Zu meinem Ausssen vor den Depressionen hab ich mir keine oder zu wenig Gedanken gemacht. Ich hab mich irgendwie versucht zu schminken, als ich ungefähr in die vierte Klasse kam und trotz der negativen Kommentaren von der einen Freundin, machte ich so weiter. Ich konnte es ja nicht anders und mir gefiel es. (So nebenbei; richtig schminken kann ich mich heute noch nicht).
Betreffend Kleidung mochte ich es schon immer gemütlich, bequem und vor allem glitzernd. Ich laufe zwar nicht täglich wie ein Weihnachtsbaum durch die Gegend, aber etwas das glitzert darf gerne öfters dabei sein. Dass manche Farbkombinationen nicht unbedingt zusammenpassen und dem Betrachter Augenschmerzen verursachen können, das merkte ich damals auch nicht. Nur meine Mutter wies mich darauf hin und schlug was anderes vor, so wie diese besagte Freundin, die zugegebenermassen viel von Mode verstand.
Ich habe immer angezogen was mir gefallen hat, ging nie mit der Mode mit (erstens kam ich nicht mit und zweitens gefiel sie mir nie, also warum sollte ich diese tragen?). Mit meinen Haaren habe ich ebenfalls gerne herumexperimentiert, zumindest was die Farbe betrifft. In der Grundschule vor allem mit blonden Strähnchen und Stufenschnitt, dazu habe ich mir immer Frisuren gemacht. Hauptsächlich à la Pippi Langstrumpf. Zöpfe, Pferdeschwänze links und rechts, einer am Hinterkopf oder einfaches offenes Haar.
So viel was mein Aussehen von damals betrifft.
Zu meinem Charakter vor den Depressionen. Ich war schon immer ein schüchterner und zurückhaltender Mensch. Sehr unsicher, unselbständig und eher ein Aussenseiter. Aber nicht die Art von Aussenseiter ohne Freunde und alleine. Eher die Sorte, die sich am Rande aufhält, seine zwei-drei Freundinnen hat und mit dem Rest gut klar kam, aber mehr auch nicht. Eine stinknormale Zeit, mal Streit mit den Freunden, mal Selbstzweifel mit sich selbst, dann wieder Friede, Freude und Eierkuchen. Ich fühlte mich dennoch auch mal ausgeschlossen in der Klasse und fand dann und wann den Anschluss nicht. Hatte ich mit beiden Freundinnen (wir waren ein Dreier-Gespann) Streit, so hatte ich eigentlich niemanden mehr. Ich gehörte halt nicht zu jenen, die sich dann einfach jemandem anderes anschloss. So fühlte ich mich unwohl, alleine und ging in solchen Zeiten auch nicht gerne in die Schule. Noch heute schäme ich mich dafür, dass ich mit meiner damaligen 4.-5.-Klass-Lehrerin über diese Probleme sprach und sie daraufhin mit der Klasse. Doch woher hätte ich wissen sollen, dass ich in ein paar Jahren wirklich zur Zielscheibe werden und mir die Zeit in der Primarschule sehnlichst zurückwünschen würde?
Nun haben wir meine groben Charakterzüge von innen und aussen, VOR den Depressionen.
Kommen wir zu diesen Zügen WÄHREND den Depressionen. Da die Depressionen jedoch erst gegen Ende der Oberstufenzeit anfingen, muss ich etwas vorgreifen, denn mein Charakter hat sich noch vorher verändert. Auslöser für die Depressionen war ja das Mobbing und bei mir fing die Mobbing-Zeit wie ein Fingerschnipps an. Es bahnte sich nicht langsam an, zumindest merkte ich nichts davon. Es begann an einem Montagmorgen nach der Pause. Ich war wie vor den Kopf gestossen. Wer wäre das nicht?
Ich hatte nie gelernt mich zu wehren, (wie das andere machten, weiss ich nicht), daher war ich direkt machtlos. Ohne Selbstvertrauen und mit solch enormer Schüchternheit wie meiner machte das Mobbing mich noch kleiner und weckte die Zweifel. Die Zweifel an mir selbst. Ich zog immernoch an, was mir gefiel, folgte nicht der Mode, schminkte mich irgendwie und frisierte meine Haare wie ich Lust hatte. Ich ignorierte alles, weinte zu Hause viel und kämpfte vermehrt gegen gesundheitliche Probleme. Vor allem gegen Kopfschmerzen. Anfangs war noch Appetitlosigkeit dabei. Während der Mobbingzeit wurde ich sensibel auf Geräusche und Ausdrücke, die andere von sich gaben. Was mein Aussehen betraf machte ich mir noch nicht so grosse Gedanken. Es war mir noch nicht bewusst. Oder nur im Unterbewusstsein.
Kurz vor dem Ende der Schulzeit wurde ich etwas modischer. Ich kaufte mir verwaschene Jeans mit künstlichen Löcher und siehe da – ich fühlte mich selbstsicherer als ich wieder zur Schule ging. Kleider können tatsächlich etwas bewirken. Eine Art Schutzmauer. Doch so modern nun mein Äusseres war, so kaputt und dunkel war mittlerweile mein Inneres.
Dann kam der Zeitpunkt an dem ich nicht mehr fähig war aufzustehen um zur Schule zu gehen. Drei Jahre lang hatte ich ignoriert, hingenommen, Lösungen ausprobiert, gekämpft, mich an jeden freundlichen Strohhalm geklammert, der mir die Klasse hinhielt, um danach wieder in die Tiefe geschubst zu werden. Ich hatte keine Lust mehr auf nichts. Ich las nicht mehr, hörte keine Musik, lag oder sass nur noch auf meinem Bett und starrte ins Leere. Mein Zimmer glich einer Höhle und egal wo ich mich in der Wohnnung aufhielt, starrte ich Löcher in die Luft oder sass mit dem Kopf am Tisch da.
Die Depressionen waren nun da.
Und die Depressionen sind immernoch da. Was seither anders ist?
Nun, ich kann mich nicht mehr im Spiegel ansehen ohne mich 100% schön zu fühlen. Ich kann kein Foto von mir machen, ohne wirklich zufrieden zu sein. Mir fallen alle ''Fehler'' in meinem Gesicht auf. Ich drehe die Kamera so oft und so Milimeter genau, bis ich das Foto auch anderen zeigen könnte. Kaum ein ungefiltertes Foto von mir schafft es auf ein Profil. Schon gar keines, wo ich von der Seite abgelichtet bin. Ich habe an so ziemlich jedem Körperteil von mir was auszusetzen. Okay, wer nicht? Aber das war bei mir mal anders. Und dazu kommt die Angst. Was wenn plötzlich jemand denselben Gedanken zu einem Foto von mir hat und meint: ,,Stimmt, sieht echt hässlich aus.'' Durch das Mobbing und die Gemeinheiten ist mir das so verinnerlicht worden, dass ich bis heute nicht fähig bin 100% zu mir zu stehen. Es sind immer der Zweifel und die Angst da. Ständiger Vergleich zu anderen und manchmal die Erleichterung, dass bei diesem die Nase noch grösser und unförmiger ist, der andere eine hohe Stirn hat und wieder jemand anderes Elefantenohren. Nein, ich mache mich nicht darüber lustig. Es beruhigt mich zu sehen, dass ich nicht diese hohe Stirn habe, nicht diese grosse und unförmige Nase und keine Elefantenohren. Dasselbe mit der Kleidung. Trotz meiner schlanken Figur finde ich, dass mir die meisten Dinge nicht stehen. Hier sieht man meine spitzen Hüftbecken, da sticht meine nicht-gerade Wirbelsäule hervor, da sieht man meine nicht-wohlgeformten Beine, meine verdrehten Kniescheiben, von der Seite darf ich mich schon gar nicht betrachten, weil ich mich so überhaupt nicht ausstehen kann und nur den Menschen sehe, den mir die Oberstufen-Klasse eingeredet hat. Und dennoch bin ich selbstbewusster geworden, kann meine Meinung sagen – ja, ich HABE eine EIGENE Meinung - und mache nicht mehr für jeden alles. Ich kann plappern wie ein Wasserfall, freche Antworten von mir geben und problemlos auf neue Menschen und Situationen eingehen. Das war früher alles nicht möglich. Ich probiere neue Dinge aus, zwinge mich Dinge durchzuziehen, auch wenn ich wieder Zweifel oder Angst habe. Ich denke einfach nicht darüber nach. Ich mache einfach.
Ich mache gerne Selbstportraits, (ich weiss, es heisst SELFIES, aber ich folge weder der Mode noch den neumodischen Ausdrücken), bearbeite diese leicht bis exrem. Ich mache gerne einen anderen Menschen aus mir. Einen, der ich zwar nicht bin, aber vielleicht sein könnte. Ich habe mich nie zu Dingen hinreissen lassen, die ich nicht wollte. NIE. Darauf bin ich fast am meisten stolz. Ich stehe mir noch in vielen Dingen selbst im Weg und dennoch habe ich so vieles erreicht, wie ich nie gedacht hätte. Obwohl ich mir wünschte, manche Dinge schon erreicht zu haben und auch weiss, dass es möglich gewesen wäre, wenn ich etwas anders gemacht hätte, so würde ich meinen bisherigen Weg nicht mehr ändern wollen. Ich habe es so gemacht, wie es für mich richtig war und wohin mich mein Bauchgefühl gebracht hat.
Abgesehen von den negativen Gedanken über mich selbst, sind die Depressionen ein Laster, die mich vermutlich ein Lebenlang begleiten werden – so wie die unterschiedlichen Kopfschmerzarten, die ich seit der Oberstufenzeit habe. Damals wusste ich nicht, woher diese kommen und was ich tun soll. Mittlerweile weiss ich, dass die Situation damals der Grund war. Aber was wir anders hätten machen sollen, weiss ich dennoch nicht.
Durch die Depressionen bin ich sensibler geworden. Ich werde schneller und extremer emotional, als jemand anderes. Im positiven, als auch im negativen Sinn. Es braucht nicht mehr viel, um mir die Tränen in die Augen zu treiben. Das kann nerven, aber ist nunmal so. Damit kann ich leben. Hingegen dieses Tief, in das ich immer mal wieder gezogen werde, dagegen kann ich weder kämpfen noch gewinnen. Es kommt, wenn es kommt und geht, wenn es geht. Solange ich Unterstützung und Hilfe habe, habe ich zumindest noch die Kraft und den Willen zum Leben. Klingt brutal, ist aber so. Doch diese Zeiten auszuhalten, in denen man sich verloren, alleine und hilflos fühlt, ist verdammt ungangenehm und sehr schwer. Ich kann es nicht einmal genau in Worte fassen. Aber dazu reicht ein Blick in mein Buch ''Durch diese Krankheit''.
Kommen wir noch kurz zu NACH den Depressionen. Gibts ein Danach? Kann man geheilt werden? Nie wieder einen Rückfall erleiden? Gesund werden? Ich weiss es nicht. Depressionen können vererbt sein (dann gibts wohl keine Heilung, nur die Akzeptanz) sowie durch traumatische Erlebnisse ausgelöst werden. Wie zum Beispiel Mobbing bei mir.
Ich für meinen Teil glaube nicht, dass ich jemals wieder ohne Depressionen leben werde. Aber ohne Medikmante.
Und zwar habe ich das bei meinem Therapeuten angesprochen. Ich fragte ihn zum einen, wo der Unterschied denn läge, ob ich Depressionen hätte oder nicht und wenn ich keine Medikamente mehr nehmen würde, ob ich dann quasi geheilt sei.
Während meiner ersten Frage schoss mir eigentlich die Antwort direkt in den Kopf: Ich kenne den Unterschied. Ich weiss genau wie es sich anfühlt, wenn ich drohe in ein Loch zu fallen und eine depressive Phase auf mich zukommen könnte. Ich weiss aber auch wie es sich anfühlt, wenn ich einfach eine schlechte Zeit habe, traurig bin und nicht mag.
Der Unterschied liegt darin, wie ich in meinem Buch Durch diese Krankheit davon erzähle was in mir drin vor sich geht, wenn ich einen Rückfall erleide. Innerlich leer, verzweifelt, tot. So fühle ich mich jedoch nicht, wenn ich einfach eine schlechte Zeit habe.
Wenn man weint, weil es einem nicht gut geht, ist es klar, dass man sich auch nicht gut fühlt. ABER nach dem Weinen – und nachdem man wieder etwas menschlicher aussieht, der Kopf nicht mehr vor lauter Kopfschmerzen pocht und eine Weile vergangen ist – gehts einem wieder besser, weil man seine Sorgen und Schmerzen herausgeweint hat.
Bei einer depressiven Phase kann man manchmal gar nicht weinen, bzw fühlt man sich danach nicht besser.
Dadurch, dass ich weiss, wie sich eine aufkommende depressive Phase anfühlt, kann ich vorbeugen und darauf reagieren. Das müssen nicht Medikamente sein. Es reicht die Unterstützung der Familie, des Therapeuten und evtl auch von Freunden, die das kennen. Die Medikamente nehme ich täglich, obwohl ich den letzten Schub vor über einem Jahr hatte. Also theoretisch reicht es diese während dieser Zeit zu nehmen. Aber da es unterschiedlich lange dauern kann, bis diese anschlagen – und bis man diese wieder vollständig abgesetzt hat, ist therapeutische Unterstützung besser, zumal man da auch keine Chemikalien schlucken muss.
Ich finde es irgendwo erschreckend, dass ich sehr oft gar nicht mehr weiss, ob eine gewisse Reaktion eine von mir normale Reaktion ist, oder ob es auf die Depressionen zurückzuführen ist. Wie reagiere ich, wenn ich keine Medikamente nehmen würde? Wie fühle ich, wenn ich keine Medikamente im Körper habe? Um das herauszufinden gehört der Mut, Wille und die Unterstützung der Familie dazu, sich von den Medikamenten zu trennen. Schritt für Schritt. Das ist möglich, wenn man daran glaubt, sich sicher ist, der Therapeut das OK gibt und man bereit ist, einen neuen Schritt zu machen. Probleme wird es immer geben. Es wird immer Momente und Situationen geben, in denen man verzweifelt ist, traurig und nicht an sich glaubt. Die Medikamente sind nur das Gerüst zur Stärkung. Der Glaube an sich selbst muss man selbst aufbauen.
Beziehungsweise ohne Medikamente.
Ich kann hier immer nur von MEINER Depression sprechen, von meinen Erfahrungen und Erlebnissen. Es gibt unterschiedliche Abläufe wie auch Arten von Depressionen. Wenn du auch davon betroffen bist/warst und/oder jemanden kennst und gerne darüber berichten möchtest, nur zu. Je mehr über das Thema gesprochen wird, desto grösser wird die Akzeptanz und Unterstützung unter den Mitmenschen.
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Es gibt mehr depressive Menschen, als man denkt. Für viele kommt die Hilfe zu spät.
Das Buch widme ich all jenen, die auf irgendeine Art und Weise mit dem Thema vertraut sind und wissen, was Depressionen alles mit sich bringen.