dad. Dann hält er mir das Handy hin.
„Dad?“, frage ich leise.
„Amy, was machst du denn für Sachen? Was ist passiert? Geht es dir gut“", seine Stimme klingt panisch.
„Es geht mir schon wieder besser, Daddy, mach dir keine Sorgen.“, beruhige ich ihn.
„Zu mir kannst du nicht, Schätzchen. Dan und ich sind auf einem Außentermin und du hast keinen Schlüssel. Was ist mit Jay und Josy?“, überlegt er.
„Die beiden sind in der Stadt Besorgungen machen.“, antworte ich ihm.
„Ich werde sie anrufen. Gib mir mal bitte wieder Will. Und mach so etwas nie wieder, Amy. Ich hab bald einen Herzinfarkt bekommen! Dan und ich beeilen uns.“, sagt er.
„Okay. Tschüss, Daddy.“, ich gebe Will sein Handy wieder.
„Ja? ... Zu mir? ... In Ordnung, Pete. Kommt vorbei, wenn ihr wieder hier seid. Mach dir keine Gedanken, ich kümmere mich um sie. ... Bis später.“, verabschiedet er sich.
„Ich nehme dich mit zu mir, dann kannst du dich erstmal erholen. Pete und Dan holen dich nachher ab.“, erklärt er und zieht seine Jacke an. Dann räumt er alle Akten vom Tisch in eine Umhängetasche und hängt sie sich um.
„Bis morgen, Josh.“, verabschiedet er sich und hebt mich wieder hoch.
Ich winke Josh zum Abschied zu und er winkt mit nachdenklichem Blick zurück.
„Ich bin doch viel zu schwer, um mich ganz bis zu dir zu tragen. Ich weiß nichtmal wo du wohnst.“, empöre ich mich leise. Oh Mann, ich werde hier von einem Fremden durch die Gegend getragen und er nimmt mich jetzt auch noch mit zu sich nach Hause. Außerdem hab ich vor ihm geheult und mich an ihn geschmiegt, wie sonst was. Bestimmt denkt er jetzt ich bin verhaltensgestört. Unangenehmer geht es nicht mehr!
Peinlich berührt schließe ich kurz meine Augen.
Er lacht rau: „Hältst du mich für einen Schwächling? Außerdem bist du alles andere als schwer und ich werde dich bestimmt nicht alleine gehen lassen. Pete würde mich einen Kopf kürzer machen. So weit ist es nicht bis zu meinem Haus.“
Ich kapituliere und lehne mich wieder an ihn. Nach ein paar Minuten hält er an und fummelt einen Schlüssel aus seiner Tasche. Ich sehe auf und erkenne das dunkelrote Haus an der Ecke.
„Das ist deins?“, frage ich heiser. „Das ist mein absolutes Traumhaus!“, seufze ich und höre ihn wieder rau lachen. Sein Lachen klingt unglaublich sexy und ich starre ihn fasziniert an. Okay, das ist jetzt wirklich schräg! Ich glaube es geht mir doch noch nicht so gut.
Im Flur lässt er seine Tasche neben eine Kommode fallen und geht mit mir an der Treppe vorbei in einen lichtdurchfluteten Raum. Er biegt rechts um die Ecke und wir stehen in seinem Wohnzimmer. Links sind riesige Fenster. Vor uns steht ein Fernseher auf einem Schrank, den Will jetzt umrundet. Er legt mich auf dem Sofa ab und mustert mich.
„Ich hol dir ein Wasser.“, beschließt er und umrundet wieder den Fernseher. Anstatt wieder nach links in Richtung Tür zu gehen, läuft er weiter geradeaus und ich kann einen Teil seiner Kücheneinrichtung sehen.
Erschöpft lasse ich meinen Kopf nach hinten fallen und kuschle mich in das weiche Sofa.
***
Ein Hand streicht über meine Haare und ich kann ganz leicht einen Atmen auf meinem Gesicht spüren. Verschlafen öffne ich die Augen und das Grün der Augen meines Gegenüber strahlt mich an.
„Geht es dir besser?“, fragt Will beinahe zärtlich.
„Ja, danke.“, antworte ich, „Wie lange habe ich geschlafen?“
„Eine Stunde. Ich habe meine Schwester angerufen. Sie ist eine Art Ärztin und ich möchte sicher sein, dass dir nichts fehlt.“, sagt er fürsorglich.
„Eine Art Ärztin?“, frage ich misstrauisch.
„Naja, sie assistiert einem Arzt. Soll ich sie holen?“, auf mein Nicken steht er auf und geht in Richtung Haustür.
Ein wenig überrumpelt fühle ich mich schon und ich bin eigentlich sicher, dass mir nichts Ernsthaftes fehlt. Aber vermutlich würde Will nicht locker lassen. Ich höre ihn leise mit jemandem sprechen und dann kommt er mit einer Frau um die Ecke, die ich noch gut in Erinnerung habe.
„Em...“, sage ich überrascht und sie lächelt freundlich.
„Na du, mein Bruder hat sich ganz schön besorgt angehört am Telefon. Wollen wir doch mal gucken, ob wirklich alles in Ordnung ist.“, sagt sie und beginnt mich zu untersuchen. Zwischendurch stellt sie mir immer mal wieder Fragen zu meiner Gesundheit. Auf die Frage, was passiert ist möchte ich nicht antworten und sie akzeptiert es glücklicherweise.
„Ich denke die Panikattacke war eine Reaktion auf eine vorangegangene Stresssituation. Du hast etwas hyperventiliert, wenn ich Wills Geschichte richtig verstanden habe. Hast du so etwas öfter?“, will sie wissen.
„Früher ab und zu, seit einem halben Jahr war aber nichts mehr.“
„Diese Panikattacken kann man behandeln. Solltest du nochmal zusammenbrechen kommst du direkt in die Praxis. Ich kann sonst nichts feststellen. Sie ist kerngesund.“, befindet Em an Will gewandt. Er atmet erleichtert aus und bringt seine Schwester zur Tür, nachdem ich mich bei ihr bedankt habe.
Als er zurück kommt setze ich mich hin und mache für ihn Platz auf dem Sofa.
„Tut mir Leid, dass ich solche Umstände mache. Ich habe nicht daran gedacht, dass Dan und Dad nicht da sind. Jetzt hast du dir wegen mir auch noch Sorgen gemacht und musstest mich sogar zu dir nach Hause schleppen.“, entschuldigend senke ich meinen Blick.
„Hey, das hab ich gerne getan. Ich bin froh, dass du bei mir gelandet bist und nicht sonst wo.“, beruhigt er mich und hebt mein Kinn.
Sekundenlang starren wir uns an, bevor ich verlegen den Blick abwende.
„Wir kennen uns noch gar nicht, vielleicht sollten wir das nachholen bis du abgeholt wirst.“, schlägt er vor und ich nicke.
„Also ich bin William O'Connor, wie du schon weißt. Ich bin 26 und Rechtsanwalt für Familienrecht. Bei deinem Vater arbeite ich erst seit kurzem. Ich hab eine Schwester, Emma. Sie ist ein Jahr jünger und medizinische Fachangestellte. Mein Vater heißt Andrew und er ist Banker. Meine Mutter heißt Clarissa.“, macht er den Anfang.
„Drew und Clara kenne ich noch von früher.“, unterbreche ich ihn.
Er sieht mich kurz irritiert an und fährt dann fort: „Ich bin mit 14 auf ein Internat ins Ausland gekommen und habe dort auch studiert. Vor einem Jahr bin ich wieder nach Mitara gezogen.“, er überlegt kurz, „Und Josh ist mein bester Freund.“
Ich grinse.
„Also, ich heiße Amanda Thompson, bin 24 und arbeite als Kauffrau für Büromanagement. Ich arbeite bei einem Architekten. Ich habe einen vier Jahre älteren Bruder, Daniel. Mein Dad, Peter, und er sind ebenfalls beide Rechtsanwälte. Aber das weißt du ja. Meine Mom starb vor 5 Jahren. Ich habe mein Leben lang hier gelebt und bin vor zwei Jahren nach Carboa gezogen. Da wohne ich jetzt in einer WG mit meinem besten Freund Jay.“, ende ich.
„Wow. Wie bist du denn auf Carboa gekommen?“, fragt er interessiert.
„Naja, es waren eher unglückliche Umstände als ein genauer Plan, aber Jay wohnte dort und ich bin dort hängen geblieben.“, antworte ich schulterzuckend. Wir unterhalten uns über seine Zeit im Ausland, andere Länder, Reisen, die Arbeit und und und. Will ist unglaublich witzig und ich spüre zwar, dass er nur versucht mich abzulenken, doch ich genieße die Zeit mit ihm.
Sein Lachen macht beinahe süchtig und ich hänge an seinen Lippen.
Das leichte Kribbeln in meinem Bauch ignoriere ich einfach.
11.
Als es klingelt und Dan mich abholt, bin ich doch etwas enttäuscht. Ich nehme Will in den Arm und bedanke mich nochmal. Er ist fast einen Kopf größer als ich und ich versinke regelrecht in seinen muskulösen Armen.
An der Tür zieht Dan mich in eine fürsorgliche Umarmung und legt den Arm um mich. Auf dem Weg zu Dans Auto spüre ich Wills Blick, der auf mir ruht. Ein wenig verlegen sehe ich nochmal zurück und sehe noch einen nachdenklichem Ausdruck in seinen Augen, bevor er sich abwendet und die Tür schließt. Fast ein wenig traurig setzte ich mich ins Auto und wir fahren die minimale Strecke zum Thompson-Haus. Mein Vater steht vor der Tür und reißt mich in seine Arme, sobald ich aussteige. Auch Jay und Josy drücken mich und alle reden gleichzeitig auf mich ein. Einer nach dem anderen mustert mich von Kopf bis Fuß, um zu überprüfen, ob Em recht hatte, nachdem ich ihnen von den letzten Stunden erzähle. Den Grund für meine Panikattacke verschweige ich wohlweislich und nach einigen misslungenen Versuchen mich zum Reden zu bewegen, geben sie es schließlich auf.
„Also, wie lange haben wir noch bis zu unserem Treffen mit Ty und Olivia?“, fragend sehe ich in die Runde. Vier entgeisterte Augenpaare starren mich an.
„Ist das die Ernst? Du willst jetzt noch los?“, fragt Dan, als wäre ich nicht mehr ganz dicht.
„Ja! Ich möchte Olivia unbedingt kennen lernen und außerdem kann ich ein bisschen Ablenkung gebrauchen.“, erkläre ich. Mein Dad versucht es mir auszureden, doch ich lasse mich nicht beirren und gehe nach oben, um mich umzuziehen.
„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragt Jay, der mir gefolgt ist. Ich nicke nur. Nachdem ich mich schnell umgezogen habe setzte ich mich aufs Bett.
„Erzählst du mir jetzt was passiert ist?“, fragt er vorsichtig und zieht sich selbst um. Also erzähle ich es ihm und er nimmt mich schließlich in den Arm.
„Jetzt halte ich es für noch blöder in die Kneipe zu gehen. Aber ich hab mir sowas Ähnliches schon gedacht. Und ich weiß, dass du unglaublich stur sein kannst, also werde ich sich sowieso nicht davon abbringen können.“, seufzt er und wir gehen wieder nach unten. Josy und Dan sind ebenfalls fertig und nachdem sie sich nochmal bei mir erkundigt haben, ob ich wirklich einverstanden bin, machen wir uns auf den Weg. Die Kneipe ist direkt gegenüber und als wir durch die Tür treten schlägt mir ein vertrauter Geruch nach Alkohol, Schweiß und Zigarettenrauch entgegen. Automatisch sehe ich mich einmal überall um und gehe dann in Richtung Theke.
Noch hat Nick mich nicht entdeckt. In aller Ruhe poliert er Gläser. Seine muskulöse, riesige Statur hat er behalten. Seine blauen Augen hat er Tommy vererbt. Das graue Haar ist nur wenige Millimeter lang. Er muss jetzt 53 Jahre alt sein und er sieht wirklich so aus. Früher hat er so unglaublich viel Lebensfreude ausgestrahlt, dass er für mich immer viel jünger aussah.
Maggie tritt neben der Theke aus der Tür, die zum Lager führt. Auch sie hat blaue Augen, ihre Locken sind noch immer blond und gehen ihr bis zum Kinn. Sie war schon immer etwas mollig, doch nie dick.
Sie steht einen Moment ungläubig in der Tür und läuft dann mit Tränen in den Augen auf mich zu. Es berührt mich tief, dass sie mich so vermisst hat und ich drücke mich fest an sie, als sie mich in ihre Arme zieht.
Immer noch ungläubig schiebt sie mich ein Stück weg und streicht über meine Wange. Ihr liebevoller Blick ruht einen Moment auf mir bevor sie sich umdreht.
„Nick, unsere kleine Amy ist hier.“, ruft sie durch den Raum und auch Nick steht Sekunden später vor mir und drückt mich an seine stählerne Brust.
„Meine Kleine!“, flüstert er zärtlich und auch mir rollt eine Träne über die Wange.
„Komm her, setzt euch erstmal. Was kann ich euch bringen?“, fragt Maggie überschwänglich und schiebt uns an einen Tisch.
„Für mich eine Cola. Und für euch Bier?“, fragend sieht Josy uns an und wir nicken.
Nick schiebt sich einen Stuhl an unseren Tisch und betrachtet mich eingehend.
„Was machst du denn hier? Ich dachte, wir sehen dich nie wieder.“, ein vorwurfsvoller Unterton schwingt in seinen Worten mit.
„Ich kann doch die Taufe meiner Nichte nicht verpassen.“, lächle ich vorsichtig und versuche die Stimmung aufzulockern. Maggie kommt mit den Getränken an den Tisch und setzt sich ebenfalls dazu.
„Und was hast du die letzten zwei Jahre gemacht?“, fragt sie interessiert und ich erzähle auch ihr von meiner Ausbildung, meinem Job und Jays und meiner Wohnung.
„Ich glaube wir haben uns vor ungefähr drei Jahren mal gesehen, als du Amy besucht hast.“, erinnert sich Nick und sieht Jay nachdenklich an.
„Ja, das kann gut sein.“, grinst dieser.
„Amy, wir wissen bis heute nicht, warum du gegangen bist!“, wendet Nick sich wieder an mich.
„Es tut mir Leid, dass ich einfach so gegangen bin, aber es ging nicht anders. Ich möchte nicht darüber reden, was damals passiert ist.“, entscheide ich und spiele nervös mit der Flasche in meinen Händen.
„Tommy war am Boden zerstört. Er hat dich wirklich geliebt und die Trennung hat ihn beinahe kaputt gemacht.“, sagt Maggie leise und ich kann ihre Wut auf mich heraushören, obwohl sie sie versucht zu unterdrücken.
„Es tut mir Leid! Er kennt den Grund und ich hoffe er kann meine Entscheidung irgendwann verstehen.“, entschuldige ich mich und senke den Kopf.
„Ich bin wirklich froh, dass du wieder hier bist!“, wechselt Nick das Thema und legt einen Arm um mich. Wir greifen zu unseren Getränken.
„Auf Amy“, ruft Dan und alle prosten mir zu.
„Hey, da sind Ty und Olli.“, Josy springt auf und umarmt die beiden. Olivia ist groß, hat dunkelblaue Augen und blonde Locken, die sie zu einem Zopf gebunden hat.
Bei uns angekommen lächelt sie uns freundlich an und stellt sich dann vor Jay und mich.
„Hallo, ich bin Olivia Collins. Olli.“, begrüßt sie uns und auch wir stellen uns vor.
Ty und Olli begrüßen auch den Rest der Runde und Nick und Maggie verabschieden sich mit einem Nicken.
„Wir sehen uns später.“, sagt Maggie und die beiden machen sich wieder an die Arbeit.
Olli ist wirklich sympathisch und wir verstehen uns gut. Ich finde, dass ihre ruhige und Tys leicht verrückte Art sich perfekt ergänzen.
Die Eingangstür öffnet sich wieder und Josh und Will betreten die Kneipe. Sie unterhalten sich angeregt und bemerken nicht, dass die Blicke aller Frauen sie bis zu ihrem Platz verfolgen. Zum ersten Mal sehe ich sie in normaler Freizeitkleidung und nicht in Anzügen. Ich muss mich zusammenreißen nicht zu sabbern. Josh hat eine typische Surferboy Ausstrahlung und trägt passend dazu ein T-Shirt, welches die Farbe des Meeres hat. Seine Chino Hose ist schwarz und die dunkelblauen Leinenschuhe passen perfekt dazu. Doch für meinen Geschmack sieht Will noch ein bisschen besser aus. Seine schwarzen Haare sind verwuschelt und das ebenso schwarze Shirt lässt seine Muskeln deutlich erkennen. Die verwaschene Jeans sitzt tief auf seinen Hüften und er trägt einfache Sportschuhe.
„Amy?“, reißt Jay mich aus meinen Gedanken.
„Mh?“, frag ich irritiert.
„Alles klar bei dir?“, fragt er, lehnt sich zu mir rüber und verfolgt meinen Blick. Er sieht mich fragend an. „Der Schwarzhaarige ist William und der Blonde Joshua, sie arbeiten bei Dad in der Kanzlei. Will hat mich vorhin mit zu sich nach Hause genommen.“, erkläre ich und sehe zu den beiden rüber. Als hätte Will meinen Blick gespürt dreht er langsam den Kopf in meine Richtung. Ertappt lächle ich ihn an, doch er lächelt nicht zurück, sondern guckt genauso nachdenklich wie heute Nachmittag.
*William*
Sie ist mir sofort aufgefallen, als Josh und ich die Kneipe betreten haben. Ich habe versucht nicht rüber zu gucken, aber als sie mich angestarrt und dann mit dem gut aussehenden Typen neben sich gesprochen hat, konnte ich nicht anders. Jetzt sehen beide zu mir rüber. Amy lächelt verlegen.
Als sie heute Mittag in der Kanzlei saß, war mir ziemlich schnell klar, dass sie Amanda Thompson sein muss. Sie sieht Dan und Pete unglaublich ähnlich. Außerdem erzählt Pete wirklich oft über sie, ihre Fotos stehen überall in seinem Büro.
In der Zeit, die ich jetzt schon hier wohne habe ich viel über sie gehört.
Ein wenig kann ich mich sogar selbst an sie und Thomas im Sandkasten des Spielplatzes erinnern. Da war sie vielleicht vier und ich gerade eingeschult.
Em hat mir erzählt, dass er und Amy vier Jahre zusammen waren. Scheinbar hielt die ganze Stadt sie für das Traumpaar. Vor zwei Jahren sei sie dann plötzlich verschwunden. Ihre Familie hätte nur gesagt, dass sie ins Ausland gegangen ist. Ansonsten wusste niemand etwas darüber, weder den Grund noch ihren neuen Wohnort. Thomas soll es sehr schlecht gegangen sein. Manche erzählen von Depressionen, manchmal habe er sich tagelang in sein Haus eingeschlossen und zu niemandem Kontakt gehabt. Maggie und Nick wären krank vor Sorge um ihn, aber auch um Amy, gewesen.
Irgendwann hatte man dann Eve und ihn öfter zusammen gesehen. Beide hatten sich gegenseitig getröstet. Dabei hatte es scheinbar gefunkt und die beiden waren jetzt schon fast ein Jahr zusammen.
Mit ihrem plötzlichen Verschwinden hatte Amy sich nicht unbedingt beliebt gemacht, weil alle ihr, verständlicherweise, die Schuld an Tommys schlechtem Zustand gegeben haben.
Doch sie wirkt gar nicht so gemein oder intrigant, wie ich dachte. Eigentlich habe ich die Zeit mit ihr genossen und habe mich gut mir ihr verstanden.
Sie war lieb und süß gewesen. Auch das Lächeln, welches sie mir jetzt schenkt, zeigt das Gegenteil von dem, was ich von ihr gehört habe.
Doch das Lächeln erreicht nicht ihre Augen, fällt mir auf.
„Alter, du hörst gar nicht zu!“, beschwert sich Josh.
„Sorry, ich war kurz abgelenkt.“, entschuldige ich mich halbherzig.
„Ja, das Gefühl hab ich auch. Kann es sein, dass das mit Petes Tochter zusammenhängt? Du hast in den letzten Jahren nicht eine Frau mit zu dir nach Hause genommen, und heute? Sie sieht ja wirklich gut aus, aber du weißt auch was man über sie redet!“, will er mir ins Gewissen reden.
„Das hat nichts mit Amy zu tun. Ich bin einfach ein wenig müde. Der Tag war ganz schön aufregend.“, beschwichtige ich ihn schnell. Zu schnell.
„Alter, erzähl mir keinen Scheiß. Ich gönn dir den Spaß, das weißt du, aber such dir besser eine andere dafür!“, sagt er mit weisem Unterton. Ich brumme zustimmend, damit er diese beschissene Diskussion endlich beendet. Dann nehme ich einen tiefen Schluck von meinem Bier und versuche mich wieder auf Joshs Erzählungen zu konzentrieren.
12.
*Amanda*
Ich stehe wieder früh zum Joggen auf.
Mit einer gewissen Vorfreude auf meine sportliche Lieblingsaktivität beeile ich mich zum See zu kommen. Es ist etwas frischer und ich trage eine Dreiviertel-Hose und ein T-Shirt mit einer dünnen Trainingsjacke darüber.
„Guten Morgen“, begrüßt mich eine bekannte Stimme, kurz nachdem ich in meinen normalen Laufrhythmus gefunden habe.
Rasch drehe ich meinen Kopf und sehe in Wills grüne Augen. Sie erinnern mich an frisches weiches Moos. Bevor ich darin versinken kann, schüttle ich leicht den Kopf, um wieder Herr meiner Gedanken zu werden.
„Morgen“, grüße ich letztendlich zurück.
„Der See sieht ziemlich schön aus heute, oder?“, er deutet mit seinem Kopf nach links.
„Ja, aber ich finde ihn immer wunderschön.“, bestätige ich. Genau wie dein Lächeln, ergänze ich in Gedanken. Ach du scheiße, wo kam dieser Gedanke denn jetzt her?
„Läufst du oft hier?“, frage ich, um mich selbst abzulenken. Oh Mann, meine Fragen und Antworten waren auch schonmal klüger.
„Ich gehe fast jeden Morgen joggen. Es hilft mir meine Gedanken zu sortieren und entspannt in den Tag zu starten.“, lächelt er. Gebannt starre ich auf seine Lippen, die ich am liebsten sofort küssen würde. Wie er wohl schmeckt? Okay, heute ist definitiv etwas verkehrt. Ich hätte mich besser noch ein bisschen ausschlafen sollen.
„Warum joggst du?“, will Will wissen und sieht mich von der Seite an.
Ich sehe bestimmt schrecklich aus so verschwitzt und mit wirren Haaren, schießt es mir durch den Kopf und ich blicke verlegen in eine andere Richtung.
„Naja, zum einen möchte ich gerne fit bleiben. Aber ich mag es meinem Kopf eine Pause vom Denken zu geben und einfach nur zu laufen. Außerdem liebe ich die Natur am Morgen und kann mich gar nicht daran satt sehen.“, antworte ich nach kurzem Überlegen. Nachdenklich nickt er.
„Hört sich schön an. Joggen scheint deine Leidenschaft zu sein.“, bemerkt er.
„Ja, es hat mir in schweren Zeiten geholfen besser klarzukommen.“, sage ich unüberlegt. Innerlich schlage ich die Hände vors Gesicht, denn er hakt natürlich direkt nach.
„Du meinst schwere Zeiten, wie gestern Mittag?“, fragt er vorsichtig und ich nicke.
Erneut merke ich wir er mich lange von der Seite ansieht, aber ich betrachte nur den Weg vor mir.
Und schon sind wir an der Ecke zu seinem Haus angekommen.
„Wir sehen uns bestimmt nochmal wieder.“, sagt er und zieht mich in eine kurze Umarmung. Ein Kribbeln breitet sich augenblicklich in mir aus und ich schlage mich innerlich für meine schmachtenden Gedanken. Er sieht einfach zu heiß aus mit den Schweißperlen, die sanft seine gebräunte Haut hinabrinnen. Seine Wangen sind ein wenig gerötet und ich muss mich wieder ziemlich zusammenreißen nichts unüberlegtes zu tun.
„Okay, bis dann.“, verabschiede auch ich mich und mache mich auf dem Weg zum Thompson-Haus.
***
„Amy, Telefon für dich.“, ruft Josy aus der Küche. Ich nehme die leeren Teller vom Frühstückstisch mit und gehe zu ihr.
„Amanda Thompson“, melde ich mich gespannt.
„Hallo Schätzchen. Ich brauche deine Hilfe. Lin ist kurzfristig krank geworden und du kennst dich doch mit allem aus. Kannst du herkommen?“, bittet mein Dad mich. Meine Ausbildung habe ich damals bei ihm angefangen und ich kenne mich in der Kanzlei wirklich gut aus. Aber das könnte schon der Anfang sein. Mein Dad möchte mich unbedingt dazu bringen hier zu bleiben und mit dem Job wäre der erste Schritt getan.
Doch mit seinem verzweifelten Ton wickelt er mich mal wieder um den Finger und schließlich stimme ich zu.
Da ich wohlweislich zwei Kostüme eingepackt habe, schlüpfe ich in ein Pastellblaues. Meine langen Haare stecke ich zu einem Dutt zusammen und mache zwei längere Ohrringe in Silber rein.
Passend dazu lege ich meine silberne Armbanduhr um. Mein Make-up halte ich sehr dezent und zum Schluss steige ich in meine Pumps.
„Wow. Wo willst du denn hin?“, fragt Jay, als ich die Treppe runter komme und dreht mich einmal im Kreis.
„Danke, ich muss meinem Dad in der Kanzlei ein wenig helfen. Wir sehen uns heute Abend. Wünsch mir Glück!“, antworte ich.
„Das brauchst du zwar nicht, aber trotzdem viel Glück. Verdreh nicht allen Männern den Kopf. Bis später!“, ruft er mir hinterher und ich werfe ihm eine Kusshand zu.
***
So schnell es geht stöckle ich zur Kanzlei und treffe auf Dan, der mich schon erwartet.
„Na, hat Dad dich weich gekocht? Du kennst dich ja hier aus. Die Termine und alle anderen wichtigen Daten stehen im Computer. Wenn was ist, ruf eben durch oder komm in ganz dringenden Fällen ins Büro. Die Akten sind hinten und du musst vor jedem Termin die richtige Akte raussuchen und ins jeweilige Büro bringen. Am besten auch ab und zu einen Kaffee. Alles klar?“, fragt er und ich nicke, da sich die Aufgaben seit damals nicht wirklich geändert haben.
Ich setzte mich hinter die Anmeldung und gehe die Termine für den Tag durch.
In den Aktenschränken suche ich die Richtigen heraus und gehe erstmal damit und mit zwei Kaffeetassen in Will und Joshs Büro.
„Guten morgen, ihr Lieben.“, begrüße ich die beiden und lege ihnen alles auf den Schreibtischen bereit.
Will sieht mich irritiert an.
„Was machst du denn hier?“, fragt Josh überrascht.
„Lin ist krank geworden und ich lasse die alten Zeiten sozusagen wieder aufleben und helfe ein bisschen aus. Also wenn ihr was braucht, dann klingelt eben vorne durch.“, erkläre ich hilfsbereit und gehe weiter zu meinem Dad und Bruder. Auch bei ihnen liefere ich Akten und Kaffee ab und mache mich wieder auf den Weg zur Anmeldung.
Kaum habe ich mich hingesetzt kommen die ersten beiden Klienten rein und ich bringe sie zu dem richtigen Büro und kündige sie kurz an.
Alles läuft gut und ich werde von der ein oder anderen bekannten Person überrascht begrüßt. Aber ich merke, dass ein paar eher weniger begeistert davon sind, mich hier zu sehen. Trotzdem bleibe ich freundlich und versuche mir das ungute Gefühl, welches mich langsam beschleicht, nicht anmerken zu lassen.
„Mittagspause“, ruft Dan und zieht mich in die kleine Küche der Kanzlei. Die anderen sitzen am Tisch und trinken ihren Kaffee.
„Ich hab Hunger. Gehen wir rüber zu Su?“, fragt Josh und reibt sich den Bauch.
„Ihr wollt bei Su essen, obwohl ihr hier eine erstklassige Küche habt?“, ich sehe ungläubig in die Runde.
„Also wir haben alle weder das große Können noch die Lust dazu. Manchmal kocht Lin etwas, aber meistens holen wir uns was bei Su.“, erklärt Dad.
„Mal sehen, was ihr hier habt.“, sage ich und sehe mir den Inhalt des Kühlschranks und der Schränke an.
„Ich bin zwar auch alles andere als eine Sterneköchin, aber Jay hat mir einiges beigebracht.“, teile ich den Männern mit und fange an Gemüse zu schneiden.
Die Spaghetti, die ich in einer Schublade gefunden habe, lasse ich in einem kleinen Topf kochen.
Zusammen mit dem Gemüse und nach etwas würzen befinde ich das Essen für fertig und eigentlich ganz gut gelungen.
Erst jetzt bemerke ich die gespannten Blicke der anderen Drei. Ich fülle jedem ein wenig auf den Teller und warte ungeduldig auf ihr Urteil.
„Mhmmmmm...“, stöhnt Josh genüsslich.
„Mann, ist das lecker. Du kannst Super kochen.“, macht mir Will ein Kompliment.
„Sag das besser nicht, bevor du mich beim ausprobieren von neuen Rezepten gesehen hast.“, lache ich.
Auch ich fülle mir etwas auf den Teller und setzte mich an den Tisch.
Schon nach wenigen Minuten ist alles leer und die Männer lehnen sich satt und scheinbar zufrieden auf ihren Stühle zurück.
„Dein Essen war um Längen besser, als Lins.“, beschließt Dan und zwinkert mir zu.
„Ich hab überlegt sie heute Abend zu besuchen. Wenn sie länger krank ist, sollte ich ein wenig mit ihr besprechen.“, sage ich nachdenklich.
"Sie wohnt direkt neben uns, anscheinend hat sie ein Grippe. Lin wird sich bestimmt freuen, wenn du vorbeikommst.“, vermutet Dan und ich nicke.
Wir stehen alle auf und widmen uns wieder unserer Arbeit.
Als das Telefon klingelt nehme ich geschäftsmäßig ab:"Kanzlei Thompson und Partner. Anmeldung, Amanda Thompson am Apparat. Wie kann ich ihnen helfen?"
„Hey, beste Freundin. Ich wollte mal fragen, wie es bei dir läuft.“, teilt Jay mir mit.
„Alles Super. Bis jetzt hatte ich noch keinen Ärger. Jay, kannst du mir einen Gefallen tun? Ich möchte später bei Lin vorbei. Sie hat eine Grippe und es wäre echt nett, wenn du eine kleine Suppe kochen könntest. Aber ich werde vorher noch kurz Matt besuchen.“
„Kein Problem. Ich komm heute Abend mit zu dieser Lin. Wir sehen uns nachher. Viel Spaß noch, Kleines.“, verabschiedet er sich und ich lege auf.
Am Abend kommen Will, Josh, Dan und mein Dad gleichzeitig aus den Büros.
„Fertig, Amy?“, fragt Dan und ich ziehe blitzschnell meine Pumps wieder an, die ich, der Bequemlichkeit halber, unter dem Tisch ausgezogen habe.
„Ja, es kann losgehen.“, antworte ich und mein Dad schließt hinter uns die Tür ab.
Wir verabschieden uns vor seinem Haus von ihm.
„Ich werde jetzt erstmal Matt und Ben besuchen. Danach wollten Jay und ich noch zu Lin.“, teile ich meinem Bruder mit und er deutet auf ein Mehrfamilienhaus links von mir.
„Die beiden wohnen im ersten Stock. Viel Spaß!“, wünscht Dan mir und ich gehe auf die Eingangstür zu.
Rasch suche ich nach der richtigen Klingel und drücke bei M. Seaton.
Als ein summender Ton ertönt trete ich in das Treppenhaus und jogge in den ersten Stock.
„Amy?“, fragt Matt ungläubig und ich nehme ihn in den Arm.
„Ich fass es nicht. Als Dan erzählt hat, dass du kommst, dachte ich er verarscht uns. Komm rein, Ben ist auch grad da.“, und schon schiebt er mich in seine Wohnung.
„Ben!“, ruft er und geht mit mir ins Wohnzimmer. Es ist sehr schlicht. Ein Sofa, ein Fernseher, ein Tisch, Stühle und ein Regal.
Ben erhebt sich von Sofa und wirft mich mit seiner stürmischen Umarmung beinahe um.
„Hey, ganz ruhig. Ich hab mir gedacht, es wäre mal wieder ganz schön meine beiden Jungs zu besuchen.“, grinse ich.
Obwohl die beiden keine eineiigen Zwillinge sind, sehen sie sich doch zum Verwechseln ähnlich, stelle ich wieder einmal fest.
Beide haben graue Augen, braune Haare und sind muskulös. Sie betreiben eine Disco und ihre Statur hat schon so manches Mal Wunder gewirkt. Vor allem auf mich haben die beiden, natürlich zusammen mit Dan, besonders gut aufgepasst. Matt ist ein winziges Stück größer als Ben und trägt seine Haare sehr kurz, während Matt eine wuschelige Frisur, wie Will hat.
Natürlich quetschen auch sie mich über die letzten zwei Jahre meines Lebens aus und Ben wirft mir ab und zu einen besorgten Blick zu, den ich beruhigend erwidere.
„Wir werden beide Lillys Paten, stimmts?“, Matt hört sich eindeutig Stolz an und ich nicke.
„Was hältst du davon, wenn wir ihnen die Taufkerze schenken? Ich finde, die können sie gut gebrauchen und wir machen sie einfach selber. Dann ist es ein Geschenk von Herzen.“, schlägt er aufgeregt vor und ich bin genauso begeistert wie er.
Anscheinend hat er diese Idee schon länger, denn er holt sogleich ein paar Utensilien und eine hohe, weiße Kerze und wir beginnen zu basteln.
Auch Ben hilft mit und erzählt mir nebenbei ein wenig über Leo und sich.
Ich bin froh, dass die Stimmung zwischen uns genauso ist wie früher und könnte den ganzen Abend mit ihnen lachen.
„Jungs, ich muss jetzt leider los. Wir wollen noch Lin besuchen. Sie ist krank geworden und Jay wollte eine Suppe kochen.“, erkläre ich traurig. Sie maulen ein wenig, lassen mich dann aber doch gehen. Ich muss Matt aber vorher noch versprechen am Samstag vor der Taufe vorbeizukommen.
13.
„Jay?“, rufe ich, als wir im Haus sind und trabe die Treppe hoch. Er liegt in unserem Zimmer auf dem Bett und döst vor sich hin.
Ich beginne mich aus dem Kostüm zu schälen, während Jay mich nach meinem
Arbeitstag fragt.
„Du hast schon wieder abgenommen, Amy.“, bemerkt er vorwurfsvoll, als ich in Unterwäsche vor dem Schrank stehe.
„Wir haben was abgemacht!“, er sieht mich strafend an.
„Ich weiß, aber ich kann momentan einfach nicht so viel essen.“, versuche ich mich zu verteidigen.
„Das ist mir egal. Du warst magersüchtig, Amy. Ich stehe das nicht noch einmal durch. Wenn du nicht bald wieder zunimmst, kannst du dir eine neue Wohnung suchen. Ich liebe dich, aber diese ständige Sorge um dich habe ich einmal ausgestanden. Ein weiteres Mal kann ich dir nicht helfen.“, stellt er mich vor die Wahl.
Mit Tränen in den Augen drehe ich mich zu ihm um.
„Denkst du für mich war das alles schön?! Ich versuche was ich kann, Jay, aber wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Nochmal werde ich mich nicht mit allem möglichen vollstopfen, nur um so schnell wie möglich zuzunehmen! Ich laufe in Gefahr zuckerkrank zu werden.“, schreie ich ihn an und lasse mich an der Wand zu Boden gleiten. Eine Weile herrscht Stille, nur mein Schluchzen ist zu hören.
„Es tut mir Leid! Aber ich mache mir einfach so wahnsinnige Sorgen, dass du wieder abrutschst. Als ich gestern von deinem Zusammenbruch gehört habe, kam alles wieder hoch. Ich möchte dich nie wieder so sehen. Versprich mir, dass du in nächster Zeit etwas mehr auf dich achtest.“, flüstert Jay und lässt sich neben mir nieder.
„Mir tut es auch Leid. Ich glaube es ist momentan einfach alles zu viel. Ich versuche etwas zuzunehmen, in Ordnung? Wenn mir wieder alles über den Kopf wächst, komme ich zu dir.“, verspreche ich und lehne mich an ihn.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich wieder auf und ziehe mir eine Jeans und eine grünes Shirt über.
„Die Suppe steht unten. Josy wollte darauf achten, dass sie noch ein bisschen vor sich hin köchelt. Dann kann Lin die Suppe gleich warm essen.“, erklärt Jay und wir gehen, mit dem Topf bewaffnet, zum Nachbarhaus.
***
Es ist ein Haus, in dem zwei Familien wohnen und ich klingle bei Jenkins. Nach wenigen Minuten öffnet eine verschlafene Lin die Tür.
„Amy?“, fragt sie überrascht und sieht dann fragend zu Jay.
„Krankenexpress. Dürfen wir kurz reinkommen?“, bitte ich und sie lässt uns rein.
„Einfach geradeaus durch.“, informiert sie uns und wir finden uns in einem gemütlichen Wohnzimmer wieder. Auf ihrem riesigen Sofa liegen eine Bettdecke und mehrere Kissen verstreut herum, welche sie hastig versucht etwas zur Seite zu räumen. Sie setzt sich und ich betrachte sie eingehend. Ihre Augen glänzen fiebrig, ihre Wangen und ihre Nase sind gerötet. Sie trägt eine Jogginghose und ein verwaschenes Shirt. Um ihren Hals hat sie einen Schal geschlungen.
„Du legst dich jetzt erstmal wieder hin. Mein bester Freund Jay hier,“, ich deute auf ihn, „ist Koch und hat dir eine Suppe gemacht.“
„Ich mach mich mal kurz auf die Suche nach der Küche und fülle dir einen Teller mit Suppe.“, sagt er etwas verlegen und ich sehe ihm irritiert nach. Ich breite die Bettdecke über Lin aus und folge Jay dann. Er hat die Küche scheinbar gefunden und steht vor einem gefüllten Teller.
„Alles klar bei dir?“, frage ich ihn lauernd.
„Ja klar, ist alles klar. Warum auch nicht?“, antwortet er eilig und vermeidet es mich anzusehen.
„Bist du zufällig etwas nervös?“, frage ich gedehnt und mit einem Blick in seine errötendes Gesicht beschleicht mich ein leiser Verdacht. „Lin gefällt dir, kann das sein?“
„Sie ist ganz süß. Mehr kann ich noch nicht sagen.“, antwortet Jay nachdrücklich. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Er hatte zwar die ein oder andere Beziehung in den letzten Jahren, doch richtig begeistert war ich von seiner Frauenwahl nicht.
Lin hingegen ist total nett und ich mag sie wirklich. Es wäre schon irgendwie schön, wenn die beiden zusammenkommen würden.
Doch jetzt ist Lin erstmal die kranke Freundin, die wir etwas pflegen, und nicht Jays potenzielle neue Freundin.
Als wir das Wohnzimmer wieder betreten, wartet Lin schon auf die Suppe und freut sich sehr darüber.
Ich muss Lächeln und beobachte vergnügt, wie Jay ihr aufmerksam beim Essen zusieht.
Er bemüht sich Lin jeden Wunsch von den Augen abzulesen und tupft immer wieder mit einem nassen Lappen über ihre verschwitzte Stirn.
Nach einer Stunde beschließe ich wieder zu gehen, ohne Jay, der angeboten hat sich die Nacht über um Lin zu kümmern. Das finde ich so süß, dass ich ihm verspreche, den beiden so viel Zeit wie möglich alleine zu verschaffen und er auch den nächsten Morgen ruhig dableiben kann. Somit verschiebe ich das Gespräch über die Arbeit und belasse Lin ruhigen Gewissens Jays erfahrenen Händen.
14.
Vor ihrem Haus entschließe ich mich noch einen kleinen Spaziergang um den See zu machen, doch werde durch ein schmerzvolles Fluchen abgehalten.
Beunruhigt gehe ich dem Geräusch nach und stehe schon bald vor Wills Garten.
Dieser ist eine einzige Baustelle und Will versucht gerade scheinbar eine Holzhütte zu bauen. Ein paar Holzlatten sind bereits am Grundgestell befestigt, doch er sitzt auf dem Boden davor und hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm.
Besorgt öffne ich das Gartentor und eile auf ihn zu.
„Will, was ist passiert?“, frage ich und knie mich neben ihn.
Überrascht sieht er auf.
„Bin mit dem Bohrer abgerutscht.“, antwortet er gepresst.
„Lass mal sehen.“, fordre ich ihn auf.
*William*
Vorsichtig legt sie ihre warmen Hände auf meine Hand, die meinen Arm fest umklammert hält.
Erschrocken sieht sie auf das Blut.
„Oh Gott, wir müssen dich ins Krankenhaus fahren. Aber zuerst müssen wir die Blutung stoppen.“, ihr panischer Blick gleitet über die Wunde.
Ich muss ein gequältes Stöhnen unterdrücken und atme zitternd aus.
Die Wunde scheint nicht allzu tief zu sein, aber trotzdem pulsiert sie schmerzhaft.
Kurzentschlossen zieht Amy ihr Shirt über den Kopf und ich sehe sie entgeistert an.
Für einen Moment ist der Schmerz vergessen und ich betrachte ihre leicht gebräunte Haut. Ihr Bauch ist flach und ihre Brüste schön weiblich geformt, darüber ein schwarzer SpitzenBH.
Das T-Shirt reißt sie in Streifen und verbindet damit meinen Unterarm.
Sofort spüre ich den Schmerz wieder und kann ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken.
Besorgt sieht sie mich an und streicht zärtlich über meine Wange. Ich genieße diese Berührung, vermutlich mehr als ich sollte, und schließe einen Moment meine Augen.
Das Wissen, dass sie in BH vor mir sitzt bringt mich fast um und ich würde liebend gern meinem Verlangen nachgeben und sie küssen.
Was ist bloß los mit mir? Wir kennen uns erst wenige Tage und die Erzählungen über sie lassen mich nicht los.
„Geht es?“, fragt sie sanft und legt fürsorglich einen Arm um mich, als ich mich langsam erhebe.
„Ich will nicht ins Krankenhaus. Ty müsste noch in der Praxis sein.“
„Okay, dann los.“, Amy will mich aus dem Garten ziehen.
„Warte. Ich will nicht, dass alle dich so sehen können. Meine Jacke liegt neben dem Werkzeugkasten. Kannst du sie bitte anziehen?“, frage ich leise. Auch wenn ich mich bestimmt wie ein eifersüchtiger Idiot anhöre, möchte ich diesen Anblick nicht teilen.
Sie lächelt unsicher und zieht meine blaue Sweatjacke über, nachdem ich sie etwas verlegen angelächelt habe.
Dann machen wir uns auf den Weg zur Praxis. Der sonst so kurze Weg kommt mir unnatürlich lang vor und Amys Präsenz wird mir von Sekunde zu Sekunde mehr bewusst. Ihr Arm liegt um meine Hüfte und mit ihren zierlichen Fingern streichelt sie immer wieder über meine Seite, was mir eine Gänsehaut nach der anderen beschert.
Ich muss mich wirklich zusammenreißen und beeile mich noch mehr endlich bei der Praxis anzukommen.
Amy hält mir die Tür auf und gemeinsam laufen wir zur unbesetzten Anmeldung.
„Em? Ty?“, ruft Amy.
Einen Augenblick später steckt Ty lächelnd den Kopf aus der Tür eines Behandlungszimmers.
„Was macht ihr...? Ach du scheiße, komm, hier rein Will!“, ruft er und lässt mich auf einer Liege Platz nehmen.
Amy steht nervös zappelnd daneben und sieht mich immer wieder beunruhigt an.
Mit einigen geschickten Handgriffen löst Ty den provisorischen Verband und wäscht die Wunde vorsichtig aus, während ich ihm erzähle was passiert ist.
Ein Würgen lässt mich aufsehen. Amy starrt mit aufgerissenen Augen auf meine Verletzung und hält sich mit einer Hand den Bauch und die andere vor den Mund.
„Amy, setz dich eben ins Wartezimmer. Ich kümmere mich um Will. Er übertreibt ein wenig. Die Wunde ist nicht besonders tief.“, beruhigt Ty sie und sie nickt zögerlich.
Bevor sie den Raum verlässt, sieht sie mich nochmal prüfend an.
*Amanda*
Seit gefühlten Stunden sitze ich jetzt schon hier und warte darauf, dass Will endlich wiederkommt.
Ich verfluche meinen schwachen Magen, wegen dem ich letztendlich das Zimmer verlassen musste.
Die Wunde sah meiner Meinung nach wirklich unschön aus und ich bewundere Will eigentlich dafür, dass er sich die Schmerzen nicht wirklich hat anmerken lassen. Auch, wenn Ty behauptet Will würde übertreiben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt er aus dem Behandlungsraum und ich springe auf.
„Alles klar?“, frage ich sofort und betrachte den Verband um seinen Unterarm.
Dabei fahre ich mit meinen Fingern vorsichtig daran entlang.
„Alles gut. War nicht so schlimm, wie es aussah.“, antwortet er milde und ergreift meine Hand.
Ich drücke sie sanft und sehe dann zu Ty.
Er guckt belustigt auf unsere Hände, doch ich lasse mir nichts anmerken.
„Danke, Alter.“, sagt Will und reicht ihm die Hand des unverletzten Arms.
Ty schlägt ein und verkündet: „Keine Ursache. War ja nur eine relativ oberflächliche Verletzung. Du hast eine ziemlich ungünstige Stelle getroffen, deswegen hat es so geblutet, aber besser mehr Blut als was Wichtiges verletzt. Wenn es Probleme bei der Heilung geben sollte, sag Bescheid.“
Wir verabschieden uns und Will und ich machen uns auf den Rückweg.
Meine Finger kribbeln und ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus, weil er noch immer meine Hand hält.
Wenn ich daran denke, dass sich unsere Wege gleich trennen, wird mein Herz schwer. Das Verlangen nach ihm wächst beständig in mir und ich bin noch nicht bereit ihn zu verlassen.
„Soll...soll ich dieses Mal die...Krankenpflegerin spielen und mich die Nacht über um dich kümmern?“, frage ich schließlich verlegen. Er schaut überrascht auf.
Oh Mann, ich bin so peinlich. Seine Wunde kann ich wohl kaum mit meinen magischen Händen heilen, denke ich sarkastisch.
„Würdest du das tun?“, antwortet er mit einer Gegenfrage und ich zucke nervös mit den Schultern.
Sag ja, sag ja, sag ja, flehe ich innerlich.
„Das wäre schön.“, gibt er leise zu und diesmal sehe ich ihn überrascht an. Habe ich mir den glücklichen Unterton gerade eingebildet? Misstrauisch studiere ich sein Gesicht, doch finde keine Antwort auf meine Frage.
Erst jetzt nehme ich wirklich wahr, dass er gerade zugestimmt hat, dass ich die ganze Nacht mit ihm verbringen darf. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer und ich kann gerade noch verhindern dümmlich vor mich hin zu lächeln. Obwohl meine Anwesenheit total unnötig wäre, will er, dass ich bleibe!
„Was hast du eigentlich genau mit deinem Garten vor?“, fällt mir ein.
„Ich hab noch nicht wirklich einen Plan, aber die Hütte war schon immer ein Traum von mir. Mein Onkel war Schreiner und hat oft mit mir herumgebastelt und gesägt. Ich habe also angefangen das Grundgerüst zu bauen. Wie es innen aussehen soll, weiß ich noch nicht, aber es ist meine eigene Sache. Es ist von mir selbst, mit meinen eigenen Händen erschaffe worden, verstehst du?“, er sieht mich enthusiastisch an. Entzückt betrachte ich das Funkeln in seinen Augen.
Sein Gesicht hat während seiner Erzählung gestrahlt und er sieht so erwartungs- und hoffnungsvoll aus, dass ich nur Zurückstrahlen und Nicken kann.
Seine Stimme ist so schön, mal sexy und rau oder heiser, mal sanft und weich, mal scharf und autoritär. Ich könnte ihm den ganzen Tag zuhören, egal was er sagt.
„Musst du Dan nicht noch Bescheid sagen, dass du heute Nacht bei mir bleibst?“, fragt Will plötzlich.
„Ähm ja, ich schreib ihm eben eine SMS.“, antworte ich fahrig und versuche mein wild klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Meine Gedanken und Gefühle spielen verrückt.
Wie schön er das gesagt hat, „...,dass du heute Nacht bei mir bleibst...“! Mit zittrigen Fingern simse ich meinem Bruder, dafür muss ich aber Wills Hand loslassen.
Am liebsten würde ich sofort wieder danach greifen, um seine Wärme wieder spüren zu können. Oh Mann, was passiert nur mit mir?!
Währenddessen schließt er seelenruhig die Tür zu seinem Haus auf.
15.
„Wollen wir etwas zu Abend essen?“, schlägt Will vor, als wir unsere Schuhe ausziehen.
„Ja, gerne. Ähm...hättest...hättest du vielleicht...ein T-Shirt oder so für mich?“, frage ich verlegen.
„Klar. Ähm, würde es dir etwas ausmachen für uns zu kochen? Das klingt total bescheuert, aber es hat lange keine Frau mehr für mich gekocht und ich bin nicht besonders talentiert in der Küche, im Gegensatz zu dir. Ich könnte in der Zwischenzeit ein Shirt für dich holen.“ überlegt er und sieht mich bittend an.
Ich nicke grinsend: „Okay, aber nachdem du mir das Shirt geholt hast kannst du mir zumindest etwas helfen. Solange dein Arm das aushält, natürlich.“
Auch er nickt und zeigt kurz in Richtung der Küche, obwohl ich mich natürlich vom letzten Mal noch daran erinnere.
Jetzt kann ich sie endlich komplett sehen. Er hat eine Eckküchenzeile, wie Dan und Josy, aber bei ihm steht in der Mitte eine Kücheninsel. Wahnsinn, diese Küche ist traumhaft und sieht modern aus. Aber hier und da kann ich auch Gebrauchsspuren entdecken und muss über seine Worte schmunzeln. Scheint nicht so, als würde er selten kochen, aber vielleicht will er sich auch einfach nicht vor mir blamieren.
Leise verschwindet er die Treppe hoch, während ich sowohl Kühlschrank, als auch Schränke in seiner Küche durchstöbere.
Die Sweatjacke von Will ziehe ich aus und bringe sie kurz ins Wohnzimmer. Dann gehe ich zurück und denke angestrengt nach. Etwas Gemüse kann ich finden. Davon werde ich einen Salat machen, beschließe ich und stelle die Sachen dafür bereit.
Jetzt fehlt noch die Hauptspeise. Dies gestaltet sich etwas schwierig, weil ich keine Ahnung habe, was er mag und was nicht. Außerdem möchte ich ihn nicht enttäuschen, da er sich so gefreut hat, dass "eine Frau" mal wieder für ihn kocht. Der Gedanke lässt mich schmunzeln.
Dann finde ich Putenfilet, Zwiebeln, Sahne, Champignons und Kartoffeln.
„Hast du Weißwein? Und Soßenbinder?“, rufe ich hoch.
„Weißwein ist im Schrank unter dem Herd. Und Soßenbinder müsste in der Schublade ganz links sein.“, antwortet er und ich finde die gesuchten Dinge tatsächlich dort, wo er gesagt hat.
Die Nudeln stelle ich in einem Topf mit Wasser auf den Herd auf der Kücheninsel.
Ein weiterer Topf mit Butter kommt dazu und ich schneide daneben das Putenfilet in feine Streifen.
Will kommt die Treppe wieder runter, doch seine Schritte enden abrupt. Ich kann seinen Blick auf mir deutlich spüren, doch ich tue als würde ich ihn nicht bemerken.
Die Putenstreifen gebe ich in den Topf, während ich die Zwiebeln schneide. Keine gute Idee, stelle ich fest, als meine Augen zu Tränen beginnen. Vermutlich sehe ich jetzt total verheult und schrecklich aus.
Auch die Zwiebeln landen im Topf.
Schniefend drehe ich mich zur Spüle und wasche erst meine Hände und danach mein Gesicht.
Langsam wende ich mich um und sehe Will nun doch an, der an der Wand zwischen Flur und Küche lehnt.
Seine Augen fahren über meinen Körper und mein Bauchkribbeln wird noch schlimmer. Als mein Blick auf das schwarze Shirt in seiner Hand fällt, wird mir bewusst, dass ich in BH hier stehe und werde etwas rot.
Will folgt meinem Blick und sagt hektisch: „Achso ja, das Oberteil. Hier bitte.“
Er kommt auf mich zu und ich nehme es ihm aus der Hand und streife es über.
Das T-Shirt ist viel zu groß, doch ich kann seinen Geruch daran wahrnehmen und so macht es mir nichts aus.
„Könntest du ein paar Salatblätter waschen und etwas zerkleinern?“, bitte ich ihn und stelle die Herdflamme kleiner.
Ohne auf seine Antwort zu warten, schneide ich die Pilze, um sie dann auch in den Topf zu geben.
Danach drehe ich mich zu ihm und wasche mit ihm zusammen das Gemüse.
Jedes Mal wenn sich unsere Arme berühren jagen Stromschläge durch meinen Körper.
Ich schneide das Gemüse blitzschnell und sehe fragend zu Will, der mir fasziniert zusieht, anstatt zu arbeiten.
„Hey, du sollst helfen und nicht herumstehen.“, tadle ich ihn gespielt böse.
„Wie machst du das so schnell?“, fragt er ehrfürchtig und ich grinse.
„Ich zeig es dir.“, beschließe ich und stelle mich schräg hinter ihn.
Tief atme ich seinen Duft ein, bis ich mir der Situation bewusst werde. Seine unverletzte Hand mit dem Messer halte ich schräge über den Paprikastreifen.
Meine andere Hand hält seine und ich lege sie auf die Paprika.
„Mit der linken Hand hältst du die Paprika jetzt fest. Wenn es wegen deinem Arm nicht geht, hörst du auf! Und sei vorsichtig mit deinen Fingern!“, warne ich ihn nachdrücklich und bewege seine rechte Hand in schnellem Tempo hoch und runter.
„Aaaah!“, schreit er plötzlich und hält sich seine linke Hand.
„Was ist los?“, frage ich panisch.
„Mein Finger. Aua! Du hast in meinen Finger geschnitten!“, ruft er mit schmerzerfülltem Blick.
„Was?!“, frage ich und sehe erschrocken zwischen seinem Gesicht und seiner Hand hin und her.
„Scheiße! Es tut mir so leid! Was machen wir denn jetzt?!“, sage ich den Tränen nahe. Plötzlich fängt er an zu lachen und ich sehe ihn irritiert an.
„Dein Blick...hahaha... Oh Mann...hahaha...du hast das echt geglaubt!“, lacht er und hält sich den Bauch.
„Du Arschloch! Ich dachte ich hätte dir den Finger abgeschnitten! Das ist nicht lustig!!!“, sage ich wütend und schlage ihm auf den Oberarm.
„Tut...hahaha...tut mir leid!“, bringt er ziemlich unglaubwürdig heraus.
Zornig drehe ich mich weg und bereite die Soße zu.
Meine Hand zittert immer noch von dem Schock und fahrig streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht.
„Es tut mir wirklich leid.“, entschuldigt Will sich diesmal weitaus glaubwürdiger und schlingt von hinten die Arme um mich. Überrascht verharre ich in der Bewegung.
Einen Augenblick genieße ich seine ungewohnte Nähe und flüstre dann erschöpft: „Mach das nie wieder. Ich hatte den Schock meines Lebens.“
„Versprochen!“, antwortet er und lässt mich los, um das restliche Gemüse mit dem Salat zu mischen.
Ich hole Teller aus einem Schrank. Die Nudeln sind fertig und ich verteile sie gleichmäßig.
Das Geschnetzelte gebe ich zu der Soße, die Will mit dem Soßenbinder und Gewürzen verfeinert hat. Er scheint nicht besonders untalentiert zu sein.
Den Salat verteilt er auf den kleinen Tellern und trägt diese ins Wohnzimmer.
„Weißwein dazu?“, schlägt er vor und ich nicke. Mit Besteck, Gläsern und dem Wein verschwindet er wieder ins Wohnzimmer.
Doch er geht nicht in Richtung Sofa, welches ich von hier gut überblicken kann, sondern verschwindet rechts daneben um eine Ecke.
Ich gebe nun auch das Geschnetzelte und die Soße auf die Teller und gehe Will hinterher.
„Stopp. Augen zu.“, verlangt er plötzlich und ich tue gehorsam was er sagt.
„Okay, Augen wieder auf.“, sagt er wenige Augenblicke später und ich gehe die letzten Schritte weiter.
„Wow“, hauche ich verblüfft.
Ein Esstisch aus dunklem Holz steht vor mir, darauf zwei hohe, brennende Kerzen.
Das sonst eher dunkle Zimmer wird dadurch in ein warmes Licht getaucht. Über den Tisch hat er ein paar weiße Blütenblätter verteilt. Er ist einfach unglaublich süß!
„Setz dich.“, sagt Will und nimmt mir die Teller ab. Ich lasse mich ihm gegenüber auf einen Stuhl sinken.
Er hebt sein Weinglas und prostet mir zu: „Auf einen schönen Abend. Und darauf, dass du heute Nacht meine Krankenpflegerin spielst.“
Ich stoße mit ihm an und nehme einen Schluck von dem leckeren Wein.
Zuerst essen wir den Salat. Dabei unterhalten wir uns über alles mögliche. Mit ihm kann ich stundenlang reden, ohne nach einem Gesprächsthema zu suchen und das peinliche Pausen entstehen. Aber man kann auch einfach nur Schweigen, ohne dass es unangenehm wird.
Dann probieren Will und ich gleichzeitig das Hauptgericht. Ich bin etwas nervös und bete, dass er das Essen mag.
Mir schmeckt es, aber da ich keine Ahnung von seinem Geschmack habe, beobachte ich sein Gesicht ganz genau.
Er sitzt kauend, aber emotionslos da und ich halte es einfach nicht mehr aus.
Unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutschend frage ich aufgeregt:"Und?"
„Sehr lecker!“, befindet er schließlich und ich atme erleichtert aus.
Schon nach kurzer Zeit sind unsere Teller leer. Weil Will zwischendurch immer mal wieder seinen verletzten Arm hin und her gedreht hat und schmerzhaft das Gesicht verzogen hat, weise ich ihn an, sich schon auf das Sofa zu setzten.
Währenddessen räume ich den Tisch ab. Er will protestieren, aber ich winke ab und beteuere, dass ich das gerne mache.
Als alles im Geschirrspüler verschwunden ist, räume ich auch die Küche auf und wische mit einem Lappen die Arbeitsflächen, den Herd und den Tisch ab.
„Du musst das doch gar nicht alles machen. Ich könnte das auch übernehmen. Immerhin hab ich nicht zugestimmt, dass du hier bleibst, damit du meine Küche putzt.“, sagt Will verlegen und ich setzte mich mit den Weingläsern neben ihn.
„Das ist kein Problem. Jetzt hör auf dir so viele Gedanken zu machen und genieße den Abend.“, befehle ich ihm.
Er hat den Fernseher eingeschaltet und so sehen wir uns einen Film an.
Seinen unverletzten Arm hat er hinter mir auf die Lehne gelegt und ich rücke etwas näher zu ihm.
So könnte ich stundenlang dasitzen. Seine Nähe spüren, sein Geruch vernebelt meine Sinne, seinem gleichmäßigen Atmen lauschen. Ich muss einen glücklichen Seufzer unterdrücken und kuschle mich stattdessen unauffällig noch etwas mehr an ihn und versuche dem Film zu folgen.
Als Will zum wiederholten Mal versucht eine bequemere Position für seinen verletzten Arm zu finden und dabei gequälte Laute ausstößt, richte ich mich auf.
„Darf ich?“, bitte ich und lehne mich zu seinem Arm. In einem Anflug von Mut hauche ich sanfte Küsse rund um den Verband und er zieht scharf die Luft ein. Mein Herz klopft wie wild.
„Besser?“, frage ich und sehe zu ihm hoch.
Verlangen spiegelt sich in seinen, und vermutlich auch in meinen, Augen und eh ich mich versehe liegen seine Lippen auf meinen.
Wie lange habe ich darauf gewartet! Es ist der Wahnsinn, seine Lippen sind weich und rau zugleich. Ganz sanft und vorsichtig bewegen sich seine Lippen auf meinen und ich dränge mich näher an ihn. Meine Arme verschränke ich in seinem Nacken und seine Hände streichen über meinen Rücken, bis sie auf meinem Hintern liegen bleiben.
*William*
Der Schmerz ist schon lange vergessen.
Ich musste es einfach tun und es war definitiv die richtige Entscheidung. Ihre Küsse bringen mich um den Verstand. Es wird immer leidenschaftlich und ich schiebe sie sanft von meinem Schoß. Atemlos, mit geröteten Wangen, sieht sie mich enttäuscht an. Ich muss Lächeln und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
„Komm“, sage ich und ziehe sie hinter mir her die Treppe in mein Schlafzimmer rauf.
Dort lege ich meine Hände an ihre Wangen und küsse sie wieder.
Ihre warmen Finger wandern unter mein Shirt und ich stöhne verhalten auf.
Mit einer schnellen Bewegung zieht sie es mir aus und wirft es auf den Boden, um mich dann wieder um den Verstand zu Küssen.
Auch ihr, naja eigentlich ja mein, Shirt streife ich ihr ab und fummle dann am Knopf ihrer Jeans herum.
Ich bin nervös wie noch nie und brauche ein paar Anläufe bis ich ihr diese endlich von den Hüften schieben kann.
Schneller als ich gucken kann, fällt auch meine Hose und wir betrachten uns gegenseitig hungrig.
Sie ist wunderschön und absolut perfekt.
Würde ich nicht dieses brennende Verlangen in mir spüren, könnte ich sie ewig ansehen.
Ich mache einen Schritt auf sie zu und ziehe sie wieder ganz nah an meinen Körper. Eine Hand vergrabe ich in ihren Haare, mit der anderen fahre ich die Konturen ihres Körpers nach und freue mich innerlich wie ein Kind darüber, dass sie Gänsehaut bekommt. Ihre Erregung ist kaum zu übersehen und ich dränge sie langsam in Richtung Bett. Sanft lege ich sie drauf ab und ziehe ihr auch noch BH und Slip aus.
Atemlos liegt sie da und lächelt mich vorfreudig an. Ich entferne auch meine Shorts und krabble zu ihr ins Bett.
*Amanda*
„Das war...unglaublich!“, keuche ich glücklich und kuschle mich an Wills Brust.
„Oh ja“, stimmt er mir zu und küsst meinen Kopf.
„Wie geht es deinem Arm?“, fällt mir siedend heiß ein. Einen kurzen Moment bleibt es still.
„Alles gut.“, antwortet Will schließlich und ich nicke.
Erschöpft drehe ich mich und schlinge einen Arm um seinen Bauch.
„Schlaf schön, Engel.“, höre ich Will flüstern, doch ich bin schon fast im Reich der Träume und kann nicht mehr antworten.
16.
Blinzelnd öffne ich die Augen. Ich habe so gut wie lange nicht mehr geschlafen.
Als ich mich umsehe, bemerke ich, dass ich weder in meinem Zimmer in Carboa, noch in Dans und Josys Haus bin.
Dann fällt mir der gestrige Abend wieder ein und ich betrachte die leere Stelle neben mir. Das Zimmer ist leer. Ein erschreckender Gedanke beschleicht mich. Was wenn er unsere gemeinsame Nacht bereut? Vielleicht hat ihm der Sex gar nicht gefallen und er hat nur gelogen. Oder ihm ist heute Morgen erst die Tragweite seines Handelns bewusst geworden.
Auch wenn wir uns erst so kurz kennen und wir gestern ziemlich überstürzt über einander hergefallen sind, bereue ich nichts. Es war der beste Sex meines Lebens!
Ich schäle mich aus der Bettdecke und ziehe meine Unterwäsche und Wills Shirt an. So mache ich mich auf die Suche nach einem Bad.
Ein paar Schritte mache ich aus der Tür und sehe eine Tür direkt gegenüber.
Doch es ist nicht das Bad, was ich vorfinde, sondern einen Trainingsraum mit allerhand Sportgeräten.
Ich schließe die Tür wieder und versuche es bei der Tür links von mir.
Und tatsächlich ist es das Bad.
Er hat sogar einen Whirlpool hier und alles sieht so modern und teuer aus, dass ich mich frage wo er nur das ganz Geld her hat.
Will steht gerade unter der Dusche und hat mich scheinbar nicht bemerkt. Ich bin froh ihn zu sehen, weil er zumindest schonmal nicht abgehauen ist.
Bei seinem Anblick beginnen die Schmetterlinge in meinem Bauch aufgeregt umherzuflattern. Ich bereue wirklich nicht eine Sekunde mit ihm und der Gedanke, dass er anders denken könnte, quält mich. Ich ziehe mir die Klamotten wieder aus und steige vorsichtig zu ihm.
Mit einem Finger streiche ich sanft über seinen Rücken und er dreht sich erschrocken um.
Als er mich sieht breitet sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus und er küsst mich intensiv.
„Gute Morgen, Engel.“, haucht er mir ins Ohr und ich strahle ihn an. Ich bin unglaublich erleichtert, dass er die Nacht doch nicht bedauert.
Er greift nach seinem Shampoo und beginnt mich damit einzureiben.
Genussvoll schließe ich meine Augen und konzentriere mich auf seine Hände.
Als diese verschwinden, öffne ich sie wieder und sehe wie Will mich fasziniert betrachtet.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu und küsse ihn leidenschaftlich.
Er hebt mich vorsichtig hoch und drückt mich gegen die Duschwand.
***
Erschöpft aber glücklich steige ich aus der Dusche und lasse mir von Will ein Handtuch geben.
Nachdem wir uns abgetrocknet haben schlüpfe ich nur in die Unterwäsche und putze mir die Zähne, mit einer neuen Zahnbürste aus dem Badezimmerschrank.
Hinter mir steht Will, ebenfalls nur in Unterwäsche seine Zähne putzen und legt den verletzen Arm um mich.
Ich spucken aus und sehe ihn erschrocken im Spiegel an.
„Ach du Scheiße, dein Arm! Ich bin ja eine tolle Krankenpflegerin, da will ich dir helfen und mach stattdessen alles schlimmer. Das muss doch höllisch weh getan haben, als du mich hochgehoben hast.“, sage ich besorgt.
„Mach dir keine Sorgen. Ich habe nichts gespürt und auch wenn, ich hätte nicht auf den Sex mit dir verzichtet.“, erklärt er und streicht mit der Hand über meinen Bauch.
Gemeinsam gehen wir die Treppe runter und ich mache uns einen Kaffee, während Will den Frühstückstisch im Wohnzimmer deckt.
Mit den beiden Tassen setzte ich mich zu ihm und wir fangen an zu essen.
„Arbeitest du heute wieder in der Kanzlei?“, will er wissen.
„Ja, aber ich denke heute wird das letzte Mal sein. Am Sonntag reisen Jay und ich wieder ab.“, antworte ich ein wenig traurig.
„Jay?“, fragt er alarmiert.
„Mein bester Freund und Mitbewohner, hab ich dir doch erzählt.“, erinnere ich ihn lächelnd.
„Amy,“, Will steht auf und kniet sich neben mich, „ich möchte nicht, dass du in zwei Tagen wieder weg bist. Morgen ist die Taufe, da können wir keine Zeit mehr nur zu zweit verbringen. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich glaube, ich bin auf dem besten Weg mich in dich zu verlieben. Das geht alles unglaublich schnell, aber ich möchte dich auf keinen Fall schon wieder gehen lassen!“
Überrascht über seine Ehrlichkeit starre ich ihn an.
„Ich weiß nicht. Wir kennen uns erst ein paar Tage. Ich würde dich gerne besser kennen lernen, aber das werden wir in zwei Tagen nicht schaffen. Versteh mich nicht falsch, ich mag dich sehr, aber ich weiß nicht, ob ich hier bleiben möchte.“, versuche ich ihm meine Lage zu verdeutlichen.
„In Ordnung. Ich gebe dir Zeit darüber nachzudenken. Aber bitte geh jetzt nicht auf Abstand, sondern lass uns die verbleibende Zeit als eine Art Paar genießen, damit ich wenigstens ein bisschen was von dir in Erinnerung habe, wenn du dich entscheidest zu gehen.“, fleht er.
„Okay, danke.“, flüstre ich und küsse ihn sanft.
„Ich muss jetzt los, mein Dad erwartet uns beide pünktlich zur Arbeit und ich muss noch ins Thompson-Haus und mich umziehen.“, sage ich und gehe mit ihn zusammen nach oben.
Im Schlafzimmer sehe ich mich suchend nach meiner Jeans um und bücke mich dann danach.
„So könntest du öfter stehen.“, raunt Will und gibt mir einen Klaps auf den Hintern. Froh über die trotzdem lockere Stimmung drehe ich mich gespielt empört um.
„Du Perversling. Du bist wirklich unersättlich.“, sage ich tadelnd und er macht ein paar Schritte auf mich zu.
„Von dir werde ich nie genug bekommen!“, beteuert er und schubst mich leicht aufs Bett.
„Das werden wir ja noch sehen. Irgendwann kannst du nicht mehr!“, verspreche ich ihm augenzwinkernd und ziehe ihn am Bund seiner Shorts zu mir.
Und so gehen wir in Runde drei.
***
„Ich muss jetzt wirklich los.“, beschwere ich mich, als Will mich schon zum dritten Mal küsst und so davon abhält aus der Haustür zu gehen.
„Okay, okay. Wir sehen uns gleich in der Kanzlei, mein Engel.“, flüstert er mir ins Ohr und schließt die Tür hinter mir.
Ich nehme mir vor, ihn nachher zu fragen, warum er mich Engel nennt. Der Name passt mir nicht wirklich. So schnell es geht laufe ich zum Thompson-Haus.
Genau als ich dort ankomme geht bei Lin die Tür auf und Jay tritt heraus.
Sie umarmen sich und mein bester Freund tritt neben mich.
„Morgen!“, begrüße ich ihn erfreut und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Misstrauisch sieht er mich an.
„Wo kommst du denn her?“, will er wissen und drückt auf die Klingel.
„Von Will. Er hat sich gestern am Arm verletzt und ich war zufällig in der Nähe und bin mit ihm zu Ty gegangen. Und dann bin ich über Nacht dageblieben.“, sage ich ausweichend und trete schnell ins Haus, als Josy die Tür öffnet.
Ich renne fast die Treppe hoch und ziehe mein zweites Kostüm aus dem Schrank.
„Du hast dein Ich-hatte-gerade-Sex-Gesicht!“, raunt Jay mir ins Ohr und ich fahre erschrocken herum.
Ein Blick auf mein Gesicht reicht ihm scheinbar und er sagt seufzend: „Wusste ichs doch. Hoffentlich weiß Will von deiner Abreise!“
„Ja, wir haben darüber gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er sich langsam in mich verliebt und nicht will, dass ich gehe. Aber er gibt mir Zeit zum nachdenken.“, erzähle ich ihm.
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Nach Tommy hab ich mir eigentlich geschworen, mich nie wieder hier blicken zu lassen und jetzt will er, dass ich hier bleibe. Will ist sexy, intelligent, süß und ich denke in kurzer Zeit liebt er mich wirklich. Aber das geht alles so schnell und ist fast zu perfekt, um wahr zu sein. Was ist wenn er mich auch nur verarscht?“, klage ich Jay mein Leid.
„Ich verstehe dich. Ich würde genauso reagieren wie du. Aber du musst dich entscheiden. Entweder zu wählst den riskanten Weg, also lässt dich auf Will ein, bleibst in Mitara und hoffst, dass er kein Arschloch ist. Oder du kommst am Sonntag mit mir zurück nach Carboa und musst mit der Ungewissheit leben, ob das mit euch funktioniert hätte.“, meint er sachlich.
„Ich überlegs mir im Laufe des Tages.“, beschließe ich und gehe ins Bad, um mich fertig zu machen.
17.
In der Kanzlei liegen schon ein paar Akten bereit und ich koche schnell noch Kaffee dazu.
Heute fange ich bei meinem Dad und Dan an. Sie begrüßen mich und Dan wirft mir einen Blick zu, der mir klar macht, dass er nachher mit mir reden will.
Mit zwei Tassen Kaffee und den Akten unterm Arm mache ich mich auf den Weg zu Josh und Will. Ich bin etwas aufgeregt und zupfe die ganze Zeit an meinem Kostüm herum.
Amy, du benimmst dich, wie eine 12-jährige. Reiß dich zusammen, befehle ich mir in Gedanken und betrete das Büro.
„Guten Morgen, Amy.“, sagt Josh und nimmt mir einen Kaffee und seine Akten aus der Hand. „Morgen...“, antworte ich langgezogen und sehe ihm verwundert nach.
„Na, mein Engel, alles klar?“, haucht Will mir ins Ohr und legt von hinten die Arme um mich.
Sofort ist Josh vergessen und ich schließe lächelnd die Augen.
Mehr brauche ich nicht zum glücklich sein! Ich spüre das kribbelnde Gefühl in meinem Magen und kann die Liebe quasi auf meiner Zunge schmecken.
„Ja, alles Super.“, flüstre ich zurück.
„Ich hab dich vermisst.“, sagt er und ich drehe mich lachend zu ihm um.
„Ich bin erst vor einer Stunde gegangen.“, entgegne ich amüsiert.
„Na und? Ich hab doch trotzdem vermisst!“, bekräftigt er gespielt beleidigt und ich gebe ihm versöhnlich einen Kuss.
„Dein Kaffee und deine Akten.“, ich reiche ihm beides und bin schon dabei rauszugehen, als mir etwas einfällt.
Langsam gehe ich wieder zu Will, der mittlerweile an seinem Schreibtisch sitzt und lege die Arme von hinten um seinen Hals.
„Warum nennst du mich eigentlich Engel?“, hauche ich in sein Ohr und er sieht erstaunt auf.
„Du bist die Erste, die ich nicht mit dem Anmachspruch:`Na hat es wehgetan als du vom Himmel gefallen bist?´ herumbekommen habe. Alle haben ihn mit Humor genommen. Bei dir brauchte ich keinen Anmachspruch.“
„Na toll, also benennst du mich nach einem Anmachspruch, du Macho?“, frage ich unzufrieden.
„Okay, wenns dir nicht gefällt, such ich was neues aus.“, beschwichtigt er mich und ich nicke.
„Bye, Babe.“, ruft er mir grinsend nach und ich setzt mich lächelnd an meinen Schreibtisch.
Babe gefällt mir wesentlich besser. Engel hat Tommy mich auch oft genannt, aber das zwischen Will und mir ist etwas ganz anderes. Ich möchte nicht immer an Tommy denken, wenn Will mich so anspricht.
Ein neuer Klient reißt mich aus meinen Gedanken.
*William*
„Alter, denkst du das ist ne gute Idee?“, fragt Josh misstrauisch.
„Was meinst du?“, stelle ich mich dumm.
„Will, tu nicht so blöd. Du weißt genau was ich meine. Amy und du..., das wird nie klappen.“, redet er mir ins Gewissen.
„Ich kann nichts dafür, dass ich mich in sie verliebe. Wir sind glücklich. Du hast doch keine Ahnung! Was mischt du dich überhaupt ein?“, fahre ich ihn wütend an.
„Du machst dich zum Gespött der Leute. Glaubst du dein guter Ruf bleibt auch wenn du mit Amy schläfst. Du kannst froh sein, wenn dir die Klienten nach eurer kleinen Affäre, die es bis jetzt glücklicherweise noch ist, nicht wegrennen! Ich habe bereits die wildesten Geschichten über sie gehört. Soll diese Schlampe dir alles zerstören?!“
„Nenn sie noch einmal Schlampe und ich polier dir deine Fresse. Scheiß auf meinen Ruf. Die haben es alle nicht verdient von mir vertreten zu werden, wenn sie auf das Geschwätz der Leute hören. Du bist genau so ein Riesenarschloch! Treib es nicht zu weit oder ich vergesse mich wirklich!“
„Ganz ruhig, Kumpel. Ich hab schon verstanden. Aber du wirst noch mächtig mit ihr auf die Schnauze fallen. Naja, deine Sache.“, er zuckt mit den Schultern und wendet sich seinem Laptop zu.
Wütend funkle ich ihn an: „Halt dich daraus oder du wirst es bereuen!“
*Amanda*
Erstarrt stehe ich vor der Tür. Josh und Will haben sich wegen mir gestritten. Das wollte ich doch nie. In meinem Kopf festigt sich ein Gedanke: Ich werde nicht hier bleiben.
„Ähm, können wir jetzt?“, fragt der Mann neben mir und ich fahre schuldbewusst zusammen.
„Natürlich. Entschuldigung.“, sage ich und klopfe an die Tür.
Verlegen sehe ich Will und Josh an. Will wirft mir einen liebevollen, Josh einen abwertenden Blick zu.
Ich kündige den Klienten an und verziehe mich dann schnell wieder.
Auch wenn ich nicht hier bleibe, ich möchte Will die Taufe nicht versauen und werde ihm erst morgen Abend bescheid sagen. Dann haben wir noch etwas unbeschwerte Zeit zusammen.
„Amy? Kommst du mal eben bitte mit in den Besprechungsraum?“, bittet mich Dan mit strenger Stimme und ich habe so eine Ahnung, was jetzt auf mich zukommt.
Im Besprechungsraum setzten wir uns an den Tisch und Dan wirft mir einen kritischen Blick zu. „Warum warst du heute Nacht bei William?“, fragt er mit hochgezogener Augenbraue.
„Er hat sich im Garten verletzt und ich war zufällig da und hab ihm geholfen. Nachdem wir bei Ty in der Praxis waren, hab ich ihm angeboten mich die Nacht über um ihn zu kümmern.“, wiederhole ich die Kurzversion, die auch Jay schon zu hören bekommen hat.
„Hast du mit ihm geschlafen?“, will Dan frei heraus wissen. Geschockt sehe ich ihn an.
„Dan, ich bin 24 und du nicht mein Vater. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!“, rufe ich ihn zur Ordnung.
„Amy, du bist meine kleine Schwester und ich mache mir Sorgen um dich. Will ist mein Kumpel, aber er ist auch ein Weiberheld. Er hatte so viele Affären und One-night-Stands im letzte Jahr. Ich möchte nicht, dass du eine von vielen bist! Vor zwei Jahren bist du plötzlich einfach verschwunden, als du in einer Beziehung warst. Wer weiß, was als nächstes kommt!“, motzt er zurück.
„Jetzt halt mal die Luft an. Ich werde sowieso Sonntag wieder zurück fliegen. Will und ich verbringen etwas Zeit zusammen, das ist nicht verboten!“, ich stehe auf und verlasse rasend vor Wut den Raum. „Wer weiß, was als nächstes kommt?“, äffe ich ihn leise nach und lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen.
Diese Sache zwischen mir und Will scheint Ärger anzuziehen und bekräftigt meine Entscheidung, wieder zurückzufliegen, nur.
18.
„Amy?“, ruft Josy, als ich nachmittags das Haus betrete.
„Ja?“, rufe ich zurück und gehe die Treppe hoch.
„Kommst du bitte mal eben ins Schlafzimmer?“, bittet sie mich und ich betrachte sie verwundert. Sie hat ein elegantes Kleid an, ist dezent geschminkt und steckt sich gerade Ohrringe an.
„Wo willst du denn hin?“, frage ich irritiert.
„Dan und ich sind bei Ed und Su zum Abendessen eingeladen. Davor besprechen wir nochmal die Taufe. Kannst du mir einen Gefallen tun? Kannst du auf Lilly aufpassen? Pete kann leider nicht.“, fleht sie mich an. Dabei deutet sie auf meine kleine Nichte, die auf dem Bett liegt und an einem Kuscheltier kaut.
„Klar, kein Problem. Aber ich wollte eigentlich mit Jay ein Kleid für die Taufe kaufen.“, fällt mir ein.
„Nehmt sie einfach mit. Das ist Super lieb von dir. Es wird wahrscheinlich spät. Ich liebe dich!“, sagt sie und fällt mir überschwänglich um den Hals. Dann klopft sie gegen die Badezimmertür.
„Schatz, wir müssen los.“, ruft sie Dan zu.
Ich hebe Lilly hoch und gehe mit ihr in den Flur.
„Tschüss, mein Schatz. Mach es Amy und Jay nicht zu schwer.“, weist Josy ihre Tochter an und gibt erst Lilly und dann mir einen Kuss auf die Wange.
Auch Dan verabschiedet sich von uns und ich winke den beiden mit Lillys Hand nach.
„So, Jay braucht noch ein bisschen und ich muss mich noch umziehen. Ich denke du musst noch ein wenig alleine spielen.“, sage ich zu Lilly und lege sie auf dem Bett ab. In Windeseile ziehe ich mich um und hole aus Lillys Zimmer noch ein paar Spielsachen und ihre Wickeltasche.
Mit Lilly auf dem Arm und ihren Sachen in der Hand mache ich mich auf den Weg nach unten. Im Wohnzimmer setze ich mich mit ihr zusammen auf den großen weichen Teppich, ein Kuscheltier in meiner Hand.
„Hallo, hier ist der kleine Hase Theo. Und wer bist du? Du bist bestimmt die kleine Lilly.“, sage ich mit verstellter Stimme und kitzle meine Nichte mit dem Stoffhasen.
Sie quiekt vergnügt und klatscht in die Hände.
„Das gefällt dir, stimmts?“, grinse ich und kitzle sie weiter. Lilly lacht sich kaputt und ich stimme mit ein.
„Was ist denn hier los?“, will Jay plötzlich wissen und ich drehe mich immer noch lachend zu ihm um.
„Ich spiele mit Lilly. Josy und Dan sind zum Essen eingeladen und wir sollen die kleine Maus mit auf unsere Shoppingtour nehmen.“, erkläre ich ihm und stehe auf.
„Na dann mal los.“, beschließt Jay und setzt Lilly in ihren Kinderwagen. Ich nehme die Wickeltasche und das Spielzeug und gehe hinter den beiden her zu Dans Auto.
Eine halbe Stunde später sind wir am Einkaufszentrum angekommen und schlendern an den Schaufenstern vorbei.
„Lass uns hier rein.“, entscheide ich euphorisch und stürme in einen Laden voller Festtagskleidung.
Eine Verkäuferin lässt sich meine Größe geben und ich erkläre ihr kurz, was ich mir vorgestellt habe, bevor sie mich mit zwei Kleidern in eine Kabine schiebt.
„Ihr Mann und ihre Tochter können sich in die Sessel setzen.“, wirft sie mir über die Schulter zu und verschwindet zwischen den Kleidern. Jay und ich grinsen uns an.
„Dann werde ich mich mit meiner Tochter mal in den Sessel setzen und mir von meiner Frau ein paar Kleider präsentieren lassen.“, sagt er augenzwinkernd. Ich verdrehe die Augen und ziehe das erste Kleid an. Fassungslos trete ich aus der Umkleide und Jay fällt vor Lachen fast aus dem Sessel, als er mich sieht. Das dreckige Gelb zusammen mit der zeltartigen Form ist das hässlichste, was ich mir vorstellen kann.
Ich probiere das zweite an, bin aber immer noch nicht zufrieden.
Die Verkäuferin reicht mir ein Kleid nach dem anderen und Jay beurteilt sachlich mein Aussehen.
„Jay?“, mache ich ihn auf mich aufmerksam und sehe ihn abwartend an. Er wippt Lilly weiter auf und ab und wendet seinen Blick dann mir zu.
„Wow, das steht dir Super. Du siehst absolut heiß aus.“, entscheidet er und ich werde leicht rot und bedanke mich.
Das Kleid ist hellblau, mit einem grünen Muster. Es reicht mir fast bis zu den Knien, ist trägerlos und enganliegend.
„Dazu haben wir noch einen dünnen Blazer.“, wirft die Verkäuferin ein und hilft mir in das Kleidungsstück.
„Die beiden Sachen nehmen wir.“, sage ich und ziehe mich wieder um.
Mit einer großen Tüte verlassen wir den Laden und suchen einen Schuhladen.
Dort kaufen wir noch ein paar grüne Pumps und setzen uns dann in ein kleines Fast-Food-Restaurant.
Wir bestellen und aus der Tasche hole ich ein Glas Vollmilch-Getreide-Brei und setze Lilly auf meinen Schoß.
Während ich sie füttere, unterhalten Jay und ich uns.
„Wie war es bei Su? Hast du sie beeindrucken können mit deinen Kochkünsten?“
„Wir haben uns auf ein Menü geeinigt. Es ist alles vorbereitet. Ich muss morgen nicht mehr helfen, den Rest will Su machen.“
„Sie war wirklich froh, dass du aushelfen konntest.“
„Gib mir Lilly mal her und iss etwas.“, bestimmt er und ich reiche ihm Lilly und den Brei.
Das Essen ist lecker, aber ich muss mir die letzten Bissen unter Jays wachsamen Blicken rein zwängen, obwohl ich keinen Hunger mehr habe. Währenddessen lässt er es sich nicht nehmen mich nochmal an unsere Vereinbarung zu erinnern.
Zufrieden nickt er, als ich den leeren Teller von mir schiebe.
Nach wenigen Minuten beschließen wir uns auf den Rückweg zu machen und Jay erzählt mir, dass er heute Nacht wieder bei Lin bleiben wird. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich ihn an.
„Läuft da etwa was zwischen euch?“, frage ich amüsiert.
„Wir verstehen uns ganz gut, aber wir sind uns bewusst, dass wir zu weit voneinander entfernt wohnen.“, erklärt er mir ausweichend und steigt ins Auto.
„Jaja, aber trotzdem habt ihr ein wenig Spaß zusammen.“, ziehe ich ihn auf und folge ihm.
„Bei dir ist es doch nicht anders!“, verteidigt Jay sich vehement.
„Vergiss nicht, dass sie krank ist. Ich frage mich, woher sie die Energie nimmt.“, grinsend schlage ich ihm in die Seite.
Beim Thompson-Haus angekommen verabschiedet er sich und geht gleich rüber.
Kopfschüttelnd trage ich die Einkäufe und dann Lilly ins Haus und setzte mich mit ihr zusammen aufs Sofa.
Das Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken.
„Amanda Thomson bei Daniel Thompson und Josephine King.“, melde ich mich.
Ein Lachen ertönt am anderen Ende und es ist unverkennbar Will.
„Hey, Babe. Ich wollte dich fragen, ob du vorbeikommen willst.“, kommt er gleich zur Sache.
„Tut mir leid, aber ich spiele heute Lillys Babysitterin.“, antworte ich enttäuscht. „Aber du könntest vorbeikommen. Jay ist nicht da, also ist Platz in meinem Bett, wenn du hier schlafen willst. Josy und Dan haben bestimmt nichts dagegen.“
„Jay schläft mit dir in einem Bett?“, fragt Will mit scharfem Unterton.
„Will, zwischen Jay und mir läuft nichts! Wir schlafen einfach nur in einem Bett!“, mache ich ihm klar.
Es bleibt still am anderen Ende der Leitung.
„Tut mir leid, Babe. Ich bin ein eifersüchtiger Idiot.“, sagt er zerknirscht.
„Schon okay, Baby. Kommst du jetzt her?“, hake ich nach.
„Baby?“, fragt er amüsiert.
„Ja, ich brauche doch auch einen Spitznamen für dich. Also was ist jetzt?“, frage ich ungeduldig.
„Ich bringe meinen Anzug gleich mit, dann muss ich morgen nicht noch nach Hause. Bis gleich.“, sagt er.
„Vergiss nicht, dass du zum Babysitten kommst. Bis gleich, Babe.“, verabschiede ich mich und hauche einen Kuss durch das Telefon, bevor ich auflege.
„So kleine Maus, gleich kommt Will. Er freut sich schon darauf mit dir zu spielen.“, raune ich Lilly ins Ohr und sie quiekt auf. Mit großen Augen sieht sie mich an.
Ich drücke ihr einen Kuss auf die rosige Wange und trage sie in ihr Zimmer. Auf dem Wickeltisch lege ich sie ab und wechsle ihre Windel. Danach ziehe ich ihr einen rosa Strampler an und mache mich auf zur Tür, an der es klingelt.
Will steht davor und gibt erst mir einen Kuss und streicht Lilly dann über ihr Köpfchen.
„Na, du kleine Maus. Du bist ja schon bettfertig. Spielen wir trotzdem noch ein bisschen?“, fragt er sie.
„Du kannst deine Sachen ins Gästezimmer bringen. Wir warten auf dem Sofa auf dich.“, ich deute die Treppe hoch und schließe die Tür hinter ihm.
Im Wohnzimmer lasse ich mich vor dem Fernseher nieder und schalte eine Kindersendung an. Vergnügt versucht Lilly die Geräusche der Tiere auf dem Bildschirm nachzumachen.
Ich mache ihr ein paar vor und sie ahmt sie fasziniert nach.
„Ihr seid echt süß!“, sagt Will, der plötzlich vor uns steht und ich sehe ihn lächelnd an.
Er lässt sich neben uns aufs Sofa fallen und macht Lilly ebenfalls ein paar Geräusche vor.
Ich kann nicht anders, als ihn fasziniert anzustarren. Er geht so unglaublich süß mit Lilly um. Meine Liebe zu ihm wächst beständig. Aber so darf es nicht sein, rufe ich mich zur Ordnung. Bald bin ich wieder zurück in Carboa und Will ist hier. Unsere Beziehung hat keine Zukunft!
Als ich das realisiere, dreht sich mit der Magen um. Mir geht es so schlecht, wie lange nicht mehr.
Als die Sendung vorbei ist, beschließen wir der kleine Maus die Zähne zu putzen und sie dann zusammen ins Bett zu bringen.
Will setzt sie im Bad auf seinen Schoß und ich knie mich vor die beiden.
Vorsichtig putze ich ihr ihre zwei Zähnchen.
Danach legt Will sie in ihr Bett, deckt sie zu und streicht einmal über ihr Köpfchen. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn und setze mich auf Wills Schoß, der auf dem Sessel neben ihrem Bett Platz genommen hat. Scheinbar hat Lilly keine Lust zu schlafen und quietscht und streckt ihre Arme nach dem Mobile aus.
Wir warten weiter ab, doch nach wenigen Minuten beginnt sie zu weinen und ich beuge mich über sie.
Beruhigend streiche ich ihr monoton über den Bauch. Tatsächlich schließt sie ihre Augen und ist kurz darauf eingeschlafen.
Leise schließt Will die Tür hinter uns und zieht mich an sich.
„Das hast du toll gemacht. Du wärst eine gute Mummy.“, sagt er und ich küsse ihn leidenschaftlich.
Auch wenn unsere Zeit begrenzt ist, möchte ich sie jetzt richtig nutzen.
Er drängt mich zurück und schon stehen wir im Gästezimmer. Am Bett angekommen ziehen wir uns ungeduldig aus und kriechen unter die warme Bettdecke. Will fängt an mich überall zu küssen und ich stöhne auf.
„Pssst, Liliana schläft endlich. Jetzt will ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit.“, tadelt er mich und streicht mit seiner Hand meinen Körper entlang. Ich schubse ihn auf den Rücken und setze mich kurzerhand auf ihn. Jetzt küsse ich ihn überall und er muss ein lautes Stöhnen unterdrücken.
*William*
Diese Frau ist unglaublich. Ich könnte den ganzen Tag mit ihr schlafen. Sie bringt eine leidenschaftliche, beinahe kindliche Seite an mir hervor. Aber gleichzeitig spüre ich die erwachsene Ernsthaftigkeit und möchte am liebsten sofort mit ihr unsere gemeinsame Zukunft planen.
Doch ich weiß nicht, wie sie sich entscheiden wird.
Ich werfe einen Blick auf ihr schlafendes Gesicht. Sie sieht so friedlich und wunderschön aus! Liebe wallt in mir auf und ich bin glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich habe mich wirklich rettungslos in Amanda Thompson verliebt!
Sie liegt hier, in meinen Armen. Vielleicht wird das bald immer der Fall sein.
Schnell verbanne ich den Gedanken aus meinem Kopf.
Ich kenne sie zu wenig, um vorauszuahnen wie sie sich entscheidet. Deswegen beschließe ich, mir nicht zu große Hoffnungen zu machen, auch wenn es mir schwer fällt.
19.
*Amanda*
„Babe, du musst endlich aufstehen.“, dringt Wills Stimme an mein Ohr. Scheinbar steht er schon eine Zeit lang neben meinem Bett und versucht mich zu wecken.
Ohne meine Augen zu öffnen, strecke ich dir Arme nach ihm aus und ziehe seinen Kopf zu mir. Er küsst mich bereitwillig und hebt mich dann blitzartig aus dem Bett.
Erschrocken öffnen ich meine Augen und sehe ihn an.
„Guten Morgen. Du solltest dich jetzt endlich fertig machen. Die Taufe beginnt in zwei Stunden.“, informiert er mich und setzt mich wieder ab.
„Morgen. Ich bin ja schon auf dem Weg.“, gähne ich und schnappe mir meine rausgelegten Sachen und trotte müde ins Bad.
Als ich geschniegelt und gestriegelt wieder heraustrete, fühle ich mich deutlich erfrischt und gehe beschwingt ins Wohnzimmer, aus dem ich bereits Stimmen höre.
„Guten Morgen.“, begrüße ich Dan, Josy und Lilly.
Will kommt aus der Küche und stellt einen Brotkorb auf den Tisch. Während wir beginnen zu frühstücken, füttert Dan seine Tochter mit dem restlichen Brei.
„So, mein Schatz, jetzt zieht Mama dir dein wunderschönes Taufkleid an.“, kündigt er an und reicht Lilly an seine Freundin.
Die beiden machen sich auf den Weg nach oben.
„Sag mal, Alter, wollt ihr nicht irgendwann mal heiraten? Ihr seid schon ziemlich lange zusammen, habt ein Kind. Eure Tochter wird sogar schon in der Kirche getauft.“, meint Will plötzlich an Dan gewandt.
„Wir haben schon oft darüber geredet, aber Josy möchte nicht. Sie sagt, dass sie keine Hochzeit braucht, um sich meiner Liebe sicher zu sein und lieber ewig Freundin oder Verlobte als Ehefrau sein möchte. Ihrer Meinung nach zerstört die Ehe die Liebe.“, antwortet dieser schulterzuckend.
„Sie scheint genau zu wissen, was sie will. Bewundernswert.“, befinde ich.
„Würdest du gerne heiraten?“, fragt Will frei heraus.
„Ähm...äh...“, mache ich überfordert. Mit dieser Frage überrumpelt und bedrängt er mich sehr. Natürlich kann er das nicht wissen, aber heiraten war immer ein großer Wunsch von mir. Tommy und ich hatten schon Pläne gemacht und wenn ich nichts von seiner Affäre mit Eve mitbekommen hätte, wären wir jetzt sehr wahrscheinlich verheiratet.
„Naja, eigentlich schon, aber so notwendig ist die Ehe gar nicht. Hauptsache ich werde bedingungslos geliebt. Josy hat schon recht, die Liebe ist viel wichtiger als die Ehe.“, bekenne ich schließlich.
Will wirft mir einen nachdenklichem Blick zu und scheint etwas erwidern zu wollen.
„Und, wie findet ihr das Kleid?“, fragt Josy in dem Moment und ich bin mehr als glücklich über die Unterbrechung.
Ich drehe mich um und sie hält mir meine Nichte hin.
„Wow, wunderschön!“, hauche ich bewundern und betrachte verzückt das weiße traumhafte Kleid.
„Das hast du wirklich schön hinbekommen.“, sagt auch Will anerkennend und Josy wird leicht rot.
„Ich muss jetzt los. Matt wartet bestimmt schon auf mich.“, fällt mir ein. Ich nehme meine Papiere und mache mich schnell auf den Weg zu ihm.
***
Matt steht ungeduldig im Hausflur und zieht mich direkt in seine Wohnung.
Er trägt einen schicken grauen Anzug und hat sein kurzes Haar sogar etwas gegelt.
„Kannst du eben die Kerze aus dem Schrank holen? Ich muss noch meine Papiere einpacken.“, erklärt er gehetzt und verschwindet in einem Zimmer. Seufzend gehe ich zum Wohnzimmerschrank und nehme unsere selbstgestaltete Kerze heraus. Sie ist schön geworden. Hoffentlich werden Josy, Dan und Liliana das genauso sehen.
„Hab alles.“, reißt mich Matt aus meinen Gedanken und wir machen uns auf den Weg zur Kirche. Der große, starke Mann neben mir wirkt lange nicht so selbstsicher wie sonst.
„Was bist du denn so nervös?“, frage ich belustigt, als er zum tausendsten Mal an seinem Anzug herumzupft.
„Entschuldige bitte, ich werde zum ersten Mal Patenonkel. Da bin ich etwas nervös, vor allen Anderen da vorne zu stehen mit so einer Verantwortung.“, antwortet er leicht gereizt.
„Du musst dir keine Gedanken machen! Du kennst doch alle, die kommen. Außerdem wird Liliana dich lieben, vor allem als Patenonkel. Josy hat mir erzählt wie liebevoll du mit ihr umgehst. Du wirst das toll machen!“, ermutige ich ihn und er wirft mir ein unsicheres Lächeln zu. Je näher wir der Kirche kommen, desto langsamer wird er. Kurzerhand hake ich mich bei ihm unter und ziehe ihn bestimmt hinein.
Ein paar Bankreihen sind schon gut gefüllt und ich verschaffe mir kurz einen Überblick.
Dann stockt mir der Atem. Er ist hier!
20.
Relativ weit hinten hat er sich mit Eve und seinen Eltern zusammen niedergelassen.
Er ist dünner geworden, sieht aber immer noch gut aus.
Tommy!
Ich kann das Gefühl spüren, wie es ist, mit meinen Fingern durch sein kurzes blondes Haar zu fahren. Ich kann das prickelnde Gefühl spüren, wenn seine Augen erregt einen dunklen Blauton annehmen.
Ich kann das Gefühl spüren, bevor seine Lippen sich auf meine legen.
Ich kann das Gefühl spüren, mich tief in seinen Armen geborgen zu fühlen.
Mir wird unendlich schlecht und ich stolpere geradewegs wieder nach draußen. Nach Luft ringend lehne ich mich ein Stück weiter gegen einen Baum.
„Amy, das kannst du nicht machen. Mich zerrst du förmlich in die Kirche, obwohl ich vor Nervosität fast sterbe und du rennst sofort wieder raus.“, schimpft Matt, der mir hinterhergekommen ist.
„Matthew, stimmts? Ich mach das schon. Regel du drinnen alles.“, höre ich Jays Stimme und sehe auf. Matt und er tuscheln kurz, dann verlässt er uns mit großen Schritten und geht wieder in die Kirche.
Jay dagegen nimmt mich in den Arm und ich versuche meine Tränen zurückzuhalten.
„Ich hab es vergessen. Ich hab einfach nicht mehr daran gedacht, dass er da sein wird. Ich war so unvorbereitet. Es kam so plötzlich.“, teile ich ihm mit leiser rauer Stimme mit.
„Ich weiß. Aber du darfst ihn deine Schwäche nicht spüren lassen. Zeig ihm die starke, selbstbewusste Amy! Du kannst das! Er ist nur ein armseliger untreuer Arsch, während du eine wunderschöne, liebenswerte Frau bist. Schwing jetzt deinen hübschen Hintern da rein und präsentiere ihm, was er nie wieder haben wird.“, redet er auf mich ein.
Lächelnd sehe ich zu ihm auf: „Du hörst dich an wir ein Motivationstrainer. Du bist so unglaublich toll!“
„Aber es stimmt. Los jetzt!“, mit einem Klaps auf den Hintern schubst er mich in die Kirche und ich setzte eine neutrale Mine auf. Diesmal mache ich nicht dem Fehler aufzusehen, aber trotzdem brauche ich all meine innere Kraft. Die Ortseinwohner reden über mich. Sie verurteilen mich, dafür dass ich angeblich einfach verschwunden bin. Dafür, dass es dem lieben Tommy anscheinend sehr schlecht ging. Am liebsten würde ich sie anschreien, dass sie alle keine Ahnung haben. Aber ich möchte mir die Erniedrigung sparen, zuzugeben, dass Tommy mich mehrfach betrogen hat.
Der Weg bis zur ersten Bankreihe kommt mir unglaublich lang vor. Erschöpft lasse ich mich schließlich neben Matt fallen.
„Hey Babe, alles klar bei dir?“, fragt Will hinter mir und ich drehe mich zu ihm um.
„Passt schon. Schön, dass du da bist.“, gebe ich zu und hauche ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Er weiß, dass ich damit nicht seine Anwesenheit bei der Taufe gemeint habe und wirft mir einen langen Blick zu.
Schnell drehe ich mich wieder zurück und konzentriere mich wieder auf meine eigentliche Aufgabe.
Die Taufe geht rasend schnell an mir vorüber und ich bin mehr als unaufmerksam.
Alle Gäste sehen fröhlich aus, vor allem Josy und Dan. Ich bin nicht fröhlich, nicht traurig, nicht glücklich, nicht wütend, nicht stolz und auch nicht aufgeregt.
Ich fühle nichts. Eine Leere hat von mir Besitz ergriffen, die ich nur aus der Zeit nach der Trennung kenne. Obwohl ich weiß, dass ich die Dinge nicht so nah an mich ranlassen sollte, kann ich nichts dagegen tun.
Es tut mir nichtmal leid, dass ich nicht in Höchstform in der Kirche stehe. Matt betrachtet Lilly mit einer unglaublichen Liebe und er strahlt stolz. Doch ich kann nicht die gleichen Gefühle aufbringen. Es kommt mir vor, als würde ich nur körperlich anwesend sein.
Ich verwirre mich ja selbst. Zum einen ist da Will, mit dem ich so wenig Zeit verbracht habe, aber in den ich mich bereits mehr oder weniger verliebt habe, ohne es wirklich zu merken. Aber ich kann Tommy einfach nicht vergessen. Die Gefühle für ihn sind vorhanden, ihre Intensität einschätzen kann ich jedoch nicht.
Für wen fühle ich mehr?
Ist das überhaupt wichtig? Egal für wen ich mehr empfinde, glücklich könnte ich mit keinem werden.
Will hat sein Leben hier und ich bin mir weder sicher, dass unsere Beziehung klappen könnte, noch, ob ich wieder nach Mitara zurückkehren und ein paar Straßen von meinem Exfreund entfernt wohnen könnte.
Tommy hat mich so sehr verletzt und trotzdem liebe ich ihn noch. Aber kann ich mich wirklich nochmal komplett auf ihn einlassen? Außerdem weiß ich nicht einmal, was er von mir hält und ob er unserer Beziehung noch eine Chance geben würde.
***
„Amy, komm mit.“, höre ich Jay sagen und werde aus der Kirche gezogen. Die Taufe ist vorbei und wir müssen uns durch die Menge zum Ausgang quetschen.
Etwas abseits bleibt mein bester Freund plötzlich stehen und funkelt mich wütend an.
„Was soll das? Was ist los mit dir? Du bist auf der Taufe deiner Nichte und wirkst eher, wie auf einer Beerdigung. Du wirst nicht wieder in ein großes schwarzes Loch fallen, aus dem ich dich dann mühevoll ziehen muss. Thomas sollte dir am Arsch vorbei gehen. Seit zwei Jahren seid ihr getrennt, er hat dich mehrfach betrogen und trotzdem kommst du nicht von ihm los! Das gibt es doch nicht!“, endet er und stemmt die Hände in die Seiten.
„Ich kann nicht anders. Die Gefühle für ihn sind nicht einfach so weg, Jay. Ich kann meine Liebe zu ihm nicht abstellen. Kannst du dir vorstellen, wie sehr er mich verletzt hat und wie schlimm es ist noch immer von ihm verletzt zu werden? Er sitzt da, gutaussehend und charmant wie eh und je. Neben ihm Eve. Ich ertrage den Anblick der beiden einfach nicht. Jeder Blick den die beiden sich gegenseitig zuwerfen ist wie ein Schlag ins Gesicht.“, versuche ich zu erklären.
„Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, Amy. Er hat dich verletzt, ja, aber das liegt zwei Jahre zurück. Du könntest schon lange mit einem anderen glücklich sein, stattdessen verkriechst du dich in deinem Schmerz!“, sagt Jay aufgebracht.
„Der Spruch 'Die Zeit heilt alle Wunden' ist ein Märchen, Jay. Es wird nicht leichter. Überall kann die Erinnerung mich überraschen. Ich wusste, dass es blöd ist hierher zu kommen. Dan hat seine eigene kleine Familie, er braucht mich nicht. Und Dad ist mit den drein auch ausgelastet. Will wird darüber hinweg kommen, ich kann ihm das nicht zumuten. Er hat eine Frau verdient, die ihn, nur ihn, bedingungslos liebt. Die zu Hause auf ihn wartet. Die ihm all das geben kann, was er sich wünscht und was er auch ihr gibt. Für mich ist hier kein Platz. Wir werden zurück nach Carboa fliegen und unser eigenes Leben weiterleben. Es wird hart, dass weiß ich, aber es gibt keine andere Lösung.“, erschöpft schließe ich die Augen. Es ist die schwerste Entscheidung meines Lebens, aber mit jedem Wort ist die Erkenntnis in mir gewachsen. Es ist richtig so zu handeln. Hier ist kein Platz für mich!
21.
Gemeinsam gehen wir zurück zu den anderen. Jay weiß, wann eine Entscheidung von mir endgültig ist. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er nicht versucht mir wieder alles auszureden. Er akzeptiert es.
"Ich bin stolz auf dich, Schätzchen. Du bist wirklich gekommen und du bist auch noch Lilianas Patentante geworden.", mein Dad zieht mich in eine Umarmung und ich schlucke die aufkommenden Tränen herunter. Er ist ein wirklich toller Dad und es wird ihm das Herz brechen, wenn er erfährt, dass ich das letzte Mal hier war. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich den Kontakt aufrecht erhalten werde. Wenn nicht, werden sie sich Sorgen machen. Wenn doch, muss ich mir ständig ihre Belehrungen und Vorwürfe anhören.
Wir folgen der kleinen Familie meines Bruders zum Restaurant. Die Gäste werden erst nach und nach eintreffen, also haben wir etwas Zeit.
Zwei Arme schlingen sich von hinten um mich und ich erstarre.
„Na, Babe?“, erklingt Wills raue Stimme und ich atme erleichtert aus.
„Wo warst du denn eben?“, will er wissen und geht neben mit her. Einen Arm schlingt er dabei um meine Taille. Dabei sieht er jedoch nicht mich an, sondern Jay. Und der Blick ist eher feindlich, als freundlich.
Ich bleibe stehen und schiebe Will zur Seite.
„Ich habe keine Lust auf irgendwelche Eifersuchtsspielchen.“, verkünde ich genervt und gehe weiter. In schnellem Schritt schließe ich zu meinem Dad auf, der mich auch sofort in ein Gespräch verwickelt.
Gereizt beschreibt meine Stimmung wahrscheinlich am besten. Aber zum einen geht mir Wills Eifersucht meinem besten Freund gegenüber wirklich langsam auf die Nerven und zum anderen möchte ich ihn von mir fern halten. Ab morgen muss er sein altes Leben weiterführen. Ohne mich.
Daran sollte er sich besser gewöhnen.
*William*
Was ist denn jetzt los? Verdattert betrachte ich ihren Rücken. Mittlerweile sind wir im Restaurant angekommen, aber Amy beachtet mich gar nicht. Habe ich vielleicht wirklich übertrieben? Eifersüchtige Handlungen scheint sie jedenfalls zu verabscheuen. Wieder wird mir bewusst, wie wenig wir uns eigentlich kennen. Die wenigen Tage, die wir zusammen verbracht haben, waren viel zu kurz um sich wirklich richtig kennen zu lernen.
Beim Essen sitze ich nicht mit ihr an einem Tisch und kann sie nur aus der Ferne beobachten. Sie sieht nicht mehr wütend aus, eher entspannt. Die meisten nehmen ihr diese Haltung scheinbar ab, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass sie nur so tut.
„Du kannst sie noch zwei Stunden anstarren, sie wird dich weiter ignorieren. Ich hab dir gesagt, lass die Finger von ihr. Du kennst sie nicht und laut den Geschichten der anderen hat sie sich sogar noch mehr zum Negativen verändert.“, redet Josh auf mich ein und macht mich damit ziemlich wütend.
„Die anderen erzählen auch, dass es Thomas unglaublich schlecht geht. Guck ihn dir doch an. Er sitzt da mit seinem Bier und scheint sich prächtig zu amüsieren!“, fahre ich ihn an.
„Will, sie tut dir nicht gut. Bruder vor Luder, Alter! Du kannst doch jetzt nicht ständig mich anmotzen, weil ich die Wahrheit über sie sage.“, beschwert er sich.
„Nenn sie noch einmal Luder und ich brech dir die Nase. Ich bin alt genug, um über mein Privatleben zu entscheiden. Es ist mir scheiß egal, was du davon hältst!“, erwidere ich gefährlich leise. Erschrocken schüttelt mein bester Freund den Kopf und lässt mich in Ruhe.
Ich muss nochmal mit ihr sprechen. Außerdem hab ich keine Lust, dass sie deswegen wieder nach Carboa fliegt.
*Amanda*
„Wir machen uns jetzt mal auf die Suche nach Matt.“, verabschieden sich Leo und Ben von Josy und mir. Ich lächle den beiden nochmal zu und setzte mich dann wieder an den Tisch.
Die beiden passen gut zusammen, aber ich konnte mich nicht wirklich darauf konzentrieren. Nicht nur, dass ich dauernd von allen über meine "Flucht" aus Mitara ausgefragt werde, was ich nur ausweichend beantworte. Dafür tue ich die ganze Zeit besonders lässig. Nein, ich werde auch noch von zwei Männern permanent angestarrt. Will sieht nachdenklich aus. Tommys Gesichtsausdruck kann ich auf die Entfernung nicht erkennen, aber ich bemühe mich auch ihn nicht anzusehen.
Eve und er scheinen sich gut zu verstehen. Ob immer noch etwas zwischen ihnen läuft, weiß ich nicht. Jedenfalls berührt sie ihn ziemlich oft und schmiegt sich hin und wieder an ihn. Ich könnte kotzen! Aber wenigstens tut Tommy nichts dergleichen. Entweder er tut es mir zuliebe oder sie sind wirklich nicht mehr zusammen. Mein Dad hat am Telefon einmal kurz angeschnitten, dass die beiden scheinbar zusammen sind, aber um mich selbst zu schützen, habe ich ihn gebeten dieses Thema nie wieder zu erwähnen.
Schon wieder steuern zwei Ortseinwohner entschlossen auf mich zu.
„Josy, ich füttre Lilly eben. Geh du nur wieder zurück zu den anderen.“, sage ich schnell und sie überlässt mir dankend ihre kleine Tochter. Glücklich stellt sie sich wieder zu Dan, der sofort den Arm um sie legt, das Gespräch mit ein paar Bekannten aber weiterführt.
Ich kann den Blick einfach nicht von ihnen lösen, so strahlen die beiden voller Liebe. Jeden Moment, den ich die beiden sehen, wird mir schmerzlich bewusst, was ich nicht habe. Mit Tommy hätte es genauso schön werden können. Wir waren doch sowieso das Traumpaar. Aber dieses miese Arschloch betrügt mich lieber und beobachtet mich heimlich von weitem.
Wütend wende ich mich von ihnen ab und streiche Lilly über ihr Köpfchen.
Es tut mir leid, dass sie mich wahrscheinlich nie richtig kennen lernen wird. Sie ist so ein süßes und wundervolles Baby! Ich hoffe, dass sie nie solche Dinge durchmachen muss, wie ich. Ich liebe sie wirklich und es wird mir schwer fallen, nicht an ihren Geburtstagen und anderen wichtigen Terminen dabei zu sein, aber sie hat einen tollen Opa und tolle Eltern, sowie einen liebevollen Patenonkel, die sich aufopfernd um sie kümmern werden.
„So, kleine Maus, hast du Hunger?“, ich halte ihr den Brei hin. Mit ihren kleinen Fingern versucht sie danach zu greifen und ich will ihr den ersten Löffel in den Mund schieben. Aber sie öffnet ihn keinen Millimeter und windet sich auf meinem Schoß.
„Was ist denn los? Ich dachte du hast Hunger.“, einer plötzlichen Idee folgend mache ich ein brummendes Geräusch und bewege den Löffel zu ihrem Mund. Sie ist so fasziniert von dem Brummen, dass sie sich gehorsam füttern lässt.
„Du machst das gut.“, erklingt plötzlich Wills Stimme neben mir. Erschrocken sehe ich auf.
„Danke.“, antworte ich kurz angebunden und wende mich dann wieder meiner Nichte zu.
Will lässt sich auf den freien Stuhl neben mir sinken und wartet stumm bis das Gläschen leer ist.
An einem Tuch wische ich meine Hände ab und säubere auch Lillys Gesicht.
„Können wir kurz reden?“, fragt er danach.
„Okay, aber ich muss nochmal kurz zu Matt und Jay.“, antworte ich und gehe zu den beiden rüber.
„Matt, kannst du bitte eben Lilly nehmen?“, bitte ich ihn und er nimmt sie mir freudestrahlend ab.
„Was ist los, Amy?“, fragt Jay leise und ich sehe ihn gequält an.
„Will möchte kurz mit mir reden. Jay, ich kann nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Er wird mich sowieso hassen, wenn er bemerkt, dass ich weg bin.“, ich seufze.
Jay nickt mir beruhigend zu und ich geh wieder zurück zu Will.
„Vielleicht sollten wir dafür raus gehen.“, schlage ich vor. Wir gehen in Richtung seines Hauses, aber ich biege kurz vorher auf den Weg zum See ab. Ich möchte jetzt nicht bei ihm zu Hause sein.
22.
Abwartend sehe ich ihn an.
„Amy, ich versteh einfach nicht, warum du eben so ausgetickt bist. In der Kirche küsst du mich und alles ist gut und plötzlich fährst du mich so an, lässt mich einfach stehen und beachtest mich nicht.“, beschwert Will sich lautstark.
Innerlich atme ich tief durch. Jetzt brauche ich all mein schauspielerisches Talent.
„Ich bin ausgetickt, ja? Das sagt ja der Richtige. Du bist doch ständig eifersüchtig und verhältst dich total bescheuert.“, schnauze ich ihn an.
Oh Mann, meine Stimme ist so schneidend, dass ich Angst vor mir selbst bekommen könnte. Er tut mir jetzt schon leid, aber ich möchte es ihm so einfach wie möglich machen, mich gehen zu lassen.
Etwas erschrocken zuckt auch Will zusammen. Er scheint einen Moment zu überlegen. Erst ist sein Blick weich und ich bete, dass er jetzt nicht auf die verständnisvolle Art ankommt. Aber dann wird sein Blick härter und wir funkeln uns an.
„Entschuldige, dass ich eifersüchtig bin, wenn ein gut aussehender Typ ständig in deiner Nähe hängt, in deinem Bett schläft und ihr euch beschwörende Blicke zuwerft.“, jedes seiner Worte trieft förmlich vor Ironie.
„Du bist ein richtiger Vollidiot. Auch wenn ich dir nie Anlass gegeben habe eifersüchtig zu sein, vertraust du mir nicht. Du hat doch keine Ahnung. Aber Hauptsache Jay runtermachen und nochmal dein Revier markieren. Aber weißt du was? Ich bin weder Jays, noch dein Revier. Mein bester Freund hat das verstanden und wir kommen nach Jahren immer noch Super miteinander aus. Aber du verstehst gar nichts! Ich hab keinen Bock mich so behandeln zu lassen. Wenn wir zusammen wären würdest du mich sicherlich noch kontrollieren und mich am liebsten an der Leine führen, damit du mich bloß richtig unter Kontrolle hast.“, ich rede mich so in Rage, dass ich erstmal tief Luft holen muss.
Den Moment nutzt Will um mich zu kritisieren: „Ja, bei dir weiß man doch nie an was man ist. Mal bist du süß und lieb und dann stößt du mich wieder von dir. Es würde mich nicht wundern, wenn du gleichzeitig auch mit diesem Jay in die Kiste hüpfen würdest.“
Seine eiskalten, grünen Augen haben nichts mehr von dem weichen Mooston. Sie funkeln dunkelgrün und erinnern mich an das tobende Meer.
Geschockt realisiere ich seine verletzenden Worte. Die Tränen kann ich mit letzter Kraft zurückhalten. Bleib stark, Amy. Du musst jetzt den Schlussstrich ziehen. Ein letzter harter Schlag und das war es mit euch. Danach kannst du noch stundenlang heulen.
„Du bist so ein mieses Schwein. Ich bin froh, dass du nur eine kleine amüsante Affäre zwischendurch warst. Schon nach wenigen Tagen kann ich dich nicht mehr ertragen. Jay und ich werden in unser gemeinsames Leben zurückkehren. Und was zwischen ihm und mir ist, geht dich nach wie vor nichts an!“, schließe ich und sehe den Schmerz in seinen Augen aufflackern.
„Na, wenn das so ist. Viel Spaß. Hoffentlich kann er es mit dir aushalten. Ich bin ebenfalls froh dich los zu sein!“, sagt er verbittert und wirft mir einen verächtlichen Blick zu.
Ich kann seinem Blick nicht mehr standhalten und drehe mich um.
Ich bin ebenfalls froh dich los zu sein. Ich bin ebenfalls froh dich los zu sein. Bei jedem Schritt hämmern sich die Worte mehr in meinen Kopf. Mein Herz droht zu zerreißen. Ich beginne zu Rennen und auch meine Tränen können endlich ungehindert fließen.
Verschwommen sehe ich auf einmal die alte Hütte vor mir.
Auch dieses Mal lasse ich mich dort schwer atmend und zitternd fallen. Ich schluchze und ringe nach Luft, aber ich kann wieder schlecht atmen.
Bei dir weiß man ja nie an was man ist. ... Es würde mich nicht wundern, wenn du gleichzeitig auch mit diesem Jay in die Kiste hüpfen würdest. ... Ich bin ebenfalls froh dich los zu sein.
Seine Worte treffen mich hart und schnüren mir die Luft ab. Scheinbar habe ich mich in ihm getäuscht. Er hat mich nicht so sehr geliebt, wie ich ihn. Jedes meiner Worte tut mir so unsagbar leid. Aber würde es ihm genauso gehen hätte er mich nie einfach gehen lassen.
Panisch versuche ich immer wieder tief durchzuatmen. Aber ich schaff es einfach nicht mich zu beruhigen. Ein Schwindel erfasst mich und dann ist alles schwarz.
Endlich Ruhe. Endlich kein Schmerz mehr. Endlich frei.
23.
*William*
Ich habe sie seit dem Streit am See nicht mehr gesehen. Ich mache mir permanent Vorwürfe. Kein Wort habe ich ernst gemeint und ich verfluche mein loses Mundwerk. Keine Ahnung, wohin Amy verschwunden ist, aber sie würde mich auch nicht sehen wollen.
Nachdem ich ihren 'besten Freund' informiert habe, dass sie nach dem Streit abgehauen ist, hat er sich mit Ben sofort auf den Weg gemacht. So besorgt wie er ausgesehen hat, könnte ich mich selbst für meine Dummheit schlagen. Ich habe mir in meinem Leben noch nie so viele Sorgen gemacht. Ruhelos versuche ich mich schon seit Stunden zu Hause mit Sport abzulenken. Ein paar Mal hatte ich die Türklinke schon in der Hand, aber ich wäre der Letzte, der Amy jetzt helfen könnte.
Jedes ihrer Worte hat mich unglaublich hart getroffen. Sie war die erste, die ich wirklich mit meinem ganzen Herzen geliebt habe. Aber scheinbar war diese Liebe nur einseitig vorhanden.
Doch der Schmerz in ihren Augen, nach meinem letzten Satz war echt. Sie war so erschüttert und verletzt, dass sie für ein paar Sekunden ihre wahren Gefühle nicht vor mir verbergen konnte.
Aber jetzt ist ja dieser Jay da. Ich schlage blind vor Wut auf den Boxsack ein.
Jay und ich werden in unser gemeinsames Leben zurückkehren. Und was zwischen ihm und mir ist, geht dich nach wie vor nichts an!
Warum sagt sie sowas? Liebt sie ihn wirklich? Aber warum hat sie dann überhaupt mit mir geschlafen? Weil du ein kleine amüsante Affäre zwischendurch warst, gebe ich mir selbst die Antwort.
Wenigstens ist Amy für immer die Frau der Premieren. Sie war die erste Frau, die mich schon im ersten Moment umgehauen hat. Sie war die erste, die ich nicht mit meinem Anmachspruch rumbekommen habe. Sie war die erste, die ich wirklich geliebt habe. Sie war die erste, die Sex zu etwas unglaublich Besonderem gemacht hat. Und sie war die erste, die mich so sehr verletzten konnte.
Wie von Sinnen prügle ich auf den Boxsack ein. Meine Schreie werden lauter, verzweifelter, aggressiver. Erschöpft lasse ich mich auf den Boden fallen. Meine Wangen sind nass von Tränen und Schweiß. Noch eine Premiere: Sie ist die erste, wegen der ich geweint habe.
So schlecht ging es mir noch nie und ich weiß nicht, ob mein Herz diese Belastung dauerhaft aushält. Ich stehe wieder auf und stelle mich in der kleinen Umkleide vor den Spiegel.
„Glückwunsch, O'Connor. Du siehst scheiße aus, bist ein mieses Schwein und hast die Frau, die du liebst verloren. Applaus.“, sarkastisch betrachte ich mich. Wütend wische ich die Tränen weg und beschließe einfach nichts zu tun. Jetzt ist eh alles egal. Weder meine Arbeit, noch meine Freunde und Familie scheinen im Moment wichtig.
Verschwitzt gehe ich ins Schlafzimmer und schmeiße mich auf das Bett.
Mein Blick fällt auf das kaputte Shirt, welches von ihrem provisorischen Verband übrig geblieben war. Ich hebe es auf und atme tief ein. Ihr unverwechselbarer Geruch hängt darin und ich wünsche mir mehr, wie vorher, dass sie jetzt bei mir ist und der Streit nie passiert wäre.
„Schmeiß das Shirt in die hinterste Ecke seines Schrankes und konzentriere dich auf die wirklich wichtigen Dinge. Du konntest vorher auch ohne sie leben, also wirst du das jetzt auch hinbekommen.“, rufe ich mich selbst zur Ordnung und mache mich auf den Weg zum Bad.
Nach einer entspannten Dusche sieht die Welt bestimmt gleich ganz anders aus. Dann kann ich mich auf den Weg zu Josh machen. Der wird mir helfen sie zu vergessen!
*Amanda*
Jay streicht mir monoton über den Kopf.
„Ich habe uns zwei Plätze für den nächsten Flug nach Mitara besorgt. Geh duschen, ich pack in der Zeit unsere Koffer. In ein paar Stunden sind wir wieder zu Hause.“, er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und betrachtet mich besorgt. Auf mein Nicken hin reicht er mir ein neues Shirt und eine Jeans und ich fliehe förmlich aus dem Zimmer.
Nachdem Ben und er mich gefunden haben, sind sie zum Thompson-Haus und haben sie liebevoll um mich gekümmert. Aber ihre besorgten Blicke sind nicht mehr zu ertragen und ich war froh, als zumindest Ben wieder gehen musste. Jay und er haben ständig geflüstert und zweifellos ging es um mich.
Ich steige in die Dusche und lasse das warme Wasser auf meinen Körper prasseln. Doch es kommen auch wieder Tränen und ich gebe mir keine Mühe sie zurückzuhalten. Erschöpft lasse ich mich die kalten Fliesen der Dusche hinuntergleiten und weine schluchzend vor mich hin.
Zwei starke Arme greifen nach mir und ich werde in ein weiches Handtuch gewickelt. Ich erkenne Jay, der mich fest in seinen Armen hält und mich einfach weinen lässt. Als ich aber immer noch keine Anstalten mache aufzuhören und mich anzuziehen, löst er sich langsam von mir und streift mir vorsichtig die Kleidung über. Auch mein Haare föhnt er ein wenig, bevor er mir mein Schminktäschchen reicht.
„Ich denke du solltest nicht so verheult aussehen, wenn du dich dich verabschiedest.“, sagt er und verlässt das Bad wieder.
Also überschminke ich meine roten, verquollenen Augen und gebe mich mit einen halbwegs akzeptablen Ergebnis zufrieden.
Im Flur steht Jay mit unseren Koffern und schiebt mich die Treppe runter.
„Ben fährt uns zum Flughafen.“, erklärt er und tatsächlich steht Dans bester Freund vor dem Haus.
Am Restaurant steigen wir wieder aus und ich wappne mich innerlich bereits vor dem Unvermeidlichen.
Lass dir nichts anmerken. Sag einfach, dass du aus beruflichen Gründen früher los musst. Keine unnötig langen Konversationen!
Schnell kann ich meinen Bruder zwischen den andere Gästen ausmachen. Anscheinend sind die meisten bereits gegangen und ich bin froh darüber.
Ich tippe ihm auf die Schulter und er sieht mich überrascht an.
„Dan, wir müssen schon los. Unser Flieger geht in zwei einhalb Stunden. Ben fährt uns zum Flughafen.“, informiere ich ihn.
„Warum müsst ihr denn jetzt schon los?“, fragt mein Dad, der hinter ihm auftaucht.
„Und warum fährt Ben euch? Wir hätten das auch machen können.“, meint Josy, die mit Lilly auf dem Arm in der Nähe steht.
„Es ist beruflich. Und ihr habt doch hier die Taufe, da können wir euch wohl kaum zumuten uns noch zum Flughafen zu fahren.“, beschwichtige ich sie und umarme meine Schwägerin in die als erstes. „Schade“, kommentiert sie unseren Abschied und ich gebe meiner Nichte einen Kuss auf die Stirn. Lächelnd streckt sie ihre Arme nach mir aus und ich nehme sie auf den Arm.
Mit ihr zusammen drücke ich auch meinen Dad, der mich traurig ansieht.
„Wir sehen uns viel zu selten, Schätzchen. Du solltest wieder nach Mitara zurückkehren.“, sagt er und ich sehe ihn nur stumm an. Tränen treten in meine Augen und ich wische sie schnell weg.
Dann schließe ich auch meinen Bruder in die Arme.
„Du weißt, dass ich dir kein Wort glaube. Ich habe so eine Ahnung, was du jetzt vor hast. Aber ich hoffe dir ist bewusst, dass du Dad das Herz brichst. Josy, Lilly und ich werden dich ebenfalls schrecklich vermissen. Wende dich nicht wieder von uns ab. Wir sind dein Familie, wir lieben dich.“, flüstert er mir ins Ohr und eine Träne rollt über meine Wange.
„Ich weiß was ich tue. Du hast deine eigene Familie. Vergiss nie, wie viel Glück du hast! Ich liebe dich.“, antworte ich ebenso leise, hauche einen Kuss auf seine Wange und übergebe ihm meine kleine Nichte, die ich vorher nochmal an mich drücke.
„Ich liebe euch.“, wiederhole ich nochmal laut und verabschiede mich dann mit Jay zusammen von allen anderen.
Die Fahrt zum Flughafen verläuft schweigend und erst vor der Sicherheitskontrolle verabschieden wir uns auch von Ben.
„Danke, dass du bis jetzt geschwiegen hast und immer noch schweigst. Und danke, dass du da warst. Leb wohl.“, schniefe ich mühsam und er drückt mich fest an seine Brust.
„Danke auch von mir. Ciao.“, sagt Jay und die beiden umarmen sich auch kurz.
„Danke, dass du für die Kleine da bist.“, bedankt sich auch Ben bei meinem besten Freund und drückt mir nochmal einen Kuss auf den Kopf.
Dann machen Jay und ich uns auf zum Flugzeug.
Bereits kurze Zeit später sitzen wir in unseren Sitzen und die Tränen fließen wieder unaufhörlich.
Jay hält mich im Arm und muss mehrfach die Stewardess beruhigen, dass mit mir wirklich alles in Ordnung ist.
Jetzt ist es endgültig. Will wird ein Leben mit einer besser Frau anfangen. Seine Wut auf mich wird das winzige bisschen Zuneigung, was er mir gegenüber empfunden hat, verschwinden lassen.
Mein Dad hat Lilly, Dan, Josy und seine Kanzlei, die ihn komplett vereinnahmen.
Dan und Josy haben sich und ihre kleine Tochter, sowie einen Berg an Freunden.
Tommy kann endlich mit Eve glücklich werden und ich muss nie wieder in diese Stadt zurückkehren.
Etliche Kilometer entfernt werde ich mein altes Leben weiterführen. Es kommt mir so vor, als wären wir monatelang hier gewesen, dabei waren es nur sechs Tage.
Aber auch wenn ich das Gefühl habe einen Teil von mir hier zu lassen, werde ich wieder die alte Amanda. Die Frage ist nur, ob ich die Amanda werde, die ich noch vor der Beziehung war oder die nach der Trennung von Tommy?
Aber eins steht fest: Egal wie mein Leben sich verändern wird, irgendwann werde ich über Will hinweg sein und dann kann ich mein Leben endlich wieder in vollen Zügen genießen!
Cover: meins
Text: meins
Korrektur etc.: ERROR1.3 & Emily
Alle Rechte vorbehalten.
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Tag der Veröffentlichung: 01.01.2015
Alle Rechte vorbehalten