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Leseprobe

 

DIE CHRONIK

DER VERBORGENEN

 

Geliebte Blutrose

 

von

Renate Blieberger

Inhaltsverzeichnis

Prolog 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

Leseprobe 

 

Prolog

 

Rose

 

Vampire sind erhabene Geschöpfe, ewig jung, nie krank, wunderschön, machtvoll, unsagbar reich und sie können tun und lassen was sie wollen. Klingt wunderbar, hat aber leider nichts mit der Realität zu tun. Was mich betrifft, ich wurde als Teenager gegen meinen Willen verwandelt, und zwar von einer Vampirin mit Mutterkomplexen, für die ich immer ihr kleines Mädchen bleiben werde. Außerdem hänge ich gerade in Silberketten an einer feuchten Kellerwand und warte auf den tollsten Mann, der mir jemals begegnet ist, um von ihm gepfählt zu werden.

 

 

Eric

 

Vampire sind furchterregende Monster. Sie existieren nur, um ihren Blutdurst, und ihren Hunger nach Macht zu stillen. Sie sind übermenschlich stark, schnell, fast unverwundbar, und selbst wenn sie verletzt werden, heilen sie unnatürlich schnell. Sie haben Macht über unseren Geist, und sie kennen keine Regeln. Unser einziger Schutz sind die Sonne, Silber und unser Glaube. So hat man es mich gelehrt, ebenso wie sie zu jagen und sie zu töten. Ich habe beides getan, bis zu jener Nacht, als ich zu zweifeln begonnen habe. Nun gehe ich einen anderen Weg, der hoffentlich mehr Menschen retten wird. Gerade als ich gedacht hatte meinen Platz im Leben gefunden zu haben, begegnete ich ihr. Sie ist eine von ihnen, eines jener Monster, die unsere Feinde sind, und doch berührt sie etwas in mir, das ich verloren geglaubt hatte.

1. Kapitel

 

Rose

 

Wie es dazu gekommen ist? Das ist eine lange Geschichte und sie begann vor ungefähr fünfzig Jahren in San Francisco, mit zwei Blumenkindern, und wie man es heute nennen würde, ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Meine Eltern hingegen pflegten es eine Nacht der Liebe zu nennen. Ihren Erzählungen nach hatte diese in einem Rosenbeet stattgefunden, was mir den Vornamen Rose einbrachte. Meiner Meinung nach haben sie in ihrem benebelten Zustand, der wohl nicht ihrer Liebe zuzuschreiben war, einen Unkrautstreifen am Strand mit einem Rosenbeet verwechselt. Aber ich will mich nicht beschweren, da sie mich andernfalls womöglich noch Distel genannt hätten. Wie auch immer, in jener Nacht wurde ich gezeugt und kam neun Monate später zur Welt. In der damaligen Zeit waren weder die Umstände meiner Geburt, noch die Tatsache, dass meine Eltern sogenannte Blumenkinder waren, außergewöhnlich. Wesentlich bemerkenswerter war eher die Tatsache, dass die Beiden sich schlicht und einfach weigerten, die Gefilde von Liebe, Frieden und Marihuana irgendwann wieder zu verlassen. Ich wuchs also in einem Haus auf, in dem es Liebe, Freiheiten und diverse Rauschmittel im Überfluss, Regeln hingegen so gut wie gar nicht gab. Was macht man spätestens als Teenager in einer solchen Lage? Ganz klar, man nützt es ausgiebig aus. Zu meinem Leidwesen war ich offenbar Spätentwickler, denn mit sechzehn hatte ich immer noch Körbchengröße A, und wirkte eher wie ein zierliches Engelchen als ein verführerischer Vamp. Aber ich hatte schon früh gelernt, mit dem zu arbeiten, was ich habe. Also hatte ich die heimischen Freiheiten ausgenützt, mich bei der erotischen Lektüre meiner Eltern bedient, und die anderen Mädchen mit purem Fachwissen ausgestochen. Kurz auf den Punkt gebracht, meinen ersten Liebhaber hatte ich bereits mit vierzehn. Ich weiß, für die heutige Zeit ist das nicht früh, aber die Zeiten waren damals anders.

Diese für einen Teenager ungesunde Mischung aus Freiheit, Wagemut und Komplexen war es auch die mich in jener verhängnisvollen Nacht in jene dunkle Gasse hinter diesen Klub geführt hatte, die ich nicht mehr als Mensch verlassen sollte. Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Ich war verärgert in die Gasse hinter dem Klub gestürmt, in dem ich meinen Freund mit einem anderen Mädchen ertappt hatte. In meinen Rachegelüsten gefangen bemerkte ich die Vampirin erst, als sie schon fast vor mir stand. Ihr Name ist Lady Florence und sie sollte meine Schöpferin werden. Mit ihren unverkennbar teuren Kleidern und dem vornehmen Gebaren passte sie nicht in diese Gasse, genau genommen passte sie nicht mal in jene Zeit. So teuer ihre Kleidung auch war, sie wirkte unmodern, viel zu steif, zu nun ja damenhaft. Sie erinnerte mich an eine dieser vornehmen Damen, die man in den alten Filmen zu sehen bekam. Trotz der unvorteilhaften Aufmachung war sie nur als wunderschön zu bezeichnen. Sie war nur etwas größer als ich mit meinen einssechzig, aber sehr weiblich an den richtigen Stellen. Ihr Haar hatte eine tiefrote Farbe, allerdings nicht so schreiend wie die Färbemittel der Menschen, sondern einen natürlichen Ton. Ihr Gesicht wurde von grünen Augen und einem vollen sinnlichen Mund beherrscht. Die Frau hätte den perfekten Vamp abgegeben. Aber trotz ihres sinnlichen Äußeren wirkte sie eher wie eine besorgte Lehrerin, als eine Feme fatal, als sie auf mich zukam. Sie hatte mein dickes Make-up, den Minirock und das enge Top missbilligend gemustert und gesagt: „Kind was für furchtbare Eltern musst du haben, dass sie dich so aus dem Haus gehen lassen, und noch dazu um diese Zeit.“

Mir hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen, ehe ich schnippisch erwidert hatte: „Von wegen Kind, ich bin sechzehn, und Sie geht das gar nichts an.“ Ich mochte ja nicht so üppig sein wie sie oder diese dumme Tussi im Klub, aber ich hatte doch wohl deutlich mehr Rundungen als ein Kind. Sie hatte mich schlichtweg ignoriert, war mit einer Geschwindigkeit, die beim besten Willen nicht als menschlich zu bezeichnen war, auf mich zugekommen und hatte mich in ihre Arme gezogen.

„Mach dir keine Sorgen, ich werde ab heute deine Mama sein und mich immer um dich kümmern“, hatte sie geraunt und dann ihre Reißzähne in meinen Hals geschlagen. Ich hatte mich natürlich nach Kräften gewehrt, aber wenn ein Mythos über uns stimmt, dann der mit der überlegenen Körperkraft. Ich erinnere mich vage, wie sie ihr Handgelenk an meinen Mund gepresst hat, dann an nichts mehr. Als ich wieder zu mir gekommen war, war ich kein Mensch mehr gewesen.

Mein zweites Leben hat auf einem großen Anwesen außerhalb von San Franciscos so beengt begonnen, wie mein Erstes frei gewesen war. Als vier Jahrhunderte alter Vampir ist meine Schöpferin nicht nur eine der ältesten, sondern auch eine der reichsten Vampire, die ich kenne. Ich schätze früher war es einfacher, sich mit ein paar Tricks Geld zu erschwindeln. Sie stammt aus dem Frankreich der Revolution und ist mit einigen Leidensgenossen vor der Guillotine in die neue Welt geflüchtet. Verständlicherweise, denn Köpfen ist neben Verbrennen und Pfählen eine der drei Möglichkeiten, uns für immer ins Jenseits zu befördern. Als ihr Blutkind musste ich die ersten zehn Jahre meiner untoten Existenz bei ihr bleiben. Das ist eine durchaus vernünftige Regel, die dazu dient, keinen blutigen Anfänger auf die Menschheit loszulassen. Für mich waren es zehn Jahre Hölle in rosaroten Rüschen voller steifer Rituale. Aber immerhin habe ich so die Regeln unserer Gesellschaft gelernt.

Regel Nummer eins: Außer ein paar Vertrauten darf kein Mensch von unserer Existenz wissen.

Unterregel für Regel Nummer eins: Falls einer deiner Vertrauten uns verrät, bist du als sein Meister dafür verantwortlich und wirst dafür bestraft.

Regel Nummer zwei: Vampire haben Territorien und wenn du als junger Vampir in einem leben willst, musst du den Besitzer um Erlaubnis fragen und dich an seine Vorschriften halten.

Regel Nummer drei: Ist die oben genannte Sklavenregel, oder anders gesagt, wenn du einen Vampir erschaffst, gehört er für zehn Jahre dir, aber du bist auch für seine Fehler verantwortlich.

Regel Nummer vier: Schaffst du es ein Territorium zu bekommen, musst du dort für Ordnung sorgen.

Nach diesen Regeln funktioniert unsere Gesellschaft. Man hält sich daran oder man stirbt endgültig. Nachdem ich meine zehn Jahre Sklaverei abgedient hatte, habe ich meine paar Besitztümer zusammengerafft, das Weite gesucht und war nach New York City gefahren. Allerdings erst nach einem Zwischenstopp in einem Einkaufszentrum, in dem ich mir endlich wieder eine vernünftige Frisur und Kleidung aus der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts zugelegt hatte. Ich hatte diese Stadt aus zwei Gründen gewählt, erstens, es war leicht dort unterzutauchen und zweitens, es war herrlich weit weg von meiner Ersatzmutter. Nach der ersten Euphorie wurden mir die Probleme, die sich außerhalb ihres kleinen Märchenreiches ergaben, nur allzu schnell bewusst. Ich war zwar inzwischen sechsundzwanzig Jahre alt, und damit längst erwachsen, aber ich steckte immer noch im Körper einer Sechzehnjährigen, und zwar einer die viel zu jung wirkte, um mich für älter auszugeben. Was mich im Wesentlichen vor zwei Probleme stellte. Erstens, niemand würde mir einen Job geben, von dem ich leben konnte, oder besser gesagt mein untotes Leben finanzieren konnte. Zweitens, niemand würde mir legal eine Wohnung vermieten. Was konnte ich also tun? Genau das, was jeder ausgerissene Teenager macht, ich tauchte in der Illegalität unter. Ich mietete mir von einem schleimigen Typen im schlechtesten Viertel der Stadt eine Wohnung, die eher die Bezeichnung Kerker verdient hätte. Eigentlich bestand sie nur aus einem einzigen Zimmer, von dem provisorisch ein kleines Bad abgetrennt war. Davon abgesehen hatte sie nur ein winziges Fenster, was sie selbst an sonnigen Tagen stockdunkel bleiben ließ. Was jeden vernünftigen Menschen abgeschreckt hätte, war für mich ideal. Ich fand auch bald eine Methode, wie ich meinen Blutdurst stillen und gleichzeitig mein Geldproblem lösen konnte. Dabei half mir ironischerweise mein unterentwickelter Körper. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Perverse es auf der Welt gibt, und die meisten davon scheinen in dieser Stadt zu leben. Ich besorgte mir ein paar nuttige Tops und Röcke und stellte mich auf den Straßenstrich für Minderjährige. Eine ekelhafte Sache, aber sie funktioniert prächtig. Ich muss nur warten, bis so ein Mistkerl mich aufgabelt, mich von ihm in irgendeine dunkle Gasse oder Parkplatz fahren lassen, und dort lege ich los. Ich betäubte ihn, trinke sein Blut und raubte ihn aus. Um meine Spuren zu verwischen und Regel eins zu befolgen, beiße ich nicht zu, sondern schneide sie in den Hals. Wenn die Kerle wieder aufwachen, glauben sie Opfer eines einfachen Überfalls geworden zu sein. Das Beste daran ist, sie gehen nicht mal zu den Cops, weil sie schlecht zugeben können, eine Minderjährige aufgerissen zu haben. Ich kriege was ich will, und die kriegen was sie verdienen, irgendwie perfekt. Auf diese Art und Weise verbrachte ich die nächsten fünfunddreißig Jahre. Das ist so ziemlich die stark gekürzte Zusammenfassung meines bisherigen Lebens.

 

 

Eric

 

Mein Leben begann in einem kleinen Städtchen irgendwo am Land. Es war eine kleine Stadt, in der jeder jeden kennt und wo es keine Geheimnisse gibt. Aber heute weiß ich, es gibt überall Geheimnisse. Manche sind nur besser verborgen als andere. Es war letztendlich auch eine Reihe von Geheimnissen, die mich von jenem kleinen Städtchen nach New York City geführt hat. Das Erste und wohl demütigendste davon wurde mir vor zehn Jahren eröffnet, als ich meine große Liebe Amber bei dem Versuch ertappte, meinen Bruder zu verführen. Statt einer Entschuldigung bekam ich von ihr nur die höhnische Erklärung, sie hätte mich nur benutzt, um an Jacob heranzukommen. Jacob mein älterer Bruder, der den Absprung aus diesem verschlafenen kleinen Nest geschafft hatte, und nur mehr am Wochenende dorthin zurück gekommen war. Zu meiner Genugtuung hatte er sie abblitzen lassen. Aber an diesem Tag war mit Amber auch die Illusion einer glücklichen Zukunft für mich in meinem alten Leben gestorben. Denn wenn ich für sie nur ein Werkzeug gewesen war, könnte ich es auch für jede Andere sein. Ich hatte genug von Beziehungen und vom Leben im Allgemeinen. Das zweite Geheimnis hielt mein Bruder für mich bereit. Er offenbarte es mir, nachdem ich mich wochenlang wie ein waidwundes Tier verkochen hatte. Vampire sind real. Was zu Geheimnis Nummer drei führte. Er war kein erfolgreicher Vertreter, sondern gehörte zu einer Gruppe Vampirjäger. Mein Name ist Eric Stormcloud. Das ist ein indianischer Nachname, den wir unserem Großvater zu verdanken haben. Er hatte stets erzählt, sein Volk hätte viele große Krieger hervorgebracht. Ich bin inzwischen genau wie Jacob in deren Fußstapfen getreten, nur der Feind ist ein Anderer. Jacob trainierte mich, damit ich an seiner Seite kämpfen konnte. Ich ging völlig darin auf und verbrachte jede freie Minute damit, immer besser zu werden. Das ist mir nicht schwergefallen, denn mein Privatleben hatte ich auf Eis gelegt. Lediglich mit Jacob unternahm ich ab und zu etwas, und selbst das nur, wenn er mich dazu drängte. Bald war ich gut genug, um der Gruppe beizutreten. So begegnete ich Janet Dawns, der Anführerin der Gruppe. Die Gruppe hat keinen Namen, kein Logo oder sonst ein Erkennungszeichen, nichts was sie hätte verraten können. Nur Janet kennt uns alle, und jeder von uns kennt nur sie und unsere Untergruppe. Mir war bald klar gewesen, dass mein Bruder der Frauenschwarm, etwas mit Janet am Laufen hatte, aber es war mir egal gewesen. Ich ging völlig in meiner neuen Berufung auf. Ich lebte, um die Welt besser zu machen, und um die Menschen zu beschützen. Im Gegensatz zu meinem Privatleben war ich dabei wenigstens gut. Zwar hatte ich meine Brille gegen Kontaktlinsen getauscht, und vom Training war mein Körper ebenso athletisch geworden, wie der von Jacob, aber ich schaffte es einfach nicht mehr, einer Frau genug zu vertrauen, um mich auf eine Beziehung einzulassen. Was ganz gut war, denn selbst falls ich mein Misstrauen hätte überwinden können, hätte ich keiner Außenstehenden von meinem Leben erzählen können, was eine echte Beziehung sowieso unmöglich gemacht hätte. Also blieb ich auf sicherem Terrain und widmete meine ganze Zeit und Energie der Sache. Ich war bald einer ihrer besten Jäger und nur noch Janet persönlich unterstellt. Ich glaubte bedingungslos an unsere Sache, bis zu jener verhängnisvollen Nacht, die alles infrage gestellt hat.

Janet gab uns eine Information bezüglich eines jungen Vampirs. Für einen Frischling reichen zwei Jäger aus, also zog ich nur mit Jacob los. Aber vor Ort war kein Neuling gewesen, sondern ein verdammt alter Vampir, der uns mit Leichtigkeit besiegt hatte. Unsere Überzeugung war immer ganz klar gewesen. Wer sich entschied einer von ihnen zu werden, hatte den Tod verdient. Aber in dieser Nacht verwandelte der Vampir meinen Bruder gegen dessen Willen. Mir hatte er zuvor spielerisch leicht die Knochen gebrochen, so dass ich hilflos dabei hatte zusehen müssen.

Ich brauchte Monate, um wieder völlig auf die Beine zu kommen, und in diesen Monaten wuchs mein Zweifel. Wenn mein Bruder gegen seinen Willen verwandelt worden war, wie vielen Anderen hatten sie das noch angetan? Wie viele schuldlose Opfer hatte ich in den vergangenen Jahren getötet? In diesen Monaten löste sich mein Leben abermals vor mir auf. Ich konnte nicht mehr an die Sache glauben. Ich betrachte diese Erkenntnis als Geheimnis Nummer vier, denn sie führte mich endgültig auf den Pfad, den ich heute beschreite. Damals reifte die Idee in mir, den guten Vampiren unter ihnen zu helfen. Ich verließ die Gruppe, sobald ich wieder auf den Beinen war, und ging nach New York City.

Während ich die Lage bezüglich der Vampire auskundschaftete, begann ich, Menschen zu retten, wo ich nur konnte. Ich half Ausreißern und Obdachlosen und es fühlte sich gut an. Schließlich hatte ich genügend Informationen und Mittel, um mit meinem Vampirplan zu beginnen. Ich bin kein Narr und weiß, wie gefährlich sie sind, und mir ist bewusst, dass nicht jeder von ihnen sich retten lassen möchte. Also treffe ich alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen. Vielleicht kann ich durch diesen Plan sogar eines Tages meinen Bruder zurück auf die gute Seite holen. Vielleicht werde ich auch bei dem Versuch sterben, doch das wäre ein geringer Preis, da mein Leben, ohne jemand der mir wirklich nahesteht ohnehin so gut wie sinnlos ist. Also scheint es nur logisch, es einzusetzen, um die einzige Person zurückzubekommen, die mir wirklich etwas bedeutet. Wenn ich bis dahin Anderen helfen kann, umso besser.

 

 

Rose

 

Wie brachte mich das mit Silberketten gefesselt hier an diese Wand? Dieser Teil meiner Geschichte begann vor zwei Nächten. In den vergangenen Jahren hatte ich mir genug Geld ergaunert, um von der billigen Absteige in ein hübsches Apartment mit lichtdichten Rollos umzuziehen. Da meine Nachbarn es wohl ziemlich empörend gefunden hätten, wenn ich mit meinem Jagdoutfit, klingt doch besser, als Nuttenfummel, über den Flur gelaufen wäre, trug ich es in einer Tasche bei mir und machte mich auf den Weg zu meiner „Arbeitsstätte“. Ich schlenderte gemütlich die Straße entlang, bis ich in die dunkle Gasse an der Ecke des Blocks einbiegen konnte. Von dort weg nutzte ich meine Vampirgeschwindigkeit, um den Strich zu erreichen. Wie gewohnt zog ich mich am dortigen öffentlichen Klo um und nahm meine Lauerstellung ein. Wie üblich musste ich nicht lange warten. Mit meinen ein Meter sechzig, den hellblonden Locken und der zierlichen Gestalt wirke ich puppenhaft, was diese Typen zuverlässig anlockt. Einer dieser abartigen Mistkerle hielt in einem dicken Sportwagen neben mir, lehnte sich aus dem Fenster, grinste anzüglich und sprach mich an: „He Kleine heute ist dein Glückstag. Ich bin sehr spendabel, wenn du deine Sache gut machst“, dabei glitt sein Blick gierig meinen kaum verhüllten Körper entlang. Er hing am Haken, perfekt.

Ich warf ihm ein kokettes Lächeln zu und setzte zu einem Spruch an, um ihn richtig heißzumachen, als ich von einer aufgebrachten Männerstimme unterbrochen wurde: „Sie sollten sich schämen. Sich an Kindern zu vergreifen ist abscheulich.“ Ich fuhr zu dem Störenfried herum, und sah zum ersten Mal ihn, den Mann an dessen Kellerwand ich jetzt hänge. Er war niedlich, anders kann ich es nicht sagen. Er war gute ein Meter achtzig groß, seine Haut hatte einen etwas dunkleren Teint, vielleicht ein halber Latino oder auch ein Ureinwohner. Er war schlank und vermutlich durchtrainiert, obwohl das in den Schlabberklamotten, die er trug, nicht eindeutig festzustellen war. Sein Haar war schwarz, und es brauchte einen Friseur, denn es hatte diese unmöglichen Länge zwischen nicht mehr kurz aber auch nicht gepflegt lang. Sein Gesicht war eine Spur zu weich um ihn wie einen harten Kerl wirken zu lassen. Die dunkelbraunen Augen hätten es ziemlich sinnlich machen können, falls er nicht diese unmögliche, viel zu große Brille getragen hätte. Sein Blick hatte sich von meinem Freier gelöst und war zu mir gewandert. Er schien mich mit seinem Blick bannen zu wollen und belehrte mich: „Ich weiß nicht, wie du hier gelandet bist, aber es gibt andere Möglichkeiten. Du musst das nicht machen.“ Autsch, das war weniger niedlich. Warum konnte nicht ein Mal ein süßer Kerl wie er die Frau in mir sehen? Aber klar, für ihn war ich ein Teenager, während er wie Ende zwanzig wirkte. Zum wiederholten Mal verfluchte ich Florence. Hätte mich dieses blöde Miststück damals nicht verwandelt, könnte ich heute so einen schnuckligen Typen wie ihn haben, statt mich mit Perversen herumzuschlagen. Nun ja, genau genommen wäre ich inzwischen fast sechzig und könnte höchstens noch meine Enkel abknutschen, aber wenigstens früher hätte ich mal so einen wie ihn haben können. Er hatte mein Schweigen wohl als Angst interpretiert und war näher gekommen. Er zog eine Karte aus seiner Jackentasche und hielt sie mir entgegen. „Ich verstehe, dass du mir nicht traust, aber das ist ein Ort an den Mädchen wie du gehen können.“ Jetzt wurde es meinem potenziellen Opfer wohl zu viel. Er trat das Gaspedal durch und suchte das Weite. Super, jetzt musste ich nicht nur den barmherzigen Samariter loswerden, sondern mir auch noch eine neue Mahlzeit suchen. Ich seufzte innerlich auf. Mein Leben war wirklich völlig daneben.

Ich ließ den Teenager raushängen und pflaumte ihn an: „Du weißt gar nichts, lass mich bloß in Ruhe“, und rannte theatralisch weg. Aber was tat dieser Verrückte? Er folgte mir. Natürlich hätte ich ihn leicht abhängen können, aber da war ja diese verfluchte erste Regel. Also stoppte ich, als ich merkte, dass er nicht aufgab, und keuchte, als ob ich völlig außer Atem wäre. Er schnaufte nicht mal, obwohl wir gut zweihundert Meter weit gelaufen waren. Er ist offenbar gut in Form.

Er hielt mir wieder die Karte hin und flehte: „Bitte nimm wenigstens die Karte, damit du weißt, wo du hingehen kannst, wenn du es dir überlegst. Sag einfach, Eric schickt dich.“ Ich griff gehorsam nach der Karte und nickte brav. Er entspannte sich sichtlich, lächelte mich freundlich an und fügte hinzu: „Ich komme da auch immer wieder vorbei. Du kannst dich jederzeit an mich oder an die Frau dort wenden, falls du Hilfe brauchst.“ Oh ja das Gesicht konnte ich mir bildlich vorstellen, wenn ich sagen würde: „Bitte Eric ich bräuchte einen halben Liter Blut von dir. Weißt du ich esse so etwas.“ Die Vorstellung reizte mich zum Lachen.

Um ihn endlich loszuwerden, erwiderte ich artig: „Ich werde daran denken.“

 

 

In der nächsten Nacht hatte ich mehr Glück. Nachdem ich das Abendessen zügig hinter mich gebracht hatte, ging ich in den Park. Das war eine der wenigen Freuden, die mir geblieben waren. Ich liebe den Park, nun ja im Sonnenschein wäre er vermutlich noch schöner gewesen, aber man wird mit der Zeit bescheiden. Ich hatte meine Jagdkleidung gegen bequeme Jeans und ein Shirt getauscht und schlenderte durch den dunklen Park. Einen Vorteil hat die Nacht, man ist fast völlig allein im Park. Nur ein paar Penner hier und da, die auf einer der Bänke nächtigen und ab und zu ein Liebespärchen, das sich heimlich trifft. Aber im Großen und Ganzen war ich mit den Eichhörnchen und ein paar Eulen alleine. Ich atmete die nach grün duftende Luft genüsslich ein. Ich war natürlich nicht mehr gezwungen zu atmen, aber ich genoss frische Gerüche wie jeder andere auch. Ich merkte auf, als ich in der Mischung aus Grün einen vertrauten Duft wahrnahm. Ein weiterer Vampir war im Park. Ich ging weniger verträumt weiter, als bisher. Die meisten Vampire in dieser Stadt sind nicht besonders territorial, aber einige Spinner gibt es schon. Als ich um die nächste Biegung kam, konnte ich meinen Artgenossen auch sehen und entspannte mich, als ich Maurice erkannte. Er ist einer der wenigen Freunde, die ich habe. Obwohl der Franzose einige Jahrhunderte alt ist, zeigt er keine Spur der Arroganz, die den Älteren sonst meist zu eigen ist. Ich war ihm ein paar Tage nach meiner Ankunft das erste Mal über den Weg gelaufen. Er hatte mir seine Hilfe angeboten ohne mich unter Druck zu setzen, woraus sich im Laufe der Jahre eine vorsichtige Freundschaft entwickelt hatte. Maurice ist ein Charmeur und ein wahrer Casanova, sowohl bei Menschen als auch bei Vampiren. Nur an mir zeigt er zu meinem Leidwesen nicht das geringste romantische oder auch nur sexuelle Interesse. Bei dem Gedanken seufzte ich wieder einmal innerlich auf. Ich sollte mich endlich damit abfinden. Warum sollte ein attraktiver charmanter Mann wie er auch an einem ewigen Backfisch wie mir interessiert sein? Er stand neben einer der Parkbänke und war gerade über einen schlafenden Penner gebeugt. So wie ich mich auf Perverse spezialisiert habe, bedient Maurice sich meistens bei Obdachlosen, die im Park schlafen. Ich schätze sie sind gute Opfer, da sie in ihrem alkoholisiertem Zustand wohl alles für Einbildung halten. Aber als Geldquelle sind sie leider nun mal völlig uninteressant. Er hatte mich erkannt, richtete sich auf, winkte mir zu und schenkte mir eines seiner charmanten Lächeln. Ich erwiderte seinen Gruß und wollte mich gerade abwenden, um ihn nicht weiter zu stören, als plötzlich ein Mensch aus dem Unterholz hervorstürzte. Wir hatten ihn beide nicht bemerkt, da der Geruch des Bettlers seinen dezenteren überdeckt hatte. Er hielt ein Handteller großes Kreuz vor sich und stieß es förmlich in Maurice Richtung. Kreuze bannen uns, allerdings keine so alten Vampire wie den Franzosen. Maurice wich mit einer geschmeidigen Bewegung zurück. Der Mann spie ihm entgegen: „Heute wirst du kein unschuldiges Opfer ermorden Blutsauger.“ Ich hätte abhauen sollen, solange er mit Maurice beschäftigt war, weil der ohne Zweifel auch allein mit ihm fertig geworden wäre. Aber die Stimme hatte mich erstarren lassen. Ich versuchte sein Gesicht auszumachen und tatsächlich, obwohl er ohne die riesengroße Brille gleich noch attraktiver wirkte, der Vampirjäger war mein Retter von vergangener Nacht. Rückblickend gesehen muss ich sagen, meine Gefangenschaft ist allein meine Schuld. Aber in dem Moment war ich einfach völlig überrascht. Wer zum Teufel ist der Kerl? Eine Nacht versucht er, Mädchen vom Straßenstrich retten, und in der nächsten jagt er Vampire. Ihn retten zu wollen war sentimental und dämlich, aber er war der erste Mensch, seit ich verwandelt worden war, der mir etwas Gutes hatte tun wollen.

Also schrie ich: „Tu ihm nichts.“ Maurice blickte mich kurz zweifelnd an, nutzte dann aber seine übernatürliche Schnelligkeit und ließ Eric einfach stehen. Ich schätze er hatte mir zugetraut auch abzuhauen, selbstverständlich, nachdem ich dem guten Eric einen Blackout verpasst hätte. Aber wie heißt es so schön? Shit Happens. In dem Moment als ich schrie fuhr Eric zu mir herum, das Kreuz noch immer vor sich, und blöderweise bin ich im Gegensatz zu Maurice nicht immun dagegen. Ich erstarrte auf der Stelle.

Er kam vorsichtig auf mich zu und als er vor mir stand, keuchte er auf und murmelte erschüttert: „Grundgüter du. Du hast Rettung noch nötiger als ich dachte.“ Damit hängte er mir das Kreuz an der Kette, die daran baumelte, um den Hals, hob mich hoch und trug mich zu einem alten Wagen. Er verfrachtete mich auf den Rücksitz und verband mir die Augen. Die Fahrt dauerte eine ganze Weile und anschließend trug er mich in den Keller, wo er mich in Ketten legte. Nun hänge ich hier an der Wand und werde endgültig sterben oder vorher noch gefoltert werden, weil ich zu sentimental zum Töten und zu blöd zum Weglaufen bin. Das passt ja wunderbar. Ein erbärmliches Ende für eine erbärmliche Existenz. Da soll noch mal jemand behaupten das Schicksal hätte keinen Humor.

 

 

Eric

 

Ich habe es geschafft und endlich einen Vampir eingefangen. Aber statt Zuversicht oder Triumph empfinde ich nur Fassungslosigkeit. Seit ich diesem Mädchen vor zwei Nächten zum ersten Mal begegnet bin, geistert sie durch meine Gedanken und meine Träume. Ich bin achtundzwanzig und habe für gewöhnlich keine abartigen Neigungen. Die Teenager, die ich bisher zu retten versucht hatte, haben stets nur Mitleid und Sorge in mir ausgelöst. Aber sie ist mir in mehr als einer Hinsicht unter die Haut gegangen. Ihre zarte engelhafte Schönheit, die jetzt ohne diese billige Aufmachung noch reizvoller wirkt, ist natürlich anziehend, aber das alleine hätte nicht ausgereicht, um meine Prinzipien über Bord zu werfen. Es war etwas in ihren Augen gewesen. Für einen Moment dort auf der Straße hatte sie mich mit einem Blick angesehen, der viel älter und reifer gewesen war, als er hätte sein sollen. Ein Blick, der bis in meine Seele vorgedrungen war, und dort eine Stelle berührt hatte, die seit Ambers Verrat kalt und leer gewesen war. Liebe auf den ersten Blick? Nach Amber glaube ich nicht mehr daran, aber irgendetwas ist zwischen diesem Mädchen und mir. Ich habe versucht es zu verdrängen, weil sie zu jung für mich ist. Aber jetzt stellt sich heraus, dass sie vielleicht gar nicht mehr so jung ist, aber dafür ein Vampir, und zwar einer der jetzt in meiner Obhut ist. Ich hoffe inständig bei ihr Erfolg zu haben, denn ich bin mir selbst gegenüber ehrlich genug, um zuzugeben, dass es mich umbringen würde, ihr etwas antun zu müssen. Mein Blick streift über die Sachen, die ich zusammengesucht habe. Ein Blutbeutel für ihren Hunger und etwas Lektüre, um ihr die Zeit zu vertreiben. Sie soll sich schließlich nicht wie in einem Kerker fühlen. Ich zögere, als ich die Hand nach den Jugendzeitschriften ausstrecke. Was wenn sie doch älter ist? „Dann ist sie trotzdem tabu für dich du Idiot. Du kannst nichts mit ihr anfangen, solange sie nicht clean von der Blutgier ist und außerdem hasst sie dich wahrscheinlich, weil du sie eingefangen hast“, verhöhnt mich meine innere Stimme. Trotzig packe ich die Zeitschriften ein. Schließlich könnte sie genauso gut ein Frischling sein, und damit wirklich ein Teenager. Auf dem Weg zum Keller verfluche ich das Schicksal. Warum muss es mir ausgerechnet jetzt jemand schicken, der mein totes Herz wieder zum Leben erweckt? Noch dazu jemand, den ich wohl nie haben kann.

2. Kapitel

 

Rose

 

Der Morgen hatte schon fast gegraut, als er mich hier angekettet hatte und dann verschwunden war. Dass wir tagsüber in todesähnlichen Schlaf fallen, ist eine Erfindung der Literatur, in Wahrheit sind wir absolut wach. Wir können nur nicht raus, weil uns draußen die Sonne grillen würde. Zum Glück ist das einzige Fenster abgedunkelt. Er hat das Kreuz mitgenommen also kann ich mich wieder bewegen. Aber ich werde nicht noch mal durch Leichtsinn meine Lage verschlimmern. Also zwinge ich mich, erst mal Informationen zu sammeln. Der Raum ist beinahe stockdunkel, aber das ist kein Hindernis für meine nachtsichtigen Augen. Ich lasse meinen Blick durch den Raum wandern und suche nach Gefahren oder Chancen. Der Raum ist durchschnittlich groß, ca zwanzig Quadratmeter, schätze ich. Die Wände sind gemauert aber unverputzt und der Boden besteht aus Steinen. Abgesehen von meinen Ketten befinden sich ein kleiner Tisch, zwei Sessel und ein altes Sofa im Raum. An der Decke baumelt eine einzelne Glühbirne und die Tür scheint aus massivem Holz zu sein. Meine beste Chance ist wohl bei Einbruch der Nacht das Fenster einzuschlagen und zu verschwinden, aber dazu muss ich aus diesen Ketten raus. Ich hänge an insgesamt vier Ketten. Zwei sind in Bodennähe in der Wand verankert und hindern meine Füße daran sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Die anderen zwei sind über meinem Kopf montiert, sodass meine Arme nach oben ausgestreckt an der Wand fixiert sind. Ich bin zu fest an die Wand gefesselt, um die Ketten untersuchen zu können. Eigenartigerweise sind sie innen mit weichem Stoff ausgekleidet. Da mir für raffinierte Ausbruchsmanöver schlicht und einfach die Bewegungsfreiheit fehlt, entschließe ich mich für brutale Gewalt. Ich reiße kräftig an den Ketten über meinem Kopf. Die Steine knirschen aber die verdammten Dinger geben nicht nach und es kommt sogar noch übler. Durch mein Ruckeln und Reißen an den Fesseln verschiebt sich der Stoff und ich komme an den Handgelenken mit den blanken Fesseln in Kontakt und brülle vor Schmerz auf. Sengende Pein zuckt über meine Haut und als sie verkohlt über das Fleisch darunter. Die verdammten Dinger sind aus Silber. Ich versuche den Stoff wieder über das Silber zu schieben, aber er ist hoffnungslos verrutscht. Vor Schmerz und Wut schießen mir Tränen in die Augen. Das ist einfach nicht fair, ich hatte ihn doch nur retten wollen.

 

 

Es befindet sich keine Uhr im Raum, ich weiß also nicht, wie viel Zeit schon vergangen ist, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. In mir streiten der beißende Schmerz in meinen Händen und die Angst, was dieser Verrückte mit mir anstellen wird, wenn er wiederkommt. In meiner Agonie spüre ich nur am Rande, wie die Sonne untergeht. Dieses Talent ist ein wichtiges Instrument um meine Art am Leben zu erhalten. Aber hier nützt es mir nichts, weil ich nicht von diesen verdammten Fesseln loskomme. Als ich endlich Schritte vor der Kammer höre, bin ich fast erleichtert. Egal was er

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Renate Blieberger
Bildmaterialien: Hintergrund: Sirius-sdz/deviantart.com, Blume: photomaru/depositphotos.com
Cover: Linda Woods; www.designs-und-cover.de
Tag der Veröffentlichung: 23.05.2022
ISBN: 978-3-7554-1448-3

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