Fünf-Wort-Geschichten
von
Bettina Wohlert
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Umschlaggestaltung Schlunz, Ritze
Fünf-Wort-Geschichten
Storys mit Wörtern aus dem Duden
von
Bettina Wohlert
Eine Idee wird geboren
Ursprünglich war es eine Herausforderung.
„Schreib doch mal einen Artikel für unsere Gemeindezeitung. Über das Sommerfest.“
Mein erster Gedanke war: laaaangweilig! Halbe DIN A5-Seite, Aufzählung von Datum, Ort und Thema, fertig. Wozu brauchen die mich? So was tippt man in zwei Minuten selber als Redakteur.
Nun war diejenige, die gefragt hat, meine beste Freundin. Und die wusste genau, womit sie mich erwischen würde, nachdem sie meine ‚übersprudelnde’ Begeisterung registriert hatte. Sie sagte dann nämlich: „Ich schick dir die Daten und noch fünf Wörter, die drin vorkommen sollen. Ich brauch den Text morgen.“
Und ich dachte nur noch Herausforderung angenommen und ganz im Sinne von Star Trek’s Scotty: Ich mach’s in 30 Minuten, Captain.
Thema des Sommerfestes war „Frohsinn und Fröhlichsein“ und die fünf Wörter waren Toastbrot, Schimmel, Autowaschen, Polka und Überraschung .
Diese hatten mit dem Thema, Ort, Einladung zu einer Gemeindeveranstaltung etc. so gar nichts zu tun, aber es hat nur 15 Minuten gedauert, bis meine Freundin Tina ihre Mail mit Text im Anhang zurückbekam. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, dass der Platz auf eine halbe DIN A5-Seite begrenzt war. Ich hab’s da ja eher – ich zitiere mal meine Erdkundelehrerin, die über 18- bis 22-seitige Klausuren gestöhnt hat – mit der „epischen Breite“.
Aus dieser ganzen „Ich brauch da mal einen Artikel“-Geschichte hat sich dann irgendwann ein Running Gag für meine Freunde entwickelt, die nichts lustiger fanden, als mir fünf irrwitzige Wörter zu geben und mich auf zwei DIN A4-Seiten und 30 Minuten zu begrenzen. Sie wollten die Storys ja ziemlich rasch lesen und nicht ein bis zwei Jahre auf den nächsten 600-Seiten-Roman warten. Und die Wörter wurden länger und komplizierter und es wurde mehr und mehr Ehrgeiz hineingesetzt, um die Wörter möglichst wenig zusammenpassend zu gestalten. Faxgerät und Postkutsche sollten ebenso schwer unterzubringen sein wie Raumstation und Aborigine.
Nun ja, ich gebe zu, dass das mit dem Zeitlimit und auch mit der maximalen Länge nicht immer hingehauen hat, mich hat es dann doch manches Mal einfach mitgerissen. Aber am selben Tag waren die Geschichten dann doch immer fertig.
Ich habe die fünf Wörter, die mir jeweils vorgegeben waren, auf eine Extraseite vor der Geschichte geschrieben. Wer also selbst die Herausforderung annehmen will, kann durchaus erst eine kleine kurze Geschichte schreiben oder im Geiste überlegen, wie man selber die Wörter ‚verbraten’ hätte.
Und ansonsten wünsche ich viel Spaß! Ich hatte ihn beim Schreiben und hoffe, Sie haben ihn beim Lesen.
Ach ja, einem Folgeband steht natürlich nichts im Wege. Ich bräuchte nur jemanden, der mich herausfordert und mir fünf Wörter gibt
1.
Fensterläden
Trimm-dich-Pfad
Spagettisauce
Haarausfall
Taschenrechner
Juliane öffnete widerwillig ein Auge. Es wurde schon hell draußen und durch die Fensterläden konnte sie das erste Tageslicht sehen. Der Radiowecker leuchtete ihr ein freundliches 05.20 entgegen. Jule klappte ihr Auge entnervt wieder zu. Wenn sie schon einmal die Gelegenheit hatte am Wochenende endlich einmal auszuschlafen, dann wurde sie garantiert zu solch einer Unzeit wach. Halbherzig wackelte sie mit ihren Zehen, um endlich ganz wach zu werden. Sicher, sie konnte sich jetzt noch die nächsten zwei Stunden im Bett herumdrehen, einschlafen würde sie allerdings nicht mehr. Das hatte noch nie geklappt. Umständlich krabbelte sie unter ihrer Decke hervor und tappte zum Fenster hinüber. Mit einer schnellen Handbewegung öffnete sie die Fensterläden und ließ die Morgensonne in das Schlafzimmer. Niclas drehte sich mit einem unwilligen Grunzen im Bett auf die andere Seite. Jule zuckte mit den Schultern. Abgesehen von dem hellen Licht würde ihn gar nichts am Weiterschlafen stören. Da könnte selbst eine Bombe neben ihm einschlagen. Sie griff nach ihrer Jogginghose. Da alle anderen noch schliefen und sie vermutlich noch im Tiefschlaf einfach aus niederem Instinkt heraus meucheln würden, wenn sie den Geschirrspüler, die Waschmaschine oder gar den Staubsauger anschmiss, und ehe sie ihre Zeit nutzlos vor dem – wie sie es immer nannte - menschheitsverblödenden Frühstücksfernsehen verbrachte, konnte sie genauso gut etwas für ihre Kondition tun. Als sie vor einigen Jahren hier eingezogen waren, hatte Niclas‘ Begeisterung für den Trimm-dich-Pfad, der hinter dem Haus entlang führte, keine Grenzen gekannt. Es war allerdings bei diesen lautstarken Begeisterungsausbrüchen geblieben. Jule konnte sich nicht erinnern, dass er jemals mitgekommen wäre, wenn sie Laufen gegangen war. Mit einer energischen Handbewegung zog sie die Schleife von ihrem Turnschuh fest. Der Pfad wurde eigentlich gar nicht mehr benutzt. Seit den siebziger Jahren, als er im Zuge der Trimm-dich-Welle angelegt worden war, rotteten die meisten Sportgeräte aus den dicken Baustämmen vor sich hin. Höchstens ab und an wurde einmal eines der Geräte von Kindern als Klettergerüst oder Balanciermöglichkeit benutzt.
Jule tastete sich im Dunkeln die Treppe aus dem Souterrain hinauf in die Küche. Kurz vor der Tür knirschte etwas sehr hässlich unter ihrem Fuß.
Niclas drehte sich unbehaglich unter der zerwühlten Decke wieder zurück. Seine Hand tastete zu Julianes Seite hinüber. Leer. Argwöhnisch riskierte er einen Blick. Natürlich. In ihrem unerträglichen morgendlichen Frohsinn hatte sie mal wieder die Fensterläden weit aufgerissen. Gequält kniff er die Augen wieder zu. Er war sich nicht ganz sicher, was ihn aus dem Schlaf geschreckt hatte. Das grelle Licht oder doch etwas anderes? Noch völlig benommen setzte er sich auf. Er hatte die vage Vermutung, dass es ein dumpfes Poltern gewesen war, dass ihn gestört hatte. Und wenn Jule schon wieder im Wald war, um sich die Lunge aus dem Leib zu keuchen, war es wohl sein Job, nachzusehen, welches Kind was wo hinunter geworfen hatte. Mühsam schwang er die Beine über die Bettkante und schlurfte sich ausgiebig am Kopf kratzend zur Treppe hinüber. All seine Hoffnungen auf eine dunkle Schlafhöhle im Keller hatte Juliane mit dem Einbau eines großen Fensters zunichte gemacht.
„Du bleibst sonst wie ein Bär im Winterschlaf den ganzen Tag in deiner Höhle“, hatte sie gelacht.
Niclas stieß sich den Zeh an der untersten Treppenstufe und konnte einen lauten Aufschrei gerade noch verhindern. Wenn tatsächlich noch eines der Kinder schlief, wäre es wirklich sinnvoller, wenn er es nicht durch lautes Herumbrüllen weckte. Er beschloss, dass es sicherer war, die Augen zu öffnen, um die Treppe hochzusteigen.
Zwei Stufen höher fiel sein Blick auf eine rote Flüssigkeit, die langsam und bedächtig von einer Stufe auf die nächste herabtropfte. Es war zum Kotzen, fand er. Schön und gut, die Kinder waren so groß, dass sie sich selbstständig etwas zu essen holen konnten, wenn sie morgens wach wurden. Aber woher diese Perversion stammte, zum Frühstück so etwas wie Nudeln mit Spagettisauce essen zu wollen, konnte er sich nicht einmal im Traum vorstellen. Und anstatt dass das Zeug auf dem Teller mit den Nudeln in der Mikrowelle gelandet war, tropfte es hier munter die Treppe herunter, weil einem seiner Knirpse das Glas aus der Hand gerutscht war.
„Dennis!“ brüllte er. „Hol‘ einen Lappen und mach‘ die Schweinerei weg, die du gemacht hast.“
Vorsichtig umrundete er die Flecken auf den nächsten Stufen. Von oben war kein Geräusch zu hören. Seine Finger tasteten nach dem Lichtschalter, als er oben ankam. Bevor er noch in irgendwelche herumliegenden Scherben trat, war es wohl besser doch das Licht anzuknipsen.
Erschrocken fuhr er zurück, als er endlich etwas in dem Treppenhaus erkennen konnte.
Juliane lag vor ihm auf dem Boden, Arme und Beine weit von sich gestreckt wie eine hingeworfene Puppe. Aus einer Wunde an ihrem Kopf sickerte Blut und sammelte sich erst in einer kleinen Lache, bevor es die Stufen hinuntertropfte. Niclas griff nach ihrem Handgelenk. Gott sei Dank, ihr Puls war noch fühlbar. Mit zwei schnellen Schritten war er im Wohnzimmer und riss das Telefon vom Sideboard.
*
„So fertig. Sie sollten sich in den nächsten Tagen noch etwas ausruhen. Aber ansonsten kann ich nur sagen, Sie haben Glück gehabt.“ Der Arzt mit dem weißen Schnurrbart, der ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Albert Schweitzer verlieh, nickte bedächtig. „Sie können Ihre Frau wieder mitnehmen.“
„Wie fühlst du dich?“ Niclas griff nach Jules Arm und half ihr aufzustehen.
„Wackelig irgendwie.“ Sie verzog schmerzhaft das Gesicht.
„Ich muss aussehen wie eine Mumie, die an partiellem Haarausfall leidet.“
Sicher, musste er eingestehen, der weiße Verband war nicht unbedingt kleidsam und auch die Stelle mit den wegrasierten Haaren würde nicht der Modehit auf der nächsten Party sein. Aber dennoch.
„Solange du nicht aussiehst wie heute morgen, ist mir alles egal. Ehrlich, ich hab‘ gedacht, du bist tot, so wie du dagelegen hast.“
„Ich hab‘ nur noch ein Knirschen gehört, dann war alles weg. Was war das eigentlich?“
„Oh, erinnerst du dich, dass Dennis gestern noch seine Schultasche packen sollte? Er hat die Hälfte daneben geschmissen. Du bist auf seinem Taschenrechner ausgerutscht.“
Juliane schaute nur kurz auf. Jede Bewegung mit dem Kopf tat unsäglich weh. „Ich hab‘ die Dinger noch nie leiden können“, murmelte sie.
Tag der Veröffentlichung: 19.08.2014
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