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Durch diese Krankheit

 

Ich mache mir fast täglich Gedanken darüber, wie ich bin, wie ich denke, was ich denke, wie ich früher war, was sich alles geändert hat.

Meine Krankheit begann während der Schulzeit, Mitte 9. Klasse. Auslöser: Mobbing. Mich beschäftigen zwei Fragen. Erstens: Wäre ich ohne Mobbing irgendwann auch krank geworden? Zweitens: Hätte ich damals nicht mit den Medikamenten angefangen, könnte ich auch heute ohne Medikamente sein? Leider gibt es dazu keine Antwort. Fakt ist: Ich bins, ich muss, es ist.

Hier purzeln meine Gedanken bereits durcheinander. Anfangs dachte ich oft, dass ich nun ein Leben lang Medikamente nehmen muss. Scheisse, oder? Aber andererseits: Früher gab es diese Medikamente nicht. Sollte ich also nicht dankbar sein? Denn eines weiss ich; wenn ich heute die Medikamente weglasse, würde es mir innert kürzester Zeit unbeschreiblich schlecht gehen. Also bin ich dankbar dafür, dass ich diese Hilfe habe und nicht traurig darüber, dass ich diese Hilfe brauche.

Die meisten Krankheiten beginnen schleichend. Auch bei mir. Angefangen hat es mit Antriebslosigkeit. Stundenlang auf dem Bett liegen oder sitzen und Löcher in die Luft starren, die Wand anstarren. Keine Musik hören, keine Bücher lesen, keine Filme schauen. Nichts. Ich war schon immer ein ruhiger Mensch. Aber diese Krankheit hat mich innerlich komplett verstummen lassen. Im schlimmsten Fall fühle ich nichts mehr. Innere Leere. Höchstens Verlorenheit und Traurigkeit.

Zwischen ''keine Lust haben'' und ''keinen Antrieb haben'' liegt ein grosser Unterschied. Ich bin froh, kann ich mich noch daran erinnern wie es sich anfühlte, einfach keine Lust zu haben. Einfach kein Bock dieses oder jenes zu machen. Ein Langeweile-Moment, bei dem man auch entsprechend schlecht drauf ist. Ist einfach ein öder Tag.

Heute ist das anders, schlimmer. Mir fallen die einfachsten Dinge schwer. Nicht immer, aber manchmal. In normalen Zeiten habe ich keinen Bock, auch, wenn es nur fünf Sekunden dauern würde. Aber das alleine ist schon nervig. Was sind schon fünf Sekunden? In schweren Zeiten fehlt mir die Kraft dazu. Nein, es bahnt sich keine Grippe an. Mir fehlt schlichtweg die Kraft. Ich schleppe mich nur noch herum und funktioniere. Emotionslos.

Ich kann mich an einen Moment erinnern, in dem sich in meinem Kopf etwas verändert hat. Ein Schalter wurde umgekippt und seither nicht mehr hundert Prozent zurückgekippt. Ich befand mich in einem Motivationssemester, weil ich nach der Schule A noch keine Ahnung hatte was ich machen könnte und B Psychisch wohl gar nicht imstande gewesen wäre, etwas berufliches zu tun.

Es war ein schöner Tag und ich schaute raus auf die bunten Blumen, die farbigen Schmetterlinge und die Wärme der Sonne. Ein tolles Gefühl. Doch dann legt sich innerlich plötzlich langsam ein Schatten über mich. Über meine Augen? Meine Gedanken? Meine Gefühle? Jedenfalls empfand ich all das nicht mehr. Für mich sah alles grau und matt aus. Wie Wolken, die über den Himmel vor die Sonne zogen, zog sich dieser Schatten innerlich über mein Empfinden gegenüber diesen schönen Dingen.

Den Schatten gibt es heute noch. Aber nur, wenn die Krankheit wieder Präsenter wird. Dann kann es draussen noch so schön und warm sein, die schönsten Blumen können blühen, die berührendste Musik kann im Radio laufen, jemand kann nette Worte zu mir sagen – ich empfinde nichts. Nichts kommt an. Ich sehe nur. Aber ich fühle nicht.

Mein Denken hat sich verändert. Und das erschwert mir mein Leben. Durch meine Krankheit fällt es mir schwer im Leben einen Sinn zu erkennen. Wozu mache ich das alles? Wozu bemühe ich mich? Warum sollte ich in allen möglichen Dingen gut sein? Irgendwann ist es zu Ende und was bleibt dann noch? Die Erinnerung. Alles andere hat keine Bedeutung mehr. Letztendlich sind wir dem Universum egal, wie es so schön heisst. Ja, so ist es. Am Ende sterben wir alle. Warum dann all die Kämpfe und Bemühungen? So denke ich, wenn mich die Krankheit wieder mehr einholt, als es mir lieb ist.

Mich kann man schnell glücklich machen, dazu braucht es nicht viel. Ich lache gerne, ich habe Humor und unterhalte mich gerne mit anderen über Gott und die Welt. Ich habe Träume und Hoffnungen, Ziele und Wünsche. Ich will glücklich sein, ich will reisen und leben. Mein Leben leben. Das sind meine gesunden Gedanken. Die normalen Gedanken.

Durch meine Krankheit bin ich noch empfindsamer geworden, als ich es ohnehin schon bin. Es braucht nicht viel, damit ich Tränen in den Augen habe. Ob im positiven oder negativen Sinn. Es kann die Geschichte einer wildfremden Person sein, die mich zum Weinen bringt. Eine schöne Geste jemandem anderen gegenüber kann mich zum Weinen bringen. Aus Glück natürlich. So traurig und verloren ich mich fühlen kann, so glücklich und unbeschwert kann ich mich ebenfalls fühlen. Von einem Extrem in das andere.

Mir selbst ist es sogar etwas peinlich wie schnell ich mittlerweile zu Tränen gerührt sein kann. Aber es ist schlimmer wenn man nicht weinen kann. Wenn man innerlich nichts fühlt. Der bisher grösste Tiefpunkt, den ich erlebt habe war, als mein Gesicht zur Maske erstarrte. Es klingt seltsam und man kann es sich nicht vorstellen. Schliesslich haben wir Muskeln im Gesicht die dafür sorgen, dass wir lächeln können. Die Krankheit machte sich damals langsam wieder spürbarer. Schleichend wie immer. Bis ich an dem Punkt ankam, als ich nicht mehr lachen konnte.

Kennt ihr diese Gesichtsmasken? Als ob man sich das Gesicht verkleistert hat, kann man keine Mimik mehr machen, bis diese Maske wieder weggewaschen ist. Genau so fühlte es sich an. Bloss, ich hatte keine solche Maske im Gesicht. Es klappte auch so nicht mehr. Da merkte ich, dass es Zeit für erneute therapeutische Hilfe war. Anpassung der Medikamente und vor allem: Krankschreiben lassen. Ich kämpfte ständig mit den Tränen ohne wirklichen Grund. In meinem Kopf hörte ich ständig denselben Satz: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, es geht nicht mehr.

Etwas vom schlimmsten an all dem ist für mich, dass ich in solchen Situation alles genau wahrneme und mir bewusst ist, dass ich keinen Grund habe, dass es mir so schlecht geht. Ja, manchmal gibt es einen Auslöser. Aber nicht immer. Und da ist es besonders schlimm. Wenn du genau weisst, dass eigentlich alles gut ist. Job läuft, privat läuft, dir gehts eigentlich gut, es fehlt an nichts. Und dennoch bist du innerlich wie tot.

Während solchen Tiefpunkten fehlt nicht nur innerlich die Kraft. Es braucht viel Kraft um überhaupt aufzustehen, Schritte zu machen, raus zu gehen. Rausgehen an die frische Luft ist in solchen Momenten völlig unmöglich. Schliesslich muss man damit rechnen, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Einfach so.

Es braucht nicht viel, um sich dann als nutzlos und wertlos zu fühlen. Man lässt etwas fallen, ein Glas, oder beim Kochen brennt etwas an. Alles Gründe, weswegen man in Tränen ausbricht und das Gefühl hat, ein Nichts zu sein.

Das Positive daran, dass ich während diesen Momenten meistens alles genau wahrnehme ist, dass ich weiss, wann ich Hilfe brauche. Mir ist dann bewusst, dass etwas anders ist und es mit warten nicht alleine weg geht. Hat man dieses Bewusstsein und lässt es zu sich helfen zu lassen, hat man das Wichtigste geschafft.

Diese Krankheit funktioniert nicht so, dass man nach ein paar Therapiestunden und Lesen von Büchern vorbereitet ist und von nun an alleine klar kommt. Die Unterstützung wird immer wieder erforderlich sein. Diese Krankheit ist stärker als man selbst. Beispiel: Klemm dir den Finger ein und rede dir ein, dass das nicht weh tut. Funktioniert nicht, oder? Bei dieser Krankheit auch nicht. Wenn sie dich einholt, bist du machtlos dagegen. Aber wie gesagt; wenn du Hilfe annimmst, dann bist du auf dem besten Weg zu gewinnen. Zumindest für diese Zeit. Schliesslich klemmt man sich den Finger auch mehrmals ein. Nicht nur einmal im Leben.

Ja, ich werde mein Leben lang damit zu kämpfen haben, dass ich das Leben als lebenswert betrachte und meine Träume auch verwirkliche. Es braucht Mut und innere Überzeugungskraft. Aber letztendlich kann ich genauso stur sein, wie diese Krankheit hartnäckig ist. Sie ist ein Teil von mir und dank ihr, kann ich mich viel besser in andere hineinversetzen, die ebenfalls davon betroffen sind. Es ist absolut verständlich wenn Aussenstehende das alles nicht nachvollziehen können. Konnte ich vorher auch nicht und weiss auch wie unmöglich das alles klingt. Aber es ist wichtig zu akzeptieren und da zu sein.

 

Achja, natürlich hat diese Krankheit auch einen Namen. Depression. Es gibt unterschiedliche Varianten und Arten und unterscheidet sich sowieso von Mensch zu Mensch. Was ich geschrieben habe, die Gefühle und wie das aussieht ist alleine auf mich bezogen. MEINE Geschichte, MEINE Gedanken, MEINE Erlebnisse.

 

 

 

------> The End? Nein, mein Leben geht noch weiter<------

 

 

Impressum

Cover: Eigenkreation
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2021

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Betroffene, die sich alleine fühlen und für alle, die das hier lesen und akzeptieren, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man einfach nicht verstehen kann.

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