Und wenn du lange in einen Abgrund blickst,
blickt der Abgrund auch in dich hinein.
Friedrich Nietzsche
Er war ein kleiner unscheinbarer Mann mit seinem etwas aus der Mode gekommenen Sakko und dem akkuraten Bürstenhaarschnitt, der sein langweiliges braunes Haar bändigte. Eigentlich wirkte er mehr als harmlos. Einer wie viele.
Einer wie du und ich.
Wenn da nicht seine berechnenden kalten Augen gewesen wären, die unstet hinter der Hornbrille mit den dicken Gläsern, hin und her huschten.
Passenderweise hatten diese Augen die Farbe eines eisigen kalten Gletschersees. Eisblau.
Er saß an der Hotelbar ein Viertele Trollinger-Lemberger in seinen derben schwieligen Händen. Arbeiterhände. Sein Blick ging zu eben diesen Händen, in denen er sein Weinglas gelangweilt hin und her drehte. Ja, das waren gute Hände. Hände die zupacken konnten, die Kraft hatten. Die Hände eines Virtuosen ganz besonderer Art.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen bei dem Gedanken daran, was diese Hände schon bald für Töne entlocken würden. Er verspürte freudige Erregung.
O ja, einmal im Jahr gehörte ihm ein Wochenende ganz für sich alleine.
Denn einmal im Jahr gönnte er sich eine ganz besondere Freude. Einen Mord!
Tomasino de Lambreto
Irgendetwas stach ihn unsanft in die Wange und sein Mund fühlte sich auch seltsam an.
„Pfui“, spie er ihm Halbschlaf aus und begann sich verschlafen zu recken, was unweigerlich dazu führte, dass der Schreibtischstuhl, auf dem er mehr hing, wie saß, davon rollte und ihn mit einem derben Knall zu Boden beförderte. Völlig perplex lag de Lambreto mit allen vieren von sich gestreckt, wie ein Käfer auf dem Rücken, auf dem Fußboden seines Detektivbüros in Ludwigsburg. Noch immer steckte ein ekelig schmeckender Fetzen Papier, der sich als Stromrechnung entpuppte, in seinem Mund.
„Himmelherrgott Sackzement noch a mol. Ha, verquirlter Scheißdreck au!“, rappelte er sich fluchend und verschlafen in die Senkrechte hoch. Im ersten Moment war ihm nicht klar, wo er sich befand. Doch der dreckige Linoleumboden sprach Bände. So einen Fußboden gab es nur in seinem Detektivbüro in der Wilhelmsstraße in Ludwigsburg. Langsam dämmerte es ihm. Ja, er war am Abend zuvor noch im Schottischen Pub, der sich direkt neben seinem Büro befand, eingekehrt. Dieser lag war quasi Tür an Tür zu seinem - zugegeben - etwas schäbigeren Etablissement. Der Pub gehörte einem Freund von ihm, einem Schotten Namens Cormack MacRay. Über dem Pub befand sich einen kleine Wohnung, die Cormack bewohnte und direkt daneben in einer weiteren kleinen Wohnung wohnte de Lambretos ehemalige Partnerin Suza. Eigentlich hieß sie Suzanna. Suzanna Bäuerle. Bevor man ihn wegen wiederholtem Kiffen und seiner etwas anderen Auffassung von Gerechtigkeit vom Dienst suspendierte - also als er noch ein ehrbarer Bulle war - waren sie ein eingespieltes Ermittler-Team gewesen. Jetzt war Suza sein rettender Engel, Informantin und Bindeglied zwischen der Polizei und ihm selbst. Gott allein wusste, was er ohne sie täte! Müde rieb er sich die Augen.
„Puh, man! Was hab ich für en Kopf!“, brummte er unleidlich. „Espresso“, gähnte er laut. „Espresso, des hilft immer!“
Mit wackeligen Beinen stand er auf, reckte sich laut grunzend, kratzte sich im Schritt und machte sich schlurfenden Schrittes auf den Weg zum Waschbecken am Ende des nicht gerade großen Raumes. Tatsächlich hatte dieses Waschbecken wahrlich schon bessere Tage gesehen, zumindest putz-technisch … Zahnpasta-Spritzer kreuz und quer auf Spiegel, Armaturen und dem Waschbecken selbst trugen Zeuge vom vielen Gebrauch. Vielleicht könnte er sich eines Tages doch einmal eine Putzfrau gönnen, träumte er. Neben dem Waschbecken stand eine alte wackelige Kommode - ein Überbleibsel seiner geliebten Nonna - auf der eine einzelne, rostige Herdplatte nebst Espressomaschine ihren Platz gefunden hatte. Hätte man de Lambreto gefragt, hätte er bestätigt, dass dies der wohl wichtigste Gegenstand im ganzen Büro war, wenn man vom Telefon und dem veralteten Computer absah.
Im Spiegel über dem Waschbecken starrte de Lambreto ein unrasiertes verschlafenes Gesicht an, das auch die tiefen Augenringe nicht gerade besser aussehen ließen. Einzig und alleine seine kobalt-blauen Augen - fast so blau wie der Himmel an besonders schönen Tagen - und sein oliver, südländischer Teint gaben dem kantigen Gesicht eine kleine freundliche Nuance an diesem Tag. Der Wasserhahn erwachte brummend unter seinen Händen zum Leben. Und er warf sich das kühle Nass händeweise ins Gesicht und über die zerzausten schwarzen Haare, in denen etliche silberne Strähnen glitzerten und ihm einen Hauch von ‚zerstreutem Professor‘ gaben. An seinem restlichen Erscheinungsbild war allerdings nicht viel zu ändern. Das Alter hinterließ auch auf seiner Haut Spuren und mit 43 Jahren gehörte Mann eben nicht mehr zum jungen Eisen. Das Sakko war zerrknittert und auf dem einstig weißen Hemd blühten wunderbare Tintenkleckse, als wären es blühende Blumen.
Immerhin beging er nicht den Fehler, an diesen Flecken herum zu schrubben. Sollte sich doch die Reinigung um diese Problem kümmern, denn einen Waschmaschine besaß de Lambreto sowieso nicht. Was wohl letztendlich besser war, denn bei seinem technischen Talent - oder eher fehlendem Talent - wären im Nu Waschmaschine und Hemd hinüber!
Auf Espressosuche, wühlte er sich durch die Kommode. Wo um alles in der Welt war jetzt wieder die Espressopulverdose hingekommen? Socken, eine längst verloren geglaubte Krawatte, das seit Ewigkeiten vermisste Akkuladegerät, ein nagelneues Päckchen Pfeifentabak … all das förderte er zu Tage, nur die Espressopulverdose, die blieb verschollen. Schließlich kniete er sich auf den Boden. Espresso war wichtiger als Dreckflecken auf den Knien seiner sowieso verschmutzten Hose und so kroch er auf allen vieren um die Kommode herum, unter der er die Espressopulverdose vermutete und dann auch fand. Doch noch bevor er sie überhaupt öffnete, wurde ihm durch das Schütteln der Dose klar, dass sie leer war. Und tatsächlich - auch ein Blick ins Innere der Dose offenbarte nichts anderes als gähnende Leere.
„Kreizgrabbasack!“, schimpfte er sich selbst.
Es war mittlerweile 9.00 Uhr durch und folglich konnte er sich auch von Suza keinen Espresso oder gar Kaffee borgen. Denn die hatte längst ihren Dienst bei der Polizei angetreten. So blieb ihm nur noch Cormack, der um diese Uhrzeit längst im Pub war und diesen für die Mittagszeit startklar machte. Vorsichtshalber knöpfte er sein Sakko zu, um wenigstens etwas seines Erscheinungsbildes zu retten und putzte sich mit einem kläglichen Rest Zahnpasta die Zähne.
So schlüpfte er dann in den Hausgang und von dort durch den Hintereingang direkt in die blitzsaubere Küche des Pubs, wo er der Küchenhilfe freundlich zunickte, um sodann hinter Cormack ins Innere des Pubs zu gelangen. Aus den Lautsprechern plärrte lautstark irgendeine schottische Musik und Cormack summte vor sich hin.
„Guten Morgen Mac“, äußerte er und unterdrückte mühsam ein herzhaftes Gähnen. Im Gesicht des großen Schotten blitzten seine moosgrünen Augen schelmisch zu de Lambreto, allerdings sagte er kein Wort.
„Dei Bier isch mir ned bekomma!“, verteidigte sich de Lambreto brummend und zerstörte sich kratzenderweise den letzten Rest seiner Frisur.
Ein leises raues Lachen erklang von Seiten des am Kaffeeautomat hantierenden Schotten.
„So so, mein Ale!“, gab er kurz angebunden zur Antwort.
De Lambreto visierte den Rücken des Schotten. Ja. Cormack sah genauso aus, wie man sich einen Schotten vorstellte. Er war locker einen Kopf, naja wohl eher zwei Köpfe größer wie er, hatte einen breiten Rücken und sah insgesamt durchtrainiert aus. Seine langen Haare waren durchweg grau und dabei sah dies bei dem Kerl auch noch unverschämt gut aus. De Lambreto ertappte sich dabei, wie er seinen Bauch einzog und darüber sinnierte, wieso er keine Frau abkriegte und jemand wie Cormack, der alle haben könnte, nur eine wollte, nämlich Suza. Und die wollte Cormack ja auch, nur waren beide irgendwie zu verklemmt, um das zu kapieren. Mit einem Klirren wurde ihm der Espresso vor die Nase gestellt und er zuckte ertappt unter Cormacks wachsamen Augen zusammen.
„Äh Dankschee, Mac!“, nuschelte er. Der Schotte sah ihn mit einem wissenden Blick an und begann kommentarlos Gläser zu polieren. „Hm, i bin eingepennt, ’kay. Vielleicht hatte ich auch ein oder zwei zuviel …“, verteidigte er sich mürrisch.
„Ach!“, kam es trocken hinter dem Tresen zurück. „Wohl eher vier oder fünf“, brummte Cormack feixend.
De Lambreto förderte seine Pfeife aus seiner Sakko-Tasche zutage und machte Anstalten, diese mit dem frisch gefundenen Tabak zu stopfen, wobei ein raues Räuspern sein Tun abrupt unterbrach.
„Scho klar! Raucha ned erlaubt, i stopf se ja bloß!“, verteidigte er sich.
Cormack ignorierte ihn und schob ihm stattdessen eine Brezel mit Butter und ein Stückchen frischen Appelpie vor die Nase. „Also a Gsälz Brod wär mir fei lieber!“, rutschte es de Lambretto raus. Der Schotte gab nur ein abwehrendes Prusten von sich. „Ein Marmeladen-Brot“, versuchte de Lambreto zu erklären, ließ es aber dann letztlich bleiben und widmete sich der Tageszeitung. Die Schlagzeile des Tages lautete:
Stuttgart: Erneut Prostituierte vermisst!
Die Polizei tappt im Dunkeln. Mithilfe der Stuttgarter Bevölkerung wird erwünscht.
„Ha typisch, Schdäffelesruddscher! Mensch sen die däbbad!“, nuschelte de Lambreto mit vollem Mund in seine Espressotasse. Und lobte sich insgeheim einmal mehr, nicht mehr bei der Polizei zu sein und schon gleich gar nicht in Stuttgart. Er schüttelte schnaubend vor Missbilligung sein zerzaustes Haupt. Selbstverständlich würde er an ihrer Stelle diesen Fall postwendend lösen. Ja, de Lambreto war längst kein Freund der Polizei mehr und die Stuttgarter Vertreter dieser Berufsgruppe konnte er so oder so noch nie besonders gut leiden.
Nur hatte de Lambreto in diesem Moment noch nicht die geringste Ahnung, dass ihn genau jener Fall demnächst ziemlich viele Nerven kosten würde. Tatsächlich weit mehr als ihm beliebte!
Im Moment kümmerte ihn das freilich nicht und er griff stattdessen blind nach seiner Espressotasse, welche ihm Cormack aus Jux und Tollerei kurzerhand etwas weiter nach rechts geschoben hatte. Nach einigem Tasten gab er auf und hielt suchend Ausschau danach. Cormacks Grinsen entging ihm dabei allerdings völlig. Schließlich ließ er die Zeitung akkurat gefaltet auf den Tresen sinken, murmelte ein „Danke!“ und „Schreib’s a Mac.“ und entschwand durch die Küche in den Suttraen, wie er den Hausgang auf gut Schwäbisch nannte, wo er sich sofort seine frisch gestopfte Pfeife ansteckte und vergnügt paffend die Haustür seiner Detektei aufschloss. Er hatte die Tür noch nicht hinter sich ins Schloss gezogen, als ihm selbige schon aus der Hand gerissen wurde. Der Kopf eines seiner Meinung nach alten Weibleins erschien im Türrahmen.
„Tu sei il Comissario de Lambreto?“, fragte besagtes Weiblein vorsichtig und sah ihn aus Augen so schwarz wie Kohle erwartungsvoll an.
„Äh ich nix Comissario, äh Kreizgrabbasack wie hoißt des noch mol!“ De Lambretos Gesicht nahm die Farbe von weißem Schnee an, allerdings mit hektisch roten Flecken. Wenn man zur Hälfte italiensicher Abstammung ist, heißt das leider noch lange nicht, dass man diese Sprache auch beherrschte! Und genau dies war im Moment de Lambretos Problem.
„Dove posso trovare, il Signore de Lambreto?”, fragte das Weiblein erneut.
„Äh, also io e sono Signore de Lambreto, ma nix spreche Italiano!“, stotterte de Lambreto verzweifelt. Das Weiblein gestikulierte wie wild mit ihren Händen und redete in schnellem Italienisch auf ihn ein. Achselzuckend schob er sie in seine Detektei, schloss hinter ihr die Tür und räumte mit einer Hand den Besucherstuhl frei. Das Weiblein ließ sich davon, dass er nichts sagte, nicht beeindrucken, redete stattdessen unermüdlich weiter. Mit seinem Latein am Ende, schüttelte de Lambreto nur noch abwechselnd den Kopf und zuckte mit den Schultern.
„Non capiscono!“, bemerkte nun das Weiblein endlich. „Du Commissario Lambreto?“
„Ja äh si, der bin i. Aber nix Comi …“ Das Weiblein unterbrach ihn ohne auf seinen Einwand einzugehen.
„Meine Tochter weg! Verstehen? Verschwund einfach! E brava il mio figlia. O Dhio!“, plapperte sie aufgeregt und fing zu guter Letzt lauthals zu weinen an. Hilflos raufte sich de Lambreto seine Haarpracht und förderte letztendlich ein großes rotkariertes Stofftaschentuch zu Tage, das er dem Weiblein auffordernd unter dem Gesicht hin und her schwenkte. Endlich bemerkte sie de Lambretos Bemühungen, nahm das Stofftaschentuch und schnäuzte trompetenartig in selbiges hinein.
De Lambreto holte tief Luft und fragte: „Wann isch se denn verschwonda, ihr Dochter, gnädige Frau?“
Sie sah ihn an und ihr Unverständnis war ihr ebenso deutlich ins hutzelige Gesicht geschrieben, wie ihre Trauer über das Verschwinden ihrer Tochter. Schnell verbesserte de Lambreto sein Schwäbisch in Hochdeutsch: „Also, wann genau ist sie denn verschwunden, Ihre Tochter?“
Eigentlich sah das Weiblein eher aus wie eine Zigeunerin, nicht wie eine Italienerin befand de Lambreto bei genauerem Hinsehen. Die Haare - früher einmal pechschwarz - waren mit silbernen Strähnen durchzogen (ähnlich wie seine eigenen) und zu einem strengen Dutt gesteckt, der sich in Wohlgefallen auflöste. Sie trug ein altbacken geblümtes Kleid, welches mehr an eine Kittelschürze erinnerte. Ausgetretene Gesundheitsschnürschuhe mit Luftlöchern zierten ihre Füße. Alles in allem war sich de Lambreto sicher, dass das Weiblein eine Bäuerin aus einem der Käffer im näheren Umkreis war. Zumindest schloss er das aus ihrem Aussehen. Zugegeben: Mit Italienischen Wurzeln und Sprachproblemen, welche ihm selbst ja keineswegs fremd waren. Immer noch sah sie ihn mit Unverständnis in den Augen und sein Stofftaschentuch nervös in den Händen knetend unverwandt an.
„Hm hm“, räusperte de Lambreto sich. „Wann, Signora? Wann Tochter weg?“, sprach er jedes Wort betonend langsam.
Nun kam Leben in das Weiblein. An ihren Fingern zählte sie murmelnd die Tage ab und hob vier Finger direkt vor sein Gesicht, als wolle sie ihn mit ihren Fingern erstechen. „Quatro giorno!“
Aha, das verstand de Lambreto. „Also vier Tage Tochter weg, ja?“
„Si, si vier!“, bestätigte das Weiblein, nur um sofort aufs Neue zu greinen.
‚Lieber Gott‘, betet de Lambreto im Stillen. Wie sollte er das nur überstehen?! Selbstverständlich war diese, ihre Tochter ein braves Mädchen. Wie oft hatte er das schon gehört. ‚Unsere Tochter ist ein anständiges Mädchen!‘ oder ‚Onsere Dochter isch a wahres Engele!‘ Wenn er für jede dieser Aussagen 50 Cent bekommen hätte in seiner Laufbahn als Privatdetektiv - er wäre längst Millionär geworden und hätte sich eine Putzfrau locker leisten können. Viele Mädchen hatte er gefunden.
Drogenabhängige, Geschwängerte, Prostituierte oder einfach nur Ausreißerinnen. Andere jedoch blieben für immer verschwunden.
„Waren sie schon bei der Polizei?“ De Lambreto überlegte verzweifelt, wie er dieses Weiblein wieder loswurde. Er verschwendete nicht einen einzigen Gedanken daran, dass die Tochter des Weibleins tatsächlich ernsthaft in Gefahr war. „Carabinieri?“, sagte er mit Nachdruck, was einen Schwall an derben italienischen Beschimpfungen auslöste. Er reimte sich die Antwort von selbst zusammen. Scheinbar war die Polizei, der Freund und Helfer, zum gleichen Schluss gekommen wie er. „Kreizgrabbasack!“ schimpfte er leise vor sich hin. Plötzlich sprang das Weiblein regelrecht von ihrem Stuhl, ihre Augen schienen vor Tatendrang zu leuchten. Sie schlurfte im Eiltempo zum Regal in der Ecke, fuhr mit dem Finger durch den Staub und hielt ihn, dem perplex schauendem de Lambreto, triumphierend direkt unter die Nase. Im nach hinein befand de Lambreto hatte er nie
eine andere Chance gehabt, als dem Weiblein zu gehorchen. Letztendlich hatte sie zu viel Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Nonna in Italien und der hatte er auch nie einen Wunsch abschlagen können. Und wer wusste schon, ob er bei Verweigerung dieses Jobs nicht gleich die Mafia oder die Camorra auf dem Hals hätte? So machte er sich nochmals zu Cormack auf, lieh sich dessen komplette Putzutensilien und brachte sie Luciana Moretti. So hieß das Weiblein. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass ihre Tochter Chiara Eloise Moretti hieß, 21 Jahre jung war, pechschwarze Haare hatte und diese meist zu einem langen Zopf gebunden trug. Ferner hatte er ein Porträtfoto von der jungen Frau bekommen.
Jetzt saß er im hell erleuchteten Suttrean auf der Treppe, paffte Pfeife und sah sich die attraktive junge Frau auf dem Foto an, die so glücklich lächelte. Nein, wie eine Prostituierte kam sie ihm nicht vor. ‚Vielleicht eher unglücklich verliebt und schwanger geworden?‘, überlegte er. Schließlich zückte er sein Handy und rief Suza auf ihrer Dienststelle an. Legte dann aber doch auf und beschloss, lieber persönlich auf der Polizeidienststelle vorbeizugehen. Seine Anrufe wurden nämlich äußerst gerne nicht weitergeleitet oder gar ignoriert. Was de Lambreto selbstverständlich überhaupt nicht verstehen konnte.
Grübelnd machte er sich auf den Weg zur Polizeidienststelle, die lediglich drei Querstraßen weiter auf ihn wartete. Freilich tat er das nicht ohne noch einmal mit skeptischem Blick durch das verdreckte Schaufenster mit den ausgeblichenen roten Vorhängen (nie würde er Suzas Kommentar zu den Vorhängen vergessen: „Hast du ein Detektivbüro oder einen Puff? Bloß weil es die Vorhänge bei Aldi im Sonderangebot gab, muss man die doch nicht gleich kaufen!“) zu werfen, nur um zu sehen das Signiora Moretti wie wild am Wienern und Scheuern war. Wenn sie auch noch den Bordstein fegen würde, hätte sie in Frau Nägele von nebenan eine Freundin gefunden. Diese war nämlich eine sehr strenge Verfechterin der Kehrwoche und wenn die nicht ordnungsgemäß einschließlich Trottwar gemacht wurde, dann gab es „A Donnderwetter des sich gwascha hat!“
Er schloss sein altes Landfahrrad auf, schwang sich in den Sattel und treppelte los. Allerdings winkte er liebenswürdig wie er war Frau Schäufele, die mal wieder glotzend hinter ihrem Vorhang hervorlinste, zu. Ja, er hatte eine ganz besondere Nachbarschaft, besonders, weil sie so ganz dem typischen Klischee der Schwaben entsprach. ‚Schaffa schaffa Häusle baua und Kehrwoch ned vergessa!‘
Sie hing schwer atmend in seinen Armen. Kaum zu glauben, wie schwer so ein menschlicher Körper wurde, wenn man ihm seine Kraft raubte, sinnierte er vor sich hin während er sie zu seinem Auto in der Tiefgarage schleppte. Für Außenstehende mussten sie aussehen wie ein Liebespaar, das etwas zu tief in’s Glas geschaut hatte. Schon verrückt, wie gut K.O.-Tropfen wirkten und ihre leichte Handhabung war perfekt für ihn. Vor ihm tauchte ein älteres Rentnerpaar auf, das ihnen auf dem schmalen Gehweg der Tiefgarage entgegenkam. Die Frau zog missbilligend, gar nicht fein, ihre Nase kraus, während der Mann ihn mit puterrotem Gesicht nur anstarrte.
„Gä! Abr sie wellad fei so ned Audo fahra!“, sprach die Frau ihn mit in der Luft wackelndem Zeigefinger zurechtweisend an. Er setzte sein freundlichstes Sonntagslächeln auf und strahlte den schwäbischen Hausdrachen entwaffnend an:
„Aber wo denken Sie hin, meine liebe Dame. Ich muss mich entschuldigen, meine Frau verträgt einfach keinen Alkohol. Selbstverständlich fahre ich und seien Sie versichert: ich bin nüchtern!“
Die Frau nickte wissend. „Ja, wissad Se, für so nei gschmackte send hald onsere Zwetschga-Schnäpsla alle mol saugfährlich, gell?“
Er wackelte beipflichtend mit seinem Kopf. „Ja. Recht haben Sie, meine Dame, sehr gut, aber sehr gefährlich, die Zwetschgen-Schnäpse und nicht bekömmlich für meine arme Frau!“, gab er der Dame recht und schwankte mit seiner angeblichen Frau im Arm zu seinem alten BMW, mit dem quietsch Gelben: ATOMKRAFT: NEIN DANKE! Aufkleber. Wo er sie vorsichtig, unter den Argusaugen des Rentnerpaares, auf den Beifahrersitz setzte und sie liebevoll angurtete. Beim Angurten vergewisserte er sich flüchtig, ob ihr Puls noch regelmäßig ging, bevor er mit einem „Küss die Hand, Gnädigste, Gnädigster!“ selbst einstieg. Erst, als er seine schweißnassen Hände am Lenkrad mit dem Plüschfell hatte und sein Heiligsblechle stotternd zum Leben erwachte, genehmigte er sich ein siegessicheres süffisantes Lächeln, nickte ihnen nochmals freundlich beim Vorbeifahren zu und pfiff fröhlich vor sich hin. In seinem Kopf nahmen schon all die wunderbaren Dinge Gestalt an, die er mit diesem jungen, entzückenden Körper auf seinem Beifahrersitz anstellen würde. Ein sehnsüchtiges Zucken durchfuhr seine Lenden.
Fortsetzung folgt......
Texte: Nach einer Idee von André Guttenson
Alle Rechte bleiben bei mir
Tag der Veröffentlichung: 11.08.2011
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Für meine treuen Fans