SPIEL
DER VERDAMMTEN
Der Verdammte der Unterwelt
von
Renate Blieberger
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Epilog
Leseprobe
1. Kapitel
Lysandros steuerte auf seine Wohnung zu und ignorierte dabei die Blicke, die auf seinem, für die Witterung zu warmen, Mantel und den Narben in seinem Gesicht ruhten. Sie starrten ihn in einer Mischung aus Ekel und Verwunderung an, doch das war nichts gegen die Blicke, die er ohne den Mantel und seine Sonnenbrille geerntet hätte. Seine rot glühenden Augen hätten sie möglicherweise noch für besonders raffinierte Kontaktlinsen gehalten, doch der schuppige Schwanz, sein mit Fell bedeckter Unterkörper und die Hufe an seinen Füßen hätten ihn als Monster entlarvt, was er ja auch war, seit ein rachsüchtiger Gott ihn in diese Bestie verwandelt hatte. Dennoch war er glücklicher, als jemals zuvor in den vergangenen vier Jahrtausenden, auch wenn es eine bittersüße Freude war. Altea war, wie versprochen, in seine Wohnung gezogen und ihre Freundschaft entwickelte sich prächtig. Das wäre wunderbar gewesen, wenn er nicht sein Herz an die schöne Hexe verloren hätte. Ihr so nahe zu sein, ohne sie wirklich haben zu können, war quälend und doch hätte er seinen rechten Arm gegeben, um nie wieder ohne sie sein zu müssen. Er öffnete die Tür zum Treppenaufgang des alten Hauses und seufzte innerlich auf. Unfähig, von ihr loszukommen blieb ihm nur die Hoffnung, dass sie ihm irgendwann ausreichend vertrauen würde, um ihr verwundetes Herz für ihn zu öffnen. Leider standen die Chancen dafür, nach all den Verletzungen, die man ihr zugefügt hatte, äußerst schlecht.
Er erreichte seine Wohnungstür, trat ein und streifte seinen Mantel ab. Gerade als er die Sonnenbrille abnehmen wollte, rief Altea: „Komm bitte in die Küche, wir haben Besuch.“ Besuch? Wen um alles in der Welt konnte sie eingeladen haben? Dank ihrer fast vier Jahrtausende andauernden Kerkerhaft hatte die Hexe noch weniger Bekannte, als er. Er ließ die Brille, wo sie war, streifte den Mantel wieder über und ging in die Küche.
Dort angekommen sah er Altea an der Espressomaschine stehen, wo sie eben einen Milchkaffee mit Schaum zubereitete. Sie trug eines der lockeren Shirts, die sie so gerne hatte und eine Jeans. Beides Kleidungsstücke, für die man sie in ihrer Zeit ohne Zweifel aus jedem Dorf verwiesen hätte und sie standen ihr hervorragend. Die bis weit über den Rücken reichende seidige schwarze Haarmähne war zu einem losen Zopf zurückgebunden und auf ihren vollen Lippen lag ein Lächeln. Volle Lippen, von denen er jede Nacht träumte, seitdem er sie hatte kosten dürfen. Er zwang sich dennoch, seinen Blick von ihr abzuwenden und wandte sich der zweiten Person im Raum zu. Alteas Gast war eine Frau von Mitte zwanzig, die Altea mit einer zierlichen Figur, einem hübschen Gesicht und schwarzem Haar vom Typ her recht ähnlich war. Nur war das Haar der Frau zu einer frechen Kurzhaarfrisur geschnitten und ihre Augen waren blind. Altea stellte ihn vor: „Das ist mein Cousin Lysandros, von dem ich dir erzählt habe. Lysandros, das ist Babette. Ich habe sie übers Internet kennengelernt und wollte sie dir vorstellen.“ Er erstarrte, als er den Grund des Besuchs realisierte. Altea hatte versprochen, eine Frau zu finden, die ihn lieben konnte und ihn so von dem Fluch erlösen würde. Offenbar hatte sie diese Frau dafür ausgesucht. Zugegeben, deren Blindheit war ein cleverer Schachzug, weil sie so nicht sofort kreischend vor ihm wegrennen würde, nur leider wollte er sie nicht. Er wollte nur Altea, aber das würde sie nicht hören wollen. Da seine schöne Hexe zu stur war, um sich etwas ausreden zu lassen und ihr Gast sowieso früher oder später die Flucht ergreifen würde, ergab er sich seinem Schicksal und setzte sich.
Altea stellte die Tasse Kaffee vor Babette auf den Tisch und warf Lysandros einen forschenden Blick zu. Von einem Gott verflucht verbrachte er sein Leben seit vier Jahrtausenden als Monster und konnte nur durch die Liebe einer Frau erlöst werden. War sie bei ihrer ersten Begegnung noch vor seinem Äußeren zurückgeschreckt, hatte sie im Laufe der sieben Spiele, um die Erlösung ihrer Halbbrüder und damit um ihre Freiheit, sein einfühlsames Wesen zu schätzen gelernt und um bei der Wahrheit zu bleiben, berührte er sie inzwischen mehr, als ihr lieb war. Doch nach dem Desaster mit Lefteris war sie nicht mehr in der Lage, für irgendjemand ihr Herz ganz zu öffnen und das hätte sie tun müssen, um ihn zu erlösen. Also hatte sie beschlossen, eine Frau zu finden, die ihm dieses Geschenk machen konnte. Sein Äußeres war dabei ein Problem, das sie zumindest für den Anfang durch Babettes Blindheit gelöst hatte. Nachdem sie sich etwas näher gekommen waren, würde die Frau hoffentlich darüber hinwegsehen. Da er, seinen eigenen Worten nach, auf zierliche Schwarzhaarige stand, war sogar ihr Äußeres passend. Nur leider schien er nicht eben begeistert zu sein. Sie versuchte die Stimmung aufzulockern: „Stell dir vor, Babette schreibt Gedichte. Als ich davon erfahren habe, habe ich sofort an dich gedacht.“ Sie wandte sich an Babette: „Er ist ja so romantisch. Wirklich ein Jammer, dass wir verwandt sind.“
„Mein Glück“, lächelte Babette. „Ich liebe romantische Männer. Mögen Sie Gedichte Lysandros?“
„Kommt auf die Gedichte an“, wich er der Frage aus.
Altea warf ihm einen bösen Blick zu und versuchte seine Scharte auszuwetzen: „Verzeih ihm. Sonst ist er nicht so wortkarg. Wir haben ihn wohl überrumpelt. Ich hole uns den Kuchen aus der Speisekammer. Ihr beide könnt euch ja inzwischen ein wenig kennenlernen. Ich glaube wirklich, dass ihr wie füreinander geschaffen seid.“ Bei diesen Worten warf sie Lysandros einen auffordernden Blick zu und erhob sich.
Babette brach die unbehagliche Stille: „Ich dachte, sie hätte im Vorfeld mit Ihnen gesprochen. Sie müssen nicht mit mir ausgehen, wenn sie nicht wollen. Mir ist die abschreckende Wirkung meiner Blindheit durchaus klar.“ Lysandros verschluckte einen Fluch. So gern er diese Babette losgeworden wäre, sie im Glauben zu lassen, er würde sie wegen ihrer Behinderung ablehnen, wäre grausam gewesen.
Er versicherte: „Daran liegt es nicht.“
Sie verzog ihre Lippen zu einem bitteren Lächeln. „Sie müssen mir keine mitleidige Lüge auftischen.“
Er seufzte: „Es liegt an mir. Ich bin nicht … ich bin nicht normal.“
„Inwiefern?“, fragte sie irritiert.
„Er hat Narben im Gesicht und deswegen einen gewaltigen Minderwertigkeitskomplex“, nahm Altea ihm die Antwort ab. Er wandte sich ihr zu und sah sie mit vor Wut funkenden Augen in der Tür stehen.
Babette erwiderte betroffen: „Das tut mir leid, aber mich stört so etwas nicht. Ich habe genug Ablehnung erfahren, um niemand nach seinem Äußeren zu beurteilen. Wenn Sie nur halb so wundervoll und sensibel sind, wie Ihre Cousine sie beschrieben hat, sind Sie ein Geschenk des Himmels.“ Lysandros unterdrückte nur mit Mühe ein abfälliges Schnauben. Sie hätte nicht weiter danebenliegen können. Schließlich war er ein Verdammter der Unterwelt. Lediglich das Verschwinden der alten griechischen Götter, die ohne die Anbetung der Menschen den Großteil ihrer Macht verloren hatten, hatte ihn zumindest von seinem Joch als Sklave jenes Gottes befreit, dem er sein Schicksal verdankte.
Altea nahm ihm die Antwort ab: „Du hast ja so recht. Was hältst du davon, wenn ihr beide Morgen zusammen essen geht und dann einen Spaziergang durch den Park macht? Er liebt schöne Gärten.“
„Das wäre wundervoll“, strahlte Babette.
„Er holt dich um elf ab“, bestimmte sie und forderte ihn mit einem bösen Blick zu einer Zustimmung auf.
Lysandros gab nach: „Besondere Wünsche, was das Essen betrifft?“
Babette lächelte: „Ich lasse mich überraschen.“
„Gute Einstellung“, lobte Altea. „Lasst uns jetzt den Kuchen essen.“
Nachdem Babette die Wohnung verlassen hatte, riss Lysandros sich Mantel und die Brille förmlich vom Körper und warf Altea vor: „Das ist verrückt.“
Sie belehrte ihn: „Ganz im Gegenteil. Dank ihrer Blindheit kann dein Äußeres sie nicht beeinflussen.“
„Irgendwann wird sie mich anfassen wollen“, hielt er dagegen. „Was denkst du, was sie zu denen sagen wird?“, und hielt ihr die langen Klauen an seinen Fingern vors Gesicht. „Oder zu dem hier“, und ließ seinen Schwanz hoch zucken.
Altea konterte: „Nach ein paar Treffen hast du sie doch schon mit deinem Charme und deiner Einfühlsamkeit eingewickelt und es wird ihr egal sein.“
„So wie es dir egal ist?“, fragte er herausfordernd.
Sie verteidigte sich: „Du weißt genau, dass meine Ablehnung nichts mit Abscheu zu tun hat. Ich kann mein Herz für keinen Mann öffnen. Dazu ist es zu beschädigt.“
„Vielleicht ist meines das ebenfalls“, stellte er in den Raum.
Sie wies ihn zurecht: „Rede keinen Unsinn. In dem Fall hättest du nicht sieben Spiele lang versucht, mich rumzukriegen. Du willst eine Frau an deiner Seite.“ Ja, aber nur dich, hätte die korrekte Antwort gelautet, aber das hätte sie nur verschreckt, also schwieg er und sah sie nur böse an.
Sie seufzte: „Bitte versuch es doch wenigstens. Sie ist deine beste Chance und ich will dich so gern glücklich sehen.“
„Ich bezweifle, ob eine normale Frau, jemals über mein Äußeres hinwegsehen kann, egal nach wie vielen Treffen sie es bemerkt.“
„Das kannst du nicht wissen.“
„Die Zahlen sprechen für sich.“
„Damals hattest du auch nicht mein strategisches Geschick auf deiner Seite. Ich habe für meine sieben monströsen Halbbrüder die große Liebe gefunden, wieso also nicht für dich?“ Weil er seine große Liebe nicht haben konnte. Sie setzte nach: „Bitte Lysandros, versuch es für mich. Wenn du nicht erlöst wirst, wirst du nach meinem Tod allein zurückbleiben und daran will ich nicht mal denken.“ Er seufzte innerlich auf. So wenig er diese Frau wollte und so hoffnungslos es ohnehin war, eine Weigerung würde Altea unglücklich machen und das brachte er nicht übers Herz. Was war schon eine weitere seelische Verletzung gegen ein glückliches Lächeln auf Alteas Lippen?
Er ergriff sanft ihre Hände. „Also schön, für dich. Doch mach dir nicht zu große Hoffnungen.“
Sie erwiderte den Druck seiner Finger. „Sei nicht so negativ. Gemeinsam schaffen wir das schon.“ Gemeinsam? Es klang von ihren Lippen so verführerisch und doch war die Bedeutung in diesem Zusammenhang so niederschmetternd. Immerhin wollte sie ihn mit einer anderen Frau verkuppeln.
2. Kapitel
Am nächsten Nachmittag
Das Essen war gut verlaufen und nun ging Lysandros mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen neben Babette durch den Park. Wie immer hatte Altea eine brillante Wahl getroffen. Babette hatte sich als humorvoll, romantisch und trotz ihrer Behinderung als äußerst selbstständig erwiesen. Sie war eine starke Frau, die wusste, was sie wollte, und hatte doch einen weichen Kern. Auch in diesem Punkt ähnelte sie Altea. Wäre er Altea nicht begegnet, er hätte sich in Babette verlieben können. Altea. Sein Lächeln wurde bitter. Selbst während einer Verabredung mit einer andern wunderbaren Frau wanderten seine Gedanken ständig zu ihr. Hatte er sie bei ihrem ersten Treffen noch für ihre herablassende Art und die Abscheu in ihren Augen gehasst und sie benutzen wollen, hatte jeder Blick unter ihren Schutzpanzer ihn mehr berührt, bis es zu spät gewesen war. „Dieser herrliche Duft“, seufzte Babette wohlig und schlug den Weg zu den blühenden Sträuchern ein. Den Stock vor sich fand sie den Weg ohne Probleme. Sie blieb vor den über und über mit Blüten übersäten Sträuchern stehen, atmete genussvoll ein und bekam einen verträumten Gesichtsausdruck. Sie würde eine wunderbare Partnerin für jemand werden und hatte einen Mann verdient, der ihr sein Herz schenkte. Lysandros folgte ihr, blieb neben ihr stehen und drängte sich in ihre Versunkenheit: „Sie sind wunderschön, so wie Sie wunderschön sind Babette.“
„Danke“, murmelte sie und er sah eine leichte Röte in ihre Wangen steigen. Offenbar war sie nicht an Komplimente gewöhnt.
Er fügte ernst hinzu: „Lägen die Dinge anders, würde ich Sie sehr gern wiedersehen, doch ...“
Sie unterbrach ihn seufzend: „Doch Sie sind nicht interessiert.“ Ihre blinden Augen verwehrten ihm einen Blick in ihr Innerstes, aber die Art, wie ihre Schultern hinab sanken und ihre Miene starr wurde, sagte genug.
Er versuchte den Schmerz über die Zurückweisung zu lindern: „Wie ich neulich sagte, es liegt an mir.“
„Wenn es um ihre Narben geht, die stören mich wirklich nicht. Ich ...“
„Es gibt diese Narben, doch sie sind nicht der Grund.“
„Was denn dann?“, hakte sie nach, das hübsche Gesicht hinter einer Maske verborgen. Der Anblick brach ihm fast das Herz, hielt er seine Gefühle seit vier Jahrtausenden doch ebenfalls fast immer
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Renate Blieberger
Bildmaterialien: Feuerring: Jag_cz/ Shutterstock.com, Stein: Kseniya Ivashkevich/ Shutterstock.com, Mann (Oberkörper): Svitlana Ilnytska/ Shutterstock.com, Faun (untere Körperhälfte): Lois Louro/Shutterstock.com
Cover: Renate Blieberger
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2023
ISBN: 978-3-7554-6292-7
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