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Die Zeit vor meinen Depressionen

Wie war ich vor meinen Depressionen? Was hat sich mit den Depressionen verändert? Vor den Depressionen war ich ein ''normales Mädchen''. Was auch immer normal bedeutet. In meinem Fall heisst das; ich war immer sehr schüchtern und zurückhaltend. Meine Unsicherheit bestimmte den Alltag im Schulleben. Ich hatte tolle Tage und diese bekannten kein Bock auf nichts-Tage oder Mir ist ja so langweilig-Tage. Ich ging nie gerne zur Schule. Könnte daran liegen, weil ich nicht gerne lernte und mich kaum was interessierte, was gelernt werden musste. In der Schulzeit musste man so viel, was man nicht wollte oder wobei man sich nicht wohl fühlte, das Gefühl begleitet mich zum Teil heute noch. Ich lachte immer gerne, war aufgestellt und höflich. Mich nahm man als liebe nette Nathalie wahr, die hilfsbereit und freundlich war. Naja, zu Hause konnte ich auch anders. Vor allem ab dem Teenealter wurde ich recht frech, provozierend und liess das raus, was andere in der Schule raus liessen. In der Schule blieb ich die unauffällige, die lieber unscheinbar und später am liebsten unsichtbar gewesen wäre. Je lauter es rundherum wurde, desto leiser wurde ich.

 

Die Zeit in meine Depressionen hinein

Angefangen hat es als ich 16 war. Ich steckte im dritten Mobbing-Jahr fest und dachte eigentlich ich hätte es überstanden, als es doch noch einmal einen Hammerschlag gab. Dieser zerbrach mich nun endgültig. Die Freude an meinen Hobbies war bereits seit längerer Zeit weniger geworden, bis ich gar keine Freude mehr daran verspürte. Meine liebsten Hobbies waren das Lesen (immer ein Buch vor der Nase), Schreiben (Tagebuch schrieb ich in der Mobbingzeit immer. Schreiben ist für mich das Ventil wie für ein Musiker das Musik machen). Meine Haupttätigkeit, wenn ich von der Schule nach Hause kam war es, mich im Zimmer auf mein Bett zu setzen oder zu liegen und Löcher in die Luft zu starren. Ich hörte auch keine Musik mehr. Meine Rollladen blieben immer geschlossen. In mir drin war es leer. Kein Antrieb zu nichts. Und doch musste ich weiterhin jeden Tag funktionieren und eine gewisse Leistung bringen. Rückblickend frage ich mich, wie ich das so lange konnte.

Es war eine Nachbarin, die darauf aufmerksam wurde, dass etwas nicht stimmte. Sie sprach meine Mutter darauf an und dann fiel der Groschen. Hatte ich Depressionen entwickelt? Auf die Frage, ob ich zu einem Psychologen gehen möchte, bejahte ich sofort. Es schien mir sehr einladend zu einer aussenstehenden Person zu gehen und alles zu erzählen, was mich belastete. Dort kam die Sprache irgendwann auf Medikamente. Sollte ich Antidepressiva zu mir nehmen? Ich musste schliesslich wieder meinen normalen Zustand erreichen. Mit der Abklärung meines Hausarztes wurde es so gemacht. Relativ schnell bemerkte ich die Wirkung dieses Medikaments. Die Lebensfreude kehrte zurück, ich war wieder fröhlicher und eigentlich ich selbst. Meine Hobbies machten mir wieder Spass und ich hatte Antrieb um den Alltag zu bewältigen. Ganz zu Beginn machte ich 1-2 mal den Fehler, dass ich das Medikament ausliess weil ich dachte 'es geht mir ja wieder besser, ich brauche das nicht mehr'. Natürlich falsch gedacht und natürlich spürte ich spätestens am übernächsten Tag die Folgen. Ich weinte wegen Kleinigkeiten los, war gereizt und wieder im Loch. Das würde mir eine Lehre sein.

Die Zeit während meiner Depressionen

 Was veränderte sich Gefühlsmässig? Ich hatte jetzt kaum noch kein Bock auf nichts-Tage oder Mir ist ja so langweilig-Tage. Klar war ich auch mal schlecht gelaunt. Aber das Gefühl auf nichts Bock zu haben veränderte sich in ein Gefühl der Antriebslosigkeit, innere Leere, Sinnlosigkeit im Leben. Wenn mich eine Welle der Depression heimsuchte dann legte sich ein grauer Schleier über mich und meine Emotionen. Ich konnte nicht mehr Lachen, nicht mehr weinen, ich war innerlich leer. Emotionslos. Das Schlimmste in solchen Momenten war, dass ich zum einen genau merkte, wenn so ein Tief auf mich zukam und dass ich machtlos war. Ich wusste genau, dass ich keinen Grund hatte mich so zu fühlen. Klar hatte ich noch mit den Spuren der Mobbingzeit zu kämpfen und befand mich seither in psychologischer Behandlung. Aber ich kam nach dem Ende des letzten Schuljahres an einen Ort an dem ich mich wohlfühlte, ich selbst sein konnte und von niemandem mehr schlecht behandelt wurde. Noch ein Jahr später zog ich nach Zürich und machte dort meine Ausbildung im Verkauf. Ich zog quasi von heute auf morgen an einen Ort an dem ich weder den Ort noch irgendeinen Mensch kannte. Alles war Fremd für mich und doch zog es mich von zu Hause weg. Wenn ich zurückdachte, dass ich zu Beginn meiner Depressionen nicht einmal fähig war alleine ins Dorf zu laufen (ich wuchs in einem 1000-Seelen-Dorf auf, in dem eigentlich jeder jeden kannte). Und nun gleich zwei Stunden von zu Hause weg. Auch in diesen Jahren in Zürich wurde ich von 1-2 depressiven Wellen heimgesucht. In meinem Kopf hörte ich dann immer denselben Satz: Ich kann nicht mehr. Es geht nicht mehr. Damit meinte ich nicht das Leben. Mein Lebenswille war immer noch irgendwo. Ich spürte einfach, dass ich innerlich wieder am sterben war – so krass es auch klingen mag. Keine Emotionen, grundlos Tränen in den Augen, tiefe Traurigkeit ohne wirklichen Grund, Sinnlosigkeit. Warum machte ich den Job? Wozu die Ausbildung? Warum ein Hobby haben? Was brachte das alles? Am Ende starb man ja sowieso. Und was hatte man dann von alldem? Nichts. So waren in diesen Momenten meine Gedanken. Obwohl ich gleichzeitig wusste, dass ich den Sinn dahinter kannte. Aber die Sinnlosigkeit, die Depressionen waren stärker. So hiess es dann Medikamente anpassen, krankschreiben lassen und mich erneut in therapeutische Behandlung begeben. Ich hatte verschiedene Therapeuten. Von Psychologen (dürfen keine Medikamente verschreiben) bis zu Psychiater (dürfen Medikamente verschreiben). Die meisten waren sympathisch und irgendwo half mir jeder weiter. Nach ungefähr einer bis maximal zwei Wochen war ich dann meistens wieder fähig mich dem Alltag zu stellen.

Wenn die Depressionen aktiv waren, fühlte ich weder die warme Sonne, die Schönheit der Natur noch die netten Worte meiner Mitmenschen. Ich war nicht fähig diese Dinge wahrzunehmen, aufnehmen und zu fühlen. Überhaupt etwas zu fühlen war in diesem Moment nicht möglich. So sahen depressive Zeiten bei mir aus.

Die Zeit aus meinen Depressionen heraus

Ich würde mal behaupten der Weg aus den Depressionen führte zum einen mein sich positiv wendendes Leben und meine positive Entwicklung zu mir selbst. Ich wurde erwachsener und reifer. Ich lebte in meinen eigenen vier Wänden (meistens noch ein Mietzimmer, aber immerhin sehr selbständig) und hatte mir ein eigenes Leben aufgebaut. Mit gerade einmal 19 Jahren. Damit hätte ich am wenigsten gerechnet. Ich schloss mich Vereinen an, ging zu verschiedenen öffentlichen Anlässen, lernte in der Berufsschule tolle Leute kennen und baute mir einen guten Freundeskreis auf. Die Schatten des Mobbings waren noch da, ja. Aber das fand nur in meinem Kopf und in meinem Inneren statt. Ich erlebte viele guten Dinge und genoss mein eigenes Leben, das ich hier hatte. Weg von dem Ort, an dem die Erinnerungen an das Mobbing so nah waren. Hier war nur ich. Ich war alleine für mich verantwortlich und dafür, dass ich die Ausbildung hinkriegte und gut abschloss. Das klappte gut. Ich hatte mir nie einen Druck aufgebaut wie gut ich werden musste, ich machte einfach. Die depressiven Wellen wurden weniger. Ich lernte mit der Zeit zu erkennen, wenn eine Welle auf mich zukommen wollte. Ich reagierte schneller und wehrte diese ab. Ich hatte Unterstützung von zu Hause und vom Therapeuten. Ich war also in allen Richtungen in guten Händen. Ich spürte jedoch, dass etwas in mir war, das raus wollte. Ein Gefühl, das mir sagte da ist noch mehr, ich kann noch mehr aber gleichzeitig wurde dieses Gefühl von einem anderen gebremst. Ich hatte keinen Zugriff darauf und konnte nicht wirklich sagen was das war, was ich tun sollte, wie ich dahin kam. Ich wusste nur, in mir schlummerte etwas, das gefühlt werden wollte. Aber was? Und wie kam ich dorthin?

 

 

Die Zeit nach meinen Depressionen

Eigentlich gibt es in dem Sinne kein danach. Die Veranlagung zu Depressionen habe ich. Ich habe bloss gelernt damit umzugehen und habe mir das Ziel gesteckt, dass ich ohne Medikamente durch das Leben gehen will. Was mir da nicht bewusst war ist, dass ich durch das Absetzen dieses Medikaments viel mehr fühlen und wahrnehmen würde als ohnehin schon. Einfach viel stärker. Und noch zwei Dinge zeigten sich mir:

1.ich gehörte zu den Hochsensiblen Menschen 

2.ich bekam endlich Zugriff auf dieses tief in mir versteckte Gefühl, das mir zuflüsterte, dass da noch mehr war.

Das Medikament hatte mich in eine Schutzblase gehüllt, ich war wie in Watte verpackt. Ich konnte immer noch glücklich, traurig, verzweifelt, ängstlich, ....sein. Aber alles abgedämpft. Mit Punkt 1 veränderte sich folgendes: Ich nahm alle Reize viel intensiver wahr. Lärm, Licht, Gerüche, Schmerz. Und da ich diese intensiver wahrnahm, war ich entsprechend schneller erschöpft und eher gereizt. Ich brauchte länger um all das zu verarbeiten. Mit dem Wissen der Hochsensibilität machten einige vergangene Situationen Sinn. Meine ständigen Kopfschmerzen ergaben Sinn. Diese wurden bereits in den vergangenen drei Jahren weniger. Einerseits durch Hilfe der Akupunktur und weil ich meine Kopfschmerzen ungefähr zehn Jahre ziemlich beobachtet und dokumentiert hatte. Wann, wie lange, warum, Hilfsmittel... und ich setzte mich mit der Vergangenheit, mit meiner Mobbingzeit intensiver auseinander. Ich stellte mich manchen Ängsten und konnte diese Überwinden. Was noch übrig blieb war in meinem Kopf, das sich irgendwann auch lösen würde. Aber es brauchte alles seine Zeit.

Zu Punkt 2: Ich spürte deutlicher was ich wollte und was nicht, was zu mir passte (beruflich) und was nicht das Richtige für mich war. War ich auf dem richtigen Weg, fühlte ich Erfüllung und Glück. War ich auf dem falschen Weg fühlte ich einen Druck im Bauch und inneren Stress in mir aufsteigen. Im Kopf begann es sich wieder zu drehen, Ängste kamen auf und mir wurde bewusst; etwas stimmt nicht. So lernte ich auch noch genauer auf mein Gefühl zu hören. Jetzt war es schliesslich in aller Deutlichkeit fühlbar und wurde nicht mehr durch Medikamente gedämpft und erstickt. Das war mein Weg zu mir selbst.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.07.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Es gibt mehr depressive Menschen, als man denkt. Für viele kommt die Hilfe zu spät. Das Buch widme ich all jenen, die auf irgendeine Art und Weise mit dem Thema vertraut sind und wissen, was Depressionen alles mit sich bringen.

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