Kapitel 10 - Larija
„Es war die schönste Nacht meines Lebens...“, schwärmte Amelia immer und immer wieder. Was genau sie eigentlich getrieben haben, sagte sie nie, aber das war auch nicht nötig. Larija kannte diesen Blick. Es war der gleiche wie der ihrer Mutter, wenn sie von ihrer Tochter als nächste Rejanna sprach. Das also ging auch in Renata vor. Interessant. „Und heute morgen, als wir aufgewacht sind… Es war so schön, ein Traum, kannst du dir das vorstellen? Und dann haben wir zusammen gefrühstückt…“ Wir, wir wir. Langsam war Larija ernsthaft besorgt um die Verfassung ihrer Freundin. Hatte sie sich denn nie gefragt, wie es zu dieser plötzlichen Sinneswandlung kam? Jeder wusste, wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte – und nun? „Wir wollten beide nicht gehen, aber wir mussten… Ich kann es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen, ist das zu glauben…?“ Vielleicht brauchte er aber nur eine Pause, um alles zu überdenken. Das könnte doch sein. Allerdings… wäre es Liebe, worüber müsste man dann noch nachdenken? „Ich freue mich ja so! Ich dachte, er mag mich nicht…“ Tut er das denn wirklich, Mädchen? Vielleicht hat er sich einfach damit abgefunden. Mit dir abgefunden. Larija dachte all diese Dinge, doch sie sprach sie nicht aus. Was für einen Zweck hätte das? „Das ist doch super.“, sagte sie stattdessen wenig euphorisch. „Wie bitte?“, fragte Amelia leicht verwirrt. Larija wusste nicht, woher diese Verwirrung stammte, bis sie ihre Wortwahl überdachte. Super. So ein Wort gibt es nicht, zu dieser Zeit, schimpfte sie mit sich selbst und verbesserte sich rasch. „Ich meine, das ist… großartig?“ Amelia lächelte breit. „Ja, das ist es! Verzeih mir, ich muss nun wieder meinen Pflichten nachgehen. Ich wünsche dir einen angenehmen Tag.“ Sie nickte noch einmal Hoheitsvoll, dann verließ sie den Saal. Leicht durcheinander blieb Larija zurück. Sie musste wirklich besser aufpassen, welche Wörter sie benutzte. Einen Moment blieb sie noch sitzen, dann beschloss sie, wieder auszureiten. Schnell ging Larija in ihr Zimmer und zog ein braunes, weniger feines Kleid an, dass sicherlich besser zum Reiten geeignet war als das Rote, das sie erst einmal völlig verdreckt zum Waschen gegeben hatte. Wieder nahm Larija den direkten Weg zum Stall und wieder sattelte der Stallbursche Stina für sie. Dieses Mal allerdings schaute Larija genau zu. Dann stieg sie, nun schon etwas geschickter, in den Sattel und ritt in Richtung Stadt. Beim großen Tor, das das Schloss von der Stadt abgrenzte, blieb sie einen Moment stehen, bis die Wachen sie weiterwinkten. Gerade, als Stina wieder losging, traf Larijas Blick den eines Mannes, der sie leicht schockiert anstarrte. Spannung lag fühlbar in der Luft, Larija konnte ihren Blick nicht senken, und auch er schien wie gefesselt. Dann jedoch war der Moment vorüber, und Larija schaute wieder nach vorn. Was war das für ein Mann gewesen? Wieso konnten sie die Blicke nicht voneinander nehmen? Kurz dachte Larija darüber nach, dann kam sie zu dem Schluss, dass es egal war. Auch wenn wirklich eine Prise.. Magie da gewesen war, wahrscheinlich sah sie ihn nie wieder. Außerdem hatte sie noch genug andere Sorgen, um die sie sich kümmern musste. Amelia zum Beispiel musste irgendwie geholfen werden. Man musste herausfinden, was Rowan für sie fühlte. Und während Larija wieder in Richtung Klippe ritt, schmiedete sie einen Plan.
Es war nicht schwer für Larija, Amelias Zimmer zu finden. Und es wurde auch nicht komplizierter, als sie sie verfolgte, um zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer zu kommen. Rowan schien bereits da zu sein, denn als Amelia eingetreten war, hörte Larija Stimmen aus dem Raum. Sie schlich zur Tür und hielt ihr Ohr an das Holz. Hören konnte sie nicht wirklich besonders viel. Dann musste sie etwas anderes versuchen. Hoffend atmete sie einmal tief durch, dann schloss sie die Augen und sammelte sich. Schnell fand sie ihre innere Mitte. Einen Moment verweilte sie so, genoss die Ruhe und Sicherheit, die man in diesem Teil des Vorgehens noch spürte, dann sammelte sie all ihre Kraft und brach aus sich selbst heraus. Es war bei weitem keine einfache Übung und es hatte sie Jahre harten Trainings gekostet, bis sie es soweit gebracht hatte. Aber nun konnte sie es nutzen, und das wunderte sie, denn eigentlich brauchte man dafür trotzdem Magie. Etwas ihrer Kraft musste sie wohl noch in sich haben. Larija ließ sich nicht von ihrer Freude ablenken und konzentrierte sich weiterhin nur auf ihr Vorhaben. Sie musste durch diese Tür… Ihr körperloses Ich ging darauf zu und glitt hindurch. Auf der anderen Seite blieb sie überrascht stehen. Sie sah – nichts! Andererseits, wie sollte sie auch? Larija konnte nicht mehr zaubern. Jemand sagte wieder etwas, und nun konnte sie es klar und deutlich verstehen. „...froh, dass es nun so gekommen ist.“ Es war Amelia. Larija sah nichts außer Dunkelheit und doch… sie hörte sie. Und sie spürte Amelias Aura, ganz deutlich. Und direkt neben ihr lag jemand. „Ich brauchte einfach eine kurze Zeit. Zum Eingewöhnen.“ Zum ersten Mal hörte sie Rowans Stimme, wenn auch nur sehr verzerrt. Und ebenfalls zum ersten Mal spürte sie seine Aura. Amelia war glücklich, das bemerkte jeder halbwegs Erfahrene Magier sofort. Ihre Aura strahlte richtig. Man sah, sofort, dass sie ein guter Mensch war. Und bei Rowan… Er strahlte nicht. Er glühte eher vor sich hin. Vor Verlangen? Vor Wut? Vor Enttäuschung? Larija erkannte es nicht, aber was sie sah, gefiel ihr nicht wirklich. Da war nichts reines, nichts klares. Seine Gefühle konnte man nicht lesen. Er war verschlossen wie die Tür, vor der Larija immer noch stand, und sie wurde nicht schlau aus ihm. Etwas veränderte sich. Amelia wurde noch glückseliger, während Rowan scheinbar verlangender und verzweifelter zugleich wurde. Dann schwanden Larijas Kräfte.
Schlagartig öffnete sie ihre Augen. Larija stand wieder vor der Tür, in ihrem Körper, der sich plötzlich ganz schwer und ungelenkig anfühlte. Sie hatte zu viel Kraft verbraucht. Wäre sie noch ein wenig länger geblieben, wäre sie in Ohnmacht gefallen. Und was wäre geschehen, wenn man sie vor den Gemach der Prinzessin und des Prinzen gefunden hätte? Larija schauderte bei dem Gedanken. Dann ging sie langsam und mühselig zurück zu ihrem Zimmer. Sie konnte sich nicht mehr umziehen, sie konnte nicht einmal mehr nachdenken und fiel einfach nur todmüde in ihr Bett.
Texte: Titelbild von der Seite www.skyscrapercity.com
Die Rechte für den Inhalt liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2010
Alle Rechte vorbehalten