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Kapitel 12 - Amelia



„Was weißt du über Magie?“ Diese Frage überraschte Amelia. Überhaupt hatte sie eher eine Antwort erwartet als eine Frage. Eine Antwort darauf, warum Larija die letzten zwei Tage in ihrem Zimmer verbracht hatte. Eine Antwort darauf, warum sie sich plötzlich für die Zustände in Verderis und ihre Meinung zum Krieg interessierte. Vielleicht auch noch eine Antwort darauf, warum Larija nun so dringend in die Bibliothek musste, wo sie vorher doch eine so offensichtliche Abneigung gegenüber Büchern gezeigt hatte, als Amelia ihr welche hatte ausleihen wollen. Aber anstatt einer vernünftigen Erklärung war alles, was Amelia bekam, eine Frage, die ihr Wissen über Magie betraf. Verdutzt sagt sie: „Nun, nicht besonders viel. Soweit ich weiß, gibt es in den vereinigten Königreiche Zauberer, die sich der Magie bemächtigen, um sich für den Krieg gegen uns zu stärken. Verwirrt beobachtete sie Larija. Diese verzog ihr Gesicht, die Antwort gefiel ihr ganz offensichtlich nicht. Dann konzentrierte sie sich wieder. „Und du weißt nicht, ob es hier auch… Zauberer gibt?“ Erschrocken riss Amelia die Augen auf. „Du meine Güte, nein, bestimmt nicht! Und falls doch, so müssten wir sie vernichten. Zauberer sind böse. Warum willst du das unbedingt wissen?“ Vorsichtig, so als müsse sie jedes Wort überdenken, antwortete Larija: „Ich… muss dringend in die Bibliothek. Kannst du mir bitte Zugang verschaffen? Es ist wirklich dringend!“
Amelia hatte ihrem Flehen schließlich nachgegeben. Das war bereits vor drei Tagen gewesen, und seit dem hatte Amelia sie nicht mehr gesehen. Langsam fragte sie sich, ob ihre Entscheidung die richtige gewesen war. Aber warum sollte sie ihr nicht helfen? Nur, weil sie ein merkwürdiges Mädchen mit tausend Geheimnissen war? Aber was konnte man schon von jemandem erwarten, der weit weg von der Heimat ohne sein Gedächtnis lebte?
Außerdem war Amelia einfach zu gut gelaunt. Mit Rowan lief alles hervorragend. Er war immer sehr verlangend, wenn er sich ihr näherte. Und auch, wenn er manchmal etwas zu schnell vorging, so liebte sie ihn doch, und es war wunderbar für sie, in seiner Nähe zu sein. Sie war furchtbar unaufmerksam im Unterricht, ständig bekam sie Ärger von ihrem Vater, und doch… Er freute sich für sie. Larija hatte es ihr einen Morgen gesagt, als sie gemeinsam auf einem Flur standen und Amelias Vater vorbeikam. Irgendwie schien Larija ein besonderes Gefühl für so etwas zu haben, wie für fast alles, aber auch ohne ihre Hilfe hätte Amelia dies wahrgenommen. Ihr Vater war zwar genau so streng und fordernd wie sonst auch, aber in manchen Momenten, wenn er dachte, sie bemerke es nicht, sah er sie an und lächelte gütig. Er war glücklich, dass sie glücklich war. Und das war sie tatsächlich, voll und ganz.
Und dann bekam sie eine Nachricht, die ihr Glück schlagartig zerstören sollte.
Es war nicht ihr Vater, der es ihr mitteilte. Auch nicht Rowan, der nun auch damit zu tun hatte. Selbst, wenn sie es durch Nedan erfahren hätte, oder durch Birgit, das wäre noch in Ordnung gewesen. Stattdessen erzählte es ihr Larija. Larija, die nur als Gast anwesend war, die es nichts anging, die nicht hierher gehörte – sie wusste es vor ihr.
Amelia war gerade dabei, ihre Aufgaben für den Unterricht zu erledigen, als Larija auf gewohnt leichtfüßige Weise zu ihr kam. „Ich werde mitgehen.“ Erwartend und fest entschlossen starrte Larija sie mit ihren geheimnisvollen Augen an. Amelia erwiderte ihren Blick verwirrt. „Wohin mitgehen? Mit wem?“ Ein leicht genervter Ausdruck trat in Larijas Gesicht, trotzdem blieb ihre Stimme freundlich und sachlich. „Mit den Kriegern. Zur Küste und dann… über das Meer.“ Amelia überlegte kurz, dann weiteten sich ihre Augen vor Schreck. „Zu den Vereinigten Königreichen? Warum?“ Larija hob die Augenbrauen, Überraschung stand deutlich in ihr Gesicht geschrieben. „Du… weißt noch nichts davon?“ Amelia wurde wütend. „Wovon bitte soll ich noch nichts wissen?“
Larija senkte den Blick. „Es ist… kompliziert. Ich weiß nicht viel darüber, aber…“ Sie stockte, dann redete sie schnell weiter. „Eine Nachricht aus den Vereinigten Königreichen ist angekommen. Sie haben eure Späher entdeckt. Fünf haben sie gefangen genommen, den Rest haben sie getötet. Einer der Gefangenen ist dein Cousin, Yann. Sie haben es herausgefunden und in einer Nachricht geschrieben, dass sie in umbringen werden, wenn wir uns nicht freiwillig ergeben würden.“ Für einen Moment vergaß Amelia ihren Zorn darüber, dass gerade Larija ihr dies sagte. „Was? Das… das kann nicht sein! Nicht Yann! Nicht er…“ Verzweifelt brach sie zusammen. Yann… er war immer wie ein Bruder für sie gewesen. Sie waren zusammen aufgewachsen, hier auf dem Schloss. Er war zwar einige Jahre älter als sie, aber das hatte die beiden nie gestört. Täglich waren sie miteinander ausgeritten oder hatten mit den Hunden gespielt, oder haben im Wald herumgetollt… Sie hatte geweint wie ein kleines Mädchen, als er ihr gesagt hatte, dass er als Späher gehen würde. Aber sie hatte immer Hoffnung gehabt. Er war geschickt und sehr intelligent, er hätte nicht gefangen genommen werden dürfen. Er doch nicht!
Tränen liefen Amelia unbemerkt über das Gesicht. Warum hatte es ihr niemand gesagt? Wie lange wusste man es schon? Und vor allen Dingen: Was ist jetzt mit ihm? „Was… was wird jetzt getan?“, fragte sie krächzend. Larija sah sie mitfühlend an. „Eine Gruppe von Kriegern wird ausgeschickt, um ihn und die anderen zu befreien, weil sie anscheinend sehr wichtige Informationen haben.“ Sie reckte ihr Kinn in die Höhe. „Und ich werde mitgehen.“ Trotzig sah sie Amelia an, so als ob sie auf Widerspruch warten würde, doch Amelia war immer noch zu geschockt, um darüber nachzudenken. Ihr Yann, ihr Bruder… Trotzdem riss sie sich zusammen und fragte: „Warum willst du mit?“ Larija sprach voller Überzeugung. „Ich werde ihnen helfen können.“ Es war kaum möglich, diese Aussage nicht zu glauben, dennoch fragte Amelia weiter. „Wieso?“ Larijas Blick wurde konzentrierter, sie sah aus, als ob sie aufpassen musste, was sie nun sagte.
„Ich… erinnere mich wieder. Teilweise. An früher. Und ich weiß, dass ich früher einiges über die Vereinigten Königreiche lernen musste. Ich habe mich daran erinnert, als ich in der Bibliothek war…“ Ihre Gedanken schienen abzuschweifen, denn eine Weile sagte sie nichts mehr. Dann sprach sie langsam weiter. „Ich kenne die Sitten, die Sprache und auch die Landschaften sehr genau, zumindest… glaube ich das. Ich denke, ich weiß, wo sie sich aufhalten und ich weiß auch, wie man dort unbemerkt hinkommen wird.“ Und da spürte Amelia plötzlich, dass es stimmte. Larija war wirklich außergewöhnlich – in jeglicher Hinsicht. Kenntnisse über dieses Land zu besitzen, zu dieser Zeit, war schon gefährlich. Sich dort hineinzuwagen erst Recht. Warum sollte sie es tun? Sie zog keinen Nutzen daraus! Oder?
„Was hast du davon?“ Larijas Blick wurde ernst. „Ich halte es nicht mehr aus, nur hier herumzusitzen und ein Leben zu leben, das nicht das meine ist. Und…“ Sie stockte. Dann schaute sie Amelia mit einem durchdringenden Blick an. „Ich will nicht, dass sich jemand anders in Gefahr begibt.“ Da endlich begriff Amelia, was Larija alles zustoßen konnte. „Du darfst nicht gehen! Es ist zu gefährlich, eine Aufgabe für Männer!“ „Sie brauchen mich.“ Larija klang fest überzeugt, dann, etwas verunsichert, sprach sie weiter. „Mir wird schon nichts geschehen.“
Plötzlich begriff Amelia, dass sie sie nicht aufhalten konnte – sie konnte sich nur für sie einsetzen, und ihr damit eine gute Grundlage für ihre lange Reise geben. „Wann werdet ihr aufbrechen?“, fragte sie resigniert. Larijas Gesicht hellte sich auf. „Möglichst bald.“, sagte sie, wandte sie sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen. Mit einem besorgten Gesichtsausdruck drehte sie sich wieder zu Amelia um. „Ach, und noch was… Rowan wird auch mitkommen.“

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Texte: Titelbild von der Seite www.skyscrapercity.com Die Rechte für den Inhalt liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2010

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