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Erster Teil

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wer mit mir gehen will, der muss sich und seine Wünsche aufgeben. Er muss sein Kreuz auf sich nehmen und mir auf meinem Weg folgen.“

(Matthäus 16, 24)

Aufruf zum Krieg

Papst Urban II. („der Städter") hieß mit bürgerlichen Namen Eudes de Châtillon.

Eudes de Châtillon entstammte einer Adelsfamilie aus Châtillon-sur-Marne. Er besuchte die Kathedralschule in Reims (Frankreich) und wurde später Domherr und Erzdiakon der Kathedrale. Dann wurde Eudes Kanoniker an der St. Johannes Kirche in Rom. Von 1082 bis 1085 n. Chr. diente er dann der Kurie als päpstlicher Legat in Frankreich und Deutschland. Am 12. März 1088 wurde er vom Konklave in Terracina zu Papst Urban II. gewählt.

Seit der Mitte des elften Jahrhunderts bedrängten die muslimischen Seldschuken das Byzantinische Reich; Ende des elften Jahrhunderts hatten die Seldschuken bei Manzikert in Anatolien das byzantinische Heer vernichtend geschlagen, und ein Jahr darauf, Jerusalem, die bedeutendste Stätte der Christenheit, erobert und auch Antiochia, dass etwas später in die Hände der Seldschuken gefallen war. Die Byzantiner konnten dem Druck der Türken nicht länger standhalten und baten den Westen um Hilfe für die morgenländischen Christen gegen den Islam.

Eine Synode in der Kathedrale der französischen Stadt Clermont statt.  Fast 35.000 Menschen waren seinem Ruf gefolgt. Neben 4000 Geistliche, unter ihnen 200 Bischöfe aus Italien, Spanien und Frankreich, war unter anderem auch eine byzantinische Gesandtschaft angereist. Der byzantinische Kaiser AlexiosI. Komneos hatte einen Hilferuf an den Papst Urban II. gesendet. Dass sich der Mann aus Byzanz nicht an den Gegenpapst Clemens III. gewandt hatte, den der römisch-deutsche Kaiser Heinrich IV. stützte, sondern an Urban, muss für diesen ein enormer diplomatischer Erfolg gewesen sein. Als der Gesandte des byzantinischen Kaisers Alexios I. mit Berichten über die Bedrohung der Sicherheit der Christen durch die Seldschuken und um der Bitte von Waffenhilfe der Christen gegen die Muslime an ihn gelangten, nutzte Urban II. diese Berichte, um einen Kreuzzug gegen die Muslime auszurufen. Im Vorfeld wurde bereits verbreitet, dass der Papst ein Ereignis von großer Bedeutung für die Christenheit verkünden würde. Tausende waren zusammengeströmt, so dass die Verkündung nicht in der Kathedrale, sondern vor dem Osttor der Stadt stattfinden musste.

 

Die Nonne

Der Zug war lang, schon von weitem konnte ich ihn sehen. Staub wirbelte auf. Es waren die Pilgerfahrer, die da auf unsere Stadt zukamen. Ich war schon sehr gespannt auf sie. In Köln, wo ich mich befand, da hatten wir schon einiges von ihnen gehört. Von Frankreich kommend kamen im April im Rheinland an, waren aber schon so mittellos, dass sie auf Lebensmittelspenden der Kölner Bevölkerung angewiesen waren. Zusätzliche Geldmittel wurden durch Gewaltandrohung erpresst. Noch bevor sie die eigenen Landesgrenzen überschritten hatten, kam es zu ersten Massakern und Plünderungen.

Ich war eine Nonne und ich fühle mich noch immer noch als Nonne. Ich wurde von meinen Herren dazu berufen, ich fühlte mich auch berufen eine Nonne zu sein, obwohl gerade mein Vater es nicht verstehen konnte, dass ich ins Kloster ging. Es war mir ein Anliegen. Das Leben am Land ist nicht immer leicht gewesen, wir waren Bauern, wir bearbeiteten den Boden, züchteten Vieh. Reich waren wir nie, eher arm. Essen gab es, nicht immer genug, manchmal zu wenig. Krankheiten rafften einige meiner Brüder dahin, auch eine Schwester starb. Schließlich blieb nur noch eine Schwester über, die jünger ist als ich, kleiner und zerbrechlicher.

Und Er ist wie ein Baum gepflanzt an Bächlein der Wasser, der seine Frucht gibt zu seiner Zeit und seine Blätter welken nicht, und alles, was er tut, gelingt. So hatte ich mir Gott vorgestellt, diesem Gott wollte ich dienen, ihm folgen, ihm gehorchen, ein guter Christenmensch sein.

Vater und Mutter arbeiteten von Tagesanbruch bis spät in die Nacht. Die Felder mussten bestellt werden, das Vieh versorgt. Die Pacht musste bezahlt werden und der Graf, dem das Land gehört, verlangte immer mehr. Da wurde Mutter krank, es war für uns eine Katastrophe. Sie hustete stark, konnte kaum noch gehen. Der Husten wurde immer schlimmer, sie bekam kaum noch Luft, dann spuckte sie Blut. Geld hatten wir kaum eines, nur einige Münzen. Vater schickte mich zum Arzt. Der kam – widerwillig -, sah sich meine Mutter an, die auf dem Bett lag, weiß wie ein Leintuch, ein Tuch vor ihrem Gesicht hielt, dass rot vom Blut war. Der Arzt untersuchte sie, dann gab er ihr eine Medizin. Schnell verabschiedete er sich, er wollte nur weg.

Ich kümmerte mich um meine Mutter. Täglich wurde ihr Zustand schlechter. Vater war nicht da, er musste auf das Feld gehen, arbeiten, ich auch, aber jetzt war einmal meine Mutter wichtiger. Sie wurde schwächer und schwächer. Das Tuch vor ihrem Gesicht wurde immer dunkler, die Fliegen immer lästiger. Sie starb in meinen Armen. Da hörte ich den Ruf des Herren. Ich sah das Zeichen. Es war auf ihrer Stirne gezeichnet. Da entschloss ich mich ins Kloster zu gehen.

Und jetzt stand ich da und erwartete die Pilger.

 

Peter der Einsiedler

Der Zug kam näher. Ich konnte sie schon erkennen. Es kam mir ein vor als würde sich ein Lindwurm auf unsere Stadt sich zubewegen: Menschen jedes Alters, die meisten zu Fuß, nur wenige, Ritter die auf dem eigenen Ross saßen. Frauen und Kinder, Gauner und Betrüger. Ochsenkarren. Maultiere. Gestank nach Schweiß und Kot. Blitzende Waffen, Schwerter, Spieße, Äxte, Sensen. Ein Kreuz. Allen voran Peter der Einsiedler, auf einen Esel. Peter der Einsiedler ist ein Niemand: Peter der Einsiedler heißt er im Volk, weniger respektvoll nennt man ihn der kleine Peter. Er ist ein Mönch aus der Gegend von Amiens, er hatte eine schwarzbraune Haut, langes, hageres Gesicht. Er ist ein umherziehender Prediger, der weder Brot noch Fisch isst, jedoch Fleisch und Wein nicht verschmäht, er sammelte eine bunt gemischte, schlecht ausgerüstete Menge von Bauern, auch Frauen und Kindern, vor allem vom wirtschaftlich besonders gebeutelten Niederrhein und brachen Anfang des Jahres 1096 in Richtung Jerusalem auf. Peter der Einsiedler ist schon bald nicht mehr allein. Er sammelt seine Anhänger, Reiche wie Arme, vor allem Arme, Männer und auffallend viele Frauen. Sie haben alles aufgegeben, Stand und Beruf, Familie, Haus, Menschen. Viele von ihnen hatten noch nie ihre Heimatstadt verlassen, sie hatten noch nie einen Fremden gesehen, geschweige denn, jemanden in einer fremden Sprache reden hören. Es sind Menschen die sich auf dem Weg machen, eine neue Heimat zu finden, es sind Auswanderer.

Peter der Einsiedler war ein klein gewachsener Mann, der barfüßig, mittleren Alters, in einer schmutzigen Kutte predigte. Auf zum Kreuzzug! Sofort! Jeder soll sich anschließen, vom Grafen bis zum Bettelmann. Eine solche Botschaft wurde noch nie gehört.

Er war arm, arm wie wir, arm wie ich, aber trotzdem hatte er sich entschlossen zu diesem Kreuzzug der Armen, ins Heilige Land, es zurückzuerobern, zu holen was uns gehört. Er war nicht besonders groß, eher klein. Hinter ihm kamen die Grafen, Ritter, Knappen, Knechte, Bauern, Frauen, Kinder, Wagen die von Ochsen gezogen werden. Der Zug war lang. Einige tausend Menschen hatten sich zusammengefunden um ins Heilige Land zu ziehen. Hier, in Köln, werden sie Rast machen. Das freute mich. Ich verehrte Peter den Einsiedler. Ich fühlte mich ihm verwandt. Er hatte nichts – so wie ich.

Ein abgerissener Mönch, der einige Zeit lang gepredigt hatte, durch Frankreich und Deutschland zieht, stellte aus dem Nichts eines der größten Heere der Christen, des Abendlandes auf. Als Peter der Einsiedler in Köln eintraf, da folgten ihm 15.000 Männer und Frauen.

Gottfried von Bouillon, dem Herzog von Niederlothringen, der gelobte hatte auf dem Weg nach Jerusalem den Tod Christi mit dem Blut der Juden zu sühnen, dadurch wurde die Stimmung im Volk angeheizt. In Köln lebten sehr viele Juden. Der Oberrabbiner aus Mainz, Rabbi Kalonymos ben Meschullam, schrieb deshalb im Auftrag der rheinischen Gemeinden an den obersten Lehnsherrn des Herzogs, Kaiser Heinrich IV., da dieser den Juden stets Schutz gewährt hatte. Er bat ihn eindringlich darum, die Verfolgung von Juden zu verbieten. Woraufhin der Kaiser aus Italien all seinen weltlichen wie geistlichen Lehnsleuten ein Schreiben zukommen ließ, in dem sie aufgefordert wurden Übergriffe zu verbieten und die Sicherheit der Juden zu gewährleisten. Aber da der Kaiser wegen des Investiturstreites in Italien festgehalten wurde, gaben die beiden jüdischen Gemeinden von Mainz und Köln Gottfried von Bouillon jeweils 500 Silberstücke, um ganz sicher zu gehen. Sie erkauften sich quasi ihren Frieden. Jedoch waren sie dadurch nur vor dem lothringischen Herzog und seinen Anhängern sicher, nicht aber vor anderen Herren und vor allem nicht vor dem Pöbel in der eigenen Stadt. Nach Ostern war es in den Gemeinden, fast alltäglich, dass Juden auf offener Straße verfolgt wurden. Alte jüdische Männer, die schon an ihrer Kleidung und an ihren Bärten gut zu erkennen waren, wurden aufgegriffen und eingeschüchtert, dann schnitt man ihnen die Bärte ab. Die langen Bärte sind noch heute gerade bei älteren Juden ein Zeichen der Würde und Weisheit, folglich wurden die Männer denen man die Bärte abschnitt entwürdigt und vor allen gerade zufällig Anwesenden lächerlich gemacht. Das war uns aber ganz egal.

Verräter. Sie haben unseren Herren Jesus Christus verraten. Sie gehörten nicht hierher, nicht zu uns, nicht unter uns. Sie gehörten in die Hölle, dort sollten sie schmoren bis zum jüngsten Tag.

Auch Peter der Einsiedler mochte die Juden nicht! Die Pilgerfahrer wollten sie schon gar nicht. Die Juden lebten in einem Stadtteil, dort sollten sie auch bleiben. Welcher aufrechte Mensch mochte schon Verräter? Es gab Streit. Ein Pilgerfahrer stritt mit einem Juden. Der Pilgerfahrer meinte, dass ihm der Jude übers Ohr gehauen hatte, der Jude stritt das ab. Natürlich, dass kannten wir schon! Die Juden waren Schlitzohren und wenn sie betrügen können, dann taten sie das auch.

„Verfluchter Wucherer!“, riefen die Kölner, die mit ihrer Wortwahl sich nicht zurückhielten.

Die Juden versuchten sich zu wehren. Er begann an seinem Bart herum zu zupfen, nervös und ängstlich. Noch sagte er nichts, gab keine Antwort, dachte, dass sich die Aufregung von alleine wieder legen wird. Was er nicht verstehen konnte war, warum die Kölner gerade auf ihn losgingen, er hatte doch nichts verbrochen.

„Christusmörder!“

„Warum nennt ihr mich Christusmörder?“, fragte der Jude schließlich ängstlich.

„Ihr habt unseren Herren gekreuzigt. Ihr habt ihn ermordet! Ihr seid Mörder!“

„Aber das stimmt doch nicht!“, versuchte sich der Jude zu rechtfertigen.

„Schamloser Jude! “

„Jüdische Schlangenbrut!“

Wir waren alle entsetzt von diesen Juden, einige von uns begannen mit ihm zu streiten, zu schimpfen, aber der Jude, feig wie eh und je, zog seinen Kopf ein. Die Menge wurde größer, viele kamen und wollten nur sehen, was da vor sich ging. Empörte Anklagen wurden laut und voller Hass hinausgeschrien.

„Du wagst es, an diesem Tag prahlend durch den Ort zu kutschieren? Hast du etwa vergessen, dass deinesgleichen den Messias an diesem Tag durch die Straßen Jerusalems gegeißelt und auf Golgatha ans Kreuz genagelt hat? Zur Hölle mit dir und deinesgleichen, du elender Gotteslästerer!“

Der Jude dachte bei sich, dass es im Leben Augenblicke gegeben hatte, in denen er sich gefragt hatte, und das mit vollem Recht und vollem Glaube daran, ob ein friedliches Europa nicht eine Utopie ist. So wie sie, die Kölner, die Europäer, die Christen, ihn, dem Juden beschimpfen, ihn bedrohen, so kann es doch nur eine Utopie sein, dieses Europa, dieser Frieden, den es für sein Volk noch nie gegeben hatte. Er wusste, dass er daran glauben musste, ist es nicht so, dass jede Idee, auch von einem friedlichen Nebeneinander eine Utopie sein muss?

„Du und dein auf ewig verfluchtes Judenvolk, ihr habt das Blut unseres Heilands an euren Händen!“

„Ihr tut mir Unrecht, gute Leute! Nichts liegt mir ferner, als euren Glauben zu verhöhnen und eure Gefühle zu verletzen.“

„So sind sie, die Juden! Leugnen nicht nur, dass Jesus Gottes Sohn ist, sondern treten auch noch alles mit Füßen, was uns heilig ist! “

Der jüdische Händler versuchte verzweifelt die auf gebrachte Menge zu beruhigen. Einige Kölner begannen ihn jetzt auch noch körperlich zu bedrohen. Der Jude wurde umringt von der Menge, die ihn immer mehr einschloss. Er sah in die Gesichter der Männer, der Frauen und er wusste, dass es für ihn sehr gefährlich geworden war. Er fragte sich nur, warum er nicht weggelaufen ist, sobald diese ganze Menge auf ihn aufmerksam geworden war. E kannte die Menschen in Köln und viele kannten ihn. Er wusste, dass der Kölner nicht immer nur gut ist, und, so wusste er, kein Kölner ist immer nur schlecht. Jeder Mensch hat zwei Seiten. Er sah in die Augen der Menschen und er wusste, dass er die böse Seite sah.

Ein Kölner schlug zu, mit der Faust. Der Jude taumelte zurück, fiel fast, konnte sich aber noch auf den Beinen halten, taumelte. Sie waren alle näher gekommen, umkreisten ihn, schlugen auf ihn ein. Der Jude wusste, was er zu erwarten hatte. Sie schrien ihn an, beschimpften ihn. Er wusste, dass Leben in ihren Mündern bedeutet, dass er sich mit ihnen beschäftigte. Sie wussten aber nicht, dass es mehr als eine Art zu leben gibt. Wieder traf ihn ein Schlag, diesmal fiel er nieder, krabbelte im Staub, die Menge schrie auf, endlich war das Judenschwein zu Boden gegangen, lag im Staub, im Dreck, dort, wohin er gehört. Sie traten ihn mit den Füßen. Blut rann aus seinem Mund und seiner Nase. Der Jude dachte nur an eines, dass er bald sterben wird müssen, niedergetrampelt von dieser Menge. Für ihn war tot sein nicht mehr lästig, wenn er darauf verzichtet, so zu tun, als sei er am Leben. Er konnte sich kaum noch rühren, seine Augen waren zugeschwollen von diesen vielen Fußtritten, die ihn immer wieder trafen. Da trat ein Mann aus der Menge.

„Lasst mich durch!“, rief er laut und deutlich. Die Menge wich vom Juden zurück. Der Pilgerfahrer machte kurzen Prozess mit dem Juden – er schlug ihm mit seinem Schwert den Kopf ab, dann hob er den Kopf auf und hielt ihn triumphierend in der Hand. Er rief: „Nieder mit dem jüdischen Gesindel!“ Alle Pilgerfahrer, die herumstanden und auch andere Kölner, aus meiner Heimatstadt, riefen laut: „Haut sie zusammen.“ Das war der Auslöser gewesen, das Blutbad begann. Sie griffen nach ihren Waffen und wer keine Waffe hatte, der griff nach einem Stein, Messer, Sense, Knüppeln oder sonst etwas das griffbereit herumlag. Wir, und hier muss ich gestehen, dass ich auch mittat, wir griffen die Juden an, drangen in ihre Häuser ein, schleiften sie heraus, schnitten ihnen die Kehlen durch, warfen ihre leblosen Körper auf die Straße. Wir hausten wie die Vandalen. Bald war die Straße voller Toter. Wir zogen durch die Stadt, wir waren wie der Zorn Gottes, wir machten alles nieder. Die Frauen wurden vergewaltigt, kein Kölner und kein Pilgerfahrer ließ sich das entgehen. Ich hörte Schreie der Frauen, die vergewaltigt wurden, oft von vielen Männern, aber das störte niemanden. Niemand wurde geschont, Mädchen, Kinder kamen auch an die Reihe. Zum Schluss wurden ihnen die Kehle durchgeschnitten. Ich war wie im Rausch – ein Blutrausch.

Die Pilger plünderten die Häuser, raubten den Juden alles was sie im irdischen Leben besessen hatten, dort im Jenseits, da brauchten sie nichts mehr. Meine Soutane war voller Blut, ich schwitzte, das Töten machte viel Arbeit. Ich war müde. Am Abend hatten wir alle Juden erschlagen. Ausgeraubt. Vernichtet. Wir hatten die Mörder von Jesus hingerichtet, diese Erkenntnis tat mir und uns gut. Wir hatten das Gefühl, etwas großes getan zu haben.

Ich war so aufgeregt, dass ich mich den Pilgerfahrern anschloss. Auch ich wollte das Heilige Land zurückerobern. Die Ungläubigen mussten bekehrt werden. Sie mussten den einen, den rechten Glauben annehmen.

Und eines Tages, zu Beginn des Frühlings, zogen wir los. Wie immer war Peter der Einsiedler an der Spitze des Zuges. Er hatte sich nicht verändert, noch immer ritt er auf seinen Esel, auch sein Gewand hatte sich nicht verändert, er hatte sich an dem Tod der Juden nicht bereichert, wie so viele andere Gläubige. Sie riefen „Deo lo volt! - Gott will es!“ und schlachteten sie ab. Er hatte in Köln gesprochen, hatte eine Messe gehalten und er hatte mit scharfen Worten gesprochen, so dass sich viele den Pilgerzug ins Heilige Land anschlossen. Darunter war auch ich. Ich wollte weg, wollte etwas für meinen Herren Jesus Christus tun, etwas das mir Lob und Ehre einbringen würde.


Der Kreuzzug der Armen

Was Papst Urban II. in Clermont gesprochen hatte, wusste ich damals nicht, ich war ja in Köln gewesen, aber mein lieber Freund Peter der Einsiedler hatte es mir berichtet. Heute weiß ich, dass es eine Brandrede war. Peter der Einsiedler hatte uns eine Kurzfassung von dieser Rede gegeben.

Es darf angenommen werden, dass Peter der Einsiedler sich nicht in Clermont aufgehalten hatte, als Papst Urban II. dort predigte. Er muss allerdings davon gehört haben, nur kurze Zeit später und er begann selbst zu predigen. Und er ist ein begnadeter Redner.

Wenn Peter der Einsiedler nicht seine schmutzige Kutte angehabt hätte, nicht auf seinem Esel geritten wäre -, er wäre nicht aufgefallen. Aber er hatte einmal diese Kutte und er ritt auf seinem Esel, wenn er dann auch noch anfing zu predigen, war es um seine Zuhörer geschehen. Er hatte dieses ganz gewisse Charisma, das manche Menschen umgibt, die gar nichts dafür können, sie haben es einfach, so wie sie Haare auf dem Kopf haben.

Ein anderer, einer von den Jüngern, sagte zu Jesus: „Herr, erlaube mir, erst noch meinen Vater zu begraben.“ Aber Jesus erwiderte: „Geh mit mir! Überlasse es den Toten, ihre Toten zu begraben!“

Und er begann für die Menschen zu rezitieren, was Papst Urban in Clermont gesagt hatte: „Er, Urban, oberster Pontifex und mit Gottes Duldung Prälat der gesamten Welt, ist in dieser Zeit drängendster Not zu uns, den Dienern Gottes in diesen Gebieten, als Überbringer göttlicher Ermahnung gekommen. Denn wenn einer verschlagen und unredlich ist und sich weit von einem Maß an Vernunft und Gerechtigkeit entfernt hat und das Gesetz Gottes vereitelt, dann werde er ihm mit göttlicher Unterstützung Mühe geben, ihn zurechtzuweisen. Denn der Herr hat uns zu Haushaltern Seiner Hofhaltung gemacht, auf dass wir Ihn, wenn die Zeit naht, mit Speise maßvoller Würze versehen können. Mit den Worten des Evangeliums: ‚Ihr seid das Salz der Erde’, soll er den Gläubigern zugerufen haben. Es tut Not, dass wir die Unwissenden, die allzu sehr nach den Lüsten der Welt trachten, mit dem Linderung verschaffenden Salz unserer Weisheit bestreuen. Sonst werden wir durch ihre Vergehen verfaulen und unbestreut angetroffen werden, wenn der Herr zu uns spricht. Denn wenn Er wegen unserer trägen Pflichterfüllung Würmer in uns entdeckt, das heißt Sünden, wird Er uns, in den Abgrund der Hölle werfen lassen. Denn einer, der ausstreut, sollte klug, weitblickend, maßvoll, gelehrt, friedensstiftend, wahrheitssuchend, fromm, gerecht, unparteiisch und rein sein. Denn wie kann einer, der den Frieden hasst, Frieden herbeiführen? Oder wenn einer befleckte Hände hat, wie kann der jene reinwaschen, die durch andere Verunreinigung beschmutzt sind? Denn es steht doch geschrieben:‚Wenn aber ein Blinder den andern führt, so fallen sie beide in die Grube.' Wir sollten zusehen, dass die Angelegenheiten der Kirche getreu ihrem Gesetz bewahrt werden, so dass simonische Häresie durch nichts unter uns Wurzeln schlägt. Wir sollten darauf achten, dass die Kirche in all ihren Rängen gänzlich frei von weltlicher Macht sei, veranlassen, dass der Zehnte aller Gaben der Erde gewissenhaft an Gott abgetreten wird, und wir sollten nicht zulassen, dass er verkauft oder einbehalten wird. Wer auch immer sich an einem Bischof vergriffen hat, solle verflucht sein. Wer immer sich an Mönchen oder Priestern oder Nonnen und ihren Dienern oder Pilgern und Händlern vergriffen hat und sie beraubt hat, möge verflucht sein. Diebe und wer Häuser niederbrennt und ihre Komplizen sollen aus der Kirche verbannt und exkommuniziert werden. Durch diese Sünden, hattet wir die Welt lange Zeit in Unordnung geraten sehen, und ganz besonders in manchen Teilen unserer Provinzen, wie man uns erzählt hat. Vielleicht aufgrund unserer eigenen Schwäche, Recht zu sprechen, wagt sich kaum noch einer, der auf Sicherheit baut, auf den Straßen zu reisen, aus Angst, am Tag von Räubern heimgesucht zu werden oder in der Nacht von Dieben, mit Gewalt oder Hinterlist, zu Hause oder draußen. Weil wir Ihm, gelobt haben, untereinander Frieden zu halten und für die Rechte der heiligen Kirche aufrichtiger als bisher treu einzustehen, verbleibt uns eine wichtige Aufgabe, die jüngst durch göttlichen Eingriff wachgerüttelt sich sowohl für Euch als auch für Gott ziemt, bei der Ihr die Ernsthaftigkeit unseres guten Willens erweisen könnt. Denn wirr müssten uns sputen, um unseren im Osten lebenden Brüdern, die unsere Unterstützung brauchen, Hilfe zu bringen. Denn die Türken, ein persisches Volk, hätten sie angegriffen, wie viele von uns bereits wissen, und sind bis zu jenem Teil des Mittelmeers, den man den Arm des heiligen Georg nennt, auf römisches Territorium vorgedrungen. Sie haben immer mehr Länder der Christen an sich gerissen, haben sie bereits siebenmal in ebenso vielen Schlachten besiegt, viele getötet oder gefangengenommen, haben Kirchen zerstört und haben Gottes Königreich verwüstet. Wenn wir ihnen gestatten, noch viel länger weiterzumachen, werden sie Gottes gläubiges Volk auf weiter Flur unterwerfen. Und deshalb ermahne er, nein, Gott ermahnt uns als inständige Herolde Christi mit aufrechter Bitte, Männer jeglichen Standes, ganz gleich welchen, Ritter wie Fußkämpfer, reiche und arme, wiederholt aufzufordern, diese wertlose Rasse in unseren Ländern auszurotten und den christlichen Bewohnern rechtzeitig zu helfen. Jene, die leichtfertig einen persönlichen Krieg gegen die Gläubigen zu führen pflegen, mögen nun gegen die Ungläubigen in einen Krieg ziehen, der jetzt begonnen und siegreich zu Ende gebracht werden sollte. Jene, die lange Räuber gewesen sind, mögen nun zu Streitern Christi werden. Die, die einst gegen Brüder und Verwandte kämpften, mögen nun rechtmäßig gegen Barbaren kämpfen. Jene, die käuflich gewesen sind für einige Stücke Silbers, sollen nun ewigen Lohn empfangen. Jene, die sich selbst zum Nachteil von Körper und Seele erschöpft haben, sollen nun um doppelten Ruhm arbeiten. Zur einen Hand, fürwahr, werden die Traurigen und die Armen sein, zur anderen die Fröhlichen und die Wohlhabenden, hier die Feinde des Herrn, dort Seine Freunde.“

Dies hatte uns Peter der Einsiedler erzählt. Was immer er tat oder sagte, schien direkt von Gott zu kommen, so hatte ich den Eindruck. Ich war sehr überrascht, mit welcher Schärfe Papst Urban II. gesprochen hatte. Urban hatte seine Rede sehr eloquent, rhetorisch geschickt, schilderte er die angebliche Unterdrückung und grausame Verfolgung der christlichen Brüder durch Muslime, die ‚Feinde Gottes’, wie sie hießen. Und er beschwor die Menschenmenge, ganz im Sinne von Alexios, endlich gegen sie zu marschieren. „Nicht ich bin es, der euch ermutigt“, rief er aus, „es ist der Herr. Zu den Anwesenden spreche ich, den Anwesenden befehle ich, doch Christus herrscht.“

Und Urban erinnerte an ein Bibelwort Jesu beim Evangelisten Matthäus: „Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.“

Die Rede des Papstes sollte schon bald ungeheure Folgen haben, zumal da er andeutete, der Zug in die Levante könnte ein Akt der Buße für Sünden sein und in der Stunde des Todes würden sie gar erlöschen. Ewiges Leben also stand in Aussicht.

Der Papst hatte es auch ausgesprochen, wer sich an diesem Kreuzzug beteiligen wird, der ist alle seine Sünden los, sein Reichtum wird ihm erhalten, er braucht nichts zu fürchten. Und vor allem, alle die diese Reise nicht überstehen werden, die werden in das Paradies eingehen! Und ich wollte in das Paradies eingehen. Dient Jehova mit Furcht, und frohlockt Ihm mit Beben.

Da wollte ich nicht nachstehen, nicht abseits stehen, da wollte ich mitgehen. Nicht weil ich Sünden begangen hätte. Sondern, weil ich arm war, kaum etwas zu Essen hatte. Das Kloster war schön und gut, aber diese Pilgerfahrt, dieser Kreuzzug war noch besser.

Wir hatten Köln von den Juden befreit, das war der erste Schritt. Der nächste konnte nur sein, Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen, dieser ‚feinde Gottes’ zu befreien.

Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy, „Deo lo volt!“ („Gott will es!“) und prägte so das Motto der Kreuzzüge. Nach der Rede von Urban II. kniete de Monteil vor ihm nieder und bat als erster um die Erlaubnis, in den Kreuzzugziehen zu dürfen.

 

 

Der Weg ins Heilige Land

Ich marschierte irgendwo in der Mitte der Pilger. Wie schon gesagt, war es ein wilder Haufen, der nicht immer richtig einzuschätzen war. Der Weg war weit und schwer. Die Straßen waren nicht immer in einem guten Zustand, Regen weichte den Boden auf und die Wagen sackten ein. Wir mussten ziehen, schieben wie die Ochsen. Schnee machte den Weg unpassierbar, Frauen bekamen Kinder, ganz einfach so, auf den Wägen. Sie hatten keine Zeit sich auszuruhen, kaum dass das Kind zur Welt gebracht wurde, mussten die Mütter schon wieder aufstehen und weitermarschieren. Wind und Kälte setzten uns zu. Wir froren, wir hungerten, wir dursteten, aber wir gingen weiter. Immer weiter. Nichts konnte uns aufhalten. Die Toten ließen wir am Straßenrand liegen, die Hunde und die Krähen werden sie schon fressen. So zogen wir durch Europa, nur ein Ziel vor Augen: Jerusalem!

Schon bald musste ich erkennen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.05.2015
ISBN: 978-3-7368-9551-5

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