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Kapitel 1 - Larija



Das Goldstück schwebte hoch in der Luft. Dann schmolz es und verformte sich zu einem Ring. Ein Glasstein flog herbei und setze sich auf das glänzende Stück Metall, Goldfäden lösten sich aus dem Gestein und befestigten das Glas. Weitere, dunklere Fäden wanden sich um die Außenseite des Ringes und bildeten ein feines Muster. Larija seufzte.
Dies war etwas, was sie schon seit Jahren beherrschte, ein einfacher Taschenspielertrick, nichts weiter. Für sie zumindest. Denn nun sah sie sich in dem Raum um, der eigentlich die Stätte des Lernens sein sollte, für sie jedoch nicht mehr war als ein Gefängnis. Ihre einzige Freundin Arila saß neben ihr und versuchte scheinbar verzweifelt, die Aufgabe zu lösen. Auch ihre anderen Mitschüler, für die sie nicht wirklich viel Sympathie empfand, scheiterten an der Aufgabe. Larija blickte nach vorn zu der strengen Lehrerin, die ihren Versuch sehr genau beobachtet hatte, zu ihrem Verdruss jedoch keinen Fehler entdeckt und ihr widerwillig eine gute Note aufgeschrieben hatte. Sie wusste, das Larija besser zaubern konnte als sie selbst, und das passte ihr ganz und gar nicht.
Mit einem leichten Lächeln wandte sich Larija wieder zu Ari und versuchte, ihr zu helfen, ohne etwas zu sagen oder die Aufmerksamkeit von Professor Corés zu wecken. Die etwas schrullige, alte Dame wollte nie Lehrerin werden, aber da ihr Talent zu nichts besserem ausreichte, blieb ihr keine andere Wahl. Sie hasste Kinder, und ganz besonders jene, die Talent besaßen. Und Larija war die talentierteste Schülerin, die sie je unterrichtet hatte.
Larija wusste, das Professor Corés sie von ganzem Herzen verabscheute und keine Mühen scheute, um sie endlich loszuwerden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie bemerken würde, dass es der beste und einfachste Weg sein würde, Larija einfach eine Klasse überspringen zu lassen. Dazu musste sie einfach nur Larijas Mutter Renata sagen, dass ihre einzige Tochter unterfordert war. Ihre Mutter würde alles dafür tun, dass Larija noch schneller lernte, und so würde sie eine Klasse überspringen.
Mal wieder. Larija wand sich seufzend zur Seite. Wenn sie schon wieder eine Klasse überspringen müsste, würde sie nicht mehr mit Ari zusammen sein und sie würde wieder von den anderen geärgert werden. Sie war jetzt schon drei Jahre jünger als alle anderen in der Klasse, gerade mal sechzehn.
Die Freundschaft mit Ari würde nicht halten, da war sich Larija sicher. Denn die Pausen waren kurz und nach der Schule zwangen ihre Eltern sie, noch mehr zu lernen. Anders als alle anderen Kinder war Larija nicht mit fünf, sondern mit vier in die erste Schule gekommen, in der man die grundlegenden Sachen lernt, so etwas wie lesen und schreiben, die nichts mit Magie zu tun haben. Während die anderen Kinder mit acht in die zweite Schule kamen, die sich mit der Basis der Magie befasst, die ganzen Regeln, was man beachten muss und schließlich auch mit dem Ausprobieren der eigenen Kräfte, hatte sie diesen Stoff bereits mit fünf parallel zum normalen Unterricht mit einigen Privatlehrern und ihren Eltern durchgenommen. Seitdem hatte sie nur noch wenig Kontakt zu anderen ihres Alters und auch ihre Eltern behandelten sie nie wie ihre Tochter, ein ganz normales Mädchen, sondern immer wie das, was sie einmal werden sollte, worauf das alles hinauslief: Sie, Larija, Tochter von zwei mächtigen Magiern, sollte die nächste Rejanna, die höchste Magierin der Vereinigten Königreiche werden. Dies war die mächtigste Position, die ein Magier besetzen konnte und weil auch ihre Eltern sehr angesehen waren und Larija von ihren drei Kindern die größte Begabung besaß, setzten ihre Eltern Renata und Ardan alles daran, ihr den Weg zu ebnen und sie darauf vorzubereiten, ihren Willen zu erfüllen. Ihre Brüder waren neidisch auf Larija, weil sie ihrer Meinung nach bevorzugt wurde und Larija sagte nichts, um sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber heimlich würde sie alles dafür geben, mit einem von ihnen zu tauschen. Oft hörte sie ihren kleinen Bruder Jason mit seinen Freunden im Garten spielen, während sie in ihrem Zimmer saß und lernte. In diesen Momenten hasste sie ihre Eltern für deren Ungerechtigkeit.
Das Dröhnen eines Horns riss sie aus ihren Gedanken. Ari lächelte ihr erleichtert und aufmunternd zu. Der Ton und das sanfte, dazugehörige Vibrieren bedeuteten das Ende des Unterrichts und wie auch Larija konnte Ari Madame Corés nicht leiden. Geistesabwesend packte Larija ihre Sachen und sie und Ari verließen den Trakt für Chemie und Magie, kurz Chum genannt. Sie gingen zum Klassenzimmer für Alltagszauberei. Als Larija auf die dritte Schule kam, hatte ihre Mutter dafür gesorgt, dass sie in allen Fächern unterrichtet wurde, die es gab. So war sie bis Abends in der Schule und die Lehrer missbilligten es, dass sie sich ihretwegen so viele Umstände machen mussten. Nur noch zwei Stunden, dachte Larija. Zwei Stunden, und dann weiter lernen bis spät in die Nacht. Sie seufzte leise und eine braune Haarsträhne löste sich aus ihrem Zopf. Sie schob sie langsam zurück hinters Ohr. Ihr entging nicht, dass Ari sie traurig anschaute. Ari litt mit ihrer Freundin und es bedrückte es sie, dass sie sich nur in der Schule sehen konnten. Gemeinsam betraten sie den großen, über und über mit Plakaten zugehängten Raum und gingen zielstrebig auf ihre Plätze am Fenster in der letzten Reihe. Ari wurde von manchen anderen Schülern gegrüßt, doch Larija sprach niemand an und so konnte sie sich wieder ihren Gedanken widmen. Der Unterricht begann, aber davon bekam sie nichts mit. Sie war mit ihren Gedanken weit fort, an einem Ort, an dem sie nicht ununterbrochen lernen musste und selber über ihr Leben bestimmen konnte. Was hätte sie auch sonst anderes tun sollen? Ihre Mitschüler, auch Ari, waren auf den Unterricht konzentriert. Sie kannte den Stoff jedoch schon. Larija drehte ihren Kopf zum Fenster, um eine Träne zu verbergen. Vor ihr erstreckte sich ganz Deban in seiner vollen Pracht, ein Anblick, der andere erstaunt und überwältigt innehalten gelassen hätte. Doch sie konnte an dem Anblick nichts Schönes oder gar Großartiges mehr finden. Sie fragte sich, wie es wohl hinter den Grenzen des Regierungshauptsitzes der drei vereinigten Königreiche Imilan, Balduin und Ralindon aussah, und ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie wohl nie Gelegenheit dazu haben würde um die Welt zu reisen und ihre Eigenen Erfahrungen zu sammeln. Sie war eine Gefangene ihrer Eltern, gefangen in Deban, dem wichtigsten Ort des Kontinents, in dem all die reichen Leute wohnten und den die Armen nicht einmal betreten durften. Larija wandte sich ab und schaute nach vorne. Einen Moment lang blieb ihr Blick an der Tafel hängen, dann schweifte er weiter zu ihren Mitschülern. Niemand beachtete sie, aber dann drehte sich Yaena, ein Mädchen mit blondem, gelockten Haar zu ihr um und warf ihr einen hasserfüllten Blick zu. Larija erschrak, doch es überraschte sie nicht wirklich. Yaena verabscheute sie aus irgendeinem Grund. Sie war die Einzige andere Ausnahme, was das Alter betraf. Sie war zwei Jahre jünger als die anderen, hatte im Gegensatz zu ihr aber viele Freunde. Immer hatte sie versucht, Larija zu übertreffen. Sie war die Einzige, mit der sie seit der dritten Schule immer in einer Klasse war. Und dies war einer der Gründe, wieso Larija die Schule verabscheute: Yaena machte ihr täglich das Leben zur Hölle. Wenn Larija eine Klasse übersprang, tat Yaena es ihr gleich, und wenn sie direkt ihre Kräfte messen würden, wäre Yaena ihr sicherlich nur sehr knapp unterlegen. Yaena hasste sie, und Larija konnte sich nicht erklären, weshalb. Yaena starrte sie noch einen Moment lang an, wandte sich dann aber widerstrebend ab und blickte wieder nach vorne zur Tafel. Larija erschauderte. Obwohl es nun schon seit drei Jahren so ging, hatte sie sich immer noch nicht an diese offensichtliche und unergründliche Feindseeligkeit gewöhnt. Die Zeit verging sehr langsam, doch letzen Endes kann man sie nicht aufhalten, auch nicht mit Magie. Larija schwieg, so wie schon den ganzen Tag, als sie gemeinsam mit Ari nach Hause ging. Eine der wenigen Freiheiten, die ihr ihre Eltern noch ließen. Auch Ari schwieg. Dann jedoch blickte sie zu Larija und erriet den Grund ihres Schweigens. „Du meinst, du wirst wieder in eine höhere Klasse versetzt?“ Larija seufzte resigniert, sagte dann aber betont sachlich: „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis meine Mutter herausfindet, dass ich unterfordert bin. Ich werde so schnell weg sein, wie ich letztes Jahr gekommen bin.“ Letztes Jahr. Larija verzog ihr Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. So lange sollte ihre einzige, richtige Freundschaft also nur dauern? Ein Jahr? Was hatte sie getan, dass sie so leben musste? So... allein? Sie ließ ihren Kopf hängen, verabschiedete sich von Ari, die ihr traurig hinterher blickte, während Larija auf das riesige Haus ihrer Eltern zuging.

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Tag der Veröffentlichung: 02.06.2010

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