Cover

VERFOLGT

Nun ist es bereits zwei Monate her, seit ich mich von meinem Freund getrennt habe. Es war höchste Zeit. Ungefähr ein Jahr lang habe ich es mit ihm ausgehalten. Naja, ausgehalten...ich habe nicht einsehen wollen, dass es mir mit ihm nicht gut geht und konnte einfach nicht loslassen. Vielleicht war es die Angst, allein zu sein. Das könnte gut möglich sein. Aber er hat es nun soweit gebracht, dass ich ihn verabscheue, hasse und nie wieder sehen will. Ein Grund, weshalb es mir schwer fiel mich von ihm los zu eisen war, weil er mir noch Geld schuldete. Alle meine Freunde, meine Familie und auch mein Psychiater meinten, dass ich das Geld vergessen könne. Ich wollte es nicht einsehen und die Hoffnung nicht aufgeben. Immer noch nicht. Auch, wenn es mich unendlich viel Kraft an Kraft kostet ihn noch so lange zu ertragen, bis ich mein Geld wieder habe und ihm endlich sagen kann, wie sehr ich ihn hasse und er aus meinem Leben verschwinden soll. Doch die Trennung führte dazu, dass die Geldschulden zu meinem kleinsten Problem wurden.

 

*

Vor Kurzem bin ich durch Zufall einem Kumpel begegnet, den ich schon seit 'ner Ewigkeit nicht mehr gesehen habe. Einer, den ich sehr mochte. Sehr, sehr, sehr sogar, wenn du verstehst was ich meine. Diese Begegnung war anders als ich es mir vorgestellt hatte und veränderte mein Leben ein kleines Bisschen und diesmal zum Guten. Wir unterhielten uns darüber, was er jetzt machte, was ich jetzt mache, wie es seiner Familie geht, wie es meiner Familie geht und was sonst noch gerade so läuft in unserem Leben. Im Moment sei er Single, meinte er. Das grenzte an ein Wunder, da er bisher immer wieder eine neue Freundin hatte. Nein, er nutzt Mädchen nicht aus oder so. Er verliebt sich eben dauernd wieder neu. Bei mir ganz anders. Verliebe ich mich einmal in einen Typen, so kann dies etwas länger dauern. Jedenfalls war ich gerade auf dem Weg zur Bushaltestelle um den Heimweg anzutreten. Er begleitete mich und als mein Bus kam, fragte er noch schnell nach meiner Handynummer, damit wir vielleicht mal etwas Trinken gehen könnten. Innerlich grinste ich wie ein Honigkuchenpferd und schlug ein Purzelbaum nach dem anderen und äusserlich lächelte ich mein gewohntes, natürliches Lächeln und verabschiedete mich von ihm. Ich stieg in den Bus und- nein, ich schwebte in den Bus, setzte mich hin und winkte ihm noch zu. WOW! Das Schicksal meinte es tatsächlich wieder einmal gut mit mir. (Nur gut, dass nicht jeder in die Zukunft schauen kann, sonst hätten meine Glücksgefühle nicht sehr lange angehalten).

Zuerst glaubte ich nicht wirklich daran, dass ich meinen Kumpel, der übrigens Nico genannt wird, so schnell wieder sehen würde. Ich meine, wieso sollte er sich mit mir treffen wollen? Freiwillig noch dazu?! Ach, ich hatte ja sowas von keine Ahnung was noch alles auf mich zukommen würde. Zuerst kam mir das Klingeln meines Handys entgegen, das eine neue SMS angekündigte. Ob dies Nico war? Nein, quatsch! Wieso auch? Ich öffnete die SMS und grinste beinahe gleichzeitig von einem Ohrläppchen zum anderen. Es war Nico! Und er schrieb:

 

Hey Lena, war cool dich wieder zu sehen. 

Hättest du am Freitagabend Zeit, so gegen 20.00 Uhr im Kreuz?

Lg Nico:)

 

Also für diejenigen, die es vielleicht noch nicht gleich auf Anhieb geschnallt haben: Ich wär die Lena. Und das Kreuz ist eine Bar. Klein, aber fein. Und Freitag war morgen. Yeah! Ich simste ihm zurück, dass ich natürlich(!) Zeit hätte und vor dem Eingang auf ihn warten würde- vorausgesetzt ich wäre früher dort als er. Das war bestimmt der Fall, weil ich es hasste, wenn ich als zweite (von zwei Leuten) oder zuletzt ankam. Ab jetzt war ich total kribbelig und aufgeregt. Immer wieder schoss mir die Frage durch den Kopf: ,Wieso will er sich jetzt plötzlich mit mir treffen?'. Das war für mich etwas ungewöhnlich. Aber dieses Treffen war vermutlich ganz unverbindlich, rein freundschaftlich. Was um himmels Willen konnte ich denn anziehen? Ich raufte mir die Haare. Achherrjemine! Ein Rock, Jup, Kleid kam für mich überhaupt nicht in Frage (ich besass ja nicht mal sowas. Nur ein Mini-Jup, den ich aber NUR in den Ferien anzog, wo mich keiner kannte). Hmm...eine schwarze Jeans? Mein hellblaues Lieblingsoberteil? Eine Jeansjacke? Meine blauen Lieblingsturnschuhen (die leider bereits ziemlich ausgelatscht aussahen und ich schichtweise Imprägnierspray draufsprühen musste, weil ich bei Regenwetter sonst in nullkommanichts ein See im Schuh hatte)? Ja, das klang gut. Also, nicht die Klammerbemerkung. Meine Zusammenstellung des Outfits. Und die Haare? Ich hatte im Moment ganz dunkelbraunes Haar, das mir ungefähr drei Zentimeter über die Schultern reichte und ziemlich kräftig war. Leider. Es war genauso störrisch wie ich manchmal. Tja, damit musste ich mich tagtäglich auseinandersetzen und meistens gewann ich den Kampf gegen meine Haare, die natürlich nicht unbedingt das tun wollten, was ich mit ihnen vorhatte. Damit ich am Freitagabend keinen Stress haben würde, würde ich sie einfach offen tragen. Genau. Sah ja auch ganz hübsch aus (fand ich). Und nun das allerwichtigste: Mein Schönheitsschlaf! Schliesslich war es bereits zehn Uhr abends und morgen musste und wollte ich fit sein und wenn möglich auch so aussehen.

 

*

Noch ziemlich verschlafen quälte ich mich aus meinem ach so bequemen, warmen, weichen Bett und schleppte mich ins Bad, wo ich mir einen nassen, kalten, ekelhaften Waschlappen ins Gesicht klatschte. Aaah! Kaaaaaaaaaalt! Himmel und Hölle! Das war eine reine Folter! Uuuuh! Aber ich war ja selbst schuld. Sonst würde ich nicht so schnell wach werden und genau das musste ich ja jetzt. Klar, mein Treffen war erst heute Abend, aber ich hatte eben noch was anderes vor. Eigentlich nichts all zu wichtiges, aber da ich diesen Termin bereits um neun Uhr hatte und mein Äusseres dabei auch eine Rolle spielte, musste es eben sein. Normalerweise war ich erst gegen den Mittag so richtig wach. Aber ja.

Ungefähr eine Stunde später stand ich fix und fertig vor dem Gebäude, wo mein Termin stattfinden würde. Also, dass es nicht soooo wichtig sei, war vorhin vielleicht ein klitze kleines bisschen untertrieben. Es ist ungefähr Wichtig. Einfach nur Wichtig. Nicht mehr und nicht weniger. Es ging um einen Job, um den ich mich beworben hatte als Lektorin. Schon mal davon gehört? Jedenfalls geht's darum Manuskripte zu lesen, korrigieren und verbesserungvorschläge zu bringen, dies mit dem Autor oder der Autorin zu besprechen und das Buch fertig zu bringen. Meine Aufgabe wäre dann auch, Autoren und Autorinnen zu finden, die mir ihr Manuskript zum Lesen geben würden. Drei Gründe, weshalb ich diesen Beruf wählte: 

1. Ich las für mein Leben gern und schrieb auch selber gerne Geschichten.

2. Wenn ich ein Buch las, dann fielen mir die Fehler auf (Rechtschreibung war meine Stärke, was manchmal auch nerven konnte, je nach dem wieviele Fehler ich fand).

3. Ich arbeitete lieber für mich allein oder nur mit wenigen zusammen und nicht unbedingt in einer grossen Menge von Leuten. Dieser Beruf sprach mich sehr an und deshalb versuchte ich es mal. (Leider musste ich vorher eine kaufmännische Lehre machen, also das KV. Und dort sollte man ja vor allem auch das Feeling für Zahlen haben, was ich eindeutig NICHT hatte...war also kein Zuckerschlecken bis hier her).

So, jetzt noch einmal oder zweimal, nein mindestens dreimal tief durchatmen und ab die Post! Ich denke mal, dass jeder, der dieses Buch liest, schon mal bei einem Vorstellungsgespräch war und daher werde ich hier nicht weiter vertiefen. Das Spannende kommt ja erst noch. Das Einzige, wo ich noch hinzufügen möchte, ist: Ich bekam den Job! :D

 

*

Freitagabend. Ich war ja soooowas von aufgeregt! Puuh! Noch aufgeregter als beim Vorstellungsgespräch. Ist das normal? Nein, das war nicht normal, das waren bloss meine durchgeknallten Schmetterlinge und diese hunderte von Ameisen, die in meinem ganzen Körper rumkrabbelten und mich noch wahnsinnig machten!! ,Immer mit der Ruhe, Lena,', versuchte ich mich selbst zu beruhigen. Keine Chance. Mit meinen Haaren konnte ich den Kampf ja noch aufnehmen, aber mit hunderttausend Schmetterlingen und Ameisen im Körper, hatte ich eindeutig keine Chance. Aber jetzt weiter. Ich will ja nicht nur von diesem Krabbelzeug erzählen. Ich stand nämlich bereits vor dem Eingang zum Kreuz (ja, ich war als Erste da:D) und schaute einmal nach links, dann nach rechts und geradeaus und dann noch zum Himmel hoch (als ob er von oben kommen würde), drehte mich einmal um die eigene Achse und konnte froh sein, wenn mich niemand dabei beobachtete. Vor allem, wenn ER mich nicht beobachtete. Tat er nicht. Er kam nämlich gerade um die Ecke (von links) direkt auf mich zugesteuert, lächelte mich erfreut an (als hätten wir uns seit hundert Jahren nicht mehr gesehen) und begrüsste mich mit einer Umarmung. Ollalla! ,,Hey Lena!'' ,, Hallo Nico!'' ,,Na, wie geht's dir so?'' ,,Danke gut und dir?'' ,,Mir auch. Gehen wir rein?'' ,,Mhm, klar.'' Er öffnete mir dir Tür und liess mich zuerst rein. Arrg! Das ist auch was, das ich nicht mag. Voran gehen. Daher verlangsamte ich meinen Schritt etwas und Nico lief nun neben mir her. Wir setzten uns an einen Zweiertisch und bevor wir auch nur etwas sagen konnte, stand die Servierdüse bereits neben uns. ,,Was darf ich Ihnen bringen?'' ,,Mir gern einen Ice Tea.'', war mein Wunsch. ,,Ich hätte gern eine Cola.'' ,,Okay, kommt sofort.'' Und weg war sie. So, wie sie aussah, hätte sie eher in ein Modelmagazin gepasst. Ich wette, die hatte mindestens ein Döschen Make-Up auf ihrem Gesicht verteilt und dann noch dieser knallig pinkfarbene Lippenstifft, diese angsteinflössend hohen Schuhe- pardon, High Heels- und der Minirock passte ja ausgezeichnet zu ihr. Nur passte sie nicht ganz in diese Bude. Und genau das flüsterte Nico mir jetzt zu. ,,Die passt irgendwie überhaupt nicht hier rein. Die sollte sich lieber als Model bewerben.'' ,,Hab gerade dasselbe gedacht.'', grinste ich. ,,Aber jetzt zu dir. Was macht dein Berufsleben?'', fragte mich Nico interessiert und mit seinem ach so süssen Lächeln im Gesicht. ,,Ich hab seit heute einen Job. Hatte heute Morgen das Vorstellungsgespräch und wurde sogleich genommen.'' ,,Wow! Gratuliere!'' ,,Danke.'' ,,Als was überhaupt?'' ,,Ach, hab ich noch gar nicht gesagt.'', lachte ich. ,,Als Lektorin. Weisst, was das ist?'' ,,Hm...hab ich glaub schon mal gehört, aber könnte jetzt nicht genau sagen, worum es da geht.'' Ich erklärte ihm den Inhalt dieses Berufes und er meinte: ,,Das passt ja in dem Fall hundert Prozent zu dir. Du wo so gerne liest. Schreibst du immer noch Geschichten?'' ,,Aber sicher. Immer wieder, sobald ich eine Blitzidee habe.'' Nico lacht. ,,Eine Blitzidee? Du planst also nicht im Voraus?'' ,,Hm...nein, ich kann nicht zuerst die Figuren erfinden, den Hauptteil und dann erst anfangen. Es kommt dann doch immer wieder anders.'' ,,Hm..okay...und worüber schreibst du deine Geschichten?'' ,,Hm..Wie soll ich sagen...es sind Geschichten, die sehr viel mit der Realität zu tun haben. Ich mag lieber die Realität als Fantasie. Ich schreibe Geschichten die zum Teil erfunden sind und zum Teil sind auch Erfahrungen von mir drin versteckt. Wenn ich eine Geschichte online stellte, kamen oft Fragen von den Lesern, ob dies eine wahre Geschichte sei. Und deshalb hab ich dann angefangen am Ende der Geschichte zu schreiben, dass sie frei erfunden sei. Es sind einfach ziemlich traurige Geschichten. Die meisten. Viele handeln über Mobbing, Gewalt und den inneren Kampf, dass man weiterlebt und nicht aufgibt.'' ,,Und wieso so traurig?'' ,,Zuerst wusste ich das auch nicht so recht, aber ich denke es ist einfach eine meiner Methoden um Dinge zu verarbeiten, die mich noch beschäftigen.'' ,,Du meinst also, dass DU Mobbing erlebt hast?'' ,,Ja, so ist es. Nicht gewusst?'' ,,Nein. Meine Schwester hat mir nur mal erzählt, dass du's nicht so einfach hättest in der Klasse, aber viel mehr wusste ich bisher nicht.'' ,,Dann weisst du's jetzt.'' ,,Dann hast du ja wenigstens eine Art gefunden, wie du damit umgehen kannst.'' ,,Ja, das schon. Aber das reicht nicht. Das braucht eben sehr viel Zeit, Gespräche und zum Teil auch Hilfe von Aussenstehenden. Aber das ist eigentlich mehr Vergangenheit. Beziehungsweise ist meine Vergangenheit jetzt auch ein wenig Stoff für meine Geschichten.'' ,,Klingt so, als hättest du alle Hände voll zu tun.'', grinste Nico mich an. Ach, diese Augen! ,Konzentrier dich gefälligst, Lena!' ,,Jap, aber nur, wenn ich auch Ideen habe.'' ,,Hast du denn mal keine Ideen?'' ,,Das würde man dann Schreibblockade nennen, was sehr unangenehm ist.'' ,,Verstehe. Eine Schriftstellerkrankheit also.'' ,,Haha, kann man so sagen, ja.'' ,,Und was macht die Liebe?'' ,,Hach, erinnere mich bloss nicht an die Liebe. Das war nicht Liebe, das war eine komplizierte Angelegenheit, die mich alle Kräfte gekostet hat und mich wieder an den Punkt gebracht hat, wo ich nicht mehr hinkommen wollte.'' ,,So schlimm?'', fragte Nico etwas leise und sah mich mitfühlend an. (Übrigens, die Getränke hatten wir in der Zwischenzeit bekommen). ,,Naja, er war nicht gut für mich und nicht gut zu mir. Er konnte nicht mit Frauen umgehen, behandelte mich schlecht und machte sich grösser als er war. Neben ihm kam ich mir kleiner vor, als ich eigentlich bin. Also, von innen betrachtet. Klar, er war auch liebevoll und so. Aber ich kann mich kaum an eine angenehme und schöne Situation erinnern. Tja...alle sprachen negativ von ihm. Ich war die Einzige, die noch was Gutes an ihm sah, oder sehen wollte. Und als ich es doch langsam einsah, dass ich nichts ändern konnte an unserer...ähm...'Beziehung', hätte ich eigentlich Schluss machen sollen. Aber ich konnte einfach nicht loslassen. Es dauerte ein Jahr. Ungefähr. Seit ein paar Wochen hab ich es nun geschafft. Drei, um genau zu sein. Und seither geht es mir viel besser. Sobald er sich wieder bei mir melden würde, würde es mir schlechter gehen.'' ,,Krass, wie eine Beziehung zu einem falschen Typen sag ich jetzt mal, einem so an die Nieren gehen kann.'' ,,Mhm, hab ich mir auch gedacht. Und dein Status hat sich bisher noch nicht verändert?'' ,,Nein, bisher noch nicht.'', grinste er mich an. Wir sprachen noch ein wenig weiter über Gott und die Welt und ich spürte, wie meine früheren Gefühle, die ich mal für ihn verspürt hatte wieder hochkamen. Oder stärker wurden. Mist! Und wenn er nicht mehr wollte? Auf Liebeskummer konnte ich absolut verzichten! Aber jetzt estmal abwarten und schauen, was sich so ergeben würde.

 

*

ZWEI WOCHEN SPÄTER 

Nun waren bereits zwei Wochen vergangen, seit wir uns getroffen hatten. Und was war in dieser Zeit geschehen? Genau! Seltsamerweise wurde aus uns ein Paar. Fragt mich nicht wieso, mir ist das Ganze heute noch rätselhaft. Aber das ist ja auch gut so. Schliesslich konnte ich ihn nie wirklich vergessen und hoffte tief in mir drin schon immer, dass aus uns irgendwann einmal was werden würde. Et Voilà! Doch statt dass ich mich nun so richtig in meinen Glücksgefühlen sonnen konnte, fing das Schicksal an, mich wieder herauszufordern und zu testen, wieviel ich ertragen konnte. Du verstehst wahrscheinlich nicht ganz, worum es jetzt geht. Hier die Erklärung:

Ich wartete an einer Strassenecke auf Nico. Ich hatte mich an die Wand gelehnt, ein Fuss lässig an der Wand und versuchte Kreuzwortsätsel vom Blick zu lösen. Heute war es ein mittelschweres Rätsel. Immerhin hatte ich von zehn Buchstaben bereits vier herausgefunden- falls sie stimmten. Ich war so tief in mein Rätsel vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, wie mich jemand schon eine ganze Weile lang ansah. Normalerweise spürte man doch, wenn man beobachtet wurde. Ich aber war zu sehr in das Rätsel vertieft. Solange, bis...,,Hallo, geht's gut?'' Ich kannte diese Stimme. Ich würde sie aus hundert Stimmen heraus erkennen. Verdammt! Was wollte der denn? Wie hatte der mich gefunden? Naja, man sagt ja nicht umsonst, wie klein die Welt doch eigentlich war. Ich versuchte ihn zu ignorieren, was meine ganze Konzentration erforderte. An Kreuzworträtsel lösen war nun nicht mehr zu denken. Daher tat ich einfach so, als wär ich total beschäftigt. Ich spürte seinen Blick in meinem Gesicht und damit ich nicht doch noch aufblickte, schrieb ich einfach was in ein Kästchen rein. Auch, wenn es nicht stimmte. ,,Ah, du löst Kreuzworträtsel. Hast ja schon einiges herausgefunden.'' ,Ja, hab ich. Stell dir vor, du bist nicht der Einzige im Universum, der sowas zustande bringt.', dachte ich für mich. Wie er redete...ich spürte, wie er etwas lächelte und seine blauen Augen so zusammenkniff, wie er es tat, wenn er lächelnd dreinblickte. ,Jaja, grins du nur.' Ich spürte ebenso, dass es diesmal nicht echt war. Dass er wohl ziemlich wütend war und dies versuchte zu verstecken, weil er irgendwas vor hatte und ich ihn nicht beachtete. Gott sei Dank kam in diesem Moment Nico. Der war übrigens 'schnell' beim Kiosk. Von meinem Vater her wusste ich, dass, wenn Männer 'schnell' sagen würde, dies mindestens eine halbe Stunde dauern konnte, jenachdem wo man war und um was es ging. Ich hatte Nico ja bereits von meiner schwierigen Ex-Beziehung erzählt und er wusste nun auch, wie mein Ex aussah. So konnte er gleich eingreiffen, da er wusste, dass ich nie wieder ein Wort mit diesem Menschen wechseln wollte. ,,Hey, ich glaube Lena will nicht mit dir sprechen wie du siehst. Also lass sie bitte in Ruhe und verzieh dich.'' Nico hatte sich halb vor mich gestellt. Ich hob den Kopf und sah Mike verachtend an. Mein Blick sagte: ,Verpiss dich und lass mich in Ruhe! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Ich verabscheue dich! Ich hasse dich!'' Entweder er konnte aus meinem Blick lesen oder Nico hatte ihm genug die Meinung gegeigt. Mike sah mich an, als wolle er sagen: ,Aha, das ist also dein neuer Freund. Alles klar. Konntest mich ja schnell vergessen..' ,Ja, stell dir vor Mike, ich habe mich wieder neu verliebt und bin nun g l ü c k l i c h!' Endlich drehte er sich um und ging. Ich konnte fühlen, dass er jetzt auf mindestens 200 war. Mir egal. Nico fragte mich: ,,Alles okay bei dir?'' ,,Ja, alles bestens. Danke.'' Er lächelte mich an und küsste mich.

Die Begegnung mit Mike hatte ich bereits wieder vergessen (dank Nico), bis zum nächsten Erlebnis. Ich war gerade im Supermarkt einkaufen, als mir jemand von hinten auf die Schultern tippte. Ich ahnte was...ich drehte mich um und...,,Was willst du?'', fragte ich ihn total desinteressiert. ,,Falls du glaubst, du könntest mich so scheisse behandeln und ich würde das einfach so hinnehmen, hast du dich getäuscht. Ich habe dir meine Liebe gezeigt, aber dir kann man es ja nicht recht machen. Glaub nicht, dass ich das so akzeptieren werde. Verstanden?'' ,,Ist mir eigentlich scheiss egal, was mit dir ist und was du akzeptieren kannst und was nicht. Ich hab die Schnauze voll von dir und bin mit dir fertig. Wenn du mich jetzt bitte in Ruhe einkaufen lassen würdest, danke.'' Ich drehte mich abrupt um und ignorierte ihn. Pah, von wegen seine Liebe gezeigt. Der Mensch war krank. Richtig krank. Und was das 'scheisse Behandeln' anging: Er hat mich scheisse behandelt. Wie ich schon mal erwähnte; er konnte einfach überhaupt nicht mit Frauen umgehen. Aber ja. Weiter jetzt. Ich stand nun bereits an der Kasse und war froh, als ich den Supermarkt endlich verlassen konnte. Obwohl ich es nicht wirklich wahrhaben wollte, hatte ich ein wenig Angst. Angst vor Mike, Angst vor seinen Worten und Angst davor, was wohl noch alles auf mich zukommen würde. Aber ich war ja nicht allein. Ich hatte noch Nico. Und Nico würde mich beschützen und mir beistehen.

 

*

Yeah! Endlich hatte ich wieder einmal Post bekommen. Dieser Brief sah nicht aus, als würde er eine Rechnung in sich tragen. Von wem er wohl war? Die Schrift kannte ich nicht. Hmm...seltsam...Ich ging zurück ins Haus und öffnete den Brief voller Neugier. Sobald ich den ersten Satz gelesen hatte, wünschte ich mir, ich hätte den Brief nicht geöffnet..

In schwarzen Grossbuchstaben stand nämlich drin:

FALLS DU GLAUBST, DU WIRST MICH EINFACH SO LOS, HAST DU DICH GETÄUSCHT.

ICH LASS MICH NICHT SO BEHANDELN VON EINEM BLÖDEN WEIB WIE DIR!

Ohje...was das wohl zu bedeuten hatte? Ich wusste natürlich von wem der Brief war. Aber ich wusste nicht, was nun passieren würde. Geschweige denn, was ich tun konnte. Abwarten? Zur Polizei gehen? Mich mit ihm nochmals treffen und aussprechen? Von meinen Erfahrungen her wusste ich bereits, dass man mit ihm sprechen konnte wie man wollte, er kapierte es dann doch nicht. Wie oft hatte ich ihm gesagt, was mich stört und womit er endlich aufhören solle?! So oft, dass ich schlussendlich trotzdem einfach Schluss machte und zur Polizei ging. Genau, das hatte ich auch noch gemacht. Ich hatte ihn angezeigt wegen Belästigung und den Schulden, die er noch bei mir hatte. Was die Polizei tun konnte? Nicht sehr viel. Sie fanden seine Adresse heraus (ich hatte nämlich seine Handynummer noch und alle SMS behalten, was sich dann auch als sehr schlau bestätigte) und das unangenehmste war, als er dann erfuhr, dass ich ihn angezeigt hatte. Tja...wie das Leben manchmal so mit einem spielte...Ich hätte vor ein paar Monaten selbst nicht geglaubt, dass ich sowas konnte. Aber es musste sein. Mein Geld hatte ich noch nicht zurückerhalten. Dafür musste er meine Handynummer löschen und alle SMS von mir, damit er mir auch wirklich nicht mehr schreiben konnte. Aus irgendeinem Grund hatte er nun meine Adresse. Ich fragte mich nur wie. Aber das konnte ich später versuchen herauszufinden. Jetzt musste ich mir überlegen, was  zu tun war. Zuerst rief ich Nico an. ,,Hey mein Engel, wie geht es dir?'' Es tat so gut, seine Stimme zu hören und das wohlbekannte Kribbeln machte sich wieder in meinem ganzen Körper bemerkbar. ,,Es geht so. Ich brauche deine Hilfe oder deinen Rat.'' ,,Was ist denn los?'' ,,Ich hab einen Brief bekommen. Einen Drohbrief von meinem Ex. Er schreibt mir, dass wenn ich geglaubt hätte ihn losgeworden zu sein, hätte ich mich getäuscht. Er lasse sich nicht so behandeln, von einem Weib wie mir.'' ,,Hm...klingt ziemlich ernst. Und du bist dir sicher, dass es dein Ex war?'' ,,Klar, wer denn sonst? Ich habe mit ihm Schluss gemacht, ich habe ihn angezeigt und ich ignoriere ihn jetzt, will nichts mehr mit ihm zu tun haben.'' ,,Woher zum Teufel hat er denn deine Adresse?'' ,,Wenn ich das wüsste. Ich bin noch nicht im Telefonbuch registriert, da ich noch nicht sehr lange hier bin. Und im Internet gibt's eigentlich auch nichts über mich zu lesen.'' ,,Hmm...Dann kommt mir nur ein Gedanke...'' Nico zögerte. ,,Was denn? Bitte sag es mir!'' ,,Naja...wahrscheinlich ist er dir gefolgt und konnte so den Namen der Strasse herausfinden. Deinen Namen kennt er ja bereits und das reicht dann ja auch schon.'' ,,Verdammt! Du meinst, er hat mich verfolgt?'' ,,Sieht so aus. Aber Lena, bleib jetzt erstmal ruhig, ok? Ich mache mich auf den Weg zu dir und dann gehen wir zur Polizei.'' ,,Meinst du die können mir helfen? Ich meine, ich habe keinen wirklichen Beweis, dass es mein Ex war.'' ,,Stimmt...egal, ich komme gleich mal vorbei, dann sehen wir weiter. Alles klar?'' ,,Ja, alles klar. Bis dann.'' ,,Bis gleich, ich liebe dich.'' ,,Ich dich auch.'' Hach, das Leben könnte ja so schön sein! Wenn nur dieser Mister So-Lass-Ich-Mich-Nicht-von-Dir-Behandeln mir nicht mehr in die Quere kommen würde. Aber nein, natürlich musste der ganze Albtraum noch weiter gehen. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass der Albtraum erst begonnen hatte...

 

*

20 Minuten später stand Nico vor der Tür. Ich liess ihn reinkommen und zuerst wurde ich so richtig begrüsst. Ein laaaanger und süsser Kuss von meiner grossen Liebe. Es war immer noch etwas ungewohnt und komisch, dass ich jetzt mit meinem Kumpel, den ich lange nicht mehr gesehen hatte und bei dem ich eigentlich nie eine Chance hatte zusammen zu sein, nun doch zusammen war. Aber ich genoss jede Millisekunde mit ihm- auch wenn mein Ex mich wieder nerven musste. Ich zeigte Nico den Brief. Er lass ihn konzentriert durch und meinte dann: ,,Du hast vielleicht recht, dass wir noch nicht die Polizei einschalten sollten. Es ist wirklich kein Beweis. Aber damit ich sicher sein kann, dass dir nichts passiert, schlage ich vor, dass du zu mir ziehst für eine Weile. So kann ich wirklich für dich da sein.'' Nico, der ja nun bereits 22 war (ich ebenfalls), wohnte alleine in einer Zweieinhalbzimmerwohnung. Dieser Vorschlag klang natürlich sehr gut. Ich würde dann die ganze Zeit bei ihm sein, abgesehen von meinen Berufszeiten her. ,,Das ist eine gute Idee.'', strahlte ich ihn an. Er strahlte zurück und schloss mich in seine Arme. ,,Meine Adresse kennt er ja nicht. Somit bist du wenigstens in deiner Freizeit sicher. Was dein Arbeitsweg betrifft...'' ,,Ich nehme immer den Bus und der hält ja direkt vor meinem Büro an.'' Und das war nicht übertrieben. Wirklich vor meiner Nase war dort eine Bushaltestelle. Das war wirklich praktischer als nur praktisch. ,,Okay ja...ich will dich ja nicht zu sehr ähm...einengen oder so...du bist ja eine starke junge Frau. Mein starkes junges Mädchen.'' Das klang immer so schön, wenn er das sagte. Da war die Gefahr von Wackelpudding-Beinen sehr gross.

Noch am selben Nachmittag packte ich meine sieben Sachen zusammen, (okay, ich gib's ja zu. Es waren etwas mehr als sieben Sachen *grins*) und zog zu Nico. Ich freute mich riesig drauf und vergass für einen Moment lang den Brief und den bevorstehenden Ärger mit Mike. Von jetzt an schlief ich bei Nico im Bett (es war ein ziemlich grosses Bett. Ich konnte der Länge nach alle Richtungen liegen, ohne mit dem Kopf oder den Füssen an einem Ende anzustossen). Das Allerwichtigste das ich mitnahm waren mein Laptop und ein paar Bücher. Der Rest war Kleidung, Kosmetikartikel, mein Handy und meine Arbeitsutensilien. Das, was noch viel wichtiger war als der ganze Plunder war natürlich Nico. Obwohl die Wohnung sehr klein war, war sie sehr gemütlich. Vielleicht gerade wegen dem. Man sah auf den ersten -oder vielleicht auch erst auf den zweiten- Blick, dass Nico Fussball spielte. Er war ein richtiger Fan und so wie ich ihn von früher in Erinnerung hatte wusste ich, dass er selbst sehr gut spielen konnte. Ich liebte es, Fussball zu schauen (von meinem Land der Schweiz oder wenn die Jungs Training hatten). Jetzt fühlte ich mich etwas besser und eine kleine Last war von meinen Schultern gefallen. Ich hatte nichts mehr zu befürchten, wenn ich jetzt bei Nico wohnen würde. -Dachte ich zumindest. Aber da hatte ich nicht mit meinem kranken Ex gerechnet...

 

*

Eine Woche war es jetzt her, seit ich bei Nico eingezogen war. Ich hatte nichts mehr von Mike gehört, beziehungsweise gelesen, erhalten oder was auch immer und hatte den Brief beinahe schon wieder vergessen bis zu diesem Tag...

Es war Mittwoch, mitte Mai und ich war gerade auf dem Nachhauseweg. Das heisst, ich stand an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus, der mich zu Nico fahren würde, als ich jemanden auf der gegenüberliegenden Strassenseite erblickte. Normalerweise kümmerte es mich nicht, wer wo wie wann stand. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dieser Jemand zu kennen. Mein Gefühl täuschte mich nicht. Mir blieb beinahe die Luft weg, als ich ihn erkannte. Was um himmels Willen machte er hier? Wie hatte er mich gefunden? Oder war es nur Zufall? Nein, war es sicher nicht. Schliesslich beobachtete er mich, auch wenn er nicht dauernd zu mir rüber sah. Ich spürte wie mir die Angst den Nacken hochkrabbelte. Mein Herz klopfte wie wild und alle Haare stellten sich mir zu Berge (was den Nacken betrifft, hätte auf dem Kopf vielleicht etwas seltsam ausgesehen). Ich schaute auf die Uhr meines Handydisplays und stellte erleichtert fest, dass der Bus in jedem Moment kommen musste. Die Sekunden zogen endlos langsam dahin und ich vergewisserte mich, dass dieser kranke Typ dort blieb wo er war. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, er hätte die Fliege gemacht, aber wenn er nicht mehr dort gestanden hätte, hätte ich befürchten müssen, dass er gleich neben, vor oder hinter mir gestanden hätte. Ich atmete erleichtert auf, als der Bus endlich vor mir anhielt. Ich sah nochmals unauffällig nach links und nach rechts und vergewisserte mich, dass er nicht auch noch einstieg und liess mich dann auf den erstbesten Sitz plumpsen. Puh, das wäre geschafft! Zumindest für eine Weile. Wie lange er wohl dort gestanden hatte? Was war der Sinn dabei? ,Wieso kam er nicht auf mich zu? Wo ist er jetzt? Was hat er vor?' Lauter Fragen in meinem Kopf, auf die ich keine Antworten hatte. Ich war sehr froh, als ich endlich bei Nico ankam und sobald ich einen Schritt in die Wohnung gemacht hatte, fühlte ich mich auch gleich viel besser und vor allem sicherer. Jedoch machte mir der nächste Tag etwas Angst. Was, wenn er wieder dort auftauchen würde? Und was, wenn er sogar reinkommen würde? Naja, drinnen war ich auch ziemlich sicher und konnte immer noch um Hilfe schreien, falls ich dann einen Ton rausbekommen würde. Halt, stopp jetzt! Ich durfte mir nicht so viele Gedanken darüber machen, sonst würde ich zuletzt nicht mal mehr einen Fuss vor die Wohnungstür setzen.

Zum Glück dauerte es nicht so lange bis Nico auch nach Hause kommen würde. (Er arbeitete übrigens zur Zeit als Verkäufer in einer Grosswerkstatt). Nach der Begrüssung erzählte ich ihm gleich, was ich kurz vorher erlebt hatte. ,,Was? Der ist dort aufgetaucht? Mist! Woher weiss der, dass du dort arbeitest?'' ,,Ich glaube bald, der verfolgt mich überall hin. Ich hoffe bloss, dass er noch nicht weiss, wo ich jetzt wohne.'' ,,Keine Sorge, mein Engel, ich bin ja auch noch da und wenn es sein muss, dann begleite ich dich zur Arbeit und hole dich wieder ab.'' Er strich mir zärtlich über meine Wange und sah mich aus seinen braunen Augen liebevoll an. ,,Warten wir noch etwas ab. Er kann mir dort nichts antun, schliesslich sind ja auch andere Leute dort am Arbeiten.'' ,,Okay, aber wenn's dir zu unheimlich wird, gibst du mir Bescheid, ja? Ich kann dich auch hinfahren.'' Nico hatte schon lange seinen Führerschein. Also, das heisst, mit 19 hatte er den Führerschein gekriegt. Ich hingegen glaubte, dass ich entweder erst in zig Jahren den Versuch machen würde, oder vielleicht auch gar nicht. Mir waren die öffentlichen Verkehrsmittel lieber und sicherer. Ich hatte echt keine Lust, so viel Geld für ein Papier herzugeben, das mir erlauben würde, Auto zu fahren. Nein danke! Aber das war jetzt sowieso eine unwichtige Sache. Jetzt galt es aufzupassen und herauszufinden, was Mike von mir wollte, was er vorhatte.

In der Nacht träumte ich natürlich total wirres Zeug und einmal schreckte ich aus einem Traum hoch, wo ich mich danach nicht mehr erinnern konnte, worum es da ging. War eigentlich auch gut so. So würde ich mir nicht auch noch wegen diesen Träumen den Kopf zerbrechen.

Auch bei der Arbeit merkte man mir an, dass etwas nicht stimme. Meine Arbeitskollegin Anja fragte mich einmal, ob mich etwas bedrückte. ,,Alles Bestens. Ich schlafe im Moment nur nicht so gut. Nichts der Rede wert.'' ,,Achso. Vielleicht solltest du dein Bett verschieben. Machmal hat es auch damit zu tun.'' Anja hatte immer solch seltsame Ideen. Sie glaubte sehr an übernatürliche Kräfte und jeden Hokuspokus, den sie las oder sonst irgendwie vernahm. Ich glaubte ja selber auch ein wenig an solches Zeug, jedoch nicht sooo heftig, wie Anja es tat. Manchmal nervte es mich fast ein bisschen, aber meistens amüsierte es mich einfach nur. Wie konnte man nur so dermassen abergläubisch sein? Das war ja schon fast krankhaft! Aber das war ja Anjas Sache. Meine war leider etwas ernster und gab keinen Grund zum Lachen. Ich konnte mich kaum noch auf meine Arbeit konzentrieren. Immer wieder scheiften meine Gedanken zu Mike und zu dem, was er wollte, was er noch vorhatte mit mir. Ich versuchte mir einzureden, dass ich hier sicher sei und er mir nichts zu tun konnte. Aber die Angst blieb und sie wurde von Tag zu Tag grösser. Auch, wenn ich sie nicht zulassen wollte...

 

*

Endlich Feierabend! Es war Freitag, 18.00 Uhr und das Wochenende stand vor der Tür. Voller Freude packte ich meine Sachen zusammen und bevor ich ging, stürzte noch Anja zu mir ins Büro. ,,Lena! Gut, dass ich dich noch erwische. Wir wollten heute zusammen ausgehen, in die Disco oder so. Hast du Lust mitzukommen?'' ,,Ähm, was heisst 'wir'?'' ,,Ich, Tim, Jeremy und dann viellecht noch du.'' Hmm...sollte ich? Wieso nicht? ,,Klar, komme gerne mit. Wann soll ich wo sein?'' ,,Wir holen dich ab um 20.00 Uhr. Deine Adresse hab ich ja. Alles klar?'' ,,Jep, alles klar.'' ,,Also, bis dann!'' Und schon war sie wieder weg. Ein richtiger Wirbelwind war sie. Aber sie war einfach total lieb und eben auch total abergläubisch. Nico hatte heute Abend sowieso noch Fussballtraining. Ich schrieb ihm schnell eine SMS, dann machte ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Automatisch verlangsamte ich den Schritt, als ich ins Freie trat. ,Nein Lena, du denkst jetzt nicht an Mike. Der ist nicht hier. Du bist sicher. Der Bus kommt gleich. Bleib ganz ruhig.' Das Selbstberuhigen klappte nicht immer gleich gut. Manchmal hatte ich ziemlich grosse Mühe darauf zu hören und mich zu beruhigen. Es dämmerte bereits und die Strassenlaternen waren auch schon an. Diese verdammte Angst! Ich wurde sie einfach nicht los. Oder war es eine Vorwahrnung, dass er hier irgendwo war? Ach, Quatsch mit Sauce! Zielstrebig steuerte ich die Bushaltestelle an und liess mich auf das Bänklein niedeplumpsen. Wieso sass hier eigentlich kein Mensch ausser mir? Als ob ich die einzige wäre, die den Bus als Fahrzeug nutzen würde. Naja, besser niemand, als...WAS WAR DAS?!?! Meine Nackenhäärchen stellten sich in Null komma nichts auf und meine Alarmglöckchen schlugen alarmstufe ROT! War dort jemand hinter dem Container? Der Container stand schräg gegenüber von der Bushaltestelle. Und ich hatte das Gefühl, dass dort jemand war. Nicht nur jemand, sondern ER. ,Nein Lena, das bildest du dir ein. Du wartest jetzt ganz ruhig auf den Bus, der jeden Moment kommen sollte, dann bist du in Sicherheit.' Ich atmete tief ein und aus und versuchte ruhig zu bleiben. Mensch, wo blieb bloss dieser blöde Bus? Er war bereits eine Minute zu spät. Okay, ja, das konnte ja mal vorkommen, aber im Moment war für mich eine Minute einfach zu lang. Ich starrte weiterhin zum Container hinüber und da sah ich plötzlich tatsächlich jemanden eilig davon laufen. Ganz in Dunkel gekleidet. Ich konnte nicht 100% garantieren, dass es Mike gewesen war, aber wer sollte sich sonst dort verstecken? Immerhin war er jetzt weg. Ha! Und der Bus kam auch endlich. Gott sei Dank!

 

*

Ich war bereits fix und fertig angezogen und wartete nur noch darauf, dass meine Arbeitskollegen und Kolleginnen mich abholen kommen würden. Ich schaute nervös auf die Uhr. Fünf Minuten vor acht Uhr. Das war eines meiner Macken. Ich war immer zu früh dran und wartete dann umso länger. Und so wurde ich natürlich immer wie zappeliger, wenn es dann noch ein paar Minuten dauerte oder bereits soviel Uhr war, wie man sich verabredet hatte. Noch zwei Minuten. Mensch, wo blieben die bloss? Wahrscheinlich hatte ich einfach Angst, dass ER plötzlich vor der Tür stehen konnte...Gerade, als ich in Gedanken versunken war, dass er womöglich gleich vor der Tür stehen würde, klingelte es. Himmel! Wieso musste ich so erschrecken? Einen halben Hüpfer rückwärts hatte ich genommen und mein Herz war beinahe eine Etage weiter nach unten gefallen. Ich öffnete die Tür und...,,Hey!!! Toll siehst du aus!''...wurde von Anja stürmisch umarmt und angestrahlt. ,,Danke. Du aber auch.'', lächelte ich sie an. Wir machten uns auf den Weg nach draussen, hüpften in den Wagen und dann ging's los Richtung...Ja wo ging's eigentlich genau hin? Das fragte ich Anja und die meinte: ,,Die Jungs wollen uns entführen. Ich weiss nicht wohin die Reise geht.'' Okay, da konnte ich mich wohl auf was gefasst machen. Jeremy lenkte den Wagen geschickt durch die Strassen (er fuhr sehr vorsichtig, aber nicht übertrieben vorsichtig) und Tim sass neben ihm auf dem Beifahrersitz und suchte gerade einen geeigneten Musiksender. ,,Na Ladies? Seid ihr bereit für die Party?'', fragte uns Jeremy. ,,Jaaa!'', riefen wir übermütig und kicherten. Ich hatte mich mittlerweile entspannt und freute mich auf den bevorstehenden Abend.

Die Disco, in die wir gingen, lag etwas abseits vom Dorf, aber deswegen war hier nicht weniger los. Die Tanzfläche war voll mit tanzenden Leuten- oder welche, die versuchten zu tanzen. Laute Musik dröhnte aus den Boxen und als Anja mir was sagen wollte, verstand ich natürlich kein Wort. Sie nahm meine Hand und zog mich mit zur Tanzfläche. Achso, ob ich mit ihr tanzen wolle! Ich grinste sie an und begann mich im Takt der Musik zu bewegen. Eigentlich war ich nicht die grosse Tänzerin, aber immerhin hampelte ich nicht nur rum, sondern konnte mich wirklich einigermassen gut zur Musik bewegen. Das fand auch Tim, der auffällig nahe an mir tanzte. ,Okay mein Junge, das ist mir etwas zu nahe', dachte ich bei mir und versuchte ihm dies mit einem Blick und zwei Schritten entfernungen (soweit dies möglich war auf einer vollen Tanzfläche) mitzuteilen. Der jedoch tanzte mehr mit geschlossenen Augen und folgte mir weiter. Gut war Nico nicht hier, das wäre nicht gut ausgegangen. Wobei...er würde wohl eher das Verständnis dafür haben, da er selbst ein beliebter Typ bei Frauen war. Bei mir hingegen hatten die Männer noch nie Schlange gestanden- und das durfte auch so bleiben. Ich sah mich nach Anja um, doch die tanzte mit Jeremy und schien die Aussenwelt völlig vergessen zu  haben. ,Na gut mein Lieber, dann eben anders', dachte ich bei mir und arbeitete mich durch die tanzende Masse und atmete erleichtert auf, als ich den Rand der Tanzfläche erreicht hatte. Eine Cola wäre jetzt genau das Richtige. Ich setzte mich also auf einen Barhocker und gab meine Bestellung auf. Kaum hatte ich meine Cola, tauchte bereits wieder Tim neben mir auf. ,,Na, keine Lust mehr zu Tanzen?'' ,,Nein, im Moment nicht.'', sagte ich knapp und widmete mich wieder meiner ach so spannenden Cola in meinem Glas. ,,Schade, ich war gerade so richtig in der Musik.'' ,,Hat ja auch keiner gesagt, dass du aufhören sollst.'' ,,Ja, aber alleine macht's nicht so viel Spass.'' Alleine? War der blind oder was? Es waren noch mindestens 50 andere auf der Tanzfläche. ,,Tja, dann öffne mal die Augen und schau auf die Tanzfläche.'' Er tat es tatsächlich. ,,Und was siehst du?'' ,,Viele Leute die tanzen.'' ,,Und du willst mir sagen, alleine würde es keinen Spass machen?'', fragte ich ihn, als ob er mir gerade gesagt hätte, er käme vom Mars und wolle die Erde durchforschen. ,,Ich meine, ohne dich ist es zu langweilig.'' ,Jaja, schöne Anmache. Nicht mit mir, mein Junge.' ,,Tim, ich bin jetzt mal ganz ehrlich und direkt zu dir, okay?'' ,,Eh, okay ja.'', sagte er beinahe etwas verunsichert und sah mich fragend an. ,,Ich habe einen Freund, dem es nicht gefallen würde, wenn er dich jetzt hören könnte. Ich steh sowieso nicht auf Typen wie dich und diese billigen Anmachsprüche finde ich auch voll daneben. Versuch es bei jemand anderem, aber nicht bei mir, okay?'' Ziemlich perplex und peinlich berührt erwiderte er: ,,Ähm...klar...na...natürlich...sorry...'', und lief mit rotem Kopf zurück zur Tanzfläche. Na endlich! Wenn man Single war, wollte niemand etwas von einem und sobald man in einer Beziehung war, kamen die Jungs, Männer oder was auch immer haufenweise angekrochen. Aber gegen meinen Freund hatte niemand eine Chance.

Es war bereits Mitternacht und mir fielen beinahe die Augen zu. ,Mensch Lena, andere Leute machen die Nacht durch und gehen dann ins Bett, wenn andere aufstehen und du gähnst schon nur, wenn es Mitternacht wird.' Ich weiss, ich war noch nie diejenige gewesen, die lange durchhalten konnte. Mein Rekord war morgens um Vier, an Silvester vor ungefähr zehn Jahren. Aber zu solch früher Morgenstunde bin ich dann weder ansprechbar noch kapiere ich wirklich, was noch so läuft. Auch Anja schien etwas müde zu sein. Sie stützte sich an mir ab und schlief fast ein. Ein Glas Wasser wäre jetzt nicht schlecht gewesen. Für mich und für sie. Aber nein, geht ja schlecht. 20 Minuten später kamen die Jungs endlich und wir machten uns auf den Weg zum Auto. Anja hatte ziemlich viel Getrunken. Sie lallte vor sich hin und ich hoffte nur, dass sie nichts all zu peinliches von sich geben würde. Und vor allem, dass sie sich nicht plötzlich noch übergab...Iiih, ich durfte gar nicht dran denken! ,,Lena, ju musst mich noch nach Ha...use bringen. Sonst schaff ich es nicht bis ins B...Bett. Jom und Jelemy können ja im Auto waten.'' ,,Keine Sorge Anja, wir bringen dich heil nach Hause.'' Hoffte ich zumindest. Auch Jeremy und Tim hatten etwas getrunken. Klar, wer machte dies nicht (ausser ich) in einer Disco? Aber zu viel war dann auch nicht gut. Aber wir schafften es tatsächlich bis zu Anja, die ich ins Bett brachte und dann zu mir. Endlich zu Hause! Ich freute mich schon auf mein Bett- und auf Nico! :) Ich lief die Treppe hoch in den ersten Stock und wollte die Wohnungstür aufschliessen, als ich hinter mir ein Geräusch wahr nahm. Da war jemand! Ich drehte mich langsam um. ,,Mike?! Was machst du denn hier?'' Ich versuchte einigermassen ruhig zu bleiben, doch meine Knie schlotterten und meine Nackenhäärchen stellten sich blitzschnell auf. Himmel, was machte der hier? Wie hatte er mich gefunden? War Nico schon zu Hause? Ich konnte es nur hoffen...,,Na was wohl? Dich besuchen? In deinem neuen Zuhause bei deinem neuen Freund.'' ,,Hast du was dagegen?'' ,,Was? Gegen deinen Freund? Ne, überhaupt nicht. Ich hab nur was dagegen, dass du mich so abserviert hast und sogar zur Polizei gegangen bist.'' ,,Das ist Vergangenheit. Mit dir bin ich nun mal fertig. Lass es gut sein.'' ,,Nein, werd ich nicht.'' Er kam näher, gefährlich nahe. Ich stand mit dem Rücken schon an der Wand und er sah mir finster in die Augen. Ich versuchte immernoch mühsam mich unter Kontrolle zu halten und unbeschwert zu wirken. ,,Glaub nicht, dass du das mit mir machen kannst. Es wird dir noch leid tun, das versprech ich dir.'' ,,Was willst du von mir?'', fragte ich ihn und betonte dabei jedes Wort. ,,Ich will dir zurückgeben, was du verdient hast.'' ,,Wieso? Wieso kannst du es nicht einfach sein lassen? Du machst alles nur noch viel schlimmer.'' ,,So, ich mache also alles viel schlimmer? Schlimmer kann's für mich kaum noch werden. Jetzt bin ich an der Reihe. Und du hast diesmal keine Chance. Du Miststück.'' Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und lief die Treppe hinunter, raus und war weg. Ich stand immernoch schockiert an der Wand und merkte, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Was war das jetzt? Was hatte er bloss vor? Ich musste dringend mit Nico darüber sprechen!

 

*

 Nico lag bereits im Bett, war jedoch sofort hellwach, als ich ins Schlafzimmer kam. ,,Entschuldige, wollte dich nicht wecken.'' ,,Ach was, hast du doch gar nicht. Komm her.'' Er streckte mir seine Hände entgegen, ich erfasste sie und er zog mich zu sich unter die Bettdecke. ,,Na, wie war dein Abend?'' ,,Ganz ok.'' ,,Nur ok?'' Nico sah mich stirnrunzelnd an. Ich hatte beschlossen, ihm nichts von der Anmache von Tim zu erzählen. War ja nichts Ernstes gewesen und ich hatte ihm klar und deutlich meine Grenze gezeigt. Aber das von Mike...,,Wie lange bist du schon zu Hause?'' ,,Seit ungefähr zwei Stunden.'' ,,Und niemand stand vor der Tür?'' ,,Hm...nein, wieso fragst du?'' Jetzt oder nie! ,,Als ich vorhin die Treppe hochkam, stand Mike da. Ich habe ihn erst gemerkt, als ich die Tür aufschliessen wollte. Er stand hinter mir.'' ,,Was? Was wollte er von dir? Wieso hast du mich nicht gerufen?'' ,,Ich wusste ja nicht, dass du schon da warst. Ausserdem war ich viel zu geschockt und musste mich zusammenreissen, damit er mir die Angst nicht anmerken konnte. Er meinte, er wolle mir zurückgeben, was ich verdient hätte. Er ist sauer, weil ich Schluss gemacht habe und noch zur Polizei gegangen bin. Ich weiss nicht, was er vor hat, aber es ist jedenfalls nichts Gutes.'' ,,Wie hat er bloss unsere Wohnung gefunden?'' ,,Keine Ahnung. Dein Name kennt er gar nicht.'' Plötzlich wurde ich leichenblass im Gesicht und sah Nico an. Auch er war plötzlich ganz weiss um die Nase geworden. ,,Denkst du gerade, was ich denke?'', fragte ich tonlos. Er nickte. Es gab keine andere Variante als diese, dass er Nico gefolgt war. Hatte er uns beide im Visier oder wollte er nur herausfinden, wo ich wohnte? Ich hoffte auf das Letzte, da ich nicht wollte, dass Nico in Sachen verwickelt wurde, die nichts mit ihm zu tun hatten. ,,Was hat dieser Mistkerl nur vor?'', fragte Nico laut. Tja, Nicolein, wenn ich das nur wüsste. Ich seufzte tief. ,,He, du bist ja nicht alleine. Ich bin für dich da und sorge dafür, dass dir nichts passiert.'' Er legte seine Hände um mein Gesicht und küsste mich. Hach, ich verlor immer so schnell alles um mich herum, wenn er mich küsste. ,,Aber ich will nicht, dass dir etwas passiert, wo du doch gar nichts mit der ganzen Sache zu tun hast.'', wisperte ich leise. ,,Mir passiert schon nichts. Mit dem Typen werde ich schon fertig, mach dir da bloss keine Sorgen drum.'' Tja, das war leichter gesagt als getan. Aber jetzt war erstmals schlafen angesagt. Ich war nämlich hundemüde und sehnte mich nur noch nach der Nähe von Nico und dem Schlaf. ,,Gute Nacht, meine Süsse, ich liebe dich.'' ,,Gute Nacht, ich liebe dich auch.''

 

*

 Die nächsten Tage, abgesehen von Sonntag, den ich mit Nico zu Hause verbrachte, waren die reinste Hölle. Grund 1: Am Montag ging ich natürlich wieder zur Arbeit mit dem Bus. Da gabs erstmals und Gott sei Dank keine Probleme. Aber am Abend dann, als ich wieder auf den Bus für nach Hause wartete, bekam ich eine SMS.

 

Glaub nicht, dass ich dich in Ruhe lassen werde.

Ich hab noch viel vor mit dir.

 

Absender unbekannt. Naja, ich kannte den Absender ja trotzdem. Mike. Ich konnte die Nummer leider nicht anrufen, wenn diese unterdrückt war. Mist! Aber diese SMS würde ich jedenfalls behalten, falls sie später noch von Nutzen sein konnte.

Grund 2: Am Dienstagmorgen, es war noch ziemlich finster draussen, wolle ich mir kurz in der Bäckerei ein Brötchen für die morgendliche Pause kaufen. (Die Bäckerei lag nahe von meinem Arbeitsplatz, konnte also zu Fuss hingehen). Das schaffte ich ja noch. Aber auf dem Rückweg hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Ich drehte mich ein paar Mal um und dachte dann, dass ich jetzt völlig am Rad drehte. Doch, als ich gerade die Tür zum Hauptgebäude öffnen wollte, flog von hinten etwas an mir vorbei gegen die Scheibe. Ich erschrak natürlich und drehte mich abrupt um. Niemand zu sehen. Dieses Etwas war ein Papier, das um einen Stein gewickelt war. Also, eines musste ich zugeben: Diese Galsscheibe war wirklich sehr robust. Ich hob den Stein mit dem Papier auf und wickelte das Papier ab. An der Innenseite des Papieres stand in schwarzen Druckbuchstaben:

DU VERDAMMTE SCHLAMPE! DAS WIRST DU NOCH BEREUEN!

Grund 3: Vor lauter Schock wegen des Erlebnisses am Dienstag, blieb ich am Mittwochmorgen noch zu Hause. Ich hatte Nico alles erzählt und der wollte zur Polizei gehen. ,,Mach das bloss nicht! Wer weiss, was dann noch passiert.'' ,,Es wird sowieso noch einiges passieren. Mit dem Unterschied, dass wir eine grössere Chance haben dagegen anzukommen, wenn wir jetzt zur Polizei gehen.'' ,,Nein, noch nicht. Warten wir noch ein wenig ab. Vielleicht klärt sich das ja noch.'' Ich merkte, wie unüberzeugend ich klang und auch Nico sah mich stirnrunzelnd an. Ich wusste, dass dies völliger Schwachsinn war, von wegen klären und so. Aber ich hatte Angst. Angst, was noch alles passieren würde, Angst, dass Nico auch was zustossen könnte und Angst, wie ich jemals wieder heil aus dieser Sache herauskommen konnte. Vorausgesetzt, ich würde da heil rauskommen. Rauskommen selbst, war ja auch schon viel...

Grund 4: Mittwochnachmittag ging ich wieder zur Arbeit. An diesem Tag wurde ich verschohnt. Vielleicht auch, weil er dachte ich würde nicht kommen, weil ich morgens nicht da war. Egal. Es zählte nur, dass ich diesmal verschohnt blieb von irgendwelchen Attacken. Aber der 4. Grund kommt noch. Der war am Donnerstag. Ich war gerade im Keller (es war bereits Abend und ich dachte schon, auch heute würde ich verschohnt bleiben), als ich jemand die Treppe runterkommen hörte. Ich kannte die Schritte von Nico. Er war es nicht. Sonst ein Vermieter? Aber ich fühlte plötzlich wieder diese Angst in mir aufsteigen. ,Spinn ich jetzt total, oder....ist er...hier?' Ich drehte mich langsam um und schrie. ,,Ah!'' Doch mein Schrei wurde schnell von einer Hand erstickt. Mike! ,,Halt die Klappe, du blödes Weib und hör mir gut zu.'' Ich nickte. Was wollte er bloss von mir? Die Antwort erhielt ich keine Sekunde später: ,,Ich hoffe, du warst noch nicht bei der Polizei. Denn, wenn ich das herausfinde, gehts deinem Nico an den Kragen. Ich will, dass du morgen Abend um 20.00 Uhr zu mir kommst. Du weisst ja, wo ich wohne. Wenn nicht, dann darf dein Nico dafür büssen.'' Er nahm seine Hand wieder weg von meinem Mund ich fragte: ,,Wieso Nico? Wieso kannst du ihn da nicht rauslassen? Das geht nur uns beide etwas an.'' ,,Ganz einfach: Du liebst Nico und willst nicht, dass ihm etwas zustösst. Also würdest du sicher alles tun, damit deinem Nico nichts passiert. So einfach ist das. Also, morgen Abend nicht vergessen. Denk an deinen Freund.'' Bevor ich noch was erwidern konnte, war er auch schon wieder raus aus dem Keller, die Treppe hoch und weg. ,Himmel, was hat er mit mir vor??' Morgen Abend...Nico durfte also nichts davon erfahren. Ich würde ihm sagen, dass ich mit Anja ausgehen würde. Und Anja...ach, er würde bestimmt nicht auf die Idee kommen, bei ihr nachzufragen, ob das stimmt. Das war jetzt bloss mein schlechtes Gewissen, wofür ich eigentlich nichts konnte...

 

*

Und so komme ich schon zu Grund 5 und der war am schlimmsten. Ich erzählte Nico also, dass ich mit Anja ausgehen würde und er glaubte mir natürlich. Es war bereits Freitagabend um 19.30 Uhr. Ich wollte lieber zu früh los, als zu spät anzukommen. ,,Okay, dann viel Spass. Aber pass auf dich auf, ja?'', sagte er mir mit sanfter Stimme und küsste mich. Ach man, der machte es mir jetzt aber wirklich schwer, ihn so zu belügen. ,,Ich liebe dich.'', flüsterte ich und schlang meine Arme fest um ihn. ,,Ich dich auch. Meld dich, wenn du nach Hause kommst, ok?'' ,,Ja, mach ich.'' Ich schnappte meine Tasche, die nur Geldbeutel, Handy, Ohrstöpsel, ein Buch und Taschentücher beinhaltete und machte mich auf den Weg. Ich hatte genügend Zeit und konnte mich seelisch noch etwas darauf vorbereiten, was wohl gleich geschehen würde. Ich versuchte mich zu beruhigen. Egal wo ich war, überall hatte es Leute, die mich hören konnten, sollte ich anfangen zu schreien vor Angst oder sonst was. Ich setzte mich auf die Bank, bei der Bushaltestelle und begann nachzudenken (als ob ich mal nicht nachdenken würde..). ,Was will er von mir? Was hat er vor? Was soll ich tun?' Meine Gedanken drehten sich im Kreis und keine Antwort viel mir ein. Tja, die Antwort würde mir Mike geben oder zeigen. Welches war mir lieber?

20 Minuten später war ich dann bei Mike. Vor der Haustür stand ich. Naja, Wohnungstür besser gesagt. Und jetzt? Klingeln? Warten? Am liebsten gleich wieder gehen, aber das ging ja nicht. Leider. Gerade als ich mich dazu entschlossen hatte zu klingeln, wurde die Tür von innen aufgerissen und ein etwas längerer Typ als Mike es war, mit schwarzen langen Haaren und einem riesen Ring in der Nase, stand vor mir. Hätte am liebsten dran gezogen, wie  bei einem Stier, aber das hätte etwas seltsam ausgesehen. Bevor ich weiter in Gedanken versinken konnte, rief der Typ in die Wohnung: ,,Mike, da steht 'ne Tussi an der Tür! Ich geh jetzt, bye!'' Tussi? Also bitte! Ich sah dem Typen finster hinterher, als auch schon Mike an der Tür erschien. ,,Hey, komm rein.'' ,Das gibts ja nicht!', dacht ich bei mir. Der begrüsste mich tatsächlich so, als ob nichts wäre. Als ob ich normal zu ihm gehen würde, um was weiss ich was zu machen. Kaum zu glauben, dass dieser Mensch mich seit über einer Woche so sehr tyrannisiert. ,,Hallo.'', sagte ich etwas lustloser und stellte mich in den Flur. ,,Komm in die Küche, hab uns was zu Essen gemacht.'' Hä? War das jetzt ein Dinner oder was? Eigentlich war mir nicht nach Essen zu Mute. Wer weiss, was er im Essen drin hatte...Ach Quatsch! Der würde mich doch niemals irgendwie auf Drogen setzen oder so...Oder? ,,Spaghetti magst du doch so gerne, oder?'' Ja genau. Aber noch lieber mag ich Pizza und am Liebsten hab ich Lasagne. Spaghettis standen irgendwo weiter unten auf der Liste. Aber dieser Mensch war ja zu blöd, als dass er sich solch simple Dinge hätte merken können. ,,Ja, mag ich gerne.'' Mir war speiübel. Jetzt bloss nicht noch auf den Boden oder auf den Tisch kotzen. Ich setzte mich auf einen Stuhl und wartete. Auf dem Tisch standen ein paar Kerzen und ein paar Blümchen in der Vase. Zwei Weingläser und...Moment mal! Wollte der mich etwa abfüllen?? Der wusste doch, dass ich kein Wein trank. Ich trank so gut wie nie Alkohol. Ich würde jedenfalls kein Schluck davon nehmen. Was mir noch auffiel war, dass unsere Teller bereits gefüllt waren. Das machte die Sache noch verdächtiger. Es konnte wirklich sein, dass etwas in meinem Essen drin war, das in seinem Essen fehlte. ,,Ich dachte, wir könnten noch diesen Wein hier zu Ende trinken. Ein Rotwein.'' ,,Ähm, Mike? Ist ja eigentlich eine gute Idee, aber du solltest doch eigentlich wissen, dass ich weder Wein noch sonst ein alkoholisches Getränk zu mir nehme.'' ,,Ach komm schon. Ausnahmsweise, ja? Hab ihn extra noch auf die Seite gestellt, damit mein Bruder nicht gleich alles säuft.'' Ach, der vorhin war sein Bruder! Da hät ich ja gleich drauf kommen können. ,,Tut mir leid, aber ich bleibe dabei. Ich trinke nicht.'' ,,Dann halt nicht.'', brummte er und goss nur sich ein Glas voll ein. Jawohl, ein Glas VOLL. Mehr als genug, meiner Meinung nach. Naja, vielleicht war er es ja gewöhnt so viel zu trinken- das konnte sogar sehr gut möglich sein, aber trotzdem...Mir gefiel das Ganze nicht. Ich sah ihm an, dass er jetzt etwas schlechter drauf war, als vorhin. Aber das kannte ich ja bereits an ihm. Er war schnell beleidigt oder sonst einfach schlecht gelaunt. Ein sehr launischer Mensch eben. Gott sei Dank war Nico dadurch etwas anders. Wir begannen zu Essen. Er schien ganz harmlos. ,,Na, wie geht's dir so? Bei der Arbeit und sonst so.'', fragte er mich. Der hatte Nerven! ,,Ganz gut. Läuft überall gut.'' ,,Wirklich? Ist doch toll.'' ,,Jep.'', sagte ich, ohne ihn anzusehen. Was sollte ich schon dazu sagen? Es war ja eigentlich total krank, dass mich dieser Mensch das fragte, der mir solche Angst einjagte. ,,Und bei dir? Wie läufts?'' ,,Auch gut. Habe eine neue Wohnung bekommen, die ich nächste Woche schon beziehen werde und sonst läufts normal.'' Was hiess schon normal? ,Ja, nebenbei mache ich dir ein wenig Angst, verfolge dich und drohe dir deinem Freund was anzutun, wenn du nicht das tust, was ich von dir verlange. Aber sonst ist alles so wie immer.' ,,Und wo ziehst du dann hin?'', fragte ich so harmlos wie nur möglich, hoffte aber insgeheim, er würde ans andere Ende der Welt ziehen. Auch wenn dies nur ein Wunschgedanke war. ,,Gleich ins Nachbarsdorf. Ist ungefähr vier Kilometer entfernt von hier.'' ,,Okay.'' NUR 4 KILOMETER? Wieso nicht 400 oder 4000 Kilometer? Verdammt! Bisher schmeckten meine Spaghettis ganz gut. Aber wer weiss, was nachher noch alles passieren würde...

 

*

 Es ging zuerst ganz harmlos weiter. Nach dem Essen half ich beim Abräumen und fühlte mich die ganze Zeit voll unwohl und hatte auch Angst vor dem, was als nächstes geschehen würde.  ,,Willst du ein Film schauen?'', fragte er mich, nachdem die Küche wieder einigermassen Aufgeräumt war. ,,Ähm...können wir.'', meinte ich verwirrt. Was zum Henker hatte der Typ vor?? Wir gingen also ins Wohnzimmer und er zeigte mir die Auswahl an DVDs die er hatte. Natürlich vor allem Action, Krimis und -haha, ich glaubte, ich sah nicht richtig- Zeichentrickfilme! Am liebsten hätte ich laut losgelachen, aber ich schluckte das Lachen runter. Er wäre dann nur wieder unnötig sauer geworden. Ich entschied mich für einen Actionfilm, obwohl ich mich keine Spur dafür interessierte. Aber ich war ja eigentlich auch nicht gekommen, um mit ihm Filme zu schauen. Ich war gekommen, weil...naja, weil er mich bedroht hatte. Sonst wär ich ja jetzt nicht hier. Er legte den DVD in den Kasten und ich machte es mir derweil gemütlich so gut es ging. Hoffentlich würde der mir nicht zu nahe kommen. Ich hatte leider kein Pfefferspray dabei und auch noch nie welchen dabei gehabt. An sowas dachte ich gar nicht. Ich meine, ich war einfach zu naiv um zu kapieren, dass diese schlimmen Dingen mit Männern auch mir passieren könnten. Aber ja, jetzt war es zu spät und ich musste dann eben improvisieren. Er setzte sich zu mir und stellte noch die Sprache ein, dann ging's los. Bei der Werbung hatte er gespuhlt. ,Okay, ganz ruhig bleiben Lena', versuchte ich mich zu beruhigen. Gelang mir aber nur in Massen. Ich wollte ihn eigentlich fragen, was die letzten Terrorattacken sollten, aber irgendetwas sagte mir, dass ich dies lieber nicht tun sollte. Wieso auch immer. Ich versuchte mich auf den Film zu konzentrieren, aber auch acht zu geben, dass er mir nicht zu nahe kommen würde. Tja, da hatte ich wohl vergeben gehofft. Schon nach ein paar Minuten kamen die ersten Annäherungsversuche. Zuerst spürte ich seine Blicke von der Seite. ,Arrrrg! Hör auf mich so dämlich anzuglotzen!', dachte ich für mich. Ich musste mich sehr beherrschen dies zu ignorieren. Das Nächste konnte ich allerdings überhaupt nicht ignorieren. Er legte seine Hand auf mein Knie und strich sanft darüber. Meine Güte, Nico hätte sicher bereits den ersten Ausraster bekommen. ,,Lass das bitte.'', sagte ich leise bittend und nahm seine Hand weg. Jetzt war er bereits etwas eingeschnappt. Wenn ich gehofft hatte, dass er jetzt aufhören würde, so hatte ich mich geirrt. Das Nächste, das geschah, ging zu schnell, als dass ich mich hätte wehren können, vor dem -ich sag jetzt mal- Angriff. Er legte blitzschnell die eine Hand in meinen Jacken und die andere umfasste meine linke Gesichtshälfte (er sass rechts von mir), drehte meinen Kopf zu sich und küsste mich. Empört stiess ich ihn weg von mir und stand auf. ,,Sag mal, spinnst du eigentlich? Wieso hast du das gemacht?'' Ich sah ihn wütend an. Er stand auf und sagte wütend zu mir: ,,Wieso? Na, du kommst zu mir und was erwartest du da? Dass ich mich hinsetze und Däumchen drehe oder was?'' ,,Ehm, du hast mich gezwungen hierher zu kommen. Sonst wär ich jetzt nicht hier. Also, was ist der Sinn bei der ganzen Sache?'' ,,Ganz einfach; Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein. Es war doch so schön mit uns.'' Jetzt lächelte er und sah mich aus seinen blauen Augen lieb an. So hatte ich ihn kennengelernt und wusste mittlerweile, dass dies nicht sein wahres Gesicht war. ,,Ich liebe aber dich nicht! Das solltest du langsam echt mal kapieren. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Ich hasse dich!'' Ich drehte mich um und lief davon. Er hatte mich aber leider schnell eingeholt und hielt mich am Arm fest. ,,Du wirst dir noch wünschen, bei mir geblieben zu sein, dann hättest du diesen Ärger jetzt nicht. Aber da du ja nie das tust, was man dir sagt, muss es halt anders gehen.'' Ja genau. Ich tat nie, was man mir sagte. Mit 'man' meinte er sich. ,,DU hast mir schon mal gar nichts zu sagen. Ich gehöre nicht dir. Ich liebe Nico und werde nicht zulassen, dass du das kaputt machst.'' ,,So? Du lässt dies nicht zu? Keine Sorge, ich werde nichts kaputt machen, ich werde dich nur für eine Weile ausleihen. Mehr nicht.'' WIE BITTE??? ,,Was meinst du damit?'', fragte ich voll geschockt. Ich ahnte böses...,,Na, dass ich dich ausleihen werde. Hast noch nie was ausgeliehen?'' ,,Ja doch, aber ganz bestimmt nicht einen Menschen.'' ,,Wenn du das tust, was ich von dir verlange, lass ich dich bald wieder zu Nico zurück. Aber jetzt will ich dich noch ein wenig für mich haben.'' Seine Stimme hatte plötzlich einen dunklen gefährlichen Ton angenommen. Oh oh! Was war jetzt los? Wieso hatte ich keinen verdammten Pfefferspray dabei? Ich checkte unauffällig das Wohnzimmer aus um zu sehen, ob es was gab, das ich ihm an den Kopf hätte werfen können oder so. Ein paar Flaschen Bier standen rum (leider hinter ihm auf dem Tischlein beim Fernseher), der Fernsehapparat, ein paar Comics und sonst nicht viel mehr als Müll. Toll, und was jetzt? Meine Handtasche eignete sich nicht besonders gut dazu, ihm eine zu knallen, da ich nichts hartes drin hatte. Also ja, mein Handy tat mir da leid und das Buch würde auch nicht sehr viel bringen. Er kam näher. Langsam. Fies grinsend. Dunkle Augen mit einem seltsamen Glanz darin. Ich sah ihn wie hypnotisiert an und wich automatisch zurück. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Er packte mich diesmal bei beiden Armen, zog mich zu sich, küsste mich, zwängte mich zu Boden und legte sich auf mich. Ich versuchte ihn wegzustossen und schrie um Hilfe. ,,Nein! Hör auf! Lass mich! Hilfe! Hilfe!'' ,,Halt die Klappe, du Miststück!'' Ich schrie jedoch weiter und plötzich fühlte ich einen Schlag auf dem Kopf, sah nur noch Schwarz und viel in eine tiefe Dunkelheit.

 

*

 Als ich endlich wieder zu mir kam, wusste ich zuerst nicht, wo ich war, was passiert war und ob noch alle Knochen ganz waren. Ich bewegte mich vorsichtig. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Kopf und ich nahm jetzt den harten und kalten Boden unter mir wahr. Ich befühlte mit meiner rechten Hand vorsichtig den Kopf an der Stelle, an der ich den Schmerz am heftigsten spürte. Da es ziemlich dunkel war in diesem Keller und ich mich erst an die Dunkelheit gewöhnen musste, blieb mir nichts anderes übrig, als dass ich mir meinen Finger in den Mund schob um zu schmecken, ob ich blutete. Tatsächlich. Ich schmeckte Blut, aber trockenes. Die Wunder war also bereits wieder getrocknet. Na toll. Woher kam die Wunde? Ich erinnerte mich schwach an einen dumpfen Schlag auf den Kopf. Was das wohl gewesen sein mochte? Egal. Ich kontrollierte, ob ich meine Arme, Beine, Füsse und die restlichen Knochen noch spürte. Mein Rücken schmerzte. Dies lag bestimmt am Boden. Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. Der wird mich doch nicht etwa ver....Ich konnte den Gedanke nicht zu Ende denken. Was wenn doch? Ich hatte die Kleider noch und ich fühlte nirgends ein Loch oder ein Riss oder sonst was in der Art. Meine Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Ich sah links und rechts von mir nur die Kellerwände. Es war ein ziemlich kleiner Keller. Hinter mir ein kleines Fenster weit oben an der Wand, wo ich nicht hindurch passte. Ein paar Meter weiter vor mir waren fünf Stufen, die zur Tür führten. ,Wieso hat er das getan? Was hat er bloss vor mit mir?' Mir kam meine Handtasche und mein Handy in den Sinn. Die Handtasche lag neben mir auf dem Boden. War noch alles drin. Sogar mein Handy. Aber ich hatte ja eh kein Empfang. Ich sah auf die Uhr meines Displays. Es war bereits fünf Uhr morgens. Ich war also ungefähr sieben oder acht Stunden ohnmächtig gewesen. Obwohl ich mir denken konnte, dass die Tür abgeschlossen war, stand ich vorsichtig auf und schwankte zur Tür hin. Ja, sie war abgeschlossen. Eine Holztür war es. Dunkles Holz. Wenigstens etwas, das nicht nach Mauer und Stein aussah. Ich ging zurück zu meiner Handtasche und lehnte mich in eine Ecke, schräg neben der Wand mit dem Fenster. Ich zog meine Beine an und legte meine Arme drumherum. So wurde mir wenigstens ein bisschen wärmer, als mir war. Äusserlich ging es ja noch, aber innerlich war mir eiskalt ums Herz.

 

Ein paar Stunden später bei Mike in der Wohnung.

,,Was hast du mit ihr gemacht?'', fragte mich mein Bruder ungläubig. ,,Na, ich hab sie eben k.o. geschlagen. Also, nur eine Bierflasche auf den Kopf. Kann ja auch nichts dafür, wenn sie so wenig erträgt.'' ,,Sag mal, spinnst du? Wo ist sie jetzt?'' ,,Im Keller. Ich hab ihr gesagt, dass ich sie noch eine Weile für mich haben will. Sie wollte gehen und da hab ich eben reagiert.'' ,,Reagiert? Wohl etwas überreagiert.'' ,,Ja, was hätte ich denn sonst tun sollen? Während dem Film durfte ich sie ja auch nicht anfassen.'' ,,Weil sie dich vielleicht nicht mehr liebt?'' ,,Doch, sie liebt mich noch. Das weiss ich. Aber sie will es nur nicht wahrhaben.'' ,,Ich dachte, sie hätte einen Freund.'' ,,Hat sie auch, aber das ist nur vorübergehend. Eigentlich liebt sie immernoch mich.'' ,,Aha. Und jetzt? Was hast du mit ihr vor?'' ,,Das weiss ich noch nicht genau. Mir wird schon was einfallen.'' Mein Bruder sah mich kopfschüttelnd an und ging in sein Zimmer. Kurze Zeit später dröhnte laute Musik durch die Wohnung. Ich genehmigte mir ein Bier und liess mich auf's Sofa fallen. Mal sehen, was das Fernsehprogramm heute so zu bieten hatte.

 

,Was wohl Nico gerade macht?', überlegte ich. ,Hatte er mein Verschwinden bereits gemerkt? Hat er sich bereits bei Anja erkundigt? Oder schläft er noch tief und fest?' Immerhin war es gerademal halb neun und Nico war genauso wie ich ein Langschläfer. Ich horchte in mich hinein. Ich hatte keine Angst. Ich war auch nicht wütend. Ich war leer. Erschöpft. Hoffnungslos. Wann würde dieser Albtraum ein Ende nehmen? Und vor allem: Wie? Wollte ich es überhaupt wissen? Wieso passierte dies ausgerechnet mir? Naja, es passierte laut Nachrichten vielen anderen Mädchen auch. Das erfuhr man dann erst Jahre später, wenn man sie fand oder sie sich befreien konnten. Wie es mir wohl ergehen würde? Fand man mich oder konnte ich mich irgendwann selbst befreien? Oder liess Mike mich plötzlich doch noch gehen? Nein, das war eher unwahrscheinlich. Ich seufzte vor mich hin. Wenn ich doch bloss bei Nico geblieben wäre oder ihm oder Anja wenigstens Bescheid gegeben hätte, dass ich bei Mike sei und nicht wisse, was er von mir wollte. Aber nein, ich hatte viel zu grosse Angst, dass er Nico was antun könnte. Dabei...Vielleicht würde er das so oder so tun. Ich konnte nur hoffen, dass er ihn in Ruhe lassen würde.

 

*

 Die Sonne schien durch's Fenster direkt auf mein Gesicht. Oh man! Wie ich das hasste! Ich schaute halbverschlafen auf die Uhr meines Weckers. Es war neun Uhr. Erst jetzt fiel mir auf, dass Lena nicht neben mir im Bett lag. Ob sie bei Anja übernachtet hatte? Nein, ich glaube davon hat sie nichts gesagt. Mit Anja ausgehen. Von mehr war keine Rede. Vielleicht hatte sie ja spontan entschieden. Ich fischte nach meinem Handy und sah auf das Display. Keine Nachricht von Lena. Vielleicht war sie ja so betrunken gewesen, dass sie es vergessen hatte? Nein, Lena trank nie. Also war sie vielleicht einfach todmüde gewesen und mochte nicht auch noch eine Nachricht eintippen. Auch, wenn das etwas komisch klang, machte ich mir im Moment keine weiteren Gedanken darüber. Mich ärgerte immer noch diese Sonne. Ja, ich mochte schönes Wetter natürlich schon. Aber doch nicht am morgen früh um neun an einem Samstag, wo ich ausschlafen konnte. Also, entweder umdrehen und weiterschlafen oder aufstehen und Frühstücken gehen. Ich entschied mich für das Erste und drehte mich auf die andere Seite. Jetzt konnte weitergeträumt werden.

 

*

 Ich schreckte hoch, als ich die Tür quitschen hörte. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Mir war kalt. Sehr kalt. Angst hatte ich immer noch keine. Plötzlich stand Mike vor mir. ,,Na, gut geschlafen?'' ,,Mir ist kalt.'', sagte ich wie ein unzufriedenes kleines Mädchen, das ein Eis haben möchte und dies nicht bekam. ,,Ich hole dir eine Decke, dann wird's dir gleich wärmer.'' ,,Mir würde es auch wärmer werden, wenn du mich aus diesem Drecksloch befreien würdest.'' ,,Das geht leider nicht. Hast du Hunger?'' ,,Nein.'' ,,Na gut. Ich hole jetzt eine Decke und was zu Trinken, damit du nicht noch verdurstest. Bin gleich wieder da.'' Er lächelte mich an und ging wieder. Mein Gott! Dass er nicht ganz klar tickte, war mir schon lange klar. Aber, dass er SO krank war im Kopf, das erschreckte mich doch ein wenig. Immerhin bekam ich jetzt eine Decke. Auch, wenn mir die Wärme von der Freiheit lieber gewesen wäre.

Keine fünf Minuten später kam Mike zurück mit einer Wolldecke, einer Flasche Wasser und etwas zu Knabbern. Okay, ein wenig Hunger hatte ich jetzt schon. Aber ich sehnte mich am meisten nach Nico's Armen und Wärme seines Körpers. ,,Hier, bitte sehr, mein Schatz.'' ,,Ich bin nicht dein Schatz.'', knirschte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. ,,Was denn dann? Dir kann man es einfach nicht recht machen. Ich durfte dich nie Schatz nennen, Baby hast du auch nicht gern gehört und meine anderen Favoriten passen dir auch nicht.'' ,,Wenn wir schon dabei sind: Du durftest nie und wirst es auch nie dürfen, weil das mit uns Geschichte ist! Kapier das endlich. Ich will nichts mehr von dir wissen, nichts mehr mit dir zu tun haben und dich nie wieder sehen. Also, lass mich hier raus und lass mich in Zukunft in Ruhe, kapiert?'' Jetzt sah er mich abwesend an. Er hasste es, wenn man ihm Befehle erteilte oder man nicht so funktionierte, wie er es gern gehabt hätte. ,,Du bist selbst Schuld, dass du jetzt hier sitzt. Ich komme später nochmal runter. Mach's dir inzwischen gemütlich.'', meinte er kühl und ging wieder. Gemütlich? Dazu bräuchte ich noch ein Kissen, Musik, ein Fernseher und etwas mehr Licht. Aber das hatte ich hier alles nicht. Ausser Musik. Aber der Akku meines Handys war nicht mehr so voll. 34% hatte ich noch. Wie lange die wohl noch ausreichen würden? Umso weniger ich es brauchte, desto länger hielt mein Handy wohl durch. Aber ich konnte es ja so oder so nicht gebrauchen ohne Empfang. Mal abwarten, was noch alles passieren würde.

,,Hat sie was zu Essen bekommen?'' ,,Klar. Meinst du, ich lasse sie einfach so verhungern?'' ,,Ne, schon nicht. Und was hast du jetzt mit ihr vor?'' ,,Ich werde ihr nachher mal ein wenig die Langeweile vertreiben.'' ,,Und wie?'' ,,Ich beweise ihr, dass sie mich noch liebt und dass ich der Richtige für sie bin.'' ,,Aha...viel Spass.'' ,,Danke, den werd ich bestimmt haben.'' Selbstsicher ging ich auf den Balkon und paffte eine Zigarette. Das Wetter war schön, die Sonne schien und meine grosse Liebe wartete im Keller darauf, dass ich mich gleich zu ihr gesellen würde. Besser konnte mein Leben im Moment gar nicht laufen.

Wieder quitschte die Tür. Konnte er diese verdammte Tür nicht wenigstens ein bisschen Ölen, wenn er mich schon in diesem arschkalten Keller festhalten musste?! ,,Na, hast du mich schon vermisst?'' ,,Sollte ich?'', fragte ich gespielt verwundert und hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht. Jedenfalls ignorierte er meine Gegenfrage und kniete sich vor mich hin. ,,Hör mal zu. Ich erkläre dir jetzt, wie das hier läuft.'' Wie bitte? Meine Augen wurden Kugelrund und ein riesiges Fragezeichen stand in meinem Gesicht. ,,Du tust, was ich verlange und deinem Nico wird's gut gehen. Weigerst du dich, darf sich dein Nico auf ein paar kleinere Überraschungen gefasst machen.'' ,,Ü...Überraschungen?'' ,,Genau. Überraschungen. Was für welche das sein werden, weiss ich noch nicht. Aber ich denke mal, du willst nicht, dass deinem Nico was passiert und daher mach ich mir jetzt noch nicht gross Gedanken darüber.'' ,,Okay.'' Meine Stimme wurde zu einem Flüstern und am liebsten hätte ich geweint. Was hatte dieser Mistkerl bloss mit mir vor? Ich würde es gleich erfahren. Er lächelte mich lieb an und kam näher. ,Oh nein. Der wird mich doch jetzt nicht...' Doch, tat er. Er küsste mich und das etwas zu lange. Am liebsten hätte ich gekotzt. Als er sich endlich wieder von mir entfernte, erzwingte ich mir ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Mir war nun etwas bewusster geworden, dass ich Nico nur beschützen konnte, wenn ich dieses Spiel mitmachen würde. Allerdings hoffte ich sehr, dass Mike ihm nicht so oder so was antun würde. Ich würde es ja wohl nicht einmal erfahren...Schon nur dieser Gedanke bereitete mir Herzschmerz und Übelkeit. ,,Ich geh jetzt was essen und komme dann wieder runter. Soll ich dir noch was mitbringen?'' Ja, meine Freiheit und ein Becken zum Kotzen. ,,Ne, brauche nichts.'' ,,Na dann, bis gleich.'' Er zwinkerte mir zu, erhob sich und ging. Ich atmete erleichtert aus und begann zu weinen.

 

*

Das zweite Mal, als ich erwachte, waren die Zeiger meines Weckers bereits auf halb elf gekrochen. Immer noch keine Nachricht von Lena. Hmm...so langsam begann ich mir doch ein wenig Sorgen zu machen. Es sah Lena gar nicht ähnlich, dass sie sich so lange nicht meldete. Ob ich mal Anja anrufen sollte? Lena hatte die Telefonnummern ihrer Arbeitskollegen im Kalender eingetragen. Ich stand auf, lief ins Bad um mich mit einer handvoll Wasser zu wecken. Hmm...ich könnte zwar zuerst auf's Handy von Lena anrufen. Kurz entschlossen wählte ich auf meinem Handy Lenas Nummer und drückte auf den grünen Hörer. Die Verbindung wurde hergestellt und es begann zu tuten. Tuut-tuut-tuut-tuut-pling-,Der gewählte Nutzer ist im Moment nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton.' Ich legte auf. Das war sehr komisch. Vielleicht war der Akku bei ihr leer. Konnte sein. Dann würd ich eben doch bei Anja anrufen. Hoffentlich war Lena bei ihr. Ich ging in die Küche und blätterte den Kalender durch. Lena hatte die Telefonnummern dort eingetragen, wo der- oder diejenige Geburtstag hatte. Sowas hatte ich noch nie gemacht, aber jetzt fand ich es eine super Idee. Ich wählte ihre Nummer und wartete ab. Nach ein paar Sekunden nahm jemand den Hörer ab. ,,Anja Friemann, hallo?'' ,,Hallo Anja, hier ist Nico.'' ,,Nico? Hallo, wie geht's dir?'' Ich konnte die Verwunderung aus ihrer Stimme heraushören. ,,Eigentlich ganz gut und dir?'' ,,Mir auch. Bin zwar noch müde, aber kann ja nicht den ganzen Tag im Bett bleiben.'', lachte Anja. ,,Da hast du Recht. Du, ich wollte nur mal fragen, ob es dir und Lena gut geht. Wart ihr lange aus, dass du jetzt so müde bist?'', fragte ich und grinste. Doch keine zehn Sekunden später verging mir das Lachen. Am anderen Ende war es zuerst still, dann fragte Anja: ,,Ich und Lena? Wie kommst du darauf? Ich war gestern Abend mit meinem Freund im Kino und dann waren wir noch was Essen. Deshalb bin ich müde.'' Ich sagte nichts mehr. Lena war nicht bei Anja und sie war auch nicht mit ihr ausgegangen. Wo zum Teufel steckte Lena denn dann? ,,Nico? Ist alles in Ordnung bei dir? Was ist mit Lena?'' Ich seufzte. ,,Wenn ich das wüsste.'' ,,Was meinst du damit? Nico, sag mir was los ist.'' Sie klang nun ziemlich aufgeregt und aufgelösst. ,,Ich weiss es nicht. Lena...sie sagte mir gestern, sie würde mit dir ausgehen und als sie heute morgen nicht neben mir im Bett lag, dachte ich, sie hätte bei dir übernachtet. Aber sie hat mir keine SMS geschrieben seit sie weg ist und jetzt wo ich weiss, dass sie nie mit dir aus war, mach ich mir doch ein wenig Sorgen.'' ,,Moment, sie sagte, sie wäre bei mir?'' ,,Ja.'' ,,Und seit sie gegangen ist, hast du nichts mehr von ihr gehört?'' ,,Nein.'' ,,Hast du eine Ahnung, was sie vorhatte oder wo sie jetzt sein könnte?'' ,,Ich habe gehofft, sie wäre bei dir aber jetzt weiss ich gerade gar nichts mehr.'' ,,Seltsam...Hast du ihr schon auf's Handy angerufen?'' ,,Ja, aber es geht nur die Combox an.'' Ich zögerte kurz und fragte dann vorsichtig: ,,Also eigentlich glaub ich es ja selber nicht, aber ist dir irgendwas aufgefallen, dass sie vielleicht jemand anderes....kennengelernt hat?'' ,,Nein. Sie liebt dich, das weiss ich. Sie hat sich nie mit einem anderen getroffen und nicht mal geflirtet. Sie ist dir treuer als man sein kann.'' ,,Okay, gut. Danke dir. Ich werde jetzt mal überlegen, was ich tun könnte. Melde dich bitte, wenn du was rausfindest oder erfährst, ja?'' ,,Klar mach ich. Du aber auch. Viel Glück.'' ,,Danke.''

 

*

Meine Verzweiflung wurde mit jeder verstrichener Sekunde etwas grösser. Mein Handy zeigte einen Anruf von Nico an. Wegen diesem scheiss Kellerloch hatte ich keinen Empfang und konnte ihm nicht mal eine SMS schreiben. Jetzt hatte er wenigstens gemerkt, dass ich verschwunden war. Und jetzt? Er würde sicher nicht draufkommen, dass ich bei Mike im Keller war. Scheisse! Scheisse! Scheisse! Ich könnte toben vor Wut. Aber was würde mir das bringen? Wahrscheinlich nur Ärger mit Mike und ein Risiko, dass er Nico was antun würde. Es war jetzt bald Mittagszeit. Mir war übel. Ich durfte gar nicht ans Essen denken. Aber ich konnte ja nicht nichts essen. Vorausgesetzt, Mike würde mir wieder was bringen. Etwas Warmes wäre nicht schlecht. Und noch mehr Wasser. Ich hatte die Flasche fast leer. Es war eine Einliter-Flasche. Und Duschen würde ich auch gerne. Doch dieser Gedanke machte mir Angst. Was, wenn Mike mich nicht alleine Duschen liesse...? Ich durfte gar nicht dran denken. Vielleicht konnte ich mich ja auch im Bad einschliessen? Ich wollte wenigstens die Haare waschen. Da konnte er mir eigentlich nicht zu nahe treten. Ausser, dass er mir die Haare einshampoonieren würde. Aber damit konnte ich besser leben, als wenn er mit mir unter die Dusche stehen wollte. ,Mensch Lena, denk jetzt nicht an sowas. Du musst jetzt einen kühlen Kopf bewahren und wachsam sein, verstanden?' Auch wenn es mir schwerviel einen kühlen Kopf zu bewahren, meine innere Stimme hatte Recht. Aber ich konnte ja nicht Tag und Nacht wach sein um zu verhindern, dass er mit mir im Schlaf was anstellen würde. Ach Nico! Hilf mir doch!! Mir kamen wieder die Tränen. Ich liess ihnen freien lauf. So wie es aussah, würde ich länger hier drin bleiben und daher wollte ich die Tränen nicht unnötig zurückhalten. Das würde ich auf Dauer eh nicht aushalten.

 

Ich nahm ein Tablett aus dem Schrank und stellte die beiden Teller, die gefüllt waren mit Lasagne drauf. Ich wusste, dass sie gerne Lasagne hatte. Und dazu noch eine Flasche Cola. So, das sollte genügen. Es war ja so schön, dass sie endlich bei mir war. Und auch eine Weile bei mir bleiben würde. Es würe sicher nicht mehr lange dauern bis sie begriff, dass sie zu mir gehörte. Dieser Nico war nicht gut für sie. Der passte nicht zu ihr. Als ich gerade das Tablett in die Hand nehmen wollte, klingelte es an der Tür. Wer das wohl sein mochte? Ich stellte das Tablett wieder zurück auf den Tisch und ging zur Tür.

 

*

Ha! Mir war ein Blitzgedanke gekommen. Was, wenn sie bei diesem kranken Psychotyp war? Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass sie freiwillig zu ihm gehen würde, aber eine andere Option, wo sie sein könnte, kam mir im Moment nicht in den Sinn. Ich nahm mein Handy, zog mir die Schuhe an, schloss die Eingangstür ab und machte mich auf den Weg zum Bus. Ich wusste zum Glück wo er wohnte. Hoffentlich war mit Lena alles in Ordnung. Ich hatte ein komisches Gefühl. Konnte es sein, dass er tatsächlich so krank war und Lena zu sich gelockt hatte? Der Bus kam. Ich stieg ein und je näher der Bus meinem Ziel kam, desto seltsamer fühlte ich mich. Es war nicht schwer seine Wohnung zu finden. Ich lief die Treppe hoch in den ersten Stock. Ohne zu Zögern klingelte ich.

 

*

Als ich die Tür öffnete, war ich zuerst etwas überrascht, hatte mich jedoch gleich wieder im Griff und grinste ihn kühl an. ,,Was willst du?'' ,,Zu Lena.'', antwortete Nico bestimmt und sah mich dunkel an. ,,Sie ist nicht hier.'' ,,Davon würde ich mich gerne selber überzeugen.'' ,,Okay, komm rein.'' Etwas verwundert aber immernoch bestimmt betrat Nico meine Wohnung, durchsuchte gleich jedes Zimmer und auch Badezimmer und lief dann gleich in die Küche. Ich lief ihm hinterher, da kam er aber schon wieder zurück und fragte mich mit schneidender Stimme: ,,Wo ist sie?'' ,,Habe ich doch bereits gesagt. Hier ist sie nicht.'' ,,Das seh ich auch. Wo ist sie dann?'' ,,Woher soll ich das wissen?'', fragte ich belustigt. Er packte mich am Kragen und drohte: ,,Ich warne dich. Ich finde raus wo sie ist und wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, bist du dran.'' Er stiess mich unsanft weg und verliess mit einem lauten Knall die Wohung. Da hatte ich ja nochmals Glück gehabt. Er würde nie rausfinden wo sie war. Wenn er wüsste, wie nahe er gerade bei ihr war...Aber er wusste und ahnte ja noch nichtmal was. Und ich würde dafür sorgen, dass dies auch weiterhin so bleiben würde. Er brauchte gar nicht zu glauben, dass er mich einschüchtern oder bedrohen konnte. So leicht liess ich mich nicht in die Enge treiben.

 

*

Ich schreckte auf, als ich den lauten Knall einer Tür hörte. Da musste jemand sehr wütend sein. Mir kam der Gedanken, dass es vielleicht Nico gewesen sein könnte. ,Ach was. Er weiss doch gar nicht wo ich bin.' Und wenn, dann wäre er hier runter gekommen. Aber wie sollte jemand ahnen, dass ich hier unten war? Wenn jetzt Anja verschwunden wäre, würde ich auch nicht so schnell draufkommen, wo sie sein könnte- auch wenn es noch so logisch sein mochte. Ich konnte nur hoffen, dass Nico nochmals einen Besuch bei Mike abstatten würde und mich früher oder später (lieber früher als später) finden würde. Nicooo!!!

 

*

Verdammte Scheisse nochmal! Wo war Lena? Was war passiert? Ging es ihr gut? War sie verletzt? Lebte sie überhaupt noch? Am liebsten hätte ich eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber ich wusste aus dem Fernseher, dass man eine vermisste Person erst nach 24 Stunden suchen würde. Lena war 'erst' 12 Stunden verschwunden. Ich überlegte mir, was ich noch tun könnte. Ich konnte nicht einfach nichts tun. Es war einfach zum Verzweifeln. Wieso gerade Lena? Mein Engel, mein Ein und Alles. Ich würde es nicht ertragen, wenn ihr etwas zustossen würde, wenn sie plötzlich tot aufgefunden werden würde. Ich durfte gar nicht daran denken. Ich würde jetzt mal nach Hause zurückgehen und in Ruhe dokumentieren, wann ich sie das letzte Mal sah und so weiter. Vielleicht fiel mir ja plötzlich eine weitere Möglichkeit ein sie zu finden. Die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt.

 

*

Quitschend wurde die Kellertür ein weiteres Mal aufgeschlossen. Arrrg! Das ging mir ja sowas von auf die Nerven. ,,Kannst du diese beschissene Tür nicht ein wenig einölen? Dieses Gequitsche geht mir total auf den Wecker.'' ,,Mach ich, Schatz.'' ,, Nenn. Mich. Nicht. Schatz. Verdammtnochmal!'' ,,Okay, wie soll ich dich dann nennen?'' ,,Wie wär's mit Lena?'' ,,Aber das ist doch langweilig. Ein Übernahme gibt sich doch jedes Paar.'' Vorausgesetzt, man war ein Paar und das war bei uns eindeutig nicht der Fall. Aber er war ja vom Gegenteil überzeugt. ,,Ich hab dir was zu Essen mitgebracht. Ich esse auch hier, damit du nicht so alleine bist.'' Essen? Als ob ich jetzt einen Bissen herunterkriegen würde. Aber ja, ein Löffelchen für mich, ein Löffelchen für Nico und ein Löffelchen für Anja, dann hatte ich eine gute Tat vollbracht. Mehr brachte ich absolut nicht runter. Als er den Teller vor mir abstellte sah ich, dass es Lasagne war. ,,Die magst du doch so gerne.'', meinte er mit weicher Stimme. Und eine Flasche Cola? WOW! Okay, das war bisher das Beste an dem ganzen Mist. Und mit dem Löffelchen für Nico und Company würde erstmal nichts werden, da ich nur eine Gabel und ein Messer zur Verfügung hatte. Dann eben ein Gäbelchen für Nico und so weiter. Ich nahm einen kleinen Bissen. Sie war zwar lecker, aber Hunger hatte ich immer noch nicht wirklich. ,,Na, schmeckt's dir?'' ,,Ja.'' Während dem Essen sprachen wir so gut wie kein Wort. Als wir dann fertig waren (ich hatte mit Müh und Not die ganze Portion runtergewürgt), räumte er beide Teller auf das Tablett und schob es zur Seite. ,,Jetzt haben wir noch ein bisschen Zeit für uns.'' Achja? Von mir aus musste das nicht sein. Aber ja...mir blieb nichts anderes übrig. Er beugte sich zu mir und küsste mich wieder. Ich versuchte mir vorzustellen, dass es Nico war. Nach einer Weile gelang mir das auch und ich versuchte mich etwas zu entspannen. Es gelang mir gerade so lang, bis Mike seine Hand unter meinen Pullover schob und mich streichelte. Was würde ich jetzt alles dafür geben, dass es Nicos Hand sein könnte! Er schob seine Zunge in meinen Mund. Verdammt! Wann konnte dieser Albtraum endlich ein Ende nehmen? Ich war nahe dran ihn weg zu stossen und wäre am liebsten durch die Tür geflohen. Moment...Wenn er hier war, schloss er die Tür nie zu und so hätte ich doch die Möglichkeit zu fliehen...Ich musste nur genug schnell sein, damit er mich nicht einholen konnte. Sollte ich es wagen? Jetzt? Ich könnte ein paar Minuten später draussen frei herumlaufen und Hilfe holen. Aber nur, wenn ich es schaffen würde. Sollte ich es riskieren? Einmal musste es ja sein. Meine Reaktion folgte schneller, als dass ich den Gedanken richtig zu Ende hätte denken können und ich stiess ihn mit einer heftigen Wucht zurück, sprang auf und musste aufpassen, dass ich nicht stürzte, da ich total wackelige Knie hatte. Ich rannte zur Kellertüre, die paar Stufen hoch, landete im Vorraum wo nochmals eine Tür war, die dann die Treppe hoch auf's Parterre führen würde. Und zurück in die Freiheit. Doch ich hatte mich schon zu früh gefreut. Als ich gerade im Vorraum ankam und die zweite Türe öffnen wollte, packte mich jemand von hinten am rechten Arm zu sich herum und knallte mir eine ins Gesicht. Ich verlor das Gleichgewicht und viel zu Boden. Verdammt! Wieso war der so schnell? ,,So leicht kommst du mir nicht davon.'', sagte er mit wütender Stimme, zog mich am linken Arm wieder hoch und stiess mich unsanft vorne weg, er hinterher und stiess mich zurück in den Keller. Ich fiel die Stufen runter auf meine Knie. Autsch! Der Schmerz durchzuckte mich und ich unterdrückte ein Stöhnen. ,,Selber Schuld! Wenn du glaubst, du könntest dich so leicht davon machen, hast du dich geschnitten. Das wirst du noch bitter bereuen.'' Scheisse! Ich hatte gar nicht mehr dran gedacht, dass nun Nico für meinen nicht gelungen Fluchtversuch büssen würde. Mir wurde eiskalt und ich begann am ganzen Körper zu zittern. Mein Nico! Er durfte ihm nichts antun. ,,B...bitte tu...N...Nico nichts an. Ich tue auch a...alles w...was du w...willst.'' ,,Das hab ich ja vorhin gesehen.'', meinte Mike finster, der nun vor mir auf der zweiten Stufe sass. Ich klammerte mich an seine Hände und flehte ihn an. Jawohl, ich flehte. Aber ich glaubte nicht, dass es viel bringen würde. Er grinste mich siegessicher an, nahm meine Hände in seine Hände und sagte liebevoll: ,,Ich komme heute Abend wieder. Ruh dich ein wenig aus. Du musst heute Abend fit sein.'' Ohje, was hatte das wohl schon wieder zu bedeuten? Er erhob sich, schloss die Türe ab und ich setzte mich wieder in meine Ecke und versuchte mich etwas zu beruhigen. Irgendwann holte der Schlaf mich ein.

 

*

 Ich fühlte eine warme Hand, die sanft über mein Gesicht strich. Über meine Haare, den Hals entlang. Ein Daumen, der ebenso sanft über meine Lippen strich. Langsam öffnete ich meine Augen und blicke in zwei stechend blaue Augen. Ohje, der Albtraum ging weiter. Mike lag neben mir auf dem Boden und sah mich verliebt an. Sollte ich jetzt so zurückschauen? Das konnte er vergessen. Das brachte ich ohnehin nicht zu Stande. ,,Na, hast du gut geschlafen?'' Erwartete der jetzt ernsthaft von mir, dass ich mit ,Ja, ich habe gut geschlafen' antworten würde? Der hatte absolut nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und ich hab es mit dem ein GANZES JAHR ausgehalten! Ich glaube, hiermit wäre meine Geduld also bewiesen. Ich würde nie wieder behaupten, keine Geduld zu haben. Ich hatte davon eindeutig zu viel! ,,Was glaubst du, wie man in einem kalten Keller auf dem kalten Boden schläft?'' ,,Ich kann dir sonst auch noch eine Bodenmatte bringen.'', schlug er beinahe erschrocken vor. ,Himmel, was soll ich bloss tun?!?!' ,,Mit einem normalen Bett wäre ich auch ganz zufrieden.'' ,,Tja, das wird etwas schwierig ein Bett hier runter zu bekommen. Eine Matratze würde wohl gerade noch gehen.'' Mensch! Am liebsten hätte ich ihn gegen die Wand geknallt. Aber ich war zu müde, erschöpft und hoffnungslos. ,Soll dieser Mistkerl doch mit mir machen was er will.', war mein letzter Gedanke, bevor er zur Sache kam. Jawohl, zur Sache. Man kann sich sicherlich denken, was das bedeutet. Achje, Nico, wo bist du nur??!!!!

Heisst es nicht, wenn man in Gefahr sei, dass das jemand spüren kann, der sehr stark mit einem verbunden ist? Wie jetze zum Beispiel eine Mutter, ein Geschwister oder eben der Partner. Wenn ja, brachte mir das jetzt absoult rein gar nichts. Niemand stürzte in der letzte Sekunden die Kellertreppe hinunter um zu verhindern, dass sich dieser kranke Typ mit mir vergnügte. So lief es sonst in Filmen immer ab. Aber hier in der Realität, war es etwas anders. Es war eben die Realität. Knallhart und ohne Erbarmen. Ich lag neben Mike auf dem Boden, zitternd und versuchte mich mühsam zu beherrschen, nicht los zu weinen. Mike hatte genüsslich einen Arm um mich gelegt und merkte wohl nicht mal, dass ich halb schlotternd wie ein Brett auf dem Boden lag. Ich starrte die ganze Zeit zur Decke und versuchte irgendwas zu suchen, was mich etwas ablenken würde. Flecken, Löcher, Risse...irgendwas halt. Aber das war gar nicht so einfach.

Mike schlief. Ich hörte seinen Atem nahe an meinem Ohr. Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, dass Nico neben mir liegen würde. Das klappte ziemlich gut und ich verlor mich schnell in Gedanken. Nico und ich, als wir uns das erste Mal seit Jahren wieder begegneten. Nico und ich, wie wir ausgegangen sind und er sich in mich verliebte (ich war ja schon in ihn verliebt). Nico und ich, als wir uns das erste Mal küssten. Als wir das erste Mal zusammen geschlafen haben. Als wir das erste Mal zusammen ins Kino gingen. Als ich zu ihm zog (auch, wenn das nicht unter schönen Umständen geschehen war). Und dieser Gedanke beförderte mich wieder ins Hier und Jetzt. Hoffentlich würde Mike bald aufwachen. Lange hielt ich es nicht mehr durch mit seiner Nähe. Jetzt hätte ich auch wieder die Gelegenheit gehabt zu fliehen. Aber, wenn ich mich von seinem Arm befreien würde, würde er sowieso aufwachen und mich wieder einfangen. Ausserdem hatte ich nur meine Unterwäsche an und so würde ich ganz bestimmt nicht rausgehen. Im Übrigen wollte ich es eh nicht nochmals riskieren, dass er Nico was antun würde. Das Schlimmste, was bisher überhaupt noch geschehen war, war der Brief, den ich schreiben musste unter Anweisung von Mike. Er diktierte und ich schrieb. Allerdings ein Text, der überhaupt nicht der Wahrheit und meiner eigentlichen Wortwahl entsprach. Ich wusste ja nicht einmal, ob er ihm schon was wegen meinem ersten Fluchtversuch angetan hatte oder nicht. Ich hoffte mal, nicht..

 

*

Wenn ich doch bloss wüsste, wo Lena steckte! Ich hatte ein total schlechtes Gefühl im Bauch und konnte nicht einmal etwas dagegen unternehmen. Ich konnte schlecht das ganze Dorf absuchen. Wenn, dann würde sie wohl in einem guten Versteck sein, das ich nicht so schnell finden würde. An die Polizei brauchte ich noch gar nicht denken. Die würden das ganze eh viel gelassener betrachten und sagen, ich sollte nach 24 Stunden wieder kommen, erst dann würden sie eine Vermisstenanzeige aufnehmen. Pah! Von wegen ,Polizei- Dein Freund und Helfer. Weder noch würd ich mal sagen. Ich war stinkwütend und hätte am liebsten etwas gegen die Wand geknallt. Ich betrachtete die Komode an der Wand, auf denen Fotos von mir, Lena und unseren Familien und Freunden aufgestellt waren. Ich nahm eines in die Hand, auf der ich Lena von hinten umarte, lächelnd auf sie hinab blickte und sie lächelnd zu mir hoch. Ihr Lachen fehlte mir. Und ihre Augen, die so hell strahlen konnten. Ihre aufgestellte Art, wie gut sie mir immer zuhören konnte und einfach völlig natürlich war. Nicht so aufgebrezelt wie andere junge Frauen in ihrem Alter. Nein. Sie war sehr erwachsen, aber konnte immer noch Kind sein und war es gerne. Ich hatte mit ihr immer sehr viel Spass (seit wir uns wieder begegnet sind) und fühlte mich von ihr ernst genommen. Ich konnte mir keine bessere Lebenspartnerin vorstellen, als Lena. Klar, ich war gerade mal 22 und könnte noch zehn oder zwanzig weitere Frauen kennen lernen, aber ich war gerade so wunschlos glücklich- naja, war es bis vor ein paar Stunden noch. Doch jetzt packte mich die Angst immer stärker, dass Lena vielleicht gar nicht mehr lebte oder von irgendeinem perversen Typen entführt und vergewaltigt wurde. Nein, ich musste aufhören mit diesen Gedanke, auch wenn es mir schwer fiel. Ich musste jetzt einen Plan erstellen und überlegen, was ich tun konnte. Irgendwas musste es ja geben.

 

*

 ,,Ich habe ihr schon zig SMS geschrieben und ungefähr zehn Nachrichten auf ihrer Combox hinterlassen. Ich habe absolut keine Ahnung, wo sie sein könnte. Vielleicht sollte ich noch Tim fragen.'' ,,Wieso Tim?'' Was hatte ihr Arbeitskollege wohl damit zu tun? ,,Naja...'', Anja zögerte. ,,Sag schon, Anja. Was hat er gemacht?'' ,,Naja, also, als wir damals zu viert ausgegangen sind, hat er Lena ziemlich angeflirtet. Aber sie hat ihn gleich abblitzen lassen und ihm klar und deutlich ihre Meinung gegeigt. Sie hatten nie was zusammen, ehrlich Nico.'' ,,Okay. Dass Lena mich betrügen würde, das glaub ich sowieso nicht. Aber ja, frag mal deine Arbeitskollegen, ob die was wissen.'' ,,Mach ich. Und du meldest dich, wenn's was Neues gibt oder du jemanden zum Reden brauchst, ja?'' ,,Alles klar, danke Anja.'' Ich hatte für mich bereits einen kleinen Plan erstellt, der vielleicht auch der Polizei von Nutzen sein könnte:

 

Als ich am Mittwoch von der Arbeit nach Hause kam, sagte mir Lena, sie würde sich am Freitagabend mit Anja treffen, um aus zu gehen. Am Freitag ging sie um 19.30 Uhr los. Erst am Samstagmorgen gegen 11.00 Uhr fragte ich mich, wo sie sein könnte, da sie weder eine SMS geschrieben, noch angerufen hatte. Ich vermutete, dass sie bei ihrer Freundin über Nacht geblieben war. Zuerst rief ich Lena auf ihr Handy an, wo nur die Combox an ging. Dann versuchte ich es bei Anja, ihrer Arbeitskollegin und erfuhr, dass sie gar nie mit Anja verabredet gewesen war. Der einzige Verdacht, den ich hatte war, dass vielleicht ihr Ex-Freund Mike was damit zu tun haben könnte, da er ihr Anonym schon ziemlich viel Ärger gemacht hatte. Ich ging am Samstag bei ihm vorbei, doch in der Wohnung war sie nicht. Länger wollte ich gar nicht in der Wohnung bleiben und ging wieder. Ich habe absolut keine Ahnung, wo Lena sein könnte.

 

 

Tja, mehr konnte ich ja im Moment noch nicht aufschreiben. Ich überlegte nochmals ganz genau, ob mir vielleicht ein kleines Detail entgangen sein könnte. Aber ich konnte mich nicht genug konzentrieren. Immer wieder schweiften meine Gedanken zu diesem Arsch Mike ab und zu Lena, die jetzt irgendwo hilflos jemandem ausgeliefert war oder so. Wieder überkam mich die Wut gegen diesen Mike. Dabei wusste ich ja nicht, ob er nun wirklich was mit dem Verschwinden von Lena zu tun hatte oder nicht. Aber was könnte denn sonst passiert sein? Ich drehte mich im Kreis. Und das half mir überhaupt nicht weiter...Ich schreckte beinahe aus meinen Gedanken auf, als es an der Tür klingelte. Hm...wer das wohl sein konnte? Ich hoffte irgendwie, Lena würde vor der Tür stehen oder jemand, der sie gefunden hatte. Und ich fürchtete mich davor, dass vielleicht die Polizei plötzlich auftauchen würde, weil sie Lena gefunden hatten...Aber das konnte ja nicht sein, weil ich noch keine Anzeige aufgegeben hatte. Wer also konnte es bloss sein? Ich ging hin und öffnete die Tür. Ich traute meinen Augen kaum. Mike! ,,Du?'', war das einzige, was ich sagen konnte, bevor ich gleich mein blaues Wunder erleben würde.

 

*

Ich öffnete die Augen und merkte, dass ich wieder eingeschlafen war. Und dass Mike weg war. Wo war der jetzt hin? Und wann? Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. War er bei Nico...?? Ich hoffte nicht, aber irgendwas sagte mir, dass ich mit dieser Vermutung gar nicht so daneben lag. Wie von der Wespe gestochen stand ich auf, zog mich hastig an und lief zur Kellertür. Natürlich war sie abgeschlossen. Hatte ich denn wirklich überhaupt keine Möglichkeit da raus zu gelangen? Ich rüttelte an der Tür. ,,Hilfe!!! Hört mich denn niemand?! Hiillfeee!!'' Niemand kam. War nie jemand anderes im Keller? Es wohnten doch sicher noch andere hier, oder etwa nicht? Und was war mit dem anderen Typ, der mich an der Tür als Tussi begrüsst hatte? Wusste der nicht, dass ich hier unten war? Oder steckte er mit Mike unter einer Decke? Es war einfach zum Verzweifeln. Erschöpft liess ich mich auf den Boden sinken und begann zu Weinen. Ja ich weiss, weinen half mir nicht wirklich weiter, aber was sollte ich denn sonst tun? Lachen? Lachen würde ich wohl erst dann, wenn ich vollkommen verrückt geworden war. Und da lag ich noch weit zurück. Und hoffentlich würde es auch nie soweit kommen. Aber im Moment befürchtete ich schon...

 

*

,,Ja, ich. Darf ich kurz reinkommen?'' ,,Was willst du?'' ,,Das erfährst du, wenn du mich reinlässt.'', grinste er mich frech an. Widerwillig liess ich ihn reinkommen. Nachdem ich die Tür wieder geschlossen hatte, verschränkte ich die Arme vor der Brust und sah ihn kalt an. ,,Also, schiess los.'' ,,Ich weiss, wo Lena ist.'' ,,Achja?'', fragte ich beinahe desinteressiert doch innerlich spannten sich alle Muskeln an. ,,Du liebst sie sehr, oder?'' ,,Ja.'' ,,Ihr geht es gut. Wenn du zur Polizei gehst, ändert sich das aber. Und das willst du nicht, oder?'' ,,Nein.'' ,,Ich habe ihr gesagt, dass sie eine Weile bei mir wohnen darf, aber dich in dieser Zeit nicht sehen kann. Und sie war einverstanden. Schliesslich ist das mit uns noch nicht ganz geklärt.'' ,,Wo ist sie denn, wenn sie bei dir ist?'' ,,Sie hat das beste Zimmer bekommen, das es gibt und fühlt sich sehr wohl. Sie hat mich gebeten dir zu sagen, dass du dir keine Sorgen machen sollst und sie eine Weile abstand zu dir braucht.'' ,,Abstand? Wieso?'' ,,Weil sie nicht wirklich weiss, ob sie nun mit dir oder mir zusammen sein will. Hier ist noch ein Brief. Es liegt nun an dir. Wenn du ihre Entscheidung nicht akzeptieren wirst, dann wird es ihr nicht gut gehen bei mir. Hast du mich verstanden?'' Ich konnte nur nicken. Er grinste wieder siegessicher und am liebsten hätte ich ihm eine geknallt. Leider hatte ich in dem Moment nicht nur den Gedanken, sondern...,,Du verdammter Mistkerl! Was hast du mit ihr gemacht?'', schrie ich und knallte ihm meine Faust ins Gesicht. Er fiel um und seine Unterlippe war aufgeplatzt. Er sah mich wütend an. Unglaublich, wie kalt und unheimlich dieser Mensch schauen konnte. Er rappelte sich wieder auf und zischte nur: ,,Das wirst du noch bereuen.'' Er öffnete die Tür und weg war er. Ich schloss die Tür und sank zu Boden. Was meinte er mit 'bereuen'? Und was hatte das alles zu bedeuten, was er mir von Lena gesagt hatte? Wieso konnte nicht alles so einfach und schön sein, wie bei anderen Pärchen auch? Ich vergrub den Kopf in den Armen und schluchzte hinein. ,,Lena, wo bist du nur? Was hat dieser Arsch mit dir gemacht? Ich vermisse dich so schrecklich!'', murmelte ich in meine Armen und in diesem Moment gab ich die Hoffnung für eine Weile auf. Mir war alles egal, ich glaubte, Lena nie wieder zu sehen. Oder jedenfalls nicht mehr lebendig. Was würde ich tun, wenn sie tot war? Mein Leben wäre dann nur noch ein grauer Schatten, der mir schwer auf den Schultern liegen würde. ,Bleib ruhig, Nico. Du musst jetzt stark sein.', sagte ich in Gedanken zu mir selbst und betrachtete den Brief. Ein normales Couvert, weiss, mit der Anschrift Für Nico. Ich öffnete den Brief und las. Er war von Hand geschrieben. Lenas Schrift? Konnte nicht sein, oder?

 

Mein lieber Nico

Es tut mir wahnsinnig leid, wenn ich dich angelogen habe und mich seither nicht mehr bei dir gemeldet habe. Wie du jetzt sicher weisst, bin ich bei Mike. Ja ich weiss, Mike ist für mich eigentlich längst Geschichte, aber ich weiss, dass es trotzdem noch nicht ganz vorbei ist. Ich brauche etwas Zeit um einen klaren Kopf zu kriegen und zu wissen, was ich will und was das Beste für mich ist. Das ist jetzt nicht sehr leicht für dich, das kann ich mir denken. Aber es muss sein. Irgendwie liebe ich Mike immer noch, aber dich auch. Sobald ich weiss, was ich will, werde ich es dich wissen lassen. Bitte ruf keine Polizei, da du ja jetzt diesen Brief hast. Mir geht's gut und ich möchte nicht, dass du dich weiterhin um mich sorgst und deine Arbeit vernachlässigst. Lebe weiter, gehe aus und lerne neue Leute kennen. Von mir aus auch andere Frauen. Und sag Anja, dass es mir gut geht und ich mich bald bei ihr melden werde.

In Liebe, Lena

 

 Ich las den Brief nochmals, nochmals und nochmals durch, doch der Text blieb immer derselbe. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass Lena diesen Brief geschrieben hatte. Ich verglich die Handschrift natürlich sofort mit einer Notiz, die sie an ihrem Kalender befestigt hatte. Die Schrift passte leider. Aber ich konnte es trotzdem nicht glauben. Nein, nicht meine Lena. Nie und nimmer! Lena war bei Mike. Bei Mike war ich, aber Lena war nicht da. Er behauptete, sie sei nicht bei ihm. Und jetzt kam er und gab mir diesen Brief. Ich kapierte grad gar nichts mehr. Mir reichte es. Ich musste irgendwas tun. Kurz entschlossen stand ich auf und verliess die Wohnung- mit dem Brief.

 

*

Ich sass nun eine gefüllte Ewigkeit neben der Kellertüre an die Wand angelehnt und starrte gedankenverloren Löcher in die Luft. Meine Tränen waren längst getrocknet und ich fühlte nur noch eine reine Leere in mir drin. Mir war alles egal. Ich hatte keine Hoffnung mehr. Nico würde sich in eine andere Frau verlieben und ich würde hier in diesem Drecksloch verrecken. Von mir aus! Sollte Mike doch mit mir machen was er wollte. War mir doch egal! Ich schloss meine Augen und versuchte an was Schönes zu denken. Aber an was? Mir fielen nur traurige Erinnerungen und Bilder ein, die ich eigentlich vergessen wollte. Doch bevor ich mich ein weiteres Mal darauf konzentrieren konnte, öffnete sich die immer noch quitschende Kellertüre und Mike kam rein. Klar, wer denn sonst? ,,So, jetzt bin ich wieder ganz für dich da. Hast dich angezogen? War dir kalt?'' ,,Ne, vor lauter Hitze bin ich am zerschmelzen.'', antwortete ich brummig. Diese doofen Fragen, die er mir dauernd stellte. Aber war eigentlich schon immer so gewesen. Nur, dass sie diesmal direkt kamen. Vorher sprachen wir fast nichts miteinander, weil wir uns selten sahen und unsere Kommunikation aus tausenden von SMS bestand. Nein, ich übertreibe nicht. Ich hab aufgehört mit Zählen, als ich bei tausend und fünfundzwanzig angekommen war. Aus lauter Langeweile hatte ich die damals angefangen zu zählen. All diese SMS bekam ich innerhalb eines Jahres. Mike riss mich aus meinen Gedanken: ,,Komm, jetzt haben wir noch ein bisschen Zeit für uns.'' Musste das sein? Diese Zeit konnte er sich sparen. Aber was blieb mir anderes übrig? Ich machte einen Versuch: ,,Können wir einen Film schauen?'' Ein wenig Hoffnung schwankte in meiner Stimme mit. ,,Ne, mein Bruder schaut gerade Fussball. Komm her.'' Sein Blick war etwas finsterer geworden. Wahrscheinlich wegen meinem Vorschlag...Ich ging zu ihm hin, er nahm mich in die Arme und küsste mich herzhaft. Iiiihgitt! Am liebsten hätte ich ihn weggestossen. Aber das ging leider nicht. Ich nahm mich zusammen und hielt die Luft an. ,,Werd doch etwas lockerer. Ist ja nicht unser erster Kuss.'', murmelte er und schob seine linke Hand unter mein T-Shirt. Wenigstens hatte er warme Hände. Maaan!! Es ging hier doch nicht um warme Hände! Nein, ihm ging es um was anderes. Nein, auch nicht um 'Das Eine'. Mir wäre es allerdings lieber gewesen...viel lieber...Er presste mich eng an sich und vergrub seine rechte Hand in meinem Haarschopf und drückte meinen Kopf etwas nach hinten. Kurz darauf zwängte sich seine Zunge in meinen Mund. Sein Kuss wurde immer gieriger und stürmischer. Plötzlich ging es ganz schnell. Er riss mir mein T-Shirt vom leib und vergrub seinen Kopf an meinem Hals, küsste mich entlang bis zum BH. Ich wusste nicht was schlimmer war. Seine Zunge in meinem Mund, oder auf dem Weg nach unten...,,Mike, bitte lass das. Ich mag das nicht, das weisst du doch.'', flüsterte ich verzweifelt. Abrupt richtete er sich auf und funkelte mich wütend an. ,,Du magst es nicht, klar! Bei mir nicht, aber bei deinem Freund schon, oder was?'' ,,Nein, gar nicht. Ehrlich nicht. Bitte...'' Weiter kam ich nicht, denn er schlug mir voller Wucht ins Gesicht. So, dass ich das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Ich war noch mit BH und Hose gekleidet. Ich sah ihn erschrocken an und tastete nach meiner Lippe. Ich schmeckte Blut. Mir liefen die Tränen über die Wangen. ,,Ne ey! Jetzt fängst du auch noch an zu Flennen oder wie? Wenn du wenigstens nur ein einziges Mal das tun würdest, was ich von dir verlange, dann hätten wir keine Probleme miteinander. Aber nein, du wehrst dich dauernd. Aber jetzt, jetzt ist Schluss mit Weigern.'' Bevor ich mich noch fragen konnte, was er damit meinte, drückte er mich zurück auf den Boden und kniete sich über mich. ,,Du hast es nicht anders verdient, du Drecksschlampe.'' Ich schrie. Aber natürlich kam niemand und Mike vergnügte sich an meinem Körper, wie's ihm gerade passte. Ich hatte eine Todesangst und ekelte mich furchtbar an jeder Berührung von Mike. Ich weinte, schluchzte und versuchte ihn von mir wegzustossen. Vergeblich. Jedes Mal schlug er mir ins Gesicht. Ich gab's auf. Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen, bis der Horror vorbei war.

,,Ach Lena, wenn ich dich nicht hätte..'', murmelte Mike neben mir zufrieden vor sich hin. Ja, wenn er mich nicht hätte, dann läge vielleicht jemand anderes hier? Wer weiss...Ob er das schon mit anderen gemacht hatte? Oder ob ich die Erste war? Ich wollte es gar nicht wissen und schloss die Augen wieder. Ich versuchte einzuschlafen, denn so würde die Zeit schneller vorbei gehen. Aber es gelang mir nicht. Meine Unterlippe schmeckte nach getrocknetem Blut und meine Augen waren von den Tränen total verklebt. Wieso geschah mir das hier? Was hatte ich so schlimmes angestellt, dass mir sowas übles angetan wurde? Ich wollte einfach raus oder schnellstens verrecken. Mir war übel. ,,Mike, mir ist übel.'', sagte ich leise mit kratziger Stimme. ,,Übel? Wieso denn das?'' ,,Woher soll ich das wissen? Mir ist einfach hundselend übel.'' ,,Soll ich dir ein Becken holen?'' ,,Darf ich auch das Klo benutzen? Ich möchte mich mal waschen und auf'm Klo war ich auch schon drei Tage nicht mehr.'' Ja, echt. Zum Glück bekam ich nicht zu viel zu Essen und zu Trinken, wäre sonst etwas kompliziert und ekelhaft gewesen. ,,Na gut. Aber nur eine Stunde höchstens. Mein Bruder kommt sicher gleich wieder nach Hause. Der musste sich noch was besorgen gehen. Komm, zieh dir was an, dann gehen wir rauf in die Wohnung.'' Das war absolut ein Weltwunder! Ich durfte in die Wohnung, mich duschen, waschen und eventuell auch übergeben. Je nachdem, wie mein Magen drauf war. Ich rappelte mich mit zittrigen Knien auf und zog mir die Hose und das T-Shirt über. Mir war kalt und Mike musste mich stützen, damit ich auch die Treppen schaffte. ,,Meine Güte Lena, was ist bloss los mit dir?'' ,,Das fragst du noch? Ich darf tagelang nicht raus, hälst mich hier gefangen wie ein Verbrecher und lässt mich beinahe noch verrecken!'', sagte ich wütend. ,,Ach komm, so schlimm ist es doch nicht. Ich hab dir eine Decke gebracht, ich habe dir Lasagne gemacht...du könntest wirklich etwas dankbarer sein.'' Ich hatte bald genug von diesem kranken Typen und dem Spiel, das er mit mir trieb. ,,Ich wäre dir am dankbarsten, wenn ich rausgehen und die frische Luft etwas geniessen dürfte.'' ,,Das geht nicht, das weisst du doch. Ich will mit dir noch ein wenig die Zeit geniessen. Irgendwann lass ich dich dann schon wieder zu deinem Freund gehen- falls er sich dann noch für dich interessiert.'' Ich wollte grade fragen, was er damit sagen wollte, biss mir aber auf die Zunge. Auf diese blöden Sprüche hatte ich keinen Bock und ignorierte sie einfach.

Endlich waren wir in der Wohnung. Ich ging ins Bad und schloss ab. Das zweite Wunder von heute. Ein Schlüssel zum Schliessen. Schade, dass es kein Fenster gab, wo ich hätte rausklettern können. Vielleicht würde sein Bruder ja früher nach Hause kommen und mir zur Flucht verhelfen? Naja, vielleicht steckten die beiden ja unter einer Decke? Ich konnte mir leider überhaupt nicht vorstellen, dass er mir helfen würde. Entweder bekam er vielleicht mal einen Anteil von dem Spiel wegen dem Schweigen oder ihm war es egal. Aber wie konnte es jemandem egal sein, wenn der Bruder eine Frau im Keller fest hielt? Oder wusste er etwa gar nichts von mir? Hmm...Irgendwie war grade alles möglich...Leider...,,Wie lange brauchst du noch?'' Meine Güte! Ich war etwa grade mal zehn Minuten im Bad und schon wurder Mister Psycho gleich ungeduldig. ,,Eine Stunde hast du mir gegeben. Es sind grade mal zehn Minuten vergangen!'' Ich hörte ihn etwas unverständliches Murmeln und wie er sich wieder entfernte. Na Halleluja. Moment...Ich hatte mein Handy in der Hosentasche, (keine Ahnung mehr, wie und wann ich es hinein gesteckt hatte, aber es war jedenfalls gut, falls noch ein wenig Akku übrig war). Das war jetzt etwas fahrlässig von Mike, mir nicht mal mein Handy abzunehmen. Es hatte noch 20% Akku. Na Gott sei Dank! Meine Hände fingen an zu zittern. Anrufen? Nein, Mike konnte mich hören und die Tür aufbrechen und mich wieder schlagen und sofort in den Keller zurück sperren. Eine SMS schreiben war etwas sicherer. Mit zittrigen Fingern gab ich eine kurze SMS ein:

 

Nico! Hilf mir! Bin bei Mike!

Er hält mich im Keller fest. Hilf mir! Lena

 

Ich drückte auf Senden und fertig. Konnte es sein, dass ich demnächst wieder bei Nico sein würde?

 

*

Es waren jetzt bereits 20 Minuten vergangen, seit ich die SMS abgeschickt hatte. Und was jetzt? Warten, bis was geschehen würde? Ich könnte mich ja weigern aus dem Bad zu kommen. Das war mir immer noch lieber als nochmals angegrapscht und geschlagen zu werden. Ein Blinken machte mich aufmerksam, dass eine SMS oder ein Anruf auf meinem Handy eingegangen war. Eine SMS von Nico. ENDLICH!

 

Ich mache mich sofort auf den Weg. 

Ich hab die Polizei bereits verständigt.

Ich liebe dich! Nico ♥

 

Ich konnte mich kaum zusammenreissen und hätte vor Freude am liebsten laut gejubelt. Aber das ging natürlich nicht. ,,Sag mal, bist du bald fertig? Wir müssen wieder in den Keller.'' ,Erstens: WIR? Wohl eher ich, oder? *Knurr*. Und zweitens: Müssen schon mal gar nicht. Wart's ab mein Lieber, gleich wirst du dein blaues Wunder erleben.' Ich grinste schelmisch vor mich hin und rief: ,,Geduld. Sind erst 25 Minuten vorüber. Ich brauch noch ein bisschen Zeit.'' ,,Weiber.'', hörte ich ihn murmeln. Sein lieblings 'Fluchwort'. Weiber. Wir Weiber waren an allem Schuld, die dümmsten und nervigsten Geschöpfe überhaupt- seiner Meinung nach. Mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte bereits meine Haare gewaschen. Duschen wollte und konnte ich nicht. Sonst hätte ich eines der benutzten Duschtücher nehmen müssen und frische Klamotten hatte ich ja auch keine dabei. Ich bürstete mir die Haare durch und trank ordentlich Wasser vom Wasserhahn. Die Übelkeit war zwar etwas schwächer geworden, aber immer noch da. Ich hatte eben zu wenig gegessen in den letzten Stunden. Ich suchte nach einem Föhn, fand aber keinen. Toll, und jetzt? So würde ich  mich nur erkälten. Aber wenn Nico vorher eintreffen würde, mit der Polizei, so hätte ich vielleicht zu Hause die Chance auf meinen Föhn. Mitten in meine Gedanken, hörte ich plötzlich eine Sirene und Mike, der laut fluchte. ,,Du verdammtes Miststück! Ich wusste es! Du bist so eine blöde Schlampe! Das wirst du mir büssen!'' Ganz erschrocken drehte ich mich zur Tür, die gleich darauf eingetreten wurde. Mike stand mit wutverzertem Gesicht vor mir und bevor ich kapierte, was geschah, hatte er mir auch schon eine Ohrfeige verpasst. Aber heftig. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte. Mein Kopf prallte auf etwas Hartem auf und mir wurde schwarz vor Augen. Wie aus einem dichten Nebel drangen Stimmen an mein Ohr. Ich bekam mit, wie die Wohnungstür aufgerissen wurde, eine Stimme die 'Hände hoch!' brüllte und die andere 'Halt, stehen bleiben!' und die dritte konnte ich Nico zuordnen. ,,Lena! Wo bist du? Sag doch was!'' Und ab da wurde alles schwarz. Ich bekam nichts mehr mit und fiel in eine endlose Dunkelheit.

Das Nächste Mal, als ich wieder zu mir kam, standen ein paar Leute um mich herum. Zuerst sah ich nur verschwommene Gesichter und murmelte verwirrt: ,,Wo bin ich?'' Ich glaube, diese Frage war die Standartfrage die jeder stellte, sobald er an einem fremden Ort, nach einem Zusammenbruch oder so, wieder zu sich kam. ,,Du bist im Krankenhaus.'' Das war Nico's Stimme. ,,Was ist passiert?'', flüsterte ich mühsam. Standartfrage Nummer zwei. ,,Mike hat dich geschlagen, du bist gestürzt und wurdest ohnmächtig. Du hast eine leichte Gehirnerschütterung.'' Na super. Danke Mike, als ob ich das gebrauchen konnte. ,,Ich will nach Hause.'', murmelte ich schwach. ,,Das dürfen Sie morgen. Wir wollen Sie über Nacht noch hier behalten zur Beobachtung.'' ,,Kann Nico auch bleiben?'' Der Arzt schien zu überlegen. ,,Mir wäre es lieber, Sie wären alleine. Sie brauchen Ruhe.'' Hatte ich die nicht gerade gehabt, während ich ohnmächtig war? ,,Ich komme dich morgen abholen. Jetzt bist du ja in Sicherheit.'' Nico strich mit seiner Hand sanft über meine Wangen. Ich sah ihm in die Augen, (meine Sicht war nun etwas schärfer geworden), und er küsste mich sanft auf die Lippen. Hmm....war das schön...Wann hatte er mich das letzte Mal so geküsst? Ich war so verwirrt...Ich wusste nicht einmal welcher Tag war und wie lange ich ohnmächtig gewesen war. ,,Wo ist Mike?'' Die wichtigste aller Fragen. Stille. Nico räusperte sich. ,,Egal wo er ist, er kann dir nichts mehr tun. Du bist jetzt in Sicherheit.'' ,,Nico, wo ist Mike?'', fragte ich nochmals und betonte dabei jedes Wort einzeln. ,,Er...er ist entkommen. Über den Balkon gesprungen und weg war er. Es wird noch nach ihm gesucht.'' Scheisse! Wieso konnte er denn entkommen? Ich schloss die Augen und kämpfte gegene meine innerlich aufsteigende Unruhe an. Nico spürte meine Anspannung. ,,Bleib ruhig, Lena. Er kann dir nichts tun, das versprech ich dir.'' ,,Du weisst nicht, wie krank der Typ ist.'', flüsterte ich und die ersten paar Tränen fanden einen Weg aus meinen Augen und liefen mir über die Wangen. Nico wischte sie sanft weg. ,,Ich weiss Lena. Aber hier bist du sicher, glaub mir.'' Der Arzt meldete sich zu Wort: ,,Eine Schwester wird in der Nacht bei Ihnen bleiben, damit Sie etwas ruhiger schlafen können.'' ,,Wieso kann nicht Nico bleiben.'', flüsterte ich verzweifelt. Ich wollte nur Nico, war das zu viel verlangt? Anscheinend schon.

 

*

Es war nun bereits zehn Uhr abends. Nico war vor drei Stunden gegangen und nun war ich alleine in diesem grossen Zimmer. Das Bett rechts neben mir war leer. Einerseits war ich froh alleine zu sein, andererseits fürchtete ich mich. Ich hatte Angst, dass Mike jeden Moment zur Tür rein kommen würde. Dabei war das ein total absurder Gedanke. Ich schloss die Augen und versuchte an was Schönes zu denken. Aber das war gar nicht so einfach. Ich war so lange in diesem Keller gewesen, mit Kälte und Finsternis. Und nun war ich schon wieder im Dunkeln. Ich hörte auf dem Flur leises Gemurmel der Ärzte und Krankenschwestern, schnelle Schritte die den unendlich langen Flur entlang marschierten. Ich durfte jederzeit den roten Knopf drücken, wenn ich was brauchte oder es mir nicht gut ging. Am liebsten hätte ich ihn gedrückt, damit jemand die Tür öffnen und das Licht anmachen würde. Dann würde ich mich schon besser fühlen. Aber ich traute mich nicht. Die hatten bestimmt besseres zu tun, als die Tür zu öffnen und das Licht anzulassen. So war ich schon immer. Ich störte oder unterbrach andere nur ungern, auch wenn mein Bedürfnis vielleicht wichtig war. So auch jetzt. Ich selber konnte ja nicht aufstehen. Erstens war ich angekabelt an verschiedenen Schläuchen, von denen ich nicht wusste, was sie mir brachten (wollte ich auch nicht wissen) und zweitens schmerzte mein Kopf ziemlich. Ich war ja ziemlich heftig hingeknallt und hatte dann das Bewusstsein verloren. Daher brauchte ich jetzt viel Bettruhe und durfte auf keinen Fall alleine aufstehen. Am besten gar nicht. Das war so doof. Nun musste die Schwester immer so eine Schüssel unter meinen Allerwertesten stellen, weil ich nicht auf's Klo gehen konnte. Das war mir so furchtbar peinlich, dass ich am liebesten gar nichts mehr gegessen und getrunken hätte, bis ich wieder aufstehen konnte. Aber das ging ja nicht. Ich hatte im Keller auch einiges aushalten müssen, aber nochmals solche Verdauungsbeschwerden wollte ich nicht haben. Dann lieber wieder mit dem Topf, wie ein kleines Kind. Zum Glück hatte ich noch nicht meine Tage. Das wäre dann sowas von peinlich geworden! Obwohl die Schwestern sowas ja nicht zum ersten Mal erleben würden. Ich schon.

 

*

,,Guten Morgen Lena! Hast du gut geschlafen?'' Verschlafen öffnete ich meine Augen einen Spalt breit um sie danach gleich wieder zu schliessen. Wieso um Himmels Willen weckte die mich? Konnte man im Krankenhaus nicht ausschlafen? ,,Mhm.'', murmelte ich noch nicht imstande, zu sprechen. Die Schwester war ungefähr 25 Jahre alt, hatte braune Haare die sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden hatte und blaue Augen, die strahlten, als wäre sie die Sonne persönlich. Auf ihrem Namensschild stand J.Brauer Krankenschwester. Wie sie wohl hiess? Die Antwort erhielt ich gleich darauf. ,,Ich bin die Schwester Josephine. Darfst mich ruhig Finchen oder Josi nennen, oder was dir gerade einfällt. Ist es okay für dich, wenn ich dich auch Duze und Lena nenne?'' ,,Klar.'' Josephine war mir gleich sehr sympathisch. ,,Falls du dich jetzt über meinen Duzen-Vorschlag wunderst: Ich biete das all meinen Patientinnen an. Ist irgendwie persönlicher und ich find's so einfach etwas schöner und besser.'' ,,Find ich auch.'', sagte ich lächelnd. Ich fühlte mich auch viel besser, weil jetzt die Sonne durch das Fenster schien. Sie wärmte mein Gesicht und meine Bettdecke. ,,Wenn dich die Sonne stört, sagst du es bitte, ja?'' ,,Ist schon in Ordnung. Ich finde es schön so.'' ,,Dann ist ja gut. Ich bringe dir gleich dein Frühstück.'' Ohje, mir viel gleich wieder der Topf ein. Hoffentlich konnte ich bald nach Hause. Das Wissen, nicht aufstehen zu dürfen, bescherte mir ein umso grösserer Drang, die Beine aus dem Bett zu schwingen und aufzustehen. Hoffentlich würde Nico bald kommen. Dann würde die Zeit auch etwas schneller vorbei gehen.

 

*

Endlich war die Stunde der Heimkehr gekommen. Nico würde jeden Augenblick im Krankenhaus ankommen und mich nach Hause zurück holen. Ich hatte zwar noch etwas Kopfschmerzen und kleinere Schwindelanfälle, aber ansonsten fühlte ich mich wieder etwas besser. Ausser natürlich diese verdammte Angst, wo Mike war, was er vor hatte und ob ich ihm wieder begegnen würde- was ich nicht unbedingt hoffte.

 

*

,,Willkommen zurück zu Hause!'' Ich trat vor Nico in die Wohnung, drehte mich um und fiel ihm nochmals um den Hals und küsste ihn. ,,Ich bin ja so froh endlich wieder bei dir zu sein.'' ,,Und ich erst. Ich war ganz krank vor Sorge und deine Freundin Anja genauso. Ich hab ihr bereits Bescheid gegeben, dass du wieder aufgetaucht bist und ihr kurz erklärt, was geschehen ist. Jetzt ist nur noch zu Hoffen, dass Mike bald von der Polizei geschnappt wird.'' ,,Das hoff ich auch. Vorher geh ich nicht alleine aus der Wohnung raus.'' ,,Ich kann leider nicht dauernd bei dir sein und muss trotzdem noch zur Arbeit gehen. Aber ich schliesse einfach immer die Türe ab wenn ich gehe und besorge so bald wie möglich eine Sicherheitskette, dass du dich etwas sicherer fühlst. In Ordnung?'' ,,Ja, ist in Ordnung. Dann werd ich die Zeit nutzen und hier ein bisschen für Ordnung sorgen.'' Nico sah kurz durch die Wohnung und grinste dann verlegen. ,,Ich weiss...ich habe die Ordnung in der letzten Zeit nicht so ernst genommen. Es war überhaupt ein Wunder, dass ich noch Arbeiten gehen konnte. Am liebsten hätte ich pausenlos nach dir gesucht, aber das ging eben nicht.'' ,,Ist doch klar. Du hast dein möglichstes getan und nun bin ich wieder hier und bleibe auch hier.'' ,,Na, das hoff ich doch mein Engel.'' Wir küssten uns wieder und ich vergass für einen Moment die Angst vor Mike und den folgenden Wochen, in denen ich mehr oder weniger alleine in der Wohnung sein würde (tagsüber) und der Kummer, dass er noch nicht hinter Gittern war.

 

*

,,Dieses verdammte Miststück!'' ,,Mike, nun beruhige dich doch mal!'' ,,Beruhigen? Ich soll mich beruhigen? Die kleine Schlampe hat es geschafft zu entkommen und mir die Polizei auf den Hals zu hetzen. Nun ist sie wieder bei ihrem ach so tollen Freund und ich darf zusehen, wie ich sie wieder zurückgewinnen kann, ohne dabei von der Polizei oder ihrem beknackten Freund erwischt zu werden.'' ,,Du warst aber auch zu blöde, dass du ihr das Handy nicht abgenommen hast.'' ,,Ja man! Ich hab eben nicht dran gedacht! Aber wer hätte gedacht, dass ihr Handy immer noch Akku haben würde nach mehr als 24 Stunden und sie imstande wäre, eine SMS an diesen Vollidioten zu schicken? Schliesslich hab ich sie nicht gerade top ernährt.'' ,,Dann hast du ja Glück im Unglück, dass ihr nichts schlimmeres zugestossen ist. Sonst würdest du zuletzt noch wegen Mord ins Gefängnis wandern.'' ,,Spinnst du? Ich will sie doch nicht umbringen. Sie soll doch nur endlich kapieren, dass wir zwei zusammengehören und ihr Freund dieser Idiot nichts für sie ist. Dann werd ich nun eben anders an die Sache rangehen müssen.'' ,,Ach, und wie willst du das machen?'' ,,Das weiss ich noch nicht. Aber mir wird schon was einfallen.''

 

*

Nun begann für mich der Tag, den ich ohne Nico in der Wohnung verbringen musste. Er war bereits zur Arbeit gefahren und ich hatte wieder ausgeschlafen. War mir zwar nicht recht, aber ich solle mich, bzw. meinen Kopf noch etwas schonen- Befehl von Arzt und Nico. Aber um zehn Uhr hielt ich es nicht mehr aus und stand auf. Versuchte es jedenfalls. Mir wurde sogleich wieder schwindelig. Ich fluchte. Wieso verdammt nochmal konnte mein Leben nicht einfach normal verlaufen? Statt Entführung und einen kranken Ex am Hals hätte ich lieber sonst eine Krankheit, wo ich wenigstens nicht vor jemandem Angst haben musste, der jederzeit vor der Tür stehen und mich wieder kidnappen könnte. Aber nein, ich führte im Moment ein Leben wie im Fernseher, in einem Krimi oder doch schon eher in einem Thriller. Nur, dass in meinem Leben die Geschichte hoffentlich nicht ein tragisches Enden nehmen wird. Aber es hiess ja nicht umsonst, dass das Leben hart sei. Hart, gefährlich und ohne Erbarmen.

 

 *

 

 

 

      

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Denen, die das kennen und denen die das hoffentlich nie durchmachen müssen und allen, die meine Geschichte lesen.

Nächste Seite
Seite 1 /