Schlechte Laune - Box
Die 21 besten Mittel zur Selbstbehandlung mit Homöopathie
Leitsymptome, Geschichten und Erfahrungsberichte
zum homöopathischen Charakter.
+ 3 wichtige Grundlagenbücher:
Wie finde ich das richtige Mittel?
Die richtige Potenz und Dosierung
Die richtige Einnahme
© 2013, Text und Illustrationen von Sarah Gärtner
sarah-gaertner@arcor.de
Zweite Auflage 2014
Hinweis
In den Untiefen der klassichen Literatur finden sich Tausende Symptome und Beschwerden, die hömöopathisch behandelt werden können. Unter Umständen leiden wir jahrelang an einem Symptom, ohne jemals zu erfahren, dass es dazu ein passendes homöopathisches Mittel gibt. Mit jedem Buch lädt die Autorin dazu ein, ein solches Symptom zu entdecken und die dazu passenden Mittel kennenzulernen. Dieses Buch fordert Sie nicht dazu auf, Ihr Leben in Zukunft ohne Arzt oder Heilpraktiker in die Hand zu nehmen. Suchen Sie bitte den Arzt oder Heilpraktiker Ihres Vertrauens auf, wenn Sie die Diagnose für Ihre Beschwerden nicht genau kennen. Lassen Sie sich von ihm über die möglichen Komplikationen aufklären und erkennen Sie Ihre eigenen Grenzen. Für Ratschläge in diesem Buch übernehmen wir keine Haftung. Für den Inhalt der Webseiten, auf die wir per Link verweisen, ist der Betreiber der Webseiten verantwortlich.
Zeichenerklärung
< Schlechter durch
> Besser durch
# Ursache
Einmal angenommen, Sie möchten Ihre schlechte Laune selbst behandeln. Dann stehen Sie vor der Frage, welches homöopathische Mittel zu Ihnen passen könnte. Um diese Frage zu beantworten, brauchen Sie vor allem Informationen. Vieles spricht dafür, sich dieselben Informationen zu beschaffen, wie sie auch dem Homöopathen zur Verfügung stehen. Kurz: Sie benötigen ein hochwertiges Repertorium, z.B. Kent oder Synthesis; dort steht zuverlässig drin, welches Mittel passen könnte. Und Sie benötigen eine gute Materia Medica, z.B. Clarke oder Hering; dort werden die Mittel vertrauenswürdig beschrieben.
Doch kaum jemand, der unter schlechter Laune leidet, hat den Willen, sich homöopathische Literatur für mehrere hundert Euro zuzulegen. Das vorliegende Buch löst dieses Problem. Es ist Repertorium und spezifische Materia Medica in einem. Es bietet die professionelle Beschreibung der besten Mittel, die in der klassischen Literatur unter dem Symptom schlechte Laune als hilfreich aufgelistet wurden.
Die Beschreibung jedes einzelnen Mittels beginnt mit einer kurzen Charakteristik auf der Basis alter Meister, wird weitergeführt mit Gedanken und persönlichen Erfahrungen, welche die Autorin im Umgang mit diesem Mittel gesammelt hat und mündet in eine Kurzgeschichte zum jeweiligen homöopathischen Charakter. Danach schließlich werden die Leit- und Lokalsymptome des Mittels im beliebten Telegrammstil von Boericke zusammengefasst. Am Ende haben Sie den Charakter, also den Schlüssel zur Mittelfindung, aller Arzneien vor Augen, und es sollte Ihnen klar sein, welches Mittel für Ihre schlechte Laune in Frage kommt. Ein Blick in dieses Buch lohnt sich also.
„Behandelt den Menschen,
nicht die Krankheit.“
(Dr. med. James Tyler Kent)
In der klassischen Literatur ist häufig vom Similium die Rede. Damit ist gemeint, es müsse das eine und einzige Mittel für die jeweilige Person gefunden werden, welches dieser Person am Ähnlichsten ist und welches somit in der Lage ist, alle Beschwerden dieser Person zu heilen.
Dieses Similium existiert nicht. Sondern es ist vielmehr so, dass ein jeder von uns einen Kreis von 8 bis 15 homöopathischen Mitteln in seinem Leben benötigt. Und jedes einzelne dieser Mittel ist ein Similium, und zwar für den Zustand, in dem wir uns gerade befinden.
Verdeutlichen wir das an einem Beispiel: Stellen wir uns einen Mann Mitte 50 vor, wir nennen ihn Robert, und greifen wir uns lediglich 2 Monate aus seinem Leben heraus. Desweiteren nehmen wir der Einfachheit halber an, dass zu seinem Mittelkreis lediglich 3 Mittel gehören, nämlich
Aconitum (ACON)
Causticum (CAUST) und
Pulsatilla (PULS).
Anfang August 2014 nun, befindet sich Roberts Purinspiegel bereits auf einem hohen Niveau, wie bei vielen Männern seines Alters. Nach einer reichlichen Fleischmahlzeit bekommt er daher einen Gichtanfall, welcher sich darin äußert, dass in den nächsten Tagen seine rechte große Zehe schmerzt, anschwillt und sich in den Gelenken versteift. Somit befindet er sich in einem für Gicht typischen Causticum-Zustand. Er wird also sehr reizbar werden, streitsüchtig und eigensinnig. Nun wird gern übersehen, dass CAUST-Typen nicht die schlechtesten Menschen sind. Sicher, sie sind in gewisser Weise asozial, oder besser gesagt, beziehungsunfähig, begründet durch ihre Streitsucht und ihren Eigensinn. Aber sie haben auch ihre guten Seiten. CAUST ist nämlich sehr mitfühlend, insbesondere erträgt er es nicht, Kinder weinen zu sehen. Desweiteren wird CAUST sich immer für die Unterdrückten dieser Welt einsetzen. Er ist ein unverbesserlicher Idealist und geht, mit unglaublicher Hartnäckigkeit, gern den schwersten Weg, um sein Ziel zu erreichen.
Wie dem auch sei, Robert reagiert also auf seinen Gichtanfall mit der Einnahme von 5 Globuli CAUST, und bereits nach wenigen Tagen sieht die gichtige Zehe wieder normal aus. Das heißt, Mitte August hat er den CAUST-Zustand schon wieder verlassen.
Den CAUST-Zustand verlassen zu haben, bedeutet im Übrigen nicht, dass Robert in Zukunft ungestraft Fleisch essen darf. Er würde dann auch weiterhin Gichtanfälle bekommen, denen er wiederum mit CAUST begegnen könnte. Die gichtige Neigung bleibt also bestehen.
Mitte August 2014 lebt Robert sein Leben also weiter. Er ist wieder einigermaßen verträglich geworden. Aber seine Frau hat die Nase voll von seinen ewigen Streitereien. Sein Verhalten während des Gichtanfalls hat das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Denn in seinem Leben befand Robert sich schon häufig im CAUST-Zustand, durch verschiedene Modalitäten denen er ausgesetzt war, also durch Umstände, die den Zustand verschlimmern, oder Ursache dafür sind. Diese typischen CAUST-Modalitäten waren vor allem trockener kalter Wind und Kaffee. Und in den erwähnten CAUST-Zuständen war er dann jedes Mal unausstehlich und vollkommen unromantisch.
Ende August also, etwa eine Woche nach dem ausgestandenen Gichtanfall, will seine Frau die Scheidung und zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Robert fühlt sich nun ziemlich einsam und wird weinerlich. Er weint nicht aus Selbstmitleid, wie man das bei CAUST erwarten würde, sondern Robert ist von einer Traurigkeit ergriffen, welche ihn glauben lässt, dass er nicht mehr die Kraft hat, sein Leben zu meistern. Er sorgt sich sehr um Dinge, die er früher mit Leichtigkeit erledigt hatte. Aber vor allem schießen ihm beim geringsten Gedanken an seine missliche Lage Tränen in die Augen. Er befindet sich nun in einem Pulsatilla-Zustand.
Auch in diesem Zustand befindet er sich nicht zum ersten Mal. PULS ist ein sehr nachgiebiger Charakter. Sehr schüchtern, voller Sorgen um Kleinigkeiten und eben weinerlich. Aber auch wechselhaft, das heißt manchmal launisch, und dann schnell wieder lieb. Durch Enttäuschung, durch Kummer, aber auch durch übermäßiges oder fettreiches Essen ist er in seinem Leben schon häufig im PULS-Zustand gewesen.
Robert behilft sich nun, indem er 5 Globuli PULS in der Potenz C 1.000 einmalig einnimmt. Und diese Einnahme zeigt auch die entsprechende Wirkung. Die Weinerlichkeit verschwindet nach wenigen Stunden. Er wird wieder zuversichtlich und versucht seine Probleme zu lösen, ohne dass ihm die Tränen in die Augen schießen. Er kümmert sich wieder um sein Geschäft und ist dabei vor allem zuversichtlich.
Inzwischen ist es Mitte September 2014. Mit dem Essen muss Robert vorsichtig sein. Soviel hat er seit seinem Gichtanfall begriffen, der nun kaum vier Wochen her ist. Fleisch hat er von seinem Speiseplan gestrichen. Aber er giert nach Sättigung und Spaß beim Essen. Seine Frau bekocht ihn ja nicht mehr. Also verfällt er eines Abends auf die glorreiche Idee, eine Tüte voller Kartoffelchips zu verspeisen. Da ist nun wirklich kein Stück Fleisch drin, und von daher kann das nicht ganz verkehrt sein, oder? Dabei übersieht er jedoch, dass auch sein Cholesterinspiegel bedrohlich angestiegen ist, wie bei vielen Männern seines Alters. Und somit steigt sein Blutdruck am nächsten Morgen auf 160 : 90.
Was er dabei verspürt ist ein Gefühl von einem Reifen, der den linken Oberarm fest umschließt. Und am ganzen linken Arm spürt er ein Kribbeln, als würden Ameisen dort hoch und herunter laufen. Diese Symptome machen ihm Angst, sogar Todesangst. Robert befindet sich dann auf dem Weg ins Büro, als er plötzlich eine Ahnung hat, dass gleich jemand etwas aus dem Fenster eines Mehrfamilienhauses links von ihm werfen wird. Er weicht nach rechts zur Straße aus. Und in diesem Moment landet tatsächlich ein Schlüsselbund auf dem Bürgersteig und ein Mann stürzt aus dem Haus, um es aufzuheben.
Robert befindet sich somit im Aconitum-Zustand.
Auch in diesem Zustand war er schon häufig im Leben. Meist durch eine Erkältung. Auch hatte er schon immer eine hellseherische Begabung. Er vertraut inzwischen auf diese Instinkte und er folgt ihnen auch. Desweiteren träumt er oft Lösungen für Probleme, die ihn beschäftigen. All dies sind ACON-Symptome.
Auf den Bluthochdruck reagiert er daher mit mehreren Gaben von ACON C 1.000, und innerhalb von 2 Tagen hat sich der Blutdruck wieder auf einem Niveau von 110 : 70 stabilisiert. Auch hier gilt: Der Cholesterinspiegel bleibt oben. Er muss auf Cholesterinbomben verzichten, ansonsten wird der Blutdruck wieder steigen. Er könnte mit ACON darauf reagieren. Die Neigung zum Schlaganfall bleibt jedoch bestehen.
Wir haben nun also erfahren, dass Robert sich innerhalb weniger Wochen in 3 verschiedenen Zuständen befand, und dass er zwischen diesen Zuständen schon sein ganzes Leben lang hin und her wechselte, in Abhängigkeit von den Modalitäten, die gerade auf ihn einwirkten:
Aconitum-Zustand, bzw. Aconitum-Charakter: Bluthochdruck. Reifengefühl um den linken Oberarm. Ameisenlaufen auf den betroffenen Teilen. Todesangst. Hellseherische Begabung. Träumt Lösungen für Probleme. Modalitäten: Gemütserregung, Cholesterin, Erkältung.
Pulsatilla-Zustand, bzw. Pulsatilla-Charakter: Viel Weinen bei jeder Gelegenheit. Große Sorgen um Kleinigkeiten. Nachgiebig und schüchtern. Manchmal launisch, schnell wieder lieb. Modalitäten: Enttäuschung, Kummer, Fettreiches Essen.
Causticum-Zustand, bzw. Causticum-Charakter: Neigung zu Gichtanfällen. Lokalisation in der rechten großen Zehe. Reizbarkeit, Eigensinn, Streitsucht. Mitgefühl, kann kein Kind weinen sehen. Idealismus, Parteinahme für Unterdrückte. Geht immer den schwersten Weg. Modalitäten: Fleisch, kalter Wind, Kaffee.
Ergibt sich die Frage: Wie ist Robert denn zu den 3 Charakteren gekommen? Nun, sie wurden ihm vererbt, also in die Wiege gelegt. Auch seine Eltern hatten schon eine Neigung zur Gicht oder zum Bluthochdruck oder zur Weinerlichkeit. Ich habe gefunden, dass die Charaktere eines Menschen gleichmäßig von beiden Eltern vererbt werden.
Die Annahme, dass der Charakter sich erst nach der Geburt formt, ist also falsch. Sicher kann man Einfluss nehmen. Aber diese Einflussnahme ist nur sehr begrenzt möglich. Im Grunde kann man nur versuchen, die Modalitäten vom Kind fern zu halten. Robert geriet durch Enttäuschung, Gemütserregung oder kalten Wind in die ACON-, CAUST- oder PULS-Zustände. Wenn man also alle Modalitäten von einem Menschen fernhält, wird er ziemlich ausgeglichen wirken. Doch wehe, eine Modalität hat eine Chance, dann kommt womöglich ein sehr unschöner Charakter zum Vorschein.
Wenden wir uns nun der Frage zu, wie es dazu kam, dass Homöopathen heute bestimmte Beschwerden mit diesem oder jenem Mittel angehen. Im Jahre 1790, also vor mehr als 200 Jahren, geschah Folgendes:
Die Pflanze CHINARINDE wurde zu dieser Zeit zur Heilung von Malaria verwendet.
Dr. Samuel Hahnemann kam auf die Idee, CHINARINDE einzunehmen, obwohl er nicht an Malaria erkrankt war.
Die CHINARINDE erzeugte daraufhin bei ihm Symptome, als sei er an Malaria erkrankt, also Wechselfieber.
Hahnemann leitete daraus den Grundsatz ab: „Kranke werden durch Stoffe geheilt, wenn diese beim Gesunden ähnliche Symptome erzeugen, wie die unter denen der Kranke leidet.“ Oder kürzer: „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt.“
Dieser Selbstversuch gilt als Geburtsstunde der Homöopathie. Und nach diesem Selbstversuch folgten viele Weitere. Denn es galt Hunderte Stoffe zu finden, welche in der Lage waren, die vielen Beschwerden zu heilen, unter denen die Kranken dieser Welt litten. HERING war ein Vorreiter in dieser Richtung und hat seine Arzneimittel-Prüfungen in seinen umfangreichen „Leitsymptomen“ veröffentlicht.
Wie führte er diese Prüfungen durch? Nun, wie Pharma-Firmen das heutzutage auch tun. Er lud bis zu 100 Personen dazu ein, an einer Arzneimittel-Prüfung teilzunehmen und zahlte ihnen dafür eine Entschädigung. Konkret, bleiben wir doch einfach bei Pulsatilla, lief das so ab:
HERING besorgte sich die Pflanze Pulsatilla in ihrer Urform. Er fand sie auf sonnigen, sandigen Böden und Wiesen in Mittel- und Nordeuropa.
Aus der frischen Pflanze wurde dann eine Urtinktur hergestellt. Diese wurde mehrfach verdünnt, also potenziert, um sie verträglicher und wirksamer zu machen, genauso, wie wir die Pflanze heutzutage auch in der Apotheke als homöopathisches Mittel erhalten, z.B. in der Potenz C200. Danach gingen HERINGS Prüfer ans Werk. Einige bekamen Placebos. Die anderen nahmen 3 Tage lang jeden Morgen und jeden Abend 10 Globuli Pulsatilla in der Potenz C200 ein, danach eine Woche lang jeden Abend dieselbe Menge. Vom 3. Tag an kam es zu den ersten Prüfungs-Symptomen, welche von den Prüfern jeweils in einem persönlichen Tagebuch festgehalten wurden.
Hinweis: Genauso machen wir es natürlich nicht. Denn wir wollen ja keine Prüfung durchmachen. Daher nehmen wir max. 5 Globuli in der empfohlenen Potenz nur ein einziges Mal ein und lassen sie dann 6 Wochen lang auswirken.
Und die Symptome, welche die Prüfer in ihren Tagebüchern festhielten, ähnelten auf frappierende Weise denen, die Robert durchmachte, wenn er sich im PULS-Zustand befand. Erinnern wir uns:
Pulsatilla-Zustand, bzw. Charakter: Viel Weinen bei jeder Gelegenheit. Große Sorgen um Kleinigkeiten. Nachgiebig und schüchtern. Manchmal launisch, schnell wieder lieb. Modalitäten: Enttäuschung, Kummer, Fettreiches Essen.
Die Prüfer lebten also weiter bei ihren Familien und hielten in ihren Tagebüchern fest, dass sie plötzlich nachgiebig und weinerlich wurden, sich große Sorgen um Nichtigkeiten machten, launisch waren, und dass sich diese Zustände durch Enttäuschung, Kummer oder fettreiches Essen verschlimmerten, und zwar in einem Masse, wie sie es vorher nicht von sich kannten.
Nun bekam HERING nicht von jedem Prüfling dieselben Rückmeldungen durch die Prüfungstagebücher, welche er auszuwerten hatte. Da aber die überwiegende Mehrheit unabhängig voneinander rückmeldete, dass sie weinerlich wurden, war das für HERING ein hochwertiges Prüfungssymptom, und daher steht Pulsatilla in den heutigen Repertorien, z.B. Kent oder Synthesis, unter dem Symptom „Grundloses Weinen“ fettgedruckt drin.
Und gemäß Hahnemanns Leitsatz gilt: Wenn Pulsatilla bei Gesunden, also Prüflingen, die eigentlich nicht zur Weinerlichkeit neigen, plötzlich ein weinerliches Verhalten wegen Nichtigkeiten auslöst, dann wird Pulsatilla auch Robert helfen, dem nach Kummer oder Enttäuschung bei jeder Gelegenheit Tränen in die Augen schießen. Damit haben wir den geheimnisvollen Kreis um die homöopathischen Charaktere und die dazu passenden homöopathischen Mittel geschlossen.
Häufig wird die Frage gestellt, wie denn die Prüflinge aus den Prüfungszuständen wieder herauskamen. Nun, ein beliebtes Mittel der Wahl sind Kaffeepartys nach Beendigung des Prüfungszeitraumes. Denn Kaffee ist ein probates Mittel, um homöopathische Mittel zu löschen, weshalb Kaffee während einer homöopathischen Behandlung nicht getrunken werden sollte.
Nun machen wir die Sache etwas komplizierter: Bleiben wir dazu am besten bei den 3 Mitteln Causticum, Pulsatilla und Aconitum. Bei allen 3 Arzneimittelprüfungen zu diesen Mitteln tauchte in den Prüfungs-Tagebüchern dasselbe Symptom auf, nämlich eine Blasenentzündung. Das heißt, die meisten Prüflinge aller drei Mittel machten während des Prüfungszeitraumes in ungewohnter Weise eine Blasenentzündung durch. Logischerweise wurden deshalb im Repertorium unter dem Symptom „Blasenentzündung“ auch alle drei Mittel eingetragen: Acon und Puls fettgedruckt, also hochwertig bzw. dreiwertig, und Caust kursiv gedruckt, also zweiwertig.
Daher kann es sein, dass im Wartezimmer eines homöopathischen Urologen 3 Männer sitzen, die eindeutig dieselbe ärztliche Diagnose haben, eben eine Blasenentzündung, die aber jeweils ein völlig anderes homöopathisches Medikament erhalten: Der 1. erhält Aconitum gegen seine Blasenentzündung, weil er gleichzeitig eine völlig unbegründete Todesangst verspürt. Der 2. erhält Pulsatilla gegen seine Blasenentzündung, weil er in Tränen ausbricht, beim Vortragen seiner Beschwerden. Und der 3. schließlich erhält Causticum gegen seine Blasenentzündung, weil sie eindeutig auftrat, nachdem sein dünn bekleideter Unterleib trockenem und kaltem Wind ausgesetzt war. Das ist klassische Homöopathie: „Behandelt den Menschen, nicht die Krankheit.“
Zuletzt noch ein Gedanke zur üblichen Wortwahl bei den Beschreibungen des Charakters der einzelnen Mittel. In der klassischen Literatur können wir häufig Sätze lesen wie diese:
Pulsatilla:
- kann kaum ihre Symptome mitteilen, ohne zu weinen.
Aconitum:
- sagt seinen Todestag voraus.
Causticum:
- sieht grauenhafte Bilder, sobald er die Augen schließt.
Diese Wortwahl bedeutet mitnichten, dass dieses oder jenes Symptom nur auf Männer oder Frauen zutrifft. Die Zuordnung zu den Geschlechtern wurde hier eher willkürlich gewählt. Sicher gibt es homöopathische Frauenmittel, also Mittel, die häufig zu Frauen passen, wie zum Beispiel Platinum. Und auch Männermittel, wie Nux vomica. Was aber das jeweils andere Geschlecht nicht ausschließt. Das beste Beispiel hierfür ist Pulsatilla. Der Beschreibung nach sollte dies eindeutig ein Frauenmittel sein. Ich habe aber gefunden, dass auch sehr viele Männer eine feminine Seite haben. Sie werden ihre Weinerlichkeit nur nicht so offen zeigen, was aber nichts daran ändert, dass viele Männer Pulsatilla brauchen. Und das hat mit einem veränderten Frauen- oder Männerbild in unserer Gesellschaft überhaupt nichts zu tun, sondern der Pulsatilla-Charakter wurde unseren Männern über viele Generationen hinweg vererbt.
Bei schlechter Laune:
- Potenz C12
- einmalige Einnahme von 5 Globuli in Wasser
- wochenlang auswirken lassen
Weitere Hinweise, auch zum Verhalten nach der Einnahme, finden Sie in den Büchern:
- Die richtige Potenz & Dosierung
- Die richtige Einnahme
Wichtig: Sie haben das passende Mittel gefunden? Herzlichen Glückwunsch. Sichern Sie sich bitte ab, indem Sie das Mittel austesten, und zwar bevor Sie es einnehmen. Benutzen Sie daher immer, auch wenn Sie „ganz sicher“ sind, den Tensor, siehe Buch „Wie finde ich das richtige Mittel“, und testen Sie mit ihm immer alle Mittel, die in die engere Wahl kommen, und außerdem alle Mittel, die Ihnen schon einmal geholfen haben. Das können insgesamt ruhig 25 Stück sein. Der Tensor nimmt Ihnen die Entscheidung ab; und zwar zuverlässig. Ich habe den Tensor zum ersten Mal in der Praxis meiner Frauenärztin in Aktion gesehen. Sie benutzte ihn in ihren Homöopathie-Sprechstunden. Ich habe ihn mir daraufhin zugelegt, und ich würde ihn nie wieder hergeben. Funktionierende Tensoren gibt es schon für weniger als 30 € im Internet.
Die nachfolgend aufgeführten Arzneien wurden im klassischen Repertorium unter dem Symptom schlechte Laune als hilfreich aufgelistet. Die fettgedruckten Arzneien wurden dabei als hochwertig gekennzeichnet. Personen, zu denen ein hochwertiges Mittel passt, haben häufig eine sehr schlechte Laune. Der Blick geht deshalb zuerst zu den fettgedruckten Arzneien. Passen diese jedoch nicht, hilft womöglich eine der anderen Arzneien:
alum, ANT-C, ars, bar-c, bell, BRY, caust, CHAM, chin, cocc, hep, ign, KALI-C, merc, nux-v, phos, PLAT, puls, SEP, STAPH, sulf
Tipp: Ob fettgedruckt oder nicht: Mittel, die Ihnen schon einmal geholfen haben, verdienen immer mehr Aufmerksamkeit als andere.
Zu den fettgedruckten Mitteln lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen: ANT-C kann es nicht ertragen, wenn er angesehen wird, oder wenn sich jemand um ihn kümmert. BRY ist schweigsam und eklig und flüchtet sich in materielle Sicherheit. CHAM ist eklig und gereizt, besonders während der Menses oder während Schmerzen. KALI-C wird zum Familientyrann, wenn sein geordnetes Leben nicht nach Wunsch verläuft. PLAT wird sehr verletzend, bei sexueller Unzufriedenheit. SEP entwickelt einen Hass gegen ihren Ehemann, wenn sie sich nach der Arbeit nicht entspannen kann. Und STAPH ist sehr empört oder schlecht gelaunt über Dinge die ihr angetan wurden, oder über eingebildete Beleidigungen. Diese Charakteristik werden sie unten, beim Studium der einzelnen Mittel wiederfinden.
Verstopfung ohne Stuhldrang. Trockene Haut und Schleimhäute. Risse in der Nasenspitze. Dürre, alte Menschen ohne Lebenswärme. Junge Mädchen mit Falten. Unerträgliche Langeweile; Zeit vergeht zu langsam; kann nicht zur Eile angetrieben werden; gerät in Panik unter Zeitdruck. Weinen ohne Grund.
Sehr typisch für ALUM ist die Langsamkeit. Das betrifft zuerst die sensorischen Empfindungen, welche zum Gehirn weitergeleitet werden. So kann es passieren, dass ALUM den Stich mit einer Nadel sehr viel später wahrnimmt, als jeder andere. Aber auch für den umgekehrten Weg braucht der ALUM-Typ viel Zeit. Will er nach einem Gegenstand greifen, der gerade herunterfällt, ist es meist schon zu spät. Diese sensorischen und motorischen Störungen verstärken sich im Laufe des Lebens noch, bis zu teilweisen Lähmungen bzw. bis zum Kontrollverlust.
Den ALUM-Typ kennzeichnet eine selbstgewählte Isolation. Einerseits mag er keine Gesellschaft. Andererseits beeinträchtigen gesellschaftliche Zwänge sein körperliches Befinden. So fühlt er nach längerem Sprechen eine große Schwäche, besonders in der Brust. Außerdem hat er einen trockenen Hals, was ihn zum ständigen Räuspern zwingt und das Reden verleidet. Grund für den trockenen Hals ist das Grundübel von ALUM, nämlich die Trockenheit der Schleimhäute. Diese äußert sich durch:
fehlende Lebenswärme,
eine ausgesprochene Verstopfung
und vorzeitige Faltenbildung.
Genauso trocken und inaktiv, wie seine Schleimhäute agieren, so untätig lebt der ALUM-Typ auch:
Will immer nur liegen, was seine Schwäche verstärkt.
Niemand kann ihn zur Eile antreiben.
Unter Zeitdruck gerät er in Panik.
Die Betrachtung eines homöopathischen Mittels aus Sicht klinischer Diagnosen, bietet einen einzigartigen Blickwinkel. Hier eine Zusammenstellung, wie ALUMINA in ausgewählten Büchern beschrieben wird:
Depression: Am Morgen. Beim Aufwachen. Nach dem Essen. Überwiegend nach der Menstruation. Selbst kleinste Probleme machen sie schwer depressiv. Unbegründete Schuldgefühle; als habe sie ein Verbrechen begangen.
Hitzewallungen: Hitzewallungen besonders nachts; scheinen sich vom Gesicht her auszubreiten. Schweißausbrüche und Angstgefühle in der Nacht. Juckreiz der Haut; schlechter in Bettwärme. Frauen sind stark erschöpft von jeder Menstruation; besonders kurz vor dem Klimakterium. Dünne, vertrocknete, ältere Personen. Fehlende Lebenswärme. Sanftmütige Hypochonder.
Impotenz: Schwergehender Stuhl & Prostatasekret. Linker Hoden hart und schmerzhaft. Gefühl von Schwäche im Penis und in der Blase; hat Angst vor dem Bettnässen. Nächtliche, schmerzhafte Erektionen. Juckreiz der Eichel durch eitrigen Ausfluß. Kein sexuelles Verlangen.
Migräne: Druck in der Stirn; schlimmer beim Treppensteigen. Kopfschmerzen & Übelkeit: mit Druck in Stirn und in der Nase & mit Nasenbluten; mit Stechen im Gehirn; mit Kopfschmerz, als würde an den Haaren gezogen.
Mundgeruch: Widerlicher Mundgeruch. Kleine Geschwüre im Mund. Speichelfluss mit Gefühl von trockenem Mund. Jucken auf der Zunge zwingt zum Kratzen.
Halsschmerz: Am Abend. In der Nacht. Schlimmer beim Schlucken. Besser durch Wärme. Etwas Warmes Trinken.
Husten: Husten am Morgen, beim Reden oder Singen. Schlimmer durch Gewürze. Besser durch warme Getränke.
Sodbrennen: Saures Aufstoßen, besonders bei alten Leuten, mit viel Wasser im Mund. Schwindel und Übelkeit, besser nach dem Frühstück. Sodbrennen: nach Wasser; nach dem Trinken; nach Milch.
Magenschmerz: Verlangen nach Gemüse; Kaffee; Obst. Übelkeit und Erbrechen durch Kartoffeln. Schmerz: Am Nachmittag. Am Abend; im Bett. Magenkolik. Überwiegend vor dem Stuhlgang. < Nach dem Essen. Liegen auf dem Rücken. Sich Drehen im Bett. > Etwas warmes Trinken. # Durch Kartoffeln.
Hämorrhoiden: Durchfall beim Urinieren. Sonst eher schwieriger Stuhl & Blut tropft bei jeder Entleerung, als hätte der Stuhl den Anus oder die Hämorrhoiden eingerissen. Am Abend allgemeiner Juckreiz in den Hämorrhoiden, aber auch am Anus, in den Augenwinkeln und auf der Zunge. Hämorrhoiden treten hervor, sind hart, erzeugen brennende Schmerzen und jucken.
Alumina
Hanna, 14, Schülerin. Gerät unter Zeitdruck in Panik, und spürt einen Nadelstich viel später, als andere. Die homöopathische Analyse zur Geschichte finden Sie im Anschluss.
***
Hanna war gerade 14 Jahre alt, aber sie fühlte sich wie 70. Wenn sie von der Schule nach Hause kam, sah sie zuerst in den Spiegel. Unter dem straffen, gut geföhnten Haar, war ein welkes Gesicht voller Falten. Mein Gott ich bin eine alte Frau, entfuhr es ihr. Dann ging sie in ihr Zimmer und kam gerade bis zum Bett. Dort hatte sie das unwiderstehliche Bedürfnis sich hinzulegen. Dann würde es besser werden. Ihre Schlappheit würde vielleicht verfliegen. Sie wusste, dass dies ein Irrtum war. Sie würde Mühe haben, nachher aus dem Bett zu kommen, wenn die Mutter zum Abendessen rief. Und sie würde sich danach gleich wieder hinlegen.
Das Handy klingelte. Sophie wollte mit ihr reden, ihre einzige Freundin. Aber Hanna war einfach zu schlapp, selbst zum Sprechen. Gestern hatte sie 20 Minuten mit ihr geschwatzt. Danach hatte sie stundenlang kein Wort mehr hervor gekriegt. So schwach war sie von dem Telefonat geworden, vor allem auf der Brust.
Manchmal wunderte sie sich, dass sie überhaupt jeden Tag den Weg zur Schule schaffte. Es war verrückt. Dieser Zeitdruck jeden Morgen. Warum musste sie sich immer nach anderen richten? Der Bus fuhr ab. Na und? Bald fuhr ein anderer. Sie kam zu spät zur Schule. Na und? Sie saß viele Stunden dort herum. Da kam es auf ein paar Minuten weniger doch nicht an.
Und dann diese Hänseleien. Dass sie in jeder Beziehung ihr eigenes Tempo hatte, war kein Geheimnis. Die Jungs machten sich einen Spaß daraus und stachen ihr mit Nadeln in den Rücken oder in den Arm, und lachten sich halbtot, weil sie sich erst umdrehte, wenn ein oder zwei Sekunden vergangen waren. Was konnte sie denn dafür, dass sie so eine lange Leitung hatte?
Plötzlich spürte Hanna einen Schmerz, wie von einem Dolchstoß im Kreuz, und meinte, sich nun nie wieder aufrichten zu können. Dann ging es doch. Sie quälte sich hoch und schlurfte zur Küche hinunter. Sie hatte Hunger. Auf dem Herd stand ein Topf mit Kartoffelsuppe. Nein Danke! Der Magen tat ihr jetzt noch weh vom letzten Mal. Und danach hatte sie zwei Tage lang unter Durchfall gelitten. Da war ihr die hartnäckige Verstopfung, die sie sonst hatte, viel lieber. Alles was sie jetzt fand, war Brot und Weichkäse. Das war ganz ok. Aber sie brauchte ein Messer und sie zögerte das Schubfach aufzuziehen, um sich eines zu nehmen. Wie der Teufel sich vor dem Weihwasser fürchtete, so fürchtete sie sich vor ihren Impulsen. Beim Anblick eines Messers hatte sie nämlich entweder den Drang, es sich selber ins Herz zu stoßen, oder sie dachte darüber nach, wie es wäre, ihren Bruder zu töten. Er hatte ihr nichts getan. Gott bewahre. Er war nur klein genug, dass sie glaubte, dass sie es schaffen könnte. Verrückt, nicht wahr? Sie mochte ihre Gedanken nicht. Aber sie konnte nichts dagegen tun. In der Spüle fand sie einen kleinen Kaffeelöffel. Und auch mit diesem ließ sich hervorragen ein Brot schmieren, wenn man keinen anderen Ausweg sah.
Oben in ihrem Zimmer wollte Hanna endlich zur Ruhe kommen. Aber es wurde nichts daraus. Irgendetwas machte ihr Angst. Sie hatte plötzlich die Gewissheit, dass in wenigen Minuten die Polizei an der Haustür klingeln würde, um sie mitzunehmen. Sie musste etwas verbrochen haben. Dessen war sie sich vollkommen sicher. Sie konnte nicht sagen was. Aber es muss schrecklich gewesen sein. Mit einem angstvollen Stöhnen legte sie sich wieder hin, schloss die Augen und begann zu weinen.
***
- Analyse
Alumina Story
Hanna und ihre Falten
Folgende Charakterzüge des Mittels ALUMINA wurden für die Figur der Schülerin Hanna aus der Materia Medica herausgearbeitet. Die markierten Symptome fanden dann Verwendung.
Trockene Schleimhäute
Dürre alte Menschen ohne Lebenswärme
dünn und schlapp; will liegen, aber dies verstärkt die Schwäche (X)
Verstopfung (X)
Schwäche nach Sprechen (X)
Junge Mädchen bekommen Falten (X)
Alles dauert zu lange; ein Nadelstich wird viel später wahrgenommen (X)
Schlimmer durch Kartoffeln (Durchfall, Magenschmerz) (X)
Kann nicht mit geschlossenen Augen gehen.
Depressionen
Rückenschmerz wie von einem Dolchstoß im Kreuz (X)
Gedanken an Selbstmord beim Anblick eines Messers (X)
Drang zu töten beim Anblick eines Messers (X)
Gewissensangst und Schuldgefühle (X)
Niemand kann sie zur Eile antreiben; sie hat ihr eigenes Tempo
Panik unter Zeitdruck (X)
Eigensinnig
Weinen ohne Grund (X)
Beschwerden durch Zorn
ALUMINA (ALUM)
Aluminiumoxid, Tonerde
LEITSYMPTOME: Obstipation ohne Stuhldrang. Trockene Haut und Schleimhäute. Schwäche in den Beinen mit Taubheitsgefühl. Große Schwäche durch Reden. Risse in der Nasenspitze. Muss zum Stuhl pressen, um urinieren zu können. Beim Pressen zum Stuhl geht Urin ungewollt ab. Alte Menschen ohne Lebenswärme; dünne und träge Personen; Menschen, die vorzeitig altern; junge Mädchen mit Hautfalten. Alles ist zu langsam; spürt einen Nadelstich viel später als andere. Verdauungsstörungen durch Kartoffeln.
GEMÜT: Ist gern allein. Kann kein Blut auf einem Messer sehen (Gedanken an Selbstmord). Weinen & heiße Ohrläppchen. Verwirrt bezüglich ihrer eigenen Identität. Gewissensangst, als hätte sie ein Verbrechen begangen. Kopfschmerzen & unfähig zu denken; macht Fehler beim Sprechen. Unerträgliche Langeweile; Zeit vergeht zu langsam; kann nicht zur Eile angetrieben werden; gerät in Panik unter Zeitdruck.
ALLGEMEINES: Schwäche in der Sommerhitze; durch Reden. Schmerzen.
< Körperliche Anstrengung. Salz. Tabakrauchen. Warme Bettdecke. Warmes Zimmer. Trockenes Wetter.
> Baden. Frische Luft.
# Kartoffeln.
- Lokalsymptome
ALUMINA (ALUM)
Aluminiumoxid, Tonerde
KOPFSCHMERZ: Dauert die ganze Nacht < Nach Essen. > Morgens beim Aufstehen. Liegen.
GESICHT: Aufgesprungene Lippen.
GESICHTSSCHMERZ: < Beim Mundöffnen.
HAUT: Hautjucken in beginnender Bettwärme.
BRUSTSCHMERZ: In der Nacht. < Sich nach vorn beugen. Nach dem Essen. Beim Autofahren. Schnelles Gehen. Schweres Heben. Tragen von schwerem Gepäck. Liegen auf dem Rücken. > Liegen; auf der Seite.
RÜCKENSCHMERZ: Schmerz erstreckt sich nach oben. < Beim Bücken. Beim Gehen. Nach dem Gehen. Nach dem Stuhlgang.
EXTREMITÄTEN: Raue und rissige Hände. Taubheitsgefühl in den Beinen beim Übereinanderschlagen. Schlaflosigkeit durch Zucken der Glieder.
OHRENSCHMERZ: Von Zeit zu Zeit, aussetzend. < Nase schnauben. Schlucken. > Druck.
NASE: Nasenspitze rissig. Nasenlöcher rot, wund und schmerzhaft bei Berührung.
NASENSCHMERZ: An der linken Seite. Am Abend.
MUND: Beißt sich leicht in die Zunge beim Sprechen oder Kauen; nachts im Schlaf.
ZAHNSCHMERZ: < Kauen. Schlucken. Zähne zusammenbeißen. Nach dem Essen. Kalte Luft. > Liegen. Aufrichten zum Sitzen im Bett. Aufstehen vom Stuhl. Druck. # Kamillen-Tee.
BAUCH: Schmerzhafte Ansammlung von Gasen im Darm.
BAUCHSCHMERZ: Am Nachmittag. Überwiegend vor der Menstruation. < Nach dem Essen. Nach dem Schlaf. Vornüber gebeugt Sitzen. Sich recken oder strecken. Vor dem Stuhlgang. > Nach dem Schlaf. Sitzen. # Kartoffeln.
REKTUM: Schwieriger, langdauernder Stuhlgang. Verstopfung während der Schwangerschaft. # Kartoffeln (Durchfall).
HARNBLASE: Ungewollter Abgang von Urin: beim Husten; beim Pressen zum Stuhl.
WEIBLICH: Abneigung gegen den Koitus; die Befriedigung fehlt. Sexualtrieb vermindert. Menstruation spärlich; danach erschöpft; dann reichlich weißlicher Ausfluss. Scheidenausfluss anstelle der Menstruation.
ALLGEMEINES: Am Abend. Beschwerden nur auf einer Seite; über Kreuz, links oben und rechts unten; auf der rechten Seite. Schwäche in der Sommerhitze; durch Reden. Schmerzen wie von einem Splitter. Beschwerden in der Schwangerschaft.
< Vor dem Schlaf. Liegen auf dem Rücken; auf der rechten Seite. Gehen. Stehen. KÖRPERLICHE ANSTRENGUNG. Zusammenbeißen der Zähne. Milch. Blattgemüse. SALZ. TABAKRAUCHEN. Nach dem Stuhlgang. Etwas Kaltes Trinken. Vor dem Urin lassen. WARME BETTDECKE. WARMES ZIMMER. Kalte Luft. TROCKENES WETTER.
> Liegen auf der Seite. Berührung. Reiben. Bewegung. Gehen an der frischen Luft. Während dem Essen. Trinken. Etwas Warmes Trinken. BADEN. FRISCHE LUFT.
# KARTOFFELN.
- Verweise
ALUM spielt in folgenden Büchern eine wichtige Rolle:
Angst krank zu werden. Schuldgefühle. Stille Wasser. Kopfschuppen. Migräne. Verstopfung. Chronischer Husten. Trockener Husten. Rückenschmerzen. Rissige Hände. Albträume. Treppensteigen. Vollmond. Erkältungsneigung. Müdigkeit. Reisekrankheit.
Dicker, weißer Zungenbelag. Sentimental; dichtet beim Gehen im Mondschein. Ekstatische Liebe. Beschwerden durch Liebeskummer. Erträgt es nicht, angesehen zu werden. Kann Sonnenhitze nicht ertragen. Knacken im Ellenbogengelenk bei Bewegung. Füße sehr empfindlich mit großen hornigen Stellen. Hühneraugen.
ANT-C ist sehr reizbar und übellaunig, besonders wenn man sich um ihn kümmern will. Er hat eine weiß belegte Zunge, wie angemalt, und häufig einen verdorbenen Magen. Dabei verlangt er nach sauren Dingen, wie Essiggurken. Nach dem Essen quält ihn häufiges Aufstoßen, mit dem Geschmack des gerade Gegessenen, und sein Magen ist aufgebläht. Er hustet beim Betreten eines warmen Zimmers und hat eine raue Stimme, die häufig in eine andere Tonlage kippt, als sei er im Stimmbruch in der Pubertät. Er hat Schwielen an den Händen und Hornhaut an den Füßen, die Beschwerden beim Gehen machen.
***
Rashid ist ein ANT-C-Typ. 1986 wurde in Uganda der Schlächter OBOTE entmachtet und MUSEVENI übernahm das Amt des Präsidenten. Etliche Anhänger Obotes wollten sich mit dem Machtwechsel nicht abfinden. Einer von ihnen war JOSEPH KONY, der die LRA (Lord’s Resistance Army) gründete und fortan im Norden von Uganda Angst und Schrecken verbreitete. Rashid war zu dieser Zeit 10 Jahre alt und lebte mit seiner Familie im Norden von Uganda in einer einfachen runden Lehmhütte mit Strohdach. Er war sehr sentimental, besonders bei Mondschein. Abgesehen von einem dicken weißen Zungenbelag und ständig eingerissenen Nasenlöchern war er ein gesundes Kind. Eines Tages kam Kony mit seinen Kindersoldaten ins Dorf. Rashid versteckte sich unter einem Haufen Schweinemist, wie sein Vater es ihm beigebracht hatte. Als er nach Stunden wieder hervorkroch, lief er wie durch einen Horrorfilm. Kein einziges Kind war mehr im Dorf. Sie wurden alle entführt, als Kindersoldaten oder Sexsklaven. Und alle Erwachsenen wurden getötet oder verstümmelt. Seinen Vater hatten sie an einen Baumstumpf gefesselt. Dann hatten sich Kindersoldaten im Kreis aufgestellt und ihn abwechselnd mit einem dicken Knüppel auf den Kopf geschlagen, bis er tot war. Seine Mutter hatten sie vergewaltigt und weil sie schrie, hatten sie ihr die Lippen abgeschnitten. Als Rashid sie fand, blutete sie stark und eine Machete steckte noch in ihrer rechten Schulter. Jemand hatte versucht, ihr den Arm abzuschlagen. Rashid ging mit seiner Mutter in den Süden von Uganda. Beide wurden dort von einer Hilfsorganisation aufgenommen. Die Wunden der Mutter heilten wieder. Doch sie traute sich nicht aus dem Haus, weil ihr Gesicht entstellt war. Sie wurde eine Besenbinderin und Rashids Aufgabe war es, ihr das Material zu beschaffen. Ansonsten genoss er eine überdurchschnittliche Schulbildung und vergaß nie, was die LRA seiner Familie angetan hatte. Er sog alles auf, was er über die LRA zu hören bekam und lebte nur für einen Gedanken: Rache zu nehmen. Wenn er den Namen LRA hörte, zittert er vor Wut. Obwohl er inzwischen viele gesundheitliche Beschwerden hat, lässt er keinen Arzt an sich heran. Sobald sich jemand um ihn kümmern will, wird er unwillig und aggressiv. Jede Berührung und jede Aufmerksamkeit empfindet er als unerträglich. Heute arbeitet er als Hausmeister für die British School.
Die Betrachtung eines homöopathischen Mittels aus Sicht klinischer Diagnosen, bietet einen einzigartigen Blickwinkel. Hier eine Zusammenstellung, wie ANT-C in ausgewählten Büchern beschrieben wird:
Depressionen: Mit Atemnot. Am Abend. Gehen an der frischen Luft verschlechtert. Will sich erschießen oder ertränken; der Gedanke daran treibt sie nachts aus dem Bett. Weinen oder Zorn, wenn sie angesehen wird. # Durch Geräusche.
Kummer & Sorgen: Selbstmordneigung durch Erschießen; der Gedanke daran treibt ihn aus dem Bett. Will nicht angesehen werden. Zorn, wenn sich jemand um ihn kümmert. Sentimental. Beschäftigt sich so sehr mit seinem Kummer, dass er den Toilettengang vergisst. Isst nur, wenn ihn jemand dazu auffordert. Unempfindlich gegen Schmerzen.
Liebeskummer: Sentimental bei Mondlicht. Selbstmordneigung durch Erschießen. Erträgt es nicht, angesehen zu werden. Isst nur, wenn man sie dazu auffordert. Ekstatische Liebe. Neigung in Reimen zu sprechen.
Kopfschmerzen: Im Sommer. Bei Reizmagen. < Nach Baden. Sonne. Süßigkeiten. Saurer Wein. > Nasenbluten. # Unterdrückter Hautausschlag.
Migräne: Blutandrang zum Kopf, und in der Folge Nasenbluten. Erkältung am Kopf durch Baden. Kopfschmerzen & Übelkeit: mit Schwere in der Stirn, Schwindel und Nasenbluten; mit Schmerz an einer kleinen Stelle über einer Augenbraue; mit starkem Haarausfall; erst gelindert nach Tagen und häufigem Erbrechen.
Haarausfall: Lästiger Juckreiz der Kopfhaut & Haarausfall. Haarausfall & viel Kopfschmerzen. Kopfschmerz nach einem kalten Bad; durch Magenverstimmung (nach Süßigkeiten oder saurem Wein); durch Treppensteigen.
Zungenbelag: Die Zunge dick und weiss belegt, als wäre sie angemalt. Dies ist ein Leitsymptom von ANT-C. Trockener Mund mit Geschwüren. Salziger Speichel.
Parodontose: Eingerissene Mundwinkel. Kariöse Zähne schmerzen nach jeder Mahlzeit und vor der Menses. Zunge mit dickem weißen Belag, wie angemalt. Leicht blutendes Zahnfleisch löst sich von den Zähnen.
Zähneknirschen: Zahnschmerzen vor der Menses. Zahnfleischbluten. Zähneknirschen im Schlaf; beim Schlafen in Sitzhaltung; morgens beim Erwachen; im Fieber.
Senioren Bronchitis: Verlust der Stimme; kann kaum ein Wort sprechen. Schwache Stimme. Wundes Gefühl in Kehlkopf und Rachen. Seufzende Atmung mit Atemnot. Stechen in der Brust beim Ausatmen. Husten beim Eintritt in ein warmes Zimmer. Brennschmerz in der Brust beim Husten.
Magenschmerz: Übelkeit, Erbrechen und Durchfall nach Milch. Erbrechen bei Masern; nach saurem Wein. Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft. Schmerz: Am Morgen. < Nach dem Essen. Brot. Etwas Kaltes Trinken. # Durch Essen von sauren Dingen; sauren Wein.
Furunkel: Pickel, Pusteln und Furunkel im Gesicht.
Durchfall: Durchfall und Verstopfung im Wechsel, vor allem bei älteren Menschen. Durchfall an heißen Sommertagen. Durchfall ausgelöst durch ein kühles Bad. Stuhl mit gelber Farbe und unverdauten Nahrungsresten. Durchfall mit Übelkeit oder Aufstoßen.
Hämorrhoiden: Beim hartem Stuhl Hervortreten des Rektums, Blutungen und Wundgefühl am Anus, wie aufgerissen. Die Hämorrhoiden brennen und sind ständig von einem gelb-weißen Schleim umgeben, der die Wäsche gelb färbt. Schwangerschaft & Hämorrhoiden.
Impotenz: Nächtliche Pollutionen ohne erotische Träume. Beißen und Juckreiz an den Genitalien. Sexuelles Verlangen & Schlaflosigkeit & Impotenz.
Antimonium crudum
Anna Baranow, 23, Enkelin der ermordeten Kaviarschmugglerin Olga. Mag Schnaps mit sauren Gurken, und will nicht angesehen werden. Die homöopathische Analyse zur Geschichte finden Sie im Anschluss.
***
Als die Spurensicherung erledigt und Olgas Leiche abtransportiert war, hatte Kommissar Pinto nur noch eines zu tun, nämlich sich mit einer jungen Frau, namens Anna, zu unterhalten, die vor einer Stunde hier zufällig hereingeschneit kam und sich als Enkelin des Mordopfers vorgestellt hatte. Sie hatte ein schönes slawisches Gesicht, glattes langes dunkelblondes Haar und eine Figur, die den armen Pinto zwang, immer dicht an ihr vorbeizusehen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, sich auf sie zu stürzen.
Er konnte nicht wissen, wie sehr er damit Annas Sympathie gewann, denn diese reagierte schon seit ihrer Kindheit mit Zorn oder Tränen, wenn sie bemerkte, dass jemand sie anstarrte. (1) Das hatte nichts mit Verklemmtheit zu tun, oder dass sie keine erotischen Avancen vertrug, sondern es war vielmehr die Aufmerksamkeit an sich, die sie nicht ausstehen konnte. Sie war eben ein Mensch, der um keinen Preis im Mittelpunkt stehen wollte.
Da saßen sie also beide am selben Küchentisch, wo Igor Olgas Hand festgenagelt hatte, und schauten dicht aneinander vorbei. Und Anna erzählte unter Tränen, die vom Anblick der Leiche herrührten, dass Olga eine traumhafte Großmutter gewesen war, und dass sie sich nicht vorstellen konnte, wer ihr das angetan haben könnte.
Pinto machte sein übliches leidendes Gesicht, welches Anna mit Anteilnahme verwechselte und verspürte inzwischen ein unbändiges Verlangen nach einem anständigen Branntwein. Anna zog aus einem Küchenschrank eine Flasche Wodka hervor und meinte, dass sie unter diesen Umständen auch einen vertragen würde. Sie gossen sich also die Gläser voll, und nachdem der Hochprozentige den Gaumen verlassen und im Magen angekommen war, sahen sie sich zum ersten Mal in die Augen und fanden sich gegenseitig ganz angenehm, was eine rein platonische Feststellung war, ohne irgendwelche Hintergedanken.
Da Pinto schon einmal damit angefangen hatte, startete er den nächsten Versuch und meinte, dass dieses Brennen im Magen mit einem Stück Brot sicher gut wegzukriegen sei. Da zauberte Anna ein Glas mit sauren Gurken hervor. Da stehe sie unheimlich drauf, meinte sie (2) , sodass Pinto zugriff, obwohl er der Meinung war, dass beides nicht so ganz zusammenpasste. Aber vielleicht aß man in Russland so und er wollte jetzt kein Spielverderber sein.
Nachdem Pinto ungefähr einen Viertelliter vom Hochprozentigen verschluckt hatte, schniefte er vor Rührung und versicherte, dass er schon lange nicht mehr so gut gespeist und getrunken hatte, zumal er seit einiger Zeit überzeugt war, dass er vor Hunger sterben würde. Zwar hätte er ein ausreichendes Gehalt und auch seine Lebensumstände würde er eher als sparsam bezeichnen, aber er würde die Bilder von Hunger und Elend nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Er sei ja wirklich ein armer Mann, sagte Anna, und streichelte ihm über den Kopf.
Da wurde Pinto mutiger und erzählte Anna, dass er erst heute Morgen einen Anfall von Herzrasen überstanden hätte. Seiner Meinung nach hatte das Herz seine Pumpleistung unvermittelt gesteigert. Er hatte regelrecht gefühlt, wie sein Blutdruck sich erhöhte. Aber der Körper kannte für solche Gelegenheiten eine Menge Tricks. Und in seinem Fall öffnete sich einfach ein Ventil. Das bestand darin, dass die Adern in seiner Nase platzten und für fünf Minuten eine Menge an Blut aus seiner Nase lief, sodass sein ganzes Shirt blutig war.
Anna ihrerseits nickte betroffen, schlug Pinto auf die Schulter und meinte, dass auch andere ihr Päckchen zu tragen hätten. „Da schau mal“, sagte sie und strich den Ärmel ihrer Bluse nach oben. Dann bewegte sie das Ellenbogengelenk langsam hin und her und tatsächlich, bei jeder Bewegung war ein merkwürdiges Knacken zu hören, es klang, als würde man eine rostige Rohrzange bewegen (3) . Und Pinto musste zugeben, dass die Aussichten für eine Frau nicht besonders gut waren, wenn sie mit Anfang zwanzig solche verrosteten Gelenke habe. Aber ansonsten würde sie ja noch ganz schnuckelig aussehen. Da winkte Anna ab, zog ihren rechten Schuh aus, streifte den dazugehörigen Strumpf ab und knallte den Fuß auf den Küchentisch. Das war nun mal ein Frauenfuß, wie Pinto ihn noch nie gesehen hatte. Bis zu den Zehen war er ja noch ganz annehmbar, aber auf diesen erhoben sich ganz grässliche Hühneraugen (4) . Die waren rot, entzündet und sicher auch sehr schmerzhaft. Und die Großzehe war zusätzlich dermaßen verbogen, dass Pinto zu schlucken anfing. „Das sind mal Dinger“, rutsche es ihm heraus.
„Die andere Stelze sieht nicht viel besser aus“, beteuerte Anna und nickte stolz.
Pinto sagte ziemlich unfein, dass er es nie für möglich gehalten hätte, dass eine solch schöne Frau solch verbogene und verhornte Quadratlatschen habe (5) .
Da meinte Anna, das wäre ja der Sinn dieser Aktion. Pinto sehe in Zukunft hoffentlich genauer hin. Jeder habe sein Päckchen zu tragen. Und er Pinto könne mit seinem lächerlichen Nasenbluten gegen ihre Quadratlatschen eigentlich nur abstinken.
Da nickte Pinto und beide gossen sich noch einen ein. Und als die Flasche leer war, zog Anna ihren Schuh wieder an, stand auf und sagte feierlich, da sich Pinto ihr gegenüber hochanständig verhalten habe, wolle sie ihm auch helfen und noch eine Sache loswerden, die sie bisher für sich behalten hatte. Damit ging sie ins Schlafzimmer, schob fluchend einen Schrank beiseite, während sie Pinto anbrüllte, er solle mal seinen Arsch bewegen und ihr helfen. Das tat er dann auch. Was dann zum Vorschein kam, war eine weitere Tür. Die hatte die Spurensicherung übersehen. Dahinter öffnete sich eine kleine Kammer, mit einer riesigen Kühltruhe darin, und als Anna diese öffnete, sah Pinto ein Meer von himmelblau gefärbten Metalldosen. Anna drehte sich um, wies auf die tiefgekühlte Farbenpracht und bestellte beste Grüße von der Schmugglerfamilie Romanow. Dann verdrehte sie die Augen und war im Begriff lang hinzufallen. Pinto konnte sie gerade noch so halten, trug sie zur nächsten Couch, was an sich schon sehr schwierig war. Als ordnungsliebender Mann dachte er, man müsse ihr die Schuhe ausziehen, doch einen Moment später schüttelte er sich und dachte, die könne sie genauso gut anbehalten. Dann ging er zur Kühltruhe zurück und staunte über die Unmengen an Kaviar, setzte sich davor und begann nachzudenken, gerade so, wie sein vernebeltes Hirn es noch erlaubte. Er brauchte vielleicht zehn Minuten, bis er der festen Meinung war, dass zwischen Olgas Tod und der großen Menge Kaviar, geschmuggeltem Kaviar verbesserte er sich, ein Zusammenhang bestand.
Dann beschloss er, Kavalier, wie er war, genau hier zu warten, bis Anna erwacht war. Obwohl Anna ja keine Frau in diesem Sinne war. Damit schlief er ein.
***
Auch andernorts schauten sich zwei Menschen ein Video an. Kommissar Pinto und die schöne Hühneraugen-Anna saßen im Landeskriminalamt in Tiergarten und starrten auf den Bildschirm, der die Aufnahmen des Rentners Bollmann freigab.
Bisher war nur Mist zu sehen. Alle möglichen Menschen kamen und gingen. Es war ein unglaublicher Betrieb in diesem Haus. Aber dann lief ein merkwürdiger Kerl ins Bild, der Anna zusammenzucken ließ. War das nicht? Ist das nicht? Sie riss den rechten Arm hoch, sodass ihr Ellenbogengelenk knarrte (3) . Pinto legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter (ganz ohne Hintergedanken) und sagte, der Kerl müsse ja auch mal wieder herauskommen. Vielleicht könne man ihn dann besser sehen. Und so war es dann auch.
Nach einer Stunde stürzte ein kleiner, dicklicher Mann mit bunter Strickweste aus dem Haus, blieb unschlüssig stehen, und trat schließlich nacheinander drei Autospiegel ab. Erst dann rückte er die Schultern gerade und ging langsam in Richtung Savignyplatz.
Der war offensichtlich schwer in Rage, sagte Pinto und die schöne Hühneraugen-Anna nickte traurig. Das war Igor, sagte sie leise. Igor Kusnezow aus dem Wolgadelta. Wie hieß das Nest noch gleich? Kuradno! Sie sei mit ihm zur Schule gegangen. Ein ganz übler Kerl. Damals hätte die Runde gemacht, dass er Katzen quälte. Und irgendwann hatte er auch das Büro des Schulleiters angezündet. Dann war er plötzlich verschwunden. Also, wenn sie einem den Mord an ihrer Großmutter zutraute, dann diesem Schweinehund.
Pinto kaute auf seinen Lippen herum. Das wäre ja großartig, dachte er. Wenn dieser Igor tatsächlich der Mörder war, dann hatte er jetzt einen Namen und sogar seine Adresse. Normalerweise käme danach gleich die Festnahme. Aber da war ein klitzekleines Problem. Der Kerl wohnte viertausend Kilometer weiter weg, und er selbst hatte dort nicht die geringste Befugnis. Warum musste immer alles so kompliziert sein? Und überhaupt. Was ist, wenn er sich immer noch in Berlin aufhielt? Pinto zuckte mit den Schultern. Versuchen musste er es. Und wenn nur eine neue interessante Information dabei heraussprang.
Pinto nippte zufrieden an seinem Kaffee und tätschelte dankbar Annas Schulter. Die hatte inzwischen ihren rechten Schuh ausgezogen, fühlte sich ganz wie zu Hause, knetete an ihren Zehen herum und schien zu überlegen. Plötzlich drehte sie sich um, sah Pinto mit ihrem Hündchenblick von unten an und sagte:
„Töte ihn!“
Pinto fiel vor Schreck beinahe die Kaffeetasse aus der Hand.
„Wie bitte?“
„Töte ihn!“
„Mein Gott, wen meinst du denn?“
„Na diesen Igor. Mach ihn kalt. Mach ihn alle. Lass ihn verschwinden.“
Pinto war nun endgültig aus seiner netten Grübelei erwacht und rang nach Luft. Wenn sie auch sehr schön sei, erklärte er der schönen Hühneraugen-Anna dann, so würde er doch für sie nicht als Mordmaschine durch die Gegend laufen. Er habe eine Anstellung als Kriminalkommissar. Da ginge es um die Aufklärung von Verbrechen, nicht um Sühne. Dann hob er entschuldigend seine Schultern.
Doch Anna zog verächtlich ihre Mundwinkel nach unten. Da hätte sie wohl mit dem falschen Kerl Freundschaft geschlossen, sagte sie und zog ihren Schuh wieder an, wobei Pinto über Letzteres ehrlich gesagt recht froh war. Doch dann wurde Anna konsequent und kündigte an, sich einen anderen Partner zu suchen. Denn den Igor, so viel stand fest, würde sie nicht laufen lassen.
Pinto versuchte sie von einer anderen Seite zu kriegen und begann ihr einzureden, dass sie doch viel zu schön sei, um die Sache auf diese Art zu regeln. Sie solle mal in den Spiegel schauen. Da stünde eine schöne junge Frau, die eine Familie gründen sollte, statt ihr Gehirn mit Rachegelüsten zu verkleben. Wollte sie sich jetzt Rangerkleidung besorgen? Das passte doch gar nicht zu ihr. Viel mehr würde sie doch hermachen, wenn sie ein Ballkleid trüge. Da kämen ihre schönen weichen Schultern zur Geltung.
Anna schaute Pinto ein Weilchen ins Gesicht. Dann strich sie sich übers Haar, wobei die Gelenke ganz leise knarrten (3) . Und schließlich schüttelte sie den Kopf und meinte, dass der Herr Kommissar wohl ein bisschen sentimental sei. Da wo sie herkomme, habe man den Kerl, der eine Kuh gestohlen hatte, einfach verdroschen. Ob Mann oder Frau spielte für beide Seiten keine Rolle. Und überhaupt, sie und im Ballkleid. Er solle mal die Augen aufsperren.
Dann nahm sie ihre Handtasche, drückte Pinto die Hand und ging hinaus, wohl auf Nimmerwiedersehen.
Pinto blieb zurück. Ein wenig traurig war er schon. Denn die Hühneraugen-Anna war so ziemlich das interessanteste Weib, das ihm bisher untergekommen war. Und wenn sie ein wenig Manieren gelernt hätte und Bewegung, dann wäre aus ihr noch eine patente Frau geworden. Er seufzte. Nun konnte er ihr nur durch eine Sache helfen. Er musste diesen Igor vor ihr in die Finger kriegen. Am besten morgen schon in Kasachstan. Zumindest sollte er dort beginnen. Aber wie stellte er das am besten an? Auf dem Dienstweg dauerte ihm das Ganze zu lange.
***
Kommissar Pinto stand mit leidendem Gesicht im Saal vier der Gerichtsmedizin des Landes Berlin. Einige Fenster waren geöffnet. Von draußen drang liebliches Vogelgezwitscher herein. Doch vor ihm auf dem Tisch lag das blanke Grauen in Gestalt eines völlig leblosen Russen, namens Igor.
Nicht dass Pinto etwas dagegen hätte, diesen Igor nicht mehr unter den Lebenden zu wissen. Er hatte so viel Unheil angerichtet, dass es für ihn auf Erden ganz sicher keinen besseren Platz als diesen gab. Aber Igor lag eben nicht alleine da. Anwesend war auch der Tod. Und dieser ängstigte Pinto in jeder Lage und an jedem Ort, und zwar derart, dass er nicht schlafen konnte.
Igor hatte ein völlig entspanntes und kindliches Gesicht. Jemand hatte es vom Kaviar gereinigt, und so wirkte er wie ein sorgloser Junge, der sich schlafen gelegt hatte.
Pinto spürte ein Drängen im Magen. Da wollte etwas nach oben, was gar nicht dort sein dürfte. Denn er hatte in weiser Voraussicht auf ein Frühstück verzichtet. In keinem Fall hätte er etwas bei sich behalten können, an diesem grässlichen Ort.
Die schöne Hühneraugen-Anna war da ganz anders drauf. Sie stand einfach nur da, in kühler Eleganz, leicht nach vorn gebeugt und sah Igor ins Gesicht. Und Pinto meinte zu sehen, wie ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht flog. Nun gut, der Kerl hatte ihre Großmutter auf dem Gewissen. Da durfte sie sich über sein Ableben freuen, soviel sie wollte.
Anna richtete sich auf und nickte ernst. Damit war der hartnäckigste Verbrecher identifiziert, mit dem sich Pinto jemals beschäftigen musste.
Anna ging wortlos zur Fensterfront hinüber. Da war auch ein hübsches Bogenfenster mit farbigen Butzenscheiben, durch welche ein merkwürdiges Licht hindurchschien. Anna konnte sich daran nicht sattsehen und verfiel augenscheinlich in Ekstase (6) . Denn sie zitierte mit leiser Stimme ein russisches Gedicht (7) , von dem Pinto kein Wort verstand. Aber es klang sehr melodisch.
Dann drehte sie sich um und fragte, ob es hier irgendwo etwas zu essen gäbe. Dieses Gebäude beherberge tatsächlich einen Imbiss, sagte Pinto, bat Anna aber, sich die Sache noch mal zu überlegen. Denn nach solch einem Anblick konnte ihr wohl kaum nach Essen zumute sein.
Anna sah ihn entgeistert an und meinte, er solle jetzt nicht komisch werden. Sie hätte einen Bärenhunger, allerdings nur auf saure Gurken (2) . Also brachte Pinto sie zu einem verschwitzten Mann mit einer fetttriefenden Schürze, namens Benny, der zwar mit den Augen rollte, weil Anna nur nach einer Portion saurer Gurken verlangte. Wo käme er denn hin, wenn er ab sofort nur noch Beilagen verkaufen würde. Doch als er Anna noch ein paar kleine Schnapsfläschchen zum Wucherpreis andrehen konnte, war er zufrieden und trauerte seinem leeren Gurkenfässchen nicht mehr hinterher.
Pinto erwarb lediglich einen starken Kaffee. Das Einzige, was sein leerer rebellischer Magen jetzt vertrug. Und so standen die beiden ein Weilchen neben dem Imbiss an einem Tischchen. Anna vertilgte mit jeder sauren Gurke auch ein Fläschchen Schnaps. Und als sie die Hälfte vertilgt hatte, wurde sie neugierig und fragte nach, wie genau Igor denn eigentlich ums Leben gekommen war.
Pinto tat es schrecklich leid. Aber es war nun mal nicht üblich, solche Dinge breitzutreten, zumal noch nicht klar war, wer Igor auf dem Gewissen hatte. Das verstand die schöne Anna und fand es passend einzuflechten, dass es ja eigentlich unerheblich sei, wie Igor ums Leben gekommen war. Entscheidend sei jedoch, dass es hier in Berlin einen Menschen geben musste, dem sie Igors Tod zu verdanken hatte. Und Pinto solle sich ruhig darauf verlassen. Ihre Dankbarkeit kenne da keine Grenzen.
Pinto entgegnete, dass sie dem Unbekannten ruhig danken könne. Doch wenn er ihn in die Finger kriegte, müsse er sich mit ihm ernsthaft unterhalten. Denn er hatte sich als Richter aufgespielt, was in diesem Land nun mal nicht üblich sei.
Anna nickte fein. Inzwischen hatte sie sämtliche Gurken und Schnäpse vertilgt. Unter den bewundernden Blicken des verschwitzen Benny. Der wartete nun darauf, Anna lispeln oder schaukeln zu sehen. Aber nichts dergleichen geschah.
Pinto hatte schon eher Schwierigkeiten, sich neben Anna gerade zu halten, als sie dem Ausgang zustrebten. Er musste unbedingt etwas essen.
Draußen war herrliches Frühlingswetter und Pinto wollte Anna ein Stück begleiten. Da schloss sie plötzlich einen Mann in die Arme, der unten an der Treppe gewartet hatte. Pinto konnte nur einen winzigen Moment sein Gesicht sehen. Er hatte schwarze traurige Augen. Und es waren nicht die Augen eines Killers.
Dann war ja alles in Ordnung, dachte Pinto und machte sich auf den Weg zum LKA, um einen seiner üblichen Berichte zu schreiben.
Irgendwie fand er es schade, dass Anna ihm so schnell entglitten war. Aber sei es drum. Sie würde ihre Gründe haben. Und wer war er denn schon. Ein alter Mann, der sich abends nicht mal in sein eigenes Bett traute. Und so nahm er die paar Schritte zu seinem Wagen noch etwas lahmer als sonst und war zumindest froh, diesem schrecklichen Haus den Rücken kehren zu können, ohne sich darin übergeben zu haben.
***
Aus dem Roman „Russischer Kaviar“
von Jana Kaufman
- Analyse
Antimonium crudum Story
Schönheit mit Hühneraugen
Folgende Charakterzüge des Mittels ANTIMONIUM CRUDUM wurden für die Figur der Enkeltochter Anna Baranow aus der Materia Medica herausgearbeitet. Die bezifferten Symptome fanden dann im Romanauszug Verwendung.
Allgemeines
Kann Sonnenhitze nicht ertragen
Beschwerden durch Liebeskummer
Allgemein schlimmer durch ausstrahlende Hitze (Ofen)
Gemüt
Sentimental, vor allem bei Mondlicht
Macht sich viele Gedanken um sein Schicksal
Nachts gezwungen das Bett zu verlassen, wie sie die Gedanken nicht los wird
Erträgt es nicht, angesehen zu werden oder gewaschen zu werden; ist zornig bei jeder kleinen Aufmerksamkeit (1)
Ekstatisch verträumt, sentimental
So stark mit sich selbst beschäftigt, dass sie das Essen vergisst. Isst nur, wenn dazu aufgefordert
Mürrisch, will mit niemandem reden
Ekstatische junge Mädchen, die von sanftem Licht überwältigt werden, etwa wenn Licht durch farbige Glasfenster fällt, oder Mondlicht am Abend (6)
Traurig und leicht gereizt; Glockengeläut oder Anblick von Personen um sie herum, treiben Tränen in die Augen
Ekstatische Liebe
Drang in Reimen und Versen zu sprechen (7)
Lokales
Verstopfte Nase in geheizten Räumen
Appetitverlust
Verlangen nach Saurem, vor allem saure Gurken (2)
Übelkeit durch Brot und Gebäck
Kopfschmerzen durch Alkohol
Stimmverlust durch am Morgen durch kaltes Bad am vorhergehenden Abend
Tiefes Seufzen mit angehobenen Schultern
Hände schwach und zittrig beim Schreiben
Knacken im Ellenbogengelenk bei Bewegung (3) (3) (3)
Füße sehr empfindlich mit großen hornigen Stellen (5)
Hühneraugen (4)
Feines Sticheln in den Fußsohlen beim Gehen auf steinernem Gehsteig
Ständige Schläfrigkeit, um 19 Uhr vom Schlaf übermannt
Träume von Streit; wollüstig
ANTIMONIUM CRUDUM (ANT-C)
Schwarzer Spießglanz
LEITSYMPTOME: Dicker, weißer Zungenbelag. Kind will nicht angefasst werden; will nicht angesehen werden; weint und schreit, sobald der Arzt sich ihm zuwendet. Alle Beschwerden schlimmer durch ein kühles Bad oder Sommerhitze. Risse in den Nasenlöchern und Mundwinkeln. Vielfraß; Beschwerden durch übermäßiges essen. Magenstörungen begleiten beinahe jedes Symptom.
GEMÜT: Kopfschmerzen durch Angst. Unempfindlich gegen Schmerzen; bei Dekubitus. Lebensmüde; will sich erschießen; der Gedanke daran treibt sie aus dem Bett. Sentimental; dichtet beim Gehen im Mondschein; Ekstase, wenn sanftes Licht durch ein farbiges Glasfenster fällt. Reizbarkeit durch Geräusche; weint durch das Klingeln an der Tür. Will nicht angesehen werden.
ALLGEMEINES: Am Abend.
< Saure Dinge. Schweinefleisch. Saurer Wein. Mondlicht. Kühles Bad.
> Liegen. Frische Luft.
# Unglückliche Liebe. Überessen. Sonnenbad. Unterdrückte Hautausschläge.
- Lokalsymptome
ANTIMONIUM CRUDUM (ANT-C)
Schwarzer Spießglanz
GESICHT: Sommersprossen. Gesichtsakne. Zähneknirschen
EXTREMITÄTEN: Hühneraugen. Gespaltene Nägel.
GLIEDERSCHMERZ: < Kaltes Wasser. > Wärme. # Saurer Wein.
NASE: Risse in den Nasenlöchern.
MUND: Furunkel am Mundwinkel. Zähneknirschen im Schlaf.
ANUS: Hämorrhoiden während der Schwangerschaft.
ALLGEMEINES: Am Abend. Während der Menstruation.
< Vor dem Schlaf. Liegen auf der schmerzhaften Seite. Sitzen. Sich nach hinten Beugen. Während dem Essen. Brot. Erdbeeren. Essig. Backwaren. Etwas Kaltes trinken; essen. Milch. SAURE DINGE. SCHWEINEFLEISCH. Süßwaren. Tabakrauchen. Wein. SAURER WEIN. Während dem Stuhlgang. Während dem Urin lassen. Warme Bettdecke. Warme Luft. Warmes Zimmer. MONDLICHT. BADEN. Regenwetter.
> Nach dem Stuhlgang. Reiben. FRISCHE LUFT. Dunkelheit.
# Kummer. UNGLÜCKLICHE LIEBE. Nach Masern. ÜBERESSEN (Sich den Bauch vollschlagen). SONNENBAD. UNTERDRÜCKTE HAUTAUSSCHLÄGE.
- Verweise
ANT-C spielt in folgenden Büchern eine wichtige Rolle:
Schlechte Laune. Langschläfer. Lebensmüde. Migräne. Parodontose. Zungenbelag. Durchfall. Kalte Füße. Vielfraß. Scharfe Speisen. Schweinefleisch.
Beschwerden verschlimmern sich um 1 Uhr nachts; mit Todesangst und Ruhelosigkeit. Angst nach Mitternacht; treibt sie aus dem Bett. Depressionen mit Ruhelosigkeit; mit Stöhnen und Händeringen. Geizig. Perfektionistisch; perfekte äußere Erscheinung. Ordnungswahn. Bei septischen Infektionen und Lebensmittelvergiftung.
ARSENICUM ist das wichtigste Mittel bei einer Lebensmittelvergiftung. In einem Fall konnte ich das beobachten, als ein 20jähriger Mann von seiner Arbeit nach Hause kam, Bauchschmerzen, einen übelriechenden Durchfall hatte und sich laufend erbrach. Das Erbrochene war eindeutig von grüner Farbe. Im Synthesis stehen viele Mittel drin (Magen / Art des Erbrochenen / Grün), aber nur 4 sind hochwertig, also fettgedruckt: ARS, CHEL, IP, und VERAT. IP und VERAT sortierte ich aus. Erstens hatte ich sie nicht vorrätig. Zweitens schienen sie mir nicht sehr gebräuchlich zu sein. CHEL schien mir nicht für diesen akuten Fall zu passen, eher bei chronischen Leberbeschwerden, was nicht zutraf. Also tippte ich auf eine Lebensmittelvergiftung und gab ihm ARS C200, was den Fall über Nacht klärte. Man sollte ARSEN also auch dann im Hause haben, wenn man kein ARSEN-Typ ist - eben als Notfallmittel.
Der homöopathische Tierarzt Dr. Borschel beschreibt einen Fall von Lebensmittelvergiftung, in welchem Kühe auf einer Koppel den Zaun zum Nachbargrundstück aufgebrochen hatten. Dort war eine Obstplantage, und die Tiere hatten den ganzen Tag lang faulige und schimmelige Äpfel vertilgt. Am Abend versuchte der Bauer die Tiere wieder in den Stall zu holen. Doch diese konnten kaum aufstehen, waren geschwächt, manche zitterten. Alle Tiere hatten einen aashaft riechenden Durchfall. Nach einer Gabe ARSENICUM C1000 waren die Tiere am nächsten Morgen wieder munter.
Die Betrachtung eines homöopathischen Mittels aus Sicht klinischer Diagnosen, bietet einen einzigartigen Blickwinkel. Hier eine Zusammenstellung, wie ARSEN in ausgewählten Büchern beschrieben wird:
Depression: Bei Kindern. Bei Mädchen vor der ersten Menstruation. Während Schwitzen. Nach dem Essen. Im Zwielicht. Am Abend; im Bett. Wenn sie mit sich allein ist. Körperliche Anstrengung verschlechtert. Sehr ruhelos; ständiges Umherlaufen; Stöhnen, Ächzen und Händeringen. Geizig, egoistisch und feige. Qualvolle Angst um die eigene Gesundheit. Depressiv & eigensinnig. Reizbarkeit. Tadelt sich selbst. # Durch Zorn. Durch geistige Überanstrengung. Durch finanziellen Verlust.
Burnout: Schwach und erschöpft, aber ruhelos in der Nacht. Extreme Erschöpfung nach der geringsten Anstrengung. Sehr ruhelos; rollt ständig mit dem Kopf, wenn sie den Körper vor Schwäche nicht mehr bewegen kann. Plötzlicher Kräfteverfall durch den geringsten Schmerz. Selbstmordneigung. Angst um die Gesundheit; klammert sich an den Arzt.
Kummer & Sorgen: Wut auf sich selbst; meint, sein Leben sei zerstört und er sei selber daran schuld. Furcht und Ruhelosigkeit mit Zittern, Schwäche und kaltem Schweiß, schlimmer um 3 Uhr nachts. Reizbar und niedergeschlagen, vor allem in der Dämmerung. Gewalt gegen sich selbst; Nägelbeißen, Haareziehen. Stöhnen, Ächzen und Händeringen. Hypochondrische Angst; klammert sich an den Arzt.
Grippe: Blaue Nägel und Lippen. Kein Durst. Viel Hitze und wenig Schweiß. Trockene, pergamentartige Haut. Heißes Gesicht und kalte Hände. Innere Hitze. Will sich nicht aufdecken. Hitze und Angst, die vom Magen hochkommt. Wechselfieber. Grippe: mit Todesangst, schlimmer in der Nacht; mit Augenentzündungen; mit schwächendem Durchfall; mit plötzlicher großer Schwäche; mit blutgestreiften Absonderungen.
Tinnitus: Übelriechende grüne Absonderung aus dem Ohr. Eiterung aus dem linken Ohr. Hitze in den Ohren. Schwerhörig für die menschliche Stimme. Schwellung der Ohrspeicheldrüsen. Sehr geräuschempfindlich. Klingeln im Ohr. Sausen im Ohr beim Schmerz. Summen und Singen in den Ohren im Wechselfieber.
Hitzewallungen: Hitzewallungen um 2 oder 3 Uhr nachts. Gefühl, als sei heißes Wasser in den Venen; als sei das Blut in den Venen kochend heiß. Todesangst und Ruhelosigkeit. Reichlich Schweiß.
Waschzwang: Beim Alleinsein wird sie den Gedanken an ihre (verkeimten) Hände nicht los, was sie zwingt diese ständig zu waschen. Zuerst ruhig und heiter, doch schon 30 Minuten später voller Unruhe und zwanghafter Gedanken. Gerät durch die geringste Kleinigkeit außer Fassung. Zittern & kalter Schweiß, wenn sie sich die Hände nicht waschen kann. Hochgradig erschöpft durch Kontakte mit der (verkeimten) Außenwelt. Geizig und egoistisch. Große Angst vor ansteckenden Krankheiten; Angst schwer krank zu sein; klebt am Arzt; übertreibt die Symptome. Macht äußerlich einen perfekten und sehr ordentlichen Eindruck. Verbringt nachts viel Zeit damit, die Wohnung nach Einbrechern abzusuchen.
Angst vor Krebs: Große Angst vor dem Tod; aber lebensmüde; schlimmer nachts. Furcht allein gelassen zu werden. Sagt, es sei nutzlos, die Medizin zu nehmen. Verzweifelt; geht ruhelos von einem Ort zum andern. Glaubt, dass sie nie wieder gesund werden kann. Will Selbstmord begehen, weil das Leiden zu groß ist. Erwacht aus schrecklichen Träumen. Kann den Gedanken an Krankheit nicht abschütteln; schlimmer beim Alleinsein. Angst um die Gesundheit; klammert sich an den Arzt; übertreibt die Symptome, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Läuft händeringend im Haus umher.
Angst vor Armut: Stöhnt vor Angst. Abends, wenn sie im Bett liegt, wird sie ihre Ängste nicht los, und nach Mitternacht treibt die Angst sie aus dem Bett. Ist überzeugt, dass sie und ihre Familie an Hunger sterben werden. Große Angst und Unruhe mit Atemnot und Verzweiflung. Wenn sie Geld verloren hat, wird sie schwer depressiv, geht nachts händeringend umher und kann nicht getröstet werden. Angst mit Enge in der Brust und Atemnot. Angst mit Übelkeit und leichtem Magenschmerz. Geizig & egoistisch.
Angst vor Menschenmassen, Platzangst, Flugangst: Angst mit Übelkeit und Magenschmerz. Will festgehalten werden. Angst mit Atemnot und Engegefühl in der Brust. Angst mit Schwäche, Zittern und kaltem Schweiß. Große Angst beim Alleinsein oder beim Zubettgehen. Ruhelos in der Nacht; Angst treibt ihn nach Mitternacht aus dem Bett. Geizig & selbstsüchtig; Ursache für die Phobie ist möglicherweise ein finanzieller Verlust.
Migräne: Kopfhaut so empfindlich, dass sie das Haar nicht kämmen kann. Kopfschmerzen & Übelkeit: mit Pulsieren und starkem Druck in der Stirn; mit Schwindel, schlimmer durch Licht und Geräusche; mit galleartigem Erbrechen, wenn sie den Kopf hebt; mit Angst vor dem Tod; im Wechsel mit Bauchkoliken oder Leberschmerz; mit Reizung im Unterleib; mit großer Schwäche und eiskaltem Gefühl in der Kopfhaut; mit Frostgefühl, sogar in der Nähe des Ofens; mit Ruhelosigkeit, bewegt ständig Kopf und Glieder und meint ihren Zustand so zu bessern.
Haarausfall: Sehr empfindliche Kopfhaut; kann kaum das Kämmen der Haare ertragen. Brennender Juckreiz auf der Kopfhaut, abends beim Entkleiden. Furunkel auf der Kopfhaut, empfindlich gegen Berührung. Mit Eiter gefüllte Bläschen auf der Kopfhaut zerstören die Haarwurzeln. Kreisrunder Haarausfall & die nackte Haut wird empfindlich, rauh und schmutzig und bedeckt sich mit trockenen Schuppen. Stirnglatze. Feuchter Hautausschlag, der einen trockenen Schorf bildet, auf der behaarten Kopfhaut.
Allergie: Wässriges, wundmachendes Nasensekret. Heuschnupfen, schlimmer an der frischen Luft. Kann sich nicht hinlegen; Angst zu ersticken; schlimmer nach Mitternacht. Husten schlimmer nach Mitternacht und beim Liegen auf dem Rücken. Stechender Schmerz in der Lunge. Trockene und schuppende Hautausschläge; schlimmer durch Kälte.
Heuschnupfen: Hat ständig den Geruch von Pech oder Schwefel in der Nase und kann Speisengeruch nicht ertragen. Hat das Gefühl, die Nase ist verstopft, trotz ständiger wäßriger Absonderung. Absonderung von brennendem gelbem Schleim, der die äußeren Nasenlöcher und die Oberlippe wund macht; es bildet sich Schorf, und die Haut darunter blutet, wenn der Schorf abgerissen wird; kann im Schlaf nicht durch die Nase atmen. Knotig geschwollene Nase & Schlaflosigkeit. Tiefe Nasolabialfalten. Rote Nasenlöcher und Mundwinkel.
Zähneknirschen: Schwarzes Blut tritt aus, nach Zahnextraktion. Reizbarkeit durch Zahnschmerzen, schlimmer nach Mitternacht, besser durch Ofenhitze. Halbschlaf; gestört durch Stöhnen und Zähneknirschen. Zähneknirschen im Schlaf; im Fieber; während Krämpfen; während Tobsucht; im Sitzen.
Mundgeruch: Kadaverartiger Geruch. Geruch wie von verdorbenen Lebensmitteln. Widerlicher Geruch. Zunge blass oder rot & mit Zahnabdrücken am Zungenrand. Trockene Zunge; schmerzhaft bei Bewegung; kann Speisen nicht befeuchten. Brennende Geschwüre oder bläuliche Aphthen im Mund. Unangenehm süßlicher Geschmack im Hals.
Parodontose: Zahnschmerz besser durch Ofenhitze. Geschwollenes, leicht blutendes Zahnfleisch, schmerzhaft bei Berührung. Aufstoßen von brennender Flüssigkeit aus dem Magen.
Mundaphthen: Aphthen; bläulich; schmerzhaft; auf der Oberseite der Zunge; am Zungenrand. Schmerzhafte Bläschen auf der Oberseite der Zunge. Übelriechender Speichel. Zahneindrücke am Zungenrand (begleitend zu anderen Beschwerden). Papillen der Zunge sind gerötet. Papillen an der Zungenspitze sind vergrößert.
Zungenbelag: Kadaverartiger Geruch. Geruch wie von verdorbenen Lebensmitteln. Widerlicher Geruch. Zunge bläulich, blass oder rot & mit Zahnabdrücken am Zungenrand; weißer Belag. Trockene Zunge; schmerzhaft bei Bewegung; kann Speisen nicht befeuchten. Brennende Geschwüre oder bläuliche Aphthen im Mund. Unangenehm süßlicher Geschmack im Hals.
Halsschmerzen: Hals geschwollen, wie zugeschnürt und brennend. < Etwas Kaltes trinken. Schlucken; mit leerem Mund. > Zucker und Schokolade. Wärme. Etwas Warmes trinken. # Abkühlen einzelner Körperteile.
Husten: Nach Mitternacht. Kinder husten beim Anblick von fremden Personen. Stechender Schmerz durch das obere Drittel der rechten Lunge. < Erwacht aus dem Nachtschlaf durch Husten. > Etwas Warmes trinken. # Ärger
Chronische Bronchitis, Senioren Bronchitis: Bronchitis mit Atmemnot, Brennschmerz in der Brust und Hitze in den Augen. Kaum Schleimbildung. Husten durch Kitzeln in den Bronchien. Husten in der Nacht, mit viel weißem Auswurf, danach Schweiß und große Schwäche. Rasseln und Zischen in der Brust.
Sodbrennen: Sodbrennen und starke Magenschmerzen, die sich bis in die Brust erstrecken. Nach dem Essen Brennen im Magen, selbst nach leichten Mahlzeiten. Kältegefühl im Magen nach Obst. Aaashafte Stühle. Verlangen nach kaltem Wasser, aber kolikartige Schmerzen davon. Gastritis nach Seiseeis oder Eiswasser. Besser von süßer Milch.
Magenschmerz: Magenbeschwerden während der Menstruation. Übelkeit und Erbrechen nach Eiskreme; während der Schwangerschaft. Erbrechen beim Autofahren; während Kopfschmerzen; nach Milch. Abneigung gegen Süßigkeiten. Verlangen nach erfrischenden Dingen (z.B. Säfte oder Obst); Gemüse; Kaffee; Milch; Brot; warmen Getränken oder Speisen. Schmerz: Am Abend. Um 2 Uhr nachts. Starke Schmerzen. Überwiegend während der Menstruation. < Beim Luft holen. Druck. Beim Gähnen. Gehen. Nach dem Essen. Speiseeis. Etwas Kaltes trinken. Überwiegend vor dem Stuhlgang. > Etwas Warmes trinken. Süße Milch bessert. Hitze. # Ärger. Milch. Husten.
Bauchschmerz: Schmerzhafte Ansammlung von Gasen im Darm. Vergrößerung der Leber. Schmerz: Am Nachmittag. Kolikartige Schmerzen bei Durchfall. Starke Schmerzen. Während der Schwangerschaft. Überwiegend während der Menstruation. < Nach dem Essen. Nach dem Urin lassen. Vor dem Stuhlgang. > Nach dem Stuhlgang. Wärme. # Lachen. Speiseeis. Kaltwerden des Körpers. Regenwetter.
Ischias: Schlimmer nach Mitternacht und durch Kälte. Wärme und Bettwärme bessert. Durch Leben in einem feuchten, kalten Raum oder Keller. Starker brennender Dauer-Schmerz in der Hüfte.
Hämorrhoiden: Hämorrhoiden mit großer Schwäche und Streitsucht. Stuhldrang mit brennenden Schmerzen am Anus, wie Feuer. Stuhlgang macht den Anus rot und wund; Fissuren am Anus. Hämorrhoiden bluten, treten hervor und sind schmerzhaft geschwollen; schlimmer ab 1 Uhr in der Nacht, mit Ruhelosigkeit. Walnußgroße Hämorrhoiden, mit stechenden oder brennenden Schmerzen beim Gehen oder Sitzen, verhindern das Sitzen und den Schlaf.
Durchfall: Durchfall schlimmer nach körperlicher Anstrengung, Gemüse, kalten Speisen oder Getränken, Speiseeis, Wasser trinken. Durchfall ausgelöst durch Zorn. Übel riechender Durchfall mit anschließender Schwäche. Häufige kleine Durchfälle mit schmerzhaftem Drängen und Analprolaps. Stinkende Durchfälle verpesten den ganzen Raum. Durchfälle mit eiskalten Armen und Beinen. Dunkelgrüner dünner Stuhl, der später schwarz und faulig wird, eventuell mit Erbrechen (z. B. bei Lebensmittelvergiftung).
Arsenicum album
Christian Pinto, 48, Kriminalhauptkommissar. Ermittelt zum Tod der Kaviarschmugglerin Olga, und hat Angst, vergiftet zu werden. Die homöopathische Analyse zur Geschichte finden Sie im Anschluss.
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Kommissar Pinto hielt sich für einen ziemlich normalen Typen. Er unterschlug dabei die Tatsache, dass er unter der Wahnvorstellung litt, irgendwann einmal vergiftet zu werden (1) . Neuerdings war er leider Single und nicht in der Lage, sich selbst einen schmackhaften Kaffee zu bereiten. Restaurantbesuche ließen sich daher nicht vermeiden. Er stellte nur eine Bedingung: Die Zubereitung der Getränke wollte er auf jeden Fall selber im Auge behalten.
Thaos Restaurant (eigentlich war es eher ein Imbiss) erfüllte diese Anforderung. Er akzeptierte allerdings nur einen Platz am Tresen, und zwar den dritten Hocker von links, von dem aus er die Kaffeemaschine im Blick hatte und zur Not auch mitbekam, wenn Thao statt Kakaostreuseln Rattengift oder dergleichen in seine Tasse schütten würde. Obwohl das eher unwahrscheinlich war, denn Pinto hatte vor gut drei Monaten die einzige Verfehlung in seiner gesamten Laufbahn begangen, indem er Thao, ohne dass es auch nur den geringsten Anlass dazu gab, in allen möglichen Richtungen überprüfen ließ. Das Mädel war sauber.
Sie war Ende zwanzig. Ihre Eltern waren in den Siebzigern aus Vietnam nach Deutschland gekommen und irgendwie in Berlin hängen geblieben. Thao war eine echte Berlinerin, wenn man ihr schwarzes Haar außer Acht ließ, ihre dunklen Mandelaugen und ihr bezauberndes Lächeln. Wenn sie ihm ausnahmsweise mal etwas näher kam, dann konnte er sie riechen. Ihren Atem, ihren Schweiß. Sie verströmte einen eigenartig süßlichen Geruch, wie ein Glas mit frischer Milch. Er mochte Milch … unter anderem.
Pinto hatte wieder mal eine furchtbare Nacht hinter sich. Seit er in dieses kleine Appartement an der S-Bahnbrücke gezogen war, fürchtete er sich vor dem Zubettgehen. Denn sobald er sich hineinlegte, glaubte er, nicht wieder aufzuwachen (2) . Dieses Bett hatte offensichtlich eine negative Ausstrahlung. Er war davon überzeugt, eines Tages darin sterben zu müssen. Und es konnte jede Nacht sein, auch die heutige. Also lag er stundenlang wach, mit weit aufgerissenen Augen und horchte auf alle möglichen Geräusche (3) . Am Morgen dann, wenn der Wecker klingelte, hatte er das Gefühl keine Sekunde geschlafen zu haben, obwohl die Vernunft ihm etwas anderes sagte. Aber die zählte schon lange nicht mehr in seinem Leben. Sonst hätte er Renate, als sie ihn mit Uwe, dem Chef der Inselsauna, betrogen hatte, eine geklebt, statt ihr beim Umzug zu helfen.
Pinto seufzte tief, dann kündigte sein Handy eine Textnachricht an: Olga Baranow in ihrer Wohnung, Carmerstraße 4, ermordet aufgefunden. Pinto seufzte tief. Den Rest von seinem Cappuccino würde er wohl stehen lassen müssen. Die Carmerstraße ging vom Savignyplatz ab. Gar nicht weit von hier. Er hätte zu Fuß gehen können. Doch er winkte zu Thao hinüber, legte fünf Euro auf den Tresen und stieg wenig später in seinen dunkelblauen Ford Explorer.
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Als die Spurensicherung erledigt und Olgas Leiche abtransportiert war, hatte Kommissar Pinto nur noch eines zu tun, nämlich sich mit einer jungen Frau, namens Anna, zu unterhalten, die vor einer Stunde hier zufällig hereingeschneit kam und sich als Enkelin des Mordopfers vorgestellt hatte. Sie hatte ein schönes slawisches Gesicht, glattes langes dunkelblondes Haar und eine Figur, die den armen Pinto zwang, immer dicht an ihr vorbeizusehen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, sich auf sie zu stürzen.
Er konnte nicht wissen, wie sehr er damit Annas Sympathie gewann, denn diese reagierte schon seit ihrer Kindheit mit Zorn oder Tränen, wenn sie bemerkte, dass jemand sie anstarrte. Das hatte nichts mit Verklemmtheit zu tun, oder dass sie keine erotischen Avancen vertrug, sondern es war vielmehr die Aufmerksamkeit an sich, die sie nicht ausstehen konnte. Sie war eben ein Mensch, der um keinen Preis im Mittelpunkt stehen wollte.
Da saßen sie also beide am selben Küchentisch, wo Igor Olgas Hand festgenagelt hatte, und schauten dicht aneinander vorbei. Und Anna erzählte unter Tränen, die vom Anblick der Leiche herrührten, dass Olga eine traumhafte Großmutter gewesen war, und dass sie sich nicht vorstellen konnte, wer ihr das angetan haben könnte.
Pinto machte sein übliches leidendes Gesicht (4) , welches Anna mit Anteilnahme verwechselte und verspürte inzwischen ein unbändiges Verlangen nach einem anständigen Branntwein (5) . Anna zog aus einem Küchenschrank eine Flasche Wodka hervor und meinte, dass sie unter diesen Umständen auch einen vertragen würde. Sie gossen sich also die Gläser voll, und nachdem der Hochprozentige den Gaumen verlassen und im Magen angekommen war, sahen sie sich zum ersten Mal in die Augen und fanden sich gegenseitig ganz angenehm, was eine rein platonische Feststellung war, ohne irgendwelche Hintergedanken.
Da Pinto schon einmal damit angefangen hatte, startete er den nächsten Versuch und meinte, dass dieses Brennen im Magen mit einem Stück Brot sicher gut wegzukriegen sei. Da zauberte Anna ein Glas mit sauren Gurken hervor. Da stehe sie unheimlich drauf, meinte sie, sodass Pinto zugriff, obwohl er der Meinung war, dass beides nicht so ganz zusammenpasste. Aber vielleicht aß man in Russland so und er wollte jetzt kein Spielverderber sein.
Nachdem Pinto ungefähr einen Viertelliter vom Hochprozentigen verschluckt hatte, schniefte er vor Rührung und versicherte, dass er schon lange nicht mehr so gut gespeist und getrunken hatte, zumal er seit einiger Zeit überzeugt war, dass er vor Hunger sterben würde (6) . Zwar hätte er ein ausreichendes Gehalt und auch seine Lebensumstände würde er eher als sparsam bezeichnen, aber er würde die Bilder von Hunger und Elend nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Er sei ja wirklich ein armer Mann, sagte Anna, und streichelte ihm über den Kopf.
Da wurde Pinto mutiger und erzählte Anna, dass er erst heute Morgen einen Anfall von Herzrasen überstanden hätte (7) . Seiner Meinung nach hatte das Herz seine Pumpleistung unvermittelt gesteigert. Er hatte regelrecht gefühlt, wie sein Blutdruck sich erhöhte. Aber der Körper kannte für solche Gelegenheiten eine Menge Tricks. Und in seinem Fall öffnete sich einfach ein Ventil. Das bestand darin, dass die Adern in seiner Nase platzten und für fünf Minuten eine Menge an Blut aus seiner Nase lief, sodass sein ganzes Shirt blutig war.
Anna ihrerseits nickte betroffen, schlug Pinto auf die Schulter und meinte, dass auch andere ihr Päckchen zu tragen hätten. „Da schau mal“, sagte sie und strich den Ärmel ihrer Bluse nach oben. Dann bewegte sie das Ellenbogengelenk langsam hin und her und tatsächlich, bei jeder Bewegung war ein merkwürdiges Knacken zu hören, es klang, als würde man eine rostige Rohrzange bewegen. Und Pinto musste zugeben, dass die Aussichten für eine Frau nicht besonders gut waren, wenn sie mit Anfang zwanzig solche verrosteten Gelenke habe. Aber ansonsten würde sie ja noch ganz schnuckelig aussehen. Da winkte Anna ab, zog ihren rechten Schuh aus, streifte den dazugehörigen Strumpf ab und knallte den Fuß auf den Küchentisch. Das war nun mal ein Frauenfuß, wie Pinto ihn noch nie gesehen hatte. Bis zu den Zehen war er ja noch ganz annehmbar, aber auf diesen erhoben sich ganz grässliche Hühneraugen. Die waren rot, entzündet und sicher auch sehr schmerzhaft. Und die Großzehe war zusätzlich dermaßen verbogen, dass Pinto zu schlucken anfing. „Das sind mal Dinger“, rutsche es ihm heraus.
„Die andere Stelze sieht nicht viel besser aus“, beteuerte Anna und nickte stolz.
Pinto sagte ziemlich unfein, dass er es nie für möglich gehalten hätte, dass eine solch schöne Frau solch verbogene und verhornte Quadratlatschen habe.
Da meinte Anna, das wäre ja der Sinn dieser Aktion. Pinto sehe in Zukunft hoffentlich genauer hin. Jeder habe sein Päckchen zu tragen. Und er Pinto könne mit seinem lächerlichen Nasenbluten gegen ihre Quadratlatschen eigentlich nur abstinken.
Da nickte Pinto und beide gossen sich noch einen ein. Und als die Flasche leer war, zog Anna ihren Schuh wieder an, stand auf und sagte feierlich, da sich Pinto ihr gegenüber hochanständig verhalten habe, wolle sie ihm auch helfen und noch eine Sache loswerden, die sie bisher für sich behalten hatte. Damit ging sie ins Schlafzimmer, schob fluchend einen Schrank beiseite, während sie Pinto anbrüllte, er solle mal seinen Arsch bewegen und ihr helfen. Das tat er dann auch. Was dann zum Vorschein kam, war eine weitere Tür. Die hatte die Spurensicherung übersehen. Dahinter öffnete sich eine kleine Kammer, mit einer riesigen Kühltruhe darin, und als Anna diese öffnete, sah Pinto ein Meer von himmelblau gefärbten Metalldosen. Anna drehte sich um, wies auf die tiefgekühlte Farbenpracht und bestellte beste Grüße von der Schmugglerfamilie Romanow. Dann verdrehte sie die Augen und war im Begriff lang hinzufallen. Pinto konnte sie gerade noch so halten, trug sie zur nächsten Couch, was an sich schon sehr schwierig war. Als ordnungsliebender Mann dachte er, man müsse ihr die Schuhe ausziehen, doch einen Moment später schüttelte er sich und dachte, die könne sie genauso gut anbehalten. Dann ging er zur Kühltruhe zurück und staunte über die Unmengen an Kaviar, setzte sich davor und begann nachzudenken, gerade so, wie sein vernebeltes Hirn es noch erlaubte. Er brauchte vielleicht zehn Minuten, bis er der festen Meinung war, dass zwischen Olgas Tod und der großen Menge Kaviar, geschmuggeltem Kaviar verbesserte er sich, ein Zusammenhang bestand.
Dann beschloss er, Kavalier, wie er war, genau hier zu warten, bis Anna erwacht war. Obwohl Anna ja keine Frau in diesem Sinne war. Damit schlief er ein.
***
Kommissar Pinto war beunruhigt. Seit Olgas Leiche aufgetaucht war, hatte er noch keine ernst zu nehmende Spur, die zum Täter führen könnte. Für heute hatte er sich vorgenommen, sämtliche Hausbewohner abzuklappern. Nun stand er vor der Tür des Hauseigentümers Bollmann und klingelte.
Wie immer öffnete Bollmann nur einen Spaltbreit und ließ Pinto erst ein, nachdem der sich ausgewiesen hatte. Drinnen roch es etwas abgestanden. Aber Pinto wollte sich nicht lange aufhalten. Doch vielleicht hing dieser Herr öfter am Türspion, und hatte ausnahmsweise mal was gesehen.
Pinto wurde im Wohnzimmer neben Bollmanns Fischen platziert, und nachdem er einige lobende Bemerkungen gemacht hatte über die kleinen bunten Viecher, hellte sich Bollmanns Gesicht etwas auf. Doch als Bollmann etwas zu trinken anbieten wollte, bekam er eine recht schroffe Ablehnung, denn Pinto hatte keine Lust, die Herstellung seiner Getränke in der Küche des Rentners zu überwachen (1) . Danach verlor das Gespräch ein wenig an Fahrt.
Bollmann erkundigte sich nach dem Stand der Ermittlungen, wozu Pinto aber nichts sagen wollte, aus ermittlungstaktischen Gründen, wie er sagte. Das hörte sich immer gut an. Und Pinto fragte, ob denn Herr Bollmann nicht irgendetwas beobachtet hätte, was ihm bei der Suche nach dem Täter weiterhelfen könnte. Nein das hatte er nicht, sagte Bollmann wahrheitsgemäß.
Pinto sagte dann, dass er sämtliche Hausbewohner abgeklappert hätte. Niemand hatte etwas gesehen, und das Einzige, was ihn jetzt noch retten könne, wäre eine Filmcrew, die just in dem Moment eine Kamera auf das Haus gerichtet hatte, als der Täter das Haus verließ. Die Chancen dafür standen aber eins zu einer Million.
Bollmann starrte ein Weilchen vor sich hin und stand dann plötzlich auf. Wie immer, wenn er eine Idee hatte, bekam er Hunger. Also schlurfte er wortlos in die Küche und kam mit einem Glas Erdbeermarmelade zurück.
Als er sich wieder setzte, löffelte er erst einmal ein wenig aus dem Glas, sodass Pinto angewidert zurückwich. Er hatte noch nie gesehen, dass sich jemand Marmelade pur mit einem Löffel einverleibte.
Bollmann ließ sich davon nicht beeindrucken. Nach einhundert Gramm Erdbeerkonfitüre war er endlich klar im Kopf und bot dem Kommissar einen Handel an. Er solle die Ermittlungen in diesem Haus so schnell wie möglich abschließen. Dann solle er die Mieter und natürlich auch ihn in Ruhe lassen. Und vor allem solle er die Wohnung der Olga Baranow freigeben, damit er sie wieder vermieten konnte. Denn, das müsse der Herr Kommissar verstehen, er sei doch schließlich Geschäftsmann. Mit einem Monat Mietausfall könne er ja noch leben. Er hätte ja die Kaution. Aber dann müsse es doch auch mal gut sein mit der Herumschnüffelei.
Pinto seinerseits konnte die Wunschliste des alten Herrn durchaus nachvollziehen. Doch ohne den leisesten Hinweis auf den Täter könne er die Belästigungen nicht ohne Weiteres einstellen.
Bollmann löffelte ganz aufgeregt in seiner Marmelade. Das versuche er dem Kommissar doch die ganze Zeit zu erklären, dass er, der Hauseigentümer Bollmann, der Polizei den Täter sozusagen auf dem Tablett servieren konnte.
Pinto atmete tief durch und fragte höflich nach, wieso er mit dem Wissen dann nicht früher herausgerückt wäre. Daraufhin entgegnete Bollmann wahrheitsgemäß, dass ihm der Gedanke eben erst gekommen sei, dass er ein Bild vom Täter ja quasi im Hause habe.
Nachdem Pinto ganz entnervt forderte, doch das Bild endlich auf den Tisch zu legen. Dann würde man weitersehen, wurde Bollmann bockig und merkte an, dass er dem Kommissar ein Geschäft vorgeschlagen hatte und dass dieser noch nicht darauf eingegangen sei.
Pinto wurde ganz still. Dann sah er dem Alten tief in die Augen. Irgendetwas war da, was er nicht so einfach abtun sollte, sagte er sich. Also versprach er dem Alten genau das, was er wollte. Wenn er das Bild des Täters hätte, würde er die Wohnung freigeben und die Mieter in Ruhe lassen.
Jetzt war es an Bollmann zu liefern. Der hatte inzwischen seine Marmelade aufgegessen. Diabetiker war der bestimmt nicht. So viel stand für Pinto fest. Dann stand Bollmann auf, bat Pinto feierlich, ihm zu folgen und führte ihn in eines der angrenzenden Zimmer. Dieses war im Grunde eine Art Hauswirtschaftsraum. Ein paar offene Regale waren zu sehen, in denen alles Mögliche Zeug lagerte. Und in einem Regal, stand ein Videorekorder mit jeder Menge Skalen und Knöpfen und einem Monitor darüber, und Bollmann wies darauf und sagte, dort sei der Kerl drin.
Es dauerte eine Weile, bis Pinto aus dem Alten herausgebracht hatte, dass sich unten am Hauseingang eine Klingelleiste befand. Und in diese war eine kleine Glasplatte eingelassen und dahinter verbarg sich eine Kamera, die direkt mit diesem Rekorder verbunden war und praktisch alles aufzeichnete, was sich vor dem Haus abspielte, und zwar nicht nur, wenn jemand klingelte, sondern das Gerät lief ununterbrochen, den ganzen Tag und die ganze Nacht. Und auf Pintos Einwand hin, dass die Aufnahmen sich nach vierundzwanzig Stunden sicher von selbst wieder löschen würden, kam Bollmann mit der nicht ganz unwichtigen Information heraus, dass die Aufzeichnung digital erfolge, und dass er darauf bestanden hatte, von der Firma das Beste zu bekommen, was sie hatten. Tja das Ding habe also einen riesigen digitalen Speicher und zeichne insgesamt eine ganze Woche auf. Und wenn Bollmann richtig gerechnet hatte (der Mord passierte ja erst vor drei Tagen), dann müsse hier nach Adam Riese der Täter drauf sein, und zwar, als er das Haus betrat, und auch als er es wieder verließ.
Pinto blieb fast die Spucke weg. Dann umarmte er den kleinen Marmeladenfresser und drückte ihm einen dicken Kuss auf die blasse Stirn.
„Ich muss doch sehr bitten“, sagte Bollmann pikiert, trat einen Schritt zurück und klopfte sich imaginären Staub vom Jackett.
Pinto winkte nur zufrieden ab und wollte das Gerät vom Netz nehmen und einpacken.
Doch da erhob Bollmann seine Stimme. Die Mitnahme dieses Gerätes käme keinesfalls infrage, jedenfalls nicht, bevor Pinto gleichwertigen Ersatz hingestellt hätte.
Da dachte Pinto sich, dass der Alte womöglich recht hatte und beschloss, die Sache professioneller anzupacken. Also rief er beim LKA an und forderte einen Techniker an, um Beweismaterial sicherzustellen. Der konnte sich dann auch gleichzeitig um Ersatz kümmern. Und als Pinto diese Sache delegiert hatte, eröffnete er dem Alten, dass er solange hier in diesem Raum bleiben würde, bis der Rekorder in sicheren kriminaltechnischen Händen wäre. Und er würde jetzt auch ausnahmsweise etwas zu trinken haben wollen, aber ob Herr Bollmann wohl eine handelsübliche Flasche hätte, die noch verschlossen wäre. Er hätte da so eine Macke, über die könne man ja später mal reden (1) .
***
Die Lösung kam Pinto beim Mittagessen in den Sinn. Der Chef vom LKA, Kriminaldirektor Ludwig, hatte nämlich eine Schwäche für Russland. Die zeigte er gern herum, indem er im LKA, an allen möglichen und unmöglichen Stellen, Matroschkas verteilen ließ. Sie standen wirklich überall herum. Auf den Toiletten, im Essensaal und in den Schaukästen. In der Regel fehlte den Puppen jeglicher Bezug zu ihrem jeweiligen Standort. Aber das ficht den großen Chef nicht an, solange er seine Liebe zu den russischen Landen herumzeigen konnte. Wie jeder andere hatte Pinto sich eines Tages nach dem Hintergrund erkundigt und erfahren, dass Ludwig in jüngeren Jahren auf der Landespolizeischule mal an einem Austauschprogramm teilgenommen hatte. Das hatte ihn für mehrere Monate in die Polizeireviere Russlands geführt, wo er sich verliebt hatte (in das Land natürlich). Der Alte konnte ihm sicher einen Rat geben, wie er schnell eines Igor Kusnezow im Wolgadelta habhaft werden konnte.
Ludwig war ein netter Kerl und ließ immer gern jemanden ein. Nur dass selten jemand wollte, weil man erstens niemals freiwillig zum Boss geht, und zweitens schwer wieder weg kam, zumindest bei Kriminaldirektor Ludwig war das so. Aber heute hatte Pinto keine andere Wahl.
Ludwig empfing ihn praktisch sofort. Er war ein gemütlicher Herr, Ende fünfzig, mit weißem Haar und einem feinen Lächeln im Gesicht. Sein Anzug saß immer perfekt und sein Büro war mindestens zehnmal so groß, wie das Loch in das Pinto sich jeden Tag quälen musste.
Ludwig bot ihm einen Kaffee an, aus einer Thermoskanne, und nur dieses eine Mal griff Pinto zu, obwohl er gern gesehen hätte, wie er zubereitet wurde (1) . Aber er riss sich zusammen und stellte zwanzig Minuten nach dem ersten Tässchen fest, dass sein Herz zu rasen begann. Auf eine Nachfrage hin, lächelte Ludwig milde und sagte, er bevorzuge tatsächlich einen starken Kaffee. Er trinke täglich zwei bis drei Liter davon.
Und weil man nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt, fragte jeder, wie es dem anderen gehe. Pintos Antwort fiel ziemlich kurz aus. Gut. Ludwig hingegen hatte weniger Hemmungen ins Detail zu gehen.
Und so erfuhr Pinto, dass der Herr Kriminaldirektor vor drei Tagen einen merkwürdigen Traum hatte. Und zwar wurde er stundenlang von Hunden und Katzen verfolgt. Ganz grässlichen Kreaturen. Eine hässlicher als die andere. Und schwarz waren alle sowieso. Und als Ludwig die endlich abgeschüttelt hatte, setzte er sich keuchend in eine Ecke und dann passierte etwas ganz Merkwürdiges. Es fielen ihm nämlich nach und nach alle Zähne aus. Das heißt, er spuckte erst den einen auf den Boden, dann den nächsten und so weiter. Am Ende war der Boden mit Hunderten von Zähnen übersät. Ja er wisse selbst, man habe ja nur zweiunddreißig. Es war eben nur ein Traum.
Als er erwachte, war ihm der Traum gegenwärtig und er dachte sich gleich, dass es damit eine besondere Bewandtnis haben musste, und tatsächlich bekam er an diesem Tag mächtige Zahnschmerzen. Nicht von der vergänglichen Sorte, sondern die wären ganz schön aggressiv gewesen, versicherte Ludwig. Und er wäre leider kein Mensch, der mit Schmerzen umgehen kann. Er könne sie einfach nicht ertragen. Im Vertrauen gesagt, habe er sogar geweint.
Nach einigem Hin und Her, er hätte eben wirklich Angst vor den Zahnklempnern, ließ er sich doch untersuchen und, Pinto solle sich das mal vorstellen, da wäre tatsächlich unter dem betreffenden Zahn eine riesengroße Zyste gewesen. Die hatte sich gefüllt und drückte nun gegen das Zahnfleisch. Man hatte vorgeschlagen, die Zyste zu öffnen oder zu entfernen, durch einen seitlichen Eingriff. Aber er hatte eine Tante, die wegen einer solchen Zyste jedes Quartal in Behandlung war. Also hatte Ludwig sich ein Herz genommen und befohlen: raus mit dem Zahn.
Das wäre jetzt zwei Tage her. Und Pinto sollte das verstehen. Seitdem leide er unter dem Verlust, als hätte er einen Arm verloren. Nicht dass er Schmerzen hätte. Die sind weg. Aber er finde es doch unendlich traurig. Immerhin hatte er diesen Zahn circa fünfzig Jahre lang mit sich herumgetragen, und nun sei der einfach auf einer Müllkippe gelandet. So eine Erfahrung wünsche er wirklich niemandem. Wenn er mal ausnahmsweise nichts zu tun habe, dann werde er total melancholisch. Dann nahm Ludwig seine Brille ab, holte ein Taschentuch hervor und wischte in den Augenwinkeln herum.
Pinto spielte die ganze Zeit mit einer Matroschka, die Ludwig auf seinem Schreibtisch platziert hatte, und nickte betroffen. Doch Ludwig wollte auf den Fingerzeig nicht eingehen. Und gerade
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2016
ISBN: 978-3-7396-6765-2
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