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Als ich die Haustüre aufmachte, fegte ein Windstoß Moms Unterlagen vom Tisch. Ärgerlich kam sie aus der Küche gestürzt und wollte sie aufheben. „Ich mach das schon“, sagte ich und zog mir durchnässten Stiefel aus. Draußen schneite es.
Heute war der letzte Schultag gewesen und Weihnachten war nur mehr eine Handbreite entfernt. Mom und ich feierten kein Weihnachten. Sie fand es viel zu unnötig, das ganze
Tra-Ra mit dem Weihnachts-Geschenke-Einkaufs-Stress, dem Tannenbaum, der ohnehin alles nur voller Nadel machte und den sie angeblich eine Allergie hatte und die Kocherei.
Das war ganz sie.
Aus der Küche duftete es nach Würstchen und Bratkartoffeln. Schnell hob ich Moms Unterlagen auf und stürzte in die Küche. Mom stand am Herd und grinste. Sie war eine Kämpfernatur. Ich sah aus dem Fenster. Sie waren voller Eiskristalle. Vom restlichen Garten konnte man vor lauter Schneegestöber fast nichts erkennen. Wir hatten rings um das Haus Weiden und Nadelbäume gepflanzt. Jetzt waren diese Bäume von Schnee und Frost umhüllt.
Gierig schnappte ich mir einen Teller mit Bratkartoffeln und verschwand im Esszimmer.
Unser Esszimmer war so ziemlich riesig. An den Fenstern hingen modrige weiße Vorhänge, der Fußboden bestand aus alten Holzbrettern. Auf dem Tisch lag eine gelblich weiße Tischdecke, auf der noch Flecken des Wachs meiner letzten Geburtstagstorte waren. Es war pinkes Wachs. In die Mitte des Tisches hatte Mom einen weinroten Streifen Stoff gelegt. Darauf standen etliche weiße Kerzen, der größe nach geordnet. Alle brannten und verströmten einen Duft nach einer Mischung aus Blutorange, Lotusblüte und Blaubeere. Das passte kein bisschen zu ihrer Farbe. Mom hatte sie vor kurzer Zeit auf dem Dachboden gefunden und herunter gebracht. Sie waren noch in der original Verpackung gewesen, waren aber uralt erschienen. „Wetten, die Kerzen sind Duftkerzen und riechen nach Kokos?“, hatte sie triumphierend gelacht. Dann hatte sie sich Streichhölzer geholt und Kerze Nummer Eins entzündet. Und danach war sie ganz schön sauer gewesen, weil die „dummen“ Kerzen nicht nach Kokos dufteten. Ich konnte Kokos sowieso nicht sehr leiden. Kokosmilch war lecker und ein Muss, aber Riegel und der Duft selber konnten mir erspart bleiben. Mom aber war eine Kokosfanatikerin.
Ich ließ mich auf meinen Sessel fallen. Immer, wenn ich das tat, hatte ich ziemliche Angst, dass das Holznetz unter meinem Hintern riß, aber es war noch nie wirklich passiert. Einmal fast. Damals hatte Mom den Sessel ins „Krankenhaus für Möbel“, wie sie den Tischler liebevoll nannte gebracht.
Mom kam mit ihrem Teller. Sie liebte Würstchen. Ich war Vegetarierin und hielt mich an die leckeren Kartoffeln. „Wir haben überlegt, dass du eine Pause benötigst“, meinte sie kalt.
„Von was brauche ich eine Pause? Und wen meinst du mit wir?“, fragte ich schockiert. „Nun ja, Jaidyn und ich. Du brauchst einfach Abwechslung vom Alltag. Nicht immer nur Schule und Hausarbeit“
„Wer zum Teufel ist Jaidyn? Und wo wollt ihr mich bitte hinschicken, dein Jaidyn und ich?“
„Jaidyn ist mein Freund. Er kennt dich zwar nicht, aber er ist Fachmann für so etwas. Jay ist Jugendpsychologe“
Ich stöhnte. Mom und Daddy waren seit einer halben Ewigkeit getrennt und bisher hatte meine Mutter noch nie einen Freund gehabt. Und bei Jaidyn hatte sie es mir auch noch verheimlicht. Super Mom! Ich konnte schon förmlich den Kinotitel auf der Leinwand stehen sehen. Jaidyn war Jugendpsycho. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Jetzt machte er sich sicher über mich her.
Ich begann zu überlegen, ob ich zu Dad ziehen sollte. Aber das ergab keinen Sinn. Er lebte in Kanada. Das erste halbe Jahr meines Lebens, in dem Paps und Mom noch verheirateten waren, lebten wir auch dort. Danach waren Mom und ich nach Phoenix, Arizona gezogen. Wahrscheinlich würden wir auch hier sterben. Ich war noch niemals bei Daddy gewesen.
Er schickte mir jedes Jahr zu Weihnachten, Ostern und an meinem Geburtstag einen Brief und ein Paket. Dad legte immer Fotos bei. Daher kannte ich auch meine Stiefmuttter Camryn, meine Stiefschwester Nicky und meine Halbgeschwister Patrick und Jolyn.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die gerne Vampire wären.

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